Krummacher, Gottfried Daniel - Die Sonne der Gerechtigkeit - 5. Predigt über Maleachi Kap. 4, V. 2.
Lasst uns denn jetzt noch den letzten merkwürdigen Umstand von der Sonne der Gerechtigkeit erwägen, der im Aufgehen derselben besteht, welches uns zugleich veranlassen wird, die Erfüllung des Ganzen in der Erscheinung Jesu Christi nachzuweisen. Wir betrachten dieses Aufgehen teils mit Bezug auf das Ganze, teils mit Bezug auf einzelne Personen. Ist der Aufgang der Sonne herrlich, so ist auch dasjenige merkwürdig, was ihm vorhergeht, nämlich die Nacht. Sie übt eine gewaltige Macht aus. Sie macht alle sichtbaren Gegenstände unsichtbar. Unsichtbar werden die höchsten Berge wie die tiefsten Täler. Ganze Städte verschwinden gleichsam, und das Nichts scheint die Wirklichkeit zu verschlingen. Sie bringt einen Stillstand in den meisten Geschäften hervor, und wo sie hinkommt, entsteht ein Schweigen. In ihrem Gefolge ist Furcht und Grauen. Teilweise mag ihre Macht unterbrochen werden, sie aufzuheben erfordert eine höhere Macht. Diese Macht ist der Sonne anvertraut. Sie kündigt ihr Kommen an durch die Morgenröte, die ihre farbigen Flügel am Himmel ausbreitet, und die Nacht zur Flucht nötigt. Bald nach ihr erscheint sie selbst. Zuerst rötet sie die Gipfel der Berge, deren Fuß noch die Nacht umhüllt, bald vertreibt sie sie auch von dannen, und mit ihr regt sich von allen Seiten Tätigkeit und Leben.
Auch diese Naturbegebenheiten sind treffende Bilder der Begebenheiten im Gnadenreich. Die Nacht ist ein Bild dessen, was außer Christo war, ist und sein wird; ihre teilweise Unterbrechung der alttestamentliche Dienst mit seinen Lampen und Feuern; die Morgenröte und die Spitzenbeleuchtung der Berge die evangelische Strahlen in die Verheißungen und Vorbilder des alten Bundes; der volle Tag das Neue Testament. Schenken wir jedem noch einige Aufmerksamkeit.
Was war und ist außer Christo? Stockfinstere Nacht, lähmend durch Unwissenheit, und Trostlosigkeit, und Sünde, Finsternis bedeckte das Erdreich und Dunkel die Völker. Alles ging in die Irre wie hirtenlose Schafe. Selbst die erste aller Wahrheiten, dass ein Gott sei, war so verdunkelt, dass der große, in seinem Tichten eitel gewordene Haufen Holz, Steine und uns vernünftige Tiere, als Gottheiten verehrte, und die Weisesten hatten weder von dem göttlichen Wesen, noch von seinen Eigenschaften und Vollkommenheiten irgendeinen richtigen Begriff, und waren über diese sowohl als über das Dasein Gottes selbst, um so unentschiedener, je scharfsinniger sie waren. Wie ungewiss waren sie über die Unsterblichkeit der Seele, wie ungewiss über den eigentlichen Weg, wie man Gott dienen und ihm wohlgefällig werden möge. Wie seltsam kamen ihnen die Widerwärtigkeiten dieser Erde vor, und wenn sie auch wohl einmal einen treffenden Gedanken davon hatten, so rieten sie doch zur Selbstentleibung, wenn's zu schwer wurde. Doch, Geliebte! die Nacht der Unwissenheit ist noch immer auf Alle gelagert, die außer Christo sind. In ganz Ägyptenland ist's Nacht, und nur in Gosen helle. Wir verstehen aber unter denen, die außer Christo sind, nicht bloß Heiden, sondern auch alle natürliche Menschen, und die Gescheitesten am allermeisten. Sie alle wissen, wegen der Blindheit ihres Herzens, die in ihnen ist, nichts Rechtes weder von Gott noch göttlichen Dingen. Nichts begreift der natürliche Mensch davon, und die Erleuchtung gleicht einer Auferweckung von den Toten. Darum heißt's: Wache auf, der du schläfst, stehe auf von den Toten, damit Christus dich erleuchte. Bis zu unsrer Wiedergeburt sind wir Finsternis. Nur im Herrn werden wir ein Licht. Damit verknüpft sich die Nacht der Sünde. Wir waren - so beschreibt Paulus seinen und anderer Menschen ehemaligen Zustand vor ihrer Wiedergeburt - , wir waren weiland Unweise, Ungehorsame, Irrige, Dienende den Lüsten und mancherlei Wollüsten, und wandelten in Bosheit und Neid, und hassten uns unter einander. Außer Christo führt sie ihr scheußliches Regiment, gestärkt und unterstützt von ihrem Vater, dem Teufel. In ihr ist der natürliche Mensch tot. Und obschon seine Dienstbarkeit, obschon sein Verkauftsein an die Sünde freiwillig ist, da sie ihren Hauptsitz im Willen hat, so besitzt und beherrscht sie ihn doch zugleich, und tyrannisiert und despotiert ihn in manchen Stücken, so dass sie ihn nicht selten zu Übeltaten gewissermaßen zwingt, die er missbilligt, und er Böses tut, während er sehr wohl einsieht, es zu unterlassen sei besser, und ihn sein Gewissen kräftig warnt, ohne den Sturm der Sünde aufzuhalten. Er bereut die begangene Tat, und wiederholt sie bald wieder, um sie aufs Neue zu bereuen, und aufs Neue zu begehen. Er ist zugleich ein gezwungener und freiwilliger Sklave, bis er am Ende sich ganz in ihre Dienstbarkeit ergibt, und sein Gewissen abbrennt. Freilich nimmt die Sünde bei Vielen eine andere Gestalt an, sie wird zu einem wohlgetünchten Grabe. Jener Heide will Gott wohl sein Dasein, seine Tugenden aber doch keinem andern als sich selbst verdanken; ja, er erhebt sich über seinen Gott, der das von Natur sei, was er selbst durch seinen Fleiß geworden. Dieser fragt: was fehlt mir noch? und jener dünkt sich reich, und nicht wie andere Leute. Es mag sein, dass sie unsträflich sind nach dem Gesetze. Aber dies Unsträflichsein ist mit solchen Umständen und Zusätzen verknüpft, dass Jesus offenbar gegen diese Leute als vorzugsweise unheilbar, eifert, und dem Fass den Boden gar einschlägt, wenn er erklärt: es sei leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, denn dass solche Reichen ins Himmelreich kämen, ja leichter, dass Hurer und Zöllner ins Reich Gottes kämen, denn sie. Hier nimmt also die Schlange eine Gestalt und solche empfehlende Farben an, dass ihr Gift sich sehr verbirgt und schwer zu erkennen ist, obschon es nicht selten da am meisten herrscht, wo es wohl am wenigsten vermutet wird. Gewiss ist's, dass die Sünde außer Christo herrscht, und nichts als seine Kraft ist vermögend, ihre Herrschaft zu brechen, und sie vom Thron zu stoßen. Nur, welche der Sohn frei macht, die sind recht frei. Außer ihm ist alles der Sünde Knecht, und das umso gefährlicher, je mehr er sich frei dünkt. Außer Christo ist die Nacht der Trostlosigkeit, denn er allein ist der Trost Israels und sein Nothelfer. Was soll man doch zu den vielen Widerwärtigkeiten sagen, womit dies Erdenleben so vielfach durchflochten und verwebt ist, und die manche in so reichem Maße hinnehmen müssen? Wie soll man sie ertragen? Kann der Gedanke Trost, kann er nur Kraft verleihen: man müsse sich ihnen hingeben, weil es einmal nicht anders ist, und man es nicht ändern kann? Da ist der Tod, den die Heiden den König des Schreckens nannten, wie die Schrift von solchen redet, welche durch Furcht des Todes ihr Leben lang Sklaven sein mussten. Sollte ihm wirklich sein Stachel genommen werden durch die faden Redensarten, die man fast in jeder Todesanzeige liest, wo vom Wiedersehen die Rede ist, wovor sich doch jener reiche Mann so fürchtete, und das rechtschaffene Leben gepriesen wird, das der Verblichene geführt haben soll? Warum schmeicheln sich denn die Kranken bis in den Tod hinein mit der Hoffnung der Genesung? Wohl mit Recht schrieb ein weltlich berühmter Dichter unter einen Genius des Todes, Zwar der Engel ist schön mit seiner erlöschenden Fackel, aber, ihr Herren! der Tod ist so ästhetisch doch nicht. Es hängt Wichtiges davon ab. Es folgt allzu Bedenkliches darauf. Das sich zu verhehlen, gelingt wenigen, und keinem ganz. In Christo aber ist gar kein Tod, sondern nur Auferstehung und Leben, Es bleibt nichts denn Todesgestalt, singt Luther, und auch die bringt Gläubigen lauter wichtige Vorteile.
Ein besonders finsterer Teil der trostlosen Nacht außer Christo, ist der, da der Mensch, der das Bewusstsein seiner Sünde mit sich herumträgt, nicht weiß, wie er gegen Gott steht, und wie er zu dessen Wohlwollen gelangen soll. Die Welt hat der Offenbarung die Perle gestohlen, dass Gott die Liebe sei, ohne den Beweis derselben gelten lassen zu wollen. Sie macht davon ein seltsames Geräusch, als ob das nun alles, Gott nicht aber auch ein Licht sei, und mehr als eine Eigenschaft habe, ohne wissen zu wollen wo und wie er die Liebe sei, ohne von seinem Zorne hören zu wollen. Aber was ist das anders als ein Irrlicht bei nächtlicher Weile, welches den, der ihm folgt, in Moraste versenkt, und in Abgründe stürzt. Weit natürlicher ist die Frage: womit soll ich den Herrn versöhnen? Micha 6, 6. Eine Frage, welche sogar die Heidenwelt tat, und mit Grunde tat. Sie wussten das Mittel nicht, und darum fährt jener Mann beim Micha fort zu fragen; mit Bücken vor dem hohen Gott? Soll ich mit Brandopfern und jährigen Kälbern ihn versöhnen? Meinst du, der Herr habe Gefallen an viel tausend Widdern, oder am Öl, wenn es gleich unzählige Ströme wären? Soll ich meinen erstgeborenen Sohn geben für meine Übertretung, oder meines Leibes Frucht für die Sünde meiner Seele? Brachten nicht die Heiden ihre Hekatomben, um sich der Gunst der Gottheit zu versichern, und opferten manchmal ihre eigenen Kinder, ihren Zorn zu besänftigen? Und was tun sie noch heutzutage zu dem nämlichen Zweck! Dennoch mussten sie stets die schrecklichen Ausbrüche des göttlichen Zornes befürchten, mochten sie davon auch ganz unrichtige Begriffe haben, denn die Welt erkannte in ihrer Weisheit Gott nicht in seiner Weisheit, und die sich selbst überlassene Vernunft weiß kein zuverlässiges Mittel anzugeben, ein bekümmertes Herz zu trösten, und ein geängstetes Gewissen zu beruhigen, und Salomo fragt mit Recht: einen niedergeschlagenen Geist, wer will den aufrichten? Sie weiß die Quelle des wahren Trostes nicht anzugeben. - Und so wandelt denn das sündige, in sich selbst verlorene Menschengeschlecht, wenn es sich selbst überlassen bleibt, der ewigen Nacht entgegen, einer Nacht entgegen, die es Gottes und alles, auch des geringsten Guten, was es hienieden noch genießt, beraubt, entgegen der ewigen Verdammnis.
Ach ja, wir können uns die Nacht nicht grässlich genug denken, die überall außer Christo herrscht. Nehmt der Erde die Sonne, und ihr habt ein Bild der Menschheit im Ganzen, wie des einzelnen Menschen außer Christo. Doch ward diese Nacht teilweise unterbrochen durch die Lampen und Feuern des alttestamentlichen Tempeldienstes, wiewohl auch der nur den Schatten verglichen, und auch noch Nacht genannt wird. Auch warfen diese dunklen Lampen ihre matten Strahlen nur in einem engen Umkreise schwach beleuchtend umher, während stockdicke Finsternis auf der übrigen Welt lagerte. Unter dem kleinen Judenvolk ward doch die Erkenntnis des wahren Gottes, wenngleich mit Mühe, erhalten. Sie hatten doch ein Wort Gottes unter sich, und also einen festen Standpunkt, der allen andern Völkern fehlte, die Gott ihre eigenen Wege gehen ließ. Unmittelbar von Gott gesandte und erleuchtete Propheten bestätigten und ergänzten von Zeit zu Zeit dies Wort, und die Klarheit nahm von Jahrhundert zu Jahrhundert zu. Sie hatten doch ein von Gott selbst angeordnetes Priestertum und vorgeschriebene Opfer, fuhren also auch in dieser Beziehung nicht aufs Ungewisse. Mochte beides auch, im Grunde betrachtet, nichts Reelles sein, so gab es doch die tröstliche Gewissheit, dass bei Gott Gnade zu finden sei, mochte auch der Weg dazu nicht recht deutlich sein. Und was ist der Menschheit nicht an dieser Gewissheit gelegen! Konnte man sich auch eine lange Zeit hindurch nicht in die Trübsale finden, wenn sie über Fromme verhängt wurden, so musste die merkwürdige Geschichte Hiobs darüber eine wichtige Aufklärung geben, und nach ihm war's besonders David vorbehalten, über den Zweck der Leiden Aufschlüsse zu geben, wenn er in den Demütigungen eine göttliche Treue erkennt. Wie wichtig war's, dass bei ihnen richtige Begriffe von der Sünde erhalten wurden, wie sie der Leute Verderben sei, und sie also angespornt wurden, Vergebung der Sünden und ein neues Herz zu suchen, und so der ewigen Nacht zu entrinnen.
Dazu gesellte sich der Schimmer der Morgenröte und die Beleuchtung der Gipfel der Berge durch die evangelischen Strahlen in den Vorbildern und den herrlichsten Verheißungen, die in Klarheit und Bestimmtheit fortschreiten, bis endlich Johannes seinen Finger ausstreckt, und sagt: Siehe, das, der da, ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt. Von den Vorbildern wollen wir schweigen, denn wir werden schwerlich nachweisen können, dass man vor dem wirklichen, Alles erleuchtenden, Aufgang der Sonne der Gerechtigkeit, vor der wirklichen Erscheinung Jesu Christi im Fleisch, erkannt haben sollte, was es noch für eine Haupt- oder Nebenbewandtnis habe mit Melchisedek, mit dem Manna, mit dem Fels, mit der erhöhten Schlange usw. Es waren Hieroglyphen, deren eigentliche Bedeutung man erst alsdann verstehen lernte, da derjenige, der dadurch gemeint war, selber sagte: Ich bin das rechte Manna, ich muss, wie die Schlange in der Wüste, erhöht werden, auf dass Alle, die an mich glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Gleichwie aber bei der Schöpfung das Licht schon eher da war als die Sonne, mit welcher es vereinigt wurde, so lag auch in diesen Schatten und Bildern doch das Element des Lichts. Deutlicher aber und immer deutlicher offenbarte es sich in den in zunehmender Klarheit fortschreitenden Verheißungen. Rätselhaft, doch tröstend, beginnen sie mit der Ankündigung des den Schlangenkopf zertretenden Weibessamens, und schreiten fort, indem der Stamm und die Familie, woraus, und der Ort, wo er geboren werden sollte, genannt, und oft so im Glauben davon geredet wird, als ob's nicht noch zukünftig, sondern wirklich schon gegenwärtig, ja schon vergangen wäre. Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, ruft Jesaias achthundert Jahre zuvor aus. Er schildert sein genug-tuendes Leiden auf eine Weise, als wäre es schon wirklich vorübergegangen, und als hätte er persönlich unter dem Kreuze gestanden, und zugesehen, wie er am unserer Missetat willen verwundet, und um unserer Sünde willen zerschlagen wurde. David sieht durch das Fernrohr des Glaubens tausend Jahre vorher, wie man ihm Hände und Füße durchgräbt, wie man seine Kleider teilt, und um sein Gewand das Los wirft, und hört ihn rufen: Mein Gott! mein Gott, warum hast du mich verlassen? Zacharias erblickt ihn reitend auf einem Esel, und ruft Zion zu: Fürchte dich nicht, denn siehe: dein König kommt zu dir, sanftmütig und ein Helfer. So beleuchtete die Sonne der Gerechtigkeit schon lange Zeit vor ihrem Aufgange gleichsam die Spitzen der Berge mit den schönsten Strahlen der Verheißungen und Weissagungen, während die übrige Welt noch in tiefe Nacht begraben war.
Alles hat seine Zeit, und alles Vornehmen unter dem Himmel seine Stunde. Die natürliche Sonne geht zur bestimmten Zeit auf, so auch ging die Sonne der Gerechtigkeit auf, da die Zeit erfüllt war. Nichts konnte sie aufhalten. In der Person Jesu Christi, des Sohnes Gottes, erschien der Aufgang aus der Höhe, und die Verheißung unseres Texts in Erfüllung. Stufenweise ging sie auf diese Sonne und ist noch immer am aufgehen, und noch nicht in ihrer vollen Macht durchgebrochen. Ist die Sonne besonders lieblich, wenn sie des Morgens sich zuerst am Ende des Horizonts zeigt, und haben schon manche, um dies entzückende Schauspiel zu genießen, hohe Berge erstiegen, so lässt sich dies auch auf den Sohn Gottes anwenden. Wie freute sich Abraham auf diesen Tag! Allen zugänglich, niemand zurückschreckend, vielmehr zu sich einladend, Zutrauen und furchtlose Liebe erweckend, erschien er als ein kleines Kindlein, doch in solcher Knechtsgestalt, dass seiner Reichsverfassung gemäß Alles, was sich groß und hoch dünkte, sich durch die Armseligkeit seiner Umgebung zurückgewiesen, das Arme und Elende aber angezogen fühlte. Obschon den Hirten als „der Herr“ kund gemacht, nahten sie sich doch ohne Furcht, weil dieser Herr offenbar nur zum Dienen gekommen war. Und ist Christus heute derselbe, der er gestern war, so stellt er sich auch heute noch allen geistlich Armen in dieser zugänglichen Gestalt dar. Doch die Sonne hatte sich kaum gezeigt, kaum war ihr Aufgang den Städten Juda bekannt geworden, so entzog sie sich wieder aller Blicken. Man sah sie nicht, man musste glauben. Selbst seine Mutter hielt sie eine Weile für unvorstellbar, verschwunden und verloren. Ganze dreißig Jahre blieb er in einer geheimnisvollen Verborgenheit in Nazareth, und tat nichts, um sich als die Sonne der Gerechtigkeit darzustellen. Alles, was wir von dieser langen Zeit von ihm vernehmen, ist in den wenigen Worten zusammengefasst: er war seinen Eltern untertan. Nun aber trat er hervor als das wahrhaftige Licht, und kam in sein Eigentum, wiewohl die Seinigen ihn nicht aufnahmen; wie viel ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden. Zum Beweise dessen, was für einer er war, konnte er von sich sagen lassen, dass durch ihn die Blinden sehen, die Lahmen gehen, die Aussätzigen rein werden, die Tauben hören, die Toten aufstehen, und den Armen das Evangelium gepredigt werde. Je heller die Sonne scheint, desto dunkler werden die Schatten. So auch hier. Vieler Gedanken wurden offenbar, die bisher im Hintergrund der Seele versteckt und verborgen gelegen hatten. Die Macht der Finsternis regte sich aus allen Kräften; sie fiel die Sonne unmittelbar selber an. Sie erregte die Menschen wider sie. Manchmal fuhren viele Teufel in einen Menschen, als sollte die Macht Christi daran scheitern, und er so zu Schanden werden. Aber er erwies sich doch immer als der Stärkere, der über den stark Gewappneten kam. - Am herrlichsten erwies sich diese Sonne in den Stunden, wo sie ganz verdunkelt erschien, und die natürliche Sonne ihren Schein verlor, in den ewig denkwürdigen Stunden, wo der Herr sein wundervolles Sünd- und Sühnopfer am Kreuz brachte, und uns Gott versöhnte durch sich selbst, durch sein Blut am Kreuz. Zwar begriff ihn da niemand mehr. Keiner sah es ein, dass das Erschreckliche; was jetzt geschah, da er starb, zur Förderung des Reiches Gottes notwendig war, sondern erblickte darin seinen Untergang, da doch Gott in Christo war, die Welt mit sich selbst versöhnte, und ihnen ihre Sünde nicht zurechnete. Aber diese Sonne ging nur unter, um zu seiner Zeit wieder desto herrlicher wieder aufzugehen. Er verließ zwar die Erde, und ging in das Allerheiligste des Himmels, für uns zu erscheinen vor dem Angesichte Gottes, aber er sandte den Tröster, den heiligen Geist. Nun erst wurden die Apostel recht in die Geheimnisse des Reiches Gottes einweiht. Jetzt lag es in vollem Licht vor ihnen, jetzt rief man: die Nacht ist vergangen, und der Tag scheint jetzt. Jetzt ist die angenehme Zeit, der Tag des Heils. Jetzt forderten sie alles auf, die Gnade Gottes nicht vergeblich zu empfangen, und sich versöhnen zu lassen mit Gott. Der Erfolg dieser Predigt war groß. Viele Tausende in Jerusalem sogar wurden gläubig. In der Heidenwelt selbst bildeten sich überall Gemeinen, in dem reichen, üppigen, fein gebildeten, kaufmännischen Korinth, wie unter den rohen Galatern, in dem gelehrten und aufgeblasenen Athen und dem prächtigen Ephesus, in der gewaltigen damaligen Hauptstadt der ganzen Welt, dem vergötterten Rom, selbst unter den Augen eines dagegen wütenden Neros, und in den Hauptstädten der einzelnen Provinzen: Philippe, Kolossä und anderen. Die Finsternis floh, wo diese Sonne hin schien, und musste ihr dennoch weichen, wie sehr sie sich dagegen setzte, ja der Widerstand selber machte dem Lichte Bahn. Denn er leitete die Aufmerksamkeit auf dasselbe, und gewann so die Herzen für sich, die man davon abzuhalten bemüht war.
Diese Sonne hört nicht auf, aufzugehen, und verklärt sich bald hier, bald dort, wirft ihre Heilsstrahlen da auf ganze Völkerschaften, dort in einzelne Herzen, um sie zu gewinnen, dann sie zu fördern, zu erquicken, zu beleben. Wir sehen ganze Völkerschaften in diesen unsern Tagen ihren Götzen und Lastern entsagen, den wahren Gott und seinen Sohn Jesum Christum erkennen und anbeten, an ihn glauben und gottselig leben, und so eine Wiedergeburt erfahren, die sich auch nach außen als ein großes Wunder darstellt, und eine innere Echtheit hoffen lässt.
Auch fehlt's noch immer nicht an lebendigen Beweisen unter uns und anderswo, wie heilend die Gerechtigkeits-Sonne einzelne Herzen bestrahlt. Was offenbar macht, ist Licht, sagt der Apostel, und so beginnt diese Sonne bei den einzelnen Seelen damit ihr heilsames Werk, dass sie ihnen die Nacht ihres bisherigen Zustandes, die Nacht ihrer Blindheit, ihrer Sünde, ihres geistlichen Todes aufdeckt. Sie erwacht - und was sie entdeckt, ist Elend und Jammer an allen Ecken. Erfreulich ist dieses offenbar machende Licht keineswegs, aber es ist nötig, es ist heilsam. Es erfüllt die Seele mit schmerzhaften Empfindungen, wie wenn der Tag in kranke Augen scheint. Sie wird bekümmert, sie wird traurig, auch wohl gar beängstigt und erschrocken, wie jener Kerkermeister, wie Paulus. Sie wird heils- und hilfsbedürftig, und sehnt sich nach den genesenden Flügeln der Sonne der Gerechtigkeit. Dies ist gewöhnlich des Heils Anfang. Manchmal dauert diese eine ziemliche Zeit hindurch, oft dauert es aber auch gar nicht lange, so senken sich die allerliebsten und belebendsten Strahlen der Gnadensonne in das zerknirschte Herz. Sie schmeckt und sieht, and dass der Herr freundlich, dass er ein Heiland aller derer ist, die sich zu ihm wenden. Sie wird wohl, wie der Apostel sagt, reichlich getröstet und ist überschwänglich in Freuden, voll Lobens und Dankens, voll Glaubens und Mutes, voll Liebe und gänzlicher Verleugnung aller Dinge und Übergebung an den, der sie geliebt und sich selbst für sie dahingegeben hat. Auf diese gesegnete Weise ist diese Sonne in unsern Tagen vielen aller Orte aufgegangen. Viele Gelehrten erkennen ihre bisherige Weisheit als Torheit, huldigen der Torheit des Kreuzes und halten sich nicht dafür, dass sie außer Jesum Christum, den Gekreuzigten, etwas Wissenswertes wüssten. Man darf rühmen, dass fast keine Hochschule in Deutschland sei, an welcher nicht Einer oder auch mehrere Lehrer von den Strahlen der Gerechtigkeits-Sonne erleuchtet sind, so wie sie auch in vielen Studierenden ein helles Licht angezündet hat. Zwar verdichtet sich auch auf der entgegengesetzten Seite die Finsternis ungemein und tritt dem aufgehenden Lichte schroff und entschieden entgegen. Alles scheint sich zu einer Schlacht zu rüsten, alles zur Entscheidung heranzureifen. Aber der große Grimm des Teufels ist ein Beweis, dass er wenig Zeit mehr hat. Das Licht soll auch noch in einem weiteren Umfange und in größerer Kraft und Herrlichkeit über die Finsternis triumphieren, und die Erde voll werden von Erkenntnis des Herrn, und dazu soll der Gegensatz der Finsternis mitwirken und beitragen.
Ist aber jemand, der den Herrn fürchtet, und der Stimme seines Knechts gehorcht, und in Finsternis wandelt und scheint ihm nicht, der hoffe auf den Namen des Herrn; denn das Licht muss dem Gerechten immer wieder aufgehen und Freude den frommen Herzen. Es wird umso erquicklicher sein, je finsterer und ängstlicher die Nacht war, die vorherging. Auf den Abend folgt der Morgen, und die Freude nach den Sorgen,
Wohl euch, die ihr des Herrn Namen fürchtet, denn euch soll aufgehen die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter ihren Flügeln, und nachdem sie euch oft unter oft aufgegangen, wird endlich anbrechen der volle Tag, der kein Ende nehmen mag.
Sucht das Licht, dieweil ihr's habt, damit ihr's habt, da mit ihr des Lichtes Kinder werdet. Christus ist das Licht der Welt. Wer ihm nachfolgt, wird nicht wandeln in Finsternis, sondern das Volk, so im Finstern wandelt, sieht ein gros Licht. Amen.