Gess, Wolfgang Friedrich - Bibelstunden über den Brief des Apostels Paulus an die Römer - Achter Abschnitt. Die Gerechtigkeit aus dem Glauben, ohne Werke des Gesetzes, ist bezeugt von dem Gesetz und den Propheten 3, 31 - 4, 13.
31. Wie nun? heben wir das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir richten das Gesetz auf. 1. Was sagen wir denn nun von unserem Vater Abraham, dass er gefunden habe nach dem Fleisch? 2. Das sagen wir: ist Abraham aus Werken gerecht gesprochen worden, so hat er Ruhm. Aber er hat vor Gott seinen Ruhm, 3. denn was sagt die Schrift? Geglaubt hat Abraham Gott und das ist ihm gerechnet worden zur Gerechtigkeit. 4. Dem aber, der mit Werken umgeht, wird der Lohn nicht zugerechnet aus Gnaden, sondern aus Pflicht. 5. Dem aber, der nicht mit Werken umgeht, glaubt aber an den, der gerecht spricht den Gottlosen, wird gerechnet sein Glaube zur Gerechtigkeit. 6. Wie denn auch David aussagt die Seligpreisung des Menschen, welchem Gott zurechnet die Gerechtigkeit ohne Werke, 7. „selig sind, deren Ungerechtigkeiten vergeben und deren Sünden bedeckt worden sind, 8. selig der Mann, welchem Gott keine Sünde zurechnet.“ 9. Diese Seligpreisung nun, gehet sie über die Beschneidung oder auch über die Vorhaut? Wir sagen ja, dass zugerechnet worden sei dem Abraham der Glaube zur Gerechtigkeit. 10. Wie ist er ihm denn zugerechnet? Da er in der Beschneidung war', oder in der Vorhaut? Nicht in der Beschneidung, sondern in der Vorhaut. 11. Das Zeichen aber der Beschneidung empfing er zum Siegel der Glaubensgerechtigkeit, welche er schon in der Vorhaut hatte, auf dass er würde ein Vater Aller, die da glauben in der Vorhaut, auf dass zugerechnet werde auch ihnen die Gerechtigkeit, 12. und ein Vater der Beschneidung, für die, welche nicht aus Beschneidung allein sind, sondern auch wandeln in den Fußstapfen des in der Vorhaut bewiesenen Glaubens unsres Vaters Abraham. 13. Denn nicht durch das Gesetz ward die Verheißung dem Abraham oder seinem Samen, dass er sollte sein der Welt Erbe, sondern durch die Gerechtigkeit des Glaubens.
1.
„Ohne Gesetz ist die Gerechtigkeit Gottes ans Licht gestellt worden,“ sagt Paulus in 3, 21. Aber sofort fügte er bei „bezeugt von dem Gesetz und den Propheten.“ Dieses Bezeugtsein führt er von 3, 31 bis 4, 13 aus. In 3, 31 bis 4, 5 und in 4, 9-13 das Bezeugtsein von Moses Gesetz, in 4, 6-8 das von einem Prophetenspruch.
2.
„Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben?“ fragt er in 31. Manchem mochte es so scheinen. Denn Moses Gesetz sagte: „Tue diese Gebote, so wirst du leben.“
Pauli Glaubenspredigt aber lautete: glaube nur, so wirst du leben. Dennoch antwortet der Apostel „das sei ferne! sondern wir richten das Gesetz auf.“ Seine Meinung lässt sich durch Vergleichung von 3. 19 und 27 verstehen. Nach 3, 19 zielt das Gesetz darauf dass jeder Mund verstummen müsse. Dem Selbstruhm der Menschen soll ein Ende werden. Aber nach 27 wird dieser Erfolg nicht durch der Werke Gesetz, also nicht durch Moses Gesetz, wohl aber durch das Gesetz des Glaubens erreicht. Das Gesetz des Glaubens bewirkt also die Erreichung des vom Gesetze Moses vergeblich verfolgten Ziels. Insofern wird das Gesetz Moses aufgerichtet, indem die Predigt des Glaubens tritt an die Stelle der Gesetzespredigt, die Gerechtigkeit aus dem Glauben an die Stelle der Gerechtigkeit aus dem Gesetz.
3.
Aber werden nicht jüdische, vielleicht auch judenchristliche Leser nunmehr rufen, Ein Mann zum mindesten habe wohl sich rühmen dürfen, der Vater Abraham? Denn zu diesem schauten die damaligen Juden mit ähnlichem Aberglauben, wie jetzt die Päpstlichen zu Maria, hinauf. Und doch ist es gerade Abraham, von welchem die Schrift mit vollster Bestimmtheit bezeugt, dass er auf dem Glaubensweg zur Gerechtsprechung kam.
Paulus beginnt mit der Frage Vers 1 „was sagen wir nun von unserm Vater Abraham dass er gefunden habe nach dem Fleisch?“ „Nun“ das heißt: wenn es mit allem Rühmen aus sein soll. „Nach dem Fleisch“ das heißt: nach der Naturkraft. Er antwortet in Vers 2: „ist Abraham aus Werken gerecht gesprochen worden, so hat er freilich Ruhm.“ Aber sofort weiter „allein nicht hat er vor Gottes Angesicht Ruhm.“ Und zwar, weil er eben nicht aus Werken gerecht gesprochen ist. „Denn was sagt die Schrift? Geglaubt hat Abraham Gott und das ist ihm gerechnet worden zur Gerechtigkeit“! (Vers 3). Gnadenmäßig. Als dem welcher glaubte an den Gott der den Gottlosen gerecht spricht. Vers 4 und 5.
Drei Sätze über Abraham sind hierin enthalten: die Schrift behandelt ihn als einen Mann dem die Gerechtsprechung gnadenmäßig zu Teil wurde, durch Zurechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit. Als einen gottlosen Mann. Als einen Mann welcher sich nicht rühmen konnte.
4.
Abraham war fünfundsiebzigjährig als ihm Gott zum ersten Male sich offenbarte. Er soll aus seiner Heimat ziehen. „Ich will dich machen zu einem großen Volk.“1) Er zieht gegen Westen, über den Euphrat, nach Kanaan. In die Mitte Kanaans gekommen empfängt er die zweite Offenbarung „deinem Samen will ich dieses Land geben“.2) Nach der Trennung von Lot die dritte „das ganze Land will ich dir und deinem Samen geben“.3) Fast zehn Jahre nach seiner Ankunft in Kanaan die vierte „fürchte dich nicht, ich bin dein Schild und großer Lohn“.4) Die drei ersten Male hat der noch immer kinderlose schweigend die Verheißung hingenommen, beim vierten Male wagt er die Frage „Herr was willst du mir geben, gehe ich doch kinderlos dahin.“ Da führt ihn Gott aus dem Zelte unter den Sternenhimmel „wie die Zahl der Sterne, also soll dein Same sein“. Das ward der entscheidende Augenblick. Denn Abraham glaubte das Unglaubliche. Und der Herr rechnete es ihm zur Gerechtigkeit.“ An selbigem Tage schloss Jehovah mit Abraham den Bund. Drei Male Schweigen, weil zweifelndes Warten. Beim vierten Male Eröffnen des Herzens zum Fragen und Überwinden des Zweifelns durch den Glauben.
Fünfzehn Jahre hernach ist ihm Isak geboren worden.5)
5.
Wenn Abraham hernach auf jenen entscheidenden Tag zurückgeblickt und sich gefragt hat, wie es zu dem Bunde Gottes mit ihm gekommen sei, durfte er sich dann sagen, dass er Gott recht gewesen so wie er war? tadellos vor den Augen des Gerechten? Nicht einmal vor Menschenaugen war er tadellos. Zwei Male musste er, nachdem ihn Gott bereits mit Offenbarungen begnadigt hatte, beschämende Rügen hinnehmen aus heidnischem Mund.6)
Melchisedek, König von Salem, welcher den vom Kriege heimkehrenden Abraham mit Brot und Wein erquickte, wird Priester des hocherhabenen Gottes genannt. Und die Segnung des hoch erhabenen Gottes, der über Himmel und Erde waltet“ hat er über den Abraham herabgerufen.7) Demnach ward durch diesen Mann, während die Zeitgenossen in Heidentum sanken, das von den Vätern überlieferte Licht treu bewahrt. Dennoch hat Gott nicht mit Melchisedek den Bund geschlossen sondern mit des abgöttischen8) Tharah Sohn. Warum anders musste der 75 jährige Abraham sein Heimatland verlassen, als um ihn den abgöttischen Einflüssen zu entziehen? Daher Paulus wagt, seine Gerechtsprechung die eines Gottlosen zu nennen. So gänzlich ging es bei dieser Bundesschließung nach Gnade zu, nicht nach Verdienst.
6.
Wie wir uns wohl dieses Offenbaren Gottes vorzustellen haben? Bisweilen heißt es einfach: der Herr sprach zu ihm. Das wird ähnlich gewesen sein dem heutigen Sprechen Gottes in ein Gewissen hinein, wenn wir innerlich gemahnt, gerichtet, getröstet werden von Oben her. Es ist nicht eine leibliche, dennoch aber eine fremde und eine wirkliche Stimme, welche sich hierbei vernehmen lässt. Andere Male führt der Zusammenhang auf eine leibliche Erscheinung des Herrn an einem bestimmten Ort,9) wobei Gottes Stimme leiblich gehört wird, wie von dir die Stimme eines Menschen der dir gegenübertritt. Ein drittes Mal ist Abraham in tiefen Schlaf gesunken, die Offenbarung Gottes kommt als Traumbild über seine Seele. Nur nicht ein Traumbild von Unten, aus Fleisch und Blut in die Seele aufsteigend, sondern von Oben, aus der Gegenwart Gottes, der sie umfängt, in die Seele niedersteigend.10) In allen Fällen müssen aber Merkmale vorhanden gewesen sein, welche den Abraham gewiss machten, es sei wirklich Gott selbst, mit dem er es zu tun habe. Aus der unschönen Verabredung, welche Abraham vor Antritt seines Wanderns mit Sarah traf (vgl. 20, 13), ist sein Grauen vor der Fremde zu sehen. Er fürchtete, den Gewalttätigkeiten schutzlos preisgegeben zu sein. Wäre er nicht der Göttlichkeit des Wanderungsbefehls gewiss gewesen, er würde in seiner Heimat geblieben sein. Wie gerne möchte man jene Merkmale wissen! Sie werden uns nicht überliefert. Wird doch auch, wer heute in seinem Gewissen die Stimme Gottes mit solcher Gewalt vernimmt, dass er nicht zweifeln kann, es sei wirklich die Stimme Gottes selbst, gleichwohl nicht sich anheischig machen können, seiner Umgebung den Beweis zu führen, dass es die Stimme Gottes gewesen.
7.
Was in 1 Moses 15 von Abraham bezeugt wird, nämlich, dass der Glaube ihm gerechnet worden sei zur Gerechtigkeit, ist ein Zeugnis des Gesetzes, sofern das erste Buch Moses zum Buch des Gesetzes gehört. Nach Röm. 3, 21 zeugen aber auch die Propheten für die Gerechtigkeit aus Gott mittels des Glaubens, ohne Gesetzeswerke. In Kap. 4, 6-8 führt der Apostel ein Prophetenzeugnis an. Es kommt aus Davids Mund. David ist bisweilen im Geiste gewesen, wie Jesus sagt, und hat aus dem Geiste geredet. So bei seinem Dichten des 110. Psalm11). Petrus nennt ihn einen Propheten mit Bezug auf seine Aussprüche im 16. Psalm12). Paulus seinerseits bezieht sich auf die Worte Davids in Psalm 32. In diesem verkündet er der Gemeinde Gottes die Seligkeit der Menschen deren Ungerechtigkeiten vergeben, deren Sünden bedeckt worden sind, denen der Herr ihre Sünde nicht zurechnet. Was geschehen ist, ist geschehen, man kann es nicht ungeschehen machen. Ein frivoles oder unreines oder gehässiges Wort, ist es einmal ausgesprochen, in die Welt getreten, wuchert in vielen Herzen als giftiger Same fort. Auch wenn der Mann, der es gesprochen, dieses Fortleben mit bitteren Schmerzen beklagt. Aber vergeben kann Gott die Ungerechtigkeit, sie loslösen von der Person dessen der sie begangen hat, so dass sie nicht mehr nagen darf an ihr als tötender Wurm, als brennendes Feuer. Bedecken kann Gott die Sünde, so dass sie nicht zum Gericht über den Menschen kommen darf, in diesen Erdentagen nicht, in der Todesstunde nicht, beim zukünftigen Gerichtstage nicht. Selig also, sagt David, der Mensch welchem Gott nicht die Sünde zurechnet. Paulus seinerseits schließt in Vers 6 aus diesen Worten, dass nach Davids Sinn Gott, wenn Er den Menschen gerecht spricht, dies ohne Werke des Menschen tut. David begründet ja die Seligpreisung nur auf ein Tun Gottes, von menschlichem Tun sagt er Nichts. Noch mehr. David sagt in Vers 3 des Psalms, er habe seine Sünde verschweigen wollen, Gottes Hand habe sich aber so schwer auf ihn gelegt, dass ihm das Verschweigen nicht mehr erträglich gewesen. Er habe sich entschließen müssen, seine Missetat zu bekennen. Nun habe Gott sie vergeben. Außer der Missetat selbst war also noch die Tücke des Verheimlichens in ihm. Dennoch vergibt ihm Gott nach seinem Bekennen, bedeckt die Sünde, dass David zu ihm aufblicken darf, als hätte er keine Sünde getan, als ein seliger Mann.
8.
Ein anderes Prophetenzeugnis hat Paulus schon in 1, 17 angeführt, das des Habakuk „der Gerechte wird aus Glauben leben“. Habakuk lebte um 600 vor Christus, in der schweren Zeit, als Gottes Gericht über Jerusalem durch die Chaldäer im Anzug war. Die Blindheit des Volkes ahnte das Gericht noch nicht, dem Prophetenauge war es schrecklich offenbar13). Wirst du denn diese Chaldäer schalten lassen nach ihres Herzens Gelüste? mit dieser Frage tritt der Prophet vor seinen Gott14). Gottes Antwort lautet „siehe, aufgeschwollen ist seine Seele in ihm, nicht redlich. Und ein Gerechter wird leben durch seinen Glauben“.15) Des Chaldäers Übermut wird also bald die Vergeltung über ihn bringen; wer Glauben hält, wird, wenn auch die chaldäischen Wogen einen Augenblick ihn überfluten, als ein vor Gott Gerechter sein Leben davon tragen. Paulus aber erhebt diesen Spruch aus der irdischen Sphäre in die geistliche empor. Der Prophet sagt: im Glauben ist euer Leben bei allem Wüten der Herren dieser Welt; der Apostel sagt: im Glauben ist euer Leben trotz Sünde und Tod. Und hätte der Prophet dem Apostel, als dieser seine Auslegung des Prophetenwortes niederschrieb, über die Schultern sehen können, er hätte sich der Auslegung gefreut. Man sehe des Propheten Sinn in 2, 20 und 3, 19 „Jehovah ist in seinem heiligen Tempel, stille sei vor ihm alle Welt! Jehovah ist meine Kraft!“ Wer so spricht, kann seiner Seele Heil nirgends suchen als in Gott.
9.
Davids Spruch in Psalm 32 veranlasst den Paulus, nochmals auf Abraham zu blicken. Er fragt in Vers 9, ob Davids Seligpreisung derer die Vergebung haben, nur den Juden, oder auch den Heiden gelte? Für heutige Leser eine seltsame Frage. David führt ja in Psalm 32 nur das eine, dass kein Falsch in dem Geiste sein dürfe, als Vorbedingung für Gottes Vergebung an. Von sich aus hätte der Apostel diese Frage nicht beigefügt. Aber er kennt die jüdische Denkweise. Juden mochten als selbstverständlich betrachten, dass David nur an Juden gedacht habe, wenn er von der Seligkeit des Empfangs der Vergebung rede. Israel und Israel allein sei das Volk auf welches Gottes Segnungen herabfließen können, denn Israel allein habe Gottes Gesetz. Der Apostel möchte seinen Brüdern die Binde von den Augen nehmen.
Deshalb ist es ihm nicht zu viel, zu beweisen, was selbstverständlich ist. Sein Beweis ist einfach. Sie sollen nur wieder auf Abraham blicken. War er beschnitten oder unbeschnitten als ihm der Glaube gerechnet wurde zur Gerechtigkeit? Unbeschnitten war er (Vers 9 und 10). Erst dem 99jährigen ward die Beschneidung befohlen (1 M. 17, 1. 10. 24), die Zurechnung seines Glaubens aber und die Bundesschließung war ein Jahrzehnt zuvor geschehen. Das Zeichen der Beschneidung war hiernach nur das Siegel auf seine in der Vorhaut empfangene Glaubensgerechtigkeit (Vers 11), wie der Verlobungsring nur das Siegel auf die schon geschehene Verlobung ist. Durch diese Ordnung seines Ganges wollte Gott den Abraham machen zu einer Ermunterung zum Glauben für die Heiden, damit auch ihnen zugerechnet werde die Gerechtigkeit (Vers 11), und zu einer Mahnung für die Juden, sich nicht zu begnügen mit dem Beschnittensein, sondern dem Abraham nachzufolgen in den Fußstapfen seines Vorhautglaubens (Vers 12). Wer mag hiernach noch denken an Beschränktsein der Davidschen Seligpreisung auf die Beschnittenen? Der Beweis ist so klar, dass er keiner Erläuterung bedarf.
10.
Dagegen drängt sich die Frage auf, ob ähnliche Beschränktheiten, wie sie der Apostel in jüdischen Herzen voraussetzt, wohl gar noch bei Christen vorkommen können? Der Herr Jesus beginnt seine Bergpredigt mit Seligpreisung derer die arm sind am Geist, hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, verfolgt werden um seinetwillen, denn ihrer sei das Himmelreich. Gilt diese Seligpreisung für die Seinen Alle oder nur für einen Teil? Die römische Kirche sagt: außer mir kein Heil. Demnach kann es nach der Gerechtigkeit Hungernde geben die der Herr Jesus verhungern lässt, ihn Bekennende zu denen er sich trotz seiner Verheißung in Matth. 10, nicht bekennt? Wir Evangelische lächeln über diese Ausschließung. Jesu Wort gilt uns doch mehr als der Päpste Wort; die römische Kirche aber sollte sich besinnen, wie lange sie noch gegen Jesu Wort sich auflehnen wolle.
Um das Jahr 1600 haben Lutheraner den Reformirten, Reformirte den Lutheranern auch oft das Seligwerden abgesprochen. So töricht wird wohl heute Niemand mehr reden. Dagegen gibt es Lutheraner welche meinen, ihrer Kirche, zumal ihrem Altare, schuldig zu sein, dass sie einen Reformirten, welcher gastweise am lutherischen Abendmahl Teil nehmen möchte, zurückweisen. Sie stellen sich vor, die Reformirten wollen es ja doch beim Abendmahl nur zu tun haben mit Brot und Wein, an das Mitgeteilt-werden von Christi Leib und Blut glauben sie nicht; so mögen sie wegbleiben von dem Altar der Lutherischen Kirche, an welchem ausgeteilt werden Christi gegenwärtiger Leib und Blut! Demnach wären die Reformirten auszuschließen von der Seligpreisung derer, die zum Abendmahl des Lammes berufen sind? „Das tut zu meinem Gedächtnis“, hat der Herr Jesus gesagt, als er das Essen und Trinken des heiligen Brotes und Weines eingesetzt hat. Wenn nun um dieses Befehls willen ein reformierter Jünger Jesu das Verlangen hat, während seines Aufenthaltes in lutherischen Landen mit den lutherischen Christen das heilige Mahl zu begehen, wird denn der Herr Jesus ihm seinen Leib und sein Blut verweigern, weil die Mitteilung desselben vorerst noch hinausgeht über das was dieser Mensch sich vorstellen kann? Ist es denn nicht allezeit die Weise des Herrn Jesu, über Bitten und Verstehen an seinen redlichen Jüngern zu tun? Übrigens, wo sind denn unter den frommen Reformirten die Leute, welche, wenn sie zum Tische des Herrn kommen, meinen, sie haben nur mit Brot und Wein zu tun, nicht mit Christi Leib und Blut? Wer die reformirten Gemeinden nicht bloß aus den Büchern, sondern durch Anschauung kennt, der weiß, dass die Frommen unter ihnen wohl verstehen, es handle sich um einen geheimnisvollen Genuss von Christi Leib und Blut, sie seien nur nicht im Stande, das Geheimnis in klaren Begriffen sich vorzustellen. Wann werden diese lutherischen Christen loskommen von ihrem Versagen des Herrnmahls für die welche der Herr selbst als die Seinen erkennt? von ihrem Judentum mitten im Luthertum?
11.
Nach Vers 11 und 12 hat Gottes Regierung den Abraham als Bahnbrecher des Glaubens in die Geschichte hineingestellt für die Völker der Heiden wie für sein eigenes Volk. „Denn, fügt der Apostel in Vers 13 bei, nicht durch Gesetz ist die Verheißung dem Abraham oder seinem Samen geworden, dass er werden solle Erbe der Welt, sondern durch Glaubensgerechtigkeit.“ Wie die Berufung zur Vaterschaft gegen Heiden und Juden, sie beide in das gottgefällige Leben zu locken, so sei ihm auch die Verheißung der Welterbschaft auf Grund seines Glaubens von Gott gegeben worden. Das eine entspreche dem andern. Was versteht wohl Paulus unter der Welterbschaft? In der alttestamentlichen Erzählung von Abrahams Geschichte kommt dieser Ausdruck nicht vor. Wohl aber heißt es dort: „ich will dich zum großen Volk machen, auch Könige sollen von dir kommen; ich will segnen, die dich segnen und verfluchen, die dich verfluchen; dein Same soll besitzen die Tore seiner Feinde; in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde.“ Der Sache nach ist hiermit allerdings die Erbschaft der Welt dem Abraham und seinem Samen zugesprochen. Denn so oft Kampf in der Welt sich erhebt wider Abraham, will Gott ihm zur Seite treten, den Feinden seines Samens entgegen treten. Und eine solche Fülle des Segens will Gott in Abraham niederlegen, dass er auf alle Geschlechter der Erde überströmen, wiederum kein Segen auf die Menschen kommen soll, außer von ihm. So wird die Geschichte der Welt eine Geschichte seiner Siege und der von ihm ausgehenden Segensströme sein. Dass der Apostel hierfür den Ausdruck wählt die Erbschaft der Welt“ soll Abraham werden, ist vielleicht veranlasst durch jenes Wort des Heilandes: selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich ererben. Jedenfalls ist zwischen den Verheißungen Gottes an Abraham, jener Seligpreisung Jesu, dem Worte des Paulus tiefe Harmonie. Durch Sanftmut das Erdreich ererben, durch Glaubensgerechtigkeit die Welt ererben lautet gleich seltsam und wird doch beides in gleicher Weise in der Geschichte bewährt.
12.
Die Sanftmütigen fangen schon im alten Bunde an die Erde zu ererben. Sanftmütig durchzieht Abraham das Land, sanftmütig lässt er dem Lot, da sie scheiden, die Wahl; in Sanftmut erbittet er nach Sarahs Tod ein Erbbegräbnis von den Kanaanitern, bei denen er wohnt.16) Dass sie ihm antworten: du bist ein Fürst Gottes unter uns,“17) ist die Wirkung seines gläubigen Wandels vor Gott und seines sanftmütigen Verkehrs in Kanaan. Und welche unter seinen Söhnen hat Gott am höchsten erhoben? In Sanftmut unter den Verfolgungen Sauls der Stunde Gottes wartend ist David zu dem Königtum herangereift, welches zum Vorbild des ewigen Königtums ward. In Sanftmut die Verfolgungen tragend ward Jeremias erzogen zu seinem Weissagen des neuen Bundes.18) Und nun vollends derjenige Sohn Abrahams welcher für alle Geschlechter der Erde der Heiland geworden ist, und dem jetzt die Macht über Himmel und Erde gehört! In sanftmütigem Gehorsam bis zum Kreuzestod hat er die Erlösung der Welt bewirkt und ist zur Rechten Gottes erhoben. Und Petrus, Johannes, Paulus, sind sie nicht auf dem Wege der Sanftmut die Erben des Erdreichs geworden? Während ihres Erdenlaufs litten sie Hunger und Durst, wurden geschlagen, waren nackend, hatten keine Stätte; wurden gescholten und segneten, wurden verfolgt und duldeten, wurden gelästert und flehten; zur Schlachtung bestimmte Schafe schienen sie zu sein (1 Kor. 4, 11. ff.; Röm. 8, 36). Und jetzt? Ihre Namen gehören bei allen gebildeten Völkern zu den geehrtesten. Auf den Kanzeln und in den Schulen führen sie das Wort.
13.
Durch Sanftmut der Erbe der Erde werden, heißt schon an sich, der Erbe werden durch des Glaubens Kraft. Denn der Glaube ist es, in dessen Kraft diese Sanftmütigen sanftmütig sind. Man sehe was der Hebräerbrief in 12, 2 von dem Herrn Jesu sagt, dass er als Anfänger und Vollender des Glaubens erduldet habe das Kreuz, der Schande nicht achtend, und sich gesetzt habe zur Rechten des Throns. Doch will ich für Pauli Worte in 4, 13, nicht durch Gesetz sei dem Abraham oder seinem Samen die Verheißung geworden, Erbe zu werden der Welt, sondern durch Glaubensgerechtigkeit, noch etliche Beleuchtungen geben. Die erste aus der Geschichte des alten Bundes. In Kraft seiner Glaubensgerechtigkeit ist Moses von Gott erhoben worden zu dem Befreier des Volks aus Ägypten und dem Propheten Israels und aller Völker. Wogegen seine Belastung Israels mit Satzungen nur ein vorübergehendes Erziehungsmittel war, bis die Gnade und Wahrheit durch Christum kam. Die zweite aus der Kirchengeschichte. Man darf die Reformatoren vorzugsweise mitrechnen zu dem Samen Abrahams, welcher die Welt ererbte. Jedermann weiß, wie folgenreich die Reformation für alle Zweige des Völkerlebens geworden ist. Und aus welchem Quell strömte dieser Segensfluss? Aus der Glaubensgerechtigkeit, die den Reformatoren geschenkt worden war. Nicht durch Gesetz kam diese Belebung zu Stand. So lange Luther unter den Satzungen sich quälte, blieb er unfruchtbar. Die dritte aus Jesu Weissagung von der Endzeit. Er spricht: es wird gepredigt werden des Evangelium vom Königreich in der ganzen Welt und dann wird das Ende kommen.19) Erst dann. Also erst dann die Zeit, da die Gemeinde ihr Haupt erhebt, weil sich ihre Erlösung naht.20) Erst dann die Zeit der Ernte, nach den vieltausendjährigen Arbeiten, Mühen, Tränen auf dem Acker der Welt. Erst dann die Mündung der Zeiten in die Ewigkeit. Zugleich aber sagt der Herr von den Endzeiten der irdischen Geschichte, sie werden Zeiten sein der falschen Prophetie, der Ungerechtigkeit, des Erkaltens der Liebe der Meisten, des Versinkens der Herzen in die Interessen der Sichtbarkeit.21) In welcher Kraft werden denn nun die Boten bis an die Enden der Erde die Botschaft des Königreiches tragen, während die Menge der früheren Bürger dem Könige den Gehorsam kündet? An den Enden der Erde als die kostbare Perle preisen, was in der Heimat verachtet wird als Glas? Nicht irgendwelches ihnen auferlegte Gesetz, nur die Freude am Herrn, welche aus der Glaubensgerechtigkeit quillt, wird ihnen die Stärke geben. Da wird zum letzten Mal und mit dem höchsten Erfolg die Glaubensgerechtigkeit sich erweisen als die Kraft durch welche die Gemeinde Gottes wird zu der Erbin der Welt. Denn wirksam werden für die Durchdringung der Welt mit der Ewigkeit und für die Einmündung der Weltgeschichte in die Ewigkeit; von der Ewigkeit her mit Freuden zurückblicken dürfen auf die Geschichte der Welt und sich sagen dürfen, dass man gewesen sei ein Salz und Licht der Welt (Matth. 5, 13. f.), das ist das wahre Erben der Welt, ein besseres, als wenn man für etliche Jahre sich gelabt hat an ihren Ehren und ihrem Gold.