Kleinschmidt, Friedrich Emanuel - Der Brief an die Römer - Röm. 3, 9-30.
Zu Anfang des dritten Kapitels hatte der Apostel gezeigt, dass die Juden allerdings einen äußeren Vorzug vor den Heiden hätten, z. B. dass ihnen das Wort Gottes anvertraut sei, nämlich die Offenbarungen des Herrn. Dabei aber bleibe wahr - fährt er fort - dass zwischen ihnen und den Heiden kein Unterschied sei, was die Würdigkeit zum Eintritt in das Reich Gottes betreffe. Indem er sich selbst mit einbegreift unter die Juden, schreibt er: Was sagen wir denn nun? Haben wir einen Vorteil (V. 9)? Werden wir vorgezogen? Nicht in allen Stücken; denn wir haben droben bewiesen, dass beides, Juden und Griechen, alle unter der Sünde sind. Auf Tatsachen gestützt, hatte Paulus auf diese traurige Wahrheit hingewiesen, um zu zeigen, dass bei keinem Menschen, weder bei Heiden noch bei Juden von einer Gott genügenden, eignen Gerechtigkeit die Rede sein könne. Dies beweist er nun noch von den Juden durch Berufung auf die Schriften des Alten Testaments, dessen Vorwürfe ja selbstverständlich an die Juden gerichtet seien (V. 19). Die Worte, die er anführt (V. 10-18), finden sich in folgenden Stellen des Alten Testaments, wenn auch nicht immer genau mit unsern Übersetzungen übereinstimmend: V. 10 bis 12, s. Ps. 14, 1-3; V. 13 s. Ps. 5, 10 und Ps. 140, 4; V. 14 5. Ps. 10, 7; V. 15-17 s. Jes. 59, 7.; V. 18 f. Ps. 36, 2. Wir wissen aber, sagt der Apostel, dass, was das Gesetz sagt, unter Gesetz hier das ganze Alte Testament verstanden - das sagt es denen, die unter dem Gesetz sind (V. 19), nämlich den Juden, auf dass aller Mund verstopft werde, und alle Welt Gott schuldig sei. Es ist nicht bloß die Rede davon, dass Heiden und Juden Gottes Gebote übertreten, es wird auch nicht bloß auf das hingewiesen, was selbst die meisten Heiden zugeben, dass ihnen ihr Gewissen darüber Vorwürfe macht, es wird darauf hingewiesen, wer es ist, der in diesem Gewissen strafend und zürnend zu uns redet, nämlich niemand anders als Gott, vor dem wir schuldig sind, d. h. der Strafe verfallen; dass aber unser Verklagtsein bei Gott von ihm nicht unbeachtet geblieben ist, sehen wir daraus, dass vom Himmel herab Gottes Zorn offenbart wird über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen, wir sehen es an dem Unfrieden, der Angst, wie dieselben in unsern Herzen wohnen, ehe uns Vergebung der Sünden im Namen Jesu zuteil geworden ist, wir sehen es an den Leiden die wir zu tragen haben, und an dem Tode, dem wir entgegengehen. Das kommt aber davon her, weil kein Fleisch durch des Gesetzes Werke vor Gott gerecht sein mag (V. 20); Gott verlangt vollkommenes Halten desselben, nicht bloß äußerlich, sondern auch im Innersten des Herzens, denn so jemand das ganze Gesetz hält und sündigt an einem, der ist es ganz schuldig (Jak. 2, 10). Das Gesetz ist uns nicht gegeben, um dadurch gerecht zu werden, denn dann müssten wir es halten können, wovon aber die Erfahrung uns allen das Gegenteil beweist; durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde, es zeigt uns unsre Übertretungen der Gebote Gottes, so dass ein demütiger Mann sich als Sünder erkennt und nach Gnade bei Gott, nach Vergebung seiner Sünden begierig wird. Man hat dem Grafen von Zinzendorf und der ganzen Brüdergemeine vorgeworfen, dass sie dies Wort des Apostels: Durch das Gesetz. kommt Erkenntnis der Sünde, leugne, und was Zinzendorf betrifft, so ist, da er alles auf die Spitze zu treiben pflegte, der Vorwurf nicht ganz unverdient, und hat darum auch die Brüdergemeine selbst getroffen, die seinen Fußstapfen folgte. Zinzendorf singt in einem bekannten Liede: Dass das der Gnade ihr rechter Gang, dass man Erkenntnis der Sünd' empfang' aus dem Tode Jesu (Brüderges. 2, 6); dies stimmt auch mit den Worten unsers Heilandes, dass man in seinem Namen Buße, d. h. unter andern Erkenntnis der Sünde predigen solle (Luk. 24, 47); das haben auch die Apostel getan, wie wir das in der Apostelgeschichte sehen, ja der Apostel Paulus hat das selbst getan, indem er die Juden darauf hinwies, dass sie Pilatus gebeten hätten, Jesum zu töten (Apg. 13, 28). Dies widersprach aber nicht dem Ausspruch des Apostels, dass das Gesetz zur Erkenntnis der Sünde gegeben ist, denn das Töten ist ja eine Übertretung des Gesetzes, das uns eben dann als eine besonders große Sünde erscheint, wenn man uns darauf hinweist, dass wir den Tod Christi mit verschuldet haben. Die Übertreibung Zinzendorfs bestand aber darin, dass es in jenem Liede ursprünglich heißt: Dass das Gesetz nicht genug zu entfernen aus unsrer Lehre. Wenn auch die Buße, die aus der Predigt vom Tode Jesu kommt, am tiefsten greift, und den Trost aus dem Tode Jesu gleich mit sich führt, so ist es doch nicht verwehrt, ebenfalls nach dem Beispiel desselben Apostels, dem leichtsinnigen Sünder zu reden von der Gerechtigkeit, der Keuschheit und dem Gericht (Apg. 24, 25), zumal da die Erfahrung lehrt, dass bei den meisten Sündern der Kummer über die Seligkeit dadurch angeregt wird, dass sie ihre Übertretungen der Gebote Gottes mit Entsetzen inne werden. Es bleibt darum in jedem Fall wahr: Durch das Gesetz kommt Erkenntnis der Sünden. Da also durch das Gesetz keine Gerechtigkeit zustande gebracht werden kann, die vor Gott untadelig wäre, ohne Gerechtigkeit man aber vor Gott nicht bestehen, und also auch nicht selig werden kann, so fragt es sich, wie wir denn zu einer wahren, unbefleckten Gerechtigkeit kommen? Dies zeigt nun der Apostel im weiteren Verlauf seiner Rede. Nun aber, heißt es (V. 21), ist ohne Zutun des Gesetzes, ohne dass es etwas mit dazu beiträgt, die Gerechtigkeit Gottes offenbart und bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Diese neue Art von Gerechtigkeit, nicht der Menschen, wie Menschen sie zustande bringen, sondern Gottes, wie Gott sie zustande bringt, die bis daher unbekannt war, ist nun offenbart, und das Gesetz und die Propheten weisen schon darauf hin. Nämlich die Gerechtigkeit Gottes (V. 22), die da kommt durch den Glauben an Jesum Christ, den König des Himmelreichs, zu allen und auf alle, die da glauben. Wer sein Vertrauen auf Jesum den Christ setzt, dem wird diese neue Gerechtigkeit zuteil, sie kommt zu allen, die da glauben, dringt gleichsam in ihr Herz hinein und bringt ihnen Frieden, sie kommt auch auf alle, die da glauben, sie schwebet gleichsam über ihnen, und schützt sie vor dem Zorne Gottes. Diese Gerechtigkeit wird allen zuteil, sobald sie nur glauben, nicht etwa bloß den Juden, oder bloß den Heiden, denn es ist hier kein Unterschied (V. 23), sie sind allzumal Sünder und ermangeln des Ruhmes Gottes, d. h. des Ruhmes, den Gott gibt (Joh. 5, 44 und 12, 43), indem er uns verherrlicht (Kap. 5, 2). Dass wir allzumal Sünder sind, Heiden sowohl als Juden, hatte der Apostel bewiesen, um daraus die Notwendigkeit einer neuen Art Gerechtigkeit zu folgern; dass wir allzumal Sünder sind, also kein einziger von uns ausgenommen, ist gar sehr beschämend, aber nur zu wahr, wie ein jeder von uns bekennen muss, wenn er seinen eigenen Wandel und sein eigenes Herz demütig und aufrichtig betrachtet. Sünder, Übertreter der Gebote Gottes sind wir, und können daher auf keine Anerkennung, keine Ehre, keinen Ruhm Seiten Gottes Anspruch machen, das geht uns allen ab, darin kommen wir alle zu kurz und müssen also verstoßen werden, verloren gehen, wenn uns Gott nicht durch eine neue Art Gerechtigkeit in den Stand setzte, dem Zorn zu entgehen. Wir werden nämlich ohne Verdienst, umsonst, geschenksweise gerecht aus seiner Gnade, durch die Erlösung, so durch den Christ, den gesalbten König, Jesus geschehen ist (V. 24). Diese, sowie die folgenden wichtigen Worte kann man, zum Trost für Sünder, nicht genau genug betrachten. Wenn wir also auf Jesum vertrauen, nicht eher, so werden wir geschenksweise, also ohne eigenes Verdienen und Erarbeiten, gerechtfertigt (Grundtext), es wird uns die neue Gerechtigkeit, die Gerechtigkeit Gottes, zugeworfen, wir brauchen nur da zu stehen, unser Vertrauen auf Christum zu setzen, bis das geschieht. Diese Gerechtigkeit wird uns aber ohne Lohn, ohne Arbeit, ohne Bezahlung, denn was könnten wir Sünder arbeiten und was könnten wir bezahlen? - geschenksweise zugeworfen durch seine, nämlich Gottes Gnade. Gnade ist aber eine Liebe, die sich zu Niedrigstehenden, zu Unwürdigen herablässt, beides aber sind wir sündigen Leute, die der heilige, unbefleckte Gott, in dem keine Finsternis ist (1 Joh. 1, 5), dennoch lieb hat. Wie aber der Heilige in den Stand gesetzt worden ist, unheiligen Sündern diese Liebe tatsächlich zu beweisen, und ihnen, damit sie vor ihm bestehen könnten, eine neue, nicht menschliche Art von Gerechtigkeit zu schenken, das zeigt uns der Apostel in den folgenden Worten. Wir werden gerechtfertigt durch die Erlösung, so durch Christum Jesum geschehen ist. Christus Jesus ist uns von Gott gemacht worden zur Erlösung (1 Kor. 1, 30), in ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden (Eph. 1, 7); er hat sein Leben gegeben zu einem Lösegeld für viele. Alle diese Aussprüche der Schrift weisen uns darauf hin, dass Christus Jesus für uns bezahlt hat, was wir nicht bezahlen konnten, dass er uns losgekauft hat von dem Elend und der Strafe der Sünde, so dass uns nun, nachdem die Bezahlung geschehen ist, die Gerechtigkeit Gottes, d. h. wie wir nachher sehen werden, Vergebung der Sünden umsonst geschenkt werden kann. Worin diese Erlösung besteht, finden wir in den folgenden Worten ausgesprochen, in denen es, nach etwas genauerer Übersetzung heißt: Gott hat Jesum vorgestellt zu einer Versöhnung oder Sühnopfer in seinem Blut durch den Glauben. Ein Sühnopfer heißt hier Christus, wie er auch sonst in der Schrift als ein Opfer bezeichnet wird (Eph. 5, 2; 1 Kor. 5, 7; Hebr. 9, 28), oder Ausdrücke auf ihn angewendet werden, die auf ein Sühnopfer hindeuten, wenn er das Lamm Gottes heißt, oder sonst von dem die Rede ist, dass er Gott dargebracht wird (Joh. 1, 29; 1 Petr. 1, 19; Hebr. 9, 14). Die Bedeutung des Sühnopfers, welches Christus ist in seinem Blute, in welchem sein Leben war, ist Versöhnung mit Gott, d. h. gleichsam Beschwichtigung seines heiligen Zorneseifers gegen die Sünde. Deswegen heißt es wiederholt im Alten Testament vom Opfer, dass es ist ein Feuer zum süßen Geruch dem Herrn (3 Mos. 1, 9. 13. 17), und von Christus schreibt Paulus: Dass er sich dargegeben hat für uns zur Gabe und Opfer, Gott zu einem süßen Geruch (Eph. 5, 2). Dabei müssen wir aber nicht der, mindestens sonderbaren Vorstellung folgen, als ob Gott, unser Vater im Himmel, ein Gott ohne Liebe sei, den sein Sohn Jesus Christus gleichsam habe gut machen müssen, denn der Grund von dem Sühnopfer Christi ist ja die Gnade, die herablassende Liebe Gottes gegen Sünder (V. 24), es ist Gott selbst, welcher Jesum vorgestellt hat zu einem Sühnopfer in seinem Blut, damit wir durch den Glauben an dies Opfer zu Gott tretend, die Gerechtigkeit Gottes umsonst geschenkt bekommen. Das Hindernis, uns zu rechtfertigen (das die Heiligkeit Gottes ihm bereitete), hat er selbst durch das Sühnopfer Christi entfernt; es ist also hier kein Widerspruch mit dem bekannten schönen Wort: Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. Gott hat Christum vorgestellt zu einem Sühnopfer, zum Erweise seiner Gerechtigkeit (V. 25 gegen Luther) d. h. um zu beweisen, dass er dennoch ein gerechter Richter ist; ein Erweis und Beweis, der nötig war, wegen des Übersetzens, der früher, vor dem Tode Christi geschehenen Sünden, unter der Nachsicht oder der Geduld Gottes (V. 25). Um die wichtige Wahrheit noch anders auszusprechen: Gott hatte die vorher geschehenen Sünden dahinten gelassen (richtiger als: vergeben), und nicht gestraft, er hatte sie mit Geduld getragen, seine Langmut über dieselben walten lassen, aber nicht, damit seine Gerechtigkeit, welche die Sünde straft, gleichsam zu kurz käme, und sich gar nicht als solche erweise, sondern damit es zu dieser Zeit, d. h. zur Zeit des Todes Christi, seine strafende Gerechtigkeit erweise (gegen Luther), damit er selbst gerecht sei (V. 26), als Richter, der die Strafe der Sünde auf das Sühnopfer, Christum, legt, und zugleich als liebender Gott den rechtfertigt, der des Glaubens an Christum ist, d. h. den, der, obgleich er sich selbst als Sünder und als sündig kennt, dennoch sein Vertrauen auf Christum setzt. Man hat diese Worte des Apostels, Röm. 3, 21-26 die feste Burg der Reformation genannt, und der Schreiber dieses hat gelehrte Aufsätze, sowohl in deutscher als in holländischer1) Sprache gelesen, die mit Hilfe der Regeln der griechischen Sprache zu zeigen gesucht haben, dass die Reformatoren im Wesentlichen falsch übersetzt hätten; aber obgleich das Evangelium von der Versöhnung keineswegs nur auf dieser Bibelstelle ruht, so bemerke ich, dass ich beim Übersetzen dieser Stelle nicht bloß meiner Kenntnis der griechischen Sprache gefolgt bin, sondern der Erklärung eines ungläubigen, großen Schriftgelehrten, der aber ein wahrheitsliebender Mann war. - Wo, so fährt der Apostel fort (V. 27), bleibt nun das Rühmen des sündigen Menschen, wenn er selig wird? Es ist aus damit. Durch welches Gesetz, d. h. durch welche Regel, wonach man selig wird? durch der Werke Gesetz? Nicht also, sondern durch des Glaubens Gesetz; nach der Regel, dass man aus dem Glauben und nicht aus den Werken gerechtfertigt wird. Wenn's vom vollkommenen Halten des Gesetzes abhinge, so könnten ja nur die Juden selig werden, da sie allein das ganze Gesetz Gottes haben, was V. 29 und 30 weiter ausführt. So halten wir nun heißt es aber erst V. 28 dass der Mensch gerechtfertigt werde durch den Glauben, unabhängig von den Werken, die das Gesetz vorschreibt (nach dem Grundtext. Luther hat bekanntlich in seinem Eifer das Wort „allein“ hinzugesetzt). Oder ist Gott allein der Juden Gott, die allein das Gesetz haben (V. 29)? ist er nicht auch der Heiden Gott? Ja freilich auch der Heiden Gott. Sintemal es ist ein einiger Gott (V. 30), der da gerecht macht die Beschneidung aus dem Glauben, ohne auf alle ihre großen Gesetzeswerke zu sehen, die sie etwa dabei haben könnten, und die Heiden durch den Glauben allein, ohne auf alle ihre großen Sünden zu sehen, die sie etwa dabei haben könnten. Den Trost dieses Evangeliums wollen wir uns von niemand rauben lassen.