Frühbuß, Oswald - Der Segen der Reformation in der Volksschule.
Reformationspredigt gehalten am 21. p. Trin. 1868
von Frühbuß, Pastor in Prittag (Schlesien)1). J. N. J.
Die Gnade unsers HErrn JEsu Christi, die Liebe GOttes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch! Amen.
Ev. Joh. 21, 15-17.
“Da sie nun das Mahl gehalten hatten, spricht JEsus zu Simon Petro: Simon Johanna, hast du mich lieber, denn mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, HErr, Du weißt, dass ich Dich lieb habe. Spricht er zu ihm: weide meine Lämmer. Spricht er zum anderen Mal zu ihm: Simon Johanna, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja HErr, du weißt, dass ich Dich lieb habe. Spricht er zu ihm: weide meine Schafe. Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon Johanna, hast du mich lieb? Petrus ward traurig, dass er zum dritten Mal zu ihm sagte: hast du mich lieb? und sprach zu ihm: HErr, Du weißt alle Dinge, Du weißt, dass ich Dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: weide meine Schafe.“
Geliebte Zuhörer. Es ist der vom Tode auferstandene Christus Jesus, welcher die vorgelesenen Worte zu seinem Simon Petrus sprach. Köstliche, inhaltschwere Worte! Und von welch einem Geiste vergebender, erlösender Liebe beseelt! Schon vor seinem Tode hatte der HErr ein ähnliches Wort an diesen Jünger gerichtet: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Gemeine, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen“. Welch ein hoher und herrlicher Beruf! Aber hatte sich Petrus desselben nicht unwürdig gemacht durch schweren Sündenfall, durch dreimalige Verleugnung des HErrn? Gewiss ist dem so, jedoch nicht minder gewiss, dass der liebe Petrus darüber seine bitteren Bußtränen geweint hat, die in Gottes Waage gar schwer wiegen. Durch dieses Läuterungsfeuer musste die kühne, liebreiche, feurige Seele erst hindurch, um alles falschen Selbstvertrauens entkleidet zu werden und dadurch erst die rechte Würdigkeit und Befähigung zu seinem hohen Berufe zu erlangen. Jetzt war Petrus so weit. Darum erteilt ihm der Auferstandene von Neuem seine Berufung zum apostolischen Amte, richtet aber zuvor noch die merkwürdige Frage an ihn: „Hast du mich lieber, denn mich diese haben?“ nämlich als die anderen mitanwesenden Jünger. wie tief greift der HErr mit diesen Worten in Petri Herz! Es war nicht lange her, dass sich dieser Jünger hoch vermessen hatte, den HErrn wirklich lieber zu haben als alle andere Jünger. „Wenn sie auch alle sich an Dir ärgern, so will ich mich doch nimmermehr ärgern“. So lautete die stolze Rede seines hohen Mutes, dem ein tiefer, tiefer Fall auf dem Fuß folgen sollte. Darum wagt der gedemütigte Petrus jetzt nicht mehr, die Frage des HErrn mit einem runden, unbedingten Ja zu beantworten, will sich überhaupt nicht mehr mit anderen messen, sondern setzt ausdrücklich hinzu: „Du weißt, dass ich Dich lieb habe“. Dieser Liebe aber war er sich auch so gewiss, dass er in seiner Traurigkeit über die dreimalige Frage des HErrn sich ganz getrost auf dessen Allwissenheit berufen kann. Zu dem also geläuterten, in seinem Liebesfeuer geheiligten Jünger spricht nun der HErr: „Weide meine Lämmer, weide meine Schafe“, und bindet ihm damit alle seine teuer erkauften Seelen, alt und jung, aufs Herz. Nicht ihm ausschließlich oder vor allen anderen, sondern mit ihm allen, die des apostolischen Amtes zu warten haben, welche daher derselbe Petrus mahnt: weidet die Herde Christi, so euch befohlen ist“. (1. Pet. 5, 2.). Wir wollen aber, liebe Zuhörer, bei jenem Ausspruche des HErrn nicht übersehen, dass die Lämmer, d. h. die Kindlein in erster Reihe genannt werden, wodurch der HErr seinen gnädigen, guten Willen deutlich kundgibt, dass die geistliche Wartung und Pflege der Kinderwelt von seiner Kirche als eine ihrer ersten und wichtigsten Pflichten angesehen und geübt werden soll. Merkt ihr jetzt den Bezug unsers Textes zu dem schönen Feste, das wir heute feiern? Eins der höchsten Verdienste Luthers, eine der größten Segnungen der Reformation besteht darin, dass der seit langer Zeit vergessene und verleugnete Liebesbefehl des HErrn: „weide meine Lämmer“ durch sie wieder zum Vollzuge gebracht worden ist. Grade hierauf unsere Betrachtung am diesmaligen Reformationsfeste im Besonderen zu richten, dazu liegt wahrlich Mahnung genug in der Zeit, in der wir gegenwärtig leben. Der Gegenstand unserer gemeinsamen andächtigen Erwägung sei demnach:
Der Segen der Reformation in der Volksschule.
Wir sehen zu 1., worin derselbe besteht und 2. wozu er uns verpflichtet. Lieber HErr JEsu Christe, Du willst, dass Deine Kirche Deine teuer erkauften und in Deinen Tod getauften Kinder in treue Obhut und geistliche Pflege nehme, sie täglich weide auf der grünen Aue Deines Wortes und sie führe zu der frischen Quelle Deiner Gnade. Der Teufel aber will das nicht und hat es von je her zu hindern gesucht in mannichfaltigster Weise. Ganz besonders aber in diesen letzten betrübten Zeiten bietet er all seine höllische List und Macht auf, die armen Kinderlein vom Mutterherzen Deiner Kirche zu reißen und abzuschrecken von der Quelle des Lebens. Darum nehmen wir im Gefühl unserer großen Armut und Schwachheit unsere Zuflucht zu Dir, dem Hort unsers Heils, dem Fels unsrer Stärke, und bitten Dich: mache Dich auf, du allmächtiger König der Ehren, tritt der alten Schlange auf den Kopf und gib Deinem Worte den Sieg über den Lügengeist dieser Zeit. Bekenne Dich in Gnaden auch zu dieser Andachtsstunde und benedeie das Wort Deines geringsten Knechts reichlich und mild an unser aller Seelen zum ewigen Heile für Alt und Jung um Deines süßen Namens willen! Amen.
1.
Es ist so hergebracht, meine lieben Zuhörer, - auch wir haben es bekanntlich oft getan, dass man am Reformationsfeste die hervorragendsten Ereignisse der Reformationsgeschichte, Anschlag der 95 Sätze, Verbrennung der päpstlichen Bannbulle, Reichstag zu Worms und dergleichen, in Erinnerung bringt. Ist auch ganz recht und löblich so. Denn dergleichen Erinnerungen sollten niemals matt und blass in uns werden. Sie erwecken uns immer wieder aufs Neue zum Dank gegen Gott und zum treuen Festhalten an unserem so köstlichen und so schwer errungenen kirchlichem Bekenntniskleinod. Gar nicht löblich und fein aber würde es sein, wollten wir dabei überhören die Stimme unsrer Zeit und unsere Blicke dadurch ablenken lassen von den großen Gefahren, mit welchen die Gegenwart uns bedroht. Solcher Sünde wollen wir uns mitnichten teilhaftig machen. Darum haben wir für unsere heutige Betrachtung einen Text gewählt, welcher Vergangenheit und Gegenwart mit ihren Gefahren und ihren Hilfen umfasst. Ihr habt es gehört, wie der HErr durch jenes Wort: „weide meine Lämmer“ seiner Kirche die Kinderwelt, die Schule ganz besonders auf das Herz gebunden hat. Das hatte aber die Kirche fast ganz vergessen, bis dann Luther auftrat und den Strom seiner heiligen Begeisterung und Liebe vornehmlich in die Volksschule sich ergießen ließ. Nachdem die ersten entscheidenden Schritte im Werke der Kirchenreformation getan waren und namentlich die völlige Trennung unserer Kirche von der päpstlichen sich vollzogen hatte, legte Luther rüstig Hand ans Werk, um die lange und schmählich vernachlässigten Fundamente der Volkserziehung wieder zu festigen, an den armen Schulkindern nachzuholen und gut zu machen, was die römische Kirche an ihnen versäumt und verbrochen hatte. Sofort wurde eine allgemeine Kirchen- und Schulvisitation in kurfürstlichen Landen angeordnet und ins Werk gesetzt. Die damit betraute Kommission bestand aus dreißig Mitgliedern, unter welchen Luther selbst die Seele des Ganzen war. Da ging es denn rüstig von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf. Da wurde jede Kirche, jede Schule besucht und zugesehen, wie es um die Weide der Lämmerherde Jesu eigentlich bestellt sei. -
Aber welch ein Jammer kam da zu Tage! Die meisten Lehrer fast ganz unbrauchbar. Nicht wenige Pastoren ebenso und mussten sofort vom Amte gesetzt werden, obgleich man im Allgemeinen recht milde mit ihnen verfuhr und diejenigen im Amte ließ, welche wenigstens im Stande waren, alle Sonntage ihrer Gemeinde eine gedruckte Predigt vorzulesen. Sogar etliche vom Adel, damals der ausschließliche Träger des Kirchen- und Schulpatronats in den Dörfern, waren so verwildert, dass sie sich dem gottseligen Werke der Visitation widersetzten und sagten: „was die Pfarrer uns predigen können, wissen wir längst, und das einfältige Volk braucht nicht klug gemacht zu werden.“ So sprachen sie, um nur nichts für Kirchen und Schulen tun zu brauchen. Mit Donnerkeilen seiner mächtigen Rede schlug Luther auf diesen kläglichen Mammonsdienst los, und als das schwere, trübselige Werk endlich vollbracht war, rief er im tiefsten Schmerze seiner Seele aus: „Hilf, lieber Gott, wie manchen Jammer habe ich gesehen, dass der gemeine Mann doch so gar nichts weiß von der christlichen Lehre, sonderlich auf den Dörfern!“
Luther war aber mitnichten der Mann, der es in solchen Fällen bei Seufzern und Klageliedern hätte bewenden lassen können. Nein, handeln im Namen des HErrn Jesus und in der Kraft des Heiligen Geistes, das war seine Sache, Beruf und Amt. Sofort wurde Hand ans Werk gelegt und vor allen Dingen der Katechismus verfasst, dieses edle, köstliche Kleinod unserer Lutherischen Kirche, über welchem alle Sterne Gottes leuchten. Tausende von Katechismen sind seit jener Zeit verfasst worden, aber keiner ist unter ihnen, der den Lutherschen erreicht, geschweige denn übertroffen hätte und im Stande gewesen wäre, ihn auf die Dauer zu verdrängen. Geschah es hier und da in den Zeiten des Unglaubens, so kam mit dem wiedererwachenden Glauben Luthers Katechismus immer wieder auf und nahm im Volksunterricht seine berechtigte Stelle ein, so dass Luthers Freund und Mitreformator Justus Jonas es mit vollem Rechte aussprechen konnte: „Wenn die evangelische Lehre nicht anders genützt hätte, denn dass sie den Katechismus dem Volke bekannt gemacht hat, so hätte sie doch mehr in der christlichen Kirche gebaut, dann alle hohe Schulen, so lange sie auf Erden gewesen. Der Katechismus ist die rechte Kinderbibel“. Kein Buch in der Welt fasst in so kurze, gedrängte, kernige, fassliche Worte einen solchen Reichtum biblischer Wahrheit, als unser herrlicher Katechismus. -
Mit der Abfassung und Verbreitung desselben aber war es bei Weitem nicht getan. Luther gab auch die allerbesten Ratschläge, wie er in den Schulen zu brauchen sei, wie ein frommer Lehrer selber ein Kind werden müsse, um die lieben Kinder durch den Katechismus dem HErrn JEsus zuzuführen, ja der hochbegnadete, reich begabte Knecht des HErrn wurde beiden, Schülern und Lehrern, ein leuchtendes Vorbild, - er betete täglich seinen Katechismus und verhörte oft in ihm Bürger, Bauern und Kinder. Alle diese rastlose Mühe und Arbeit aber war in dem Maße durchdrungen, getragen, beseelt und geweiht von dem Geiste des Gebets, dass unsers lieben Herrgotts Segen und Wohlgefallen sichtlich darauf ruhte und schon nach zwei Jahren unser Luther an seinen Kurfürsten schreiben konnte: „Es wächst jetzt und die zarte Jugend von Knäblein und Mägdlein wird mit dem Katechismus und Schrift wohl zugerichtet, dass mir's in meinem Herzen sanft tut, dass ich sehen mag, wie jetzt junge Knäblein und Mägdlein mehr lernen, glauben und reden können von GOtt und von Christo, denn vorhin noch alle Stifter, Klöster und Schulen gekonnt haben und noch können. Es ist fürwahr solches junge Volk in Ew. Kurfürstlichen Gnadenlanden ein schönes Paradies, dergleichen auch in der Welt nicht ist“. -
Das ist der Segen der Reformation in der Volksschule. Und wenn wir, meine lieben Zuhörer, es nun vor Augen haben, wie dieser köstliche Segen uns durch Gottes Gnade und Barmherzigkeit bis jetzt erhalten worden und wie er im Laufe der Zeit gewachsen ist; wie viele treue Hirten in Kirche und Schule heut zu Tage die Weide der Lämmerherde JEsu sich ernstlich und eifrig angelegen sein lassen; wie jedes Schulkind im Besitz seiner Bibel, seines Katechismus und seines Gesangbuchs ist, auch die ärmsten von der barmherzigen Liebe damit beschenkt werden; welch einen köstlichen Schatz von biblischen Kernsprüchen, Geschichten und gesalbten Liedern unsere Schulkinder sich angeeignet haben; - wie viele Patrone ihren Schulen die lebendigste Teilnahme widmen, so dass ihnen kaum ein Pastor oder Lehrer mehr gut genug ist und sie den äußerlichen Bedürfnissen der Schulen mit bereitwilligster Freigebigkeit entgegenkommen und kaum noch an ihre heilige Pflicht und Schuldigkeit erinnert zu werden brauchen; wenn wir sehen, mit welcher Weisheit und mit welchem Eifer die Obrigkeiten das Volksschulwesen zu leiten, zu unterstützen und zu fördern bemüht sind; wie von allen Seiten die Liebesgaben zusammenfließen, um nur immer mehr Schulen, Kinderbewahranstalten, Rettungshäuser und Waisenhäuser zu stiften, und wie es ihnen der getreue HErr an leitenden Kräften niemals fehlen lässt, so stehen wir hier vor einem Segen der Reformation, für den die evangelische Christenheit ein Halleluja anstimmen muss, das durch aller Himmel Himmel dringt.
2.
Das leitet uns zum zweiten Teile unserer Betrachtung, nämlich zur Beantwortung der Frage, wozu uns dieser Segensreichtum verpflichtet. Denn dass das mit der Feier eines Reformationsfestes und mit dem Liede: „Ein feste Burg ist unser Gott“ so löblich, heilsam und notwendig es ist nicht abgetan, das weiß und fühlt jeder, dem das Zornwort Gottes im Ohr und Herzen tönt: „Dies Volk ehrt mich mit seinen Lippen, aber sein Herz ist ferne von mir!“ Der HErr will eben mit der Tat und in der Wahrheit von uns geliebt und gelobt sein. Da ließe sich ja recht viel sagen von den besonderen Pflichten der Eltern, der Kinder, der Lehrer, der Pastoren und allen denen, welche in irgendeiner Weise am Hirtenamte beteiligt sind. Wir wollen aber dessen für diesmal geschweigen. Es bietet sich wohl sonst auch vielfache Gelegenheit dar, das, was frommt, in ernstliche Erinnerung zu bringen. Die Zeit, in der wir leben, lenkt unsere Aufmerksamkeit in jetziger Andachtsstunde nach einer anderen Seite hin, für welche sie unsere Dankbarkeitspflichten in einen ganz besonderen Anspruch nimmt. Wir können dieselben in das Wort zusammenfassen: „Halte, was du hast, dass niemand deine Krone raube“. Nun, wem gelüstet denn nach der Krone, für die wir heute dem HErrn unsere festlichen Danklieder singen? Das gebenedeite Werk der Kirchenreformation ist dem Teufel von Anfang ein rechter Dorn im Auge gewesen. Darum hat er es mit aller Zornwut und Bitterkeit verfolgt bis auf diese Stunde in mannigfaltigster Weise. Namentlich hat er zu aller Zeit sein Absehen darauf gerichtet, die Volksschule zu schädigen. Wir erwähnten zuvor bereits im Vorübergehen, dass er in den Zeiten des Unglaubens sie ihres edelsten Kleinods, des Katechismus, zu berauben gewusst hat. Diese traurigen Zeiten liegen uns gar nicht sehr fern. Diejenigen Pastoren, welche treue Söhne unserer lieben Lutherkirche und bemüht sind, ihre Bekenntnisschätze zu verteidigen und zu wahren, haben vor etwa 15 Jahren einmal gründlich untersucht, welche Katechismen denn eigentlich in unseren Volksschulen im Brauch seien, und bei dieser Gelegenheit nicht weniger, als achtzig verschiedene Katechismen in unserem lieben Schlesien allein entdeckt, von denen einer immer schlechter, als der andere war. Es genügte damals eine einfache Anzeige dieses großen Schadens bei den kirchlichen Behörden, um jenen achtzig falschen Propheten die Wege zu weisen und den lutherischen Katechismus überall wieder in die ihm gebührenden Ehren einzusetzen. Wenn aber der Feind, der gar überaus arg und böse ist, hier und da einmal zurückgeschlagen ist, so beginnt er den Angriff alsbald wieder von einer anderen Seite mit umso größerer Erbitterung. Seinen Hauptschlag hat er aber grade in diesen unseren Tagen vor. hat nämlich der Satan einmal die listigsten und mächtigsten Teufel zu einem hohen Rate um sich versammelt und ihnen folgende Preisaufgabe erteilt: „Was kann und muss unsererseits geschehen, um dem Reiche Christi auf Erden mit einem Schlage ein Ende zu machen?“ Da hätte nun jeder gern den Preis gewonnen; darum mühte sich jeder, die beste Antwort auf diese Frage zu geben. Der Eine sagte: „man errege in allen Landen Revolutionen und stürze die Throne um, dann werden die Altäre von selber sinken. Die Völker werden sich aufreiben und nach Gott nichts mehr fragen, wenn sie erst seine Gesalbten haben verachten und beschimpfen gelernt.“ Dem entgegnete der Satan: „Die Revolutionen sind gut, aber sie allein führen mitnichten unmittelbar zu unserem hohen Ziele. Du vergisst, dass die Throne auf die Altäre, nicht aber die Altäre auf die Throne gegründet sind. Haben wir nicht schon Könige auf dem Blutgerüste hingerichtet? Ist nicht das Blut von vielen Tausenden geflossen? Haben wir nicht das Königtum von Gottes Gnaden in manchem Lande bereits gänzlich beseitigt und Wahlreiche und Freistaaten gestiftet? Dennoch hat Gott überall sein Volk behalten!“
Demnächst trat ein anderer Teufel auf und sagte: „Gewiss hat das seine vollkommene Richtigkeit, was wir so eben aus höchstem Munde vernommen haben. Nicht von oben, sondern von unten muss unser Angriff begonnen werden. Dem Volke muss der Taumelkelch weltlicher Lust voll eingeschenkt werden. Jeden Sonntag in allen Branntweinschenken Tanzvergnügen, dass die Leute erst gar nicht zur Besinnung kommen, und alle trüben Gedanken an Tod, Gericht und Ewigkeit ferne von ihnen bleiben. Das wird alle Kirchen verlassen und leer machen, und Unzucht, Ehebruch, Prozesse, falsche Eide, Mord und Totschlag werden die unausbleiblichen Folgen sein.“ Auch zu diesem Rat schüttelte Satan den Kopf und erwiderte: Diese Mittel haben wir bereits seit langen Jahren in Anwendung gebracht, - allerdings mit ganz leidlichem Erfolge, sie haben uns schon viele Millionen Seelen in die Hölle geliefert, - aber viele andere Millionen sind uns trotzdem verloren gegangen und unerreichbar geblieben. Weißt du denn nichts von dem furchtbaren Rüst- und Waffenzeug, das dem Christenvolke gegeben ist, von dem Helme des Heils, von dem Brustharnisch der Gerechtigkeit, von dem Schilde des Glaubens und von dem entsetzlichen Schwerte des Geistes, dadurch jeder, der sich sein bedienen will, unsere feurigsten Geschosse auslöschen und zurückwerfen kann?“
So wurde noch manches Wort in jener höllischen Ratsversammlung geredet. Aber keiner konnte den rechten Punkt finden und treffen. Da erhob sich endlich Satan selber von seinem hohen Throne und sprach: „Es gibt nur ein Mittel, das sicher zum Ziele führt. Die Volksschule muss unser werden. Wir können, werden und müssen es dahin bringen, dass die Kirche sich um die Schule gar nicht mehr kümmern darf, und die Seelen mit ihrem christlichen Rüstzeuge erst gar nicht bekannt gemacht und angetan werden. Denn eines Kindes Herz ist für die christliche Religion gar zu empfänglich, und wenn sie ihm erst einmal durch fromme Lehrer tief eingepflanzt ist, dann ist sie später mit aller Teufelsgewalt nicht wieder herauszubringen.“ Also wurde im hohen Rate der Hölle beschlossen und sofort zur Ausführung des Beschlusses nach allen Seiten hin der nötige Befehl getan. Haltet ihr, meine lieben Zuhörer dieses höllische Beginnen etwa für unausführbar? Ich sage euch: es ist zum großen Teil bereits vollbracht in einem weiten, umfänglichem Ländergebiete, in Spanien, in Frankreich, in Belgien, in Österreich, des armen wüsten Italiens gänzlich zu geschweigen. Ist es nicht recht merkwürdig, dass Satan in lauter römischkatholischen Landen seinen Sieg zuerst gewonnen hat? Welch ein Maß von Verblendung gehört dazu, grade in solchen Zeiten und unter solchen Umständen die evangelische Christenheit einzuladen, wie der Papst jüngst getan hat, in die römische Kirche zurückzukehren, also in ein Haus einzutreten, in welches die eigenen Angehörigen von allen Seiten die Feuerbrände schleudern, dass seine Fundamente wanken und alle Sparren knacken und alle Balken krachen. Wir widmen dem armen, übelberatenen, alten Manne in Rom unser aufrichtiges Mitleiden, aber aufhalten können wir uns unmöglich bei ihm an dieser Stelle. Der Lauf unserer Betrachtung legt uns Fragen von höherer Wichtigkeit vor. Woher mag es denn kommen, dass das Werk der Finsternis gerade in lauter römisch-katholischen Landen zuerst gelungen ist? Zweifelsohne doch wohl daher, dass es dort am reinen Gottesworte und Sakramente fehlt, dadurch dem heranflutenden Verderben sich ein Damm entgegensetzen ließe. Die alten römischen Waffen sind stumpf und rostig worden und erweisen nach allen Seiten hin sich nutzlos in den schweren Kämpfen dieser Zeit. Wer aber darum glauben wollte, dass wir in evangelischen Landen unangefochten bleiben werden, der müsste von dem großen Zorne und der Macht des Fürsten der Finsternis wahrlich wenig verstehen. hat nicht Satan auch bei uns zu Lande bereits gewaltig vorgearbeitet und den Boden zugerichtet für seine böse Saat durch die abscheuliche Revolution vom Jahre 1848?
Dass alle und jede Revolution Teufelswerk ist, unterliegt ja doch nach Gottes Worte nicht dem geringsten Zweifel. Mag immerhin dies und das Gute daraus hervorgegangen sein. Dadurch wird dies Urteil nicht im Geringsten erschüttert. Was Jacobs Söhne an ihrem Bruder verbrochen haben, ist und bleibt verbrochen, ob es schon herrliche Folgen hatte. Jesu Tod hat die Welt erlöst. Dennoch bleibt da Judas ein abscheulicher Verräter und der Teufel der Verursacher aller Kreuzesnot und Höllenpein unsers lieben HErrn. Es heißt in solchen Fällen eben: „ihr gedachtet es böse zu machen, Gott aber gedachte es gut zu machen.“ Und denen die Gott lieben müssen alle Dinge, auch die schlimmsten und bösesten, zum Besten dienen.“ Der schlimmste aller schlimmen Streiche, welche der Feind unserer Seelen durch die Revolution ausgeführt hat, ist der, dass er uns eine Verfassung aufgesetzt hat, deren oberster Grundsatz „die meisten Stimmen gelten“ eine Lüge, ein folgenschweres Verbrechen, ein kühnes Widersprechen gegen Gottes Wort ist. Nach diesem Worte sind und bleiben der Weg und die Pforte weit und breit, die zur Verdammnis führen, und die meisten laufen auf diesem Wege. Wie, wenn nun auch in unserem armen Volke der Abfall von Gottes Wort einen solchen Umfang erlangt, dass der finstere Gedanke der Trennung der Schule von der Kirche auch in unserem Abgeordnetenhause Raum und die Mehrzahl der Stimmen gewinnt? Und haben wir das nicht bereits vor etlichen Jahren erlebt? Damals ging ein Schrei des Entsetzens durch einen großen Teil unseres Volkes. Wir entwarfen einen Protest gegen dergleichen unselige Beschlüsse; im Laufe eines halben Tages war er von sämtlichen Familienvätern unsers Kirchspiels unterschrieben; binnen vierzehn Tagen hatten sechstausend andere in Schlesien das auch getan; in den übrigen Provinzen des Vaterlandes geschah dasselbe, und wir konnten dem Abgeordnetenhause einen entschiedenen Protest mit vier und zwanzigtausend Unterschriften von lauter Familienvätern überreichen. Damit war der wütende Angriff für den Augenblick zurückgeschlagen. Aber wird er sich nicht erneuern? vielleicht schon in den nächsten Wochen? Sollen wir dann von neuem protestieren? Wird das fernerhin dann etwas fruchten? Wird man sich nicht auf die Volksvertretung und die Mehrheit der Stimmen berufen und sagen: „Was haben 50 und 100 Tausend Unterschriften zu bedeuten gegen die vielen Millionen, deren Vertreter wir sind?“ Ja, meine lieben Zuhörer, es ist nicht anders, wir stehen an der Pforte schwerer Ereignisse und Gerichte Gottes. Und dennoch brauchen wir uns nicht zu fürchten, nicht trost- und hoffnungslos zu sein, wenn wir anders die Mittel und Wege treulich brauchen und wandeln, die uns der gnadenreiche Gott in seinem heiligen Worte angewiesen hat. Sie heißen Buße, Glauben, Wachen und Beten. Dadurch lässt gar vieles Drohende sich abwenden, gar vieles Verlorene sich wieder gewinnen und vieles Gute sich bewahren. Rechtschaffene Buße hat ganz Ninive gerettet. So wollen auch wir dem HErrn in die Rute fallen, ihm reumütig bekennen, dass wir das Verderben dieser Zeit allesamt mit verschuldet haben, und unseren himmlischen Vater recht herzlich und demütig bitten, dass er um des Gottesblutes seines lieben Sohnes willen uns alle unsere Sünden vergeben wolle. Der Glaube an das Wort des HErrn und sorgsames Achten auf die Zeichen der Zeit ließen einst das kleine Häuflein der Auserwählten den Rettungsweg finden aus dem von allen Seiten belagerten und geängsteten Jerusalem. So wollen auch wir im festen Glauben uns anklammern an das Verheißungswort unserer heutigen schönen Festepistel: „Wenn gleich das Meer wütete und wallte, und von seinem Ungestüm die Berge einfielen; dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben mit ihren Brünnlein, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Gott ist bei ihr drinnen, darum wird sie wohl bleiben; Gott hilft ihr frühe.“ (Ps. 46, 4-6). Wo Gottes Wort und Sakrament lauter bleiben, da bleibt auch der lebendige Gott selber, und bleiben wir bei jenem, so bleiben wir auch bei diesem und unter seinem allmächtigen Schutz trotz aller Feinde, List und Wüten. Nur lasst uns nicht vergessen, dass der Satan viel gefährlicher als listige Schlange, denn als brüllender Löwe ist. Diesen hört man Meilen weit; jene bemerken viele kaum, wenn sie auch von ihr schon auf den Tod verwundet sind. Darum gilt es in dieser unserer Zeit mehr, als je, zu wachen und die Augen offen zu halten vor den aller Orten gelegten Schlingen und Fallen. Der alte böse Feind erscheint jetzt überall als ein Engel des Lichts und bringt wieder sein schon im Paradies bewährtes Verführungsmittel aller Orten in Anwendung. Er ist ein Kenner der Menschen; weiß, dass sie Alle Evas Kinder sind, welcher schien, „dass von dem Baum gut zu essen wäre und lieblich anzusehen, dass er ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte.“
Ganz ebenso verlockt er in unseren Tagen durch tausend schlechte Zeitungen und Winkelblätter, durch Volksversammlungen und Reden auf Tribünen und Bierbänken alles, was nicht taktfest ist, durch den eitlen Ruhm der Klugheit. Und weil doch gern jedermann klug sein will, und die Dümmsten am liebsten für die Klügsten gelten möchten, schallt es von allen Seiten wieder: „was andere sind und haben, wollen wir auch sein und haben; wir wollen nicht dumm bleiben, während andere klug werden, nicht zurückbleiben, während jene fortschreiten“ Fortschritt! Das ist die Losung dieser Zeit, nach der viel hunderttausend Ohren jucken. Es wird daher hohe Zeit sein, meine geliebten Zuhörer, dass wir uns das verführerische Ding einmal ein wenig bei Licht und in der Nähe betrachten. Da müssen wir zuvörderst daran erinnern, dass es gar viele bereits fertige, in sich vollendete Dinge gibt, die allen und jeden Fortschritt schlechterdings ausschließen. Es sagt Einer mit Recht: was rund und gerade ist, das kann nicht noch runder und gerader gemacht werden; und was einmal gewiss und ausgemacht ist, muss unangetastet bleiben. Zwei mal zwei ist vier. Das ist z. B. so eine ausgemachte Sache, und bei der wird es schon sein Bewenden behalten müssen. Wer hier dem Fortschritte huldigen und sagen wollte: „zwei mal zwei ist fünf,“ der geriete durch Fortschritt eben in den baren Unsinn hinein. Dergleichen ausgemachte Sachen aber, die keinen Fortschritt zu lassen ihrer Natur nach, gibt es gar manche, und zu ihnen gehört in allererster Reihe auch das teure Gotteswort. Wäre es Menschenwort, so möchten die Menschen daran modeln und basteln nach Herzenslust, niemand würde sie stören. Es ist aber eben nicht Menschenwort, sondern Gottes Wort, und verflucht ist, wer davon abtut oder dazutut, steht geschrieben. Himmel und Erde werden vergehen, Gottes Wort wird ewig stehen. Hier ist also mit dem Fortschritte platterdings nichts zu machen.
Dagegen gibt es auch einen löblichen und heilsamen Fortschritt, als da ist der Fortschritt vom Judentum und Heidentum zum Christentum und der Fortschritt, das Wachstum im Glauben, in der Liebe, in der Demut, der Keuschheit, Geduld, überhaupt im christlichen Sinn, Leben und Wandel. Von solchem Fortschritt aber will der Feind gerade am allerwenigsten etwas wissen. Er ködert nur mit seiner gleisnerischen Fortschrittsklugheit, um uns und unsere Kinder ihm zu entfremden, in dem aller Weisheit höchste Fülle verborgen ist. Das erkennt mit Leichtigkeit jeder Wachsame und antwortet auf jede dergleichen Versuchungen: hebe dich weg von mir, Satan! Ich folge dem Panier des HErrn Jesus, dem ich schon in der Taufe Treue gelobt habe, und werde ihm mit Gottes gnädiger Hilfe diese Treue halten bis in den Tod! Auf solche Abweisung wird dann der Verführer vielleicht noch in anderer Weise dich zu umgarnen trachten und sagen: „Wer in aller Welt hat es denn aufs Christentum abgesehen? Lasst euch doch solch törichte Dinge von Niemandem vorreden. Die Kirche soll ja nicht zerstört, sondern nur von der Schule getrennt werden, damit jede ihr Werk desto besser und erfolgreicher treibe. Der Lehrer in der Schule soll nicht Religion lehren, sondern die Kinder nur klug machen für die Welt. Darum ist es gleichgültig, welchen Glaubens er ist. Der Pastor dagegen mag dieselben Kinder in der Religion unterrichten, mit allem Fleiß und sie fromm und geschickt fürs Himmelreich machen. Wird auf diese Weise der doppelte Zweck nicht vollkommener erreicht werden als bisher?“ Nimmermehr! Lauter Lüge und höllische Täuscherei. Lasst euch keinen Sand in die Augen streuen. Wenn ein Jude oder Judengenosse als Lehrer in der Schule bei jeder Gelegenheit das Evangelium verhöhnt, so möchte ein Engel Pastor sein, all sein Predigen würde doch in den Wind geredet sein. Und über das alles: in wenig Jahren sind die jetzt noch gläubigen Pastoren und Lehrer weggestorben; die künftigen aber selber durch die religionslose Schule gegangen mithin ohne Glauben an den Erlöser. Wie könnte auf solchem Wege je der Wille des HErrn: „weide meine Lämmer,“ zum Vollzuge kommen! Eilt nicht vielmehr auf diesem Wege die Menschheit dem Gericht und ewigem Tode zu? Darum lasst uns wachen und beten, dass der Gott aller Gnade unser Volk vor solch schmählichem Betrug und Raube bewahren wolle und den edlen Reformationssegen unseren Schulen erhalte. Betet, ihr lieben Kinder, täglich im stillen Kämmerlein recht herzlich und brünstig, wie wir alle Sonntage in der Kinderlehre zusammen beten: „lass Dich unserer erbarmen, lieber Vater, und wehre allen Feinden Deines Wortes, die uns bedrängen, auf dass wir und unsre Brüder und Schwestern, die täglich heranwachsen, solches gnädige Licht auch haben und behalten!“ Und ihr Väter, Mütter, Lehrer und ganze Gemeinde, unterstützt dies kindliche Flehen mit eurer unablässigen Fürbitte in des HErrn Jesu Namen. Du aber, o allbarmherziger Gott, tu doch auf Dein Ohr und väterliches Herz vor unserem allsonntäglichen gemeinschaftlichen Gebete, dass alle Beratungen unsrer Volksvertreter in Deiner Furcht geschehen, und salbe den teuren König mit Kraft aus der Höhe, dass er gottlosen Beschlüssen keine Folge gebe, es koste, was es wolle und es komme, wozu es wolle! Erhalt uns, HErr, bei Deinem Wort und steure aller Feinde Mord, die Jesum Christum Deinen Sohn, stürzen wollen von seinem Thron! Beweis Deine Macht, HErr Jesu Christ, der Du HErr aller Herren bist; beschirm Dein arme Christenheit, dass sie Dich lob' in Ewigkeit! Amen.