Gossner, Johannes Evangelista - Briefe an eine leidende Freundin - Berlin, 17. März 29.

Gossner, Johannes Evangelista - Briefe an eine leidende Freundin - Berlin, 17. März 29.

Liebe, teure Freundin im HErrn!

Lange habe ich Sie wieder warten lassen, aber Sie vergeben mir, denn es geschieht nichts von ungefähr. Dieses lange Warten wird Ihnen reichlich belohnt durch die Bekanntschaft, die Sie nun durch dieses Briefchen machen werden. Frau C., gebürtig aus Dresden (also eine Landsmännin), ist so gütig, diesen Brief mitzunehmen und Ihnen selbst zu übergeben. Sie werden sie gleich kennen lernen als eine liebe Seele.

Ihr Letztes ist vom Nov., und da hoffe ich gleich in der ersten Zeile eine Absolution, dass ich mich nicht entschuldigen soll wegen des langen Nichtschreibens. Ich ergreife die Absolution wie ein armer Sünder, dem um Gnade bange ist. Sie wünschen, dass ich einmal hinter Ihren Vorhang kommen möchte! Wie gern wollte ich es auch; aber nun scheint es sobald nicht zu werden, da es nun doch Ernst zu werden scheint, dass Sie mich hier wollen festbinden. Der König hat mich zum Hirten nach Bethlehem bestimmt, es liegt bereits beim Konsistorium, ich erwarte täglich meine Vokation und Einführung. Zwar schon oft schien es so nahe zu sein, und allemal hat der Satan etwas dazwischen zu schieben gewusst. Doch dieses Mal hoffe ich, soll es sich nicht über drei bis vier Wochen verzögern, und ich werde an des seligen Jänikes Stelle als unwürdiger Nachfolger treten. O HErr, sei mir armen Sünder gnädig! Beten Sie, dass ich mit großem Segen des Evangeliums da möge eingeführt werden und dort stehen möge. Hunger ist viel in dem Volk. Der Heiland wolle nur das Brot sein, und es gesegnet durch meine Hände gehen lassen, um es auszuteilen unter die Hungrigen.

Ja, ich freue mich über Ihren Fund einer gleichgesinnten Seele, der Frau Professor Clodius, von der Sie schreiben. Ihren Mann lernte ich kennen, aber sie nicht. Ich danke dem HErrn, dass Sie so etwas haben finden dürfen. Es sind seltene Erfindungen. Grüßen Sie die liebe Freundin recht herzlich. Der Heiland lasse Euch, so oft Ihr einander seht, recht gesegnet werden durch seinen Geist. Er in Eurer Mitte, und in Euren Herzen, das ist mein Wunsch.

In Ihrer Beilage vom 4. Dez. gedachten Sie auch des 14. Dez., wofür ich Ihnen sehr danke. Ach es war ein schweres Jahr, eines der schwersten! aber nun ist's vorüber, und wir müssen uns, so lange wir hier im Lande des Glaubens und der Anfechtung uns aufhalten, doch immer wieder auf Leiden und Prüfungen gefasst machen, wenigstens kann ich mir, nach meiner Erfahrung, nichts anderes versprechen. Ich sehne mich immer nach Ruhe, Stille, Unbekanntsein und sehe gerade das Gegenteil. Was will ich machen? Des HErren Wille geschehe! Er macht doch Alles wohl, wenn wir Ihn machen lassen. Er, der eine Mann, der auch in tiefen Wassern Bahn machen kann. Wenn ich meine ganze Laufbahn von dem Dörfchen in Schwaben, wo ich in der Wiege lag, bis hierher an die Bethlehemskirche über Augsburg, München, Düsseldorf, Petersburg, Leipzig betrachte, so bin ich mir selbst ein Wunder, und muss nur staunen und anbeten über Alles, das ich erfahren habe. Des HErren Rat ist wunderbarlich, aber Er führt es herrlich hinaus. Das wird uns doch zuletzt nahe bleiben müssen: was immer noch kommen wird in künftigen Tagen und Jahren, Er bleibt derselbe, die Liebe und Gnade ewiglich! Ich wäre nicht wert, dass ich lebte, aber durch seine Gnade bin ich, lebe ich doch noch, und hoffe, ewig aus Gnaden selig zu sein trog dem Teufel, trotz dem Drachen.

Nun grüßen Sie Ihre lieben Kinder, der HErr segne Sie Alle, und lasse Sie recht viel Friede und Freude in Ihm genießen. Wir sind ja nicht für heut und morgen, wir sind für die Ewigkeit und für Schöpfer und Heiland aller Zeiten und Ewigkeiten da. Ihm sollen wir gedeihen, und für sein ewiges Reich gedeihen. O HErr, lass uns diese große Bestimmung würdigen und tief erwägen. Amen.

Ihr Gossner.

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