Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Epheser in 34 Predigten - Dreizehnte Predigt.

Wie oft schon hat der Gott der Liebe
Mit uns zum Guten es gewandt;
Und wo es düster war und trübe,
Von oben Hilfe uns gesandt!
Lass nur die ewig treue Liebe Gottes walten:
Ein einz'ger Augenblick kann Alles umgestalten.

Als Jakob reich geworden war durch Gottes Führung, gedachte er der Zeit, da er nicht mehr hatte, als einen Stab in seiner Hand, und sprach: Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die du an deinem Knechte getan hast. Tue wie Jakob, mein Christ. Gedenke der Zeit, da du noch nicht warst, was du bist, noch nicht hattest, was du hast; vielleicht liegen Tage hinter dir, wo es so traurig um dich stand, dass du weder ein noch aus wusstest; äußerlicher Mangel drückte dich, körperlicher Schmerz fesselte dich, oder, was schlimmer ist als beides, eine Gewissensschuld quälte dich. Hat Gott das alles von dir genommen, und Nacht in Tag, Schmerz in Freude verwandelt, so wird die Erinnerung an die frühere Zeit dich mit Dank erfüllen gegen Gott, und deinen Glauben für die Zukunft stärken. Du wirst sprechen wie Jakob: Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die du an deinem Knechte getan hast, und wirst getrost und mit aller Zuversicht in die Zukunft gehen. Vor Allem nun aber gedenke deiner Seele und frage dich: wie stand es früher um sie? wie steht es jetzt? Paulus vergaß nimmer der Zeit, da er noch ein Lästerer und Verfolger und Schmäher war (1 Tim. 1, 13). Das erhielt ihn in der Demut und erfüllte ihn zugleich mit dem tiefsten Danke gegen den, der ihn aus der Josephs-Grube des Verderbens auf den Elias-Wagen des christlichen Heils gehoben hatte. Auch uns fordert der Apostel auf, die Gegenwart an die Vergangenheit, die Vergangenheit an die Gegenwart zu halten. Tun wir das nach Anleitung unsers heutigen Textes und mit Hilfe des Heiligen Geistes, der, wie er es bisher getan, uns auch heute erfüllen wolle mit seinem Licht.

Ephes. 2, V. 11 bis 13: Darum gedenkt daran, dass ihr, die ihr weiland nach dem Fleisch Heiden gewesen seid, und die Vorhaut genannt wurdet von denen, die genannt sind die Beschneidung nach dem Fleisch, die mit der Hand geschieht, dass ihr zu derselbigen Zeit wart ohne Christum, Fremde und außer der Bürgerschaft Israel, und Fremde von den Testamenten der Verheißung, daher ihr keine Hoffnung hattet, und wart ohne Gott in der Welt. Nun aber, die ihr in Christo Jesu seid, und weiland ferne gewesen, seid nun nahe gekommen durch das Blut Christi.

Gedenkt der früheren Zeit. Warum? Darum, dass Gott euch, die ihr tot wart durch die Übertretungen und Sünden, die ihr wandeltet nach dem Lauf der Welt und nach dem Fürsten der Finsternis, die ihr Knechte des Fleisches und Kinder des Zorns wart von Natur, dass der barmherzige Gott euch samt Christo lebendig gemacht, euch von den Toten auferweckt, euch in den Himmel versetzt hat. Nun, Christen, stellen wir denn die Vergleichung an.

Sonst und Jetzt, oder:

Was waren wir ohne Christum? Was sind wir durch ihn?

So lautet die Frage, die Antwort gibt der Text.

1.

Was waren wir? die erste Frage. Unsere Väter sind Heiden gewesen, und wir wären es noch, hätte nicht Christus uns von dem Heidentum erlöst. Darauf nun gibt Paulus wenig, dass die Heiden bei den Juden in tiefer Verachtung standen. Ihr, ehemals die Heiden am Fleisch, die ihr Vorhaut genannt wurdet von der sogenannten am Fleische mit Händen gemachten Beschneidung. Die Juden waren stolz auf ihr Vorrecht, das sie als Bundesvolk Gottes hatten. Aber sie blieben beim Äußern stehen. Abraham unser Vater! Die Beschneidung unser Bundeszeichen!

Das betraf ja nur das Fleisch. Was nützt es, Abrahams Kind sein nach dem Fleisch, wenn mans nicht ist nach dem Glauben? Was hilft es, beschnitten zu sein am Fleisch, wenn mans nicht ist am Geiste? „Das ist nicht ein Jude, der auswendig ein Jude ist; auch ist das nicht eine Beschneidung, die auswendig am Fleische geschieht, sondern das ist ein Jude, der inwendig verborgen ist, und die Beschneidung des Herzens ist eine Beschneidung, die im Geist und nicht im Buchstaben geschieht“ (Röm. 2, 28). Siehe, so erinnert Paulus die Christen daran, dass sie als ehemalige Heiden darum nicht verächtlich waren, weil sie um jener äußeren Dinge willen von den Juden verachtet wurden. Es ist das eine Warnung auch für uns. Wir sind als Christen auch äußerlich zu Ehre und Ansehen gekommen. Was nicht Christ ist, sei es Heide oder Türke oder selbst Jude, das steht an Ehre zurück hinter den christlichen Völkern. Aber hüten wir uns, dass wir, gegenüber denen, die noch draußen sind, unsern Vorzug nicht in äußerlichen Dingen suchen. Die Taufe als Wasserbad tut es nicht, wenn sie nicht zugleich ein Feuerbad in uns geworden ist. Das ist nicht ein Christ, der auswendig ein Christ ist, auch ist das nicht eine Taufe, die auswendig am Fleisch geschieht.

Es kommt auf ganz andere Dinge an. Worauf denn? Gedenkt daran, dass ihr in jener Zeit ohne Christum wart. Ohne Christum das war und ist noch immer der Grund alles Verderbens der Welt. Was wäre die Erde ohne die Sonne? Ein dunkler, kalter Stern, ausgestoßen aus der Reihe der Himmelslichter, die wie Kinder um ihre Mutter Sonne versammelt sind. Willst du kurz einen Menschen bezeichnen, der innerlich elend und unglücklich ist, der auf einer Straße wandelt, die ihn ins Verderben führen muss, so sage nur: es ist ein Mensch ohne Christum. Was ein Leuchter ist ohne Licht, was ein Brunnen ist ohne Wasser, was ein Garten ist ohne Gärtner, was ein Acker ist ohne Landmann, was ein Himmel ist ohne Stern, das ist ein Mensch ohne den Herrn. Ach, es gibt ja noch Tausende solcher Unglücklichen, selbst unter den Christen, von denen man sagen muss: sie sind ohne Christum. Sie haben ihn noch nicht erkannt, ihr Herz ist noch leer, ihr Sinn noch tot, ihr Wandel noch Finsternis, weil sie nicht sagen können mit Paulus: Wir leben, doch nicht wir, sondern Christus lebt in uns.

Lasst euch von Paulus lehren, welches Unglück daran hängt, wenn man ohne Christum ist. Gedenkt daran, dass ihr ohne Christum entfremdet wart der Bürgerschaft Israels. Da weist uns der Apostel auf den Gottesstaat hin, der schon von Alters her auf Erden bestand. Gott selber war der Herr und König dieses Staats, Israel der Name des unter ihm verbundenen Volks. Dies Volk hatte er erwählt aus allen Völkern, die auf Erden sind. Diesem Volke hatte er ein Gesetz vom Himmel gegeben, und lehrte es durch den Mund seiner Priester und Propheten. An dieses Volkes Spitze stand Er selbst, der es aus dem Diensthaus Ägyptens führte nach dem gelobten Land, und es leitete durch alle Not und Gefahr. Darum fragt die Schrift: Wo ist ein so herrlich Volk, zu dem Götter also nahe sich tun als der Herr, unser Gott, so oft wir ihn anrufen? Und wo ist ein so herrlich Volk, das so gerechte Sitten und Gebote hat? (5 Mos. 4, 7). Wohl dir, Israel, wer ist dir gleich? O Volk, das du durch den Herrn selig wirst, der deiner Hilfe Schild und Schwert deines Sieges ist (5 Mos. 33, 29). Das versteht Paulus unter der Bürgerschaft Israels. - Aber Christen, besteht denn noch jetzt dies Gottesreich auf Erden? Ja! es ist zu seiner Vollendung und ganzen Herrlichkeit erst gekommen, seit Christus erschienen ist. Ihr wisst ja, dass es außer den Reichen dieser Welt, die von irdischen Fürsten und Gewaltigen regiert werden, noch ein anderes, höheres Reich gibt, wovon Holstein, Lauenburg, Hannover, Preußen und alle andern christlichen Länder Provinzen sind. Daselbst herrscht Gott selbst durch Christum, den er gesetzt hat zum Haupt der Gemeinde über Alles, sein Volk aber heißt die Gemeinde der Gläubigen, die unter ihm leben in seinem Reich, gesegnet von ihm mit himmlischen Gütern, geführt und geschützt von ihm, der bei ihnen ist alle Tage. Bedenkt nun, dass ihr ohne Christum diesem Reiche entfremdet wart. Was hilft mir doch aber die ganze Welt, selbst wenn sie Tonnen Goldes in meinen Schoß schüttete, falls ich noch meinen himmlischen Bürgerbrief nicht aufzuzeigen hätte? Ich gedenke der früheren Tage, wo ich noch ohne Glauben, und weil ohne Glauben, auch ohne Christum, und weil ohne Christum, auch ohne das himmlische Bürgerrecht war. Damals war ich wie ein Fremdling, ohne Heimat, ohne Vaterland. Dem teuren König im Himmel sei Dank, dass er mich aufgenommen hat in sein Reich.

Er hat mit mir einen seligen Bund geschlossen, der nicht bloß für dies Leben gilt, sondern für die ganze Ewigkeit. Früher, spricht Paulus, ohne Christum wart ihr fremd den Bündnissen der Verheißung. Es ist wahr, das Volk Gottes war vor Christi Erscheinung noch nicht, was es nach Christi Erscheinung geworden ist. Aber Bündnisse der Verheißung hatte es doch aufzuweisen, die Gott mit ihm geschlossen hatte den Bund mit Abraham und seinem Sohn und Enkel: In deinem Samen sollen gesegnet werden alle Völker der Erde; der Bund mit David: Dein Stuhl soll ewiglich bestehen; der Bund mit dem ganzen Volke: Denen zu Zion wird ein Erlöser kommen. Also die Weissagung auf Christum war da, die in ein noch schöneres Licht trat durch die Propheten. Jetzt aber, seit Christus erschienen ist, jetzt vollends glänzt die Verheißung am Kirchenhimmel wie ein Stern erster Größe. Die erste Verheißung ist erfüllt, Christus ist gekommen; nun aber weist das Evangelium auf eine zweite Zukunft Christi hin, da er Himmel und Erde erneuern und uns Teil nehmen lassen will an seiner Herrlichkeit, zu der ihn Gott erhoben hat. Der Bund ist geschlossen und eher müssten Berge weichen, als dieser ewige Bund weichen sollte, den Gott mit uns geschlossen hat, dass er uns erlösen will von allem Übel und aushelfen zu seinem himmlischen Reich. Bedenkt, sagt Paulus, dass ihr diesem Bunde ferne standet, ehe Gott ihn in Christo mit euch geschlossen hat. Ohne Christum - was wäret ihr? Heiden, und wenn ihr unter die Heiden tretet, da findet ihr nicht einen solchen Gottesbund und eine solche Gottesverheißung. Die Herzen schmachten unter der Last der Sünde und des Todes, aber Da ist nirgends ein Prophet, welcher spräche: Euch wird ein Erlöser kommen; da ist nirgends ein Evangelium, welches die Beladenen mit seiner Verheißung tröstet. So stünd's noch jetzt um euch und um uns alle, wenn wir ohne Christum wären.

Wo aber die Verheißung fehlt, da fehlt auch die Hoffnung. Bedenkt, dass ihr fremd wart den Bündnissen der Verheißung, und daher ohne Hoffnung wart. Jetzt habt ihr Hoffnung, will der Apostel sagen, und ihr wisst ja, welch eine unaussprechlich schöne Lebensgefährtin die Hoffnung ist. Die Hoffnung, wie das Evangelium sie uns gibt, ist reicher, als der reichste Fürst dieser Welt. Denn sie hat nicht nur zu verfügen über einen irdischen und zeitlichen, sondern über einen himmlischen und ewigen Schatz. Sie weist uns nicht nur auf den allmächtigen Arm der Vaterliebe Gottes hin, die uns, wenn auch durch tausend Nöten, so wohlbehalten bis ans Grab bringt, dass uns alle Dinge zum Besten dienen müssen; sondern, was zehnmal mehr ist, sie gibt uns eine so sichere Ausficht in die Ewigkeit, dass wir in das Jenseits blicken, als läge es nur einige Hundert Schritt von uns entfernt. Die Hoffnung ist die Krone des Evangeliums. Wäre sie nicht, so fehlte dem Evangelium seine schönste Zierde, ja, es wäre ohne sie gar kein Evangelium. Nur dadurch, dass es die Zeit mit der Ewigkeit, die Erde mit dem Himmel verknüpft, und uns lehrt, dass wir auf Erden Fremdlinge und Pilgrime sind, die ihre Heimat da haben, wo Christus ist, nur dadurch wird es ein wahres Evangelium. Das ist es aber durch die Hoffnung, womit es unser Herz erfreut. Wollte Jemand diesen Schatz aus deinem Herzen nehmen, was bliebe dann von dir übrig als eine Blume, die heute blüht und morgen ihr Haupt neigt und stirbt? was bliebe übrig als ein Reh, das von hundert Jägern verfolgt wird, bis es ermattet hinsinkt und stirbt? Ohne sie hättest du keinen Leitstern im Glück, ohne sie keinen Anker im Unglück; ohne sie kein Ziel, davon du sagen könntest: Ich' strecke mich nach dem, das vorne ist; ohne sie keinen Trost- und Freudenbecher, der dich stärkte für deinen Lauf. Tot möcht ich sein und nimmer geboren, wenn ich keine Hoffnung hätte. Aber die hätte ich nicht, wenn ich nicht die Verheißung hätte, die mir gegeben ist in dem teuren Bunde, den Gott mit mir geschlossen hat, und die Verheißung hätt' ich nicht, wenn ich nicht Christum hätte. O ihr Unglücklichen, deren Herz nicht den Trost des ewigen Lebens hat! Die ihr aber die Hoffnung als den allerteuersten Schatz im Herzen tragt, gedenkt daran, dass eine Zeit war, wo ihr diesen Schatz noch nicht hattet.

Wo die Verheißung fehlt, sagt Paulus, da fehlt die Hoffnung, und wo die himmlische Bürgerschaft fehlt, da fehlt Gott. Bedenkt, dass ihr, entfremdet der Bürgerschaft Israels, ohne Gott wart in der Welt. Hatten oder haben die Heiden keinen Gott? Nein, Christen, der Stern, oder das Feuer, oder der Stein, oder das Tier, wovor sie ihre Knie beugen, soll doch nicht Gott heißen? Ihre Götter, die sie anbeten, wollen wir doch nicht unserem Gotte an die Seite stellen? Zu der Zeit, da ihr Gott nicht erkanntet, dientet ihr denen, die von Natur nicht Götter sind, sagt Paulus (Gal. 4, 8). Fehlte aber Gott, was blieb übrig für sie? Nichts als die Welt, und fürwahr! nicht eine Welt, die man könnte ein Paradies nennen, sondern eine eitle, eine vergängliche, eine arge Welt. Darin lebtet ihr ohne Christum, ohne Gott, und wart Kinder der Welt, hingegeben ihrem eitlen Sinn, fortgerissen von dem Strom ihres bösen Beispiels. Welche Beschreibung uns die Schrift von der Heidenwelt macht, ist bekannt. Lest darüber das erste Kapitel im Römerbrief und andere Stellen. Nicht nur fehlte der Glaube an Gott, sondern, weil sie von Gott nichts wussten, lebten sie auch in allen Gräueln der Sünde. Lustseuche, Geiz, Üppigkeit, Feindschaft, Hader, Streit solche und andere Laster waren die Dornen, die am Strauch des Unglaubens wuchsen. Ohne Gott sein, das heißt, ohne Glauben sein, ohne Liebe, ohne Tugend, ohne Trost, wie wir ja davon die klarsten Beweise selbst in unserer Mitte haben. Dann sagt doch, was das für Menschen sind, die ohne Gott leben in der Welt? Das sind die Heiden mit dem toten Herzen, mit dem bösen Leben; das sind die Hurer und Ehebrecher, die Säufer und Schlemmer, die Habsüchtigen und Unbarmherzigen, die Empörer und Trotzigen, die Mutlosen und Verzagten, oder welche Namen sie sonst verdienen mögen. Seid ihr jetzt zu Gott bekehrt, glaubt an ihn und habt ihn lieb, fürchtet ihn und lebt nach seinem Wort, so gedenkt an die Zeit, die böse Zeit eures Lebens, wo ihr noch ohne ihn wart in der Welt. Seht, Christen, das Alles, davon geredet worden ist, ruft Paulus zurück in unsere Erinnerung. Verachtet, sagt er, standet ihr da, wart ohne Christum, darum ausgeschlossen vom Himmelreich, fremd dem Bunde der Verheißung, wart ohne Hoffnung, wart ohne Gott.

2.

Aber was sind wir jetzt durch Christum? Mit der Frage treten wir in den andern Teil der Predigt. Nun aber in Christo Jesu seid ihr, die ehemals fern stehenden, nahe gekommen durch das Blut Christi. Früher ohne Christum und das war der Grund alles Unheils und Verderbens. Jetzt in Christo und damit hört alles Elend auf und es tritt das Heil an dessen Stelle. Ist ein Baum mit seiner Wurzel aus der Erde gerissen, so müssen seine Blätter verwelken, seine Zweige verdorren, und alle Kraft, alles Leben weicht aus dem Baum. Aber seht ihn wieder an seinen Ort, dahin er gehört, und alsbald, wenn er in der Erde ist mit seiner Wurzel, regt sich aufs Neue das Leben in ihm; es kommen Knospen, es erscheinen Blätter, es schießen Zweige hervor; man sieht kein Verwelken und Verdorren mehr, es ist Alles neu und anders geworden. So hängt alles Heil unserer Seele an der Vereinigung mit Christo; die Seele ist der Baum und Christus der göttliche Grund und Boden, worin sie gepflanzt werden muss, wenn sie leben soll; sie ist die Rebe und Christus der Weinstock, wie wir ja auch aus seinem eigenen Munde hören (Joh. 17): Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben, wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Anderswo vergleicht er die Seinen als von ihm Getrennte mit Kindern, die ohne Vater und Mutter sind; aber - spricht er ich will euch nicht Waisen lassen; ich komme zu euch, und da werdet ihr erkennen, dass ihr in mir seid und ich in euch (Joh. 14).

Ist nun nicht auch mit uns diese selige Vereinigung vorgegangen? Ja, davon könnt ihr Zeugnis geben, die ihr von Herzen an Christum glaubt. Er ist euch nicht fern, sondern so nahe, wie ein Freund, der nimmer von eurer Seite weicht „ich bin bei euch alle Tage“ ja näher noch als ein solcher Freund, denn er ist in euch, wohnt in euch, ist eures Herzens Licht, Stab, Friede, Trost, Hoffnung, Seligkeit. Es ist ein viel innigeres Band zwischen ihm und euch, als selbst zwischen David und seinem Freunde Jonathan war; denn der Freund kann von euch genommen werden durch den Tod, aber Christum scheidet weder Glück noch Unglück, weder Leben noch Tod, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges von euch. Wo ihr auch seid, ob auf dem Felde oder in eurer Kammer, ob auf dem Lande oder mitten auf der Atlantischen See, ob unter den Lebenden oder selbst unter den Toten: er ist mit euch, bei euch, in euch sein Auge sieht euch, seine Hand hält euch, sein Geist erleuchtet, behütet, tröstet euch.

Und was ist nun die Wirkung dieser Vereinigung mit Ihm? Das lehrt uns unsere Erfahrung und unser Text bestätigt es. Nun, da ihr in Christo Jesu seid, nun seid ihr, die ehemals Fernen, nahe gekommen. „Völker in der Ferne“, so werden die Heiden in der Schrift genannt zum Unterschied von dem Volke Gottes (Jes. 49). Als aber Christus kam, da hieß es: Friede, Friede, beides denen in der Ferne und denen in der Nähe (Jes. 57, 19). Ehemals ferne, das heißt, wie unser Text es auslegt, ehemals entfremdet der Bürgerschaft Israels; nun aber in Christo Bürger des Reiches Gottes, welches ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist. O ihr lieben Himmelreichsbürger, vergleicht das Jetzt mit dem Ehemals und dankt dem Herrn, dass er euch aus der Welt, worin ihr als Einsame und Verlassene irrtet, hereingerufen hat in sein Reich. Das ist ja doch ein Reich, wie man es sonst nirgends findet; ein Reich, wo die unvergängliche Gnadensonne Gottes scheint; ein Reich, wo der mildeste, freundlichste König euch regiert; ein Reich, wo Güter an euch ausgeteilt werden, wonach die Diebe nicht graben und die von Motten und Rost nicht gefressen werden; ein Reich, dessen Grenze den Himmel, dessen Dauer die Ewigkeit umspannt; ein Reich, davon es heißt Gesang 483: „Nehm'n sie uns den Leib, Gut, Ehr', Kind und Weib: Lass fahren dahin; Sie haben's kein'n Gewinn; Das Reich Gott's muss uns bleiben“. -

Ehemals fern, das heißt: fremd dem Bunde der Verheißung: nun aber in Christo zum Volke Gottes gehörig, nun aufgenommen in den seligen Bund, an dem die Verheißung des ewigen Lebens hängt. Da schaut ihr nun fröhlich in die Zukunft hinein, fröhlicher noch als einst Israel, dem verheißen war: Euch wird ein Erlöser kommen; denn das ist bereits vor 1800 Jahren geschehen, wir aber warten jetzt auf die selige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des großen Gottes, und unsers Heilandes Jesu Christi (Tit. 2, 13). Ist nun diese Verheißung, die Gott äußerlich durch die Laufe, innerlich durch den Heiligen Geist besiegelt hat, der Kern eures Lebens und der Stern eurer Hoffnung: so haltet das Jetzt an das Ehemals und dankt dem Herrn, dass er euch aufgenommen hat in den Bund der Verheißung. Ehemals fern, das heißt: ohne Hoffnung: aber in Christo die Hoffnungsvollen und durch die Hoffnung dem Himmel nahe gebracht. Denn es ist ja nicht anders, die Hoffnung, wo sie lebendig im Herzen ist, wälzt den Stein von der Himmelstür und reißt den Zaun nieder, der Himmel und Erde scheidet. Sie zeigt uns in der Nähe die Türme des himmlischen Jerusalem und spricht zu uns das ermunternde Wort: Es wird nicht lang mehr währen, halt't noch ein wenig aus; Es wird nicht lang mehr währen, dann kommen wir nach Haus. Gingt ihr nun ehedem in großer Trostlosigkeit unter eurer Trübsal, und gingt in Furcht vor dem Tode und in Zweifel und Ungewissheit wegen eurer ewigen Zukunft, so dankt Gott von ganzem Herzen, dass ihr in der Hoffnung eine Trösterin habt und einen Engel Gottes, der eure Furcht in Freude, euren Zweifel in Zuversicht verwandelt. Ehemals fern, das heißt: ohne Gott in der Welt: - nun aber in Christo Gott so nahe gebracht, dass, wenn ihr selbst zweifeln möchtet, ob die Welt existiere, ihr doch nicht zweifeln könntet, dass Gott sei, denn ihr kennt ihn als euren lieben himmlischen Vater, zu dem ihr zehnmal am Tage „Abba“ sagt. An des Vaters Dasein könnt ihr gar nicht zweifeln, seit der Heilige Geist eurem Geiste Zeugnis gibt, dass ihr seine Kinder seid; Herz, Sinn, Leben und Wandel, Alles zeugt von ihm, dem Vater unsers Herrn Jesu Christi, der durch ihn auch unser Vater geworden ist. Hattet ihr nun einst nichts als die Welt, und waren die Götter, die ihr verehrtet, nichts als Welt- und Heidengötter, mochten sie nun Zeus, Athene, Apollo, oder Fleisch, Bauch, Mammon heißen, so freut euch, dass ihr jetzt den einigen wahren Gott gefunden habt, dessen Gnade euer Friede, dessen Wille euer Weg, dessen Wort euer Trost ist. In Summa, ihr, die ehemals Fernen, seid nahe gekommen.

Durch welches Mittel? Die Antwort aus unserem Texte lautet: durch das Blut Christi. Da weist uns der Apostel mit vier Worten auf das Herz des Erlösungswerkes hin. Das Blut Christi - was sollte das wohl anders bedeuten, als die Liebe Gottes, die für uns geblutet hat? Dass diese Liebe erschienen ist in Knechtsgestalt, dass sie hin und her gegangen ist im jüdischen Lande, das Evangelium zu predigen; dass sie ihre Gnade und Wahrheit in göttlichem Wort und göttlicher Tat hat leuchten lassen, das und vieles sonst wird an die Seite gesetzt. Sie wird uns heute gezeigt, wie sie mit Todesbetrübnis im Herzen auf ihre Knie sinkt, wie über ihr göttliches Angesicht der Blutschweiß rinnt, wie sie auf ihrem Haupte die Dornenkrone trägt, wie sie mit Hand und Fuß sich an das Holz der Missetäter heften lässt, wie sie all' unser Leid und Elend, all' unsre Not und Pein auf sich lädt und damit durch allen Hohn der Welt und alle Schmerzen des Todes in das Grab hinuntergeht. Diese blutende Gottesliebe hat uns, die ehemals Fernen, nahe gebracht. Denn ist irgendetwas mächtig und gewaltig in der Welt, so ist es die Liebe, davon auch die Schrift sagt: die Liebe ist stärker als der Tod. Wenn ich ein verlorenes Kind meines Vaters wäre, und ich sähe ihn, den liebenden Vater, wie er mir nachginge auf den Wegen meines Irrtums, ein Herz voll Erbarmens gegen den verlorenen und doch immer noch teuren Sohn, und endlich erreichte er mich mit dem nassen Auge, mit der bleichen Wange, mit dem zitternden Knie, und sprachlos umfasste er mich mit sanfter Hand und blickte mich an mit einem Blick voll Wehmut und voll Tränen, und wäre so matt und neigte still sein Haupt und sänke hin und wäre tot: wahrhaftig! diese sterbende Liebe dränge mir durch Mark und Bein; da weint' ich selber und entsagte der Welt und kehrte um und wäre gerettet durch des lieben Mannes Tod. Ich müsste ein Teufel sein, wo mich diese sterbende Liebe nicht zu einem Engel machte. Und nun siehe! solche Liebe ist nur ein kleines Licht gegen die Glutsonne der göttlichen Barmherzigkeit, die das Herz voll Pein und das Angesicht voll Blutschweiß für uns Verlorene in den Tod gegangen ist. Was konnte uns retten, wenn es nicht diese blutende Gottesliebe konnte! Tritt vor sie hin, lieber Christ, und schaue sie an: sie ist mächtiger als der Blitz, der die tausendjährige Eiche spaltet, mächtiger als die unterirdische Glut, die den starken Erdboden zerreißt; sie muss dich ergreifen, muss dich erschüttern, muss dich in ihrer Allmacht hinziehen zu deinem Gott. Wer kein Stein ist, den zieht sie aus der Ferne in die Nähe Gottes hin. Darum sagt Paulus: wir sind nahe gekommen durch das Blut Christi. Oder gehört vielleicht noch der eine und andere von euch zu den Fernen? Komm heran, du Ferner, komm heran! Siehst du wohl das Kreuz auf Golgatha? Siehst du die sterbende Liebe, die am Kreuze hängt? O, lass sie Macht und Gewalt über dich gewinnen! Sieh sie an, erkenne sie, und nun kehre augenblicklich um und werde ein Naher, der du bisher ein Ferner warst, damit, wenn du nun zurückkehrst zu Weib und Kind, die Freude strahlen möge in deinem Auge, und wenn sie dich fragen: was ist dir widerfahren? warum so fröhlich? Du die liebe Gattin umarmen und sagen mögest:

Einst und Jetzt! Ich stand so ferne,
Nun steh' ich meinem Gotte nah!
Nun glänzen mir des Himmels Sterne,
Seit ich das Blut der Liebe sah.
Gelobt sei Gott für seine Tat,
Durch die er mich gerettet hat!

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