Disselhoff, Julius - Die Geschichte König Sauls - Zehnte Predigt. Hüte dich vor dem Sauls-Bekenntnis.
1 Sam. 15, 23-31.
Wie oft auch Saul, ehedem der demütige und gehorsame Knecht Gottes, vor unsern Augen schon gestrauchelt, wie tief auch gefallen ist, so haben wir doch noch nie gehört, dass er nach seinen Verirrungen erkannt oder bekannt hätte: „Ich habe gesündigt!“ Ich sah einmal, wie ein wasserscheues Ross vor einem Bach zurückschreckte, sich aufbäumte und durch keine Macht hinüber zu treiben war. Das mag euch ein Bild sein von dem inneren Widerstreben, mit dem der König vor allem, was einem Bekenntnis ähnlich sah, ängstlich zurückgeflohen ist. Er suchte mit allen Kräften und in aller Weise vor dem Bekenntnis vorüber zu kommen, das eine Mal durch fleischlichen Eifer in der Arbeit für Gott, dann durch äußerlichen Gottesdienst, dann durch den Hass und Grimm gegen die Vergehen Anderer, endlich, wie wir in der letzten Predigt sahen, durch große und glänzende Opfer. Heute endlich hören wir, wie das mit solcher Angst gemiedene, mit solcher Kunst und Kraft zurückgehaltene Wörtlein: „Ich habe gesündigt!“ über Sauls Lippen kommt, zweimal über seine Lippen kommt. Sollen wir dieses Wortes uns freuen? Ist der Gefallene nun gerettet? Ist der Durchbruch dieses Bekenntnisses durch das verschlossene Herz der Durchbruch des Gewissens zum neuen Leben? Hat sich mit den Lippen des Sarges Deckel geöffnet, dass Saul neugeboren aus dem Tode stieg? Ach! dieses Bekenntnis war nur der Todesstoß für die letzte Lebenszuckung, das Zuschlagen des Sargdeckels über seine von Gott abgefallene und darum erstorbene Seele. Wie mag denn das zugehen? fragst du mit Schrecken. Ja, wie mag das zugehen? Das ist wohl eine Frage, die wert ist, dass man mit offenen Augen Antwort auf sie suche. Und ist dem also, dass ein Sündenbekenntnis auch solche Folgen haben kann, so magst du deiner Seele wohl zurufen:
Hüte Dich vor dem Sauls-Bekenntnis!
Damit du dieses könnest, ist dir not, zweierlei zu erkennen:
I. Was ein Sauls-Bekenntnis sei?
II. Was das Sauls-Bekenntnis wirke?
I.
Was ist ein Sauls-Bekenntnis? Das ist die erste Frage. Was ist das Arge in ihm, was es vor Gott stinkend macht? Von außen und obenhin betrachtet, möchte man es leicht für ein rechtes und gutes Bekenntnis ansehen und sich darüber freuen. Denn zuvörderst bekennt er: „Ich habe gesündigt, dass ich des Herrn Befehl und deine Worte übergangen habe“. Sofort nach diesem Geständnis bittet er Samuel auch um Vergebung: „Und nun vergib mir die Sünde!“ Doch nicht vor ihm, dem Menschen, allein, auch vor Gott will er sich beugen. Denn er spricht weiter: „Kehre mit mir um, dass ich den Herrn anbete!“ Er wird nicht erhört. Samuel straft ihn. Es scheint, er solle geprüft werden, ob er auch im Bekennen und Gebet anhalten würde. Und siehe, er besteht die Probe. Er zeigt sogar etwas von jenem unverschämten Geilen, von dem Christus spricht. Denn als Samuel, ohne ihn erhört zu haben, sich von ihm wendete, ergriff er ihn so fest bei einem Zipfel eines Rockes, dass er zerriss. Und noch einmal ruft er dem Forteilenden nach: „Ich habe gesündigt!“ Noch einmal verlangt er, vor Gott sich in den Staub zu werfen. „Kehre mit mir um, dass ich den Herrn, deinen Gott, anbete!“ Es ist auch kein leeres Wort. Er hält es. „Er ging hin, dass er den Herrn anbetete“.
Steht nicht geschrieben: „Wer seine Missetat leugnet, dem wird's nicht gelingen; wer sie aber bekennt und lässt, der wird Barmherzigkeit erlangen!“ und steht nicht wiederum geschrieben: „Bittet, so wird euch gegeben, und nahet euch zu Gott, so naht er sich zu euch!“ Warum hat denn Saul trotz seines Bekenntnisses und Gebetes keine Barmherzigkeit erlangt? So wird der mit Zittern fragen, dem es nicht um kurzen Selbstbetrug, sondern um Erlangung der Gnade und Versöhnung mit Gott zu tun ist. Und wieder wird der so fragen, der etwas vom Menschenherzen kennen gelernt hat, und darum weiß, wie leicht das trotzige, tückische Ding uns zu betrügen vermag und uns Schein für Wesen bietet. Wir müssen darum das Gebet und Bekenntnis Sauls sorgfältiger prüfen. Wir müssen auf die Quelle sehen, auf den Beweggrund, aus dem es kommt. Denn dabei bleibt's immer und ewiglich: „Gott sieht das Herz an!“ d. h. die innerlichste Regung, aus welcher ein Gedanke oder Wort oder Werk hervorgeht. Was war in Saul die Quelle, aus der sein Bekenntnis floss? Samuel hatte ihm gesagt: „Weil du nun des Herrn Wort verworfen hast, hat er dich auch verworfen, dass du nicht König seist“. Da also als der Herr, der gerechte Richter, das schwere Urteil über die Sünde schon ausgesprochen, und die vernichtenden Folgen der Übertretung über das Haupt des Schuldigen geführt hatte, da bekannte und betete Saul. Wir sind mit dieser Erkenntnis der Quelle schon etwas näher gekommen, aber doch noch nicht nahe genug. Denn es hat Mancher da erst bekannt, als Gottes heilige Richterhand ihn schon ereilt hatte, und hat doch ein gut Bekenntnis getan. Gedenkt nur des Schächers am Kreuz. Wir müssen also im Bekenntnis Sauls noch etwas anders entdecken, was es vor Gott verderbt hat.
Als Saul den Zipfel von Samuels Rock gerissen hatte, und der Prophet noch immer den Rücken ihm wandte, ließ der König in der höchsten Herzensangst sich ein Wort entfallen, was uns tief und klar in sein verschlossenes Innere hineinblicken lässt. „Ich habe gesündigt; aber ehre mich doch jetzt vor den Ältesten meines Volks und vor Israel!“ Da ist der lange verborgene Quell uns ganz aufgedeckt. Er begehrt durch sein Bekenntnis nicht wieder bei Gott zu Gnaden und Ehren zu kommen, sondern durch dasselbe bewahrt zu bleiben vor irdischer Unehre. Er will durch sein Bekenntnis nicht dem heiligen Zorn Gottes, sondern der zeitlichen Strafe entrinnen. Er will nicht selig werden, sondern König bleiben. Wie viel anders jener Schächer, den ich erwähnte. Ihm ist's nicht darum zu tun, vom Kreuz zu kommen, sondern in Jesu Reich. Er will nicht das irdische, sündliche Leben erhalten, er verlangt nach dem ewigen Leben. Darum bekennt er: „Wir empfangen, was unsere Taten wert sind“. Aber Saul. macht sich nicht Sorge um das Gottesreich, sondern allein um sein irdisch Reich. Ob jenes ihm entgeht, danach fragt er nicht, darum weint er nicht, wenn nur dieses ihm bleibt. Wäre die irdische Königskrone auf seinem Haupt nicht wankend geworden und von Gott in den Staub geworfen, um der Krone willen des ewigen Lebens hätte Saul sich niemals bekennend und bittend vor Gott und Samuel in den. Staub gebeugt. Nicht die Stadt mit den Perlentoren und den goldenen Gassen und dem Size vor dem Throne des Ewigen zerbrach sein starres Herz; es war vielmehr die Lust und Begierde, ferner siegprangend in seine arme, vergängliche Hauptstadt einziehen und auf dem Throne von Staub noch einige Tage prangen zu können. Lasst mich's in ein Wort zusammenfassen. Um in seiner Sünde, seiner Selbstsucht, seiner irdisch gewordenen Gesinnung ungestört weiter leben zu können, darum bequemte er sich zu dem widerwärtigen Worte: Ich habe gesündigt! und beugte seine Knie zum Gebete. Das ist ein Sauls-Bekenntnis, das ein Sauls-Gebet.
Dass ein solches Gebet gar oft aus unserm Munde hervorbricht, kann ich am ehesten deutlich machen. Not tut wehe; Trübsal drückt; Angst treibt und drängt. Da bricht denn wohl ein Gebet auch bei dem durch, bei dem in leichtern Tagen es nimmer durchgebrochen wäre. Ist nun jedes Gebet, das in der Not seine Geburtsstunde hat, und in dem man um Abwendung derselben bittet, ein Sauls-Gebet? Das sei ferne! Mancher hat durch die Not recht und erhörlich beten gelernt. Das erst ist ein Sauls-Gebet, durch welches ich allein von dem befreit sein will, was mir unbequem, widerwärtig, drückend ist, was meine Selbstsucht und deren unbändigen Flug einengt, damit ich wieder Luft kriege und also ungestört, wie weiland König Pharao, und der andere Schächer, da er lästernd flehte: „Hilf dir und uns!“ in meinem Irrwege fortwandeln könne. Wenn ich nach der Ordnung des Unser Vaters zuerst bitte um Vergebung der Sündenschuld, und danach um Bewahrung vor neuer Sünde, und dann endlich um Erlösung vom Übel, von allerlei Folgen der Sünden, das ist ein rechtes Gebet. Wenn aber die fünfte und sechste Bitte mich gering dünkt, und ich mit der siebenten anfange, d. i. wenn ich Erlösung von den Folgen der Sünde, nicht von der Schuld der Sünde und der Sünde selbst begehre, das ist ein Sauls-Gebet. Und das Sauls-Bekenntnis? Es ist eben auch nichts anderes, als ein aus demselben Grunde erwachsenes Bekenntnis. Ich will, um nicht länger im Allgemeinen zu sprechen, euch ein bestimmtes Beispiel vorführen. Ich hatte in meiner früheren Gemeinde eine Einrichtung getroffen, wodurch armen, arbeitslosen Leuten passende Beschäftigung gegeben wurde. Eine einfache, auf dem Grunde des göttlichen Worts ruhende Ordnung musste von allen Arbeitern beobachtet werden. Wer es redlich tat, genoss dann mancher kleinen Vorteile. Nun war unter den Arbeitern ein Mensch, der oft und lange durch gottloses Wesen gegen die Ordnung verstieß. So lange ich ihn in Güte und Milde zur Erkenntnis und zum Bekenntnis bringen wollte, leugnete er in geschickter, schlauer Weise und stellte sich mir keck und gerade gegenüber, weil er fleißig gearbeitet hatte. Da schloss ich ihn von den Wohltaten des Vereins aus. Plötzlich brach des Menschen Keckheit. Er stürmte meine Tür, er flehte, weinte, bekannte, besuchte den Gottesdienst, und wenig fehlte, so hätt' er mich auch am Rock ergriffen, wie Saul den Samuel, alles, um der ihm entzogenen Wohltaten wieder teilhaftig zu werden. An seine Seele dachte der Mensch nicht.
„Ei, ruft ihr mir entgegen, solcher Geschichten sind uns viele bekannt“. Meine Lieben, darum eben hab' ich sie erzählt, damit das Bekannte euch ein Lehrer des Unbekannten werde. Denn wo ihr euch gegen euern Gott in grober oder feiner Weise gebärdet, wie jener Mann gegen mich, so tut ihr ein Sauls-Bekenntnis. Nun frag' ich dich: Sollte ein solches nicht in deinem Leben zu finden sein? Gleichen wir nie dem Kinde, das bekennt, weil ihm Freiheit von der Strafe versprochen ist? Hast du dich nimmer angeschuldigt, an deine Brust geschlagen, dir gar den Stab gebrochen, um von Menschen, von deinen Vorgesetzten etwa, wieder angenommen zu werden, um den Schein gottseligen Wesens wieder herzustellen, oder um nach eigner Wahl einherzugehen in Demut und Geistlichkeit der Engel? Bist du nie ein armer Sünder gewesen, ja der vornehmste unter allen, der zu allem Bösen fähig war, an dem nichts heil war vom Scheitel bis zur Sohle, weil das die Sprache Kanaans ist, die du gelernt hattest, und du gern zu den Kindern der Wahl gezählt sein wolltest??
Doch zu Saul zurück. Kaum hat er die Worte: „Ich habe gesündigt!“ über seine Lippen gebracht, so setzt er sofort hinzu: „Denn ich fürchtete das Volk und gehorchte ihrer Stimme“. Da hört die lügenhafte Entschuldigung! Bei dem einfachen Bekenntnis: „Ich habe gesündigt!“ kann er's nicht bewenden lassen. Um den Zweck seines Bekennens, die Wiedereinsetzung in das irdische Königreich, zu erlangen, dünkt's ihm nötig, seine Schuld so leicht und gering wie möglich erscheinen zu lassen. Darum muss die Schuld auf Andre gewälzt werden. Vergiss das nicht, liebe Gemeinde. Kann sich nach den endlich hervorgebrachten Worten: „Ich habe gesündigt!“ der Mund noch nicht ganz und fest schließen, sondern muss er durchaus noch etwas hervorbringen zur Rechtfertigung, oder wenigstens zur Entschuldigung, zur Milderung, weiß er gar noch Leute zu nennen, die des größere Schuld haben, so sei dir das ein untrügliches Zeichen, dass dein Bekenntnis noch ein Sauls-Bekenntnis sei, oder doch noch gar zu viel Verwandtschaft mit ihm habe. Merkt euch diesen Probierstein! Darum wo je euer Mund nach dem Geständnis sich zur Entschuldigung austun, in den Umständen, der Umgebung, dem Drang der Verhältnisse und nicht in der eignen argen, bösen Art des Herzens den Hauptgrund der Übertretung suchen will: da ruft ihm flugs ein gebietendes Halt! entgegen. „Halt! du läufst wieder auf dem Wege zum Sauls-Bekenntnis!“
Und dieser Weg ist ein sehr jäher und abschüssiger. Denn seit Adam jenes Bekenntnis zuerst getan, und er Söhne gezeugt hat, die seinem Bild ähnlich waren, so ist's so mit unserer Natur verwachsen, wie List, Verschlagenheit, Verstellung mit der des Fuchses. Es hört auch jener verderbliche Hang zur Entschuldigung nicht eher auf, es kann der zur Verteidigung immer bereite Mund nicht eher gestopft werden, bis ich nicht fürder durch mein Bekenntnis meinen Namen, meine Ehre, meinen Ruf und mein Leben vor Menschen rein zu waschen oder zu retten oder zu schmücken bemüht bin, sondern bis ich ohne alle Nebengedanken und Nebenrücksichten mit einem Geist ohne Falsch, mit einem Auge, das kein Schalk ist und zur Seite hin doch noch unbemerkt nach dem Irdischen schielt, nur das Eine, Eine begehre, meiner Sünde und Schuld los und ledig zu werden, die Gnade Gottes, die verlorene Kindschaft und die ewige Seligkeit zu erlangen.
II.
Und was wirket das Sauls-Bekenntnis? Wenn ich ein Samenkorn vom Schierling in die Erde lege, so weiß ich, dass Schierling daraus hervorwächst, und wenn ich ein Basiliskenei zertrete, so fährt eine Otter heraus, wie die Schrift sagt. Das hat noch nie Jemand bezweifelt oder anders erwartet, denn jeder Keim bringt das zur Reise, was in ihm liegt. Wie sollte denn das Sauls-Bekenntnis etwas anders gebären mögen, als in seinem Schoße verborgen ist? Unsere Augen haben in ihm keine Ahnung vom Verlangen nach Gott, nach dem lebendigen Gott entdecken mögen. Sie haben nichts gesehen, als das krampfhafte Bemühen, die entrissene irdische Ehre, das gefährdete irdische Wohlsein festzuhalten. Er bekannte, um in seiner, im Zeitlichen ganz verlorenen Gesinnung, in seiner Selbstsucht und Eigenliebe, seinem weltlichen Behagen und seiner Augen Lust, mit einem Wort, um in seiner längst eingetretenen Trennung von Gott ungestört weiter zu leben. Er riss also mit dem Bekenntnis die Wurzeln und Fasern seines Daseins ganz los aus dem göttlichen Lebensgrunde, zerschnitt das Band der Gemeinschaft zwischen Gott und sich ganz und gar, welches die treue strafende Hand aus der Höhe noch hatte anknüpfen wollen, verschüttete den Kanal zwischen dem ewig Lebendigen und dem Menschenherzen, durch welchen allein die Ströme des Lebens ins Herz fließen können. Wenn sich ein Glied vom Menschen ablöst, so muss es absterben. Wenn eine Menschenseele die Gemeinschaft mit dem Lebensfürsten aufhebt, so ist's ihr Tod. Da erfüllt sich, was Paulus sagt: „Die Traurigkeit der Welt“, so nennt er die Sauls-Bekenntnisse.
Die ganze nachfolgende Geschichte Sauls ist nichts anderes, als ein langer Beweis, dass er seit jenem Bekenntnis der vollendeten Trennung von Gott, d. i. dem geistlichen Tode, immer näher und jäher zugeführt wurde. Wir müssen uns einzelne Züge aus dieser Geschichte vorhalten. Der Geist des Herrn wich nach dem Bekenntnis von ihm, und ein böser Geist vom Herrn, d. h. vom Herrn zur Strafe gesandt, kam über ihn, und machte ihn sehr unruhig. Die innere Leere, Zerrissenheit und Unruhe trieb ihn ohne Rast hin und her. Er konnte sein Gewissen nicht einschläfern, sondern er musste die Trennung von seinem Gott schmerzhaft fühlen, wie Kain und Judas, ohne das gläubige Verlangen zu haben, wieder zurückzukehren. Es trat ein Ingrimm gegen den Allerhöchsten ein, ein Murren und Hadern mit ihm. Er löckte gegen den Stachel, den er schmerzlich fühlte, und bäumte sich gegen Zaum und Gebiss, die ihm in den Mund schnitten, und biss die Zähne darüber zusammen. Das war der böse Wurm in ihm, der nicht stirbt. Weicht das Leben aus dem Menschen, so erzeugt sich in seinem Leichnam sofort ein andres Leben, das der Maden und Würmer. Reißt der Geist sich los von Gott, dem Lebendigen, so erwacht in ihm auch ein anderes Leben, das des Teufels, der alten Schlange, des großen Drachen, des giftigen Wurmes. Wohl mochte der unruhige Wurm durch Davids Harfenspiel auf eine Stunde in Schlaf gesungen werden, aber nur um desto hungriger zu erwachen und den König, sein Opfer, irr und unstet umher zu scheuchen.
Ist das Band zwischen Mensch und Gott zerrissen, so zerreißt auch das zwischen Mensch und Mensch. Mit dem inneren Zwiespalt und dem Ingrimm gegen Gott zieht auch Aufregung, Neid, Hass, Zorn, Grimm, Bitterkeit gegen den Nächsten ein, die durch keine Sanftmut, Liebe und Treue desselben zu überwinden sind. Das zeigt sich besonders in den ebenso vielen und langen, als ungerechten Verfolgungen Sauls gegen David. Wenn der böse Geist, das Gefühl der inneren Zerrissenheit, des Zwiespaltes mit Gott über Saul kam, dann war sein Auge ganz und gar geblendet, dass er nach seinem Wohltäter, der ihn eben noch erquickt hatte, und den er darum lieb gewonnen, den Speer warf, dass er den, dem schon das Herz schlug, als er nur einen Zipfel vom Rock des Königs geschnitten, als seinen bittersten, unversöhnlichsten Feind, als die Ursache seiner Angst und Unruhe ansah, dessen Blut ihm allein Ruhe bringen könnte. Regt sich noch eine Zuckung jener Menschenliebe, die wir früher an ihm gesehen haben, fühlt er in solchen Augenblicken, dass David gerechter ist, denn er, und will eine leise, flüchtige Schamröte über sein Angesicht ziehen, sofort ist die bessere Regung vom Wurme wieder verschlungen.
Auf einen besonderen Zug aus diesen letzten Tagen Sauls seid noch besonders aufmerksam. Als David aus der Philister Schlacht siegend zurückkehrte, sangen die Weiber: „Saul hat tausend geschlagen, aber David zehntausend!“ Sie gaben diesem damit die Ehre und das Lob, das ihm gebührte. Das konnte Saul nicht mit anhören. Es reizte ihn zum Abscheu und Widerwillen und schnitt ihm wie ein giftiger Pfeil durch die Seele. Er hat's seinem Nächsten, der doch besser war, als er, nie vergessen können, dass derselbe vor seinen Ohren gelobt war.
So vom Murren gegen Gott zur Bitterkeit gegen Menschen, vom Hadern gegen Menschen zum Ingrimm gegen Gott hin und her geschleudert, stürzte Saul immer tiefer, von Abgrund zu Abgrund, bis der Abfall von Gott vollendet und das letzte Fünklein erloschen war. Gott war, er fühlte es selbst und spricht's auch aus, von ihm gewichen und antwortete ihm nicht, weder durch Träume, noch durchs Licht, noch durch Propheten. Da läuft er zu Wahrsagern und Zeichendeutern und ergibt sich Zauberweibern, die er selbst in besseren Zeiten mit heiligem Ernste aus dem Lande getrieben hatte, und fragte die Toten für den Lebendigen. Er war los von Gott und küsste die Götzen und die Gespenster. Damit war der innere Tod, der geistliche, vollendet. Als nun die letzte Schlacht mit den Philistern unglücklich war, stürzt er sich, zum Tod der Seele auch den des Leibes fügend, verzweifelnd in sein Schwert, ein zweifacher Mörder an seinem eignen Leben. „Die Traurigkeit aber der Welt wirkt den Tod!“
Wir wollen Gott im Staube lobpreisen, dass der Tod nach seiner Gnade solche Gewalt noch nicht über uns erlangt hat. Aber lasst uns eine ernste Frage an unser Gewissen tun. Jene Züge aus Sauls letzten Lebensjahren, sind sie nicht Züge unseres eigenen Lebens? Wissen wir nicht, wie oft der Geist der Freuden und des Friedens von uns wich, und ein böser Geist über uns kam, der uns unruhig machte? Wissen wir nicht, wie oft die unerkannte und unbekannte Sünde in unserem Herzen saß, wie ein giftiger Pfeil, und wir dem Hirsche glichen, der, vom Blei des Jägers getroffen, im Brand und inneren Schmerz rastlos hin und her rennt, und doch nirgends Ruhe findet, weil er die Ursache seiner Qual überall mit sich trägt? Erinnern wir uns nicht, wie wir in dieser Unruhe unzufrieden waren und murrten und haderten mit Gott und seinen Führungen, wie wir die Ursache der Unzufriedenheit in äußern Dingen, in Ort, Zeit, Amt, Posten, Umgebung in unserm Nächsten suchten, und also mit dem Murren gegen Gott Ungebärdigkeit und Bitterkeit gegen den Bruder, die Schwester Hand in Hand ging. Haben wir es vergessen, wie wir das Lob des Nächsten nicht hören konnten, wie auch Saul nicht; wie es uns voll Unwillens und inneren Widerstrebens machte und uns traf, wie ein scharfer, widerhakiger Pfeil? Wollen wir nicht daran gedenken, wie oft wir die Toten für den Lebendigen gefragt, uns nicht vor Gott, sondern vor Götzen und Gespenstern in den Staub geworfen haben? Und woher meint ihr, komme das Alles? Wenn unser tägliches und stündliches Bekenntnis ein ehrliches und aufrichtiges wäre, wenn wir allezeit mit rechtem Ernst begehrten durch göttliche Traurigkeit, freigesprochen von unserer Schuld ins Reich Gottes zu dringen, würden dann alle jene Züge möglich sein? Würden wir nicht wider die eigene Sünde murren? und würde uns das Zeit und Lust lassen, wider Gott und die Brüder zu murren? Nicht wie Ismael soll der Diener Gottes sein, der seine Hand aufhob gegen Jedermann, sondern wie Moses, der sie in seinen eignen Busen steckte, um den Aussatz heraus zu holen. Das ist der Anfang und das rechte Zeichen der wahren Jüngerschaft, der Berufung und Befähigung zum Dienst Gottes, das ist die täglich notwendige Erneuerung der Weihe zum heiligen Amte. Wo sie fehlt, wo ich mit dem Zöllner nicht täglich aus innerster Überzeugung an meine Brust schlage, mich selbst richtend und verurteilend, da werde ich Gott ins Angesicht schlagen und meine Brüder, und das Ende dieses Weges müsste Sauls Ende sein.
Hier schließ ich die Geschichte Sauls. Zwei Kronen hat er von seinem Haupte verloren. Wie König David mit heiliger Scheu und innerem Entsetzen vom Tode des Gesalbten hörte, so müsse eine Furcht von Gott durch unsere Gebeine ziehen. „Leichter, denn die Adler und stärker, denn die Löwen!“ Ja, leicht wie ein Adler schwang er sich zu Gott über Berge und Felsen, über Fleisch und Blut, über alle Menschenfeindschaft. Stark wie ein Löwe, stand er im Streite Gottes gegen die Feinde von innen und außen. Wie ist der Held gefallen! Das erste leise Straucheln wurde zum beständigen Gleiten durch die Scheu vor dem Bekenntnis: Ich habe gesündigt. Der letzte Fall, der ihn zu Tode brachte, war das falsche, aus der Welttraurigkeit geborene Bekenntnis: Ich habe gesündigt! Wer klug ist, der merkt darauf.
So hat denn Gott in seiner Gnade die Geschichte König Sauls manchen Sonntag zu uns reden lassen, wie die Glocke redet. Sie hat uns gelockt mit süßem, hellem Silberton zur Demut, zum Gehorsam, zur Stille, zur Sanftmut. Sie hat uns mit hehrem Festklang zum heiligen Salbungsfeste, mit ernster Stimme zur heißen Arbeit, zum blutigen Kampf gerufen. Sie hat geklungen im Sturm, um das ausgebrochene Feuer, um die anrückenden Feinde uns zu melden, sie hat geklungen zuletzt, wie die Totenglocke, ja vielmehr wie die Sünderglocke!
Ich bitte jetzt nur noch Eins, dass ihr Klang in uns nachläuten möge, bis man unsere Sterbeglocke ziehet. Der erste Ton, mit dem meine Predigten begonnen haben, der Ton, der durch alle sich hindurchgezogen hat, der müsse auch der letzte sein, in den die Geschichte ausklingt, der Ton, der uns treibt, zu wachen und zu beten und mit Furcht und Zittern zu schaffen unserer Seelen Seligkeit, der Ton: „Halte, was du hast, dass Niemand deine Krone nehme!“ Amen.