Johannes vom Kreuz - Erster Brief.
Nur mit gereinigtem Willen können wir Gott wahrhaft lieben.
An einen ihm untergebenen Geistlichen.
Der Friede Jesu Christi, mein Sohn, sei allzeit in deiner Seele!
Deinen Brief habe ich erhalten. Zu meiner großen Freude berichtest du mir, dass du durch Gottes Gnade die ernstliche Neigung und Begierde in dir fühlst, deinen Willen einzig mit der Liebe Gottes über alles zu beschäftigen, und zu diesem edlen Vorsatz verlangst du von mir einige Anweisung. Das ist mir nun sehr tröstlich und erfreulich, und Freude und Trost werden sich in mir vermehren, wenn der fromme Entschluss zur Tat wird.
Vor allem, mein geliebter Bruder, müssen wir die Natur, den Ursprung und das Ziel unserer Neigungen erforschen und kennen. Jede Lust, Freude und Regung in der Seele entsteht nämlich durch irgend eine Neigung und Begierde nach jenen Dingen, die sich die Seele als gute und erfreuliche vorstellt; diese Vorstellung von ihrer Güte und Ergötzlichkeit erregt nun die Begierde nach ihnen in der Seele, und der Wille strebt, sie zu erhalten; das Gemüt freut sich, wenn das ersehnte gegenwärtig ist, es fürchtet ihren möglichen Verlust, und betrübt sich, wenn selbe verloren gehen; so wird die Seele, verähnlicht mit diesen Dingen, von ihnen jetzt erfreut, nun betrübt, allemal aber verändert und beunruhigt.
Diese Neigungen nun und diese selbstgemachten Ergötzungen in allen Dingen, außer Gott, müssen aber geradehin getötet und vernichtet werden, wenn wir Ihn allein und rein lieben wollen; denn alles, was wir in den Dingen süß und lieblich finden, ist allein unsere Vorstellung von ihnen, und diese kommt von dem Begriff her, den wir uns von ihnen machen. Nun aber kann uns auf diese Weise Gott weder süß noch ergötzlich sein, denn alle unsere Kräfte sind nicht vermögend, Gott zu begreifen und zu fassen, so kann Er denn auch nicht der Begierde und der genannten Lust des Willens unterliegen; und so wie die Seele in diesem sterblichen Leben Gott wesentlich nie kosten kann, so kann also auch jede von ihr gekostete, und durch Begriff und Vorstellung erkannte, oder gedachte Süßigkeit oder Ergötzlichkeit Gott nicht sein; denn der Wille wird nie Gott kosten, wie Er in Sich Selbst ist, und so wird er denn auch nie wissen, wie und wer Gott in Sich Selbst sei.
Daraus erhellt nun klar, dass alles, dessen sich der Wille erfreuen kann, Gott nicht sei. Darum müssen nun alle diese Dinge, die Gott nicht sind, aus der Seele hinausgeschafft, und das Gemüt leer sein, wenn es uns anders Ernst ist, mit Gott vereinigt zu werden, es sei nun, was es sei, zeitliche oder geistliche Dinge, woran wir mit Lust und Eigenheit haften, alles muss entfernt werden, damit wir ungestört und ganz und allein mit der Liebe Gottes uns beschäftigen können; denn wenn der Wille auf einige Weise Gott begreifen, und mit Ihm vereinigt werden kann, so ist das einzig möglich durch die reine Liebe, und nicht durch erstgenannte der Begierlichkeit begreifliche Mittel; und weil sonach keine Süßigkeit, kein Geschmack, oder Ergötzlichkeit, dessen der Wille fähig ist, die wahre Liebe selbst ist, so erhellet, dass keines aus diesen erfreulichen Findlichkeiten ein taugliches Mittel sein könne, unsern Willen mit Gott zu vereinigen, vielmehr, dass das einzig durch die reine, lautere Wirkung des Willens möglich sei; denn nur durch diese Wirkung, die die Liebe ist, wird der Wille mit Gott vereinigt, und endet sich in Gott, nicht aber durch das Fühlbare und Begreifliche der Begierde, die sich selbst zum Ziel und Ende in der Seele macht, die vielmehr, statt uns zu Gott zu leiten, uns von Ihm zurückhält, ja uns von ihr abhängig macht; da im Gegenteil die reine Wirkung des Willens, was eigentlich Gott lieben heißt, darin besteht, dass die Seele in Ihm allein ihre Freude, Lust und Liebe habe, verzichtend auf alles, und einzig Ihn über alles liebend. Der wahre Liebhaber Gottes verlässt eben aus reiner Liebe Gottes diese Süßigkeiten, und setzt seine Liebe, ausschließend alles, in Gott, den er nicht empfindet; wäre das nicht, dann wäre ja seine Liebe die Liebe des Geschöpfes, entsprungen aus natürlichen Ursachen, und diese, nicht Gott wäre sein Ziel und Ende, sein Wille wäre unrein und nutzlos; überdies, da Gott unbegreiflich und unerreichbar ist, so muss der Wille die Wirkung seiner Liebe, soll sie anders sein und auf Gott gehen, nicht in das setzen, was er erreichen, und mit und durch die Begierde begreifen kann, sondern auf jenes, was weder zu erreichen, noch zu begreifen ist.
Die Seele muss lieben nach Anleitung des Glaubens, sie muss das Wahrhaftige und Gewisse lieben, obgleich es ihre Sinne übersteigt, sie muss lieben und glauben über alles hinaus, was sie verstehen und fassen kann1). Deshalb wäre es unvernünftig, wenn man bei ermangelndem geistlichen Trost wähnen wollte, wir hätten Gott nicht; oder wenn wir bei Fühlung dieses inneren Trostes uns hoch erfreuen wollten, als besäßen wir Ihn jetzt gewiss; aber noch unverständiger würde der sein, der diese Süßigkeiten in Gott suchen, und Ihm deswegen anhangen wollte, der würde ja Gott nicht, er würde nur seine Lust und seines Geistes Wohlbehagen suchen und lieben, er würde nicht lieben, wie es der Glaube fordert, wie die reine Liebe es heischt2), er würde Gott nie erreichen, sondern mit seiner Begierde an dem Geschöpf hangen; denn nicht möglich ist es, dass die Seele zu jener erhabenen Seligkeit des Geistes gelange, die aus der wahren Liebe Vereinigung mit Gott entspringt, wenn sie nicht zuvor aller Begierlichkeit entblößt, und jeder so zeitlichen als geistlichen Lust sich entledigt hat. Davon hat der Prophet gesprochen in den Worten: „Tue deinen Mund weit auf, lass mich ihn füllen.3)“ Die Begierlichkeit ist der Mund des Willens; kauen wir nun in diesem Mund nicht jene Brocken der gedachten Süßigkeit, so ist Raum da, und der Herr wird den leeren eröffneten Mund mit Seiner göttlichen Liebe erfüllen. Die Seele muss einzig hungern und dursten nach Gott, und von Ihm allein die Sättigung und Labung bitten und erwarten; das hat der Herr durch den Propheten verheißen lassen: „Wohlan alle, die ihr durstig seid, kommet her zum Wasser, und die ihr nicht Geld habt, kommt her, kauft und esst, kommt und kauft ohne Geld und umsonst.4)“ Ohne Geld und umsonst, sagt er, die ihr nicht Geld habt, euch nicht auf euch verlasst, eure Eigenliebe nicht mitbringt, nicht euch sucht, sondern Mich, ihr sollt Meine Gabe, ihr sollt Mich empfangen, euch will Ich Mich geben.
Willst du demnach, mein lieber Sohn, jene große Seelenruhe genießen, und zur Vollkommenheit gelangen, so opfere deinen Willen Gott unbedingt auf; so wirst du, vereinigt mit Ihm, aller irdischen, vergänglichen und sonst geringen Dinge dich durchaus entschlagen.
Die göttliche Majestät mache dich so geistreich und heilig, als ich von Herzen wünsche.