Dillner, Karl Bernhard - Beichtrede vor Gefangenen über Luk. 19, 41

Dillner, Karl Bernhard - Beichtrede vor Gefangenen über Luk. 19, 41

von Dillner, Pastor in Hoheneck.

Der heutige Sonntag, Geliebte, ist nach altem Herkommen ein Gedächtnistag. Unsere Blicke richten sich hin nach der einst so herrlichen Stadt, wo David seine Psalmen sang und Salomo aus Gold und Zedernholz seinem Gott den Tempel erbaute. Hoch oben auf steilem Berge thronte Jerusalem, die Stadt des Gottesvolks, und schien Trotz zu bieten allen Feinden, und doch, doch ist sie gefallen, zum Zeugnis der gerechten Hand Gottes, die das Wort in furchtbarem Gericht zur Erfüllung brachte, welches einst das frevelnde Volk der Juden gesprochen hatte, um von Pilatus ein Bluturteil über Jesum zu erlangen: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ Ja, dieses Blut ist über sie gekommen und hat schwerer sich gerächt als sie gedacht.

Und doch, wie ganz anders hätte es sein können! Hätte nicht Israel das auserwählte Volk Gottes bleiben können, wenn es nicht den Eckstein verworfen hätte, den Gott in Zion legen wollte; wenn es gehört hätte die lockende Stimme des treuen Hirten Jesu Christi, der sein Volk zur Buße rufen, aber auch erlösen wollte von seinen Sünden! Wie ein Bräutigam um die Braut, so hat er um sein Volk geworben, dass es ihm des Herzens Tür öffnete. Aber es hatte nicht gewollt, und nun, da es die Gnade verschmäht, musste es die Strenge fühlen und alle Schuld bezahlen, die es gehäuft hatte auf den Tag des Gerichts.

Solches alles aber ist uns zum Vorbilde geschehen, und wir sollen uns eine ernstliche Warnung daraus nehmen, dass wir nicht auch durch hartnäckigen Unglauben und Verstockung dem Gerichte Gottes verfallen, das die Unbußfertigen verzehren wird. Aber, Gott sei Dank, auch uns ist ja der Weg der Gnade aufgetan, auch uns gilt das Wort, das der Herr über Jerusalem gesprochen: „Wenn du es wüsstest, so würdest du auch bedenken zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dient.“

Wenn du es wüsstest! Was sollen wir denn wissen? Das sollen wir wissen, dass die Sünde der Leute Verderben, also auch unser Verderben ist. Und fürwahr, meine Lieben, das könnt ihr wissen, und zwar aus eigner bitterer Erfahrung: Des Lasters Bahn ist anfangs zwar ein breiter Weg durch Auen, Allein sein Fortgang bringt Gefahr, sein Ende Nacht und Grauen.

Wie manche bittere Reueträne hat die Wahrheit dieses Wortes schon besiegelt! Aber das Bedenken und die Einsicht kommt gewöhnlich erst dann, wenn es zu spät ist, wenn die Sünde zur Tat geworden und die Strafe darauf gefolgt ist. Wie mancher unter euch würde der tobenden Lust, den tobenden Vergnügungen, dem unmäßigen Wohlleben entsagt, wie mancher sein Ohr den Lockungen des Verführers verschlossen haben, wenn er voraus gewusst hätte, wohin solch unordentliches Wesen endlich führen würde, wenn er bedacht hätte, wie dieser Weg enden würde! Und doch, wissen könnte es jeder! Wusstest du nicht schon als Kind, dass einen Kain sein Neid und Zorn, dass den frommen David eine Stunde unbewachter Neugierde zum Mörder machte? Hast du nicht manchen Genossen deiner Jugend zu Grunde gehen sehen durch seinen Leichtsinn, seine Verschwendung, sein gottloses Leben? Und doch hast du es nicht gewusst, oder hast du es nicht geglaubt, dass dir's auch so ergehen könnte, hast dich leichtsinnig der ernsten Gedanken entschlagen und bist den Weg des Verderbens gegangen! Und nun ist auch für dich die Zeit gekommen, wo du bedenken sollst, was zu deinem Frieden dient, eine ernste, traurige Zeit, wo du der Freiheit beraubt, getrennt von allem, was dir lieb ist, eingeschlossen von engen Mauern, selbst erlaubten Freuden entsagen musst. Der Herr, der auch deiner irrenden Seele nachgeht, hat dich in die Stille geführt. Wie nützt du diese Zeit? Ist sie dir eine Zeit des Bedenkens geworden? Oder scheuchst du etwa dir die ernsten Gedanken hinweg und gehst leichtsinnig auch durch diese Zeit der Heimsuchung hindurch? Meinst du etwa, wenn die Zeit deiner Strafe überstanden sein wird, dann sei aller Schaden ausgeglichen? O, irre dich nicht! Wenn du nicht ernstlich bedenkst, was dich hierher gebracht hat, wenn du nicht in dir selbst die Ursachen deines Falles suchst, so bist du nicht sicher vor neuem Falle. Viel zu sehr ist man geneigt, andern Menschen, der Verkettung der Verhältnisse die Schuld beizumessen, gar zu leicht verwechselt man die Trauer über die Strafe mit der echten Reue, jener göttlichen Traurigkeit, die da Leid trägt um ihre Sünde. Erst musst du aus aufrichtigem Herzen vor deinem Gott bekennen: Vater, ich habe gesündigt im Himmel und vor dir, ich bin nicht wert, dass ich dein Kind heiße. Erst dann wirst du finden, was zu deinem Frieden dient. Hat die Sünde dir den Frieden deines Herzens geraubt, der Heiland, der auch für deine Sünden genug getan, will dir den wahren Frieden geben. Auch dir gilt sein Ruf: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht. Auch du hast jetzt ein Joch zu tragen, eine selbstverschuldete Last, aber siehst du sie an, als von Gott dir auferlegt, der da züchtigt, die er lieb hat, so wird sie dir leicht werden. Bist du friedlos bisher umhergeirrt auf den selbsterwählten Wegen der Sünde, jetzt will dich die feste Hand deines Heilands ergreifen und dich zu jenem Frieden der Kinder Gottes bringen, die sich in ihres Vaters Schoße geborgen fühlen, weil sie seinem Willen folgen in stiller Ergebung und freudigem Gehorsam. Und gesegnet wird dir diese Zeit der Heimsuchung, wenn du lernst achten auf die Stimme deines Heilands, die du vielleicht lange überhört hast, und zu dem beseligenden Bekenntnis gelangst:

Herr, mein Hirt, Brunn aller Freuden!
Du bist mein, ich bin dein,
Niemand soll uns scheiden.
Ich bin dein, weil du dein Leben
Und dein Blut mir zugut
In den Tod gegeben.
Du bist mein, weil ich dich fasse
Und dich nicht, o mein Licht,
Aus dem Herzen lasse.
Lass mich, lass mich hingelangen,
Wo du mich, und ich dich
Ewig werd' umfangen. 1)

Jetzt schickst du dich an, zum Tisch des Herrn zu treten und den Bund des Friedens mit ihm zu erneuern. Wer zu ihm kommt mit einem aufrichtig bereuenden Herzen, den will er denn nicht hinausstoßen. So lege nieder unter seinem Kreuze die Last deiner Seele und bekenne ihm deine Sünden. Lasst uns beichten und beten: (Folgt das Sündenbekenntnis.)

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autoren/d/dillner/dillner_-_beichtrede_vor_gefangenen.txt · Zuletzt geändert: von aj
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