Gossner, Johannes Evangelista - Briefe an eine leidende Freundin - Seehof b. Stolpemünde am Strande, den 2. Aug. 27.

Gossner, Johannes Evangelista - Briefe an eine leidende Freundin - Seehof b. Stolpemünde am Strande, den 2. Aug. 27.

Liebe, teure Freundin im HErrn!

Hier an der Ostsee, fünfzig Meilen von Berlin, also um so viel näher von Petersburg, traf mich Ihr teures Schreiben vom 22. Juni. Seit dem 26. Juni bin ich hier, habe täglich das Wort vom Kreuz hungrigen Seelen zu bezeugen die Gnade und Freude gehabt. Ach welch' ein Segen ist hier, wie verschlingt die Einfalt das Wort des Lebens! wie weht der Geist der Gnade unter ihnen. Das Pommersche Volk ist ein ganz eigenes Volk, sehr verschieden von den Preußen und Sachsen. Voll Einfalt und Empfänglichkeit fürs Wort Gottes. Es war hier eine Erweckung, wie ich keine kenne, so mächtig waren Tausende ergriffen durch den Dienst der Edelleute, die sich ganz dem HErrn hingeben unter großer Schmach und Verfolgung, denn man trieb sie oft mit Gendarmen und Dragonern auseinander, drohte ihnen mit Gefängnisstrafe, nahm den Armen die Kühe aus dem Stalle, wenn sie die Strafgelder für ihre Zusammenkünfte nicht bezahlen konnten (zehn Taler für eine Stunde war bestimmt). Das Weitere können Sie sich denken. Sie litten Alles mit Freuden, waren selig im Glauben, verharrten oft halbe Nächte in Wort und Gebet und der Gemeinschaft unermüdet. Noch ist großer Eifer unter ihnen, obwohl sie sagen, sie wären jetzt lau geworden; sie kommen jetzt während der Ernte noch alle Tage meilenweit Abends um 9 Uhr in die Stunde, und gehen die Nacht wieder nach Hause, und sie würden die Nacht durch bleiben, wenn man immer predigte und singen und beten würde.

Ich ging nicht mit Fr. v. Döberitz, sondern mit Herrn v. Below und bin seitdem bei ihm, morgen aber werde ich zu Thadden nach T., 10 Meilen von Stettin, und dann noch zu Anderen gehen. Ich habe nur zu danken, denn der HErr lässt mich viel Segen mitgenießen, der unter diesen Leuten waltet. Das ist mir lieber, als wenn ich Probst von Berlin wäre. Ich muss kurz sein; der HErr wolle länger und immer bei Ihnen sein hinter dem Vorhang. Er ist auch da, der Glaube fasst Ihn, die Liebe lässt Ihn nicht. und Friede sei mit Ihnen und Gnade

Ihrem ergebenen Gossner.

Bitte, herzl. grüßen die Ihrigen.

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