Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Das Leben siegt über den Tod!

Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Das Leben siegt über den Tod!

Predigt am Osterfest (1846).1)

Der Geist des Herrn, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, er komme über uns, und leite uns und segne uns. Amen.

Wenn nach dem erquickenden Schlummer der Nacht wir gestärkt erwachen, unsere Augen sich öffnen, und wieder die gewohnten lieben Umgebungen schauen, dann durchweht unser Herz ein Gefühl reiner Freude und frommer Dankbarkeit. Wir leben ja noch! wir empfinden aufs Neue die süße Lust des Daseins! Während wir, unserer selbst unbewusst und ohnmächtig dalagen, wachte das ewige Vaterauge Gottes über uns, bewahrte seine Macht unseren Odem, unseren Pulsschlag, dass sie nicht stockten, führte sie aufs Neue die liebe Sonne am Himmelszelte empor, und schenkte unserm Leben und Wirken einen neuen Tag. Das erkennt dann das dankbare Herz mit hoher Freude, und preiset den treuen Gott, den Vater des Lichts, von dem jede gute und vollkommene Gabe kommt. - Aber wenn wir daran denken, dass es auch einmal anders kommen kann, dass die Stunde sicherlich nicht ausbleibt, da man von uns sagen wird: Er lebt nicht mehr; er ist tot! - da durchrieselt es uns doch wie ein leichter Schauder, da fühlen wir, dass das sinnliche Leben in uns sich gegen den Tod sträubt wie gegen einen Feind. - Und gewahren denn unsere Blicke nicht täglich dieses Feindes Macht? Sehen wir sie nicht hingehen, die Gefährten unsers Lebens, Einen nach dem Andern, in das dunkle Grab? Erscheint da nicht immer der Tod als ein Sieger über das Leben? - Und doch ist selbst in dem natürlichen Menschen eine Stimme, welche ihm zuruft: Es kann nicht sein! Der Tod kann nicht Sieger bleiben über das Leben! Es muss ein Jenseits geben, da der Tod nicht mehr herrscht, da das Leben siegt! Das ist nicht bloß dunkle Ahnung, das ist eine so freudige Hoffnung, eine so starke Zuversicht, dass es mächtig in uns ruft: Sie kann nicht trügen! - Wiederum kommen aber auch Stunden der Bangigkeit, des Zweifels, die jene Hoffnung erschüttern wollen, und in diesem Zwiespalt, in diesem Schwanken zwischen Furcht und Hoffnung blickt das Auge dann sehnsuchtsvoll umher, ob nicht irgend wo eine Bürgschaft zu schauen für unser Hoffen.

Siehe! da wird es Frühling! Der Herbst hatte die Bäume entblättert, der Winter die Natur in ein Leichengewand gehüllt; es schien, als hätte der Tod auch in ihr gesiegt über das Leben, Und doch ists nicht so! Ein neues Leben regt sich überall: auf den Wiesen, auf den Feldern, in den Wäldern, in den Lüften! Überall freudiges Regen und Weben und lautes Preisen des allmächtigen Gottes. Eine gewaltige Predigt: Nicht der Tod, das Leben hat gesiegt!

- Und ist denn nicht wirklich die ganze Schöpfung und Weltregierung eine Offenbarung Gottes? Kündet, was dort geschieht, uns nicht des Schöpfers ewigen Rat und Willen?

- Damit aber kein Zweifel, keine Bangigkeit uns bleibe, hat der allliebende Vater im Himmel nicht bloß unseren Sinnen seine Tat, sondern auch unserm Geist sein Wort geoffenbart, und nur wer dieses Wort ergriffen hat, der erkennt es recht, wie Gott sich in seinem Tun, und was er durch dasselbe uns als seinen Willen zu erkennen gibt.

Als dieses Wort Gottes und es uns darbringend in seinem heiligen Evangelio, kam Jesus Christus in die Welt, Er, den wir nicht bloß mit den Lippen, sondern von Herzen, nicht bloß nach hergebrachter Sitte, sondern aus voller Überzeugung und in der ausgezeichnetsten Bedeutung des Wortes unseren Herrn und Heiland nennen. Diesen Jesus nennen seine Jünger mit tiefer Ehrfurcht den Fürsten des Lebens. Er verkündete nicht bloß in seinem Evangelio den Sieg des Lebens über den Tod, sondern er gewann ihn auch selbst, da er, ungerecht verurteilt, gekreuzigt und begraben, aus dem Grab erstand und wieder leiblich unter den Seinen wandelte. - Dies Ereignis feiern wir im heiligen Osterfest: den Sieg der Gerechtigkeit über die Sünde, den Sieg des Lebens über den Tod! Die Klage des Karfreitags verstummt vor dem Halleluja der Ostern: sie sind das Frühlingsfest der Kirche des Evangeliums.

So wollen denn auch wir in dieser Andachtsstunde uns in dem Glauben stärken, dass das Leben berufen sei zum Sieg über den Tod, und Gott dazu um seinen Segen und Beistand anrufen.

(Gesang. Gebet.)

Evangelium Lukas 24,13-35.

Hört sie klagen und trauern, die treuen Jünger, nach den Tagen des Jammers, die sie durchlebt hatten! Ihre Seele hängt an ihm und lebt in ihm, dem unschuldig Geopferten, den sie so sehr geliebt, so hoch geehrt, auf den sie so große Hoffnungen gesetzt hatten! Wir hofften, er sollte Israel erlösen! so sprachen sie, und meinen, dass diese Hoffnung vergebens gewesen sei. Sie sei ihnen mit Jesu gestorben, der Tod, so trauern sie, der Tod hat gesiegt. - Aber nein, so war es nicht! Sie erkennen den Herrn, sie kehren zurück und es empfängt sie der Jubelruf: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden! Nicht der Tod ist der Sieger! Das Leben siegt über den Tod! - Wir erkennen diese Wahrheit

1. in der Auferstehung Jesu, welche die heiligen Urkunden unsers Glaubens uns unbedingt als eine geschichtliche Tatsache verkünden.

Aber ist es denn auch wahr? so möchten wir fragen. Ist denn Christus auch wirklich auferstanden? Geliebte! Die Glaubwürdigkeit unserer heiligen Schriften ist in neuerer Zeit so vielfach in Frage gestellt worden, der Unglaube unserer Tage hat sie so vielfach verworfen, der Zweifel hat so Vieles gegen sie aufzubringen versucht, und ist, leider! so weit verbreitet, dass wir unrecht handeln würden, wenn wir bei dieser dringenden Gelegenheit die Frage: Ist denn die Auferstehung Jesu auch wirklich geschehen? scheu und schweigend umgehen wollten. Es gibt ihrer ja genug, die es leugnen, auch Andere, die sich mit einer bildlichen Erklärung von einer Auferstehung, von einem Lebendigwerden Jesu in den Herzen und Gedanken seiner Jünger helfen zu können meinen. Hätten diese Recht, so ginge unser Ostern verloren, so feierten wir eine Lüge, und unsere Freude über den Sieg des Lebens über den Tod wäre eine nichtige! - Aber nein, sie haben nicht recht! Jene sind nicht falsche Zeugen, die da sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden! Ihr Zeugnis in der Schrift ist zu freudig, zu wohl beglaubigt: Sie haben es ja mit ihrem Blut besiegelt! - wer kann da zweifeln?

Geliebte Glieder meiner Gemeinde! Es ist kein Unbekannter, der Solches zu euch redet! Ihr kennt die Stellung, welche nach meinem Glauben die Schrift für mich einnimmt; ihr wisst, wie oft ich meine unbedingte Verehrung vor ihr, meine Dankbarkeit gegen Gott, dass wir sie, diesen wahren Schatz, besitzen, mein treues Festhalten an ihr, als der einzigen beglaubigten Quelle des evangelischen Christentums, ausgesprochen habe. Ihr wisst aber auch, dass ich nicht zu Denen gehöre, welche glauben, jedes Wort der heiligen Schrift sei aus göttlicher Eingebung hervorgegangen, dass ich vielmehr mich zur Erklärung der Schrift mit meiner Vernunft und Wissenschaft für wohlberechtigt halte, dass ich gar Manches in ihr nur einer Zeit, einem Ort, gewissen Zeitverhältnissen angemessen und angehörend betrachte, die damals eine ganz andere Auffassungs- und Ausdrucksweise gewisser Wahrheiten und Ereignisse bedingten. Ihr wisst auch, dass, wenn meine Forschung in der Schrift mich irgend eine Wahrheit finden lässt, die vielleicht althergebrachter und in den Satzungen vergangener Zeiten niedergelegter Ansicht widerspricht, oder wenn sie mich eine hergebrachte, einst allgemein als Wahrheit anerkannte Lehre nicht finden lässt, dass mich dann keine falsche Scheu, keine Menschenfurcht, noch Gewalt hindern könnte, dies offen und ehrlich, wie ich es immer getan, vor euch auszusprechen, weil ich meine Gemeinde achte, weil ich sie für eine mündige halte und glaube, dass sie vor Allem volle Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit von mir, ihrem Prediger, zu verlangen hat. Darum, weil ihr es wisst, dass ich nicht nach hergebrachter Sitte oder Meinung, sondern stets aus voller Überzeugung zu euch spreche, darum darf ich hoffen, es werde dies auch jetzt von Keinem bezweifelt werden, und von um so größerem Gewicht für euch sein, wenn ich freudig ausrufe: Ja, der Herr Jesus ist wahrhaftig aus dem Grab erstanden!

Lasst uns einen Blick tun in das heilige Buch. Da sehen wir die Jünger traurig und verzagt; da hören wir ihre Klage: Wir hofften, er solle Israel erlösen! Sie kommen, den Leichnam zu salben, und finden ihn nicht. Das vermehrt ihre Betrübnis; sie fürchten, er sei entwendet. Da steht plötzlich der lebende Jesus vor ihnen! Aber sie glauben's nicht, und erst als er mit ihnen spricht, als er mit ihnen isst, als sie ihre Hände gelegt haben in die Male seiner Wunden, da jubeln sie laut: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden! Wie verwandelt stehen sie da; ein neues Leben, eine neue Kraft, ein neuer Eifer ist über sie gekommen! - Freunde! Sieht das aus wie Täuschung, wie leere Einbildung? Nein, es ist das Ergebnis einer Wirklichkeit, die in dem Sieg des Lebens über den Tod den Triumph des Evangeliums ihnen verkündet. - Und als der Herr eingegangen war zu seinem Vater im Himmel, da predigen sie vor allem Volk: Diesen Jesus hat Gott auferwecket; des sind Wir Zeugen. Da verkünden sie: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott unserer Väter, hat sein Kind Jesum verklärt, welchen ihr überantwortet und verleugnet habt vor Pilato, da derselbe urteilte, ihn loszulassen. Ihr aber verleugnetet den Heiligen und Gerechten und batet, dass man euch den Mörder schenkte; aber den Fürsten des Lebens habt ihr getötet. Den hat Gott auferweckt von den Toten: des sind wir Zeugen!2) Und bei diesem Bekenntnis blieben sie, Jesum den Auferstandenen predigend und preisend selbst im Angesicht des Märtyrertodes! - Ja Paulus spricht: Ist Christus nicht auferstanden, so ist unsere Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich.3) Freunde! Klingt das wie Täuschung? Oder gibt es eine größere Bürgschaft, als wenn der feurigste und freudigste Verkündiger des Evangeliums, Paulus, der demselben sein ganzes Leben widmete, sein Leben opferte, wenn dieser auf die Tatsache der Auferstehung seine ganze Predigt, seinen ganzen Glauben gründet, und den Heiden gegenüber den Gott verkündet, der Jesum von den Toten auferweckt hat? Ist es möglich, dass nach diesem Vorliegenden die Jünger selbst über die Tatsache der Auferstehung in einer Täuschung können befangen gewesen sein? Wenn sie es aber nicht waren, wenn Jesus nicht auferstanden war, und sie doch den Auferstandenen predigen, müssten sie uns dann nicht als absichtliche Lügner und Betrüger erscheinen? - eine Annahme, die ihr ganzes Leben und Wirken, ihr freudiger Märtyrertod zu einer widersinnigen macht! Nein, wenn diese Zeugnisse nicht hinreichend sind, eine Tatsache als wahr zu beglaubigen, so gibt es in der ganzen Welt, in der ganzen Geschichte nichts Wahres und genügend Beglaubigtes mehr! -

Fragt ihr nun aber: Wie ist denn das möglich? Wie ist denn das zugegangen? so erwidere ich euch: Darüber haben wir keine Zeugnisse. Dass Gott Jesum aus dem Grab hat erstehen lassen, das ist uns glaubhaft bezeugt; wie er aber dabei gewirkt hat - wer will das ergründen? Es lassen sich darüber verschiedene Meinungen und Vermutungen hegen; wer aber mag sagen: Die meinige ist die allein richtige? - Die ganze Welt zeigt uns immer nur, was Gott tut; wie er es vollbringt, in die heiligen Wege seiner Vorsehung und Weltregierung dringt unser Blick nicht. Oder sage mir: Wie geht denn das zu, dass jetzt die Bäume neue Blätter und Blüten bekommen? Gott wirkt es durch seine Kraft; darüber sind wir einig. Wohl, dieselbe Kraft hat auch Jesum erweckt. Aber zeige mir: wie Gott dies wirkt, wie er die Kräfte der Natur in Bewegung setzt, die den Saft aus der Erde durch die Wurzeln in Stamm, Ast und Zweige treiben, und aus ihm dort Knospen, Blätter, Blüten, Früchte der verschiedensten Art bildet? Du hast ja doch den Baum vor dir, tritt an ihn heran mit dem Zergliederungsmesser und zeige mir den Hergang! Du kannst es nicht? Nun, wenn du das nicht enträtseln kannst, was alljährlich vor deinen Augen tausendfach geschieht, und du es doch nicht bezweifelst, weil deine Augen es dir bezeugen, mit welchem Recht willst du denn das Zeugnis der treuen Jünger verwerfen, weil sie dir nicht zugleich bezeugen, wie Gott jenes große Ereignis vor achtzehn Jahrhunderten gewirkt hat? Über dies: Wie? jetzt entscheidend absprechen zu wollen, wäre Vermessenheit; unfruchtbare Grübeleien und hochmütige Zweifel wären Torheit. Wir haben die verbürgte Tatsache hinzunehmen, wir haben mit Dank anzuerkennen, wie viel sie zum Bau des Gottesreiches auf Erden gewirkt, zu dessen Gründung sie nach allen Umstanden unentbehrlich war, und wir dürfen an ihr unsere frohe Zuversicht stärken, dass das Leben berufen sei zum Sieg über den Tod. Nicht bloß das Leben des Heilandes, sondern

2) auch unser Leben.

Christen! wir bleiben nicht im Tod, wir sind unsterblich! Eine andere Welt nimmt uns nach dem, zeitlichen Tod auf und bekleidet uns mit einem verklärten Leib. Diese uns so beglückende Hoffnung bildet eine der wesentlichsten Voraussetzungen des Christentums, denn seine ganze Heilsanstalt wäre ja eine eitle und vergebliche, wenn mit diesem Leben Alles vorbei, wenn der Mensch keiner weiteren geistigen und sittlichen Ausbildung fähig wäre, als diese Zeit sie ihm verstattet. Dann wäre die Anweisung: Ihr sollt vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist, ein Spott, und das Trachten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, das sich in dem ganzen Leben der Christen zu erkennen geben soll, eine verlorene Mühe. Nein, Jesus will, dass wir einst bei ihm sein sollen in dem höheren Himmelreich und schauen die Herrlichkeit, die ihm Gott gegeben hat; er weist uns überall auf das jenseitige Leben hin, welches alle Rätsel des diesseitigen lösen und es ergänzen soll, und die Apostel nehmen von der Auferstehung Jesu eine Bürgschaft unserer eigenen Unsterblichkeit her, indem sie sprechen: Hat Gott Christum aus dem Grab erweckt, so wird er auch uns, die wir ihm angehören, mit ihm führen. -

Der Glaube an Unsterblichkeit hängt mit dem Glauben an Gott auf das Innigste zusammen. Gibt es einen liebevollen, weisen und gerechten Gott, wie das Evangelium ihn lehrt, so muss auch unsere Seele unsterblich sein. Denn: in jedem Menschen ruht die Hoffnung auf eine Fortdauer nach dem Tod; es hat noch kein Volk gegeben, wie roh und ungebildet es auch noch war, welches ohne diese Hoffnung, ohne eine Ahnung von solchem Fortleben gewesen sei. Diese liegt also in der menschlichen Natur, und wer kann sie dort hineingelegt haben? Doch nur der, welcher diese Natur, in der Art, wie sie ist, geschaffen hat? Gott! Lässt es sich nun von dem Gott der Liebe wohl denken, dass er eine solche süße Hoffnung uns nur in das Herz geschrieben hätte, um sie nachher um so schmerzlicher zu täuschen? Nein, Geliebte; gibt es einen Gott der Liebe, wie Jesus ihn verkündet, so gibt es auch für uns Unsterblichkeit, so ist auch unser Leben berufen zum Sieg über den Tod. - Und wäre denn Gott weise, wenn er unseren Geist mit einer Fülle von Kräften und Anlagen geschaffen hätte, welche hier auf der Erde kaum alle ihre erste Entfaltung, geschweige denn ihre völlige Ausbildung finden können, wenn diesem Geist nur ein so kurzes Ziel gesteckt und ihm die Fortdauer nach dem leiblichen Tod versagt wäre? Nein, es gibt einen weisen Gott, wie die ganze Welt ihn uns verkündet, so muss auch unsere Seele unsterblich und unser Leben berufen sein zum Sieg über den Tod. - Zu dem Begriff der göttlichen Vollkommenheit gehört aber auch notwendig seine Gerechtigkeit, nach der das seinen Geboten Widerstrebende, das Böse seine Strafe; das seinen Geboten Entsprechende, das Gute, seinen Lohn empfängt. Wird aber wirklich schon überall auf dieser Erde das Gute belohnt, das Böse bestraft? Nein! Mancher Redliche und Fromme lebt hier in Kümmernis und Schmerz; Leid auf Leid trifft ihn, und vergebens ruft sein Flehen den Helfer in der Not an; wogegen mancher Andere alle göttlichen und menschlichen Gesetze mit Füßen tritt, und doch sein ganzes Leben hindurch in Herrlichkeit und Freude lebt, ohne dass die strafende Gerechtigkeit ihn erreicht. Ja, mit der lauten, wüsten Lust betäubt er selbst die Stimme seines Gewissens, so dass auch dies ihn nicht straft; scheidet vielleicht durch einen plötzlichen Tod, so dass auch nicht eine Regung der Reue in seine Seele kommt, während die Opfer seiner Sünde fort und fort leiden in dem Elend, in das seine Bosheit sie gestürzt - und nun soll Alles vorbei sein? Jener Fromme sollte nicht getröstet werden, jener Sünder nicht seiner Taten wohlverdienten Lohn empfangen? Nein, Geliebte, wenn es einen gerechten Gott gibt, wie das Evangelium ihn lehrt und wie unser sittliches Bewusstsein ihn verlangt, so muss es auch eine Fortdauer nach dem Tod geben, - und zwar eine bewusste, eine die Persönlichkeit erhaltende, denn nur eine solche ist wahrhaft Unsterblichkeit zu nennen, eine solche fordert der Glaube an den liebevollen, weisen und gerechten Gott. - Getrost darum, wenn auch der Blick in das Jenseits dunkel ist; der Glaube spricht: wir sterben nicht! das Evangelium lehrt uns: das Leben siegt über den Tod; auch unser Leben. Wir sind mehr wie das Gras auf der Wiese, mehr wie die Blume auf dem Feld: Wir sind zur Ewigkeit berufen. - Wollen wir aber dieser Hoffnung uns wahrhaft getrösten, so dürfen wir nicht etwa in diesem Leben schon tot sein. Das Leben soll siegen über den Tod auch

3) in unserer Kirche, in unserer Gemeinde, in unseren Herzen.

Der auferstandene Jesus ist der Heiland der Lebendigen! In lebendigem Glauben, in lebendiger Liebe will er von uns aufgefasst sein, wenn er sich in den Seinen wirklich lebendig erweisen soll. Es genügt nicht, dass wir den Herrn, seine Geschichte, seine Lehre in gewisse Satzungen verbrieft, in der Kirche festhalten; nicht, dass wir ihn mit bloß äußerem Dienst ehren, und nur Herr! Herr! zu ihm sagen. Eine Kirche, in der nur das geschieht, in der ist der Herr tot, in der lebt sein Geist nicht, und wer den nicht hat, der ist nicht sein. Und das, Geliebte, ist noch vielfach in der christlichen Kirche der Fall, und es gibt Bestrebungen genug, die diesen schlechten Zustand erhalten möchten. Das Wesen des Geistes in unserer Zeit geht aber dahin, dass das Leben siegen soll über den Tod - auch in der christlichen Kirche: der lebendige Jesus über das tote Werk der Satzung; die lebendige Liebe über das tötende Glaubensgezanke; das lebendige Trachten nach dem ewigen Leben über das tote Formelwesen und Herr! Herr! - Sagen. Es ist Zeit, Geliebte, dass wir den Stein abwälzen von der Tür, damit die Menschen das Grab verschlossen haben, darin sie den Herrn wieder legten, auf dass die Anderen nicht hindurchdrängen in das volle Gesetz der Freiheit, zu dem gesegneten Born seiner Wahrheit, aus dem sie seinen Geist, den Geist der Freiheit, der Wahrheit, der Liebe und der Heiligung schöpfen konnten; ein großes allgemeines Ostern soll durch die christliche Kirche jubeln, auf dass das Leben in ihr siege über den Tod, und die gesamte Gemeinde den Trieb gewinne in ihm und mit ihn eins zu sein, sich zu gestalten, und sich zu führen nach seinem heiligen Willen; ihre Zusammengehörigkeit unter ihm, den einigen Herrn und Hirten auch äußerlich darzustellen und sich gegenseitig zu erwecken zu echt christlichem Tun. -

Aber, liebe Mitchristen! wie kann die Gemeinde Christi zu einem solchen Leben anders erwachen, als wenn die Einzelnen den Geist des Herrn sich anzueignen suchen, wie kann die Gemeinde der hohen Ehre des Christennamens teilhaftig werden, so lange ihre einzelnen Glieder nicht erwachen aus dem Sündentod zu einem wahren Christenleben, so lange in ihr noch solche Sünden im Schwange gehen, wie wir dies leider noch immer beklagen müssen? Wo das Eigentum des Bruders nicht sicher ist vor der Hand des Diebes, der sich - Christ nennt? Wo die Not der Bedrängten ausgebeutet wird von dem schändlichen Wucherer, der sich - Christ nennt! wo die Unzucht frech und öffentlich geübt wird von Solchen, die sich Christen nennen, und wo sich andere Christen finden, die sich nicht schämen, ihre Häuser um schlechten Gewinns willen zu Schlupfwinkeln solcher Taten herzugeben, die ein schwarzer Schandfleck jeder christlichen Gemeinde sind? wo Menschen, die sich Christen nennen, sich dem viehischen Laster des Trunkes hingeben, wo der Unfriede in den Häusern wohnt, wo die Kinder schlecht erzogen werden, wo Treu und Glauben fast schon geschwunden ist, wo die harten Herzen den Zank aus Eigensinn festhalten, des Armen Not sich nicht erbarmen und dem reuigen Sünder die Hand nicht reichen mögen zu seiner Erhebung!? Gewiss, ihr gebt zu, dass wo Solches geschieht, Christus und sein Evangelium noch tot sind! Aber sie sollen lebendig werden; das Leben in Christo soll siegen über den Tod, und gleichwie Christus auferstanden ist von den Toten, so sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln, der Sünde absterben und der Gerechtigkeit leben! Diese Mahnung ist an Jeden von uns gerichtet, an Jeden ohne Ausnahme, denn wir sind Alle Sünder, und haben Alle daran zu bauen, dass das Reich Gottes in uns wachse und Christus in uns lebendig werde. Lasst uns denn diese Mahnung nicht überhören, lasst Alle diese Ostern für uns sein ein Fest der Auferstehung zu einem neuen heiligen Leben. Das Herz müsse uns brennen von Liebe zu dem Heiland und seinem Wort; dann werden auch unsere Augen aufgetan werden, dass wir ihn erkennen, dann werden wir es erst recht empfinden, was es heißt, wir sind zum ewigen Leben berufen, welche Seligkeit in dem Gedanken liegt: Halleluja! das Leben siegt über den Tod! Amen.

1)
Es möge dem Verfasser gestattet sein, die Veranlassung zu dieser Predigt zur Vermittlung eines richtigen Urteils über sie zu erwähnen. Die Überzeugung, dass es nötig sei, in solcher Art zu sprechen, gewann der Verfasser bei einer geselligen Unterhaltung mit mehreren Gemeindegliedern, die von der Auferstehung Jesu stets nur als von einer Mythe oder Sage sprachen, und nicht begreifen zu können erklärten, dass der Verfasser eine geschichtliche Tatsache in ihr sehe. Sie versicherten, ihre Meinung sei die allgemein verbreitete. Die Auferstehung Jesu werde stets nur als ein Wunder gelehrt, und solche könnten sie nicht glauben. Der Verfasser legt aber auf diese Tatsache den größten Wert. Wäre sie nicht geschehen, so wären die Apostel falsche Zeugen, und dadurch würden alle ihre Berichte unglaubhaft! Dies kann nach der ganzen Beschaffenheit des Neuen Testaments nicht zugegeben werben, wenn auch die Möglichkeit nicht bestritten werden kann, dass die Apostel in ihrem Urteil über eine Erscheinung, über ein Ereignis geirrt haben. So berichtet Lukas: Jesus trieb einen Teufel aus, der war stumm; wir sagen: Jesus heilte einen Stummen. Lukas berichtet die Tatsache nach der Denkweise seiner Zeit; wir sind berechtigt, die Tatsache nach unseren Begriffen aufzufassen; aber nicht berechtigt, sie überhaupt zu leugnen. So scheint dem Verfasser festzustehen: dass die Jünger Jesum für tot hielten, als er in das Grab gelegt wurde, dass er aber aus demselben lebendig wieder hervorging. Ob sie in der Beurteilung seines Zustands irrten, wissen wir nicht, und können es darum auch nicht als gewiss behaupten; jedenfalls haben sie ihre Überzeugung und die von ihnen erlebten Tatsachen, so wie sie sie erlebt haben, treu und nach bestem Wissen überliefert. Darauf, dass jene Gemeindeglieder versicherten, sie könnten nicht glauben, dass dies des Verfassers Ansicht sei, und Wenige in der Gemeinde würden es glauben, bezieht sich der zweite Absatz im ersten Teil, der sonst schwerlich zu entschuldigen sein würde. - Die Predigt wurde vor einer übergroßen Versammlung gehalten, und hatte gerade den entgegengesetzten Erfolg, wie die ähnliche, welche Uhlich ein Jahr später hielt. Während Uhlich deshalb von der Behörde angefochten wurde, traf den Verfasser der Vorwurf von Vielen: er lenke ein, er werde ministeriell, er strebe nach Gunst, er habe nicht seine Überzeugung ausgesprochen - ein Verdacht, der freilich bald schwand, aber doch zeigt, zu welchen bedauerlichen Erscheinungen es führt, wenn die weltliche Macht für theologische Meinungen Partei nimmt, und dass die Wirkungen des Christentums auf die Menschen unserer Zeit durch nichts mehr beeinträchtigt werden, als wenn man das Wunder und eine der menschlichen Vernunft widersprechende Auffassung seiner Lehren zur Hauptsache macht.
2)
Apg. 2,32; 3,13-15
3)
1. Kor. 15,14
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