Erichson, Alfred - Zur 400jährigen Geburtsfeier Dr. Martin Luthers
„Ein' feste Burg.“ Entstehung, Inhalt und Geschichte des Lutherliedes
In ganz besonders festlicher Stimmung werden, am 10. November dieses Jahres, Millionen Protestanten aller Länder und Zungen, in Kirche, Schule und Haus, den Choralgesang anstimmen: „Ein' feste Burg ist unser Gott.“
Wie kein anderer drängt sich aber auch, bei Gelegenheit der 400jährigen Geburtsfeier Luthers, dieser Gesang uns auf. Gehört er doch zu jenen sechs und dreißig geistlichen Dichtungen, durch welche der Reformator den Grund zu jenem reichen Liederschatze legte, für dessen Besitz wir ihm, als dem geistigen Vater des evangelischen Kirchenliedes und der evangelischen Kirchenmusik, ewigen Dank schulden.
Noch erklingt dies Lied, kräftig und hehr, wie am Morgen des ersten Tages, wo der Nürnberger Meistersänger, Hans Sachs, den neuen Dichter mit den Worten begrüßte:
Die Wittenberger Nachtigall,
Die man jetzt hört überall. 1)
Du stimmst mit Freuden mit ein, lieber Christ, in das fromme und mutige Glaubenslied: „Ein' feste Burg ist unser Gott!“2) Erlaube mir aber mit Philippus die Frage: Verstehst du auch, was du singst?
Es hat sich im Lauf der Jahrhunderte gar Manches in der Denkweise der Menschen wie in ihrer Sprache verändert, und ist deshalb für uns fremd und dunkel geworden. Um zu einem richtigen Verständnis dieses Lutherliedes wieder zu gelangen, tut es not, das Gedächtnis der längst vergangenen Tage seiner Entstehung auszufrischen, und uns, so viel als möglich, in den Geist jener Zeit hineinzuleben.
Die Anleitung dazu soll dem protestantischen Volk in gegenwärtigem Schriftchen geboten werden. Der Verfasser glaubt diesen Zweck einfach dadurch zu erreichen, dass er über die Entstehung des Liedes, über dessen Inhalt und Geschichte hier das Sicherste und Wichtigste und zugleich auch am meisten Interesse bietende mittheilt.
I.
Man sollte meinen, kein Zweifel könne darüber herrschen, wann und bei welcher Veranlassung das Lied Luthers entstanden ist. Wie bei manchem großen Manne, ist aber auch hier Zeit und Ort der Geburt in Dunkel gehüllt; es fehlt an sichern Urkunden. Unbegründet ist jedenfalls die Behauptung, der Reformator habe auf seiner Reise nach Worms zum Reichstag, im Jahr 1521, das Lied gedichtet, denn wie wäre zu erklären, dass letzteres keine Aufnahme in dem von Luther selbst im Jahr 1524 herausgegebenen „Handbüchlein geistlicher Gesänge“ gefunden hat? Soll ferner hier die Legende Erwähnung finden: Luther habe es auf der Wartburg geschrieben, und nach Abschluss aus Versehen das Tintenfass darauf gegossen, worüber der Teufel gelacht!
Auch ist schon die Abfassung des Liedes in das Jahr 1527 verlegt worden, als wäre es ein Wiederhall des tiefen Seelenschmerzens gewesen, den Luther unter dem Druck schwerer häuslicher Heimsuchungen und bei der Nachricht des Märtyrertodes des bayerischen Geistlichen Kaiser damals empfunden hatte. Schwerlich dürfte aber doch angenommen werden, dass die „Not“, der das Lied Ausdruck verleiht, eine persönliche, und nicht die gemeinschaftliche, den Evangelischen drohende Religionsgefahr gewesen sei. Bis zum Jahr 1527 waren die gefassten Reichstagsbeschlüsse der Reformation eher günstig ausgefallen, und der deutsche Kaiser war zu viel in anderweitigen Kriegsangelegenheiten verwickelt, als dass er dem Papsttum seinen Arm hätte leihen können. Luther, der nicht für sich allein, sondern für die Kirche, den öffentlichen Gottesdienst, die singende Gemeinde dichtete, standen offenbar nur eine allgemeine Not und allgemeine Bedürfnisse vor Augen.
Wann trat aber für die Anhänger der Reformation die wirkliche Bedrängnis ein?
Der Speierer Reichstagsabschied vom Jahr 1526 lautete dahin: „Jeder Stand (Landesregierung) solle in Religionssachen so leben, regieren und es halten, wie er es gegen Gott und kaiserliche Majestät zu verantworten sich getraue.“ Da kam vor die, abermals in Speier, im April 1529 zusammengetretene Reichsversammlung die „Proposition“ des Kaisers, obigen Beschluss aufzuheben und an dessen Stelle einen andern zu setzen, welcher denn auch, kraft des Übergewichts der katholischen Partei, gefasst wurde. Durch denselben schien die Reformation zu einem tödlichen Stillstand verurteilt zu sein. „Ihr dürfet euch anders nit versehen dann Verfolgung, und die uff das Allergrößt,“ schrieb der Straßburger Gesandte Daniel Mieg nach Haus. Von der mutigen Protestation der evangelischen Fürsten und Städte „in Sachen, die Gottes Ehre und der Seelen Seligkeit betreffen, gelte keine Stimmenmehrheit,“ nahm man keine Notiz. Im Juni desselben Jahres kam die Aussöhnung zwischen Kaiser und Papst zu Stande; bald darauf wurde der Frieden mit Frankreich geschlossen und das Türkenheer musste von Wien weichen. Jetzt erst konnte die katholische Weltmacht daran denken der „Pest der Ketzerei“ zu steuern, und gegen das kleine Häuflein der Evangelischen ernstlich vorgehen, um sie in den Schoß der Kirche Roms zurückzutreiben. Nichts Gutes verhieß den Protestanten die Behandlung ihrer Gesandten, als sie Karl dem V., in Italien, die „Protestation“ überbrachten; zuerst verhaftet, wurden sie später mit dem Bescheid entlassen: Es bleibe bei den Beschlüssen, welche die Mehrzahl in Speier gefasst hatte. Ernstlich sannen jetzt die protestantischen Fürsten und Städte auf Widerstand mit den Waffen, und suchten Bündnisse, wobei der Landgraf von Hessen und die Straßburger sich in erster Linie tätig zeigten. Luther aber hörte nicht auf abzumahnen, der Gewalt mit Gewalt entgegenzutreten; nur geistliche Mittel dürfte man gebrauchen. Wohin anders auch als zu einer schmählichen Niederlage sollten, bei den im eigenen Lager, namentlich in Folge des Streites über die Lehre vom Abendmahl, herrschenden Spaltungen, die geplanten Unternehmungen führen? Jetzt, in dieser „Not“ kann und soll man seine Zuflucht zu Gott allein nehmen. Dazu fordert Luther auf im Liede, zugleich auf Grund der Heiligen Schrift gegen die Zumutungen des Papsttums protestierend und seinen unerschütterlichen Glauben an Gottes Hilfe wie an den endlichen Sieg des Evangeliums mutig bekennend.
Noch in demselben Jahre 1529 erschien „Ein' feste Burg“, gedruckt in einem Wittenberger und in einem Augsburger Gesangbuch.
Somit ist auch jene andre, ebenfalls schon aufgetauchte Behauptung einer späteren in die Zeit des Augsburger Reichstages, 1530, verlegten Abfassung ausgeschlossen. Mag auch ein langjähriger Hausfreund des Reformators, Hieronymus Weller, die Entstehung des Liedes mit der eben genannten Reichsversammlung in Zusammenhang bringen, so hat derselbe, in seiner erst viele Jahre später getanen Mitteilung, sich einfach um ein Jahr geirrt. Wenn er aber sagt: „Luther habe sein geistreiches Liedlein gemacht, da die Feinde des Evangeliums ihn samt allen christlichen Lehrern auffressen wollten, dass sie sollten unverzagt sein wider alles Wüten und Toben des Teufels und seiner Diener,“ so passt gerade dieses Zeugnis am besten auf die zweite Hälfte des Jahres 1529.
Obiger Irrtum konnte übrigens leicht entstehen. Erzählte man sich doch über Luthers Aufenthalt in Coburg, wo er dennoch mit Kirchenbann und Reichsacht belegt den Ausgang der Augsburger Unterhandlungen abwartete, dass er auf seiner Bergveste, täglich, am Fenster zum Himmel ausschauend, nebst andren das Gemüt erhebenden Liedern, „Ein' feste Burg ist unser Gott“, gesungen und dazu die Laute gespielt habe. Zudem sprechen für das Jahr 1529 andre, spätere Zeugnisse, wie dasjenige Selneckers, welcher einen Brief an den Kurfürsten Johann, vom 18. November 1529 anführt, worin Luther von gewalttätigem Vorgehen abmahnt. „In dieser Zeit, fügt Selnecker hinzu, hat Luther das Lied gedichtet.“ Interessant ist, dass der Reformator nur ein einziges Mal im Jahr 1541 in seiner Schrift „wieder Hans Worst“, auf dasselbe Anspielung macht.
In der oben geschilderten schweren Not, die Luther und alle Freunde des Evangeliums betroffen, griff er auch diesmal zu seiner lieben Bibel, und, wohlbewandert in derselben, wie er war3), hatte er bald den Psalm gefunden, der ihm als Vorbild und Grundlage dienen sollte, um sich und Andre durch ein frommes Lied wieder aufzurichten. Es war der sechs und vierzigste.
Allem nach ist dieser Psalm während eines jener die Existenz des jüdischen Volks bedrohenden furchtbaren Zusammenstöße großer Weltmächte entstanden, sei es seitens der Babylonier und der Ägypter im 7. Jahrhundert vor Christus oder der Ptolemäer und der Selemiden in späteren Zeiten. Ohne zur Selbstverteidigung zu greifen, soll das Volk bei dem einbrechenden Sturmwetter allein zu dem Gott Zebaoth fliehen und sich auf ihn verlassen; er wird „sein Heiligtum“ schon aufrecht halten, wenn auch die Welt zusammenstürzt.
Es sind vornehmlich die Verse 2, 3, 6, 8, 11 aus diesem Psalm, welche Luther benützte. Wir lassen sie folgen nach seiner eignen Übersetzung:
Vers 2. Gott ist unser Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.
3. Darum fürchten wir uns nicht, wenn gleich die Erde einfiele und die Berge mitten ins Meer führen.
6. Gott ist bei ihr drinnen (der Stadt Gottes), darum wird sie wohl bleiben; Gott hilft ihr frühe.
8. Der Herr Zebaoth ist mit uns, der Gott Jakobs ist unser Schutz.
11. Lasst ab und erkennet, dass ich Gott bin.
Diese Gedanken gab der Dichter in seinem Liede nicht in sklavischer Übersetzung wieder, sondern in freier Nachbildung, als etwas innerlich selbst Erlebtes, das deshalb auch den Charakter der Ursprünglichkeit an sich trägt. Das Lied hat, in der Sprachweise Luthers, in dem Augsburger Gesangbuch von 1529 folgenden Wortlaut:
Der. xlvj. Psalm.
Deus noster refugium et virtus.
AIn feste burg ist vnser Gott,
ain gutte wör vnd waffen,
Er hilfft vns frey auß aller not
die vus yetzt hat betroffen.
Der alt böse feynd,
mit ernst ers yetzt meint,
groß macht vnd vil list
sein grausam rüstung ist,
auff erd ist nicht seins gleichen.
Mit vnnser macht ist nichts gethan,
wir seind gar bald verloren:
Es streyt für vns der rechte man,
den Gott hatt selbs erkoren:
Fragstu wer der ist,
er haist Jesu Christ, (.)
der Herr Zebaoth,
vnd ist kain ander Got,
das feld muss er behalten.
Vnd wenn die welt vol Teuffel wer
vnd wolt vns gar verschlingen,
So fürchten wir vns nicht zu ser
es soll uns doch gelingen.
Der fürst diser wellt,
wie saur er sich stellt,
tut er vns doch nicht,
das macht, er ist gericht,
ain wörtlin kan jn fellen.
Das wort sy follen lassen stan
vund kain danck darzu haben:
Er ist bey vns wol auff dem plan
mit seinem gayst vnd gaben.
Nemen sy den leyb,
gut, ehr, kind vnd weyb,
lass faren dahin,
sy habens kain gewin,
das reich muss vns doch bleyben.
Nicht Leselieder, sondern Singlieder, wirkliche Gesänge wollte der Reformator schaffen, da er selbst erfahren hatte, dass Töne tiefer zu Herzen und Gemüt gehen als Worte. „Die Noten machen den Text erst lebendig“ sagte er, und ihm nach der Dichterheros Goethe: „Nur nicht lesen, immer singen! und ein jedes Wort ist dein.“ So erhielt das Lied: „Ein' feste Burg“, seine Melodie. Wir finden dieselbe handschriftlich, unter andren Weisen, in einem Musikheft das, wie Luther mit eigner Hand auf dem Titelblatt desselben bemerkt, im Jahr 1530 der Kapellmeister Johannes Walther in Torgau ihm geschenkt hatte; gedruckt, zuerst in einem Erfurter Gesangbuch von 1531.
Wer ist aber der Verfasser der Melodie? Der Geschichtsschreiber Sleidan in Straßburg, sagt: „Luther habe zu dem Liede die ungemein passende und zur Erhebung des Gemüts geschickte Singweise hinzugefügt.“ Demnach wäre über die Urheberschaft nicht zu streiten, zumal da Luther nicht bloß die Musika „als die schönste und herrlichste Gabe Gottes, nach der Theologia“ lieb gehabt, sondern auch in dieser Kunst eine von den Zeitgenossen anerkannte Tüchtigkeit besaß, wozu es ihm, neben den natürlichen Anlagen, früher an Einübung, als „Kurrende-Schüler“ und nachheriger Mönch im Kloster, nicht gefehlt hatte. Ein Meister auf der Flöte und Laute, ein guter Sänger, verstand er auch Singweisen auszusehen.
Ist die Melodie von „Ein feste Burg“ Luthers Werk?
Man hat sie ihm abgesprochen, weil in Joh. Walthers mehrstimmigem „geistlichen Gesangbüchlein“ von 1524 (Wittenberg) die erste Zeile der Weise (aber nur diese) Note für Note inmitten eines lateinischen Chorgesangs vorkommt. Hat der Verfasser dieses letzteren Chorgesangs auch die ganze Melodie: „Ein feste Burg“ komponiert?
Möglich wäre es; aber warum sollte Luther jenen Musiksatz von neun Noten, der übrigens der Bassbegleitung und nicht der gewöhnlichen Singstimme angehört, nicht gekannt, oftmals mitgesungen, im Gedächtnis behalten und von demselben ausgehend das Übrige geschaffen haben? Große Meister selbst weisen ähnliche Erinnerungen auf. In welchem Musikstücke sind nicht Anklänge an andere zu entdecken?
Text und Melodie sind aus einem Guss.
Wir dürfen also, bis auf weitere Gegenbeweise, vom Lutherchoral wie vom Lutherlied reden. Nirgends hat der Reformator selber sich als den Verfasser seiner Melodien bezeichnet, seinem Grundsatz treu: „Gottes Namen soll in unsern Liedern gepriesen, und unser Namen nicht darin gesucht werden.“
Im Reiche der Töne ein Saul unter den Propheten, will ich mir kein eigenes Urteil über den künstlerischen Wert der Komposition anmaßen. Andere haben in der kraftvollen energischen Weise den musikalischen Ausdruck und Abdruck von Luthers kerniger Individualität erkannt. Wer auch würde nicht ergriffen, wenn er diese Melodie hört oder mitsingt? Wird man dem großen Meister Seth. Calvisius nicht Recht geben, wenn er vom Lutherchoral behauptet: „der Heilige Geist sei auch hier Direktor und Werkmeister gewesen.“
Gehen wir aber tiefer in den Sinn und Inhalt des Liedes ein, und noch gewaltiger als die Melodie wird uns der Text, von Wort zu Wort, ergreifen.
II.
1. Strophe.
Ein' feste Burg ist unser Gott,
ein' gute Wehr und Waffen.
Wie ein mit Wällen, Mauern und Brustwehr wohl umringtes Schloss der Besatzung sichern Schutz bietet und jeden Anlauf des Feindes zurückhält, so steht unser Gott da, ein mächtiger Schutz gegen alle Gefahren von draußen, eine zuverlässige Waffe gegen alle feindlichen Angriffe. (Psalm 20, 8.) Wohl dem, der sich auf ihn verlässt und seiner Hut sich anvertraut!
Er hilft uns frei (gewisslich und vollständig) aus aller Not,
die uns jetzt hat betroffen.
Das Wörtlein jetzt, das hier und weiter unten nochmals vorkommt, bezieht sich auf die damalige, in jeder Hinsicht bedrängte Lage der Protestanten in Deutschland.
Der alt' böse Feind,
d. h. der Teufel, oder dessen Werkzeug der Papst, oder beide zugleich, der Antichrist oder Widerchrist, der Gegner des Gottesreichs, wie dies aus unzähligen Aussprüchen Luthers erhellt. Der Kaiser Karl V., an den vielleicht gedacht werden könnte, ist wohl nicht persönlich gemeint, da Luther dem Kaiser noch immer alles Gute zutraute und ihn für ein unschuldiges Lämmlein“ hielt, „das zwischen vielen Säuen und Hunden, ja zwischen vielen Teufeln sitze“. Man solle für den „trefflichen Jüngling“ beten, meint Luther, „welcher der Liebe Gottes und der Menschen wert sei.“ Trat Karl V. aber dennoch entschieden als Feind der evangelischen Sache auf, so geschah es im Schlepptau des Papstes, gegen seine bessere Gesinnung und Willen, und Luther selbst findet noch Worte der Entschuldigung für ihn, „denn was vermag ein Mensch wider so viele Teufel?“ (Brief an Spalatin, vom 3. Juli 1530.) Doch die große Gefahr steht Luthern auch schon klar vor Augen:
Mit Ernst er's jetzt meint,
ruft er aus, und sieht die bisherigen Drohungen in Gewalttaten übergehen. Wie gefährlich ist aber auch der Feind, wie schwer zu bekämpfen, wie gewaltig und unverwundbar! denn:
Groß' Macht und viel List,
sein grausam Rüstung ist.
Mit der auf den Kaiser sich stützenden äußeren Macht verbinden sich bei diesem Feinde die Ränke des Papstes, die Intrigen seiner Legaten und Theologen, der glühende Hass der Katholiken gegen die Evangelischen, und über Alles eine Dreistigkeit, der alle Mittel gut sind, Schmeichelei und Bestechung, Einschüchterung und Zwang. „Was kann der Vater der Verstellung und der Lüge, fragt Luther, was vermag der Urheber des Todes und der Gewaltsamkeit noch mehr als Gewalt und List anwenden?“
Auf Erd' ist nicht sein's Gleichen.
An Macht und Schlauheit ist ihm Niemand gewachsen.
2. Strophe.
Mit unsrer Macht ist nichts getan.
Wir dürfen uns nicht auf eigne Stärke und Klugheit verlassen, nicht auf Rittergewalt und Fürstengunst, nicht auf Bündnisse noch auf Heere. Mit Schwert, Spieß und Schild kam der Riese Goliath, David aber „im Namen des Herrn“.
Bleiben wir auf uns beschränkt,
Wir sind gar bald verloren (überwunden).
Auf Gottes Hilfe müssen wir bauen, denn „sein ist der ganze Handel, sagt Luther, Er wolle ihn verteidigen… der dies Werk angefangen hat, der wird es auch vollenden ohne und über unsere Gedanken und Pläne.“ An unsrer Stelle ficht ein Held voll Mut und Kraft,
„Es streit't für uns der rechte Mann,
den Gott hat selbst erkoren,“
als Anführer und Mitstreiter auserwählt. Er steht an der Spitze der Seinigen, und
„Fragst du, wer der ist?
Er heißt Jesus Christ.“
Mit besonderer Vorliebe nennt Luther Christum einen Helden und Kriegsmann, dessen Waffe das Evangelium ist und der im Dienst des Allerhöchsten steht.
Der Herr Zebaoth.
Dieser Ausdruck, wörtlich aus dem Psalm 46, Vers 8, entnommen, erinnert an das Feldgeschrei des israelitischen Volkes: „Der Herr Zebaoth ist mit uns!“ Man hat immer geglaubt, dass Luther hier Christus als den Herrn Zebaoth bezeichne, während die ganze Bibel diese Bezeichnung eines „Herrn der Heerscharen“, d. h. der Gestirne, nur von Gott gebraucht. Unmöglich wäre es nicht, denn die Kirchenlehre, in welcher Luther aufgewachsen war, gestattete allerdings eine solche Ausdrucksweise. Da aber die Interpunktion der Lieder in den ältesten Drucken ganz ungeregelt oder gar nicht vorhanden ist, oft dem Schrift-Setzer überlassen blieb, und also auch hier nicht bis auf Luther selbst zurückgeführt werden kann, so mag es uns nicht verwehrt sein einen Punkt (.) hinter „Christ“ zu setzen, und einen neuen Gedanken und Satz mit dem Wort: „der Herr Zebaoth“ zu eröffnen. Somit wäre zugleich auch im Druck eine Formähnlichkeit mit dem Schluss der dritten und vierten Strophe hergestellt, wo in den letzten Zeilen jedes Mal eine neue Idee aufgenommen und Zwischensätze eingeschaltet werden. Mit dieser Deutung verschwindet die Verwechslung zwischen Christus und dem Herrn Zebaoth und Christus bleibt der „von Gott erkorene Mann“, und Luther tritt nicht in Widerspruch mit dem Gedanken, den er weiter oben ausgesprochen hat: „Es streit't für uns der rechte Mann, den Gott hat selbst erkoren.“ Neben diesem Herrn Zebaoth
ist kein Andrer… Gott“.
Luther sagt: „Wir sollen Menschen und nicht Gott sein.“ Keiner kann mit ihm wetteifern, ihm allein gehört die Macht, ihm allein wird bleiben der Sieg:
Das Feld muss er behalten;
wörtlich nach Epheser 6, 13. Das siegreiche Heer lagert auf dem Schlachtfeld, das geschlagene muss es räumen. Wer diesen Gott auf seiner Seite hat, den befällt keine Angst. So ruft der Dichter mit dreister Zuversicht aus:
3. Strophe.
Und wenn die Welt voll Teufel wär',
und wollt' uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr.
Es soll uns doch gelingen.
Die Anführung von teuflischen Mächten und bösen Geistern darf uns hier nicht befremden; sie erinnert uns an manche andere Aussage Luthers, z. B. an das bekannte, auf der Reise nach Worms ausgesprochene Wort: „Und wenn so viel Teufel zu Worms wären als Ziegel auf den Dächern, so will ich doch hinein gehen.“ Ja, wenn die Hölle selbst sich auftäte und uns verschlingen wollte, so ist Luther doch getrost. (Psalmen 3, 7 und 27, 3); denn was mit Gott angefangen ist, das soll gelingen, was in Gottes Rat geschrieben, das muss geschehen.
Der Fürst dieser Welt, (der Teufel, nach Johannes 12, 31 und 14, 30),
wie sau'r er sich stellt,
wie grimmig er sich gebärdet, wie feindselig er auftritt,
tut er uns doch nicht,
sein Zorn kann uns nicht schaden;
das macht er ist gericht't,
er selbst ist schon in Gottes Ratschluss zur Ohnmacht und zum Untergang verurteilt (Joh 16, 11).
Ein Wörtlein kann ihn fällen.
Hat doch des Christen Gebet die Macht, aus der Anfechtung zu erretten, und genügt, nach dem mittelalterlichen katholischen Volksglauben, ein einziges Wort, das bloße Aussprechen eines heiligen Namens, wie des Namens Jesu, um die bösen Geister zu verscheuchen. Im evangelischen Sinne aufgefasst, bedeutet aber dieser Satz: Wir siegen, wenn wir alles, was wir tun, in Jesu Namen tun. So pflegte Luther über die Titel seiner Schriften das Wort: „Jesus“ zu setzen. Der Dichter sieht den Antichrist und dessen Verwirklichung, das Papsttum, schon am Boden liegen und gebunden, und dessen Diener in die Flucht geschlagen.
Im Verbündnis aber mit diesem Feind, erblickt Luther die katholische Kirche, wenn diese behauptet, den Laien die Bibel entziehen zu dürfen. Gegen sie und ihre anmaßungsvollen Würdenträger erhebt er sich, wenn er mit der letzten Strophe beginnt:
4. Strophe.
Das Wort sie sollen lassen stahn,
und kein'n Dank dazu haben.
Dürfen und können die Widersacher „das Wort“, die Bibel, das Evangelium Jesu Christi, nicht verstoßen, so bekommen sie von uns kein Wörtlein Dank dafür, denn alle ihre Bemühungen sind dennoch vergeblich. Das Wort besteht, nicht weil Kirche, Papst und Priester es wollen oder zugeben, sondern weil sie müssen. „Das Wort Gottes bleibt ewiglich.“ Jesajas, 40, 8. 1 Petri 1, 25.4) Gott, von dem dies Wort ausgeht,
Er ist bei uns wohl auf dem Plan
mit seinem Geist und Gaben.
Er schützt uns und sein Wort. Im Gefecht, mitten in der Gefahr, steht er auf unsrer Seite, auf dem Plan (Ebene, wo die Turnierkämpfe stattfanden), mit seines Geistes Gaben, und sein Beistand von oben rettet das Beste, das Eine was not tut, deshalb wir alles Andere drangeben:
Nehmen sie den Leib,
Gut, Ehr', Kind und Weib (Luk. 18, 28):
Lass fahren dahin,
Sie haben's kein'n Gewinn;
lass alles geschehen ohne Gram, den Widersachern hilft es zu nichts,
Das Reich muss uns doch bleiben.
Sie können uns nicht von der Gemeinschaft mit Gott, vom ewigen Leben ausschließen. Luther ist dessen gewiss; das Wort Jesu selbst übrigens zeugt für ihn: „Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es ist euers Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben“ (Luk. 12, 32.)
Es wäre überflüssig, auf die Anklänge an die anfangs abgedruckten Stellen des 46. Psalmes noch hinzuweisen, da die von dort aufgenommenen Gedanken und Ausdrücke beim bloßen Lesen deutlich genug hervortreten.
III.
Das Lied „Ein' feste Burg“ hat seine besondere Geschichte. Hier nur Einiges aus derselben.
Gar schnell, „als wären die Engel Gottes selber Boten gelaufen,“ verbreiteten sich die Dichtungen Luthers durch die deutschen Länder und noch über deren Grenzen hinaus. Alte Chroniken beschreiben, wie arme Handwerker auf den Marktplätzen der Städte erschienen, geistliche Lieder feil hielten und den Leuten vorsangen. Wie mag die Menge gelauscht haben, als sie zum ersten Male die ergreifenden Klänge und Worte unsres Chorals hörte! Man entriss sich die fliegenden Druckblätter und trug sie freudig nach Hause. Bald betrachteten es die Protestanten als ihr Bekenntnislied.
In Schweinfurt sang es 1533 die in der Kirche versammelte Gemeinde wider den Willen ihres katholischen Geistlichen. Abends hörte man es auf den Gassen.
Nach der für die Protestanten so verhängnisvollen Schlacht bei Mühlberg, 1547, reisten Melanchthon, Jonas und Kreuziger, verbannt, trüben Mutes, durch Weimar. Da hörten sie ein Mägdlein das Lied singen. Von dem Fenster ihrer Herberge rief ihr Melanchthon die Worte zu: „Sing', liebes Töchterlein, sing'! du weißt nicht, was du für große Leute jetzt tröstest.“
In Augsburg wurden im Jahr 1548, in Folge des Interims, der Lothringer Musculus, früher Vikar von Matthäus Zell am Münster, und der Straßburger Gervasius Schuler, mit einem dritten Geistlichen, ihres Amtes entsetzt. Als sie dem Kurfürst von Sachsen, der sich damals in Augsburg in der Haft befand, ihre Not klagten, sagte dieser: „Also das römische Reich hat Euch der Kaiser verboten. Hat er Euch das Himmelreich auch verboten?“ „Nein, erwiderten sie, das nicht.“ „Ei, dann hat es noch keine Not. Das Reich muss uns doch bleiben!“
Lesen wir in einem alten Buche: „Auch die bösen Geister zittern und fliehen, wenn sie diesen herzlichen Gesang hören singen“, und wird uns dann das Beispiel einer vermeintlich besessenen Person vor die Augen geführt, die durch wiederholtes Anhören des Liedes zu Jedermanns Verwunderung von ihrer Plage sollte befreit worden sein, so lächeln wir über derartige Mitteilungen - aber, ist das „feste Burg“ Lied nicht dazu angetan, den bösen Geist des Kleinmuts und der ängstlichen Verzagtheit zu bannen und Gottvertrauen wieder zu wecken? „Wann du betrübt, melancholisch und angsthaft bist, rät uns ein Gottesgelehrter des 17. Jahrhunderts, nimm dein Psalmbuch an die Hand: Singe heraus: „Ein' feste Burg.“ Was gilts? ob du nicht empfindliche Erquickung, augenscheinlichen Trost und Besserung finden wirst.“
Ließ es nicht zu diesem höheren Zweck, und gewiss auch mit Erfolg, der Schweden-König Gustav Adolph, am Morgen seiner Schlachten, und noch zu Lützen, am 6. Nov. 1632, vom ganzen Heer unter Posaunenschall anstimmen?
Hundert Jahre später sangen es auf den Straßen die aus ihrem Alpenland um des Evangeliums willen vertriebenen Salzburger, als sie in Sachsen und Preußen sich eine neue Heimat suchten, und wurden an den wohlbekannten Tönen bald als Glaubensbrüder erkannt.
Und wie oft hat dies Schutz- und Trutzlied, das ein alter Haudegen, Leopold von Dessau, „unsers Herrgotts Dragonermarsch“ und Andre „die protestantische Marseillaise“ genannt haben, wie oft hat es in bedeutungsvollen Tagen die Massen begeistert und für den Kampf angefeuert!
Auch hätte man dem Lutherstandbild in Wittenberg keine passendere Inschrift als diese Worte: „Ein' feste Burg“ geben können. Unstreitig tritt uns in diesem Lied, als einem Denkmal seines Glaubensmutes und seiner Glaubensfreudigkeit, der ganze Luther entgegen, wie er leibte und lebte.
Die katholischen Gegner klagten dereinst, das Volk singt sich in Luthers Lehre hinein, seine Lieder haben mehr Seelen gemordet als seine Schriften und Predigten. Als aber diese „schrecklichen“ Gesänge, mit einigen Veränderungen, selbst in den katholischen Gottesdienst Eingang fanden, geschah das beinahe Unglaubliche: „Ein' feste Burg“ ertönte in der Hofkapelle eines abgesagten Feindes Luthers, des Herzogs Heinrich von Braunschweig. Dass es auch parodiert wurde, darf uns nicht wundern.
Erwähnen wir noch, dass „Ein feste Burg“ in mehrere fremde Sprachen übersetzt worden ist. Missionare trugen den Choral bis in die fernsten Weltteile, während der berühmte Tonkünstler Meyerbeer ihn selbst, durch die Aufnahme in seine Oper, „die Hugenotten“, auf die Bühne, und somit unter alles Volk brachte; daher die bisweilen unter Katholiken vorkommende irrige Vorstellung, die Protestanten hätten dem Theater ihr Hauptkirchenlied entlehnt.
Frühe schon haben unsere Väter im Elsass den Choral gesungen. Interessant ist, dass in dem ältesten uns bekannten Straßburger Gesangbuch, vom Jahr 1539, noch zwei andere Bearbeitungen des Psalmes 46 vorliegen, die eine singbar nach der Weise von „Ein' feste Burg“. Diese beiden Gegenstücke sind indessen aus den späteren Auflagen wieder verschwunden; das Lutherlied hat allein das Feld behalten. In dem Gesangbuch von 1568 trägt es die Überschrift: „Trostpsalm, dass Gott die Christliche Kirche in ihrer Geduld schützen, auch alle Feind und Gottlosen stürzen wölle.“
Vom 17. Jahrhundert ab enthalten die Gesangbücher unseres Heimatlands im Anschluss an das Lutherlied noch eine fünfte Strophe (eine Lobpreisung auf die Dreieinigkeit), welche aber in denjenigen neueren Datums, und mit Recht, wieder weggefallen ist. Die erste französische Übersetzung in Versen, die bei uns erschien5), hat zum Verfasser Herrn Pfarrer Leblois, der dieselbe in das 1878 zu Straßburg, zum Gebrauch der französischen Gemeinden in Elsass-Lothringen, herausgegebene Gesangbuch aufnehmen ließ.
Ein Blick auf die dem Straßburger Gesangbuch von 1541 beigedruckten Noten lehrt uns, dass unsere Vorgänger die Melodie in rascherem Tempo und in rhythmischer Weise zu singen pflegten, in vollständigerer Übereinstimmung mit dem Original, was dem Charakter des Liedes offenbar besser entspricht.
Seit einigen Wochen, wenn man durch die Straßen unsrer Stadt oder unsrer Dörfer geht, hört man, hie und da, die Kinder die bekannte Melodie in den Schulsälen mit lauter Stimme, oder auf dem Heimweg, leise vor sich hin, singen. Alles deutet darauf, dass am 10. November dem Lutherlied der Ehrenplatz unter den Festgesängen gehören wird.
Weißt du aber, lieber Freund, wann du die in Wort und Weise liegende Kraft in vollem Maße erfahren wirst? Erst in Zeiten schwerer Not, wenn deine Glaubensfreiheit gefährdet ist, wenn du mit Gut und Blut für deine Überzeugungen einstehen musst, wird dies Lied tief dir zu Herzen gehen und dich gewiss noch mehr ansprechen, als im friedlichen Familien- und Freundeskreis.
Veralten oder aussterben wird es nie. So lange fester Glauben und freudige Zuversicht zu Gott, Trost und Aufrichtung Bedürfnis unsres Herzens bleiben, solange sich der Feind protestantischer Wahrheit und Freiheit noch regt, so lange noch protestantisches Bewusstsein in unsrer Brust lebt, werden wir, in bösen wie in guten Tagen, dies Lied mit Begeisterung singen.
Stimmt es an, liebe Glaubensgenossen! Erhebt diesen neuen Psalm! Wohl soll er nicht Luthern gelten, sondern dem, der uns Luther gegeben und mit ihm die Wohltat der Reformation geschenkt hat. Nicht eines Menschen Namen soll ja unsre Jubelfeier verherrlichen, sondern unsern Gott im Himmel. Ihn aber, der uns gelehrt hat im Liede unsre Herzen zu diesem Gott erheben, ihn wollen wir, zum Schluss, mit einem andern Sänger von Gottesgnade, Karl Gerok, anrufen:
„Nun, Wittenberger Nachtigall,
Lass klingen deinen süßen Schall,
Lass schmettern deinen hellen Schlag,
Ob ihn dein Volk noch hören mag!“
Zur 400jährigen Geburtsfeier Dr. Martin Luthers
„Ein' feste Burg.“
Entstehung, Inhalt und Geschichte des Lutherliedes
dem protestantischen Volk erklärt
von
A. Erichson
Direktor des theol. Studienstifts in Straßburg
Straßburg,
Treuttel & Würtz,
1883
Straßburg, Druck von J. H. Ed. Heiz.