Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Sauls - Sechste Predigt. Der erste Schritt zum Fall eines schon bewährten Gottesknechtes.
1 Sam. 13, 1-15.
Fünfmal nun sind wir zu Saul in die Schule gegangen, und haben mit wahrer Herzenslust von ihm gelernt, was für Knechte der Herr Herr für seinen Dienst fordert. Unsere Freude glich der Freude eines Gärtners, wenn er trotz Wind und Wetter die edle Knospe sich herrlich entfalten und in königlicher Pracht sich endlich öffnen sieht. In letzter Predigt standen wir vor der erschlossenen Gottesblume. Ihr Duft erquickte uns die Seele, denn er war stark und frisch wie Bergeshauch, und doch sanft und lieblich, wie Maienluft. Ihr wisst, durch wie viele gefahrvolle Tage die Knospe hat hindurch müssen, oder dass ich ohne Bild rede, wie viele Prüfungen und Versuchungen über Saul gekommen sind, wisst auch, wie er mit seinem Gott in dem allen weit überwunden hat. Und dieser Mann, - nicht mehr ein Neuling, oftmals schon erprobt, - er ist dennoch gefallen. Im verlesenen Text wird uns der erste Schritt zu diesem Falle erzählt. Lasst mit Furcht und Zittern der Geschichte uns nahen. Wer aber meint, er stehe, der sehe wohl zu, dass er nicht falle!
Der erste Schritt zum Fall eines schon bewährten Gottesknechtes.
Wir werden zweierlei entdecken:
I. Aus welchem verborgenen Schlupfwinkel des Herzens die Tücke hervorgebrochen sei, die ihn zum Straucheln brachte;
II. Was ihn verhindert habe, dass er nach dem Straucheln wieder aufrichtig auf seine Füße trat.
I.
Könnt ihr, im Herrn Geliebte, dem Krieger nachfühlen, wenn er seinen Feldherrn, den hohen, herrlichen, den er niemals zitternd, den er nur siegend erblickte, nun plötzlich getroffen von einer feindlichen Kugel, wanken, schwanken und fallen sieht? „Auch du Mächtiger“, mag er denken, „warst vor dem Feind nicht sicher und warst doch besser umpanzert, als ich bin. Und trifft die Kugel meine Brust, muss auch ich Armer so hingestreckt daliegen“. Und ehe er tiefer in den Kampf dringt, befiehlt er seine Seele dem allmächtigen Gott. Mit diesem inneren Beben, diesem heiligen Ernste müssen wir heute an den strauchelnden König herantreten. „Du warst ein Gewaltiger im Streit Gottes. Viele Siege krönten deine Stirn. Demut, Gehorsam, Stillesein, heiliger Eifer, zwiefach bewährte Sanftmut umpanzerten dich gut. Dennoch hat dich der feurige Pfeil des Bösewichts getroffen. Du bist gefallen, du Held. Wie wird mir's ergehen, wenn derselbe feurige Pfeil auf mich losgedrückt wird? Womit soll ich mich schirmen?“
Wem's ein Ernst ist, auf diese Frage Antwort zu erhalten, der soll sie haben. Doch vorher sage mir, was wolltest du tun, wenn du ein Arzt wärst, und solltest einem elenden Kranken wieder zum Wandeln helfen? Ich denke mir, du würdest ohne Säumen dem Sitz der Krankheit nachforschen, die ihn also schwach gemacht hat, dass er nicht mehr auf seine Füße treten kann. Ist das die richtige Art, so wird's auch nötig sein, dass wir der Krankheit nachspüren, die den König Saul bis zum Straucheln schwach gemacht hat, ich meine, dass wir die ersten Gedanken und Versuchungen aus der Verborgenheit ans Licht ziehen, denn sie sind es, aus denen eine Sünde nach der andern hervorsteigt, bis die Sünde vollendet ist und den Tod gebiert.
Zwei Jahre war Saul König gewesen. Er sah, dass Israel stank vor den Philistern. Das Volk der Wahl ward immer mehr geschändet vor den Unbeschnittenen, und ließ sich auch immer feiger, widerstandsloser zertreten unter die unheiligen Füße. Seine Waffen hatte es längst ausgeliefert, dazu auch die Waffenschmiede sich entführen lassen. Es ward kein Schmied im ganzen Israel erfunden; denn die Philister dachten, die Hebräer möchten Schwert und Spieß machen. Selbst die Werkzeuge des Friedens, Pflugscharen, Hauen, Sensen, Gabeln, Beile waren abgearbeitet und konnten in Israel nicht wieder geschärft werden.
„Die Stacheln waren stumpf geworden!“ das galt leider auch von ihrem Mut, ihrem Glauben und Vertrauen.
Mitten in einem solchen Volk stand Saul, er mit seinem Sohne der einzige noch, der Waffen hatte. Aber auf seine Wehr und Waffen konnte er trauen, denn es war der Herr Zebaoth, stark und mächtig der Herr, mächtig im Streit. Den Jammer seines Volkes zu enden, sammelt er im dritten Jahr seines Königreichs dreitausend Mann aus Israel, gibt tausend unter die Hand Jonathans, seines Sohnes, und zieht mit 2000 nach Michmas. Alles andere Volk, was sonst noch nachlief, ließ er vorerst gehen, denn mit seinem Gott und den 3000 hoffte er Israel zu erlösen aus der Philister Hand. Als nun Jonathan zu der Zeit einen Wachtposten der Philister glücklich verjagt hatte, ließ Saul die Posaunen blasen im ganzen Land und sagen: „Das lasst die Hebräer hören!“ Dieser siegreiche Anfang soll, meint er, sie aufrütteln aus ihrem feigen Schlaf, und daran denken lassen, wer sie sind. Auch jetzt, wie vor einem Jahr bei dem Streit gegen den Ammoniter Nahas, fiel eine Furcht über das Volk. Sie regten sich, aber unfreiwillig; sie folgten, seine Krieger, nach Gilgal, aber murrend, und alles Volk schrie Saul, dem König, nach bis Gilgal, seufzend und anklagend, dass er den faulen Frieden gestört und einen Rumor gegen die Philister gemacht hatte. Doch in diesen anstürmenden Wellen bleibt Saul fest und unbewegt. Keine Ahnung von Furcht, nur die sichere Hoffnung, dass er auch mit einem solchen Volke sein Werk ausrichten werde. „Da versammelten sich die Philister zu streiten mit Israel, dreißigtausend Wagen, sechstausend Reiter, und sonst Volk, so viel wie Sand am Rande des Meers, und zogen herauf und lagerten sich zu Michmas. Da das sahen die Männer Israels, dass sie in Nöten waren (denn dem Volk war bange), verkrochen sie sich in die Höhlen und Klüfte und Felsen und Löcher und Gruben“. Andere Hebräer, Kinder Abrahams, des Vaters der Gläubigen, flohen in die Länder jenseits des Jordans und ließen Saul im Stich. Noch Andere liefen über zu den Philistern und dienten im fremden Heere gegen ihre Brüder. (Kap. 14, 21.) Aber immer noch ohne Beben stand Saul zu Gilgal, auf dem heiligen Boden, der Denkstätte der Wunder Gottes, in der Mitte jener zweitausend, die keine Waffen hatten, stand da auf der Hut Gottes, still, fröhlich und getrost, und sein ganzes Wesen rief laut: „Wer glaubt, der fleucht nicht!“ Auf die Zweitausend war Etwas seines Mutes, seiner Hoffnung, seiner Ruhe übergeströmt. Aber als sie die Macht der Philister sahen, ward auch dies Volk zaghaft hinter ihm. Man weiß, wie die Furcht und Feigheit ansteckt. Verderblicher denn die schädlichste Pestilenz, rafft sie, im Finstern schleichend, einen Mann nach dem andern dahin! Man weiß auch, dass ein Heer, welches von Feigheit und Furcht zerfressen ist, noch niemals über seinen Feind gesiegt hat. Was wird Saul nun tun? Wird er nicht sofort losstürmen auf den Feind, ehe die Zagheit weiter um sich frisst? Fordert das nicht gebieterisch die Klugheit? Mag's die menschliche Klugheit fordern, was fragt ein Saul nach Klugheit! Er fragt, was Gott und der Gehorsam fordert. Und diese Forderung? „Du sollst, heißt sie, vor mir hinab gehen gen Gilgal; siehe, da will ich zu dir hinab kommen, zu opfern Brandopfer und Dankopfer. Sieben Tage sollst du harren, bis ich zu dir komme und dir kund tue, was du tun sollst!“ Er hält fest am Glauben, dass der, welcher ihn von den Eselinnen geholt und zum König gesalbt, auch mit dieser Forderung nur Segen im Sinne habe. In Kraft dieses Glaubens harrte er in jener verzweiflungsvollen Lage sieben Tage auf die Zeit, von Samuel bestimmt. Sieben Tage! Das war wohl eine Woche, wie du und ich sie noch nimmer erlebt haben. Die Hebräer in den Löchern verkrochen, die andern über den Jordan geflohen, noch andere sogar bei den Philistern, im ganzen Land Murren und Anklagen, seine letzten Zweitausend auch zag, vor sich die stolzen, siegprangenden Philister: so harrt er von Tag zu Tag, unerschütterlich, ein Fels im Meer. „Endlich muss doch kommen der siebente Morgen und mit ihm die Hilfe von den Bergen der Ewigkeit. Mut noch und Glauben, mein Herz und mein Volk, bis dahin!“ Der siebente Morgen graut, die Sonne steigt höher. Kein Hoffnungsstern! Samuel bleibt aus. Das sehende Auge sucht die hohe Gestalt - nirgend eine Spur. „Da zerstreute sich das Volk von ihm“. Einer nach dem andern von den Zweitausend ergreift die Flucht. Und Samuel? wer weiß es, was ihm begegnet ist? Saul, lässt Du auch die Letzten sich zerstreuen, - dann ist Alles, Alles verloren! Keine Rettung dann, keine Hilfe mehr! Israel geht zu Grunde! Die Philister erhalten auf ewig den Sieg! Gott und sein heiliger Name wird geschändet! Und du harrst hier in Ruhe und Untätigkeit! Auf! noch einen Augenblick Zeit, der letzte! Da übertritt er des Herrn Gebot und opfert Brandopfer und Dankopfer, um danach in eigner Wahl den Kampf zu beginnen. Da siehst du hinein, klar und tief, in den innersten Quell, aus dem Sauls Übertretung geflossen ist. Es ist nicht die grobe Sünde des Eigennutzes, des Stolzes, der Augenlust, der Fleischeslust, nicht der hoffärtige Gedanke: Ich bedarf Gottes nicht, ich bin allein stark genug! nicht die alle Ehre geizend an sich reißende Ruhmgier. Es ist der tief verborgene Unglaube, der da, wo die Not und Prüfung aufs höchste steigt, wo alle Gotteshilfe aus scheint, plötzlich hervorbricht und den König zum Wanken bringt. Hätte er Glauben gehalten, wo vor Menschen Augen Alles aus war, und damit gehofft auf Hoffnung wider Hoffnung, hätt' er sich einfach auf das göttliche Wort gesteift, den festen Anker der unwandelbaren Verheißung ergriffen, und sich's nur laut zugerufen: „Bei den Menschen ist es unmöglich, aber bei Gott sind alle Dinge möglich! und so er spricht, so geschieht es, so er gebeut, so steht's da!“ er wär' der unerschütterliche Fels geblieben, der er war, und wären die Berge gleich mitten ins Meer gesunken, und hätte das Meer gleich tausendmal mehr gewütet und gewallt, dass von seinem Ungestüm die Berge eingefallen wären. Aber nun kam in der Not, wo kein Ausweg zu sehen war, ein Senfkörnlein Unglauben, und mit und aus dem Unglauben sofort Furcht vor dem Philister und der Flucht des Volks, und mit der Furcht Ungeduld und quälende Unruhe, und mit der Unruhe ein hastiges Ergreifen der vom eignen, blinden Verstande eingegebenen Mittel, und mit diesem Ergreifen ein Vertrauen auf Fleisch und Blut, und durch das Alles der offene Ungehorsam, die tatsächliche Übertretung göttlichen Gebotes, die räuberische Anmaßung eines Amtes, einer Ehre, die ihm nicht gebürte. Also wird der verborgene Unglaube im Herzen der Knechte des Herrn zu jener bitteren Wurzel, die, wenn sie aufschießt, Galle und Wermut trägt und alle bösen und faulen Früchte. Der Glaube ist der Schwerpunkt im Menschen. So lange er auf dem ruht, steht er fest. Der Unglaube entreißt dem Menschen seinen Schwerpunkt. Dann kann ihn, und wär er ein Fels, ein Strohhalm zum Wanken bringen.
Ist's nicht auch der Unglaube, der selbst Mosen, den Mann Gottes, beschlich am Haderwasser, also dass er ungehorsam ward dem Herrn, seinem Gott, und nicht konnte hineinziehen ins gelobte Land? Und Jakob? War er nicht ein frommer Mann, wie die Schrift sagt? (1 Mos. 25, 27). Was hat ihn denn zum Jakob, zu jenem hinterlistigen, ränkevollen, verschlagenen Mann gemacht, und Rebecca dazu, die gottselige Matrone, zur Lügnerin, Betrügerin und Verführerin? Ist's nicht wiederum der Unglaube? Der trieb sie, um ihrem jüngsten Sohne den Segen und die Verheißung zuzuwenden, zu jenen eigenen, fleischlichen Mitteln, die ihr alle kennet, und riss Jakob mit fort in die Schuld.
Wer glaubt, der fleucht nicht. Wer aber nicht glaubt, der fleucht zu seiner Klugheit, seiner Kraft und Stärke. Der fühlt sich berufen, mit seinem Kopf den verwickelten Knoten zu lösen, den Gott geschürzt hat. Er meint listig zu sein. Aber die Schlange ist listiger, als alle Tiere des Feldes. Die ergreift ihn und sorgt dafür, dass er von Lust zu Lust und von Begierde zu Begierde herumgetrieben werde. Aber das geschieht nimmer so plötzlich und auffällig. Ist doch der böse Feind, wiewohl er der dumme Teufel ist, nicht ganz ohne Klugheit. Nicht bestürmt er die Menschen, die in etwa dem Saul gleichen, offenbar und mit groben Anläufen der Sünde. Du weißt, will man einen grünen Baum stamm anzünden, so hält man nicht das Licht stracks in den Baum; was sollte das frommen? - sondern man legt erst dürre Äste rings umher, und um die Äste Reisig, und ums Reisig Stroh oder Werg. Da hinein wird der Funke geworfen, und der grüne Stamm brennt lichterloh, ehe man es nur denkt. Das ist auch die Art des Feindes. Er wirft sein höllisches Feuer nicht geradezu und offenbar in die grünen Zweige, die lebendigen Reben am ewigen Weinstock. Sie würden ja des lachen. Das weiß er selbst. Darum mischt und mengt er himmlisch und höllisch Feuer klug unter einander und sucht durch solchen Glanz die bekümmerte, angefochtene Seele von unsers Fußes Leuchte, dem festen, untrüglichen Wort, von dem Gott, der das Leben ist, fortzulocken. Wer nicht im Glauben bei seinem Gott bleibt, auch wenn er sich so verhüllt, dass kein menschlich Auge ihn gewahren mag, sondern im Unglauben jenem gemischten Lichte folgt, wird, losgerissen vom Lebensquell, so dürre, wie der Rebe, der sich vom Weinstock reißt, wie die Blume, die nicht mehr im mütterlichen Erdreich wurzelt. Und ist das Holz erst dürre, was Wunder, dass es Funken fängt!
Wir haben diese listige Art des Teufels vorhin beim Angriff gegen Saul gesehen. So hat er auch unsern Herrn und Meister selbst verlocken wollen, da er zweimal sprach: „Bist du Gottes Sohn?“ und einen verfälschten Bibelspruch in den Mund nahm. Lüge und Wahrheit mischte er durcheinander, ob er durch das Körnlein Wahrheit den hungernden Heiland nicht etwa willig machte, die Lüge mitzunehmen.
Doch lasst uns jetzt das Buch unsers eigenen Lebens aufschlagen. Gott setzt seiner Mägde oder Knechte Einen, der den Weg seiner Gebote einmal wacker gelaufen hatte, an eine dürre, steinige Stelle seines Weinbergs. Der Knecht arbeitet munter und fleißig und scheut den Schweiß nicht, denn er denkt der Erntefreuden. Aber Gott segnet die Arbeit nicht. Es geht wohl hier und da ein magerer Keim auf, aber von oben her kommt kein Gedeihen. Noch harrt der Knecht mutig aus. Aber der Segen bleibt immerdar ferne, vielleicht bleiben selbst die magern Keime aus. Da beschleicht der Unglaube das Herz, nicht der bare Unglaube, als sei Gott nicht mehr der Herr des Ackers der auch aus Steinen Korn machen kann, sondern jener feinere, der bei sich spricht: „Ich bin hier nicht auf dem rechten Posten. Hierher muss von Gott eine andere, stärkere Kraft gesetzt werden, damit sein Werk und seine Ehre nicht leiden. Mein ganzes Leben soll dem Herrn gehören: aber ich muss in ein Ackerwerk, was mir angemessen ist“. Aus diesem Unglauben wächst in einer Stunde Ungeduld und Unlust hoch wie ein Baum hervor. Die Unlust wird Unzufriedenheit. Da winkt einem in der Ferne ein ander Arbeitsfeld. Man wird gelockt. Dem kreuzesflüchtigen Fleisch und Blut gefällt's dort besser. Man greift zu eignen Mitteln, zu eigner Klugheit, vom alten Posten loszukommen. Plötzlich bricht voller Ungehorsam aus. Man desertiert, und schmeichelt sich noch, dass man um Gottes willen desertiere. Wo dieser erste Schritt getan ist, da folgen die andern zum breiten Weg hin gar bald nach. Wer das Leben der Arbeiter Gottes kennt, weiß es nur zu gut, wie oft leider diese Sauls-Geschichte sich wiederholt.
Aber lasst mich noch tiefer ins innerste, christliche Leben greifen. Ein wackerer Gotteskämpfer streitet Tag und Nacht wider sein böses Herz, wider eine ganz bestimmte, tief eingewurzelte, noch nicht ausgerottete böse Neigung. Der Sieg will nicht gelingen. Der Kampf wird fortgesetzt. Aber der alte Feind erhebt stets in alter Kraft sein Haupt. Da ergreift Unglaube und Ungeduld den Kämpfer, und bringt ihn nach rechts oder links hin zum Straucheln, indem er entweder zu andern Mitteln der Heiligung, als der bloßen Gnade, dem nackten Glauben seine Zuflucht nimmt, oder seinen Kampfeseifer erkalten und einer ungläubigen, lauen Gleichgültigkeit Platz machen lässt. Gewiss, teure Kampfgenossen, ihr versteht, was ich sage.
Wir kehren zu Saul zurück. Der Treue, der ihn berufen hatte, bereitete ihm eine zwiefache Beschämung, damit er seinen gleitenden Fuß wieder auf einen Felsen stellte. Denn kaum hatte der König das Brandopfer vollendet, siehe, „da kam Samuel“, stumm noch, aber seine bloße Erscheinung rief laut, wie Donner; „Saul, Saul, des Herrn Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiss! Auch lügt der Held in Israel nicht, und gereut ihn nicht. Denn Himmel und Erde vergehen, aber seine Worte vergehen nicht, und noch ist keins auf die Erde gefallen, so viel er geredet hat. du Kleingläubiger, warum warst du so furchtsam?“
Lasst mich, Geliebte, nicht viel hiervon reden, denn die Scham schließt mir den Mund. Ich will frei offen bekennen und bekennt ihr's mit mir: Als mich Unglauben zur Furcht, zur Unlust, Ungeduld und endlich zum Ungehorsam hingerissen hatte: siehe, da kam, was ich nicht geglaubt: da stand er auf dem Plan, hart vor mir, herrlich und offenbar, den mein Zweifel nicht geschaut hatte. Und sobald ich ihn sah, den ewig Treuen, der kein Titelchen seines Wortes bricht, musst' ich mit Saul noch zur zweiten Beschämung inne werden, dass so treu mein Gott ist, ganz so nutzlos mein Ungehorsam, meine eigene Klugheit, die Wahl meines Fleisches war. Saul hatte durch das Opfer die Zweitausend fesseln und mit neuem Mut füllen wollen, aber da er sie nun zählte, waren es nur sechshundert. Sie hatten sich doch verlaufen.
Nun siehe doch, wie viel und oft
Ist schändlich umgeschlagen,
Was du gewiss und fest gehofft,
Mit Händen zu erjagen.
Hingegen wie so manches Mal
Ist das geschehen, das überall
Kein Mensch, kein Rat, kein Sinnen
Ihm hat erdenken können.
Wie oft bist du in große Not
Durch eignen Willen kommen,
Da dein verblend'ter Sinn den Tod
Fürs Leben angenommen !
Und hätte Gott dein Werk und Tat
Ergehen lassen nach dem Rat,
In dem du's angefangen,
Du wärst zu Grunde gangen!
Ja, zu Grunde gangen wär' ich, mein Gott, wenn ich den Weg gewandelt wäre, den meine ungläubige Vernunft, mein hochfahrender Verstand mir gezeigt hatten. Und das treibt mich, desto lauter zu bekennen:
Der aber, der uns ewig liebt,
Macht gut, was wir verwirren,
Erfreut, wo wir uns selbst betrübt
Und führt uns, wo wir irren.
Und dazu treibt ihn sein Gemüt
Und die so reine Vatergüt',
In der uns arme Sünder
Er trägt als seine Kinder.
Diese Treue wollte er auch an Saul beweisen. Darum sandte er den Samuel, nicht dass jener gerichtet würde, sondern sich schämte und Buße täte. Darum ließ er die Zweitausend sich verlaufen, nicht dass Saul in die Hände der Philister fiel, sondern dass er rufen lernte:
Mit unsrer Macht ist nichts getan,
Wir sind gar bald verloren!
oder: „Alle Menschen sind Narren mit ihrer Kunst! (Jer. 10, 14.) Da ich mich für weise hielt, bin ich zum Narren geworden!“
Wo ist Einer, fragt der Prophet, der da fällt und nicht gerne wieder aufstünde! Wohlan! Die ihr des Tages strauchelt mehr denn siebenmal, und oftmals fallet in die grausame Grube, suchet mit ernstem Fleiße dem Grunde nach, warum Saul nach seinem Straucheln trotz der Hand, die aus der Höhe sich ihm hernieder streckte, nicht wieder zum Stehen gekommen ist.
II.
„Siehe, da kam Samuel. Da ging Saul hinaus, ihm entgegen“. Was wollte er? Wollte er niedersinken vor Gott in tiefer Scham und rufen: „Ich Kleingläubiger!“ und weiter bekennen: „Ich armer Mensch, ich stand einmal, nun bin ich gestrauchelt, denn ich glaubte nicht dem ewigen Worte! Du, Herr, bist gerecht, ich aber muss mich schämen!“ Wir lesen das nicht von Saul. Er ging hinaus, „ihn zu segnen“. Über der Freude, dass der Helfer da war, vergaß er seine Schuld, wollte Samuel loben und benedeien und segnen mit den Händen, mit denen er nicht zuvor in seinen Busen gegriffen hatte. Aber Gott erbarmte sich Sauls noch weiter. Er ließ ihn nicht in dieser schönen, trügerischen Freude und lobenden Stimmung. Denn Samuel trat ihm fest entgegen, nahm seinen Segen nicht, achtete nicht seines Dankes, seiner Freude, sondern rief ihm kurz, ernst und streng ins Gewissen hinein: „Was hast du gemacht?“ Weckt dieser Ruf Saul aus seinem Schlummer, dass er ebenso kurz und ernst antwortet: „Ich bin ungläubig gewesen und habe im Unglauben des Herrn Wort übertreten?“ Ach, nein! Er dehnt seine Rede länger aus. „Ich sah, dass das Volk sich von mir zerstreute, und du kamst nicht zu bestimmter Zeit, und die Philister waren versammelt zu Michmas. Da sprach ich: Nun werden die Philister zu mir herabkommen gen Gilgal, und ich habe das Angesicht des Herrn nicht erbeten; da wagte ichs und opferte Brandopfer“. Habt Acht auf diese Rede! Sie ist nicht ganz Lüge, es ist Wahrheit darin. Die Gefahr war ja wirklich groß. Er bekannte auch: Ich habe geopfert. Er nimmt auch einen Teil der Schuld auf sich. Denn in dem: Ich wagte es! liegt so etwas von Schuldgefühl. Aber dieser Teil der Schuld, den er noch auf sich nahm, war doch ziemlich gering, oder eigentlich gar keiner; denn die Umstände waren zu dringend und zwingend, wie er sagt, und die eigentliche Hauptschuld bist du, Samuel, selbst, denn du kamst nicht zu bestimmter Zeit. Seht, wie da die Entschuldigung in bare Lüge übergeht, die, wie's nicht anders sein kann, sofort halb zur Frechheit und Unverschämtheit, halb zur Lächerlichkeit wird. Denn Samuel stand ja eben leibhaftig vor ihm, und noch war der siebente Tag, die bestimmte Zeit, nicht zu Ende. Von einer Lüge kommt man in die andere, in eine viel gefährlichere. Denn das Körnlein Wahrheit: Ich habe geopfert! umkleidet er nun mit gleißendem Schein. Er leitet das Opfer aus einer andern Quelle her, aus einer frommen, und es kam doch aus einer bösen. „Ich habe das Angesicht des Herrn nicht erbeten da wagte ich's!“ sagt er. Aber nicht der Drang zum Gebet war's, der ihn zum Opfer brachte, nicht die gänzliche Hingabe an Gott, die nichts in eigner Wahl tun wollte: es war vielmehr, wir wissen's, der Unglaube, die Ungeduld, es war das Losreißen von Gott, ein Gehorchen gegen den eignen Willen, die eigne Vernunft. Ihr seht, seine Sünde umging er mit einer frommen, schönen Larve, sein Straucheln nannte er ein Suchen nach dem Angesicht des Herrn. Und das war noch das Gefährlichste, dass das Körnlein Wahrheit, was auch hierin noch war, sein Gewissen beruhigte, dass er zu seinem Herzen sprechen konnte: „Du hast nicht eignen Ruhm gesucht, du wolltest ja dein Leben für deinen Gott, dein Volk opfern, es war dir ja Ernst, dass dein Gott auf deiner Seite sein möchte“. Hört da, die alte Schlange, die Lügnerin, die Mutter der Lügen! Diese halb versteckte, halb offene, halb fromme, halb freche Lüge, die uns nicht zur Selbsterkenntnis, zur Erkenntnis des eigentlichen bösen Grundes unserer Gedanken, Begierden, Worte und Werke kommen. lässt, die ist des Teufels Schlinge, die den Strauchelnden nicht wieder lässt aufrichtig auf seine Füße treten, den Fallenden sich nicht wieder vom Fall erheben, die immer tiefer in die Grube herniederzieht. Nur ein Wort aus Sauls Munde. „Ich Ungläubiger! Ich Ungehorsamer!“ und der wankende Felsen hätte wieder unerschütterlich fest gestanden. Aber auf jene Vermischung von Lüge und Wahrheit, von Entschuldigung und Schuldgefühl antwortet Samuel, indem er der übertünchten Wand die gleißende Farbe abreißt und Sauls Tat beim rechten Namen nennt: „Du hast törlich getan und nicht gehalten des Herrn, deines Gottes, Gebot, das er dir geboten hat, denn er hätte dein Reich bestätigt über Israel für und für. Aber nun wird dein Reich nicht bestehen!“ Auf alle Entschuldigung und scheinende Versicherung Sauls hört Samuel nicht einen Augenblick. Er hat nur das ungeschminkte Urteil: „Du hast nicht gehalten des Herrn, deines Gottes Gebot! Darum weil du das nicht erkennen magst, wird dein Reich, dein Amt von dir genommen“. Auch dieser Ernst noch sollte Saul zum Aufstehen bringen. Das Königreich war zwar verloren für sein Haus; aber seine Seele konnte noch selig werden.
Hier müssen wir für heute die Fackel des göttlichen Wortes von Saul ab und auf uns selbst hinwenden, dass wir erkennen, wie fest jene Schlinge, die Saul nicht wieder aufkommen ließ, um ein Menschenherz geschnürt ist. Saul hatte diese Art erst von Adam geerbt, und Adams Weise ist immer noch unsere Weise, so viele unser Adams Fleisch und Blut an sich haben. Da Gott Adam nach der ersten Sünde ins Verhör nahm und sprach: „Adam, wo bist du?“ da hat er schon in seiner Antwort die Wahrheit mit der Lüge gemengt, und der Lüge noch ein schönes Kleid umgehängt. „Ich fürchtete mich! versteckte mich!“ das ist die Wahrheit. „Ich bin nackend!“ war auch Wahrheit. Aber dass dieses der Grund von jenem gewesen, das ist die Lüge und zugleich die fromme, gleißende Lüge. Als Gott sich nicht täuschen ließ und durch die zweite Frage ihn noch zum Bekenntnis bringen wollte, warf Adam die Schuld auf Gott und auf das Weib: „Das Weib, das du mir gegeben hast, gab mir“ und was denn noch an Schuld übrig bleibt, das nahm er auf sich - und ich aß!“ Das ist der Betrug der Sünde, der uns, vom Bekenntnis zurückhaltend, immer fester verstrickt. Wie viele Kinder hat Adam! Absalon ging nach Hebron, um zu opfern, um sein Gelübde zu lösen. Unter diesem frommen Schein stieß er seinen Vater vom Thron. - Jakob log und trog seinem Vater. Und als des Vaters Frage: „Mein Sohn, wie hast du so bald gefunden?“ ihn zur Wahrheit hätte zurückbringen mögen, verhüllte er den Trug in das lügnerische schöne Wort: „Der Herr, dein Gott, bescherte mir's“. Und jener Jüngling, zu dem der Herr sprach: „Folge mir nach!“ verbarg seine Unlust zur schnellen entschiedenen Nachfolge in die kindliche Bitte: „Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe“. Wie darf Christus dem antworten: „Lass die Toten ihre Toten begraben!“ Wie darf er ihn reizen, dass er übertrete das vierte Gebot: „Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren!“ - ehren auch über den Tod hinaus? Was ist das für eine Weise des Heiligen in Israel? Teure Gemeinde, der Nierenprüfer sah dem jungen Mann ins Herz, sah, dass es ihm mit jener Bitte nicht darum zu tun war, das vierte Gebot zu halten, sondern durch dasselbe sich dem Rufe zu entziehen: „Folge mir nach!“
Es tut nicht not, euch mehr Spiegel vorzuhalten. Ihr findet in allen diesen Geschichten eure eigne Gestalt wieder. Ihr bekennt mit Zittern: mein Herz ist Meister in der Kunst, Lüge und Wahrheit zu mischen, die Schuld so weit abzuwälzen, dass nur ein Sandkorn auf meinem Gewissen liegen bleibt. Ach, und auch in jene Tünche hat meine Hand oft gegriffen, die mit frommem Schein die innere Sünde, den bösen Gedanken, die eigentlichen unlauteren Beweggründe übermalt. „Wohl dem Menschen, in des Geist kein Falsch ist!“ „Dem Aufrichtigen lässt es der Herr gelingen!“ Nicht der Unglaube verdammt, nicht die Furcht, Ungeduld, Unzufriedenheit, der Ungehorsam oder was sonst für Sünde aus dem Unglauben kommt, sondern jene hochmütige Verblendung, die den Unglauben und seine bösen Früchte nicht erkennen will, jener Selbstbetrug, der da sauer süß, und schwarz weiß nennt, und die krummen Wege gerade, und die eigenen Wege Gottes Wege. Das ist die Macht, womit der Satan einen Strauchelnden ganz unter seine Füße und in den Kot tritt. Dass dem so sei, zeigt die Wahl Gottes. „Der Herr, spricht Samuel, hat ihm einen Mann ersehen nach seinem Herzen, dem hat der Herr geboten, Fürst zu sein über sein Volk; denn du hast des Herrn Gebot nicht gehalten!“ Das ist ein dunkles, wunderbares Wort! Hat denn David des Herrn Gebot gehalten, da er zu Bath-Seba einging, und Uria, den Hethiter, erschlagen ließ? Ist solche grobe Sünde je von Saul geschehen? Und Saul ist doch verworfen, und David, der Ehebrecher, der Mörder, doch der Mann nach dem Herzen Gottes?
Wie sollen wir solches Wort, solche Wahl Gottes uns erklären? Hat hier die Welt nicht ein Recht, zu spotten, wie sie's denn getan hat und tut? Wer unsere heutige Geschichte verstanden hat, ist nicht im Zweifel, was er auf solche Fragen antworten soll. Er kann mit Habakuk sprechen: „Hier stehe ich auf meiner Hut und trete auf meine Feste, und schaue und sehe zu, was ich antworten soll dem, der mich schilt“. Dies ist die Antwort: „Nicht das ist der Verworfene, der Sünde tut, sondern der die Sünde nicht erkennt und in Hoffart und Selbstverblendung dem Keim des inwendigen Verderbens süßklingende Namen gibt! und das ist nicht der Mann nach dem Herzen Gottes, der von keinem Unglauben erschüttert, von keiner Tücke seines Herzens übereilt, von keiner Sünde in den Kot getreten wird, sondern der, welcher ohne Falsch und Selbstbetrug vor Gott und Menschen seine Schuld anzeigt und mit David, wenn er gestraft wird, kurz und klar bekennt: „Ich habe gesündigt!“
„Und Samuel machte sich auf und ging nach Gilgal nach Gibea-Benjamin“. Aber Saul hatte die Züchtigung seine Augen geöffnet? zählte er seine Schulden und wog sie auf rechter Wage und ohne Falsch? „Aber Saul zählte das Volk, das bei ihm war“. Er steifte sich gegen Gott und seine Züchtigung. Er wollte dennoch das Werk ausrichten. Er blieb fest stehen, scheinbar und von außen wieder der alte Saul. Aber, wir wissen's, er war ein anderer geworden.
Christen, welche Kluft liegt zwischen dem Anfang und dem Ende dieser Geschichte! Von wes Augen es gefallen ist, wie Schuppen, also dass er in diese Kluft hinabschaut, der spreche zu seinem Herzen mit dem Ernste der Ewigkeit: „Halte, was du hast, dass Niemand deine Krone nehme!“ Amen.