Gossner, Johannes Evangelista - Briefe an eine leidende Freundin - Berlin, 1. Aug. 1828.

Gossner, Johannes Evangelista - Briefe an eine leidende Freundin - Berlin, 1. Aug. 1828.

Liebe, teure Freundin im HErrn!

Auf Ihr liebes Schreiben vom 24. und 27. Mai bin ich noch Antwort schuldig, und nun wird eine lebendige Antwort zu Ihnen von hier kommen, die dieses Blatt mitbringen. soll. Eine Frau v. Redern mit noch zwei christlichen Damen reisen über Leipzig an den Rhein; ich empfahl ihnen, Sie zu besuchen. Die erstere ist diejenige, welche hier den Verein für Damen für die Düsseltaler Anstalt errichtete und unterhält, und sehr viel Gutes fördert. Sie werden gewiss gern ihre Bekanntschaft machen. Idda sollte und wollte mitreisen bis Leipzig, ich weiß es aber bis diesen Moment nicht, ob sie es tun wird oder nicht. Das Wetter und ihre Gesundheit lassen sie bis jetzt in Zweifel und Ungewissheit, ob sie es tun soll oder nicht. Was nun geschehen wird, werden Sie sehen, wenn dieses Blatt in Ihrer Hand ist, mit oder ohne Idda. Ich bin auch an mehrere Orte aufs Land geladen, besonders auch vom lieben 38, aber da ich für den alten K. zu predigen habe, und alle Sonntage mehreren Tausenden das Wort des seligmachenden Evangeliums verkünden darf, so muss ich mir, um dieser Gnade und großen Freude willen alle anderen geringeren Freuden versagen und in Berlin bleiben.

Mit meiner Anstellung geht's eben den Schneckengang. Man hat meine Protestation nicht angenommen, sondern mir die 8000 Seelen vor dem Hamburger Tor noch einmal angeboten, da aber keine Kirche offen ist, mir den Vorschlag gemacht, in einem Haussaale, den wir erst suchen und etwa durch Durchbrechung einer Wand aus ein Paar Stuben machen müssten, zu predigen bis zur Erbauung einer Kirche, mit der man auch nicht eilt und wohl drei bis vier Jahre brauchen mag. Da es noch einmal an mich kam, wagte ich es nicht zu widerstreben, sondern sagte Ja, wenn der Kronprinz damit zufrieden sei, der scheint es zu sein, und ich werde dann meine schöne, große Louisenkirche, wo Tausende hören können und hören, verlassen und in einer Stube vor ein Paar Hunderten reden müssen, wenn der HErr nicht Alles ändert. Ich muss bekennen, die Sache macht mir viel Kampf, weil Freunde den Feinden gerade in die Hände zu arbeiten scheinen aus Unverstand oder Überspannung oder Verhängnis Gottes. Alles dient aber zu meiner Prüfung, damit es immer wunderliche Wege mit mir gehe.

Sie schreiben von einem Mag. St. aus W., der hierher kam und gern meine Bekanntschaft machen wollte. Letzten Sonntag sah ich bei Stobwasser zwei Württemberger, die dieselbe Reise machten über Dresden, Herrnhut, Jänkendorf - die mich aber hier nicht besuchten, ich weiß ihre Namen nicht und ob der von Ihnen genannte Mag. darunter war. Auch Gr. Dohna ließ mir ihretwegen schreiben, ich sollte sie gut aufnehmen, aber sie ließen sich nicht aufnehmen, weil sie nicht zu mir kamen.

Wie ich höre, geht es Ihnen gar nicht gut mit Ihrer Gesundheit, als wenn Sie sich immer mehr reisefertig machen und zusammenpacken wollten, um ins Land zu reisen, wo Keiner wiederkehrt, wo kein Schmerz, keine Krankheit, kein Gift und keine Gicht mehr ist. O, wie werden Sie dort sich wohl fühlen in den Armen des HErrn! Wie werden Sie frei atmen, wenn Sie Ihres drückenden und beschwerlichen Nachbars, des Leibes los sein werden! Der Hingang ist schwer, aber das Anlanden, das Dortsein wird in einem Augenblick Alles ersetzen. Nun, man wird dann dem Paulus gewiss recht geben, dass er sagte: „Dieser Zeit Leiden sind nicht wert der Herrlichkeit, die an uns soll offenbar werden.“ Wenn aber die Trübsal, der Schmerz und Druck gerade da ist, dünkt es nicht Freude sondern Traurigkeit zu sein, war's doch dem Heiland selbst nicht anders - aber hernach, hernach, welche Frucht wird es bringen! nur Frucht der friedsamsten Gerechtigkeit. Drum ist Alles am Beharren gelegen, dass wir nicht wanken in unserer Hoffnung, nicht ermüden, nicht weichen. Der HErr schenke hierzu die Treue, dass wir nicht verzagen, sondern sagen: wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil. Ps. 73. Wenn ich Ihn nur habe!!! Ja Er sei mit Ihnen, und nehmen Sie Ihn recht fest mit beiden Armen, und recht oft; wenn nichts Sie freut, Er erfreut Ihre Seele, Er erfüllt Sie mit seiner Kraft und Gnade, dass Sie den Kampf kämpfen bis ans Ende, Glauben bewahren und Ihren Lauf seliglich vollenden. Bis hierher hat Er geholfen, das können Sie nicht leugnen, das müssen Sie Ihm zur Ehre nachsagen; und wird Er nicht weiter, nicht bis ans Ende helfen? Wird Er nicht ganze Arbeit machen? ja, Er wird's tun der Treue und Wahrhaftige, Er sei dafür gepriesen, dass Er so treu ist. Ihm vertrauend, und Ihm Sie und mich und Alle befehlend, bin und bleibe ich

Ihr geringster Gossner.

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