Hoffmann, Heinrich - Die Ohnmacht des Gesetzes und die Macht der Gnade. - II. Römer 8, 1-11.
So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist. Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christo Jesu, hat mich frei: gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes. Denn das dem Gesetz unmöglich war (sintemal es durch das Fleisch geschwächt ward), das tat Gott, und sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches, und verdammte die Sünde im Fleisch durch Sünde. Auf dass die Gerechtigkeit, vom Gesetz erfordert, in uns erfüllet würde, die wir nun nicht nach dem Fleisch wandeln, sondern nach dem Geist. Denn die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt; die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt. Aber fleischlich gesinnt sein, ist der Tod; und geistlich gesinnt sein, ist Leben und Friede. Denn fleischlich gesinnt sein, ist eine Feindschaft wider Gott; sintemal es dem Gesetz Gottes nicht untertan ist, denn es vermag es auch nicht. Die aber fleischlich sind, mögen Gott nicht gefallen. Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, so anders Gottes Geist in euch wohnt. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein. So aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist das Leben um der Gerechtigkeit willen. So nun der Geist des, der Jesum von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt: so wird auch derselbige, der Christum von den Toten auferweckt hat, eure sterblichen Leiber lebendig machen, um deswillen, dass sein Geist in euch wohnt.
Dass wir alle sündhafte Menschen sind, gibt jeder zu, und gesteht gern ein, auch er selbst habe seine Fehler. Mich bedünkt, die Selbsterkenntnis der Meisten ist damit zu Ende. Sie mögen vielerlei Sorgen haben, um das Heil ihrer Seelen machen sie sich keine. Nach ihren Begriffen von Moral tun sie, was sie schuldig sind und fühlen sich dabei beruhigt. - Es wird anders kommen, wenn einem das Verständnis für den heiligen Willen Gottes aufgeht, wenn er die Gebote, in denen er für uns ausgedrückt ist, so verstehen will, wie unser HErr es uns Christen in seiner Bergpredigt (Matth. 5) gelehrt hat. Als es dem edlen tugendreichen Pharisäer Saulus wie Schuppen von den Augen fiel, als das volle grelle Licht aus den zehn Geboten Gottes ihm seine Seele und seinen Wandel beleuchtete, da war es aus mit seiner Ruhe, er wusste nicht aus noch ein. Neulich bedachten wir das Kapitel des Römerbriefs, das er in Erinnerung an jene Schreckenszeit seines Lebens geschrieben hat. Damals hatte er es ein für alle Mal erlebt, dass das recht verstandene Gesetz des HErrn den auf sich selbst gestellten Menschen nur verurteilen kann. Im besten Fall hat er Lust am Gesetz des HErrn nach dem inwendigen Menschen, also Wohlgefallen an dem, was gut und recht ist, aber das Vollbringen fehlt ihm. Was Paulus von der Ohnmacht des Gesetzes sagt, dem Menschen in den Stand eines Gerechten zu helfen, gilt geradeso von aller Moral, aller Sittenfrömmigkeit, allen herrlichen sittlichen Lebensgrundsäßen des Christentums, wenn man sie vom Evangelium abtrennt.
Indem Paulus sich in die Ängstlichkeit seines Lebens zurückversetzt, fasst er seine Not zusammen in das Wort: Ich sehe ein Gesetz in meinen Gliedern, das da widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt und nimmt mich gefangen in der Sünde Gesetz. Ein Gefangener war er damals, aber er sollte es nicht bleiben. Aus der Gefangenschaft in die Freiheit ward er durch die Erkenntnis Christi erhoben.
Aus der Gefangenschaft in die Freiheit. Er sagt: was ihm in die Freiheit verholfen hat, und wie sie bewahrt werden soll.
1.
„So ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind“ und die dies dadurch beweisen, „dass sie nicht nach dem Fleisch leben, sondern nach dem Geist.“ In Christo Jesu sein. In Christo Jesu ist ein Mensch, wenn er aus sich selbst herausgerückt und in Christum hineinversetzt wird. Ist das dunkel gesprochen? Man denke doch, wie schon eine starke irdische Liebe zu einem Menschen das Herz in diesen hineinziehen kann, dass es mehr in ihm als in sich selbst lebt, mit ihm innerlich verwächst und mit dem eigenen Willen an seinem Willen hängt. Wie man sich so in einen Menschen hinein verlieren kann: so kann man doch auch mit Jesu Christo vereinigt werden. Es braucht nur die Anziehungskraft des Heilands für eine um ihr Heil verlegene Seele stark genug zu werden. Ihr Vertrauen auf sich selbst und ihre Güte ist zerstört. Mit allem Vertrauen umklammert sie Christum und hängt sich an Ihn an. Denn es ist niemand in der Welt, bei dem Hilfe und Rat für ihre Missetat und Verlegenheit wäre, wenn sie von Gottes heiligem Recht verurteilt es erfährt, was das Wort sagt: dass Er ein verzehrendes Feuer ist. Über die Anziehungskraft Jesu Christi sagt der Apostel V. 3: Was dem Gesetz unmöglich war, sintemal es durch das Fleisch geschwächt ward, das tat Gott und sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches und der Sünde halben und verdammte die Sünde im Fleisch. Mit seinen Befehlen kann Gott des Menschen eingefleischte Selbstsucht nicht brechen, kann ihm keine übermächtige Liebe zu Gott einflößen, kann die Lieblingssünde, die in jedem lebt, nicht bis in ihre Wurzeltriebe hinein töten. Was dem Gesetz unmöglich war, das tat Gott auf völlig andere Weise. Er sendete seinen Sohn, der seinesgleichen ist, in der Gestalt des sündlichen Fleisches. Er ward wie ein anderer Mensch und an Gebärden als ein Mensch erfunden. Zwar war Er ohne Sünde, aber dem Anschein nach trat Er in der Gestalt sündlichen Fleisches auf; denn infolge seiner Erniedrigung war Er versuchlich, leidensfähig und sterblich wie wir; vollends trug Er die Gestalt des sündlichen Fleisches, als Er wie ein von Rechts wegen Verworfener am Kreuz starb. Indem aber dieser Frevel an Ihm geschah, gebrauchte Gott die Sünde als Mittel, um sie anzugreifen und aus der Welt herauszudrängen. Sie stieg aufs äußerste, indem sie sich an dem hochgelobten Sohn Gottes vergriff und Ihn in die Verdammnis des Todes brachte. Damit aber, dass Gott dies äußerste auf Golgatha geschehen ließ, erging sein Verdammungsurteil über die Sünde im Fleisch. All, all unsere Sünde ist im Grund Auflehnung wider Gott; sie drängt Ihn bei Seite, damit für unseren Willen freier Raum werde; sie gipfelt in der Freveltat, wodurch Gottes Sohn wirklich aus der Welt geschafft ward. Da hat es sich nach Gottes Rat zeigen sollen, wie überaus sündlich und verdammungswert all unsere Sünde ist. Aber nur die Sünde, nicht die Personen, verdammte Gott. Vielmehr auf unsere Erlösung war es abgesehen bei dem Ratschluss, dass sein lieber Sohn das Opfer für die Sünden alles Fleisches werden musste. Denn es sollte so möglich werden, dass die vom Gesetz erforderte Gerechtigkeit in uns erfüllet würde. Wer Sinn und Glauben für diese unvergleichliche Liebe Gottes gewinnt, wer sie sich zu Gemüt zieht, wer sich in ihren Ratschluss eingeschlossen wissen will, der soll nicht bloß um Christi willen für gerecht geachtet werden, sondern wird von Christi her durch seinen Geist angeweht. Der ist voll Inbrunst und Kraft der Liebe Gottes, ein Geist, der da „lebendig macht in Christo Jesu“ (V. 2), wie die warme Frühlingsluft den Wintertod bricht, Feld, Wald und Wiese lebendig macht; denn dieser Geist kommt nicht mit Geboten, Zwang und Drohen, sondern mit der Verkündigung der Gnade Gottes, die um Christi willen alle Sündenschuld umsonst und unverdient vergibt. Er belebt dadurch den inneren Menschen, der bei allem Wohlgefallen an Gottes heiligen Rechten doch ohnmächtig ist sie zu vollbringen. Er macht dem inwendigen Menschen Mut zu dem Gott aller Gnade; er führt ihm Kräfte Gottes zu, die ihn über seine Schwachheit erheben, so dass er das Gesetz der Sünde und des Todes (V. 2), die alte selbstsüchtige Eigenliebe und ihre Triebe, durchbrechen kann. Damit tritt man in eine neue Lebensordnung; von einem „Gesetz des Geistes“ redet der Apostel; es ist die Lebensordnung, wonach man durch Sinnesänderung und Glauben an den Mittler vor Gott gerecht werden und den kindlichen Geist des Gehorsams und der Treue gewinnen kann. Das Gesetz des Geistes ist zugleich das Gesetz der Freiheit; Menschen, die überführt sind, dass nur ihre eigene Sünde sie unfrei macht, gewinnen dadurch Freiheit vor ihrer Obermacht und werden in Stand gesetzt aus freiem inneren Triebe die vom Gesetz erforderte Gerechtigkeit (V. 4) zu erfüllen.
2.
Das führt darauf, wie der gewonnene Freiheitsstand behauptet werden soll. Die vom Gesetz erforderte Gerechtigkeit soll erfüllt werden. Es soll also damit nicht genug sein, dass man um Christi willen durch den Glauben vor Gott für gerecht geachtet wird, wiewohl dies der Grund des Friedens und die Triebkraft des neuen Lebens bleibt. Nur wird man dadurch von keinem Gebot Gottes, von keiner heiligen Pflicht freigesprochen, als ob man sie nicht so genau zu nehmen brauchte. Im Gegenteil, der geistlich gesinnte Mensch soll seine Freiheit damit behaupten, dass er sich mit der Tat in den Gehorsam gegen Gottes heiligen Willen einlebt. Das kann nur dadurch geschehen, dass man im Widerstreben und Kampf gegen die Triebe des eigenen Willens und der eigenen Natur bleibt. Denn, die da fleischlich sind, die sind fleischlich gesinnt, die aber geistlich sind, die sind geistlich gesinnt (V. 5). Nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist soll gewandelt werden, wiewohl jenes auch in dem geistlich gesinnten Menschen fortlebt. Es bleibt wild der Stamm des gepfropften Baumes, wiewohl die schöne Krone mit den guten Früchten auf ihm wächst, darum müssen, damit diese nicht überwuchert werde, die wilden Schösslinge des alten Stammes niedergeschnitten werden. So behauptet sich auch in den geistlich gewordenen Christen das fleischliche Wesen. wie kann beides wirr und wild durcheinanderwachsen. Einerseits Triebe unreiner Sinnenlust, Gefallsucht, ehrsüchtiges Streben, eigennützige Anschläge und daneben Wille und Mut, den HErrn zu bekennen und für Menschenwohl sich anzustrengen. Sind wir nachsichtig gegen die naturwüchsigen Triebe, so haben wir schon die Freiheit verloren, zu der Christi Geist uns in den Stand setzt.
Die geistlich sind, unter dem Gesetz des Geistes, unter der Lebensordnung und Regierung des Geistes Christi stehen, die sind geistlich gesinnt; weil sie in Christo Jesu sind und sein Geist sie treibt, darum ist ihres Herzens Lust und Liebe in großen und kleinen Dingen, in allen Berufsgeschäften und im Umgang mit Menschen darauf gerichtet, Ihm nachzuarten, seinen Sinn und seine Weise zu treffen. Geistlich gesinnt sein hat seine Mühe und Not; es kann Herzblut kosten, wenn man sich entschließen soll, Gewohntes und Geliebtes daranzugeben, weil es den Geist des HErrn betrübt. Aber geistlich gesinnt sein ist doch Leben und Frieden. Kein edleres Leben kann im Menschen erwachsen, als wenn die Gesinnungen und Tugenden Jesu in ihm gedeihen. Es soll mit geistlich gesinnten Christen nicht dabei bleiben, dass sie klagen müssen: wollen das Gute habe ich wohl, aber das Vollbringen fehlt mir (7, 18), wie Paulus im Andenken an eine längst vergangene Zeit seines Lebens schrieb. Seitdem die Gnade des HErrn ihn in ein neues Leben erhoben hatte, konnte er sagen: Ich vermag alles nämlich, was der HErr fordert - durch den, der mich mächtig macht, Christum. Und den Philippern konnte er zurufen, dass sie ihre Seligkeit schaffen sollten, weil Gott in ihnen beides, das Wollen und das Vollbringen wirke (Phil. 2, 13). Er muss doch mit Christen, die in der Liebe Christi stehen und seinem Geist Raum geben, dahin gelangen können, dass sie in aller Demut sagen dürfen: ich war einst eigenwillig, unwahrhaftig, heftig; nun aber hat der sanfte, wahrhaftige, friedfertige Geist des HErrn in mir die Oberhand; ich konnte meiner Lust nicht widerstehen, nun kann ich sie zähmen. Ich war ein kläglicher Sorgenknecht, nun aber gelingt es mir, all meine Sorge auf den HErrn zu werfen. Und ob man durch den alten Menschen unversehens überrascht und mitgenommen würde, so braucht es dem Herzen nur zum Bewusstsein zu kommen, so lehnt man sich gegen ihn auf und folgt dem Triebe des Heiligen Geistes. Geistlich gesinnt sein, ist Leben und Friede. Den Frieden mit Gott bietet Er uns durch die Vergebung der Sünden, wozu Er stets bereit ist, sobald wir unseren Sünden den Frieden kündigen und auf Christum und sein Opfer im Glauben sehen. Wir aber wir sorgen aufs Beste für unseren Frieden, wenn wir durch Christi Liebe gezwungen unser Fleisch bezwingen, in den Gehorsam gegen unseren Gott uns ergeben, um seinetwillen feindseligem Groll gegen Menschen entsagen; so weicht man nicht aus der Untertänigkeit unter das Gesetz (V. 7), bleibt im Frieden, behauptet sich in der Freiheit. Nie hat es einen freieren Freiherrn auf Erden gegeben als Jesum Christum, weil er vollkommen im Gehorsam und dadurch in der Einigkeit mit Gott blieb. In diese Freiheit uns einzuführen ist die Absicht des HErrn und Er gibt das Vermögen dazu, weil Er seinen Geist in seine Glieder eintreten lässt. Wer Christi Geist nicht hat, ist freilich nicht sein. So aber Christus in euch ist, ist der Leib zwar tot um der Sünde willen sterblich bleibt der Leib, weil auch die geistlich gesinnte Seele noch mit Sünde behaftet ist. Der Geist aber hat das Leben in sich, weil er nicht mehr der Sünde, sondern der Gerechtigkeit nachlebt (V. 10). Auch die Gewalt über den Leib soll dem Tod entwunden werden, obgleich das, was am Leib von Staub ist, wieder zu Staub werden muss und zerstiebt. So der Geist aber, der Christum von den Toten erweckt hat, in euch wohnt, so wird auch derselbige, der Christum von den Toten auferweckt hat, eure sterblichen Leiber lebendig machen, um deswillen, dass sein Geist in euch wohnt (V. 11).
Was dem Gesetze Gottes unmöglich ist, das zuletzt nur verdiente Verdammnis über uns bringen kann das macht die unverdiente, heilsame, durch Christum uns zugewendete Gnade möglich; sie macht fleischlich gesinnte Menschen geistlich gesinnt und durchbricht den Bann der Sünde und des Todes. Seht zu, dass ihr die Gnade nicht vergeblich empfangt, so bleibt ihr in der Freiheit, womit Christus uns befreit hat. Amen.