Hörschelmann, Ferdinand - Halte, was du hast - Am dritten Adventssonntage - Stiftungstag der Universität
d. 12. Dezember, dem Stiftungstage der Universität1).
Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommt, Amen!
Zur Feier eines Doppelfestes haben wir uns im Gotteshaus versammelt. Mit der ganzen Christenheit begehen wir den dritten Sonntag des Advents, als Glieder der Hochschule und Universitätsgemeinde feiern wir den Stiftungstag unserer Alma Mater. Dieser akademische Festtag empfängt seine besondere Weihe von oben, indem wir seine Feier hineingestellt sehen in das Licht der Erscheinung dessen, der in die Welt gekommen ein König der Wahrheit und des Friedens, um in unsere Herzen seinen Einzug zu halten, um alle Lebensgebiete mit seinem Geist zu durchdringen, um uns Alle in seinen Dienst zu zichen. Unser Christenberuf und unser besonderer Lebenslauf, auch der der akademischen Lehrer und Schüler - sie hängen aufs Innigste zusammen. Die Aufgaben des einen schließen die des anderen in sich. Die Kraft zu beiden empfangen wir von dem einen Herrn. Vor seinem Angesicht sind wir erschienen. Mit der ganzen Christenheit preisen wir den Namen dessen, der gekommen ist, also dass wir keines Andern zu warten brauchen, der fort und fort zu uns kommt mit dem Evangelium, das den Armen gepredigt wird, mit der Kraft, die in den Schwachen mächtig ist. Als Bürger unserer Universität sagen wir Gott Lob und Dank für den Segen, den er über unsere Hochschule ausgegossen während ihres nun 80-jährigen Bestandes, für den Gnadenbeistand, den wir auch im letzten Jahr erfahren. Wir gedenken aber auch der Rechenschaft, die wir ihm schuldig sind. An sie erinnert uns der Abschluss des Studienjahres, an sie mahnt uns der Hinweis auf den, der da kommen wird zu richten sein Volk. Auf diese Rechenschaft, auf dieses Gericht, vor welches der heilige Gott uns Alle insgesamt und jeden Einzelnen zieht, weist uns die heutige Epistel. Lasst sie uns vernehmen, wie sie aufgezeichnet steht:
1. Korinther 4, 1-5.
Dafür halte uns jedermann, nämlich für Christi Diener, und Haushalter über Gottes Geheimnisse. Nun sucht man nicht mehr an den Haushaltern, denn dass sie treu erfunden werden. Mir aber ist es ein Geringes, dass ich von euch gerichtet werde, oder von einem menschlichen Tage; auch richte ich mich selbst nicht. Ich bin mir wohl nichts bewusst, aber darinnen bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist es aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr komme, welcher auch wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und den Rat der Herzen offenbaren; alsdann wird einem jeglichen von Gott Lob widerfahren.
Von Rechenschaft und Gericht handelt unser Text. Er redet von menschlichen Richtern und menschlichen Tagen, vor denen wir zu bestehen haben, von dem Richter, den wir tragen in der eigenen Brust. Wir wollen sie nicht übersehen, nicht geringachten. Denn Gott hat sie uns zu Hütern und Wächtern bestellt und redet auch durch ihr Zeugnis zu uns. Aber über diesem menschlichen Urteil und dieser Selbstbeurteilung steht als höchste, heiligste Instanz das Urteil dessen, der auch das Verborgene ans Licht zieht und den Rat der Herzen offenbart. Sein Urteil gibt der oft so trügerischen menschlichen Meinung, gibt der schwankenden Selbstbeurteilung erst ihre Berechtigung, ihr Gewicht und ihre heilige Norm.
Tue Rechenschaft von deiner Haushaltung, so ruft der heutige Text uns zu; und den heiligen Maßstab dazu gibt er uns an die Hand, indem er uns vorhält :
1) Was uns Gott vertraut hat,
2) Was er von uns fordert.
Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz, prüfe mich und erfahre, wie ich's meine, siehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.
I.
„Dafür halte uns Jedermann, nämlich für Christi Diener und Haushalter über Gottes Geheimnisse“. Mit diesen Worten spricht der Apostel es aus, wozu uns Gott gemacht, was er uns vertraut hat.
Dem heiligen apostolischen Amt, dem geistlichen Amt im Dienst der Gemeinde gelten diese Worte zunächst, weiter aber auch jedem Amt, zu dem uns Gott in seinem Reiche berufen. Was er dir auch befohlen und wo er dich hingestellt, steht das fest, dass du deinen Beruf nicht menschlicher Willkür, sondern Gottes Willen verdankst, so steht auch fest, dass du Gottes Haushalter, dass du nicht dir selbst, sondern ihm zu dienen schuldig bist. Von ihm hast du die Kräfte und Gaben, die du fruchtbar machen sollst. Denn, was hast du, das du nicht von ihm empfangen hast, was bist du, was du nicht durch ihn geworden bist, was kannst du, wozu er nicht das Vermögen geben muss? Er hat dir deine Gaben gegeben, er dir deine Aufgaben gestellt. Im Hause und in der Familie, im Staat und in der bürgerlichen Gesellschaft, in der Schule und in der Kirche hat er einem Jeden seinen Platz angewiesen, einem Jeden seine Arbeitsstätte befohlen. Verwalter sollen wir sein über die reichen Güter seines Hauses, des Hauses, das Himmel und Erde, die Natur mit ihren Gesetzen, die Menschenwelt mit ihren sittlichen Ordnungen, das Reich der Gnade mit seinen Gaben und Kräften umfasst. Es sind ja nur verschiedene Gebiete des einen Reiches, das der eine Herr und Gott, der Schöpfer und Erhalter, der Regierer und Erzieher, der Erlöser und Seligmacher mit seinem Geiste durchwaltet, mit seinem heiligen und gnädigen Willen regiert.
Und bist du Haushalter Gottes, so gilt auch von dir, dass du Haushalter bist über „Gottes Geheimnisse“. Gaben und Kräfte sind dir vertraut, die über sich hinaus weisen in eine geheimnisvolle, übersinnliche Welt. Rätselfragen des Daseins und des Lebens umgeben uns auf Schritt und Tritt. Und in dem Beruf insonderheit, dem wir in der Wissenschaft dienen, wo es gilt von den Tatsachen, Erscheinungen und Wirkungen forschend auf den Grund und die Ursachen der Dinge einzugehen, den inneren Zusammenhang des Werdens und des Seins zu erfassen, da stoßen wir allenthalben auf Probleme, an deren Lösung der beobachtende Fleiß und forschende Geist seine Kraft zu erproben hat. Und je höher die Gebiete des Forschens liegen, je bedeutsamer die Lebensaufgaben sind, umso mehr häufen sich diese Geheimnisse. Zumal wo sich's um Lösung der höchsten und heiligsten, für Zeit und Ewigkeit entscheidenden Aufgaben handelt, da werden die geheimnisvollen Rätsel des Daseins zu schmerzlichen Gegensätzen, die Gegensätze zu unheilvollen Widersprüchen. Aber gerade da, wo der menschliche Geist sich unergründlichen Geheimnissen und der menschliche Wille sich unüberwindlichen Schranken gegenübergestellt sieht, wo unsere Erkenntnis ihre ganze Unzulänglichkeit und unsere Kraft ihre ganze Ohnmacht erfährt, da Gott Lob und Preis - sind durch Gottes Gnade die Rätsel gelöst. Da sind die Geheimnisse zu Offenbarungen geworden, in denen Gottes Licht und Kraft sich über uns ergießt. Es ist geschehen in dem, in welchem alle Gottes-Offenbarungen sich vereinigen, alle Gottes-Wege zusammenlaufen, in dem der Abglanz Gottes und das Urbild des Menschen erschienen, in dem das Ebenbild Gottes sich erneut und das Menschheitsideal sich verkörpert in Jesu Christo, dem Gottes- und dem Menschensohn.
„Alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes“ dieses große und tiefe Wort, an welches unser Text unmittelbar anknüpft, lehrt uns die Fülle dessen, was uns vertraut ist, zusammenfassen unter ein Haupt, alle Erkenntnis in Zusammenhang bringen zu der einen Wahrheit, die Verschiedenheit der Gaben in den Dienst stellen des einen Herrn und alle unsere Wege lenken auf das eine Ziel.
Von diesem Haupt- und Mittelpunkt strömt Licht auf alle Wege Gottes, Kraft und Segen auf alle unsere Wege.
So hat Gott uns in Christo, in seiner Kraft und Gemeinschaft seine Geheimnisse geoffenbart. Nur als Diener Christi können wir rechte Haushalter Gottes sein, seine Güter und Gaben nach seinem Willen zur Förderung der gemeinsamen *Wahrheitserkenntnis, des Gesamtwohles der Menschheit, zu unserem Heil verwalten.
Willst du es sein? Willst du ein Diener Christi sein? willst du einstimmen in die Worte des Apostels: „dafür halte uns Jedermann“, dafür halte ich mich selbst, als solcher will ich mich bekennen und betätigen in aller Welt? Euch frage ich, ihr Kollegen und Kommilitonen, euch, ihr Mitarbeiter im Dienst der Wissenschaft, euch, ihr Mitbrüder und Genossen im Reiche Gottes. O lasst diese Frage in Herz und Gewissen euch dringen! Prüft euch vor Gottes Angesicht, wie steht's darin mit euch? Wollt ihr Christi Diener und Gottes Haushalter sein, seid ihr es gewesen? Oder wollt ihr nicht Gottes Haushalter sein, sondern eure eigenen Herren? Habt ihr Christo nicht gedient, ihn nicht bekannt, sondern euch von ihm abgewandt, ihn verleugnet und damit auch gegen den Hausherrn und Hausvater euch aufgelehnt, dessen Haushalter ihr sein sollt? Und ob ihr es mit dem Munde vor Menschen getan, hat euer Herz ihn wirklich zu verleugnen vermocht, den zu verleugnen, von dem mit dem Worte unseres Gottes alle Zeugnisse der Kreatur, alle Stimmen in unserer Brust es bezeugen, dass über allen Gaben er als der einige Geber, über allen Gesetzen er als der einige Gesetzgeber, über allen Wegen der Menschen und der Menschheit er als der einige Leiter und Lenker waltet und thront? Kannst du ihn verleugnen, „du Mensch mit dem Adel der Gottesbildlichkeit an der Stirn, mit der Stimme des Gewissens in der Brust, mit dem Sehnen nach seiner Gemeinschaft im Herzen?“ Kannst du ihn verleugnen, du Christ, dem im Lichte der Offenbarung alle durch die Sünde verwischten Züge der Gotteshand wieder klar und deutlich vor Augen stehen, zu dem unter der Predigt des Wortes alle verworrenen Stimmen der Kreatur wieder laut und vernehmlich reden, du Christ, dem in solchem Licht der Einblick in deines Gottes offenes Liebesherz, in seinen in Christo geoffenbarten Gnadenrat sich aufgetan? O, wenn nur ein Strahl dieses Lichtes in dein Auge gedrungen, wenn nur ein Funke der Gottesliebe dir ins Herz gefallen, kannst du da anders, als dich zu ihm bekennen? Hast du nur Etwas davon erfahren, dass ihn erkennen Seligkeit, ihm dienen Freude und Wonne ist, dass es keine höhere Aufgabe gibt, als forschend seinen Gedanken nachzudenken und seinen Wegen nachzugehen, mitzuwirken, dass sein Name geehrt, sein Reich gefördert, seine Herrschaft ausgebreitet werde: dann wirst du auch diesem Herrn und Gott zu dienen als höchste Weihe und Krone deines Berufes erkennen, da wirst du dich freudig zu ihm bekennen und nicht für alle Reichtümer der Welt, nicht für alle Lorbeeren irdischen Ruhmes, nicht für alle Adelsbriefe der Wissenschaft die Ehrenstellung hingeben, den höchsten Beruf dir schmälern lassen: „Christi Diener zu sein und Haushalter über Gottes Geheimnisse,“ über die Schätze, die er uns vertraut.
II.
Steht es so, sind wir die Diener, er der Gebieter, wir die Haushalter, er der Herr, da hat er auch Macht und Recht, von uns Rechenschaft zu fordern, da sind wir gebunden und verpflichtet, sie ihm abzulegen.
Viel hat er uns vertraut, was aber fordert er von uns? Haushalter sind wir. Nun aber fordert man vom Haushalter nicht mehr, denn dass er treu erfunden werde. Nicht mehr und nicht weniger - hier haben wir die haarscharfe Waage, auf der er uns wiegt. Nichts anders fordert er als die Treue, nicht das Andere, worauf die Menschen bei ihrem Urteil Gewicht legen, nicht hohe Gaben, glänzende Erfolge, einen weithin strahlenden Ruhm, nicht das, wonach wir selbst unsere Arbeit schätzen, nicht Freude, Lust, Befriedigung im Gefühl der eigenen Kraft. Das sind edle, hohe Gaben, Segnungen und Früchte. Aber die Gaben kommen von Gott. Segen und Fruchtschaffen steht bei ihm. Weil wir's nicht in unserer Hand haben, so fordert er es auch nicht von uns. Was er aber von uns fordert, von einem Jeden ohne Ausnahme und Unterschied fordert, das ist die Treue in der Verwaltung der Gaben, in der Verwertung der Kräfte, die er uns vertraut. Er fordert's in jedem Beruf, er fordert's auch im Lehr- und Lernberuf.
Seist du ein Schüler und eine Schülerin, seist du Lehrer oder Erzieher, seist du ein Jünger der Wissenschaft, seist du Leiter und Führer im akademischen Beruf, er fordert von dir das Eine, die Treue. Treuen Ernst und Fleiß bei deiner Schularbeit, Treue im Dienst des Gehorsams, der Pietät gegen Eltern, Lehrer und Erzieher, Treue im Kampf gegen Trägheit und Trotz, gegen Leichtsinn und Übermut. Treue fordert er von dem Jünger der Wissenschaft, Treue in der Verwertung der Zeit, in der Ausbildung der Gaben, in der Sammlung von Erkenntnis, in der Vorbereitung für den zukünftigen Beruf. Treue fordert er vom Lehrer und Erzieher, vom Manne der Wissenschaft und akademischen Führer, Treue in der Hingabe an den Dienst des Berufs, in der Förderung der Wissenschaft, in der Leitung der uns vertrauten Jugend.
Und nicht nur auf gewissenhafte Pflichttreue in der Arbeit überhaupt, auf den Geist und Sinn der Arbeit sieht er. Nicht nur im Hinblick auf das Urteil der Menschen und die Prüfung menschlicher Tage sollen die Lernenden das Ihre tun, nicht nachdem die akademische Jugend zuerst den Genuss als Hauptaufgabe angesehen, gilt es eilig in träger Hinnahme, in gedankenlosem Aneignen des Wissensstoffes auf das nächste Ziel sich rüsten; im akademischen Lehramt nicht auf dem Gewonnenen ruhen und das stete erneute Schöpfen aus den Quellen der Erkenntnis, das stete frische Gestalten zu versäumen; auch nicht nur augenblicklichen Einfällen und Launen folgen, sondern in anhaltendem Ernst der Geistesarbeit sich in den Gegenstand der Erkenntnis vertiefen, - nicht nach Willkür den Stempel des eigenen Geistes den Dingen aufprägen, nach selbstgesetzten Zwecken sie formen und modeln, sondern in treuem Wahrheitssinn den Gesetzen und Ordnungen folgen, die dem unbefangenen Geist ihr Wesen offenbaren.
So im Ernst der Selbstzucht, in der Hingabe der Liebe, in der Empfänglichkeit des Glaubens gilt es die Treue in der Arbeit bewähren. Ja, meine Brüder, der Glaube im allgemeinsten und im höchsten Sinn des Wortes er ist so sehr die Bedingung rechter Wahrheitserkenntnis, ist so ganz mit der Treue eins, die Gott von uns fordert, dass im Urtext Glaube und Treue mit einem und demselben Wort bezeichnet wird. Gott, sich selbst und dem Nächsten treu sein - das macht den rechten Haushalter Gottes. Wer Gott treu ist, der ist wahr und fördert Gottes Ehre an ihm selbst. Wer sich selbst treu ist, der ist fest und stark in der Freiheit, zu der ihn die Wahrheit befreit. Wer dem Nächsten treu ist, der wandelt in der Liebe und fördert das Reich Gottes unter den Brüdern.
Das, meine Lieben, ist es, was Gott an uns sucht, was er von uns fordert, wonach er uns einst richten wird. Auf dieses Gericht weist auch der Apostel, auf den Richterstuhl dessen, „der auch wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und wird den Rat der Herzen offenbaren“. Also Offenbarung ist zunächst sein Gericht, Offenbarung dessen, was sich hier vorbereitet, was Gott uns voraus erfahren lässt in den Stunden der Selbstbesinnung und Selbstprüfung, in denen wir uns vor Gottes Angesicht stellen, oder in Stunden, wie sie uns oft ungerufen kommen, da Gottes Hand uns ins Herz und Gewissen greift, wo längst vergangene Erlebnisse und Taten, Verschuldungen und Versäumnisse, plötzlich, wie aus dem Grabe erstehen, dräuend uns vor die Seele treten und uns auf das Gericht des heiligen, lebendigen Gottes hinweisen, oder wo etwa sonst ein Grab in unserer Mitte sich auftut und der, welcher ins Grab gesunken, mit bleichen Lippen eine Sprache zu uns redet, vor der das Herz erbebt und die Seele erzittert? So ist's auch jüngst unter uns geschehen2). Und wo ein Warn- und Bußruf so gewaltig an uns ergeht, wie sollten und dürften wir hier davon schweigen! Nicht über den, der vor Gott steht, durch den dieser Ruf an uns ergeht, geziemt's uns abzuurteilen. Da gilt das Wort, „richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt“. Aber an uns, an eure Kreise, ihr Kommilitonen, insonderheit wendet sich diese erschütternde Predigt. An die Versuchungen mahnt sie, die euch bedrohen, wo die leicht erregbare Jugend zuerst zu Fleischesdienst und Genusssucht verlockt wird, und dann die Sünde, mit der man gespielt, zum Herrn, und die Leidenschaften, denen man gefrönt, zu Tyrannen geworden, und all die bitteren Früchte und unheilvollen Folgen des fleischlichen Wesens dräuend und schreckend vor die Seele treten und die arme halt- und glaubenslose Seele, von Missglauben und Verzweiflung gepackt, dann im Sturm dem Verderben entgegengeführt wird, da gilt es wahrlich aus der Tiefe rufen: „Herr, führe uns nicht in Versuchung“, ebenso aber auch wachen und beten, dass wir nicht Andere in Versuchung führen. Die Treue, die ihr einander gelobt in dem Bund der Freundschaft, in den Gemeinschaften der Jugend, habt ihr sie einander recht gehalten? Seid ihr einander wie Freunde und Genossen, so auch Wächter und Hüter, Förderer und Helfer, die sich gegenseitig den Halt und die Stütze bieten, deren gerade die Jugend so sehr bedarf? Wohl hat so mancher in euren Kreisen solchen Halt gefunden in treuem Freundesrat und ernster Freundeszucht, der den Leichtsinnigen zum Ernste mahnt und dem Zagenden den Mut erneuert. Aber müsst ihr nicht auch, Angesichts des Geschehenen, euch vielfach dessen anklagen, dass so Manchem, der durch die unter euch im Schwange gehenden Unsitten in wüstes Wesen hineingezogen und zu Ausschreitungen aller Art verleitet ward, wo die vergeudete Kraft zusammen zu brechen drohte, - kein anderer Zuspruch ward als der: „da siehe du selbst zu“, und keine andere Zucht, als die in Spott und Hänselei geübt wird, und er vergebens nach einem Halte ausschaute, der den Sinkenden stützen, an dem der Schwankende sich aufrichten und der Verirrte sich zurechtfinden konnte?
Es sind das gar ernste Gewissensfragen, die unausweichlich in die Herzen der Jugend, ebenso aber auch in die Gewissen ihrer Leiter und Führer wiederum von Gott hineingerufen werden. Lassen wir uns ein Jeder mahnen an das, was er verschuldet und versäumt, gedenken wir des Tages, da wir Rechenschaft ablegen werden vor dem, dessen Gericht Offenbarung und Enthüllung ist, aber ebenso auch Vergeltung.
Was hier im Zeugnis des Gewissens, in den Geschicken des Lebens sich allmählig vorbereitet, es wird dort ewig und unwiderruflich sich erfüllen. Was der Mensch säet, das wird er ernten; wir werden empfangen, wie wir gehandelt bei Leibesleben. „Da wird einem Jeden von Gott Lob und Lohn widerfahren“. Es wird dieses Wort sich erfüllen in dem Reichtum seines unvergänglichen Trostes, aber auch in dem ganzen Gewicht seines furchtbaren Ernstes. Und der Maßstab, nach dem gerichtet wird, er ist und bleibt der eine, der Alles in sich schließt. Treue oder Untreue, im ganzen Umfang und Gewicht ihrer Bedeutung, entscheiden unser ewiges Los.
Dem lasst uns nachdenken! Wahrlich, es ist es wert! Wonach wir gerichtet werden, darnach lasst uns richten unser Sein und Wesen! Und was uns als Richtschnur gegeben für Denken und Handeln, dem lasst uns folgen mit ganzem Ernst und voller Kraft in allem unseren Wandel! Nach der Treue lasst uns streben! Und der Herr, unser Gott, er hat es uns verheißen: die Treue, die er von uns fordert, die wird er uns erweisen. Den Demütigen gibt er Gnade, den Aufrichtigen lässt er es gelingen. In der Treue, die da eins ist mit dem Glauben, ergreifen wir seine Hand. Und in der Treue, die da eins ist mit der Gottes Gnade, wird er uns halten und führen, wird uns Freudigkeit geben, zu stehen in seinem Dienst, zu arbeiten an seinem Reich, Freudigkeit auch auf den Tag des Gerichts, zu bestehen vor seinem Angesicht. An seine Treue wendet sich unser Vertrauen, - so schauen wir zu ihm auf, so beten wir einmütig:
Ach, bleib mit deiner Treue
Bei uns, mein Herr und Gott;
Beständigkeit verleihe,
Hilf uns aus aller Not!
Amen.