Gerhard, Johann - Heilige Betrachtungen - Die Gründe der christlichen Geduld.
Zuletzt siegt die Geduld.
Gib dich zufrieden, demütige Seele, und trage das von Gott dir auferlegte Kreuz mit Geduld. Denke an das Leiden Christi, deines Bräutigams. Er hat gelitten für alle, von allen, in allen. Für alle hat er gelitten, auch für die, die sein teures Leiden verachten, und sein Blut schändlich mit Füßen treten Ebr. 10,29. Von allen hat er gelitten. Von seinem himmlischen Vater wird er dahin gegeben Röm. 8,32, zerschlagen Jes. 53,4,5, verlassen Matth. 27,46. Ps. 22,2: von seinen geliebten Jüngern wird er verlassen Matth. 26,56; von dem jüdischen Volk, seinem Eigentum, wird er verworfen Matth. 27,21,22. Joh. 1,11, und der Straßenräuber Barrabas ihm vorgezogen; von den Völkern wird er gekreuzigt; aller Menschen Sünden trägt er ohne Unterschied; darum wird er auch von allen mit Schmerzen angetan. In allen hat er gelitten. Seine Seele ist betrübt bis in den Tod Matth. 26,38, und von dem Gefühl des göttlichen Gerichtes gedrückt schreit sie laut über ihr Verlassensein von Gott Matth. 27,46: alle seine Glieder schwitzen blutigen Schweiß aus Luk. 22,44, sein Haupt wird mit Dornen gekrönt, seine Zunge schmeckt den Becher voll Galle, seine Hände und Füße werden mit Nägeln durchgraben Ps. 22,17, seine Seite wird verwundet, sein ganzer Leib wird gegeißelt und am Kreuze ausgespannt. Er hat gelitten Hunger, Durst, Kälte, Verachtung, Armut, Beschimpfungen, Wunden, Tod, Kreuz. Wie schändlich wäre es, wenn der Knecht fröhlich wäre, während der Herr leidet! Wie schändlich, wenn wir in unseren Sünden uns vergnügen wollten, während der Heiland so schwere Strafe um derselben willen leidet! Wie schändlich, wenn die übrigen Glieder nicht Schmerz mit empfinden wollten, während das Haupt voll Blut und Wunden ist! Ja fürwahr: Wie Christus durch sein Leiden zu seiner Himmlischen Herrlichkeit hat eingehen müssen Luk. 24,26: so müssen auch wir durch viel Trübsal in das Reich Gottes gehen Ap. Gesch. 14,22.
Denke auch an die reiche Vergeltung. Dieser Zeit Leiden sind nicht wert der Herrlichkeit, die an uns soll offenbart werden Röm. 8,18. Welcher Art auch immer unser Leiden ist, es ist zeitlich, ja zuweilen auch nur von der Dauer eines Tages, aber jene Herrlichkeit ist ewig. Gott merkt genau alles Widerwertige, das uns begegnet Ps. 56,9, und wird es einst vor Gericht bringen Pred. Sal. 12,14. Wie kläglich würde es also sein, dereinst in jener erhabensten Versammlung des Erdkreises Matth. 25,31 ohne Zeichen des Kreuzes und der Leiden zu erscheinen! Er selbst wird alle Tränen von den Augen der Seinen abwischen Jes. 25,8. Off. 7,17, 21,4. O selige Träne, welche dereinst die Hand solches Herrn abwischen wird! O du seliges Kreuz, welches du einst im Himmel Belohnung findest! David war nicht volle zehn Jahr in der Verbannung, aber. vierzig Jahre auf dem Thron 2 Sam. 5,4. Damit ist zuvor bedeutet die Kürze des Leidens, aber die Ewigkeit der zukünftigen Herrlichkeit. Ein Augenblick von Zeit ist es, in dem die Heiligen durch das Kreuz, das Elend dieser Zeit, das sie zu sich selber bringt, geübt werden und so folgt in Wahrheit ein seliger Abend auf einen leidensvollen Morgen.
Denke weiter an die Trübsal aller Heiligen. Siehe den Hiob in der Asche liegen Hiob 2,8, den Johannes hungern in der Wüste Mk. 1,6. Matth. 3,4, den Petrus ausgespannt am Kreuz (vgl. Joh. 21,18), den Jakobus mit dem Schwert Herodis enthauptet Ap. Gesch. 12,2. Siehe, die Maria, die gebenedeite Mutter des Heilandes unter dem Kreuz stehen Joh. 19,25, welche das Vorbild der Kirche, der geistlichen Mutter des Herrn ist. Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meines Namens willen verfolgt haben; denn also haben sie den Propheten auch getan Matth. 5,11.12. O glorreiche Verfolgung, welche uns den Propheten und Aposteln, sogar allen Heiligen, ja selbst Christo gleichförmig macht! Darum lasst uns leiden mit denen, die gelitten haben; gekreuzigt werden mit denen, die gekreuzigt worden sind, damit wir zur Herrlichkeit erhoben werden mit denen, die zur Herrlichkeit erhoben worden sind! Wenn wir in Wahrheit Kinder sind, so dürfen wir auch das Los der übrigen Kinder nicht verschmähen. Wenn wir in Wahrheit Verlangen in uns tragen nach dem Erbe Gottes, so lasst es uns auch vollständig empfangen. Die Kinder Gottes sind aber nicht bloß Erben der Freude und Herrlichkeit in der künftigen Welt, sondern auch der Trauer und der Leiden in der gegenwärtigen, denn Gott stäupt einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt Ebr. 12,6. Er straft die Sünden derselben, damit er im künftigen Gericht sie verschone; er vervielfacht hier die Trübsal, damit er dort den Lohn vervielfache, und so nicht sowohl die Verfolgung, als vielmehr die Vergeltung gemehrt werde.
Denke an die selige Bestimmung des Kreuzes. Es tilgt die Wurzel der Weltliebe in uns aus, und streut den Samen der Gottesliebe in unsere Herzen. Das Kreuz erzeugt in uns Welthass, und erhebt die Seele zu dem, was droben ist. Wenn das Fleisch getötet ist, wird der Geist lebendig; wenn die Welt bitter geworden ist, wird Christus süß. Das Geheimnis des Kreuzes ist groß, denn durch dasselbe ruft uns Gott zur Herzenstraurigkeit, zur wahren Furcht, zur Übung in der Geduld Ebr. 12,5.6. Lasst uns hören, wenn er anklopft, und vernehmen, was der Herr in uns redet. Ein verächtlicher Anblick ist das Kreuz vor den fleischlichen Augen des äußerlichen Menschen, preiswürdig aber vor Gott und den geistlichen Augen des innerlichen Menschen. Was ward von den Juden für geringer und verächtlicher gehalten als das Leiden Christi: was aber war in den Augen Gottes würdiger und wertvoller als dasselbe? Denn es ist die Versöhnung für der ganzen Welt Sünde 1 Joh. 2,2. So auch wird der Gerechte angefochten; der Gerechte kommt um, und Niemand achtet darauf Jes. 57,1; aber wert gehalten ist das Kreuz, wert gehalten der Tod der Heiligen vor dem Herrn, Ps. 116,15. Schwarz ist die Kirche, die Braut Christi Hohel. 1,5, Äußerlich um der Leiden und Verfolgungen willen, innerlich aber gar lieblich um der göttlichen Tröstung willen. Ein verschlossener Garten ist die Kirche Hohel. 4,5, und jede gläubige Seele, denn Niemand erkennt ihre Schönheit, außer wer in ihr ist. Niemals werden wir vollständig und vollkommen den Trost des Geistes empfinden, wenn unser Fleisch nicht äußerlich angefochten wird. Wenn in uns die Weltliebe wohnt, so kann die Gottesliebe nicht ihren Einzug bei uns halten. Ein volles Gefäß kann man nicht eher mit neuer Flüssigkeit füllen, als bis es ausgegossen wird. Darum lasst uns die Weltliebe ausgießen, auf dass wir mit der Gottesliebe erfüllt werden. So tilgt Gott selbst durch das Kreuz die Weltliebe in uns aus, damit Raum in uns werden könne für die Gottesliebe. Überdies treibt das Kreuz zum Gebet, und erweckt die Tugend. Wenn der Nordwind durch den Garten weht Hoh. 4,16, das ist, wenn Verfolgungen die Kirche üben, dann triefen ihre süßen Würzen, dann werden ihre Tugenden gemehrt, die einen lieblichen Geruch vor Gott von sich geben. Der geliebte Bräutigam der Seele ist weiß und rot Hoh. 5,10, weiß durch Unschuld, rot durch Leiden, so auch wird die geliebte Braut Christi gerötet durch Leiden, damit sie weiß werde durch Tugenden: und so kann sie aus dem härtesten Stein der Anfechtungen Öl und Honig durch die Gnade Gottes hervorbringen; so versteht sie es, aus den bitteren Wurzeln der Trübsal, die süßeste Frucht der ewigen Herrlichkeit zu erzeugen, zu der uns dieselbe verhelfen und einführen wolle! Amen.