Gerok, Karl - Die Apostelgeschichte in Bibelstunden – III. Die Erwählung des Apostels Matthias.
Kap. 1, V. 13-26. „Und als sie hinein kamen, stiegen sie auf den Söller, da denn sich enthielten Petrus und Jakobus, Johannes und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, Alphäi Sohn, und Simon Zelotes, und Judas Jakobi. Diese alle waren stets bei einander einmütig mit Beten und Flehen, samt den Weibern, und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern. Und in den Tagen trat auf Petrus unter die Jünger, und sprach (es war aber die Schar der Namen zu Haufen bei hundert und zwanzig): Ihr Männer und Brüder, es musste die Schrift erfüllt werden, welche zuvor gesagt hat der Heilige Geist durch den Mund Davids, von Juda, der ein Vorgänger war derer, die Jesum fingen. Denn er war mit uns gezählt, und hatte dies Amt mit uns überkommen. Dieser hat erworben den Acker um den ungerechten Lohn, und sich erhängt, und ist mitten entzwei geborsten, und alle seine Eingeweide ausgeschüttet. Und es ist kund geworden allen, die zu Jerusalem wohnen, also, dass derselbe Acker genannt wird auf ihre Sprache: Hakeldama, das ist, ein Blutacker. Denn es steht geschrieben im Psalmbuch: Ihre Behausung müsse wüste werden, und sei Niemand, der darinnen wohne, und sein Bistum empfahe ein anderer. So muss nun einer unter diesen Männern, die bei uns gewesen sind die ganze Zeit über, welche der Herr Jesus unter uns ist aus- und eingegangen, von der Taufe Johannis an, bis auf den Tag, da er von uns genommen ist, ein Zeuge seiner Auferstehung mit uns werden. Und sie stellten zwei, Joseph, genannt Barsabas, mit dem Zunamen Just, und Matthiam, beteten und sprachen: Herr, aller Herzen Kündiger, zeige an, welchen du erwählt hast unter diesen zwei, dass einer empfahe diesen Dienst und Apostelamt, davon Judas abgewichen ist, dass er hinginge an seinen Ort. Und sie warfen das Los über sie; und das Los fiel auf Matthiam, und er ward zugeordnet zu den elf Aposteln.“
Nachdem wir im vorigen Abschnitt Jesu Christo als dem königlichen Haupte der Gemeinde nachgeblickt haben gen Himmel, von wo er nun seine Kirche regiert, so ist es diesmal die erste Lebensregung in der jungen Gemeinde hienieden, die Ergänzung des Apostelkreises, welche unsere Aufmerksamkeit beschäftigt. Wir betrachten demnach
die Erwählung des Apostels Matthias.
Dreierlei ist dabei zu merken:
1) das Wann,
2) das Warum,
3) das Wie
dieses denkwürdigen Aktes in der Gemeinde.
1.
Das Wann, oder die Zeitumstände, unter welchen diese Wahl vorgenommen wurde, wird uns angedeutet V. 13, 14: „Und als sie hinein kamen (vom Ölberg in die Stadt Jerusalem), stiegen sie auf den Söller, da denn sich enthielten Petrus und Jakobus, Johannes und Andreas, Philippus und Thomas, Bartholomäus und Matthäus, Jakobus, Alphäi Sohn, und Simon Zelotes, und Judas Jakobi. Diese alle waren stets bei einander einmütig mit Beten und Flehen, samt den Weibern, und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern.“
Es war in den zehn Tagen nach der Himmelfahrt und vor Pfingsten. Es war eine merkwürdige Zeit, diese Zeit zwischen Himmelfahrt und Pfingstfest, zwischen des Herrn Abschied nach dem Fleisch und seiner Wiederkunft durch den Heiligen Geist. Eine Zeit, die wieder eine Ähnlichkeit hatte mit den Tagen zwischen dem Kreuzestod Christi und seiner Auferstehung; und doch wie viel anders, wie viel ruhiger, wie viel mutiger, wie viel hoffnungsvoller sind die Jünger nun beisammen als damals! Sie sind auch wieder Waisen, ein Kinderhäuflein ohne Vater, eine Herde ohne Hirten, aber sie sind nicht mehr trostlos, wie damals, sie beweinen den Herrn nicht mehr als einen Toten, sie haben ihn gesehen in der Glorie seiner Auferstehung, sie haben ihn gesehen gen Himmel fahren in königlicher Herrlichkeit, sie wissen, er lebt, er ist bei uns alle Tage bis an der Welt Ende,
Er das Haupt und wir die Glieder,
Er das Licht und wir der Schein,
Er der Meister, wir die Brüder,
Er ist unser, wir sind sein. 1)
Sie sind auch wieder beisammen in stiller Abgeschiedenheit und Zurückgezogenheit von der Welt, aber nicht mehr hinter verschlossenen Türen aus Furcht vor den Juden, nicht mehr in Angst und Zittern, wie eine Schafherde sich zusammendrängt, wenn der Wolf in der Nähe ist, sondern sie sind beisammen in stiller Erwartung und seliger Hoffnung, wie die Kindlein beisammen sitzen in der dunklen Stube am Heiligen Abend, während im Nebenzimmer die Weihnachtsbescherung bereitet wird, denn es ist ja wieder Adventszeit, eine Zeit seligen Wartens auf die Ankunft des Herrn im Geist. Da lesen wir denn auch die ehrwürdigen elf Namen der Apostel; zuerst das Kleeblatt der drei auserwählten Jünger: Petrus, Jakobus und Johannes; dann als der Nächste Andreas, der Bruder des Petrus, der ja einst mit ihm und mit den Söhnen Zebedäi vom Fischernetz berufen worden war.
Dann auch einer der zuerst Berufenen, Philippus, der damals zu Nathanael gesagt hatte: Wir haben den Messiam gefunden, komm und siehe! Dann Thomas, der redliche Zweifler, und Bartholomäus oder Nathanael, der Israeliter ohne Falsch, obgleich er anfangs gezögert und gemeint hatte: Was kann aus Nazareth Gutes kommen? Hierauf Matthäus oder Levi, den der Herr vom Zolltisch berufen, und Jakobus der Jüngere, wahrscheinlich zu unterscheiden von dem Bruder des Herrn, Jakobus dem Gerechten, dem Prediger des Gesetzes und des lebendigen werktätigen Christentums, den wir als Verfasser des Jakobusbriefs kennen, und Simon Zelotes, oder der Eiferer, und Judas, Jakobi Bruder, vielleicht derselbe, von dem wir auch einen Brief haben voll ernster Warnung vor Irrlehrern und Verführern. - Welch' ein schöner Kranz von mancherlei Blumen, ein bunter Kreis von allerlei Gaben, Temperamenten, Gemütsarten: der feurige Petrus und der sanfte tiefsinnige Johannes; der grübelnde Thomas und der werktätige Jakobus; der begeisterte Philippus und der zähe, raue Nathanael! - Aber alle diese verschiedenen Naturen sind geheiligt und veredelt durch die göttliche Gnade, sollen geadelt und erhöht werden durch den Heiligen Geist, der aus jedem etwas machen kann zum Preise des Herrn; alle diese so entgegengesetzten Temperamente sind herzlich verbunden durch brüderliche Liebe unter dem Einen Haupt Jesus Christus, so dass es an ihnen erfüllt wurde: siehe, wie fein und lieblich ist es, dass Brüder einträchtig bei einander wohnen.
Und zu diesen Aposteln, als dem eigentlichen Stamm, gesellt sich noch ein weiterer Kreis: V. 14. „Sie waren zusammen samt den Weibern,“ jenen frommen Frauen, die einst aus Galiläa dem Herrn nachgefolgt waren, unter sein Kreuz ihn begleitet, nach seiner Auferstehung ihn begrüßt hatten. Die Frauen mit ihrem weicheren, für alles Schöne und Gute empfänglichen Gemüt bildeten ja von jeher ein Hauptelement in der Gemeinde Christi, von jener ersten Betgemeinde zu Jerusalem an bis zu dem Häuflein, das heut Abend hier zur Bibelstunde versammelt ist. Und unter ihnen wird besonders genannt Maria, die Mutter Jesu; wie gereift und durchläutert mag sie nun gewesen sein nach allem, was sie bisher erfahren, diese Schmerzensmutter und doch diese Gebenedeiteste unter den Weibern! Mit welch zarter Liebe und frommer Ehrfurcht mögen Alle, nicht nur ihr Johannes, dem sie der Herr vom Kreuz herab als kostbares Erbteil vermacht hatte, sondern alle Jünger und Jüngerinnen diese Mutter unseres Herrn angeblickt, verehrt und auf den Händen getragen haben! Auch Jesu Brüder, seine leiblichen Brüder, werden hier unter den Gläubigen aufgezählt, auch sie, die zuerst an seine göttliche Würde nicht geglaubt, von seinem Reiche fern geblieben waren, hatten nun in ihm, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, etwas Höheres erkannt und vor dem Bruder sich gebeugt, wie einst Josephs Brüder sich neigten vor ihrem herrlich erhöhten Blutsverwandten.
Aber so schön dieser Kreis war: eine schmerzliche Lücke war darin, und die soll nun ausgefüllt werden durch die Wahl des Zwölften. Sehen wir
2.
Das Warum oder den Anlass zur Ergänzung des Apostelkreises.
Den Anstoß gibt zunächst Petrus V. 15: „Und in den Tagen stand auf Petrus unter die Jünger und sprach.“ Petrus war ja von jeher auch schon während des Erdenwandels Jesu der Mund der Jünger gewesen, hatte gern für Alle gesprochen, für Alle gehandelt. Er geht auch jetzt mit diesem Vorschlag voran. Wir finden das natürlich. Und doch können wir uns auf der andern Seite auch darüber wundern. Doch gehörte gerade für Petrus auch wieder ein besonderer Mut, eine große Selbstüberwindung dazu, diese Sache vorzubringen, wenn wir hören, was er sagt.
V. 16, 17. „Ihr Männer und Brüder, es musste die Schrift erfüllt werden, welche zuvor gesagt hat der Heilige Geist durch den Mund Davids, von Juda, der ein Vorgänger war derer, die Jesum fingen. Denn er war mit uns gezählt, und hatte dies Amt mit uns überkommen.“ Indem Petrus von Judas Verrate sprach: musste er nicht sich, musste er nicht auch seine Mitjünger erinnern an das, was er selbst gesündigt hatte, an seine Verleugnung? Hätte er da nicht lieber schweigen sollen? Doch nein, seine Sünde war bereut und war vergeben und keine falsche Furcht und Scham darf ihn abhalten, das zu tun und zu reden, was der Gemeinde frommt und zu des Herrn Ehre dient. Dürften ja auch wir Prediger von heutzutage den Mund nicht freudig auftun vor der Gemeinde, wenn wir vorher müssten rein sein von jedem menschlichen Fehl und Tadel. Nein, habe ich auch der Sünde Macht an mir erfahren und muss ich sie noch täglich erfahren: bin ich nur dabei auch der Gnade Macht an mir inne geworden, dann darf ich für den Herrn zeugen mit freudigem Auftun des Mundes. Darum mögen wir mit Luther sagen: „Wenn ich Petrum ansehe, so lacht mir das Herz im Leibe, denn ob ich wohl ein armer Sünder bin, so ist doch Petrus auch ein armer Sünder, und wenn ich Petrum sollte malen, so wollte ich auf alle seine Härlein malen diese Worte: Ich glaube an die Vergebung der Sünden; Petre, bist du selig geworden, so will ich auch selig werden.“ Nun also, Petrus ergreift das Wort, gibt den Anstoß und zwar mit gutem Recht. Und wie lässt er sich vernehmen? Er deutet vor allem hin auf die schmerzliche Lücke, die im Apostelkreise entstanden durch das Ende des Judas.
V. 18, 19, 20. „Dieser hat erworben den Acker um den ungerechten Lohn, und sich erhängt, und ist mitten entzwei geborsten, und alle seine Eingeweide ausgeschüttet. Und es ist kund geworden allen, die zu Jerusalem wohnen, also, dass derselbe Acker genannt wird auf ihre Sprache: Hakeldama, das ist, ein Blutacker. Denn es steht geschrieben im Psalmbuch: Ihre Behausung müsse wüste werden, und sei Niemand, der darinnen wohne, und sein Bistum empfahe ein anderer.“ Petrus spricht von Judas schwerem Vergehen und schrecklichem Ende mit großem Ernst und entschiedener Offenheit und doch auch wieder mit frommer Wehmut und milder Schonung. Mit Ernst und Offenheit erinnert er an die Sünde seines Mitapostels, „der ein Vorgänger war derer, welche Jesum fingen“, und an seinen schrecklichen Selbstmord, wie er sich erhängt habe und wahrscheinlich, indem der Strick riss und er aus der Höhe auf die Steine herunterstürzte, „mitten entzwei barst“. Da ist nichts von dem unlauteren Bemänteln, womit man in solch traurigen Fällen oft die Wahrheit zuzudecken, die Menschen zu täuschen und einen Schein von Ehre vor der Welt zu retten sucht, nichts von apostolischem Stolz oder priesterlicher Standesehre, als dürfte man auf die Träger des heiligen Amts keinen Flecken kommen lassen vor der Welt, als wären sie dem irdischen Gericht enthoben und erhaben über menschliches Urteil. Nein, mit aller Offenheit spricht Petrus von der Schmach, die Judas über sich und sie alle gebracht; mit heiligem Ernst erinnert er an das Gottesgericht, das über den Unglücklichen ergangen und zeigt, wie auch diese Jammergeschichte, die zur tiefen Beschämung für die Jünger Christi diene, doch nur zur Ehre des heiligen und wahrhaftigen Gottes ausschlagen müsse; denn seine Strafgerechtigkeit, seine Wahrhaftigkeit sei daran offenbar worden und das schreckliche Ende des treulosen Verräters, schon durch Davids Mund im Psalm angedroht, sei hier in merkwürdige, buchstäbliche Erfüllung gegangen. Und so steht Judas als ein warnendes Exempel vom Selbstbetrug der Sünde und von der Strafgerechtigkeit Gottes da für alle Zeiten. So schrecklich kann eine treulose Seele herabstürzen von der Höhe ihres seligen Berufs, dass all ihre Gaben und Kräfte schmählich ausgeschüttet werden. und zu Grunde gehen. So traurig haben schon viele Seelen ihre edle Bestimmung in dieser und in jener Welt verscherzt und ihre Krone hat ein anderer empfangen. Kann man der Sünde schrecklichen Lohn augenscheinlicher sehen als an Judas? Er sollte Christi Jünger sein und wurde sein Verräter. Er sollte ein Bistum verwalten und erwarb den Blutacker. Er sollte den Auferstandenen verkündigen und vermodert als ein Selbstmörder. Er sollte den Heiligen Geist empfangen und fuhr ins ewige Verderben.
Die Sünde gibt den Tod zum Lohn,
das heißt ja schlimm gedient,
das Leben aber ist im Sohn,
der uns mit Gott versühnt.2)
Und doch, meine Lieben, bei allem Ernst und aller Entschiedenheit, womit Petrus von Judas Sünde und Ende spricht, müssen wir bemerken den Ton zarter Schonung und milder Wehmut, worin er von diesem unglücklichen Bruder redet. Da ist nichts von dem lieblosen Richten, das man bei uns in solchen Fällen oft hört, sondern Petrus überlässt Gott das Gericht. Da ist nichts von jener hochmütigen Selbstüberhebung, womit Christen oft auf so einen unglücklichen Selbstmörder herabsehen: „Ich danke dir Gott, dass ich nicht bin wie dieser,“ sondern eine heilige Wehmut um den verlorenen Bruder weht durch die Rede des Apostels. Schonend spricht er von seinem Verrat: „er war ein Vorläufer derer, die Jesum fingen.“ Schonend spricht er von seinem Schicksal: „er ist hingegangen an seinen Ort,“ an den Ort, den der Herr der Herzenskündiger, ihm anweisen wird drüben nach seiner Gerechtigkeit. So, meine Lieben, mit brüderlicher Liebe, mit heiligem Mitleid, mit frommer Selbstbeugung lasst auch uns denken von denen, reden von denen, welche dahinfahren auf finstern Wegen, und bei jedem solchen Fall uns erinnern an das Wort Nathans zu David: Du bist der Mann! Auch in dir ist etwas von solchem Verderben, und nur Gottes Gnade hast du's zu danken, wenn sie dich bewahrt vor dem Sturz in den Abgrund.
Und nun diese traurige Lücke, fährt Petrus fort, die durch den Abgang des Judas im Apostelkreis entstanden ist, die muss wieder ausgefüllt werden. Denn (V. 17) „Er war mit uns gezählt.“ Zwölf Apostel hat der Herr selbst erwählt nach der Zahl der zwölf Stämme Israel, so sollte es denn auch bei dieser heiligen Zahl bleiben. Zwölf Apostel sollten den Stamm der Gemeinde bilden und als eine heilige Schar hinausgehen, das Evangelium zu predigen aller Kreatur: so sollte denn jetzt gleich noch vor dem Pfingstfest diese Zahl wieder ergänzt werden, das mit zwölf Häupter da seien, auf die der Geist sich niedersenke. Wir sehen, es war ein kindlich wohlgemeinter Gehorsam gegen den Herrn, eine gewissenhafte Treue gegen seine Stiftung, was dem Petrus diesen Vorschlag eingab und es war gewiss für den Augenblick das Rechte. Nach dem Pfingstfest freilich musste auch hierin der Buchstabe dem Geiste weichen und die alttestamentliche Form zerbrochen werden, damit das Reich Christi in seiner ganzen Fülle sich entfalte. Später hat der Herr selbst die Zwölfzahl überschritten und erweitert durch die Berufung des großen Apostels Paulus und damit gezeigt, dass er mit Austeilung seines Geistes und Ausstattung seiner Rüstzeuge an kein Maß und keine Zahl gebunden sei und dass die Formen und Normen des Alten Bundes aufgehoben werden sollen in seinem großen Gottesreich, das die ganze Welt umfassen soll. Aber jetzt in diesen Kindheitstagen der christlichen Kirche, da konnte sie nichts besseres tun, als mit kindlichem Gehorsam sich halten an den Buchstaben des Befehls Christi und so geschah es denn gewiss nicht ohne göttlichen Antrieb, was Petrus hier vorschlug. Ebenso lieblich und löblich erscheint noch
3.
Das Wie oder die Art und Weise der Wahl. Zuerst gibt Petrus die Eigenschaften an, die zum Apostelamt erfordert werden.
V. 21, 22. „So muss nun einer unter diesen Männern, die bei uns gewesen sind die ganze Zeit über, welche der Herr Jesus unter uns ist aus- und eingegangen, von der Taufe Johannis an, bis auf den Tag, da er von uns genommen ist, ein Zeuge seiner Auferstehung mit uns werden.“ „Einer von denen, die bei uns gewesen sind die ganze Zeit über“, darin ist zweierlei enthalten: fürs erste ein Maß der Erkenntnis, es musste einer sein, der mit Christo, mit seiner Person, seinem Wort und seinen Taten bekannt war durch eigene Anschauung; und sodann ein Maß der Treue: es musste einer sein, der die ganze Zeit über treu bei Jesu ausgehalten hatte, ohne hinter sich zu gehen wie so viele, ohne sich an ihm zu ärgern, wie so manche. Und das sind ja auch jetzt noch die Eigenschaften, die zum gesegneten Predigtamt erfordert werden: eine lebendige Bekanntschaft mit Jesu, mit seiner Person, seiner Lehre, seinem Werk, dass wir sagen können, was wir gesehen und gehört haben (geistlich mit den Augen des Glaubens und der Erkenntnis), das verkünden wir euch, und eine standhafte Anhänglichkeit an Jesum und seine Sache, dass man treu bei ihm aushält, ob's Lob eintrage oder Tadel, ob's Vorteil bringe oder Schaden. Zu solchen Dienern wolle der Herr uns je mehr und mehr machen, dann nur können wir rechte Zeugen seiner Auferstehung sein. „Zeugen seiner Auferstehung“ nennen sich die Apostel: Warum nicht Zeugen seines Erdenwandels, nicht Zeugen seiner Lehre, nicht Zeugen seines Kreuzestods, warum gerade seiner Auferstehung? Weil in dem Zeugnis von seiner Auferstehung auch alles Andere liegt. Indem sie von der Auferstehung zeugten, mussten sie ja auch von Christi Tod reden, und indem sie diesen predigten, mussten sie auch auf sein Leben und seine Lehre zurückbeuten. Und weil ohne das Zeugnis von der Auferstehung Jesu aller Predigt von ihm die Krone und die Spitze, die Kraft und das Mark fehlt. Herrlich ist seine Lehre, schön sein Leben, rührend sein Leiden, heilig sein Sterben, aber erst durch seine Auferstehung ist er als der Sohn Gottes, ist er als unser Herr und Heiland erwiesen, ist er das lebendige Haupt seiner Gemeinde und der Herzog unserer Seligkeit. Und nun werft noch einen Blick auf die Wahl selbst.
V. 23-26. „Und sie stellten zwei, Joseph, genannt Barsabas, mit dem Zunamen Just, und Matthiam, beteten und sprachen: Herr, aller Herzen Kündiger, zeige an, welchen du erwählt hast unter diesen zwei, dass einer empfahe diesen Dienst und Apostelamt, davon Judas abgewichen ist, dass er hinginge an seinen Ort. Und sie warfen das Los über sie; und das Los fiel auf Matthiam, und er ward zugeordnet zu den elf Aposteln.“ Seht, wie schön und einträchtig da die drei kirchlichen Gewalten zusammenwirken. Das Kirchenregiment in der Person des Apostels Petrus ordnet und leitet die Wahl, die Gemeinde schlägt zwei Männer aus ihrer Mitte vor, dem Herrn aber, dem höchsten Patron der Kirche, wird die Wahl im Gebet empfohlen und die letzte Entscheidung überlassen. Jetzt, meine Lieben, sind die Verhältnisse freilich nicht mehr so einfach und patriarchalisch, wie damals, und die Formen der Kirchenverfassung können mancherlei sein. Aber auch heute noch, wenn die Bestellung der Prediger und Hirten in christlichem Geist und mit göttlichem Segen geschehen soll, müssen diese drei einträchtig zusammenwirken: das Kirchenregiment muss leiten und ordnen, die Gemeinde muss eine Stimme haben und der Herr muss um seinen Segen angerufen werden. Und wenn er auch durchs Los jetzt nicht mehr seinen Willen kund tut, sondern durch sein Wort uns belehrt, durch seinen Geist uns erleuchtet, und durch allerlei Mittel und Wege seine Rüstzeuge wählt und seinen Dienern ihre Posten anweist, wie ja auch später nach Ausgießung des Heiligen Geistes das Los nicht mehr angerufen ward in der Gemeinde, z. B. bei der Wahl der Almosenpfleger: dabei bleibts, der Segen muss von oben kommen, wie zum weltlichen so noch mehr zum geistlichen Amt. Und womit anders könnten wir heute schließen, als mit herzlichem Danke gegen Gott, dass er das Predigtamt erhalten hat von der Apostel Tagen bis auf unsere Zeit, und alle Lücken, welche Tod und Welt und Sünde in die Reihen seiner Streiter gemacht, immer gnädig wieder ausgefüllt hat, wie bei der Wahl des Matthias, und mit der herzlichen Bitte, dass er sich immer mehr Hirten auswähle nach seinem Herzen, und die, welche er berufen hat, immer mehr ausrüste mit Kraft aus der Höhe, und uns allesamt, Lehrer und Zuhörer, Hirten und Herde, jegliches in seinem Teil treu mache in seinem Beruf, damit unser keines seine Krone verscherze wie Judas, sondern wir Alle, ob wir auf einen höheren Posten berufen seien wie Matthias, oder dem Herrn in der Stille dienen dürfen wie Barsabas, mit dem Beinamen Justus, der Gerechte, als treue Haushalter erfunden werden in Zeit und Ewigkeit.
Komm, o Herr, in jede Seele,
Lass sie Deine Wohnung sein,
Dass Dir einst nicht Eine fehle
In der Gotteskinder Reih'n,
Lass uns Deines Geistes Gaben
Reichlich mit einander haben,
Offenbare heiliglich,
Haupt, in allen Gliedern Dich.3)
Amen.