Krummacher, Friedrich Wilhelm - Neuer Ausgang.

Krummacher, Friedrich Wilhelm - Neuer Ausgang.

Psalm 119, 45.
Ich wandle fröhlich: denn ich suche Deine Befehle.

So grüße euch denn Gott, geliebte Brüder, an diesem ersten Morgen eines neu begonnenen Jahres! Der Segen des Herrn komme über euch! Sein Friede regiere in eueren Hütten, in eueren Herzen! Wohl in verschiedenartigen Stimmungen lichten wir heute zu der neuen Jahresfahrt die Anker: traurig und gesenkten Hauptes die Einen, denn ihr Weg ist einsamer worden, ihre Bürde schwerer, ihre Aussicht trüber; wohlgemuth und hoffnungsvoll die Anderen: denn günstige Winde, so denken sie, schwellen ihre Segel. Unter den letzteren ist der Pilger Gottes. Seine Stimme war's, die eben aus dem Psalm heraus zu uns herüber tönte. Wisset jedoch, daß er auch dann unter den fröhlichen sich befindet, wenn er das Loos der ersteren theilen muß, und der Himmel seines Erdenlebens bewölkt ist. Unter allen Umständen, - und dies unterscheidet ihn wesentlich von einem großen Troß seiner Mitvergnügten, - bleibt er seinem Wallfahrtspruche treu: „Ich wandle fröhlich!“ Wie geht das zu? Laßt uns sehen, und in den Gedanken und Anschauungen eines gläubigen Gottespilgers zu Anfang eines neuen Jahres uns zu orientiren suchen. Wir werden den Pilger zuerst für einige Augenblicke Halt machen, und über Mancherlei sich höchlich verwundern sehen. Sodann ergreift er seinen Stab auf's Neue, und wir erfahren, was ihn seine Straße so fröhlich ziehen läßt.

Möchten in dem Bilde, das ich zu zeichnen gedenke, recht Viele unter euch sich selber wieder finden; diejenigen aber, vor welche es noch als ein fremdes hintritt, nicht ruhen, bis es auch in ihnen seine volle Verwirklichung gefunden!

l.

Der Pilger Gottes hemmt heute, wie auf einer Höhe angelangt, für einige Augenblicke seine Schritte, und schaut rückwärts, vorwärts, und um sich her Da tritt denn Mancherlei in seinen Gesichtskreis, was ihn in nicht geringe Verwunderung versetzt. Es gehören dahin in erster Reihe diejenigen seiner Wandergenossen nach der Ewigkeit, die es fertig zu bringen wissen, in heiterster Laune, ja zechend, tanzend und jubilirend aus dem alten Jahr in's neue hinüber zu schreiten. Das kann er trotz seiner Loosung: „Ich wandle fröhlich“ nicht. Er hört in der Sylvesternacht ein: „Thue Rechnung von deinem Haushalt“ an sich ergehen, und muß sich die Frage vorlegen, wie er die 365 Tage, um welche er der Ewigkeit näher rückte, ausgekauft, welche Fortschritte er in der Heiligung gemacht, und was er zur Verherrlichung seines Gottes verrichtet habe. Und da geräth es ihm denn nicht, ohne mannichfaltige demüthigende Betrachtungen, ohne Zöllnerschläge an seine Brust, ohne Petrus- und Magdalenenempfindungen von dem alten Jahre los zu kommen. Wieviel kostbare Zeit wurde in Thorheit vertändelt, wie viel edle Kraft an Nichtigem verthan, wie viel neue Schuld der alten beigefügt! Unmöglich ist es ihm, die Grenze des neuen Jahres zu überschreiten, ohne mit tiefer Beschämung vor der Heiligkeit Gottes sich gebeugt, ohne um Gnade und Vergebung am Staube mit Ihm gerungen, ohne seiner Huld und Gewogenheit sich auf's Neue versichert, und mit erneuerten Gelübden der Hingebung und Treue seinem Altare sich genaht zu haben. Muß es euch nicht begreiflich erscheinen, daß es den Pilger höchlich befremdet, wenn er Andere, die er doch auch für Heilige nicht erachten kann, über die Jahresgrenze leicht hinweg hüpfen sieht, als wäre dieselbe nichts mehr, als eine Barriere in irgend einem Kinderspiel, und wenn er gewahrt, wie es jenen Leuten nicht einmal in den Sinn kommt, auch nur einen Augenblick vor dieser Grenze Halt zu machen, und rückschauend im Geiste einen Denkstein mit der Inschrift aufzurichten: „Bis hieher hat der Herr geholfen. Lob, Preis und Dank sei Seinem heiligen Namen!“

Das Befremden unseres Pilgers wächst, wenn er sie, die mit dem Glauben sich nicht befassen, der Zukunft entgegen taumeln sieht, als wäre gewisser nichts, als daß dieselbe ihnen nur Rosen auf den Weg streuen werde. Und trotz der phantastischen Träume, in denen sich grade in diesem Augenblicke ihrer nicht wenige zu wiegen scheinen, ist doch so ausgemacht nichts, als daß das neue Jahr ihnen eine neue Welt nicht bringen, sondern wesentlich Alles sein beim Alten lassen werde. Auch ferner noch werden Armuth und Reichthum hienieden neben einander gehen, und neben spärlichen Freudenblumen nach wie vor die alten Dornen- und Distelnsaaten mannichfaltigster Trübsal und Schmerzen wuchern. In dem neuen Jahre wird wie im alten das schwarze Heer der Krankheiten, der häuslichen Sorgen, und welcher Uebel sonst die Welt durchziehen; und wer darf mit Zuversicht vertrauen, daß seine Schwelle davon unberührt bleiben werde? Und hebt nur die Schleier noch etwas weiter! Was gewahrt ihr? Särge, eine lange, dunkele Reihe, noch zwar mit Namen nicht bezeichnet; aber wer unter uns ist sicher, daß nicht im Laufe dieses Jahres an einem derselben auch der seine wird gelesen werden? Und was mögen die Schleier bergen, welche keiner sterblichen Hand zu lüften vergönnet ist? Das Allerschlimmste kann es sein; denn wir leben in einer schwülen, gährungsvollen Zeit, von der das Gefühl der Sicherheit längst gänzlich gewichen ist. Immer grollen dumpfe Donner unter unseren Füßen. Seit Jahren schon dampft, wenigstens der Kriegsvulkan unablässig fort. Ja, hin und wieder zucken bereits, das Schwerste drohend, verhängnißvoll züngelnde Flammen auf, und eh' wir es uns versehen, kann eine Alles verheerende Eruption unseren Friedens- und Freudentagen für lange ein Ende machen. Und wohlgemuth einen Jahresweg antreten, der vom Gewölke solcher Gewißheiten und solcher Möglichkeiten umschattet und umgraut erscheint, bevor man die Rüstung sich anlegen ließ, in der man allen Unheilsmächten gewachsen ist; nein, wie man das kann, vermag der Pilger Gottes nicht zu fassen. Er für seine Person muß, ehe er seinen Marsch fortsetzt, in's Zeughaus seines Gottes hinein, und zu Ihm, dessen Kraft in der Schwachheit derer, die auf ihn trauen, mächtig sein will, wenigstens den tief ausgeholten Seufzer entsenden: „Herr, gürte mich, und mache Du mich Nichtig, daß ich am bösen Tage widerstehen, und das Feld behalten möge!“

Was unseren Pilger jedoch vor Allem Wunder nimmt, ist, daß nicht wenigstens die Alternden und Alten unter uns ein Gleiches, wie er, zu thun sich gedrungen fühlen, und daß sogar die schon Kränkelnden und Siechen mit ihren Wünschen und Begierden noch immer nur am vergänglichen Tande dieser Erde kleben. Nicht minder, als dies, befremdet ihn, daß die Reichen so fort und fort sein Evangelium verschmähen, da sie doch täglich an sich selbst die Erfahrung machen, daß alle zeitliche Habe das Herz nicht ausfüllt, nicht wahrhaft glücklich macht; daß die Armen nicht endlich Lust verspüren, reich zu werden in Gott, und das Dunkel ihres Lebens durch den Glauben zu verklären; daß es die Hoffnungslosen nicht drängt, an den entzückenden Aussichten Theil zu gewinnen, welche Christus den Seinen eröffnet hat; und daß Vätern und Müttern nicht vor allen anderen Sorgen diejenige am Herzen liegt, wie sie ihre Söhne und Töchter in der Gemeinschaft Christi vor den sittlichen Schiffbrüchen bergen und sicher stellen, an denen unsere Zeit so reich ist. Die Verwunderung des Gottespilgers erreicht aber den höchsten Grad, wie er wahrnimmt, daß unter den .Jüngeren unsrer Zeitgenossen manche dem Wahne sich gefangen gaben, als werde es bald mit Religion und Christenthum nicht mehr so genau genommen werden, als nahe eine Zeit der Emanzipation, in der man von andern Schranken nicht mehr wissen werde, als die man sich selber setze; ja, als werde bald wieder, wie weiland in Paris, die Göttin Vernunft auf den Schild gehoben, und in jubelnder Prozession umhergetragen werden. O, welche Verblendung dies! Allerdings hat das Christenthum schon manches Probefeuer auszuhalten gehabt; ist aber aus allen nur in verjüngtem Glanz, und mit neuen Beglaubigungssiegeln bedeckt hervorgegangen.

Nie stand das biblische Christenthum fester, als gegenwärtig. Sollte jedoch in Zukunft einmal wieder ein neuer Anfechtungsbrand für die Kirche des Herrn sich entzünden, so wird derselbe, nichts ist gewisser, als dies, nur das Heu, das Holz und die Stoppeln verzehren, womit man auf dem Grunde des Evangeliums baute; der Grund selbst aber, so wie der Edelsteinbau darauf, ist, wie er bereits den Stempel einer zweitausendjährigen Bewährung an der Stirne trägt, für alle Ewigkeit versichert.

2.

Mancherlei also stellt sich beim Jahreswechsel dar, worüber der Pilger Gottes nicht anders, als sich verwundern kann. Schreiten wir jetzt mit ihm in's neue Jahr hinüber. „Ich wandle fröhlich“, hören wir ihn sagen. Was ist's, das ihn so fröhlich seine Reise fortsetzen läßt? Er bezeichnet uns selbst den Grund. „Ich suche deine Befehle“, spricht er. Wir stutzen. Wie haben wir diese Rede zu verstehen? Er ist getrost, weil er sich ohne Sünde weiß? Nein, das sei ferne! Wie würde er gegen eine solche Auslegung seiner Worte Protest erheben, wenn er zur Stelle wäre? In keinem Stücke hat er sich genug gethan. Vielmehr spricht er, ich verbürge es, vor Gottes Angesicht sich schuldigend, mit Hiob: „So du Lust hast, mit mir zu hadern, so kann ich dir auf Tausend nicht eins antworten.“ Merkt wohl, wie er ja auch nicht sagt: „Ich halte“, sondern: „Ich suche deine Befehle.“ Daß er sie aber sucht, d. h. daß sein innerstes Gemüth mit vollem Ernst und Eifer darauf gerichtet ist, in unverbrüchlicher Liebe und Treue Gott allein zu dienen, und von Gottes, und nicht blos der Menschen Gebot, auf Schritt und Tritt seinen Gang bestimmen zu lassen, dessen ist er sich auf's tiefste und klarste bewußt. Hieraus aber schließt er nun, und zwar mit vollem Rechte, (es ist das sicherste Merkmal), daß er nicht der Welt mehr angehöre, sondern von der Welt erwählt, im Kern seines Wesens durch Gottes Geist erneuert, und der glücklichen und gesegneten Gemeinde der Kinder Gottes einverleibt wurde. „So ruht also sein fröhlicher Muth doch wieder auf dem Bewußtsein seiner persönlichen Heiligkeit?“ - O, nicht doch! Mit seiner eigenen Tugend darf er sich vor Gott nicht blicken lassen. Er ist ein armer Sünder, und weiß nur zu wohl, daß er ein solcher ist. Aber seine Lust zur Heiligkeit dient ihm, und zwar mit allem Grunde, zu einem sichern Zeichen, daß er denen beigehöre, die auf Gnade, auf freie Gnade, rechnen dürfen; und auf dieser Gnade, und auf ihr allein, ruht als auf ihrem letzten Grunde seine heitere Wander-Stimmung; ähnlicherweise, wie z.B. ihr, die ihr Ehrenzeichen tragt, nicht sowohl dieser Decorationen selbst, als vielmehr der Allerhöchsten Huld euch freuet, welche euch durch sie bedeutet und besiegelt wird.

Begleiten wir den Pilger jetzt auf seinem Weitergange. Er wandert fröhlich. Und wie sollte er nicht? Er ist dem peinlichen Zustande derer entrissen, die über ihre wahre Bestimmung noch im Unklaren schweben, und aus dem Fragen und Tappen nach dem Ziele, zu dem sie sich auszustrecken, so wie nach dem Wege, den sie einzuschlagen haben, nicht herauszukommen. Der Herr hat seine Tritte gewiß gemacht. Er weiß sich, daß ich es kurz sage, in göttlicher Führung. „Führung?“ Höre ich fragen. „Was ist Führung?“ Ich vernahm das Wort öfter schon. „Was will es bedeuten?“ - Führung, Freund, ist zunächst etwas Anderes, als das göttliche Regiment. Unter Gottes Regiment steht ohne Ausnahme alle Kreatur. Gottes Zügel tragen auch die Verworfenen; aber sie gehen nicht in Gottes Gängelbanden. Zu Sanherib, dem Könige von Assyrien, sprach der Herr: „Ich will dir einen Ring in deine Nase legen, und ein Gebiß in dein Maul, und will dich den Weg wieder umführen, da du hergekommen bist!“ Das war nicht Führung. Ein Fürst regiert sein Volk; aber seinen Sohn führt er. Führung ist ununterbrochen Liebesleitung Gottes dem Ziele der herrlichsten Bestimmung entgegen. Wo hebt diese Führung an? Es ist dies nicht immer leicht zu sagen, da nicht selten die ersten, zarten Fäden derselben bis in die Verborgenheit eines dem Bewußtsein des Geführten selbst noch unerschlossenen Gnadenlebens zurückreichen. Wir müssen indeß unterscheiden zwischen der göttlichen. Handbietung zur Führung, und der Führung selbst. Die Hand dazu bietet Er schon dem Säugling in der Taufe, und Er thut da wohl auch noch ein Mehreres an ihm. Und wer wäre unter uns, dem der Herr nicht auch in spätern Tagen seines Daseins mehr, als einmal nur, zum Führer auf seinem Lebenswege sich erboten hätte? Da du mit tiefbewegtem Herzen den Segen der Confirmation empfingst; da du gerührt' zu deiner ersten Communion seinem heiligen Altare nahtest; an so manchem Weihnachtsfeste dann, das du gefeiert, bei deiner Geburtstage manchem, oder bei diesem jenem erschütternden Ereigniß, das du in deinem Hause oder anderswo erlebtest: da stand Er vor dir, und sprach so unzweideutig, so vernehmlich: „Gieb mir, mein Sohn, gieb, meine Tochter, mir dein Herz, und laß deinen Augen meine Wege wohlgefallen!“ Ach hättest du damals feiner Stimme gehorcht, und gethan, wozu er dich freundlich einlud! Aber du versagtest Ihm Herz und Hand, Ihm, der es so innig wohl mit dir meinte. Nun lebst du ganz der Welt und ihrem Wesen, und keimst und erfährst nur eine natürliche Entwickelung. Nichts Himmlisches verwob sich in dein Dasein. Ohne Aufblick zur Höhe, ohne Sorge um dein ewiges Heil, ohne Liebe zu Gottes Wort, zu Gottes Kirche, zu Gottes Volk, folgst du nur Eingebungen und Trieben, die nicht von Oben stammen. Nein, in göttlicher Führung stehst du nicht, sondern gehst, wie einst die Heiden, deine eigenen Wege. Ach, wenn du ahnetest, du von der Hand des Herrn Losgerissener, wohin du gehst? Du kehretest wohl mit Eile um, und ruhtest nicht, bis auch du deine Hand in der Hand des allertreusten Führers wüßtest!

Eingeleitet wird die göttliche Führung, wenn dir der Himmelshauch der Sehnsucht nach Besserem, als die Welt zu bieten hat, den Busen zu schwellen anhub, und dann der Geist des Herrn soweit in deinem Innern Raum gewann, daß du dir deines bisherigen Lebens mit tiefer Kümmerniß als eines offenbaren Irrgangs klar bewußt wirst. Ihren eigentlichen Anfang aber nimmt sie erst, die Gottesführung, wenn du, von der Liebe Gottes in Christo gerührt und zugleich ermuthigt, als ein armer Gnade suchender Sünder zu seinen Füßen nieder sankest, und aus deinem Innersten lauter und thränenfeucht der entscheidende Ruf der Uebergabe sich losrang: „Herr, ich bin dein Knecht, ich bin deine Magd! Unterweise mich, und nimm dich meiner Seele herzlich an!“ Nun magst auch du deine Straße fröhlich ziehen: denn Führung ist hinfort dein Leben, göttliche Führung, An der Hand dessen gehst du jetzt einher, der alle Sorgen deiner Wallfahrt auf sich genommen. Ein neues Jahr liegt heute vor dir, gleich einem Album, einem Buche mit unbeschriebenen Blättern. Die Blätter sind die 85 Tage. Auf ein jegliches derselben wird der Herr nun seinen Namen schreiben. Was willst du mehr, als dies? - Oder fragst du noch, was das heiße? Täglich, dies heißt's, wird Er in mannichfaltigster Weise sich an dir bethätigen: dein Leben ordnend, deine Geschicke lenkend, hier dich schirmend und behütend; da dich stärkend, tröstend und ermuthigend. Du brauchst hinfort nur noch deine Augen aufzuthun, um allwärts seine Gegenwart zu verspüren. Und fragst du, welchen Weg Er dich führen werde, so wisse, daß es der Wege freilich mancherlei giebt. Es gibt einen Johannisweg, einen ebenen und sanften; einen schwereren gibt's: den Petrus und Paulusweg; und einen noch rauheren: denke an den Weg Hiob's, oder an den des Täufers in der Wüste und in der Kerkernacht. Lauter Kindergotteswege dies. Ich wünsche dir den lieblichsten derselben. Aber welcher der heilsamste sei für jeden Einzeln, das weiß nicht ich, noch du, sondern allein der, der ihn nach seinem weisen Rath dich gehen heißt. Mit aller Führung Gottes ist es einzig darauf abgesehen, daß der alte Mensch in uns sterbe und vergehe, und wir je mehr und mehr dem Bilde des Schönsten der Menschenkinder ähnlich werden. Darum wisse: wenn Er dich demüthigen wird im neuen Jahre, so geschieht es sicher, weil du zum Hochmuth neigst. Wenn Er dich arm macht, so zweifle nicht, daß Reichthum dir zu Strick und Falle worden wäre. Wenn Er dir Krankheit sendet, so ist sie nur ein ärztlicher Messerschnitt, der dein Herz von der Welt, mit der es wiederum verwachsen wollte, lösen soll. Wenn Er dich, den Weinenden, an theuere Gräber stellt, o so verstehe, daß Er dir nur ein „Aufwärts das Herz!“ durch diese schmerzliche Führung zuruft. Ja, halte dich versichert, daß hinter dem Allem nur der treuste Wille, nur die mütterlichste Fürsorge um dich verborgen ist. Und ginge es auch einmal so hart her in deinem Leben, daß, freilich immer noch ohne allen Grund, dir dünken möchte, Er wolle dich über Vermögen versuchet werden lassen; glaub's nicht, lieber Bruder! Erinnere dich dann, daß du einen Schatz bei dir trägst, ein Amulet, ein Kleinod, welches wahrlich Alles, auch das Schwerste und Herbste, leicht und erträglich macht, und für Alles überschwenglich schadlos hält. Was für ein Schatz dies sei? Es ist im Schrein deines tief innersten Bewußsein's der Schatz der Vergebung aller deiner Schuld, der Schatz der Huld und Liebe deines Gottes. Ich kannte einen schwergeprüften Mann, der, als er das mannichfaltige bittere Kreuz mir schilderte, unter welchem er seit lange zu seufzen habe, oft plötzlich wie ein sich Besinnender sich selbst unterbrach, und, während ein Lichtglanz wahrhaft himmlischer Freudigkeit sein bleiches Angesicht verklärte, gleich einem Entzückten ausrief: „Doch, was ist's, das ich leide? Was, daß ich klage? Habe ich doch Gnade, und darf mich Gottes als meines Freundes rühmen!“ Und wie einst sein Meister auf den Wogen des Meeres, wandelte auch er über den Drangsalsfluthen, die ihn umbrausten. Solche Wundermacht übt im Pilger Gottes das Besinnen auf den Friedenshort, den er sein zu nennen berechtigt ist.

O Freunde, was wir denn thun, sehen wir zu, daß auch unser Leben Führung, göttliche Gnadenführung werde! Zurück, zur guten Stunde noch, aus der Irre unserer selbsterwählten Wege, und, so lange es noch Zeit ist, die Rechte dessen ergriffen, der da spricht: „Ich will euch leiten, tragen und heben bis in's Alter!“ Und ist sie geschehen, die Uebergabe an seine Leitung, und geschah sie aufrichtig, rückhaltlos, unbedingt, für Feit und Ewigkeit, dann vorwärts, du Pilger Gottes, wohlgemuth und getrost! Mit festem und gewissen Schritte vorwärts, da es ja der rechte Weg ist, auf dem du wandelst. Und was die kommenden Tage dir bringen mögen, zweifle nicht, in Allem wird der Gruß der Liebe Gottes, der Segen Seiner Gnade sein. Bitte nur den Herrn, daß er das Abzeichen derer, die in seiner Liebesleitung stehen, immer frisch und lebenskräftig ausgeprägt in dir erhalten, d. h. dich tüchtig machen wolle, jederzeit mit voller innerer Wahrheit sagen zu können: „Ich suche deine Befehle!“ Dann darf nichts mehr dich hindern fröhlich zu wandeln. Ob auch alle Wasser der Trübsal über dich gehen: du erinnerst dich des Schatzes, der dir zu Theil geworden; du sagst dir vor: „Ich stehe ja in Gottes Führung;“ du weckst in dir das tröstliche Bewußtsein, daß überall, ob es auch nicht so scheine, die Straße vor dir geebnet und gebahnt sei, und stimmst mit jauchzender Seele ein in das Sieg'sgeschrei jener Gottespilger, die zuerst an Jesu Hand den Weg des Friedens zogen: „Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn!“ Matth. 18, 21. 22.

Wohlan denn, fröhlich weit
Dem Ziele zugestrebt,
Bis uns die Himmelsleiter
Der letzten Noth enthebt!
In Jesu Hut geborgen,
Geführt von Seiner Hand:
Warum noch ängstlich sorgen?
Schon dämmert fern der Morgen. -
Gruß Dir, mein Heimathland! - Amen.

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