Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Gott sei mir Sünder gnädig!

Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Gott sei mir Sünder gnädig!

Predigt am elften Sonntage nach Trinitatis.

Gott, der du gnädig und barmherzig bist, Sünde vergibst und hilfst in der Not, nimm auch unser Gebet an und stärke uns zu trachten nach deinem Reich und seiner Gerechtigkeit. Schärfe unseren Blick, dass wir uns selbst erkennen, und segne unser Streben nach der Heiligung, auf dass wir dir wohlgefällig und Erben werden des Heiles, das du uns durch Jesum Christum verheißen. Amen.

Geliebte Gemeinde! So wie nur der Landwirt im Stande sein wird, sein Gut zweckmäßig zu bewirtschaften, es zu verbessern und seinen Ertrag zu erhöhen, der es nach seiner ganzen Ausdehnung, in allen seinen Teilen und nach seiner eigentümlichen Beschaffenheit kennen gelernt hat, so wird auch nur der Mensch sich weiter fortzubilden, sein Leben fruchtbarer zu machen und sein sittliches Wesen zu veredeln vermögen, der sich selbst recht erkannt hat; der sich daher sowohl des von ihm bereits Errungenen und der Kräfte bewusst ist, welche er bei seinem Weiterstreben zu verwenden hat, dem aber auch eben so wenig die Mangel verborgen sind, die sich in ihm vorfinden, die Neigungen, Schwachheiten und Leidenschaften, deren Versiegung vor Allem nötig ist. Jener bekannte Weise der vorchristlichen Zeit hatte daher wohl recht, wenn er in der Lösung der Aufgabe: Lerne dich selbst kennen! den Gipfel menschlicher Weisheit erblickte. Das Christentum stellt uns dieselbe Aufgabe, nur dass sie ihm nicht als der letzte Zweck alles menschlichen Strebens, sondern nur als das Mittel zum Zweck erscheint. Denn das letzte Ziel des menschlichen Strebens ist nach der Lehre Jesu Heiligung, Vollkommenheit, Gottähnlichkeit, und das ewige Leben verheißt er uns darin, dass wir Gott, und den er gesandt hat, Jesum Christum erkennen. - Soll aber die Sünde, die Unvollkommenheit, das ungöttliche Wesen von uns bekämpft und besiegt werden, so ist es unbedingt erforderlich, dass es erst als Solches von uns anerkannt werde, dass wir erst den Zwiespalt schmerzlich fühlen, in welchem wir dadurch mit Gott stehen, und zur Heilung dieses Schmerzes lebendig bemüht sind, die Versöhnung mit Gott, und dadurch den Frieden unserer Seele und unsers Gewissens wieder zu suchen. Das Evangelium würde auch seine Aufgabe, eine gnadenreiche Anstalt Gottes zur Erziehung und Beseligung des Menschengeschlechtes zu sein, nimmer erfüllen können, wenn es dem Menschen nicht die Hilfsmittel zu einer richtigen Selbsterkenntnis darböte. Das tut es aber in Wahrheit; ja ich behaupte mit großer Zuversicht, dass eine solche vor ihm gar nicht völlig zu erlangen gewesen sei. Denn um den Menschen in seiner Unvollkommenheit zu, erkennen, musste erst der Mensch in seiner Vollkommenheit, der Mensch, wie er sein soll, erschienen sein, und einen solchen hatte die Welt vor Jesu noch nicht gesehen. Erst nachdem er auf der Welt erschienen, war das Maß gegeben, an dein jeder Einzelne sich messen, das Vorbild mit dem jeder Einzelne sich vergleichen kann. Dadurch aber, dass das Vorbild jetzt da ist, ist aber auch des Christen Pflicht eine viel höhere und heiligere geworden. Es ist nun seine Schuld, wenn er noch ferner in Finsternis wandelt, da er doch das Licht des Lebens haben kann, wenn er ihm Geist und Herz nur öffnet; seine Schuld, wenn er noch Wege des Verderbens verfolgt, da ihm die Fußtapfen gelassen sind, in die er treten soll; seine Schuld, wenn er den rechten Frieden nicht findet, da ihm doch der Friedensfürst seinen Segen darbietet. Gewiss, meine Geliebten, je mehr die Hilfsmittel des Heiles uns dargeboten sind, desto größer ist unsere Verantwortlichkeit, wenn wir sie nicht ergreifen und bei uns anwenden. -

Möchten nun alle Menschen nur darum auf sich selbst schauen, um ihr sittliches Wesen mit Jesu zu vergleichen, so würden sie zu dem demütigen Geständnis kommen, dass sie allzumal Sünder sind. Aber das verletzt ihre Eitelkeit, das stört sie in ihrer sittlichen Trägheit! Darum lieben sie es zum Vergleich mit sich solche Menschen auszusuchen, von denen sie sich sagen können, oder doch sagen zu können meinen, dass diese noch weniger gut sind als sie selbst. Sie verirren sich dann selbst wohl so weit, dass sie sich dessen vor Gott rühmen und dem Pharisäer im heutigen Evangelio gleichen, der auch sein Gebet mit den Worten begann: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie andere Leute! Das sind solche Menschen, von denen das Evangelium sagt, dass sie sich selbst vermessen, fromm zu sein, und verachten die Anderen, zu deren Warnung Jesus das Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner aufstellt und in demselben zeigt, wie das hochmütige Gebet nicht zur Rechtfertigung vor Gott führe, während das demütige Flehen: Gott sei mir Sünder gnädig! sein Wohlgefallen erwerbe. - Das ist also das Gebet, das uns allein vor dem Gott ziemt, vor welchem kein Fleisch sich rühmen kann; zu dem eine richtige Selbstprüfung uns allein die Anregung bietet, von dem der Apostel Johannes sagt: So wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt, und reinigt uns von aller Untugend. - Aber auf die Gesinnung, auf die wirkliche Demut des Herzens vor Gott kommt es an, die Worte allein tuen es nicht. Sollten sie aus andern Absichten, mit einer andern Gesinnung ausgesprochen werden, so würden sie die Verheißung Jesu nicht ererben. Wo ist aber das Heilige, Rechte und Wahre, welches von dem menschlichen Wahn nicht schon wäre missbraucht worden? Auch mit jenem Gebet ist schon und wird noch Missbrauch getrieben. Wir werden daher unsere Behauptung, dass das Gebet: Gott sei mir Sünder gnädig! Gott wohlgefällig sei und zur Rechtfertigung führe, einzuschränken haben und wollen überhaupt der Betrachtung desselben diese Andachtsstunde widmen.

(Gesang. Gebet.) Evang. Lukas 18,9-14.

Hören wir das heutige Evangelium, so möchte es uns fast scheinen, als sei das darin aufgestellte Gleichnis aus unserer Zeit genommen, und für sie insbesondere zur Warnung hingestellt. Es offenbart sich uns aufs Neue darin eben so sehr die ewig gleiche Kraft und Gültigkeit der Worte Jesu Christi für die Menschen, als der Menschen noch immer gleiche Neigung zu den Verirrungen, welche Jesus an seinen Zeitgenossen tadelt. - Ja sein Wort wird ewig bestehen, ob auch Himmel und Erde vergehen, denen zum ewigen Heil, die es in Demut annehmen, zum Gericht seinen Verächtern, und denen, die es nur haben zum Deckel der Bosheit. Jenes Segens teilhaftig zu werden, jenem Gericht zu entgehen, lasst uns denn eifrig bemüht sein, lasst uns zu dem Zwecke auch heut das Gebet des Zöllners betrachten: Gott sei mir Sünder gnädig. - Es erscheint uns zuerst:

1. als das demütige Bekenntnis des wahrhaft frommen, Gott liebenden Herzens.

Wie stehst du Mensch mit deinem Gott? Hast du dir wohl stets darüber gewissenhafte Rechenschaft gegeben? Muss nicht jeder Gedanke an Gott dich zu solcher Rechenschaft veranlassen? und muss nicht Alles deine Gedanken auf den Gott hinlenken, der Alles geschaffen hat, von dem Alles zeugt, den dir dein Heiland als deinen Vater im Himmel offenbart hat? Der Sünder freilich scheut den Gedanken an Gott, denn er wird ihm sogleich zum Gericht; der Selbstsüchtige denkt immer nur an sich; der Leichtsinnige vergisst über dem Geschaffenen den Schöpfer, über dem Genuss der Güter dieser Welt den Geber aller guten und vollkommenen Gabe; die Toren sprechen wohl gar in ihrem Herzen: Es ist kein Gott! Aber der Psalm hat auch recht, wenn er hinzufügt: sie taugen nichts, sie sind ein Gräuel geworden in ihrem bösen Wesen, da ist keiner der Gutes tut! - Aber sollte unter denen, die durch Gottes Gnade zum Bekenntnisse des Evangeliums von Jesu Christo berufen sind, solche Verblendung dauernd stattfinden können? Sind sie nicht vorzugsweise veranlasst, Gott stets vor Augen und im Herzen zu haben? Und muss denn jeder Gedanke an ihn nicht auch zugleich die Verpflichtung gegen ihn uns zum Bewusstsein bringen? Bedingt nicht jede Gabe einen Dank dafür, und ist es nicht deutlich und laut ausgesprochen, dass durch das größte Gnadengeschenk Gottes an die Menschen, durch die Sendung Jesu, er sie sich zum Eigentum, zu seinen Kindern erkaufen wollte, die da reich wären an guten Werken? Kann darin wohl von diesen jemals die Frage vergessen werden: Wie stehen wir zu unserem Gott? - Lasst uns denn prüfen, wie wohl die Antwort auf diese Frage ausfallen kann. Setzen wir den günstigsten Fall: Nehmen wir an, dass Jemand auf diese Frage antworten könnte: Ich denke stets an Gott, ich habe sein Gebot vor Augen; ich bemühe mich redlich nach diesem Gebote meine Handlungsweise zu bestimmen. Wird er sich aber auch wohl mit Recht sagen können, dass dies Bemühen ihm jederzeit gelungen sei? dass wirklich in dem wechselnden, zerstreuenden Treiben der Welt niemals der Gedanke an Gott ihm entschwunden sei? dass seine Sinnlichkeit, seine Begehrlichkeit ihn nie bestochen? dass in Not und Gefahr er in dem Gottvertrauen nie wankend, in der Liebe gegenüber der Unwürdigkeit und dem Undanke der Menschen nie schwach geworden? dass ihn seine Erkenntnis in dem, was Gottes Wille sei, nie irre geführt, dass er nicht nur jede Anregung zum Verbotenen freudig überwunden, sondern auch von dem Gebotenen nicht unterlassen, ja dass er keine Gelegenheit versäumt habe, seine ihm verliehene Kraft nach Gottes Willen anzuwenden? Ja, der wäre selig, der Solches von sich aussagen könnte! Aber glaubt ihr wirklich, Geliebte, dass es einen solchen gibt? Nein, und wenn wir den höchsten Ruhm uns beilegen wollen, dass wir das Wollen des Guten haben, so müssen wir doch immer hinzufügen das Vollbringen finden wir nicht! - Und das ist der günstigste Fall - wie oft wird er sich wohl vorfinden? Ach, wir wissen nicht, wie oft wir fehlen; sind wir wahrhaft fromm, so gibt es für uns kein anderes Flehen, mit welchem wir vor den himmlischen Vater treten können, als das Gebet: Gott, sei mir Sünder gnädig!

Das empfand der Zöllner in seiner Demut. Er fühlte, dass er sich vor Gott nicht rühmen könne, dass es ihm nicht gelingen werde, sich und sein Leben vor ihm zu rechtfertigen. Er fühlte den Schmerz der Reue und heiße Sehnsucht nach Gottes Gnade. Dass mit ihrer Wiederkehr auch alles Gute ihm in Zeit und Ewigkeit zu Teil werden, dass dann auch das scheinbar Böse ihm zum Heil gereichen müsse, daran zweifelte er nicht, und so strömten alle seine Empfindungen zusammen, so sprach sich sein ganzes Herz aus in der einen Bitte: Gott, sei mir Sünder gnädig! Sie war bei ihm das demütige Bekenntnis eines wahrhaft frommen, Gott liebenden Herzens, und, wie der Heiland versichert, dass es Gott gnädig aufgenommen, so macht es den, der es aussprach, auch unserer Teilnahme und unserer Achtung würdig. -

Darum, meine Geliebten, sei solches Gebet auch für uns das Vorbild. Auch wir werden durch reumütiges Bekenntnis unserer Schuld vor Gott und Menschen mehr gewinnen, als durch den unmöglich gelingenden Versuch, uns und unser Leben zu rechtfertigen, oder gar durch eitle Selbstüberhebung. Freilich, das Bekenntnis der Sünden ist immerdar ein schmerzliches. Wir waren nicht, wie wir sein sollten! Unser Streben nach der Gerechtigkeit ist ein erfolgloses gewesen! Wen sollte das nicht bekümmern, der nach der Liebe Gottes, nach dem Frieden des Gewissens, nach Hoffnung für die Ewigkeit sich sehnet? Aber jene Traurigkeit, welche der Reue entspringt, nennt selbst Paulus eine göttliche, die Niemand gereue, denn sie ist es ja zugleich, welche zum fortdauernden Trachten nach dem Reiche Gottes immer neue Anregung gibt, durch welche uns der Trieb erhalten wird, unaufhörlich fortzuwirken, fortzuarbeiten an der Heiligung unseres ganzen Wesens, welche uns die früher geübte und geliebte Sünde verleidet, und dadurch unsere Erhebung über dieselbe, und unsere Gottseligkeit fördert. - Darum ist jene Bitte: Gott sei mir Sünder gnädig! zugleich auch eine hoffnungsreiche, denn Jesus versichert uns ja, dass sie keine vergebliche sein solle für den, der in rechtem Ernste sie an Gott richtet, da er ja gnädig und barmherzig ist, und die Vergebung der Sünden hat predigen lassen aller Welt in seinem Evangelio! Es wird und muss uns ja mit dem rechten Ernste gelingen, der Sünde mehr und mehr Herr zu werden, und dadurch zu immer freudigerer Zuversicht auf Gottes Gnade zu gelangen, deren - wenn wir sie auch nie zu verdienen vermögen, wir uns doch würdig machen können durch rechtschaffene Buße! Darum, meine Geliebten, wollen wir uns solches Bekenntnisses nicht schämen, wollen vielmehr seine ganze Bedeutung recht von Herzen empfinden. Es ist der notwendige, der natürliche Ausdruck des christlich frommen, nach Gott und seinem Heil sich sehnenden Herzens, und wenn auch mit Schmerz über uns, so doch mit Hoffnung auf Gott lasst uns immerdar beten: Gott sei uns Sündern gnädig! Allein es erscheint dies Gebet in unserer Zeit auch oft in jenem missbräuchlichen Sinne, den wir aus den Worten des Pharisäers im Evangelio hervorleuchten sehen, und dann wird es, gleich seiner Rede, vor Gott und Menschen verwerflich. - Das ist leider! eine unbestreitbare Erfahrung, von der wir Warnung hernehmen sollen, denn wirklich erscheint in solchem Gebete zuweilen auch

2) Der hochmütige Ausdruck eines krankhaft frömmelnden Gemütes.

Es klingt nach dem bloßen Wortlaute wie ein Widerspruch und fast unglaublich, dass in dem Gebete: Gott sei mir Sünder gnädig, also in den, Bekenntnisse der eigenen Verderbtheit sich eine Äußerung des Hochmutes kund geben könnte. Aber es ist so, und eine kurze Vergleichung der jüdischen und der christlichen Religionsansicht wird es uns lehren, dass es, missbräuchlich angewandt, ganz denselben Sinn ausdrücken kann, in welchem der Pharisäer sprach: Ich danke dir Gott, dass ich nicht bin, wie andere Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner, und dann seine vermeintlichen Verdienste aufzählte. - Die Religion des Moses war der Kindheitsperiode des menschlichen Geschlechtes angemessen. Sie gab ein Gesetz; sie setzte das Wesen der Frömmigkeit vor Allem in äußere Werkheiligkeit; nach ihr war, besonders in der Auffassung der Pharisäer, derjenige gerecht vor Gott, und genügte seiner ganzen Pflicht gegen ihn, der das Gesetz in allen seinen Teilen erfüllte. Das glaubte der Pharisäer im Evangelio getan zu haben, und darum meint er sich vor Gott und im Vergleiche mit andern Menschen rühmen zu können. Er übersah dabei, dass auch nach der tiefem Absicht des Gesetzes jene äußern Werke nur in demselben Maße Wert vor Gott haben können, als sie aus sorglicher Gewissenstreue, aus Liebe zu ihm hervorgehen, oder als sie zu ihm hinführen, und für die Schwachen ein wenigstens äußeres Band des Gewissens sind; er zeigt uns dabei vorbildlich die Gefahr aller solcher religiöser Richtungen, welche sich an irgendwelche Satzungen binden, indem sie gewöhnlich die sittliche Aufmerksamkeit der Menschen nur auf diese hin, und von der Heiligung der Herzen ablenken. Solcher Satzungsgerechtigkeit stellte sich nun die Lehre Jesu gegenüber. Gott ist ein Geist, spricht der Heiland, und die ihn anbeten, müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten. Dass Niemand seiner Aufgabe vollständig genüge, erklärt er in den Worten: Niemand ist gut, denn der einige Gott, und Paulus führt auf das Eifrigste aus, dass nicht aus solchen äußern Werken des Gesetzes die Seligkeit der Menschen hervorgehe, sondern aus dem Glauben, aus der Herzenstreue gegen Gott; dass Niemand gerecht sei vor Gott, so wie dass alles sittliche Weiterstreben von der Erkenntnis und dem Bekenntnisse der Sündhaftigkeit ausgehen müsse, weil durch dies allein das Streben nach der Heiligung erweckt und lebendig erhalten werden könne. - So wahr und richtig nun dies Alles ist, so widerlich verzerrt erscheint es, wenn sich frömmelnde Übertreibung desselben bemächtigt. Solches ist nicht ausgeblieben, und man hat oft gemeint, um so christlicher zu sein, je mehr man die Menschen als von Grund auf schlecht, zu allem Guten unfähig darstelle. Es gibt jetzt noch Solche, die nicht christlicher sein zu können meinen, als wenn sie in trübseliger Kopfhängerei die Welt und ihre Sünde recht laut beseufzen, sie als eitel Satans Reich und Werk bezeichnen, über das Verderben der Ungläubigen und Weltkinder klagen, welche nicht den rechten Glauben haben, darum auch ewig verloren sind, während sie, die Gotterwählten, bei denen der Geist und die Gnade zum Durchbruche gekommen, ihres Heiles gewiss seien. - Seht ihr, Geliebte, da kommt der Pharisäer hervor; da seht ihr die Leute, welche sich selbst vermessen, dass sie fromm sind und verachten die Anderen; da hört ihr den Gedanken durchklingen: Ich danke dir Gott, dass ich nicht bin wie andere Leute! Da dünken sie bei dem Gebete: Gott sei mir Sünder gnädig, sich viel besser, als die Anderen, denen sie wohl gar fälschlich andichten, als erkennten sie ihre Sündhaftigkeit gar nicht an, als hätten sie von dem Glauben an Jesum sich losgemacht, als trachteten sie nicht nach ihrer Heiligung, als wäre Gottes Gnade nicht das höchste Ziel auch ihrer Sehnsucht. Wie demütig das Zöllner-Gebet auch klingt: verbindet sich mit demselben ein geringschätziger Seitenblick auf Andere, so ist es ein pharisäisch-hochmütiges, in dem es sich vor Gott eitel zu erheben trachtet und Andere herabsetzt. - Dass nun ein solches Gebet vor Gott keinen Wert haben kann, bedarf wohl keiner weiteren Ausführung. Es fehlt ihm ja die Demut, denn es geht ja darauf aus sich über Andere zu stellen, darum hat es auch keine anregende Kraft zur Besserung; ja es fehlt ihm jede Berechtigung, denn man kann dem so Urteilenden wohl mit Recht zurufen: Wer bist du, dass du einen fremden Knecht richtest? Fällt's dir schon so schwer, dich selbst recht zu erkennen, weil deine Eigenliebe dich täuscht, obgleich du in dein eigenes Herz schauen kannst, um wie viel weniger wird es dir gelingen, deinen Bruder unparteiisch zu beurteilen, bei welchem du erst von dem Äußern auf das Innere schließen musst, wozu dir gewiss oft die ausreichende Befähigung fehlt! - Darum, Geliebte, wollen wir solche krankhafte Frömmelei von uns und unserer Gemeinde fern halten. Wie weit sie sich auch in neuerer Zeit verbreiten, wie viele Gunst sie auch hie und da, selbst bei den Mächtigen der Erde finden, wie Mancher sie auch als eine Modekrankheit mit machen mag, in ihr ist ein gesundes christliches Leben nicht zu erkennen. Zwängt man der Pflanze Blatt und Wurzel ein, so kann sie ja weder vollkommene Blüte noch gesunde Frucht tragen: so sind auch solche krankhaften Erscheinungen im religiösen Leben größtenteils nur Folge des unnatürlichen Zwanges, den man hie und da dem Evangelium antut, um es in seiner naturgemäßen Fortentwickelung zu hemmen. Vergebliches Bemühen! Seine Gotteskraft sprengt doch die Bande der Menschensatzung, mit welcher man es wieder umgeben möchte, und wo sein Geist frei waltet, da muss der krankhafte Hochmut verschwinden, der selbst bei dem Bekenntnisse seiner Sünde sich eitel über Andere stellt; da wird aber die wahre Frömmigkeit immer allgemeiner werden, die in Demut ihre Schuld bekennet: Gott sei uns Sündern gnädig.

Soll ich euch, Christen, noch auf eine Anwendung dieses Wortes aufmerksam machen? Ach, man vernimmt sie auch oft

3) als den Schreckensschrei des erwachenden Gewissens!

Es wandeln ja so Manche in Sicherheit dahin, und denken nicht der Pflicht, die sie zu erfüllen, der Rechenschaft, die sie von ihrem Tun dereinst zu geben haben. Ihr sinnliches Verlangen ist es allein, was ihre Handlungsweise bestimmt. Warum, so meinen sie, sollten sie denn ihrer Herzensneigung Zwang antun, und sich im schweren Kampfe gegen sie abmühen? Das Leben ist ja so kurz, man muss es genießen! Es blühen der Blumen so viele am Wege, man muss sie pflücken! Ob Andere darüber klagen, ob ihr Glück zertreten, ihr Friede gestört wird, wer wird sich darum kümmern! Aber das Sittengesetz! „Ach das ist eine Erdichtung“! Aber das Gewissen? „Ach das ist ein Gespenst für die Einfältigen“! Aber Gott und sein Gericht? „Ach wer weiß, ob es so etwas gibt, und dann ists noch lange hin, und wird so schlimm nicht werden!“ - So, Geliebte, gehen Viele hin in falscher Sicherheit, in selbstverschuldeter Verblendung; gehen hin, so lange es eben geht. - Da kommt der Herr und rührt sie an mit seinem Richterarme. Da heißt es plötzlich: du sollst sterben! Tue Rechnung von deinem Haushalten! Da schwindet dann mit einem Schlage die Täuschung; das ganze Leben stellt sich als ein verfehltes dar, das Gewissen spricht laut seine Strafurteile, gleich einem drohenden Gespenste steht die Erinnerung an die begangenen Sünden da, erscheinen die bleichen Gestalten der Opfer der Wollust, der Ungerechtigkeit vor der Seele, und zu dem so lange verhöhnten Richter erhebt sich nun der Angstruf: Gott sei mir Sünder gnädig! und erschallt um so banger, als ihm nach so langer Verachtung der göttlichen Gnade zuerst sogar noch die Hoffnung seiner Erhörung fehlt! -

Bewahre uns Gott Alle, meine Geliebten, dass nicht Einem unter uns einstmals ein solches Erwachen aus dem Sündenschlafe vorbehalten sei! Ach, ich habe schon Menschen auf dem Sterbebette gesehen, die in gleicher Pein seufzten nach einem Worte des Trostes, nach einem Schimmer von Hoffnung: ein erschütternder Anblick! Und doch ist er noch erträglicher, als wenn die Verstockung auch im Angesichte des Todes noch fortdauert, denn jedenfalls tritt doch unsere Seele in dem Zustande, wie sie von hier scheidet, in die andere Welt ein, und jedenfalls ist es doch besser, dass sie mit der Erkenntnis der Sünde, mit der Sehnsucht nach Gottes Gnade, als ohne diese hinüber geht; jedenfalls darf auch diesem letzten Angstrufe die Möglichkeit der Erhörung noch nicht abgesprochen werden, da Gottes Gnade ja so unendlich ist, und Jesus selbst für den Sünder am Kreuze noch eine Verheißung der Barmherzigkeit hatte.

Wollen wir jenen Schrecken entgehen, Geliebte, so lasst uns die Mahnung des weisen Sirach befolgen: Spare deine Buße nicht, bis du krank wirst, verziehe mit der Besserung deines Lebens nicht bis an den Tod! Nur wenn ein Mensch von Neuem geboren wird, kann er nach der Lehre Jesu in das Himmelreich kommen. Solche Wiedergeburt im heiligen Geiste muss aber eine tägliche sein, ein stetes sich Entwinden und Niederkämpfen des Bösen, ein stetes Wachsen in der christlichen Vollkommenheit. Eine unausgesetzte Selbstprüfung, ein bereitwilliges Erkennen unserer Schwächen und Sünden, ein tägliches, demütiges Anrufen der göttlichen Gnade wirkt den Geist der Heiligung, der der Christen ganzes Leben durchdringen und beherrschen soll, in welchem er dem jenseitigen Reiche des Heilandes entgegenreift, und durch welchen er bewahrt bleibt vor den Schrecken, mit denen das Erwachen eines bisher eingeschläferten und betäubten Gewissens verbunden ist. Lasst uns beherzigen den Ausspruch des Paulus: Verachtest du den Reichtum der Güte, Geduld und Langmütigkeit Gottes? Weißt du nicht, dass Gottes Gnade dich zur Buße leitet? Ja, er hat Geduld mit uns, er schenkt uns einen neuen Tag nach dem andern, und an jedem bezeugt er sich uns und lässt uns viel Gutes geschehen. Lasst uns dies Zeugnis von ihm nicht verkennen, unser Herz nicht verschließen vor den Gefühlen der Dankbarkeit gegen ihn. Hegen wir diese, so wird sich auch das Herz zu Gott hinwenden; wir können ihm ja unseren Dank nicht anders abstatten, als wenn wir ihm unser Herz schenken, und widmen wir es ihm, so haben wir ja selbst den reichsten Segen davon, so sind wir ja schon hier in ihm selig!

Lasst uns denn wachen und beten, dass nimmer unser Herz sich in irgend einer Sünde verhärte, lasst uns täglich arbeiten an unserer Besserung; dann wird das Gebet: Gott sei mir Sünder gnädig! nicht einst als Schreckensruf des erwachenden Gewissens von unseren Lippen erklingen; dann wird sich hinter demselben nie ein durch nichts gerechtfertigter Hochmut verbergen, sondern es wird stets in unserem Munde ein demütiges Bekenntnis sein, in welchem sich unsere Reue, unsere Sehnsucht nach, unsere Hoffnung auf Gottes Gnade ausspricht; dann wird es auch die Wirkung haben unser Herz zu bessern, und uns der Gnade Gottes würdiger zu machen.

Ach Herr! solches Gebet erhöre uns! Amen.

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