Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Sauls - Vierte Predigt. Was die Königssalbung gibt, und was sie fordert.
1 Sam. 10, 7.8.13-27.
Ich weiß nicht, teure Gemeinde, ob Einer unter euch einmal einem Schatzgräber zugeschaut hat. Wär's, so wüsste er wahrscheinlich ebenso wenig, wie ich, womit er die Sorgfalt und Emsigkeit eines solchen Mannes vergleichen sollte. Er zerschlägt jede Scholle im Acker, und wär sie auch nur eines Daumen lang oder breit. Denn könnte nicht ein Stücklein Gold, wohl gar eine edle Perle darinnen verborgen sein? Und ob er sich auch hundert und selbst tausendmal in seiner mühevollen Arbeit betrogen sieht, er sucht fort, unermüdet, unverdrossen. Dass wir doch diesem Schatzgräber glichen! Dass wir mit dieser Emsigkeit und Sorgfalt, mit einem heiligen, nie zu ermüdenden, noch zu sättigenden Verlangen, reich zu werden, den weiten Acker der Heiligen Schrift durchforschten, kein Sprüchlein hinwürfen, ohne mit dem Zauberstabe des Gebetes daran geschlagen, und den verborgenen Schatz daraus gehoben zu haben. Glaubt mir, keine Arbeit auf Erden würde also reichlich sich lohnen.
„Warum,“ könnte mir hier Einer sagen, der in der letzten Predigt ein wenig aufmerksam war, „warum denn bist du selbst damals an zwei Versen des Textes vorüber gegangen, ohne mit uns dem Schatze nachzugraben, der doch auch in ihnen verborgen liegen muss?“ Mein Freund, ich weiß wohl, welche Verse du meinst. Es sind die zwei, die ich heute zuerst verlesen habe. Du siehst, ich habe sie nicht verachtet. Ich habe sie mit Sorgfalt bei Seite gelegt, damit wir heute sie desto eifriger und genauer mit offenen Augen durchsuchen könnten. Sie erst geben uns, ihr werdet es erkennen, ein helles Verständnis auch für die folgende Geschichte. Denn sahen wir zuletzt, wie der von Gott Berufene die Königssalbung empfing, so lehrt uns das heutige Wort:
Was die Königssalbung gibt, und was sie fordert.
I. Sie macht den Gesalbten zu allem tüchtig, was sein Amt ihm auferlegt.
II. Sie fordert, dass der Gesalbte nun nichts mehr nach eigener Wahl, sondern Alles nach dem Wink und Willen Gottes tue.
I.
Petrus sprach einmal zu Jesu: „Siehe, wir haben Alles verlassen und sind dir nachgefolgt: Was wird uns dafür?“ Ich habe mich zwar immer verwundert, wie ein Mann, wie Petrus, solche Frage tun kann und bei mir gedacht: Ist denn die Jüngerschaft und Nachfolge Jesu nicht Lohns genug? Aber wenn ich dann nur ein wenig meines Herzens Natur durchforschte, habe ich mich wieder nicht wundern können, denn ich fand, dass die Petrus-Frage: Was wird mir dafür? in der lohnsüchtigen Art des Menschen so tief und unausrottbar versteckt liegt, wie der Same des Unkrauts im Acker, den Gott verflucht hat. Ich erinnerte mich, dass die Petrus-Frage schon eine Hiobs-Frage ist; denn auch dieser sprach: „Was gibt mir Gott zum Lohn von oben? Und was für ein Erbe der Allmächtige von der Höhe?“ (Hiob 31, 2.) Darum wollt ich mich nicht sehr verwundern, wenn euer Einer bei meiner letzten Predigt bei sich gesprochen hätte: „Du redest zwar ernst und warm von der Königssalbung, und lockst uns damit mächtig, Gott stille zu stehen. Aber wenn wir's nun täten, und auch wirklich danach die Salbung empfingen, was frommt sie denn? was bringt sie mir für Schätze in mein Haus? was für ein Erbteil von der Höhe?“ Wie der Meister Petro antwortete, warnend zwar, aber doch mild und lockend, so gibt er auch heute durch Sauls Geschichte unsern Fragen erquickenden, vollgenügenden Bescheid. Wohlan! was gibt denn die Königssalbung?
Ich habe schon früher gesagt: sie gibt vorerst kein äußerliches, mit Händen zu greifendes Gut. Nur drei Zeichen oder Pfänder folgen ihr: die Rückkehr der Eselinnen, ein Geschenk von einem Paar Broten mit einem freundlichen Gruß, ein neu und fröhlich Lied in Herz und Mund. Das ist schon Etwas, und ich meine, nichts Geringes. Aber das ist doch nur ein Zeichen, wobei man der Salbung und Verheißung gewiss soll werden. Die Gabe selbst und die Kraft der Salbung ist noch nicht genannt. Aber sie folgt den Zeichen auf dem Fuße. Höre, was Samuel sagt: „Wenn dir nun diese Zeichen kommen, so tue, was dir unter Händen kommt, denn Gott ist mit dir.“ Er wollte sagen: „Wenn du nun in deinem Herzen durch die göttlichen Pfänder deiner Salbung versichert bist, dann fang getrost das Werk an, das Gott und dein Amt dir auflegt. Du kannst und wirst es vollenden; denn du bist nicht mehr allein, Gott ist mit dir. Du bist's nicht ferner, der da wirkt und schafft, der die Fäden in seiner Hand hält, der die Verhältnisse ordnet, die günstigen Umstände gestaltet, dass sie zur rechten Zeit, am rechten Ort eintreffen müssen. Durch die Salbung kommt dir Alles unter die Hand: durch die Salbung ist eine Gotteskraft über dich und in dich gegossen, die dich tüchtig macht, Alles wohl auszurichten, was deines hohen Amtes ist!“ Freue dich solcher Gaben! Aber damit deine Herzenslust über solche Kraft nicht in verderbliche Selbsttäuschung ende, gedenke an die Bedingung, an welche solche Gabe geknüpft ist. „Wenn dir nun diese Zeichen kommen“ das schwankende Herz muss erst Zeichen und Pfänder geschaut haben, durch die es seiner Salbung versichert und ihrer froh wird. Vorher mag es nicht mit festem Fuße laufen in dem Kampf, der ihm verordnet ist. Doch deute nicht falsch, was ich sage. Denn ich weiß sehr wohl, dass es ein ernster Tadel ist, wenn der Herr zu Jemanden spricht: „Wenn ihr nicht Zeichen und Wunder seht, so glaubt ihr nicht!“ Ich kenne auch das noch strengere Wort: „Die böse und ehebrecherische Art sucht ein Zeichen, und soll ihr kein Zeichen gegeben werden, denn das Zeichen des Propheten Jonas.“ Und er ließ sie, heißt's weiter, und ging davon. Doch aber hat nicht allein Saul ein Zeichen bekommen, sondern auch Elieser, da er für Isaak freite, Gideon, da er in den Streit gesandt ward, Jonathan, da er ins Lager der Unbeschnittenen schlich, Hiskias, da er aus der Hölle gerissen ward, Paulus, da er gen Makedonien fuhr. Daraus lernen wir nun, es gibt ein doppeltes Zeichensuchen. Der Unglaube sucht Zeichen, dass er sich dahinter verstecke. Das ist ein Gräuel vor Gott. Der Glaube sucht sie, oder vielmehr er empfängt sie, noch ehe er sie sucht, damit er seiner selbst gewisser werde, dass er sagen kann: Ich weiß, ich habe geschaut, ich habe erfahren, ich habe betastet! In anderer Weise drückt die Schrift das auch so aus: „Der Geist gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind.“ Aber damit dies innere Zeugnis Niemand irre führe und in Schwärmerei verlocke, tut Gott die äußeren Zeichen und Pfänder dazu, davon wir reden, und von denen das „ein anderer Mann werden“ das größte ist.
Soll die Salbung ihre Kraft entfalten, so müssen diese Zeichen vorher gekommen sein. „Denn einem Jeden dünkt sein Weg recht sein, aber allein der Herr macht das Herz gewiss.“ Daraus wird's auch erklärlich, warum mancher Gesalbte nicht getrost tun kann, was ihm unter die Hände kommt, und es also scheint, als ob an ihm die Salbung ihre Kraft nicht beweise. Solchen geht's, wie den Kindern Israels, da Moses ihnen sagte, Gott habe seine Hand gehoben und geschworen: Dies Land will ich euch zu eigen geben, ich der Herr. Sie hörten ihn nicht vor Seufzen und Angst und vor harter Arbeit. Denn sie hatten durch die gottgegebenen Zeichen ihren Glauben noch nicht fest gemacht.
Ähnliches hab' ich oftmals selbst erfahren, wenn in harter Leibs- und Seelennot die Verheißung und das Gebot mir nahe trat: Tue Alles, was dir unter die Hände kommt, ich bin mit dir. Es kamen zu viel Stimmen und Seufzer und ängstliche, selbstgemachte Klagen von unten her, die übertönten die Verheißung von oben her, die ließen mich nicht daran denken, wer ich sei, was ich sollte, wer da bei mir stände. Sollt' ich nun derhalben meinen, Gottes Salbung ruhe nicht auf mir? Das sei ferne. Aber ich vergaß der alten Zeichen und Pfänder und achtete der neuen nicht, die doch Gott in reichem Maße dem Glauben allenthalben gibt. Daher konnte auch die Salbung nicht kräftig sein in mir.
Wenn aber die Zeichen kommen und die Unterpfänder mir zurufen: Siehst du, dass du gesalbt bist! dann hören freilich die Seufzer und Bedenklichkeiten und Ängstlichkeiten von Fleisch und Blut: nicht flugs auf; aber man setzt ihnen getrost ein fröhliches, kräftiges „dennoch!“ entgegen. Dennoch bin ich gesalbt! dennoch ist Gott mit mir! dennoch werd ich's vollenden! Mächtiger als der Wind das Fahrzeug, treibt dieser gewisse Geist die gesalbten Gottes in ihre Arbeit, ihren Kampf. Darum das inbrünstige Gebet Davids: „Gib mir einen neuen und gewissen Geist!“ Und wenn nun dieser gewisse Geist über ihn gekommen, wenn er seiner Salbung und mit ihr des Naheseins seines Gottes sich freuen kann, da schwingt er sich fröhlich empor über die Nebel, wie die Lerche, oder steht fest, wie ein Löwe, oder fliegt wie ein Adler über alle Felsenspitzen. „Mit meinem Gott will ich über die Mauer springen!“ ruft er im Jubel, „mit meinem Gott kann ich Taten tun!“
Oder siehe Gideon an! Als er durch die zwei Zeichen gewiss war, dass Gott mit ihm sei, der ihn berufen und durch seine Erscheinung gesalbt hatte, wie mutig, fröhlich stürmt er in die Midianiter, dass er sie schlug, wie einen einzelnen Mann, was er doch vorher für schier unmöglich gehalten hatte. Oder schaue auf Paulum! Wie ist der mit dem Rufe: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein!“ allewege fröhlich seine Straße gezogen, die doch keine Rosenpfade waren, sondern vielmehr ein einziges, großes rotes Meer von Angst, Arbeit, Mühe, Kummer, Gefahr und allerlei Trübsal. Das ist die ungeahnte, überschwängliche Kraft und Gabe dessen, der seiner Salbung gewiss ist geworden. Ihn mag nichts zurückhalten von seiner Arbeit. Er muss hinein. Für ihn sind Mühe, Beschwerlichkeit, Schwachheit, Vernunftbedenklichkeit, oder was sonst den Menschen bindet, keine Ketten. Er reißt sie durch, gleich wie Simson seine Bande zerriss, als wären sie ein Faden, der ans Feuer riecht. „Tue, was dir unter die Hände kommt! Ich bin mit dir!“ Das Wort treibt ihn vorwärts. Und wollt' er jemals im Schatten einschlummern, so weckt's ihn gewaltig aus dem Schlaf und lässt ihm keine Ruhe, bis er getan hat, was Gott ihm unter die Hände gegeben. Das ist ein Trieb, wie der Kranich oder die Schwalbe ihn hat, die doch hier in unserm kalten Norden geboren sind. Sie haben nie das südliche Land jenseits des weiten Meeres geschaut; aber doch treibt eine innere, ahnende Gewissheit sie über den endlosen Ozean. Ich weiß kein besseres Bild für die Berufenen Gottes, welche auch die Salbung empfangen haben und derselben sind gewiss geworden. Sie haben's auch nie erlebt, was sie in diesem Leben noch vollenden sollen, die goldene Krone nie geschaut, um die sie kämpfen, noch auch die ewige Stadt, dahin ihr Lauf geht. Dennoch wissen sie, dass der Beruf dieses Lebens zu erfüllen, die Stadt zu erreichen, die Krone zu erringen ist. Sie müssen arbeiten, streiten, laufen: es geht nicht anders. Inwendig tönt eine Stimme: „Das ist dein Beruf! dort siehe die Krone! die Stadt!“ Diese Worte kommen ihnen allewege wieder unter die Hände; die laufen unter alle ihre Gedanken, mischen sich in alle Hoffnungen und Wünsche und Arbeiten und Mühen, vereinigen ihr ganzes, inwendiges Leben in einen Gedanken, wie alle Sonnenstrahlen im Brennpunkt sich sammeln. Und dass dieser eine große Gedanke ihres Lebens Wahrheit werde, dass sie die Arbeit ihres irdischen Lebens vollenden und das Ziel des ewigen erreichen, dazu reicht die Salbung ihnen die Kraft dar, und der Kuss von dem Munde Gottes.
Aber hab ich auch noch immer den festen Boden des Wortes: Gottes unter meinen Füßen? Hab ich das Wort nicht gedreht und gedeutelt, wie es uns angenehm dünkt? Steht nicht geschrieben „Tue, was dir unter Händen kommt!“ Ist das nicht ein Gebot, wie jedes andere Gebot? Wo bleibt denn da die Verheißung, als stände da: „Du wirst und kannst alles tun?“ Lasse dich, liebe Gemeinde, durch solcherlei Reden nimmer beirren. Es ist wahr, da, steht: „Tue!“ Das ist freilich ein Gebot, aber keines, wie auf Sinai gegeben ward, nicht ein solches, als wenn ich zum Verschmachtenden in der Wüste sagte: „Sättige dich!“ oder zum Krüppel, der am Boden liegt: „Mache dich auf und fliege wie ein Adler.“ Es ist ein Gebot, wie jenes, da der Allmächtige sprach: „Es werde Licht!“ und es ward Licht, oder wie jenes, da der Gesalbte des Vaters zum Gichtbrüchigen sprach: „Stehe auf, hebe dein Bette auf und gehe heim!“ und zum Blinden: „Sei sehend!“ und zum Aussätzigen: Sei gereinigt! und zu den Jüngern: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ oder zu den Toten: „Steht auf! „Solch ein Gebot für seine Gesalbten ist auch dies: „Tue, was dir unter Händen kommt!“ Das ist ein selig Gebot der Gnade, ein Gebot, das mehr als Verheißung, das schon Erfüllung ist. Denn wir sind's nicht, die es tun, sondern der da heißt Immanuel, Gott mit uns.
Aber lasst uns nun fragen, was das gewesen sei, was Saul unter die Hand kam, was seine Königssalbung ihm auferlegte. Wir werden zwar später noch manchmal davon hören, aber es ist auch schon in unserm Kapitel bezeichnet. Denn Samuel hatte dem Könige gesagt: „Du wirst kommen auf den Hügel Gottes, da der Philister Lager ist.“ Ein Hügel Gottes, und doch darauf der Philister Lager! War's nicht das, was ihm unter die Hand kam, dass er diese Unbeschnittenen sollte verjagen vom Hügel Gottes, dass es ein heiliger Berg würde? Das lasst uns beachten. Denn, ist nicht das Herz ein Hügel Gottes, da doch die Philister, die Feinde Gottes, ihr Lager und ihre Burg haben, wo sie ihren Götzen haben aufgerichtet und ihn anbeten? Wohlan, wenn dir die Zeichen deiner Salbung gekommen sind, tue, was dir unter die Hände kommt, jage die Philister vom Hügel deines Herzens, aus ihren Schlupfwinkeln, von wo aus sie ihre Ausfälle machen und das ganze Land verwüsten. Unverzagt nur in diesem h. Krieg, denn Gott ist mit dir! Und ob die Götzen im Herzen noch so sehr übersilbert wären, und ihr ihnen schöne, goldene Kleider angezogen hättet, ihr habt in der Salbung die Kraft, ihrer nicht länger zu schonen, sondern sie hinauszuwerfen aus ihrem Lager. Denn also steht geschrieben: „Ihr werdet entweihen eure übersilberten Götzen und die goldenen Kleider eurer Bilder und werdet sie wegwerfen, wie einen Unflat, und zu ihnen sagen: Hinaus!“ (Jes. 30, 22.) Dieses schonungslose „Hinaus!“ ist die Kraft, welche die Königssalbung über dein eigen Herz dir gibt.
Aber wir müssen unsern Blick erweitern. Der Hügel Gottes ist die weite Christenheit. Ach, Gott erbarme sich! Wie haben die Unbeschnittenen an Herzen und Ohren auf dem Hügel Gottes ihr Lager! Wer will sie hinaustreiben? „Tue, was dir unter die Hände kommt, denn Gott ist mit dir!“ Wo dein Gott dich reizet wider die Philister, da mache eine große Niederlage unter ihnen, wie Simson, und wär' gleich nur ein Eselskinnbacken dir unter Händen. Oder wirf ihren Goliath um, wie David, trüge deine Hand auch nur die Schleuder. Entsetze dich nicht vor ihrem großen Heer; denn derer sind mehr, die bei uns sind, als die bei ihnen sind. „Darum tue, was dir unter Händen kommt!“ aber auch nur das! Doch damit sind wir schon zu der Frage gekommen, was die Königssalbung fordert?
II.
Wenn Samuel dem König Saul die Verheißung gibt: zu allem, was ihm unter Händen käme, würde er immerdar Rat und Kraft genug haben, so nennt er ihm eben damit auch die Bedingung, an welche die Verheißung geknüpft ist, zu harren nämlich, bis nach Gottes erkanntem oder unerkanntem Willen eine Arbeit in seine Hand gelegt würde, nach nichts aber in eigener Wahl die Hände auszustrecken.
Diese Hauptforderung an den zum Königsamt Gesalbten folgt zwar aus der Verheißung der Salbung von selbst schon. Doch aber weil sie zu wichtig ist, redet Samuel noch besonders und ausführlich davon.
„Du sollst,“ sagt er, „nicht sofort gegen die Philister stürmen, sondern von mir hinab gehen gen Gilgal. Siehe, da will ich zu dir hinab kommen, zu opfern Brandopfer und Dankopfer. Sieben Tage sollst du harren, bis ich zu dir komme und dir kund tue, was du tun sollst!“ Was ist der Sinn dieser Forderung? So viel ist uns gleich klar, er soll nichts nach eigner Wahl tun, nicht losbrechen, getrieben von Fleisch und Blut, sondern harren, bis Gott seinen Wink gibt, seinen Willen kund tut. Dies wird uns aber noch viel offenbarer, wenn wir uns der Geschichte des Ortes erinnern, wo er harren sollte. Gilgal ist der Ort, wo Josua die 12 Steine aus dem Jordan als Denksäulen der göttlichen Hilfe aufrichtete, wo dann das Volk von neuem in den Bund Gottes trat und zum ersten Mal wieder das Passah hielt. In Gilgal hatte Samuel eine der Propheten-Schulen errichtet, und Gott hatte durch Sendung seines Geistes über die Propheten auch hierzu sich bekannt. Dieser Ort predigte also laut, dass der Herr alleiniger Nothelfer ist in seinem Volk, dass er alles anfängt, alles hinausführt, und die Menschen nichts zu tun haben, als seine Rüstzeuge zu sein. Horchend auf diese Predigt, sollte Saul harren bis auf Gottes Wink, sieben Tage, und wären's auch sieben Monate oder sieben Jahre gewesen. Dieses, liebe Freunde, ist die einzige Forderung, welche die Königssalbung an euch richtet. Ihr seht, es wird nichts weiter von Saul verlangt. Aber auf dieser Forderung besteht Gott auch mit ganzem und vollem Ernste. Denn er ist ein eifriger Gott und will seine Ehre nicht teilen mit einem Geschöpfe.
Wohl weiß ich, dass die Stärke der Kinder dieser Welt darin besteht, dass sie rasch zufahren, wie Fleisch und Blut sie treibt, dass sie nach Gott nicht fragen, noch um Menschen sich kümmern, sondern im unbeugsamen Eigenwillen durchsetzen, was ihnen gelüstet. So haben sie oft durch ehrgeizige, leidenschaftliche Anspornung ihrer Willenskraft Großes erreicht. Aber wer einmal gesalbt ist, und als solcher in dem Dienste Gottes steht, der lasse seinen Kopf und Willen nicht ferner mitregieren, sondern lasse den Herrn unumschränkten Herrscher sein. Sein Losungswort muss dieses werden:
„Wie Gott mich führt, so will ich gehen
Ohn' alles Eigenwählen.“
oder dies:
„Ich will mich nicht mehr selber führen,
Der Vater soll das Kind regieren.“
und seine tägliche Bitte diese:
„Will etwa die Vernunft dir widersprechen
Und schüttelt ihren Kopf zu deinem Weg;
So wollst du die Befestung niederbrechen,
Dass ihre Höh' sich nur bei Zeiten leg'!“
Die Gesalbten müssen Nachfolger ihres Meisters sein, nicht Vorläufer. Wohl ist's nicht leichte Sache, harren und stille sein, bis er winkt. Der fleischliche Eifer ist oft, wie ein Ross, das den Boden stampft und in die Schlacht möchte, wenn es den Streit von ferne riecht. Aber der Ort, wo du harren sollst, ist Gilgal, ein Prediger der wunderlichen Hilfe des Herrn, wenn man ihn walten lässt, ein Ort, der dir zuruft durch die Geschichten der Vorzeit: Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein! Ich meine, da könnte man doch wohl von Herzensgrund rufen lernen:
„Ach, mach' einmal mich treu und stille,
Dass ich dir immer folgen kann.
Nur dein, nur dein vollkommner Wille
Sei hier mein' Schranken, Lauf und Bahn.
Lass mich nichts mehr für mich verlangen,
Ja, lass mir nichts am Herzen hangen,
Als deines heilgen Namens Ruhm!“
„Ja, harren will ich, mein Gott, in Gilgal, bis du mir kund tust, was ich tun soll. Denn, sonst lauf ich vor, dann lauf ich an!“ Wie mancher hat das mit Angst erfahren müssen. Selbst Abraham ist davon nicht ausgenommen gewesen, der Vater aber Gläubigen. Als er in der Teuerung nach Ägypten zog, fürchtete er sich vor dem Könige und dachte: ich bin verloren, wenn mein Kopf mir nicht Hilfe ersinnt! und verfiel auf jene Hilfe, um deren willen er hernach schamrot vor dem heidnischen Pharao stehen musste. Warum lief er mit seiner Klugheit seinem treuen Führer vor und wollte eher helfen, als dieser Hilfe sandte? Ist nicht dasselbe auch dem David begegnet, da er beim Priester Ahimelech durch eine Lüge sich aus der schwierigen Lage winden wollte, ehe sein Gott ihm den Finger reicht. Ihr wisst, die Folge war, dass er die Seelen fünf und achtzig ermordeter Priester auf seinem Gewissen fühlte. Von Saul darf ich hier noch nicht sprechen, ohne seiner Geschichte vorzugreifen. Aber wer hatte Simon geboten, dass er in des Hohenpriesters Palast ginge? Was hatte er zu tun bei dem Feuer im Vorhof? Es war nichts, als ein eigenwilliges Vorlaufen. Wie er dabei angelaufen ist, darf ich Euch nicht erst sagen.
„Bis ich zu dir komme und dir kund tue, was du tun sollst!“ Seht doch, wie deutlich ist die Verheißung, dass er uns nicht will Waisen lassen, noch im Dunkeln tappen, dass er sein Licht uns anstecken, seinen Wink uns geben, seinen Willen uns offenbaren werde.
Solche felsenfeste Verheißung könnte doch, meine ich, uns wohl Kraft geben zum Harren und Stillesein, und unsere vorwitzigen, ungeduldigen Flügel wohl niederhalten. Und wie lange sollen wir harren! Sieben Tage! denn sieben ist die Zahl des Göttlichen, und heißt also das nicht anders als harren, bis seine Zeit kommt, bis Er ruft: „Nun eile!“
Wie fein hat Saul diese Forderung anfangs verstanden! Wie wartet er, bis Gott ihm Arbeit unter seine Hände tun würde, ohne auch nur in Gedanken vor der Zeit die Hand nach der Krone auszustrecken. Denn als er wieder heim kam und der Vetter fragte: „Sage mir, was sagte euch Samuel?“ da antwortete Saul: „Er antwortete uns, dass die Eselinnen gefunden wären.“ Aber von dem Königreiche sagte er ihm nichts. Er wollte sich nicht bloß nicht brüsten, sondern auch von der Ehre, die Gott ihm gegeben, nicht eher reden, bis Gott selbst sie offenbarte. Gott hatte es angefangen, der sollte es auch vollenden. Er selbst wollte auch mit Worten nichts dazu tun, denn ihm war nicht befohlen zu reden.
Ganz Gleiches sehen wir an Maria, der Jungfrau. Als sie die Botschaft von der Überschattung durch den Heiligen Geist empfangen hatte, sagte sie auch ihrem Verlobten nichts davon, denn das Geheimnis war zu groß. Es ist auch gut gewesen, dass sie harrte, bis Gott selbst es kund machte. Sie hat erfahren, dass ihr Erbarmer zur rechten Zeit auf dem Plane war. Liebe Brüder, es gibt solche heiligen Geheimnisse, wie die vom Königreiche, von der Geburt Christi in uns, darüber darf man ohne Befehl Gottes nicht reden. Man muss sie, wie eine köstliche Narde, im Gefäß des Herzens verschlossen halten, bis Gott das Gefäß zu seiner Zeit öffnet, dann kann ein ganzes Haus voll werden vom Geruch solcher Salbe. Aber wenn man im halben Vorwitz und halber Eitelkeit das Gefäß hier öffnet und da öffnet, dass dieser den Geruch rieche, und jeder an dem Dufte sich erfreue, dann ist viel Gefahr, dass die Kraft verfliege vor der Zeit. Darum harre, vor deinen Vettern von dem Königreiche zu reden, bis Gott dir winkt.
Wir hören noch größeres von Saul. Samuel hatte das Volk nach Mizpa berufen, damit dort der König öffentlich und vor allem Volk als König erschiene. Wie wird Saul dort auftreten? Wir kennen ihn schon zu gut, als dass wir fragen sollten: „Hat er sich im Bewusstsein seiner Würde hervorgedrängt? Hat er in Haltung und Gebärden zu erkennen gegeben, dass er wohl wisse, wer er sei? Hat er seine Freunde fühlen lassen: „Ich bin mehr als ihr, ich werde heute noch so hoch über euch emporsteigen, wie der Adler über die niedere Erde?“ Er zog sich demütig in den Hintergrund hinter die vielen Gefäße zurück und dachte wohl: „Will Gott mich auf den Thron setzen, so wird er mich auch hervorzuziehen wissen.“ Indes war das Los schon auf ihn gefallen. Als man ihn suchte, fand man ihn nirgend. Da fragten sie fürder den Herrn: „Wird er auch noch herkommen? Und der Herr antwortete: „Siehe, er hat sich unter die Fässer versteckt.“ Sie liefen hin und holten ihn von dannen, und da er unter das Volk trat, war er eines Hauptes länger, denn alles Volk. Und Samuel sprach zu allem Volk: „Da seht ihr, welchen der Herr erwählt hat, denn ihm ist Keiner gleich in allem Volk.“ Da jauchzte alles Volk und sprach: „Glück zu dem Könige.“
Ja, Glück zu dem Könige im Heere Christi, der also still harren kann, bis Gott ihn hervorzieht; der freiwillig ist, sich senden zu lassen, der aber nicht hervorläuft, bis er gesendet wird, der am Markt steht, dass er gedingt werde, aber still harrt, bis der Hausvater sagt: „Geht hin in meinen Weinberg!“ Ihr seht, Gott hat Mittel und Wege, seine Knechte, die er in der Stille berufen und gesalbt hat, auch hervorzuziehen und an ihren Platz zu stellen. Sein Auge sieht auch unter die Fässer. Die Flüchtlinge und Feiglinge lässt er dort stecken, aber die Seinen, die Harrenden, die Demütigen holt er hervor. Es heißt freilich: „Man zündet nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter.“ Aber merkt wohl, wer das Licht anzündet, der setzt es auf den Leuchter, nicht aber klettert das Licht selbst hinauf. Da muss ich Euch doch wieder erzählen, was ein Gottesgelehrter über diesen Punkt gesagt hat: „Manch eben angezündetes Lichtlein deckt der Herr erst weise zu, damit es ordentlich anbrenne. Wer das nicht leiden mag, und selber vorgreifend auf den Leuchter steigt, kann wohl gar vom Winde der Anfechtung ausgeblasen werden. Das bleibt die Hauptsache, dass auch das Stellen nur von dem geschehe, der da angezündet hat. Er wird es gewiss tun zu rechter Zeit, in rechter Weise, denn er hat ja das Licht nicht dazu angezündet, dass es verborgen bleibe. Gott verdeckt nur so lange, als zum rechten Anbrennen nötig ist!“ Das sind wohl recht goldene Worte, die das Beispiel Sauls uns tief ins Gewissen drücken können. Das Elend und die Verwirrungen sind nicht zu zählen, die dadurch im Heerlager des Volkes Gottes ausgebrochen sind, dass jedes Lichtlein flugs auf dem höchsten Leuchter stehen und als Morgenstern oder gar als Sonne scheinen wollte. Da ist manches Licht ein Irrlicht geworden, und zu manchem Stern möchte man sagen: „Wie bist du vom Himmel gefallen, du schöner Morgenstern!“ Und größer noch ist der Sammer, wenn Jeder, der in der Stille die Salbung, den Kuss vom Munde Gottes gefühlt, und selbst die Zeichen und Pfänder erhalten hat, als König nun sich hervordrängt, nicht wartend, bis Gott eine Arbeit unter seine Hand tut, auf eigenen Antrieb in den Krieg zieht, und wenn er etwa einen Feind in die Flucht gejagt hat, flugs von Jedermann als König gehalten und geehrt sein will! Derer Ende kann doch kein gutes sein. Viele haben's erfahren. Die Ewigkeit wird's noch offenbarer machen. Wie kann Saul uns beschämen. Er muss hervorgezogen werden, weil seine Demut sich fürchtet. Und siehe, als er kommt, da ist er der Größte im Volk, und ist ihm Keiner gleich. - Aber er tritt auch da noch nicht ganz aus seiner harrenden Demut heraus, als alles Volk ihm schon zugejauchzt hat. Denn da Gott ihm noch keine Arbeit anwies, Samuel vielmehr jeglichen in sein Haus gehen ließ, ging Saul auch heim gen Gibea. Ein Teil des Heeres begleitete seinen König. Aber etliche lose Leute sprachen: „Was soll uns dieser helfen?“ und verachteten ihn und brachten ihm kein Geschenk. Aber er tat, als hörte er es nicht. Von Sauls Sanftmut muss ich ein andermal reden. Hier kann ich Euch nur zurufen: Seht, er harrt, bis Gott auch der losen Leute Herzen ihm zuwenden will. Er will nicht voreilig die ganze Ehre sich nehmen, Herz und Lippen sind still. Er mag nicht mit Worten es ausrufen, was dieser helfen kann und wird. „Denn, spricht er bei sich, der Herr wird mir zu seiner Zeit der Arbeit genug geben, darin er es offenbar machen kann, was er durch meine Hand ausrichten will. Bis dahin still!“
O wäre meine Seele stille zu Gott, wie die Seele Sauls war! O könnt' ich harren auf den Herrn von einer Morgenwache zur andern, bis ich seinen Wink sähe, und die Arbeit, die er unter meine Hände getan hat! Und wenn ich's nun wäre, und wenn ich's könnte, was soll ich sagen, wenn ich Saul so demütig harren und schweigen sehe, dass es meine Seele ergötzt, und dann mit Zittern daran gedenken muss, dass auch der Mann gefallen ist? Immer dringender, immer mahnender tönt's da durch meine Seele: „Halte, was du hast, dass Niemand deine Krone nehme!“ Amen.