Krummacher, Gottfried Daniel - Die Sonne der Gerechtigkeit - 4. Predigt über Maleachi Kap. 4, V. 2.
Lieber Vater, so redeten Naemans Diener ihren mit dem Aussatz geplagten Herrn an, nach 2. Buch der Kön. Kap 5, 13. der voll Unwillen von dem Propheten Elisa weggerannt war, weil dieser ihm befohlen hatte, sich siebenmal im Jordan zu baden, so würde er geheilt werden, lieber Vater, wenn dir der Prophet was Großes befohlen hätte, solltest du es nicht tun? Wie viel mehr, so er sagt: wasche dich, so wirst du rein. Es war klug und brav, dass diese Leute des stolzen Eigensinns ihres mürrischen Herrn schonten und bloß des Waschens gedachten, nicht aber der siebenmal und des Jordans. Das wurde sich schon von selbst finden, wenn er erst zum Waschen willig war. Seid klug wie die Schlangen, doch ohne Falsch wie die Tauben. Sie hatten recht und ihre Anmerkung mag auch aufs Christentum angewendet werden. Sein Ziel ist Heiligung und Seligkeit. Jene indischen Braminen suchen auch dies Ziel. Aber auf welchem mühevollen Wege! Sie tun sich unleidliche Martern an, auf deren nähere Auseinandersetzung ich mich nicht einlassen will. Aber wenn dies wirklich zum Ziel führte, sollten wir den Weg nicht einschlagen, wie mühevoll er auch ist, da das Ziel so herrlich ist. In der römischen Kirche hat sich freilich vieles geändert. Aber wer ehemals seiner Seligkeit gewiss sein wollte, der ging, wie auch Luther in der Angst seines Herzens tat, in ein Kloster, aß sich nie satt und fastete oft, schlief wenig und nur auf harter Erde, redete selten und betete viel, entsagte allen Bequemlichkeiten und misshandelte seinen Leib, dass er oft ganz herunter kam, gab allen eigenen Willen auf, um andern unbedingt zu gehorchen u. dergl. Mühsamer Weg! Aber wäre er derjenige, welcher zum Ziel führte, sollten wir ihn nicht einschlagen? Brächte es uns ein Tag doch wieder ein! Wenn uns was Großes befohlen wäre, sollten wir's nicht tun? Nun aber sind uns weder die hinduistischen noch die römischen Bußübungen befohlen. Sie führen auch nicht zum Ziel, sondern eher davon ab und sind meistens ein Beförderungsmittel der eigenen Gerechtigkeit und des Selbstvertrauens. Einer ist der Weg, und der ist Christus. Sein Joch ist sanft, seine Last leicht. Freilich muss man sich selbst verleugnen, sein Kreuz auf sich nehmen und ihm nachfolgen, kreuzigen sein Fleisch, samt den Lüsten und Begierden, töten die Glieder, die auf Erden sind, ringen, kämpfen, siegen. Aber er selbst ist zu diesem allen der Weg. Wir mögen ihn nur als Schwache betreten, er wird uns schon stark machen, als Arme, er wird uns schon bereichern. Dürfen nur hungern und durften, und sollen schon satt werden.
Doch Naeman bequemt sich schon, und kein Wunder, denn welche Krankheit drückt ihn? Wer nun krank ist wie er, der wird sich auch gern unter die Flügel der Gnadensonne stellen, wovon wir heute zu reden gedenken.
Text: Maleachi 4, 2.
Lasst uns diese Worte nochmals vor die Hand nehmen. Einmal verweilten wir bei dem Bilde von der Sonne, dann hoben wir den Zusatz der Gerechtigkeit hervor, nun ist noch ein dritter und vierter Umstand zu beachten. Der erste ist das Heil unter desselbigen Flügeln, der zweite das Aufgehen.
Heil unter desselbigen Flügeln heißt es, eigentlich Heilung, Genesung. Heilung und Genesung erinnern natürlich an Krankheit und Übelbefinden. Denn wie Gesunde des Arztes nicht, so bedürfen sie auch nicht der Genesung. Lasst uns dann zuvörderst das Nötige von der Krankheit und dem Übelbefinden der Menschen bemerken. Wir reden hier nicht so sehr von den physischen, körperlichen, sondern vielmehr von den moralischen, geistigen Krankheiten, obschon wir jene nicht ausschließen. Die körperlichen Krankheiten sind Übel, sind sehr große Übel. Sie sind nicht die Einrichtung eines weisen und gütigen Schöpfers, mit dessen Weisheit und Güte wir das, zum Teil erschreckliche, Heer von Krankheiten und oft unleidliche Schmerzen nicht zu reimen wissen, was einen großen Teil der Menschen drückt oder bedroht. Welch' ein Jammer ist nicht manchmal der Anblick leidender Menschen, was muss das Gefühl selber sein. Was sind das für kummervolle Tage, was für bange Nächte! Der erquickende Schlaf besucht nur die Gesunden, die seiner noch wohl entbehren können, und flieht die müden Wimper der Leidenden, oder wenn er sie zudrückt, ängstigt er zugleich durch schreckende Traumgestalten, und wird nur eine Plage. Das bequemste Lager wird unbequem und der arme Kranke findet oft nur für ein paar Augenblicke eine angemessene Lage, die ihm bald wieder unleidlich wird. Oft quält ihn ein verzehrender Durst, und er weiß nicht was er trinken soll. Jetzt rüttelt ihn ein nicht zu erwärmender Frost, dann brennt ihn eine nicht zu fühlende Hitze. Oft muss er, aller seiner Schwachheit ungeachtet, noch die sauerste Arbeit dabei verrichten, indem er mit heftiger Anstrengung husten oder gar nach Luft schnappen muss. Kurz, wessen Beruf es mit sich bringt, an den Lagern der Kranken zu verweilen, der wird oft von dem tiefsten Mitleiden ergriffen, zumal da er nicht helfen, nicht mildern kann. Und das sollte von vorne herein, die Einrichtung des mächtigen, weisesten und gütigen Schöpfers sein? Das sei ferne. Ach nein. Dies ist nicht sein Werk. Es ist das Werk der Sünde. Sie, sie hat dies angerichtet. Sie ist die gräuliche Mutter dieses Jammers. Das Werk des weisen und gütigen Schöpfers aber ist es, dass er einen Weg gebahnt hat, auf welchem alle, die ihn einschlagen, von allen Krankheiten und Schmerzen vollkommen erlöst werden und von den Übeln, die sie treffen, lauter wichtige Vorteile und Segen haben.
Doch diese leibliche Krankheiten sind es so sehr oder doch so ausschließlich nicht, von welchen wir hier handeln. Die Genesung unter den Flügeln der Sonne der Gerechtigkeit bezieht sich nicht weniger und hauptsächlich auf dasjenige, was wir geistliche Krankheit nennen und was oft mit den Namen der leiblichen angedeutet wird, als Blindheit, Lähmung, Aussatz. Dass nun das menschliche Geschlecht als todkrank danieder liege, ist bei einigen ebenso unnötig zu beweisen, als es bei andern schwer, wo nicht gar unmöglich ist. Unnötig ist der Beweis bei denen, die es selbst bei sich spüren und gewahr werden; diese werden es leicht einräumen, dass sie elend und jämmerlich sind. Die andern gleichen solchen, deren Krankheiten so heftig sind, dass sie sogar ihr Selbstbewusstsein und das Vermögen zu unterscheiden verloren haben, oder deren Krankheiten schleichender Art sind und ein Gefühl von Wohlbefinden übrig lassen, obschon sie tödlich sind und gewaltig täuschen. Es ist aber nicht gleichgültig, sondern von großer Wichtigkeit, wie wir hierüber denken, und deswegen höchst nötig, uns die richtige Ansichten davon zu verschaffen. Sind wir geistlich gesund, so muss uns angenehm sein in der Überzeugung davon, befestigt zu werden und die Gewissheit zu erlangen, dass, einzelner krankhafter Empfindungen ungeachtet, doch unser Zustand keine Besorgnisse errege, sondern im Ganzen gut sei. Sind wir geistlich krank, so ist es ja sehr nützlich einzusehen, worin dies denn eigentlich bestehe, und Nachfrage zu halten, ob und wo Arznei dagegen anzutreffen sei. Sehr bedenklich aber wäre es, wenn jemand eben darum diese Arznei versäumte, weil er sich für gesund halte, da er doch krank ist, erschrecklich aber, wenn keine Salbe in Gilead und kein Arzt nicht da wäre.
Es ist sonderbar; weil die Heiden diese Salbe und diesen Arzt nicht kannten, so sahen sie ihre geistliche Krankheit, deren Dasein sie nicht leugnen konnten, und deren Gefühl sich ihnen oft aufdrang, nicht gern unter die Augen, sondern wichen ihr aus, weil sie nicht damit zu bleiben wussten, und viele sogenannte Christen machen es ebenso, aus Furcht, sie möchten zugeben müssen, dass außer Christo kein Heil sei, dessen sie sich weigern, und leugnen deshalb das Kranksein des menschlichen Geschlechts ganz ab, oder schildern es als unbedeutend. Denn das tun sie. Ihre Lehre ist von der Art, dass sie nur ja nicht auf Christum hinauslaufe oder zu ihm leite. Dies gibt der Apostel als das unterscheidende Merkmal aller Menschenweisheit an. Wenn ihr nur mit einiger Aufmerksamkeit auf die Lehrart achtet, wie sie im Ganzen gang und gäbe ist, so werdet ihr finden, dass von diesem wichtigen Punkte des menschlichen Verderbens entweder gänzlich geschwiegen, oder das gerade Gegenteil gelehrt und behauptet wird: der Mensch sei edel, vortrefflich und gut. Es komme nur auf ihn an, sich heraus zu bilden, und sich zu hüten, dass er nicht schlecht werde. Dass bei solcher Lehre nichts Rechtes von Christo vorkommen könne, spricht von selbst, mag seiner etwa auch aus einer Art von Höflichkeit zuweilen noch so von der Seite erwähnt werden.
Was soll hier aber entscheiden? Soll's die Geschichte tun? so stellt sie neben einer Menge von Übeltaten doch auch viele edle Handlungen auf, und es ist nicht unwahr, dass diese ihrer Natur nach weniger Geräusch machen und Aufsehen erregen wie jene, also auch weniger bemerkt werden. Soll die eigene Erfahrung den Ausschlag geben? Aber so wie man denen, welche sich als gute Menschen darstellen und sagen: wir sind uns nichts Böses bewusst, erwidern kann: ihr seid blind und kennt euch selbst nicht, sonst würdet ihr anders von euch reden, - so könnte man andern, die bekennen: sie fühlen sich durch und durch verdorben, bemerken: das könne wohl sein. Sie möchten bisher wohl zu wenig Fleiß auf die Ausübung der Tugend verwandt. und sich dem Laster und allerlei bösen Gewohnheiten ergeben haben, was sich nun an ihnen räche. Aber wenn sie nun von sich auf Andere schließen wollten, so sei das eine große Ungerechtigkeit. Wir halten die Mohren, und sie uns für hässlich, weil unsere Begriffe von Schönheit nicht die nämlichen sind. Das Wort Gottes muss hier also entscheiden. Aber auch hier suchen und finden die Menschen so viel Künste, und wissen dasselbe so zu verrenken, haben auch so wenig Ehrfurcht und Glauben an dasselbe, dass auch das Wort Gottes, wenn nicht ein höheres Licht und eine göttliche Kraft sich ihm beigesellt, an dem Fels ihres ungläubigen Herzens abprallen, oder sie gar noch mehr verstocken würde, dass sie erklärten: wir wollen das von nicht wissen. Und freilich würde es auch sehr widrige und unangenehme Folgen für sie haben, wenn sie das einräumten, was die Schrift lehrt: es sei kein Unterschied, alle seien abgewichen und allesamt untüchtig geworden. Da sei nicht, der gerecht sei, und wie die betrübten Sprüche weiter lauten. Denn alsdann sähen sie sich genötigt, die selbstgefällige Vorstellungen zu verabschieden, die sie sich bis jetzt von ihrem Herzen und von ihrer Tugend gemacht haben, sähen sich genötigt einzuräumen: sie hätten sich bis jetzt ganz unrichtige, mit dem Evangelio unverträgliche, dasselbe umkehrende Vorstellungen gemacht, sich genötigt, die glänzende Reihe der Weisen, Klugen und Aufgeklärten zu verlassen, und sich auf die niedrige, verspottete und verrufene Bank der armen Sünder, der Bekümmerten und Ratlosen zu setzen, und, wer weiß wen, zu fragen:
Wie fang' ich es wohl an,
Dass ich die Sünde von mir tu'
Und selig werden kann.
Ja, sie sahen sich genötigt, sogar Jesus Christus das gelten zu lassen, was er nach dem Worte Gottes gilt, für denjenigen, außer welchem kein Heil ist. Aber wer anders als der Heilige Geist kann dem stolzen, eigenliebigen, selbstsüchtigen, und vor Christo flüchtigen Menschen eine solche Katastrophe zumuten, dass er sich ihr ergibt? Was für Umkehrungen und Zermalmungen sind dazu erforderlich. Aber auch wie leicht und wie schnell wird es oft zu Stande gebracht!
Ihr geistlich Kranke seid es denn, zu denen wir reden. Euch brauchen wir nicht umständlich zu beweisen, dass ihr krank seid und des Arztes bedürft. sondern eher habt ihr nötig, dass man euch ermuntert: euch die Hitze, die euch begegnet, nicht befremden zu lassen, als widerführe euch was Seltsames, euch zu dem Glauben zu erwecken: eure Krankheit sei nicht zum Tode, sondern dass der Sohn Gottes dadurch geehrt werde. Es ist keine lange Auseinandersetzung bei euch notwendig, euch die Symptome natürlicher Krankheiten, in euren geistlichen Wahrnehmungen bemerklich zu machen. Kommt's euch wohl unglaublich vor, dass euer Herz wirklich so elend beschaffen sei, wie Christus es in jener bekannten Stelle schildert, oder wird euch die Wahrheit seiner Beschreibung immer mehr offenbar? Wie schwach sind die Kranken, stets an den nämlichen Fleck gebannt, oft zu der geringsten Bewegung unfähig, und gar in Ohnmacht hinsinkend, vieler Handreichung und Hilfe, bedürftig. Fändet ihr solche Zustände nicht auch manchmal in eurem geistlichen Bestehen, worauf ihr mit Recht achtsamer seid, als Viele auf ihr körperliches Befinden? Liegt auch nicht ihr manchmal in Ohnmacht danieder, unvermögend die Lage, worin ihr euch befindet, weder ertragen noch ändern zu können. Geht's euch nicht wohl, wie geschrieben steht: sie suchen Wasser, und finden keins. Ihre Seele verschmachtet vor Durst, freilich nach Gerechtigkeit. Können nicht auch geistlicher Weise die Gebeine zerbrochen werden, und eitern, wie David redet? Ja wohl sind wir krank! Krank wegen der Sünde, die als ein zerstörendes, tödliches Gift uns durchdrungen hat, aber notwendig weggeschafft werden muss, wofern sie uns nicht den ewigen Tod bringen soll; krank wegen der Blindheit unseres Herzens, die dem natürlichen Menschen das Vermögen nimmt, geistliche Dinge erkennen zu können; krank wegen der Widerspenstigkeit des Willens, der dem Gesetz weder untertan ist, noch es zu sein vermag; wegen des Unglaubens, der unser Herz vor Gott und seiner Gnade verschließt; wegen unzähliger verkehrten Neigungen und Begierden, die den Menschen zu einem ungestümen Meer machen, das nicht stille sein kann, und dessen Wellen Kot und Unflat auswerfen; so krank, dass es heißt: dein Schmerz ist verzweifelt böse, und dein Schade unheilbar; so krank, dass wir uns selbst durchaus nicht zu heilen im Stande sind, sondern nur noch immer kränker werden.
So steht's der Wahrheit nach um uns, und so lange das nicht eingesehen wird, ist an keine Genesung zu denken, nicht weil es an einem Arzt oder Heilmitteln, sondern weil es an Bereitwilligkeit fehlt, von denselben Gebrauch zu machen; nicht weil man zu krank ist, sondern weil man sich nicht krank dünkt, und sich für gesund hält, und auf gut pharisäisch fragt: sind wir denn auch blind, auch krank? worauf es zur Antwort heißt: weil ihr sprecht: wir sehen, so bleibt eure Sünde. Aber wie steht's denn mit solchen, die da sagen und bekennen: Es ist nichts Gesundes an mir. Das ganze Haupt ist matt, der ganze Leib ist krank. Müssen wir diese trostlos wegschicken? Müssen wir ihnen sagen: Da siehe du zu? Du solltest nicht gesündigt haben. Können wir ihnen bloß sagen: du musst eben gesund sein, du musst reines Herzens sein, willst du anders Gott schauen. Oder haben wir ihnen noch was anders und tröstliches bekannt zu machen?
Ach! gewiss. Das ist es eben, worauf unser Text verweiset, wenn er der Sonne der Gerechtigkeit Genesung unter ihren Flügeln zuschreibt, und wir haben unserer Krankheit nur er wähnt, weil die Genesung daran mahnt, und sie voraussetzt.
Es hat aberwitzige Leute gegeben, die sich unterstanden haben, die bildliche Redensart, da der Sonne Flügel zugeschrieben werden, als ungeeignet zu tadeln, da man sonst von ihren Strahlen rede. Diese verfeinerten Schöngeister werden sich noch wohl mehr daran stoßen, wenn es am Schluss unseres Texts heißt: ihr werdet zunehmen wie die Mastkälber. Diese werden denn gute Weile haben, sich mit Nebendingen aufzuhalten, während ihnen ihr wahres Seelenheil gleichgültig ist, und wenn ihre Mücken in so schwachem Gewebe hängen bleiben, so können wir sie nur bemitleiden, können ihnen auch nur raten: ihre eklige Schöngeisterei bei so ernsten und wichtigen Angelegenheiten zu verabschieden. Denn die Schrift will nur gedemütigten Sündern gefallen, indem sie sie rettet, und wenn sie jemand missfällt, so hat er selbst den Schaden davon. Die Schrift wird sich um seinetwillen nicht ändern, ein Jeder aber wird wohltun, wenn er sich um ihretwillen ändert. Was nun das Wort „Flügel“ betrifft, so bedeutet es auch Saum, Zipfel, Schoß, und jenes Weib meinte, wenn sie nur den Saum des Kleides Jesu anrührte, so würde sie gesund werden, und Ezechiel 10 heißt es: Da ich dich in deinem Blute liegen sah, breitete ich den Zipfel meines Kleides über dir aus, und gelobte dir's, und machte einen Bund mit dir, dass du solltest mein sein. Das Nämliche wird ja wohl ein jeder begehren. Der 139. Psalm redet auch von Flügeln der Morgenröte. Sind sie nicht ein Bild der Schnelligkeit? Sobald die Morgenröte hervorbricht, sobald die Sonne aufgeht, leuchtet sie über der ganzen Erde, von einem Ende bis zum andern. Sie sind ein Bild des Schuhes. Deswegen vergleicht Moses das Verhalten des Herrn gegen sein Volk demjenigen eines Adlers gegen seine Jungen, die er ausführt, seine Fittiche ausbreitet, und über ihnen schwebet, und sie auf seine Flügel nimmt, und sie trägt. Flügel sind ein Bild der Fürsorge und Pflege. Deshalb vergleicht Christus sich einer Glucke, und sagt, wie sie ihre Küchlein unter ihre Flügel, also habe er die Einwohner Jerusalems zu sich versammeln wollen, da sie aber nicht gewollt, so hätten sie eben dadurch das größte Unglück über sich gebracht. Und ist die Sonne nicht wohl einer Glucke zu vergleichen? Was brütet sie nicht alles aus!
Unter oder in diesen Flügeln der Gerechtigkeits-Sonne ist Heilung oder Genesung. Welche erwünschte Beschaffenheit! Welche angenehme Nachricht für Kranke! Was gäbe nicht im Natürlichen mancher Kranke drum, wenn ihm ein Ort, ein Mittel angewiesen würde, wo er zuverlässig seine Genesung erlangen könnte. Verwandte doch jenes blutflüssige Weib ihr ganzes Vermögen an die Ärzte, obschon es nur immer schlimmer mit ihr wurde, und ließ sich die Leiden gefallen, welche ihr die Heilversuche verursachten. Wie über alle Maßen willkommen soll und wird uns geistlich Kranken denn nicht diese Gerechtigkeits-Sonne mit ihren Heilstrahlen sein, wodurch wir nicht bloß von leiblichen, sondern auch von den geistlichen Krankheiten geheilt, nicht bloß für eine Zeit lang, sondern für immer, nicht bloß für die Zeit, sondern für ewig, nicht auf eine ungewisse, sondern ganz zuverlässige Weise geheilt werden können. Und was sollten wir von demjenigen denken, der dagegen gleichgültig bleibt? Der bewiese mit der Tat, dass er nicht krank, sondern tot in Sünden ist. Denk hier ist Heilung gegen alle Krankheiten, mögen sie Namen haben wie sie wollen, gegen alle Krankheiten, mögen sie auch noch so tiefgewurzelt und hoch gestiegen sein, gegen alle, mögen sie auch durch kein sonstiges Mittel geheilt werden können. Müssen wir denn auch in natürlicher Beziehung, uns in die bittere Notwendigkeit schicken, dass vieler Krankheiten Ende nichts anders ist als der Tod, und dass alle Kunst an ihnen scheitert, so sind wir durch die Barmherzigkeit Gottes in Christo Jesu, im Geistlichen dieser Notwendigkeit nicht unterworfen, sondern dürfen getrost reihelangs gehen, und jeden fragen: willst du gesund werden? Mag ein großer, mag, wie es nur allzu deutlich am Tage liegt, der größte Teil es ablehnen, und von sich weisen, und so des großen ihnen dargebotenen Segens beraubt bleiben, weil sie ihn nicht mögen, so beweist dies Verhalten nur die Bosheit ihrer Herzen, nicht die Unzulänglichkeit der Arznei. Diejenigen, welche sie annehmen, werden inne werden, dass alle gesund werden, welche seinen Saum anrühren. Es ist eine ebenso gewisse als allen Heilsbegierigen erwünschte göttliche Wahrheit: wir können so wir anders aufrichtig wollen aller geistlichen Übel enthoben werden, der Unwissenheit und Blindheit, des Unglaubens und Aberglaubens, der Unliebe und Ungehorsams, der Ohnmacht und Unwilligkeit, des Geizes, Neides, des Stolzes und wie die bösen Lüste des Fleisches sonst heißen mögen, enthoben werden, der Furcht, der Unruhe, der Angst vor Tod, Gericht und Ewigkeit. Aller dieser und ihnen verwandten wahrhaften Übel können wir durch die genesenden Strahlen der Gerechtigkeitssonne enthoben werden. Durch sie können wir erleuchtet und sehend werden, gläubig und voll Liebe, folgsam und untertänig, willig und stark, voll Sanftmut und Demut, und aller guten Früchte des Geistes, voll göttlichen Friedens, voll Ruhe und Freudigkeit zu Gott durch Christum auf den Tag des Gerichts, wie auf den des Todes. Als eine Zugabe soll auch der Leib seinen herrlichen Anteil daran haben. Dieser Leib der Demütigung und der Sünde soll dem verklärten Leibe Jesu Christi gleichförmig werden nach der Kraft, womit er auch kann sich alle Dinge ihm untertänig machen. Enthoben können wir werden aller Schmerzen, die ihn durchwühlen, aller Beschwerden, die ihn drücken, aller Krankheiten, die ihn quälen, einer ewig jugendlichen Kraftfülle teilhaftig. So steht's um uns wegen der Genesung, die in den Flügeln der Sonne der Gerechtigkeit sich befindet.
Ihr könnt dieser Genesung nach Leib und Seele teilhaftig werden, jedoch nicht anders, als wenn ihr euch in diese belebenden Strahlen stellt, es fühlt, wie krank ihr seid, und wie unaussprechlich sehr ihr der Heilung bedürft, und euch von ganzem Herzen danach sehnt, mehr als nach etwas sonstigem, und aus allen Kräften danach strebt. Dann könnt ihr nicht nur, sondern werdet sie erlangen. Und was bleibt euch dann zu wünschen übrig? Meinet indessen nicht, als ob euch die völlige Genesung so auf einmal in den Schoß fallen werde, wisst vielmehr, dass das nicht ohne Kampf und Streit, nicht ohne Angst und Not zugehe, und ihr müsst recht ernstlich und anhaltend mit dem Herrn ringen, bis ihr ihn überwindet. Lasst es euch nicht befremden, wenn es euch anfangs vorkommt: ihr würdet eher kränker als gesund, eher ohnmächtiger als stärker, eher ungläubiger als gläubig. Auch im Natürlichen sind oft Zufälle, die der Unkundige für Verschlimmerungen hält, Zeichen der Besserung, welcher überhaupt mehrenteils eine sogenannte Krisis vorhergeht. So auch hier. Ermannt euch zu desto unverrückterem Mut und Anklammern an den Herrn, je mächtiger sich euch ein schmerzhaftes Gefühl eurer Krankheit aufdringt und niederdrückt. Habt desto mehr Mut zum Herrn, je weniger ihr Mut zu euch selbst haben könnt, und erwartet umso mehr von ihm, je weniger ihr von euch selbst hoffen dürft. Lasst es euch nicht befremden, wenn es sich von Zeit zu Zeit anders kommt, als ihr vermutet habt, und bedenkt, dass ihr's mit einem zu tun habt, der zuerst wunderbar, dann aber auch Rat, Kraft, Held, ewig Vater, Friedefürst heißt, und dass, wie Salomo sagt, das Ende eines Weges besser ist wie sein Anfang. Schicket euch im Ganzen zu ausharrender Geduld und Langmut, denn die ist euch Not, auf dass ihr den Willen Gottes tut und die Verheißung empfangt. Eilt so, dass ihr zugleich wartet und wartet, indem ihr zugleich eilt. Vor allen Dingen aber ergreift den Schild des Glaubens. Glaubt an Gott und glaubt an mich. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht, sagt der Herr. Durch den Glauben sind alle die großen Taten geschehen, deren der Apostel Hebr. 11 gedenkt. Werdet deshalb vor allen Dingen stark im Glauben. Werdet ihr darin erst recht erstarkt, befestigt und geübt sein, so werdet ihr tüchtig sein, gewisse Schritte zu tun mit euren Füßen, und zugleich darreichen können die Tugend. Sucht euer Heil ganz, sucht es allein bei Christo. Sucht es bei ihm mit großer Inbrunst, aber auch mit kindlichem Vertrauen, und dieses kindliche Vertrauen wieder ebenso sehr als alles andere. Ja, bleibt stets in ihm, und er in euch, so werdet ihr viel Frucht bringen.
Seht, wenn ihr diesen Weg haltet, und sonst weder rechts noch links euch wendet, so werdet ihr heil werden, mag auch euer Schmerz verzweifelt böse, und eure Wunden unheilbar sein. Werdet ihr euch aber nicht daran kehren, so müsset ihr in euren Sünden sterben. Warum aber wollt ihr sterben, ihr vom Hause Israel? Wendet euch aber zu mir, so werdet ihr selig aller Welt Ende, denn ich bin Gott und keiner mehr. Amen.