Gossner, Johannes Evangelista - Andachten über den Brief an die Römer

Gossner, Johannes Evangelista - Andachten über den Brief an die Römer

Römer 5,8-10.

Darum preiset Gott seine Liebe gegen uns, dass Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren. - Denn so wir Gott versöhnet sind durch den Tod seines Sohnes, da wir noch Feinde waren, vielmehr werden wir selig werden durch sein Leben, so wir nun versöhnet sind.

Wie könnten wir die Liebe mehr preisen, als sie sich selbst gepriesen und verherrlichet hat, da sie für ihre Feinde und für Sünder starb! Die ewig Preiswürdige! wird sie uns nun verderben und sterben lassen, nachdem wir sie erkannt, geglaubt, aufgenommen und im Herzen wohnend haben?! Welch ein Pfand unserer künftigen Seligkeit und des ewigen Lebens hat sie uns gegeben! Ich möchte sagen, das Pfand, das wir schon haben, ist größer, oder ist dasselbe, was wir als verpfändet hoffen. Die Liebe ist unser Pfand und ist unsre Hoffnung, unser ewiges Leben - hier im Vorgeschmacke, und dort im vollen Genuss unser, ewig unser. Hat Gott uns gesucht und gefunden, da wir von ihm flohen; wird er uns wohl fliehen und wegstoßen, da wir ihn suchen und finden? Hat Gott unsre Versöhnung zu Stande gebracht, obwohl sie den Tod und das Blut seines Sohnes kostete; soll er uns wieder wegwerfen, und nicht vielmehr selig machen, da unsre Beseligung das Leben und die Ehre seines Sohnes mehr verherrlichen und erhöhen wird? Hat er uns als Feinden Gutes getan, wird er uns als Freunden Böses vergelten? Da wir die Sünde liebten und dem Satan dienten, starb er für uns; sollte er uns jetzt töten und verderben, da wir ihn lieben und ihm dienen? Wenn er die bis in den Tod liebte, die ihn hassten, wie wird er die lieben, die ihn lieben? - Darum lasst uns nicht mehr weggehen vom Kreuze Jesu, um die preiswürdige Liebe Gottes in ihrer ganzen Größe und Herrlichkeit erkennen und lieben, auf sie hoffen und vertrauen zu lernen!

Römer 8,3.4.

Denn da dies dem Gesetze unmöglich war, weil es durch's Fleisch geschwächt war, so hat Gott seinen Sohn gesandt in der Gestalt des sündlichen Fleisches - damit die vom Gesetze erforderte Gerechtigkeit in uns erfüllet würde, indem wir nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste wandeln.

Nichts Gutes war von uns zu erwarten, ehe er kam; aber nun erwartet Gott Alles von uns, nachdem er uns seinen Sohn und durch ihn Alles geschenkt hat. Er erwartet also doch nicht mehr, sondern nur so viel, als er gegeben hat. - Jesu Bild und Wesen soll in uns ausgebildet und wir ihm gleichförmig werden. Dazu ist er uns gegeben. Wer ihn nicht dazu braucht, dem wird genommen, was er hat, oder zu haben scheint. Jesus will sich oder sein Bild und Wesen selbst uns eindrücken, will in uns geboren werden, wachsen und das vollkommene Manns-Alter erreichen. (Ephes. 4,13.) Die wenigsten Menschen wissen, wozu ihnen Jesus gegeben ist, was er ihnen sein will, soll und kann. Wer es erkennet, der kann die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes nicht genug bewundern, der wendet allen Fleiß an, diesen Zweck und die liebenswürdige Absicht Gottes zu erreichen. Der Vater hat seinen Sohn so lieb, dass er in allen Menschen Abdrücke von ihm, sein Bild in ihnen und aus ihnen hervorstrahlen lassen möchte. Es kann ihm und wird ihm in Ewigkeit kein Mensch gefallen, in welchem er nicht Jesum, seinen Sohn, sein Bild und Wesen erblickt. Weißt du nun, mein Lieber! wozu du da bist? was du für eine Aufgabe hast? Es ist Zeit, dass du dazu tust, Jesum in dein Herz, in deinen Sinn und in dein ganzes Wesen aufzunehmen, sonst wird er dir wiedergenommen, wie dem faulen Knecht sein Pfund.

Römer 8,17.18.

Sind wir Kinder, so sind wir auch Erben, und zwar Erben Gottes und Miterben Christi, wenn wir anders mit ihm leiden, damit wir auch mit ihm verherrlichet werden. Denn ich halte dafür, dass die Leiden dieser Zeit nicht wert sind der zukünftigen Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll.

Wenn nur das Erste seine Richtigkeit hat, dann wird es an allem Übrigen ganz und gar nicht fehlen. Bist du ein wahres Kind Gottes, aus Gott geboren, mit seinem Geiste beseelt und versiegelt, von seinem Geiste getrieben, von seiner Liebe voll, kindlich gehorsam deinem Vater, so dass man dir die Eigenschaften eines Kindes Gottes nicht streitig machen kann, dass dir der Geist Gottes selbst Zeugnis davon gibt: so bist du auch Erbe Gottes und Miterbe Christi, und eine Herrlichkeit wartet auf dich, mit der alle Leiden dieser Welt nicht zu vergleichen sind; der man, wenn man alle Schmerzen der Märtyrer und alle Pein der Verdammten litte, doch nicht wert wäre, die man durch keine Leiden verdienen, um keinen Preis kaufen kann; die Gott nur seinen Kindern schenkt, denen, die an den Namen seines Sohnes von ganzem Herzen glauben, und durch Glauben und Liebe seinem Ebenbilde ähnlich werden. Damit tröste dich, wenn du hier als Kind Gottes verfolgt und geplagt wirst, wenn die Welt dich hasst, weil du nicht ihr Kind bist. Hinaus mit deinem Blicke in jene Welt, wenn dir diese Welt zu enge wird! Jene ist dein, diese nicht. Verlange, erwarte daher hier nichts von der Welt, als den freien Durchzug in dein Vaterland. Und wenn dir auch dieser erschwert wird, wie es denn zu geschehen pflegt, so tröste dich damit, dass selbst all dies, was du auf dieser Welt in deinem Durchzuge erfahren muss, deine Herrlichkeit dort erhöhen wird.

Römer 8,34.

Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestorben ist, der auch für uns bittet.

So fragt Paulus, so frage du, wenn Sünde und Satan auf dich losstürmen und dir allen Trost und Glauben nehmen wollen. Fliehe zum Kreuze Christi, sieh ihn an, wie er sein Haupt neigt und stirbt - zu dir neigt er es, für dich stirbt er, dass du leben und in ihm leben sollst. O seliges Verweilen bei dem Kreuzestode Jesu! Wie die Bienen auf den Blumen ruhen, tief in den Blumenkelch sich einsenken und süße Säfte saugen, so legt sich jede fromme Seele auf das Kreuz Christi, senkt Herz und Gedanken tief, so tief, wie möglich, in den Kelch, in die Tiefe seiner leidenden und versöhnenden Liebe, und schöpft aus dieser ewigen Heilquelle allen Trost fürs Leben und Sterben. Was hätte der Vater den sündigen Menschen für einen größeren Trost geben können, als dass er seinen Sohn für sie am Kreuze sterben ließ? Wer kann uns nun unsre Sünde zurechnen, wer uns richten oder verdammen, da der Beleidigte, dem wir gesündigt haben und der allein das Recht zu strafen und zu verdammen hätte, selbst für die straf- und verdammungswürdigen Sünder sich hat verdammen und töten lassen? Der Richter selbst stirbt für den Missetäter; wer will den Missetäter anklagen und richten? Der Herr, der Richter, trägt die Strafe des Knechtes, wer will ihn strafen? Der Beleidigte bittet für den Verbrecher; wer will diesen verdammen?

Römer 8,35-39.

Wer wird mich scheiden von der Liebe Christi? Trübsal? oder Angst? oder Hunger? oder Blöße? oder Gefahr? oder Verfolgung? oder Schwert? usw.

Wer kann diese Worte dem Apostel in Wahrheit nachsprechen? Wer ist so voll Liebe zu Christus, dass ihn, ich will nicht sagen, Feuer und Schwert, große Angst und Verfolgung, sondern nur eine kleine Versuchung oder Prüfung, wo er etwas verleugnen, ein kleine Unrecht, ein hartes Wort oder einen Schaden dulden soll; wer ist so stark in der Liebe, dass er es um Christi willen tragen und in der Liebe zum Heiland, in der Liebe zu Freunden und Feinden bleiben kann; dass ihn in seinem Herzen nichts scheidet von der Liebe Christi? Machen wir also diese schönen Worte nicht zu Lügen in unserem Munde, wenn wir die Kraft nicht im Herzen haben, und im Wandel beweisen. Mancher möchte wohl in seinem Sinne große Leiden und Prüfungen aus Liebe zu Christo erdulden, ehe er die kleinen tragen gelernt hat, die ihn täglich drücken. Es scheint auch schwerer zu sein, sich in täglichen Geduldübungen nicht von der Liebe zu scheiden, als durch große Verfolgungen und schwere Leiden sich von Christo nicht abwendig machen zu lassen. Beides muss vom Heilande erbeten und erharret werden. Die von Gott im Herzen durch den heiligen Geist ausgegossene Liebe kann Alles überwinden, lässt sich durch nichts von ihrer Quelle scheiden, so wenig als die Hitze vom Feuer oder Licht und Wärme von der Sonne. Aber die eingebildete Liebe, die nur in Worten oder in der Idee besteht, kann nichts überwinden, und kann - freilich auch nicht von Christo geschieden werden, weil sie nicht bei und in Christo, sondern nur Wahn und Einbildung ist - sie kann nicht sterben, weil sie nicht lebt - aber eben darum auch nichts tragen.

Römer 15,1.

Wir aber, die wir stark sind, sollen die Gebrechlichkeit der Schwachen tragen.

Einer trage des andern Last. Galater 6,2.
Seid aber unter einander freundlich, herzlich, und vergebet einander, so wie euch Gott vergeben hat in Christo. Epheser 4,32.

Welche Lasten haben wir unserm Heilande aufgelegt - „fürwahr, er trug unsere Krankheit - Gott warf all unsre Sünden auf ihn -“ und wie sanft, wie stille ging das Lamm unter unsrer Last, ohne seinen Mund aufzutun. Er sagt wohl: Du hast mir Arbeit gemacht mit deinen Sünden, du hast mir Mühe gemacht mit deinen Missetaten - aber nicht, um sich zu beklagen oder zu beschweren, oder uns Vorwürfe zu machen - denn er setzt gleich bei: - Ich, ich tilge deine Übertretung um meinetwillen, und gedenke deiner Sünden nicht. Jesaja 43, 24.25. Er will uns also nur zeigen, wie auch wir die Arbeit, Mühe und Last, die uns andere mit ihren Gebrechen auflegen, stillschweigend tragen und ihrer gar nicht gedenken, alle Beleidigungen vergessen und vergeben sollen. Oder wollten wir Vergebung von ihm nehmen, und unsern Brüdern ihre Sünden behalten? Würde er uns nicht machen, wie dem Knecht im Evangelio? Matthäus 18,33.34. Wem die Last, die ihm andere auflegen, zu schwer wird, der sehe auf den Rücken des Lammes Gottes, und frage: Wer hat dir diese schwere Bürde aufgelegt? Wer hat dich so geschlagen? verwundet? getötet? und warum schweigst du so stille und leidest so geduldig? - Die Antwort wird sich dann von selbst geben.

Römer 16,9.

Ich will aber, dass ihr weise seid aufs Gute, aber einfältig aufs Böse.

Also nicht Kinder-Dummheit, nicht Unwissenheit des Kinder-Verstandes, sondern Kinder-Einfalt und Reinheit des kindlichen Gemüts meint der HErr und Paulus, wenn sie uns gebieten, Kindern ähnlich zu werden. Es zeigt sich auch, dass wahre Einfalt und Kindlichkeit der Sitz der wahren Weisheit ist. Je reiner das Gemüt, desto heller der Verstand; je verschrobener das Herz, desto blinder und teuflisch finsterer der Kopf. Reinige dein Herz von aller Bosheit, so zündest du das Licht im Verstand an! Duldest du aber Bosheit im Herzen, so löscht sie dir alle Lichter im Kopfe aus.

Gib, JEsu, dass ich jedem Triebe
Des heil'gen Geist's gehorsam sei,
Und mach' in mir die erste Liebe
Durch Seine Gnadenwirkung neu,
Die Liebe, die sich anfangs regte
und überall zu Tage legte,
Da Du mir Sünd und Schuld vergabst.
Und hilf sodann, bis ich erblasse,
Dass ich sie niemals mehr verlasse,
Und dass Du Freude an mir habst.

Amen.

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