Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Sauls - Neunte Predigt. Opfer oder Gehorsam?

Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Sauls - Neunte Predigt. Opfer oder Gehorsam?

1 Sam. 15, 20-23.

Saul, der Knecht des Herrn, ist gefallen, seitdem er ein Werkzeug Gottes zu sein, nicht mehr für seine Lust achtete, sondern den ewigen Gott zu seinem, des Wurmes, Werkzeug machte, seitdem seine Arbeit nicht mehr die Sache Gottes, sondern der Sieg der Sache Gottes seine unheiligen, selbstsüchtigen Zwecke fördern sollte. Ehe das letzte Urteil und die Verwerfung über ihn ausgesprochen wird, fasst Gott noch einmal, was er von seinen Dienern fordert, in ein Wort zusammen, in ein Wort auch, was er nicht von ihnen begehrt. Es wäre gut für uns und heilbringend, wenn wir, die Rüstzeuge seines Willens zu sein begehren, mit offenen Ohren und beschnittenen Herzen auf jene beiden Worte merkten. Denn auf ihrer Wage werden wir dereinst gewogen, und je nach dem wir erfunden sind, angenommen oder verworfen werden.

Opfer oder Gehorsam?

Das sind die zwei bedeutsamen Worte. Samuels Rede lehre sie uns verstehen.

I. Ein Opfer, bei dem Gehorsam des Herzens fehlt, ist ein Gräuel vor Gott.
II. Wo der Gehorsam des Herzens ist, da ist auch das rechte, Gott wohlgefällige Opfer.

I.

Saul hatte, was gut und fett war, für sich genommen, was aber schnöde und untüchtig war, dem Herrn zugeworfen. Als nun Samuel, der gewaltige Mann, nach jener im Gebet durchkämpften Nacht mit der strafenden Frage vor ihn hintrat: „Warum hast du dich zum Raube gewendet?“ da wagte Saul nicht, es offen auszusprechen, dass er das Beste für sich hatte nehmen wollen, wagte noch weniger, das Gelüste seiner frevelhaften Selbstsucht auszuführen. Auf seiner Missetat durch die blökenden Schafe und brüllenden Rinder ertappt, in seinem eigensüchtigen Treiben entlarvt, verschanzt er sich vor der Rute aus dem Munde des Propheten mit der lügenhaften Versicherung, er habe das Beste der Beute ausgesondert, dass er es dem Herrn, dem Gott Samuels, zum Opfer brächte. Ich zweifle auch durchaus nicht, dass er diese Versicherung ausgeführt, dass er wirklich nichts für sich behalten, sondern Alles Gott geopfert haben würde, und zwar mit großem und feierlichem Gepränge, vielleicht sogar noch etwas von dem Seinen dazu fügend. Aber während er sich selbst noch in diesem Vorhaben gefällt, und Gott und die Welt über die eigentlichen Gedanken seines Herzens durch das Opfer meint täuschen zu können, donnert ihm Samuel entgegen: „Meinst du, dass der Herr Lust habe am Opfer und Brandopfer, als am Gehorsam der Stimme des Herrn? Siehe, Gehorsam ist besser, denn Opfer, und Aufmerken besser, denn das Fett von Widdern! Denn Ungehorsam ist eine Zaubereisünde, und Widerstreben ist Abgötterei und Götzendienst!“ Das sind Worte, schärfer, denn kein zweischneidiges Schwert, und durchdringen, bis dass sie scheiden Seele und Geist, auch Mark und Bein, und sind ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens! Und wieder sind es Worte, die leuchten wie die Sonne, wenn sie am hellsten strahlt, und ist vor ihnen keine Kreatur, auch kein Knecht, keine Magd des Hochgelobten unsichtbar. Es ist Alles, was in den noch ungemessenen Abgründen des Herzens verborgen und mit scheinbar frommen und gleißenden Taten verhüllt ist, bloß und entdeckt vor ihnen. In ihrem Lichte erkennen wir sofort, warum das Opfer Sauls vor Gott ein solcher Gräuel war, dass ihm als Strafe das Verwerfungs-Urteil folgte. Denn es sollte den offenbaren Ungehorsam nicht allein verbergen, sondern noch als Frömmigkeit und Gottesliebe erscheinen lassen. Indem Saul also Gott das Äußere, Irdische hingab, hat er ihm das, was der Allgenugsame will, das Herz, nur noch mehr geraubt. Er hat durch das Opfer den Eigenwillen und die Selbstsucht, statt sie zu brechen und hinzuschlachten, nur noch in ungemessener Weise gestärkt. Darum war das Opfer nichts als eine Hingabe an die Sünde und darum selbst Sünde, eine Sünde der Zauberei, wie Samuel sagt. Was will das bedeuten? Ich treibe Zauberei, wenn ich wähne, durch das bloße Aussprechen des Namens oder des Wortes Gottes, oder durch das bloße äußerliche Tragen eines heiligen gottesdienstlichen Zeichens, eines Kreuzes etwa, ohne Glauben und Gebet dabei, Hilfe zu erlangen oder vor dem Bösen geschützt zu sein. Zauberei ists ebenso sehr, wenn ich wähne, durch das äußere Tun, die Arbeit der Hände und Füße, Heil zu erlangen, ohne dass dabei die innerliche Beschaffenheit des Herzens in Betracht käme. Ihr seht, so war's bei Saul.

Durch das Opfer meinte er, Gott und Samuel befriedigen und sich aus der üblen Lage, in welche er nach Entdeckung seines Raubes gekommen war, retten zu können, ohne dass sein inneres Leben ein anderes zu werden brauchte. Dadurch nährte und pflegte er nur den Ungehorsam, das Widerstreben des Herzens und verfiel damit trotz seines großen Opfers, und eben durch das Opfer, der Abgötterei und dem Götzendienst. Denn wer Gott widerstrebt, beugt sich immer unter eine andere Macht. Wer Gott nicht gehorcht, empfängt Befehle von andern Gebietern. Saul beugte sich vor der Selbstsucht, dem Eigensinn, der Unwahrheit, Lust, Tücke und Heuchelei seines Herzens, ließ sich von ihnen beherrschen und machte sie damit zu seinen Götzen, denen er das scheinbar Gott angebotene Opfer in der Tat und Wahrheit darbrachte.

Aber, lasst uns von diesem einzelnen Fall den Blick auf das gesamte Volk Gottes werfen, um zu erkennen, wie häufig die Sauls-Opfer seit jeher gewesen sind, wie leicht sie gegeben werden, wie ernst, streng und nachdrücklich Gott sie immer verworfen hat. Schon Kain brachte ein Opfer, von dem es heißt, dass Gott es nicht gnädig angesehen habe. Im 50. Psalm ruft Gott durch den Mund Assaphs: „Versammelt mir meine Heiligen, die den Bund mehr achten, denn Opfer“. Und weiter spricht er: „Höre mein Volk, lass mich reden! Deines Opfers halben strafe ich dich nicht; sind doch deine Brandopfer sonst immer vor mir. Ich will nicht von deinem Hause Farren nehmen, noch Böcke aus deinen Ställen. Denn alle Tiere im Walde sind mein, und Vieh auf den Bergen, da sie bei tausenden gehen. Wo mich hungerte, wollte ich dir nicht davon sagen; denn der Erdboden ist mein und Alles, was darinnen ist. Meinst du, dass ich Ochsenfleisch essen wolle oder Bocksblut trinken?“ Und abermals ruft Jesaias: „Was soll mir die Menge eurer Opfer? spricht der Herr. Ich bin satt der Brandopfer von Widdern, und des Fetten von den Gemästeten und habe keine Lust zum Blut der Farren, der Lämmer und der Böcke. Wenn ihr herein kommt zu erscheinen vor mir, wer fordert solches von euren Händen? Bringt nicht mehr Speisopfer so vergeblich. Das Räuchwerk ist mir ein Gräuel. Ich bin derselben überdrüssig, ich bin es müde zu leiden!“ Und nochmals spricht der Herr: „Was frage ich nach dem Weihrauch, der aus Reich Arabien, und nach den guten Zimtrinden, die aus fernen Ländern kommen? Eure Brandopfer sind mir nicht angenehm, und eure Opfer gefallen mir nicht!“ (Jer. 6, 20).

Wir gehen weiter in die Zeit des neuen Testamentes. An Opfern und Brandopfern hat's auch unter Pharisäern und selbst unter Sadduzäern nicht gefehlt. „Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, das ich habe!“ Das war keine seltene Rede. „Geht hin, ruft der Heiland, und lernt, was das sei: Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit, und nicht am Opfer!“ Aber auch unter die ersten hochbegnadigten Christen schlich sich sofort solcher Opferdienst ein. Ananias und Sapphira haben ihn mit dem Tode büßen müssen. Paulus sah in seiner Gemeinde zu Korinth und anderer Orten auch vieles Opfern, Arbeiten, Tun und Leiden, das mit dem Kains und Sauls Ähnlichkeit hatte, oder auf dem Wege dahin lag. Darum schreibt er mit ernster Warnung: „Wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib brennen, und hätte der Liebe nicht, so wär' es mir nichts nütze“.

Wie nach der Apostel Zeit der Sauls-Sinn in der Christenheit schnell und mächtig gewachsen ist, wie toter Opferdienst hernach das wahre Christentum, die Hingabe des Herzens, verdunkelt und überwuchert habt, habt ihr oftmals gehört. Aus allem nehmt für euch die Lehre, wie tiefgewurzelt der Hang zu den „Narrenopfern“, wie König Salomo sie einmal nennt, in der Natur des Menschen ist, wie so außerordentlich leicht auch wahrhaftige Anbeter zu ihnen zurücksinken. Es muss uns das freilich sehr natürlich erscheinen. Denn durch dergleichen Opfer wird der Wille nicht gebrochen, das Herz nicht zermalmt, der Geist nicht geängstet, vielmehr kann hinter dem Wall solches Gottesdienstes die sündliche Art, Eigenliebe und selbstsüchtiges Wesen, ihr altes Leben ungestört fortsetzen. Darum werden solche Opfer auch sehr leicht und gern gebracht. Denn „eignen Willen zu erfüllen leidet sich's noch ziemlich wohl“. Das bekennt auch David, wenn er von dem Gott nicht gefälligen Opfer sagt: „Ich wollte dir es wohl geben!“ Könnte man durch Opfer Gott gefällig werden, so würden sie zu tausenden gegeben, jetzt, wie ehedem. Denn wir sehen's ja mit unsern Augen, dass da, wo man die Leute also lehrt, der Opferaltar von ihnen umdrängt wird. Zu solchen Altären laufen selbst die Kinder der Welt in hellen Haufen, im Lande der Fakirs und Fetischdiener, wie in unseren hoch und fein gebildeten Staaten. Wenn Einer einen Lieblingsplan zur Verbesserung der Welt gefasst hat, lässt er sich's viele und unzählige Arbeiten, Mühen, Leiden, Opfer an Gold und Silber kosten, um nur die Genugtuung und das süße, berauschende Selbstbewusstsein zu haben, dass es seine Ansicht und Meinung, der in seinem Kopfe oder Herzen gewachsene Rat sei, der zu Stand und Wesen gekommen ist, dass er auch Kraft und Energie genug gehabt habe, seinen Plan durchzuführen.

Dass die Christenheit unserer Tage zu einem großen Teil innerlich von ihrem Herrn und Gott längst so entfremdet ist, wie Saul es war, in innerlichem Ungehorsam und Widerstreben gegen ihn sich auflehnt und ihm raubt, was sein ist, kann man leider in allen Gemeinden merken. Aber auch das habe ich zur Genüge erlebt, dass man durch Opfer ersetzen will, was man durch den innerlichen Abfall Gott geraubt hat. Ungehorsam und Widerstreben soll durch Opfer mit schöner Hülle überdeckt werden, um in der Trennung von Gott nur sicherer fortleben, und wie Saul dem Samuel, dem Boten Gottes, dem lästigen Gewissensprediger, die äußere Opferung vorhalten, und damit das Gewissen beschwichtigen zu können. Da pochen sie noch immer mit Ruhmredigkeit auf jene Opfer, die Gott Gräuel nennt, also dass sich noch wörtlich wiederholt, was der Herr durch Jesaias (66, 3.) sagt: „Ihre Seele hat Gefallen an ihren Gräueln!“ und auch jene Frage beim Propheten Jeremias (2, 33.) noch nichts von ihrer Schärfe verlieren darf: „Was schmücktest du viel dein Tun, dass ich dir gnädig sein soll? Unter solchem Schein treibst du je mehr und mehr Bosheit!“

Aber glaubt nicht, dass ich die Welt da draußen verdammen will, ob auch etlichen die Ohren danach jucken möchten. Ich bin gesandt, das Richtschwert gegen die Welt in uns selbst zu wenden. Denn was sollen wir von dem Opfer unseres Dienstes, unserer Arbeit, unserer Entbehrung, unseres Leidens sagen? Hat es nichts gemein mit dem Kains- und Sauls-Opfer? Gott spricht einmal zu den Juden: „Wenn ihr fastet, treibt ihr euern Willen!“ Muss er nicht auch öfter, als mir's gut ist, in meiner Arbeit mit dem Tadel mir in den Weg treten: „Wenn du für mich und mein Reich und meine Kinder Zeit, Mühe, Arbeit und Kräfte des Geistes und Leibes opferst, treibst du deinen Willen! Meinst du, dass der Herr Lust habe am Opfer und Brandopfer?“ Diese Frage müsse in ihrer durchdringenden Schärfe und aufdeckenden Klarheit durch unser Gewissen tönen, so oft wir in unserm Dienst und Amt für unsern Gott und seine Sache wirklich etwas getan oder gelitten haben.

Wir vergessen es so leicht, dass der Herr, dem wir dienen, der allgenugsame Gott ist, von dem geschrieben steht: „Seiner wird nicht von Menschenhänden gepflegt, als der Jemandes bedürfte, so Er selbst Jedermann Leben und Odem allenthalben gibt“. Wir vergessen zu leicht jene ernsten Reden aus dem Psalmbuch und den Propheten, weil unsere Opfer nicht mehr in Rindern und Widdern bestehen. Aber kommen jene Stellen dir fremd vor, mein Lieber, so sehe du nur für die Opfer von Ochsen und Schafen, von Weihrauch und Zimtrinden das der Füße, der Hände, des Kopfes, der Zeit, der Jugend, der Nachtwachen, oder was du sonst für Opfer bringst. In diese Sprache übertragen, würde die Rede Gottes etwa so lauten: „Ich will nicht von deinem Hause Töchter nehmen, noch Söhne aus deinen Kammern. Was frage ich nach den Jungfrauen, die aus hohen Häusern, oder nach den starken Händen, die aus fernen Ländern kommen! Denn alle Menschenkinder sind mein, ich lenke ihnen allen das Herz. Wo mich hungerte nach dem Dienst der Geschöpfe, wollte ich dir nicht davon sagen, denn die Erde ist mein und alle Himmel, und die darin sind. Meinst du, dass ich deiner Hände bedürfe und deines Fußes, oder dass dein Kopf mir sollte Rat erfinden und dein Mund für mich reden? Was soll mir die Menge eurer Dienste, spricht der Herr. Ich bin satt eurer Arbeit und Mühsale, und habe keine Lust an eurem Witz und keinen Gefallen an euren Erfindungen! Ich bin derselben überdrüssig, ich bin es müde zu leiden. Ich will Leute in meinem Dienst, die den Bund mehr achten, denn Opfer!“

Wahrlich ja, Gott bedarf zu seiner Ehre, zum Bau seines Tempels aller meiner Opfer nicht. Aber damit meine innere Lauheit, meine Entfremdung und Trennung von Gott, mein Ungehorsam und Widerstreben nicht nackt zum Vorschein komme, bedarf ich der Sauls-Opfer, und leiste sie darum vielleicht reichlich und mit Eifer. So wird auch mein Opfer Ungehorsam und Widerstreben, und darum Götzendienst und eine Zauberei-Sünde. Ich will's euch nicht verhehlen, denn ich kann es nicht, und es hilft mir ja auch nicht, dass ich oft vor dem Götzen der Menschengefälligkeit, der eitlen Ehre, des stolzen Selbstbewusstseins und vor vielen andern anbetend mich beugte, während Mund und Hand Gott Opfer brachte. Es wird Niemand leugnen, dass er in derselben Verdammnis ist. Es müsste denn Einer sein, der im innerlichen Abfall schon so weit fortgeschritten wäre, wie Saul, bei dem der Ungehorsam noch in einem andern Sinne, als ich vorhin es erklärte, zur Zauberei-Sünde geworden ist. Denn das wisst: Ungehorsam, der sich nicht als solchen will entdecken und strafen lassen, sondern mit dem Mantel der Aufopferung sich umkleidet, der verzaubert den Menschen und bindet ihn mit einem nicht zu brechenden Banne. Man sagt, der Anblick des Schlangenauges bezaubere den Vogel, dass er nicht von ihm los könne, dass er sich in den Schlund des Feindes stürzen müsse. Ich habe nie Gelegenheit gehabt, dies zu beobachten. Aber ich habe oft gesehen, dass Ungehorsam und Widerstreben dem Menschen, gleichsam wie durch einen Zauber, alle Besinnung nahm und der Gewalt der Finsternis unwiderstehlich entgegentrieb. Liebe Schwestern, und die ihr Gott dient, ihr fühlet es mit mir, dass wir die täglichen Opfer unseres Amtes mit einfältigem Auge prüfen müssen, ob ihr Kern nicht Ungehorsam sei, oder ob sie wenigstens nicht in irgendeiner Weise inneres Widerstreben verdecken und darum ein Dienst sind, der dem Götzen eitler Ehre, des guten Namens, des frommen Scheines, des eigenen Willens oder irgendeinem andern Götzen gebracht wird. Fühlt sich Jemand an den Altar solcher Sauls-Opfer schon wie mit Zauber geschmiedet, der lasse durch den ehernen Hammer in der Hand Samuels ihn in Trümmer schlagen. Gedenkt an die Stelle aus einem eurer Berufs-Lieder:

Lasst eigne Ehr und Selbstgerechtigkeit
Fern Euern Herzen sein!
Eh' müsse untergehen
Eu'r Werk in Kaiserswerk,
Als je hier sollte stehen
Dem eignen Ruhm ein Herd!

Ein anderer Herd und Altar muss, wie in unserer evangelischen Kirche, so auch in unserm Mutterhause aufgebaut werden, auf dem nicht äußere Gaben, auf dem das Herz, der eigene Wille, die eigne Lust und Klugheit geopfert wird. Davon muss ich noch weiter reden.

II.

Hier, wie andrer Orten ist die Erfahrung nicht selten, dass Jünger oder Jüngerinnen des Herrn, die sich in besonderer Weise seinem Dienst mit aufrichtigem Sinn ergeben haben, von dem Wahne befangen sind, als sei diese Hingabe ein vollgültiger Beweis ihrer Frömmigkeit und wahrhaftigen Jüngerschaft, und als sei ihnen damit das Wohlwollen. Gottes und das Erbe der Heiligen verbrieft und versiegelt. Wie lügnerisch und darum verderblich solcher blinder Wahn sei, habt ihr aus Samuels Munde vernommen. Darum bitte ich euch alle, die ihr Knechte und Mägde Christi heißt, lasst zu aller Zeit und an jedem Ort in unauslöschlicher Flammenschrift vor euren Augen die Worte stehen: „Gehorsam ist besser, denn Opfer, und Aufmerken besser, denn das Fett von Widdern!“ oder damit ich sie in eurer Sprache ausdrücke: „Gehorsam ist besser, denn Dienst, und Aufmerken besser, denn Rennen und Laufen und alle Arbeit!“ Nicht eures Dienstes, auch nicht des eifrigsten, begehrt Gott. Gehorsam will er, Aufmerken fordert er. Gehorsam zuerst. Ihr wisst doch, was mit dem Worte gemeint ist. Nicht der Gehorsam der Füße und Hände, wie Saul sagt: „Ich habe der Stimme des Herrn gehorcht und bin hingezogen des Wegs, den mich der Herr sandte!“ was auch wahr. Aber ihr seht an eben diesem Saul, dass Hand und Fuß gehorsam sein mag, und doch dieser Gehorsam ein von Gott verabscheutes Narren-Opfer ist. Das wird dann immer der Fall sein, wenn der innere, wahrhaftige Gehorsam fehlt. Und dieser innere Gehorsam, welcher ist er denn? fragt ihr mich. Lasst sehen. „Gib mir, mein Sohn, dein Herz!“ gebietet der Herr, nicht deine Zeit, deine Arme, deine Füße, deine Zunge, deine Geschicklichkeit, deine Erfahrung, deine Anlagen, deine Kräfte, deine Tugend, deine Jugend, dein Alter, gib mir dein Herz. Aber dass auch hier kein Missverständnis euch irre führe! Das Herz bedeutet in der Sprache der Bibel nicht ein unbestimmtes, dunkles, verworrenes Gefühl, oder gar eine träge, ohnmächtige Gefühligkeit. Das Herz ist das allerinwendigste Leben, der Quellpunkt, aus dem, wie der Bach aus dem Born, dein ganzes inneres und äußeres, dein verborgenes und offenbares Leben, aus dem alle Fasern deines Daseins entspringen und ihre Nahrung saugen, wo deine Gedanken, Empfindungen, Entschlüsse, Wünsche, Hoffnungen, Bestrebungen, Triebfedern geboren und groß gezogen, und von wo aus sie auch regiert und beherrscht werden. Das ist dein Herz. Und das gib mir, spricht der Herr. Dann wird alles Eigene, aus dem dunklen Naturgrunde Stammende zerbrochen und zermalmt. Dann ist alltäglich und allstündlich die lebendige, kräftige, den ganzen Menschen beherrschende Grundstimmung: „Dein Wille geschehe!“ Das ist Gehorsam, und dieser Gehorsam ist besser, denn Opfer, oder vielmehr, er ist das einige, rechte, Gott wohlgefällige Opfer, denn die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstetes und zerschlagenes Herz wirst Du, Gott, nicht verachten.

Herr, so töt' und schlachte hin
Meinen Willen, meinen Sinn;
Reiß mein Herz aus meinem Herzen,
Soll's auch sein mit tausend Schmerzen!
Trage Holz auf den Altar,
Und verbrenn mich ganz und gar!
Also werd ich noch auf Erden
Gott ein liebes Opfer werden.

„Und Aufmerken ist besser, denn das Fett von Widdern“. Ist das Herz einmal hingeopfert, so ist es dadurch auch beschnitten, beschnitten auch das Ohr, dass ich aufmerken kann Stunde für Stunde, ob mein Herr mir etwas zu sagen habe, wie die Knechte aufmerken auf die Lippen ihrer Herren und lauschen auf den Wink ihrer Augen, dass meine Seele mit David und dem Davidssohne sagen könnte: „Opfer und Speisopfer gefallen dir nicht, aber die Ohren hast du mir aufgetan!“ Es müsse dies Gebet nicht von meinem Munde kommen:

Mach mich Dir gleich gesinnt,
Wie ein gehorsam Kind!
Stille! stille!
Jesu, o Du, hilf mir dazu,
Dass ich sein stille sei, wie Du!

Fein stille im Gehorsam des Glaubens. Dann würde ich aufmerken und lauschen auf die Rede meines Gottes, wo er eine Gefahr mir offenbarte, den Irrweg mir zeigte, dem ich mich nahe, und die Schlange dazu, die mir entgegen schleicht, aufmerken auch, wenn er mich senden will, oder allein nehmen oder warnen, oder strafen mit der Vaterrute. Wenn der alte und neue Mensch sich streiten, wenn Fleisch und Geist im Kampfe liegen, wenn ich von den Stimmen von unten her hierhin und dorthin gelockt werde, dann lass mich nicht hören auf die Reden des alten Adam, mich nicht besprechen mit Fleisch und Blut, sondern darauf merken, was Du mir zu sagen hast, mein Herr und mein Gott! Die wir zusammen arbeiten und bauen an der Stadt Gottes, lasst uns mit einem Herzen und einer Seele einstimmen in dies Gebet, das wird taugen vor unserem Gott, wie ein liebliches Rauchopfer. Wenn der Altar für dieses Doppelopfer des Gehorsams und des Aufmerkens in unserem Herzen nur erst einmal gebaut ist, dann wird derselbe auch nicht leer stehen von jenen andern Opfern, die Gott wohlgefallen. Denn das sollt ihr wissen, dass nicht träge und unfruchtbar bleibt, wer auf die Stimme des Herrn merkt und im Gehorsam der Wahrheit wandelt.

Als Abraham auf den ersten Ruf Gottes merkte und sprach: „Hier bin ich!“ als hätte er sagen wollen: Siehe ich bin bereit, tue mit mir, was Dir gefällt, denn ich habe längst mein Herz Dir geopfert und aufgehört mir zu leben, und will nun nichts mehr sein, als ein gehorsames Rüstzeug Deiner Hand: da konnte er auch seine Hand legen an Isaak, seinen eigenen Sohn, den er lieb hatte, der ihm ans Herz gewachsen war. Und als Samuel, der Knabe, des Nachts, da er schlafend lag in der Hütte des Stiftes, aufmerkte auf die Stimme, die ihn rief, und sprach: „Siehe, hier bin ich; Du hast mich gerufen!“ da konnte er auch das Opfer bringen, dass er viermal in einer Nacht vom weichen Lager sprang, rasch, fröhlich, unverdrossen, das vierte, wie das erste Mal, und zu seinem Gott sagte: „Rede Herr, denn Dein Knecht hört!“ und hernach durch sein Leben beweisen, dass er nicht daran gelogen hatte.

Glaubt mir, wo unter uns der Gehorsam Abrahams und das aufmerkende Ohr Samuels ist, da werden auch die Opfer Abrahams und Samuels niemals fehlen. Gottes eigenes Exempel macht uns das klar. Denn seit er uns sein Herz, seinen eigenen Sohn geschenkt und ihn nicht verschont hat um unsertwillen, jubelt der Gläubige mit unwandelbarer Zuversicht: „Wie sollte er uns mit ihm nicht Alles schenken!“ Liebe Gemeinde, du weißt, das Herz, das eigenste, was der Mensch hat, hält er so krampfhaft fest. Ist aber das erst dahin gegeben, dann folgt das Andere leicht und gelassen nach. Da spricht der Knecht des Herrn: „Mein Herz hast Du! wie solltest Du mit dem nicht alles Andere haben!“ Als dem heiligen Apostel Paulus das Herz noch nicht genommen war, da hat er, wie ein unbändig Ross und ein ungezähmtes Maultier, gegen den Stachel gelöckt, und gegen Zaum und Gebiss geschäumt. Als aber sein Herz erst dahin genommen war, rief er: „Herr, was willst Du, dass ich tun soll?“ Seit der Zeit ging der widerspenstige Löwe still und freudig, wie ein Lamm, wohin sein Herr voranging, und behielt nichts, nichts mehr für sich.

Dieselbe Umwandlung wird bei uns sich zeigen, wenn erst das störrige Herz geopfert und das verschlossene Ohr aufgetan ist. Es muss sich wiederholen, was die Jünger in Betphage erlebten, da sie die Eselin holten. „So euch Jemand etwas wird sagen, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer! Alsbald wird er sie euch lassen!“

„Der Herr bedarf ihrer!“ Das Wort wird dir genügen, wenn du gern verborgene Güter für dich behalten möchtest. Alsbald wirst du sie ihm lassen, ihm Alles lassen, was er will, und wär's auch ein zweiter Isaak, ich meine, wär dir's an das Herz gewachsen mit tausend Banden, und lieb, wie dein Leben, und dünkte dich ohne dasselbe zu sein, wie der Tod. Du wirst selber den Altar bauen und das Feuer darauf legen und das Messer ergreifen können. Du wirst auch nicht mürrisch werden, noch gräulich, noch sauer sehen und dich ungebärdig stellen, wenn du, wie der Knabe Samuel, viermal in einem Tage oder einer Nacht, aus süßer, behaglicher Ruhe aufgeweckt oder aus einer nötigen oder Lieblings-Arbeit abgerufen würdest, und wäre, wie bei Samuel, das Wecken und Abrufen auch scheinbar umsonst. Du wirst immerdar mit fröhlichem Herzen und lieblichem Antlitz dastehen vor deinem Herrn und sagen: „Hier bin ich! Du hast mich gerufen!“

Wenn Herz und Wille noch nicht geopfert sind, wie schwer, wie lästig, wie mühsam und unleidlich wird dann das Opfer unseres Dienstes. Wie so nahe liegt dann die Gefahr der Lüge und des Heuchelwesens! Wie ganz anders aber wird's, wenn ich mir nicht mehr selber lebe, sondern Christus mein Leben geworden ist und Besitz von meinem Herzen genommen hat. Da erschließt sich ein Freudenleben dem Diener dessen, der uns zuerst gedient hat. Da erfährt man etwas von jener Verheißung: „Nach deinem Sieg wird dir dein Volk willig opfern im heiligen Schmuck“. Da wird nicht länger ein Klagelied angestimmt, wenn der Herr ruft: Gehe hin, oder tue das! oder lasse das! Da singen wir aus neuem Herzen ein neues, fröhliches Lied:

Dem Rufe des Herrn
Gehorchen wir gern;
Gehorsam ist Freiheit der Seelen.
Die Not ist vorbei
Für alle, die frei
Den Weg des Gehorsams erwählen.

Da sind die Gebote nicht unerfüllbar mehr, die Gottes Knechten gegeben sind für ihre Arbeit: wie diese: „Übt Jemand Barmherzigkeit, so tue er es mit Lust!“ „Dient dem Herrn mit Freuden! kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken!“ „Nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb!“ Da erfährt man, wie Paulus, etwas von dem Unterschied zwischen dem Frondienst des Sklaven und Mietlings, und der Freudenarbeit des freien Knechtes, des Kindes im Hause, des Erben. „Ich muss es tun! spricht er vom Opfer seines Amtes, und wehe mir, wenn ich es nicht täte. Tue ich es gerne, so wird mir gelohnt; tue ich es aber ungerne, so ist mir das Amt doch befohlen!“ (1 Kor. 9, 17.) Wehe deren, welchen das Amt nur befohlen ist, die seine Last gerne abschütteln und aus dem schweren Joch sich ausspannen möchten, und nur durch knechtische Furcht darin zurückgehalten werden. Aber wohl denen, die ihr Amt gerne tun, denen wird gelohnt über Bitten und Verstehen, denn der Herr ist ihr Lohn. Ein voll, gedrückt, gerüttelt und überflüssig Maß wird er in ihren Schoß geben; denn sie erwerben sich jene gute Stufe und die große Freudigkeit im Glauben, die denen verheißen ist, die da wohl dienen. Für sie steht die Freudenbotschaft geschrieben: „Es soll der Ackersmann, der den Acker baut, der Früchte am ersten genießen. Merke, was ich sage!“ Und abermals steht für sie geschrieben: „Wisst ihr nicht, dass die da opfern, essen vom Opfer?“

Ich muss, ehe ich zum Schluss komme, noch eine Frage tun. Sagt mir, teure Mitarbeiter, woher kommt Streit und Zank und Hader und Neid und Beißen und Fressen unter den Bauleuten Zions? Ist's nicht daher, dass wir zu viel auf die Stimme von Fleisch und Blut merken, zu viel dem eigenen Kopf, der eignen Meinung und Einsicht, den eignen Lieblingsgedanken folgen, und nicht mit dem ernsten Streben nach Verständnis und mit stiller Liebe auf die Meinung des Nächsten eingehen? Wenn wir ausschließlicher auf das aufmerkten, was uns der Herr zu sagen hat, und dem freudig folgten, so würde bald ein Friede und eine Einmütigkeit ausgegossen über die Pilger gen Zion, dass die Engel im Himmel sich freuen müssten, und der Herr den lieblichen Geruch dieses Friedensopfers riechend, daselbst Segen und Leben verheißen würde immer und ewig.

„Opfer oder Gehorsam? Die Antwort auf diese Frage ist euch nicht mehr verborgen. Aber nehmt sie nicht bloß aus meinen Worten! Erwerbt sie euch in der Arbeit und im Kampf eures Amtes durch eignes Gebet und eigne Vertiefung in das unwandelbare Wort, dass ihr sie besitzt nicht als etwas Fremdes und Angelerntes, sondern als ein freies, teuer errungenes Eigentum. Und wer sie ein Eigentum nennen kann, der halte sie hoch empor, wie ein Panier. Sie zeigt den Weg in die ewige Gottesstadt durch die Wogen und Wirbel der Zeit. Aber damit du nicht noch vom Sturm verschlagen werdest und Schiffbruch leidest Angesichts der goldenen Gassen: so halte, was du hast, dass Niemand deine Krone nehme! Amen.

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