Kähler, Carl Nikolaus - Moses in Christo - V. Die Bergpredigt.
Gnade sei mit euch, und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesu Christo. Amen.
Ich habe oft im Stillen gefragt, wenn ich Männer und Frauen sah, die sich gerne mit ihrem leiblichen Angesicht vor einen Spiegel stellten: sollten diese wohl auf die Gestalt ihrer Seele ebenso sehr wie auf die Gestalt ihres Körpers halten? Denn das sollt ihr wissen, liebe Christen, wenn wir eines leiblichen Spiegels bedürfen, so bedürfen wir noch vielmehr eines geistlichen Spiegels und müssen denselben immer zur Hand haben und täglich wenigstens einmal hineinblicken. Gott hat dir einen solchen Spiegel gegeben, es ist das Wort Gottes, wer das hört oder liest, der ist gleich einem Manne, der sein leibliches Angesicht im Spiegel sieht. Nimm z. B. die zehn Gebote. Sie sind gleichsam zehn Lehrmeister, die zwar alle Einen Weg zeigen, aber jeder zeigt uns ein besonderes Stück dieses Weges. Zugleich sind sie wie zehn Examinatoren, die mit hundert Fragen in uns dringen und uns in die Enge treiben, so dass wir beschämt die Augen niederschlagen und die Stimme verlieren müssen. Das eine fragt nach unserer Gottesfurcht, unserer Gottesliebe, unserem Gottvertrauen, und zeigt uns tausend Tage, wo es uns daran gefehlt. Ein zweites legt uns ein Buch vor, worin alle unsere Worte geschrieben stehen, die wir geredet haben bis auf diesen Tag, und spricht: Leset! Aber wir können kein einziges Blatt lesen in dem großen Buche, wo wir nicht unnütze oder wohl gar schandbare Worte fänden. Es ist ein Buch, welches uns den Missbrauch des Namens Gottes in Beispielen zeigt. Ein drittes Gebot forschet, was uns bisher der Feiertag war, den wir heilig halten, was Gottes Wort, das wir gerne hören und lernen sollen. Kurz, die zehn Gebote sind ein Spiegel unsers Herzens und Lebens. Nun geht ins Neue Testament hinein, so zeigt sich, dass das ganze Evangelium ein solcher Spiegel ist. Es hält uns die großen Taten der Liebe Gottes vor, und unter diesen Taten ist keine einzige, sei es die Geburt oder der Tod oder
die Auferstehung Christi oder was es sonst sei, die nicht um unserer Sünden willen vollbracht wäre, die uns nicht beschämte, teils durch die Hinweisung auf unsere Sünde, teils durch die Hinweisung auf die Liebe Gottes, die noch viel größer ist. Das Evangelium ist ein Spiegel unseres Herzens. Aber in dem großen Evangelio finden wir wieder eine Menge kleiner Evangelien, die als solche Spiegel zu betrachten und zu gebrauchen sind. So das Wort Pauli Galater 6: Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit; ein herrlicher Spiegel, oder vielmehr neun in Einem, worin wir, wenn wir hineinblicken, unser Herz und Leben als einen Baum erblicken, der faule Früchte trägt. Soll ich euch noch einen andern Spiegel zeigen? Ich zeige euch die acht Seligpreisungen, Mätthäi 5, und habe sie euch oft schon in der Beichte vorgehalten als einen Spiegel eures geistlichen Angesichts. Und das eben ist es, was die Einleitung in die heutige Predigt euch lehren sollte, nämlich dass ihr diese Seligpreisungen als einen Spiegel betrachten und ihn immer bei euch führen solltet - wie leicht lassen sich diese Verse auswendig lernen! - damit ihr vor diesem Spiegel euch oft beschauen könnt. Auch in diesem Betracht müssen euch die Predigten über jenen Text willkommen sein. Hört ihn nun von Neuem verlesen:
Matthäi 5, 1-12.
Das ist der Anfang der sogenannten Bergpredigt Christi. Die heutige Predigt sei die letzte einleitende Predigt über sie; ist die gehalten und gehört, so gehen wir ins Einzelne hinein. Die Predigt Christi ist eine reizende Landschaft, welche vor uns liegt: wir betrachten sie zuerst im Ganzen, dann die einzelnen Punkte in ihr.
Wir sehen
1. auf den Wert, den sie hat;
2. auf den Ort wo;
3. die Zuhörer, vor denen;
4. die Art, wie sie gehalten worden ist.
1.
Wie soll man den Wert kennen lernen, den diese Bergrede Christi hat? Mein Rat ist kurz und besteht aus vier Buchstaben. Ich rate: Lies, lies die Rede. Besser noch ist es, wenn du sie auch tust. Hören und Tun müssen beisammen sein. Wer auf meine Rede hört und tut sie, den vergleiche ich einem klugen Manne, der sein Haus auf einen Felsen baute, heißt es am Schlusse der Bergpredigt. Christus selbst lobt also diese Rede, indem er sie einen Felsen nennt. Darin sind auch alle Christen einverstanden gewesen zu allen Zeiten, dass diese Predigt Christi gut, wo nicht die beste unter allen seinen Predigten sei, um menschlich davon zu reden. Man hat behauptet: wären alle Schriften des Neuen Testaments verloren gegangen und bloß diese Rede Christi geblieben, so hätten wir darin noch den ganzen Schatz des Evangelii. Ist wahr, nur müssen wir bedenken, dass dieser Schatz zum Teil verborgen liegt, so dass wir ihn nicht würden finden und heben können, wenn nicht die andern Teile der Schrift hinzukämen und durch die Taten, die sie erzählen, durch die Lehren, die sie geben, diesen Schatz uns zeigten und höben. - Die Bergrede Christi war wohl die erste Rede nicht, die er hielt, aber die längste ist sie von allen, die wir haben, denn sie umfasset 3 Kapitel, und wenn sie die längste ist, so ist sie eben darum auch die beste, weil man sie gerne noch länger haben möchte. Zwar finden wir noch eine andere Rede Christi, die eben so lang ist, Joh. Kapitel 14. 15. 16; aber die war keine öffentliche. Unsere Rede, welche schöne Einfassung von Werken hat sie! In der Nacht vorher hatte Christus gebetet und war über Nacht geblieben in dem Gebet zu Gott. Da es Tag ward, rief er seine Jünger und wählte ihrer zwölfe, Lukas 6. Dann stieg er auf einen Berg, umgeben von viel Volks und hielt diese Rede. Kaum hatte er sie vollendet, so traf er einen Aussätzigen und heilte ihn. Das sind die besten Predigten, die in gute Werke gefasst und mit guten Werken verbunden sind. Solche Prediger hört man gern, die nicht nur gute Rede, sondern auch einen guten Wandel führen. Doch abgesehen davon: welchen schönen Inhalt hat die Bergpredigt Christi, namentlich die Seligpreisungen zu Anfang! Sie sind gleichsam eine Schnur mit köstlichen Perlen. Selig sind die geistlich Armen, das ist die erste Perle; darauf folget gleich eine zweite: Selig sind die Leidtragenden; darauf eine dritte, eine vierte, im Ganzen neun. Wollte Gott, ihr schmücktet euch alle mit dieser Perlenschnur! Die kleidet besser als alle Perlen und Diamanten, womit man den Körper schmückt. Ein Christ, der sein Herz und seinen Wandel mit der Bergpredigt Christi ziert, ist noch zehnmal besser gekleidet, als eine Lilie, von der Christus sagt, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen sei, wie sie.
Also die Bergrede Christi hat einen großen Wert. Darum haben auch die Christen von jeher ihr Auge darauf gerichtet. Allein vier Sonntags-Evangelien haben die Väter aus ihr genommen. Oft hat man bis auf unsere Zeit sie zum Text gewählt und viele Predigten nach einander darüber gehalten. Aber darum, lieber Christ, sollst du das Andere nicht für gering halten. Auch wenn diese Rede die Krone wäre des ganzen alten und neuen Testaments, so sollst du doch wissen, dass eine Krone Nichts ist, wenn der Körper fehlt, dessen Haupt sie schmückt. Die ganze Schrift ist Kaiserliche Majestät und ist das Eine neben dem Andern nicht zu verachten. Was Christus selbst sagt, das muss wahr und gut sein, aber was seine Apostel sagen, das muss auch wahr sein, denn er spricht, Joh. 16: Wenn der Tröster kommt, den ich euch sende, der wird euch in alle Wahrheit leiten. Ja, der Herr setzt sogar seine Jünger sich völlig gleich, wenn er spricht, Lukas 10: Wer euch hört, der hört mich. Das ganze Neue Testament ist unser; nicht nur drei Kapitel im Matthäus, sondern der ganze Matthäus; nicht nur Matthäus, sondern alle Evangelien, und nicht nur die Evangelien, sondern auch die Briefe, deren Paulus allein dreizehn geschrieben hat. Sogar das Alte Testament soll in Ehren bleiben. Wer an die Bergpredigt glaubt, der glaubt auch an die Schriften der Propheten. Denn was dort steht, das steht auch hier. Christus sagt: selig sind die geistig Armen. Was sagt David, Psalm 68, 11? „Gott, du labest die Elenden mit deinen Gütern.“ Christus sagt: Selig sind die Leidtragenden. Was sagt Jesaias 61,3? „Der Geist des Herrn hat mich gesandt, zu schaffen den Traurigen Freudenöl für Traurigkeit.“ Es heißt: Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen. Wie heißt es Psalm 37, 11? „Die Elenden werden das Land erben und Lust haben in großem Frieden.“ Es heißt: Selig sind, die hungert und durstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden. Wie heißt es Psalm 107, 9? „Gott sättiget die durstige Seele und stillt die hungrige Seele mit Gütern.“ In unserm Texte lesen wir: Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen. Was lesen wir Psalm 41, 2? „Wohl dem, der sich des Dürftigen annimmt, den wird der Herr erretten zur bösen Zeit.“ Weiter wird seliggepriesen, Psalm 24, 4, wer unschuldige Hände hat und reines Herzens ist usw. So großen Wert also die Bergpredigt hat, so großen Wert hat die ganze heilige Schrift.
2.
Nun kommen wir an unsere zweite Frage: Welches war der Ort, wo Christus diese Rede hielt? Unser Text sagt: Er ging auf einen Berg. Es war in der Frühe des Morgens, wo zu der Frische des Geistes, die Frische einer herrlichen Natur sich gesellte. Über dem Haupte Christi wölbte sich ein reiner, blauer Himmel, wo die Vögel ihr Loblied sangen; um ihn lagen die reizenden Gegenden der Landschaft Galiläa. Üppige Gräser bekleideten den Boden, schöne Bäume schmückten ihn, wie die Palme, der Oel- und Feigenbaum. Man sah in der Nähe den mit lieblichen Fluren und mit fruchtbaren Berghöhen umkränzten galiläischen See; im Norden sah man den beschneiten Hermon, im Westen den waldigen Carmel. Nun stellt Euch die Tausende von Menschen vor, die um Christum versammelt waren, an einem solchen Morgen, auf einer solchen Höhe, in einer solchen Natur! - stellt's euch vor, und ihr werdet sagen: Ach, dass wir nicht auch unter jenem Volke standen auf jenem Berge! Aber steht ihr denn nicht dort und seht im Geiste dasselbe, was sie sahen, und hört dasselbe, was sie hörten? Ein Berg also war die Kanzel, worauf Christus predigte. Jetzt geht man in die Kirche, wenn man eine Predigt hören will; aber immer ist es nicht so gewesen und ist die Frage, ob es immer so bleiben wird. Es hat Zeiten gegeben, wo man keine Kirchen hatte, da war der Tempel, wo man predigte, die weite Welt, und die Kanzel war ein Berg, und die Orgel war der Gesang der Vögel. Christus selbst, da er zu seinen Jüngern sagte: „Geht hin in alle Welt,“ wies ihnen keine Pfarren und Pfarrkirchen an, sondern die Straßen und Märkte, die Hügel und Berge; wo sie Menschen fänden, die das Wort Gottes hören wollten, da sollten sie stehen bleiben und das Evangelium predigen. Müssen nicht noch jetzt die, welche den Heiden das Wort Gottes bringen, die Natur zu ihrer Kirche machen? Ach, die gehen unter großen Beschwerlichkeiten und Gefahren bald in einem Walde, bald in einer Wüste, stehen in der Hitze und im Regen und ihre Kanzel ist kein bequemer Ort. Uns hat Gott eine Kirche gebaut, unter deren Dach wir Schutz und Sicherheit haben. Ist dankenswert; aber die äußerliche Sicherheit bringt auch innerliche Sicherheit, darum vieler Orten nicht gepredigt wird nach Gottes Sinn und sind auch viele Christen, die eine Kirche haben und mögen doch nicht hinein gehen. Wenn die Kirche ein Berg ist, so ist sie voller, als wenn sie ein bequemes Haus ist, aus Holz und Steinen gemacht; und wenn die Predigt eine Bergpredigt ist, so ist sie reiner, als wenn sie eine Kanzel-Predigt ist. Kann daher sein, dass Gott nach 100 Jahren, oder noch früher, eine Änderung macht und dass unsere Enkel und Nachkommen es minder bequem haben, als ihre Väter. Christus ging auf einen Berg - warum auf einen Berg? Weil man das Licht gern auf den Höhen anzündet und nicht in den Tiefen, weil man es nicht unter den Scheffel, sondern auf einen Leuchter stellt. Der Berg ist gleichsam der Leuchter, worauf Christus sein Licht brennen lässt. Darum sagt auch Christus zu seinen Jüngern, Matthäi 10: Was ihr hört in das Ohr, das predigt auf den Dächern. Das Evangelium hat einen Drang nach den Höhen, wo man es weit und breit hören und sehen kann. Es liebt nicht die Verborgenheit und die versteckten Orte, sondern tritt hervor, weil es sich nichts Böses, sondern alles Guten bewusst ist, nämlich, dass es eine Kraft sei, selig zu machen alle die daran glauben. Es kennt auch keine Furcht und menschliche Bangigkeit, sondern lässt Verfolgung, Angst, Trübsal, Schwert und Tod über sich ergehen. Es geht auf einen Berg und spricht: Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir. Amen.
Seht, das Alles will euch Christus zu erkennen geben, wenn ihr ihn heute auf einem Berge seht und daselbst predigen hört. Noch mehr, auf den Bergen sind von jeher große Dinge geschehen. Wo ließ sich Noahs Schiff nieder nach der Sündflut? Auf einem Berge. Wo wurde Mose das Gesetz gegeben? Auf einem Berge. Wo redete Gott mit ihm vierzig Tage und vierzig Nächte? Auf einem Berge. Wo waren die Schulen der Propheten? Auf Bergen. Wo stand der Tempel Salomonis? Auf Zion. Und wenn wir ins Neue Testament hinein gehen: Wo wurde Christus verklärt? Auf einem Berge? Wohin entwich er, wenn sie ihn zum Könige machen wollten? Auf einen Berg. Wohin ging er, wenn er reden wollte mit seinem Vater? Auf einen Berg. Wo litt er? Am Ölberge. Wo starb er? Auf der Höhe von Golgatha. Wohin beschied er seine Jünger nach seiner Auferstehung? Auf einen Berg. Wo wurde er aufgenommen gen Himmel? Auf einem Berge. Seht ihr? Christus liebt die Berge, kein Wunder, dass er heute auf einem Berge steht zu predigen. Die Berge sind ohnehin Schatzkammern Gottes: darin legt er Gold, Silber, Diamanten und andere Edelsteine. Sucht sie, spricht Gott, grabt danach, aber damit ihr wisst, dass ihr die Schätze nicht bloß in den Bergen suchen sollt, sondern auch auf den Bergen, so lass ich meinen lieben Sohn heute auf einen Berg gehen und daselbst predigen. Geht hin und holt Euch Silber und Gold, holt Euch Diamanten für eure Seelen. Die Bergpredigt ist eine rechte Gold- und Diamanten-Grube. Törichte Menschen, was hilft es, dass ihr euch Schätze sammelt und seid nicht reich in Gott? Erhebet euch doch über die Tiefen der Welt! Geht mit euren Gedanken in die Höhe und lasst die weltlichen Lüste und Begierden unten, wie Abraham seinen Knecht und Esel unten am Berge stehen ließ, 1. Mose 22. Singt ihr nicht jeden Sonntag und habt ihr nicht noch diesen Morgen gesungen, dass die Herzen von der Erden ganz zu dir gezogen werden? Hinauf denn zu Gott! Überwindet, was euch im Wege steht. Berge sind ein Bild der Hindernisse: überwindet sie, steigt hinauf. Es hat Zeiten gegeben, wo man nicht hinaufkommen konnte. Moses machte ein Gehege um den Berg: Christus hat das Gehege weggenommen und lädt uns ein hinaufzukommen.
3.
Es sind denn auch in der Tat Viele, die ihm folgen. Unsere dritte Frage betrifft die Zuhörer, vor denen die Bergpredigt gehalten wurde. Seine Zuhörer waren das Volk und seine Jünger. „Da er das Volk sah, ging er hinauf und seine Jünger traten zu ihm.“ Also zunächst um ihn waren seine Jünger. So ist es recht: wer Andere lehren will, der muss zuerst sich selber lehren lassen, und es ist nicht einerlei, wohin er geht; mit dem Hintreten zu Christo muss er den Anfang machen. Wie verkehrt, wenn Jemand vor das Volk treten wollte zu predigen, bevor er vor Christum hingetreten wäre zu hören! Von Christum müssen wir alles lernen, ohne ihn wissen wir nichts. Die Jünger traten zu Christus, außer den Jüngern war um ihn versammelt das Volk. Es folgte ihm nach, heißt es vorher, viel Volk aus Galiläa, aus den zehn Städten, von Jerusalem, aus dem jüdischen Lande und von jenseits des Jordan. Die alle waren gekommen, nicht bloß um die Zeichen zu sehen, die er tat, sondern sie waren auch gekommen, ihn zu hören. Wie mag's doch zugehen, liebe Christen, dass man sich heut zu Tage nicht mehr so zu der Predigt Christi drängt, wie zu Anfang? Jetzt kommt etwa der neunte Mann; früher blieb nur der neunte Mann weg. Gebt ihr den Predigern Schuld? Ich will sie nicht entschuldigen, nicht alle und in allen Fällen. Aber viele sind doch auch, die dasselbe lehren, was Christus lehrte, und predigen auch nicht wie die Schriftgelehrten und Pharisäer: gleichwohl drängt sich zu ihnen nicht das Volk. Es mag wohl mit dem Evangelium gehen, wie es mit dem Manna ging in der Wüste. Anfangs nahm man es mit Freuden und dankte Gott; aber bald hieß es eine lose Speise und man sehnte sich wieder nach den Fleischtöpfen Ägyptens. Wollt ihr denn auch so denken, wie die Juden dachten? Wisst: Christus hat Worte des ewigen Lebens. Von einem griechischen Redner pflegten die Alten zu sagen, es gingen aus seinem Munde lauter kleine goldene Haken, womit er die Gemüter an sich zöge. Kann man das nicht vielmehr von Christo sagen? Oder stößt die Predigt Christi euch zurück, statt euch anzuziehen? Nein, sie weist keinen zurück. Unter den Zuhörern Christi waren Gelehrte und Ungelehrte, Reiche und Arme, Vornehme und Geringe durcheinander, ja sogar Heiden von Tyrus und Sidon waren unter ihnen; Christus nahm sie alle an. Das Evangelium ist für alle und hat die Kraft, alle umzuwandeln. Die Gelehrten macht es zu Toren und die Toren macht es gelehrt. Die Großen macht es klein und die Kleinen macht es groß. Die Reichen macht es arm und die Armen macht es reich. Alle aber macht es selig, die daran glauben. Kommt her, ruf' ich im Namen Christi, kommt her, Christus will euch erquicken.
4.
Christus predigt so, dass ihr ihm alle euren Beifall geben müsst. Lasst uns endlich 4tens fragen nach der Art, wie die Bergpredigt gehalten wurde. Christus setzte sich. Damals saß man, wenn man predigte, jetzt steht man. Christus hob seine Augen auf. Wie viel Göttliches mag in seinem Blick gelegen haben! Ernst und feierlich, wie eine Gewitterwolke, und doch freundlich wie die Morgensonne, so blickte er die Menge an. Er tat seinen Mund auf. Das will sagen, er fing an zu reden mit lauter Stimme, mit großer Freude und Freimütigkeit. Frei heraus gesagt, niemand angesehen, noch geschont, es treffe wen oder was es wolle! Selig sind, war sein erstes Wort und es folgte neunmal nach einander. O das geschah recht nach seinem Herzen, so kennen wir sein Herz, und recht nach seinem Werk, zu welchem er gekommen war. Des Menschen Sohn ist kommen zu suchen und selig zu machen. Bisher hatte es immer geheißen: Verflucht sei! - jetzt endlich tut Christus seinen Mund auf und sagt: Selig sind. Einen solchen Prediger hatten sie nie gehört. Er redete aus ihrem Herzen heraus, als wenn er darin gesessen wäre, wie ehedem die Leute von Luther sagten. Die Armen, welche vor ihm standen, tröstete er; den Reichen zeigte er die Nichtigkeit ihres Reichtums. Die Mühseligen erfüllte er mit Vertrauen und Mut; die Stolzen wies er hin auf ihr verderbtes Herz und demütigte sie. Keiner mochte sein, der nicht seine Rede fühlte, entweder wie eine sanfte Hand, oder wie einen Schlag aus der Wolke, der ihn traf. So redete er wohl eine ganze Stunde, bald widerlegend, bald ermahnend, bald strafend, bald tröstend. Die letzte Nacht hatte er schlaflos zugebracht; am Morgen hatte er sich seine Jünger gesammelt, darauf Kranke geheilt, dennoch stieg er auf den Berg, und da er seine Rede vollendet hatte, heißt es: das Volk entsetzte sich über seine Lehre, denn er predigte gewaltig und nicht wie die Schriftgelehrten. Es mag wahr sein, liebe Christen, dass nie jemand gelebt, der so gepredigt, wie Christus. Aber wie? Verdienen darum unsere Predigten keinen Beifall? Wir tun ja auch unsern Mund auf; wir predigen ja auch Trost, Lehre, Vermahnung, Strafe. Nicht darum pries man Christum, weil er so sanft tröstete, denn es ging auch in seinen Predigten scharf her, und er sagte ihnen nicht nur den Segen vor, sondern auch den Fluch; denkt nur an den achtmaligen Weheruf Matth. 23. Nehmt denn auch jetzt noch das Wort mit Sanftmut an. Wir Prediger heutiges Tages sind alle bei Christo in die Schule gegangen. Verachtet ihr uns, so verachtet ihr ihn; denn er spricht: Wer euch hört, der hört mich.