Dibelius, Franz Wilhelm - Fürchte dich nicht, glaube nur.
Festpredigt auf einem Kongress für Innere Mission über Mark. 5, 36 von Dr. Dibelius, Konsistorialrat und Superintendent in Dresden.
Ums Jahr 1570 war's; schon lange hatte Nikolaus Selnecker das Wohl unsrer Kirche nicht nur auf betendem Herzen getragen, nein, auch in treuester Arbeit zu fördern gesucht; schon lange hatte er mitten im Parteitreiben seiner Tage als ein Friedensapostel zu wirken und unter den verschiedenen deutschen Landeskirchen eine Konkordia herzustellen sich bemüht; aber immer neue Enttäuschungen wurden ihm bereitet, immer schwerere Verdächtigungen waren sein persönlicher Lohn, keine Partei wollte ihn mehr als einen der Ihren anerkennen, den einen war er zu engherzig als Lutheraner, den andern zu weitherzig als Philippist; die treuesten Freunde zogen sich von ihm zurück, und wie er aus Dresden hatte weichen müssen, wie man aus Jena ihn vertrieben, so - das merkte er deutlich - werde auch in Wolfenbüttel seines Bleibens nicht mehr lange sein. O, wie war ihm zu Mute, was sollte er tun? Ward er missmutig und verzagt, ging er schmollend und grollend seines Weges weiter, ließ er verbittert die Hand vom Pfluge ab? Nicht doch! er ging in sein Kämmerlein, seufzend dichtete er, dichtend betete er: „Lass mich dein sein und bleiben, du treuer Gott und Herr, von dir lass mich nichts treiben, halt mich bei deiner Lehr!“ Und indem er also, aus dem Wirrsal des vielgestaltigen, versuchungsreichen Lebens in die Stille sich flüchtend, aus dem Parteigezänk der Evangelischen heraus bei ihm, den wir allein unsern Meister nennen, sich bergend, für das Eine, was not ist, sorgte, nämlich für seine persönliche Gemeinschaft mit dem Herrn, da gewann er auch Freudigkeit, fortzufahren im Gebet: „Herr, lass mich nur nicht wanken, gib mir Beständigkeit!“ da fand er neuen Mut, ohne Rücksicht auf den Erfolg, diesen Götzen der Welt, fortzuschaffen am Werk des Herrn, mit Fried' und Freud' fortzuarbeiten für die Kirche des Herrn.
Liebe Gemeinde! In der Reihe der Kongresse für Innere Mission hat der 25. uns in diesen Tagen hier versammelt. Seitdem im Jahre der Hochflut 1848, als Deutschland vor aller Augen dalag wie ein gewaltiges Meer, in welchem die Wogen tausendfach hochgingen und die Menschen erst recht tausendfach untergingen - seitdem damals vom Glaubensfelsen über Luthers Grabe her ein Wichern gesegneten Andenkens den Ruf erschallen ließ ins evangelische Volk hinein: „Fahrt mit den Rettungsbooten aus!“ seitdem auf diesen Fahrten der suchenden und helfenden Liebe Gott allein weiß, wie viele im Hafen des Friedens geborgen sind, die sonst wohl vom Strudel abwärts gezogen und in der Tiefe umgekommen wären: zum 25. Mal hat man die Bootsleute gerufen, dass sie sich sammeln möchten, von ihrer Erfahrung berichten und einander beraten; ach, was haben sie erfahren? Gewiss treten jubelnde Zeugen auf, die mit dankbarem Herzen im Ton des alten Schifferliedes bekennen:
„Nach dem Sturme fahren wir sicher durch die Wellen,
lassen, großer Schöpfer, dir unsern Dank erschallen,
loben dich mit Herz und Mund, loben dich zu jeder Stund,
Christ Kyrie! Ja, dir gehorcht die See!“ 1)
aber die andern fehlen erst recht nicht, die mit sorgenvoller Stirn und zitterndem Herzen kommen, die über alle jene Wasserwogen klagen, welche ihnen ihr Schifflein zu zerschellen drohen, und die wie die Jünger vom galiläischen Meer kleinmütig rufen: „Herr, hilf uns, wir verderben!“ Gewiss gibt's immer wieder zu berichten, dass es durch Gottes Gnade in vielen Stücken vorwärts gegangen ist mit unserm Samariterwerk; wie viele Leuchttürme sind gebaut, um durch die Brandung hindurchzuhelfen; wie viel treue Wächterrufe erschallt, um hier und da vor den Klippen zu warnen; wie viele Vereinigungen sind geschlossen, um in opferfreudiger Liebe den Gefährdeten Lotsendienste zu leisten und den Weg zum Hafen zu bahnen; und doch, und doch! Dass wir auch viele Enttäuschungen erlebt haben, wer wollte es leugnen? Dass zu den alten Feinden neue hinzugekommen und die seelengefährlichen Versuchungen vor allem für die Jugend und namentlich in den Großstädten zahllos gewachsen sind, wollten wir es uns verhehlen? Dass unsern Vereinen, in denen wir deutsche Sitte erhalten und evangelisches Bewusstsein wecken wollen, andre an die Seite getreten sind mit der ausgesprochenen Absicht, zu zerstören, was der christliche Glaube baut, und dass diese Vereinigungen oft viel mehr Anziehungskraft besitzen als die unsern, wollten wir diese Tatsache verschleiern?
Dass alle treue Evangelisationsarbeit, mit welcher die innere Mission der Kirche gedient, oft wenig Frucht bringt und noch weniger Dank erntet, so dass man wohl Gefahr laufen könnte, kleinmütig und verzagt zu werden: welcher Arbeiter am Werk des Herrn wäre unter uns, der nicht von solchen Versuchungsstunden zu sagen wüsste! So viel lautere Predigt des Evangeliums erschallt unter uns, dass man oft gesagt hat, auch Rom sei in Deutschland ein anderes geworden denn ehedem; wie? wirklich? und doch darf man es nicht nur wagen, noch heute dem deutschen Volke vorzusagen, man besäße die Windeln, in denen einst der Heiland der Welt gelegen, nein! es ziehen auch Tausende dorthin, diese Hüllen zu schauen und ihre Kraft zu erproben! wie? so möchte man mussmutig fragen: ist das die Frucht aller Evangelisation unter unserm Volk? So viel gesegnete Arbeit hat die innere Mission im Krieg und Frieden vor den Augen unsers ganzen Volkes getan; und wenn nun ein Mächtiger dieser Erde ihr Banner erfasst und mit kraftvoller Hand dazu beitragen will, es zu entfalten und neue Freunde herzuzurufen: Horch! wie viele Stimmen ringsum, als müsste die innere Mission das Licht des Tages scheuen, als gehörte unser Werk zu finsterem Konventikelwesen, als diente unsere Sache einer Partei! Wie? so möchte man missmutig klagen: ist das der Erfolg, ist das der Dank?
Genug davon! Ich sehe diese Gottesdienste in den Tagen unsers Kongresses darauf an: sie wollen, vor Missmut uns zu bewahren und zu neuer Freudigkeit uns zu helfen, einen jeden unter uns bitten, nach Selneckers Rezept zu handeln. Komm in die Stille, mein Christ; sorge für das Eine, was not ist, für deine persönliche Gemeinschaft mit dem Herrn; wahrlich! in dieser Gemeinschaft mit ihm, dem sanftmütigen und demütigen, dem geduldigen und unermüdlichen, der, wie er die Sünder geliebt, so liebte er sie bis ans Ende: da gewinnst du auch neuen Mut und neue Freudigkeit, gleichviel ob es die Menschen dir danken oder nicht, doch dem Herrn in seiner Kirche zu dienen, und gleichviel ob es der Welt zeitgemäß scheint oder nicht, doch für die Ewigkeit zu arbeiten, wie Gott will und so lange Gott will. Wohlan, das sei der Doppelsegen dieser Stunde: „Lass mich dein sein und bleiben, du treuer Gott und Herr!“ und wiederum „Herr, lass mich nur nicht wanken, gib mir Beständigkeit!“ und dazu helfe uns Gottes Wort. Vernehmt es in Andacht.
Mark. 5, 36:
“Fürchte dich nicht, glaube nur!“
Ein Wort an Jairus, den um seine kranke Tochter tief Bekümmerten: „Fürchte dich nicht!“ ein Wort für ihn, als er trotz der Zusage des Herrn auf das Gerede hin, seiner Tochter sei nicht mehr zu helfen, in seinem Inneren schwankend wird: „Glaube nur!“ ein Wort, das ihm eine Großtat des Herrn in Aussicht stellt und ein Talitha kumi, ein Lebenswort über der Toten, wie von ferne ahnen lässt. Wie? wären wir nicht in ganz ähnlicher Lage? Nun, auch jedem von uns schickt heute der Herr sein Wort:
Fürchte dich nicht, glaube nur!
1. Ein Trostwort dem Bekümmerten;
2. ein Mahnwort dem Schwankenden;
3. ein Verheißungswort dem Gläubigen.
Herr, lass uns spüren dein Nahesein; bring großen Frieden ins Herz hinein! Amen.
1.
Wohl läuten Sonntag um Sonntag von unsern Kirchtürmen her die Glocken mit harmonischem Dreiklang, aber an hohen Festtagen kommt wohl auf den mächtigen Domen eine große, tiefe Glocke hinzu; und ob wir diese auch oft gehört von Kindheit an, sie ergreift doch immer wieder aufs Neue so sonderlich mit ihrem gewaltigen, wunderbaren Ton unser Menschenherz. So, dünkt mich, wird uns Christen zu Mut, wenn wir, denen aus dem Dom der Heiligen Schrift Tag um Tag, jahraus jahrein Gottes Gnade so viele Himmelsgrüße zuschickt, welche in die Welt der Disharmonien hinein Versöhnung und Frieden bringen, die eine Glocke immer einmal wieder hören, die mit festlich frohem und doch so gewaltig erschütterndem Ton das bekümmerte, zagende Menschenherz packt, Gottes Stimme, die bei dreihundertmal aus jenem Dom erklingt: „Fürchte dich nicht!“ Fürwahr, ein Trostwort dem Bekümmerten. Jairus war bekümmert; denn in seinem Hause herrschte heimtückische Krankheit, an seiner Pforte lauerte der Tod. Und wir? Wenn in dem Hause unsers deutschen Volkes der Quell, der Jungbrunnen immer mehr verstopft wird, aus welchem nach Gottes Willen der matt gewordene Mensch wieder neue Kräfte schöpfen soll, d. i. der Sonntag, wenn da wie viele in unserm Hause keinen Sonntag mehr haben, müssen da nicht Leib und Seele erkranken? Wenn weite Kreise unter uns für die sozialen Fragen nur ein träges Kopfschütteln und ein unfruchtbares Murren haben und sich allmählich darüber beruhigen, dass Tausende der Söhne und Töchter unsers Hauses aller Autorität und aller Pietät Hohn sprechen, droht nicht die heimtückischste Krankheit bei uns chronisch zu werden? Wenn zumal in unsern Großstädten die Unsittlichkeit immer dreister auftritt und wie ein Krebsschaden um sich greift, ist's nicht eine Krankheit zum Tode? Und wenn man daran denkt, dass unter uns ein Heidentum großwächst, ohne den Taufbund mit Gott, ohne des christlichen Ehebundes Segen, ohne die fromme Zucht und Sitte der Väter, von keinem Predigtwort mehr erreichbar, auch allen Botendienst der inneren Mission abweisend, ins Leben hinein wüstend, solange das Lämpchen noch glüht, und dann -? und dann? -: o, da möchte uns mitten in aller Begeisterung, mit der wir an unsern Nationalfesten singen: „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt“ ein heimliches Zittern ergreifen, weil es uns ist, als hörten wir die Boten flüstern, die einst zu Jairus kamen: „Bemühe dich nicht mehr, denn die Tochter deines Hauses ist dem Tode verfallen!“ Und wenn wir nun der Überzeugung leben, dass, so nötig auch die staatliche Sonntagsordnung, so hochwillkommen die soziale Gesetzgebung, so dankbar zu begrüßen diese und jene Hilfsmittel zur Besserung der Zustände unsers Volkslebens, es doch nur ein Universalmittel gibt wider alle Krankheit zum Tode, das ist das Wort des lebendigen Gottes, das seligmachende Evangelium von Jesu Christo, dem Sünderheiland: o, wie wenige sind derer, die diese Überzeugung von ganzem Herzen teilen, wie viele unter den sonst Wohlgesinnten, die solche Anschauung für veraltet, einseitig, beschränkt halten und darum in unsern Bestrebungen uns eher Hindernisse bereiten als mit uns gehen! Und so traurig uns dies alles macht, werden wir nicht erst recht bekümmert, wenn wir mit uns selbst ins Gericht gehen, wenn wir uns prüfen, ob wir denn rechte Christen gewesen sind, aus denen Christi Bild herausgeleuchtet, rechte Missionare, die Christum verkündigt haben nicht bloß mit dem hölzernen Klavier ihrer Lippen, nein mit der volltönigen Orgel ihres ganzen Lebens, rechte Evangelisten, welche die Kraft des Evangeliums in den tausend Kleinigkeiten des täglichen Lebens mit selbstverleugnender Liebe bewiesen? Mein Christ, fragen wir uns, du und ich, haben wir allen, die Gott uns nahe führte, das Christentum persönlich mit unserm Wandel so dargestellt, dass sie sich angezogen fühlten, oder haben wir vielleicht manchen zurückgestoßen? Ach, unsere Stimmungen, die da Verstimmungen waren; unsere geschäftige Eile, wo es galt, einen Bruder zu erquicken; unsere Unlust, stille zu halten, wenn uns jemand unsympathisch erschien! Wie? ist wirklich nur vieles um uns her im Hause unsers Volkes krank, bedarf nicht unser eignes Christentum der Kur, unser eignes Herz des helfenden, heilenden Arztes? Auf zu Jesu! Jairus ging zu ihm, und der Kongress für Innere Mission hat uns ins Gotteshaus geladen, dass wir ein Gleiches tun. Was helfen die Kongresse der Menschen untereinander, wenn nicht jeder zusammenkommt mit seinem Herrn; was hilft's, dass wir über die Sünden und Nöte anderer reden, wenn wir nicht unsere eigene Sünde und unsere eigene Not dem Herrn ausschütten; was hilft's, auf Mittel zu sinnen, wie andern möchte geholfen werden, wenn wir nicht selbst zugleich immer wieder das eine Mittel gebrauchen zu unsrer Seelen Heil und Seligkeit. Auf denn, heute Abend wollen wir seine Gnade suchen, heute Abend wollen wir den Bund mit ihm erneuern, und nicht von ihm gehen, bis auch unsere Seele sein Trostwort vernommen: Fürchte dich nicht!
Das ist ein Gnadenwort; denn so lange Gott nicht Gnade für Recht ergehen lassen will, so lange müsste ich mich fürchten, vor sein Angesicht zu treten, er aber spricht: Fürchte dich nicht! Das ist ein Bundeswort; denn nur wenn Gott mich bei der Hand fasst und mir bezeugt: Ich lasse dich nicht! nur dann darf ich mich nicht mehr fürchten, und er sagt doch: Fürchte dich nicht! ich aber nenne es ein Trostwort im Gedenken daran, dass unsere deutschen Väter schon in der Zeit ihres Heidentums mit dem Wörtlein „Trost“ eine geheimnisvolle Macht bezeichnet haben, die, wie sie ahnten, von oben komme, und wahrlich! es ist eine geheimnisvolle Macht, die mich berührt, durchzuckt, beseligt, wenn mir mein Heiland sagt: Fürchte dich nicht! Ist's mir doch, als wenn die drei Choräle mich umbrausten, sich einend zu schönster Harmonie: der eine
„Ob bei uns ist der Sünden viel,
bei Gott ist viel mehr Gnade“;
der andre
„Ist Gott für mich, so trete
gleich alles wider mich“;
der dritte
„Stark ist meines Jesu Hand,
und er wird mich ewig fassen,
hat zu viel an mich gewandt,
um mich wieder loszulassen.
Mein Erbarmer lässt mich nicht,
das ist meine Zuversicht.“ 2)
Ein Trostwort, wenn mein Heiland sagt: „Fürchte dich nicht!“ Ist's mir doch dabei, als wenn er mir etwas mitteilte von seiner Macht, als wenn er mich unter den Klängen dieses Wortes ausrüstete mit den Waffen von Epheser 6, mit dem Panzer der Gerechtigkeit, dass ich allen Anklagen des Gewissens gegenüber sagen kann: Ich stehe bei meinem Gott in Gnaden! mit dem Schild des Glaubens, dass ich gewappnet sei wider die Pfeile von rechts und links, wider Hohn und Spott der Welt, wider Verkennung und Verleumdung aus dem eigenen Lager; mit dem Helm des Heils, dass die Hoffnung auf das ewige Heil mich fröhlich und getrost bleiben lässt auch in Sturm und Ungewitter; vor allem aber mit dem Schwert des Geistes, mit dem ich in alle Kämpfe wider Sünde, Tod und Teufel hineingehen soll, nachdem der Herr es selbst zum Kampfe geweiht, als er es in der Wüste wider den Versucher zückte: „Es steht geschrieben!“ O, da weichen alle Gedanken des Pessimismus, denen ich in schwachen Stunden Raum gegeben; habe ich in der Gemeinschaft mit dem Herrn Kräfte der Ewigkeit empfangen, wie sollte ich nicht gern hier in der Zeit fortschaffen am Werke des Herrn, fortkämpfen für die Kirche des Herrn!
„Fürchte dich nicht!“ so hat er den Bekümmerten getröstet, aber er lässt ihn nicht hinausziehen zur Weiterarbeit und zum neuen Kampf ohne ein anderes Wort: „Glaube nur!“
2.
Ein Mahnwort dem Schwankenden. Jairus ging zum Herrn; er schämte sich nicht, als Oberster der Synagoge dem verachteten Nazarener bittend zu nahen; er scheute sich nicht, sein unbedingtes Vertrauen darzulegen, dass dieser Heiland noch vom Tode erretten könne. Aber er kam in eine Lage, in der auch solche feste Zuversicht wankend ward: man bringt ihm Botschaft, seine Tochter sei gestorben; wahrlich, da war des Herrn Wort not: „Glaube nur!“ ein Mahnwort dem Schwankenden.
Ich las in diesen Tagen die Schilderung eines Großen im Reiche Gottes unsrer Zeit, der als ein echter Bote der inneren Mission tausend Angefochtene ausgerichtet und abertausend Wüstenwanderern Engelsdienste geleistet, des seligen Blumhardt; ich las, wie ein junger Theologe mit allerlei Vorurteilen zu ihm nach Bad Boll gekommen, wie er auch so gar nichts Absonderliches in seinem Hause gefunden, aber eins machte ihm Eindruck, eine Gewissheit leuchtete aus Blumhardts Augen, eine Freudigkeit, die ihn durchs ganze Leben begleitete, die Zuversicht: „Christus ist Sieger!“ Ja, es ist nichts Absonderliches an den Kindern Gottes auf Erden, „sie glauben nur“; darum aber auch der Ruf des Herrn an jeden, der nicht nur ein Gotteskind durch ihn werden, sondern auch bleiben will: „Glaube nur!“ ein Mahnwort jedem Schwankenden. Was soll das Wörtchen „nur“ uns sagen? Es können Zeiten kommen, da die Wege Gottes uns völlig unverständlich sind; es können Lagen eintreten, da wir die Hoffnung aufgeben müssen, von unsrer Arbeit Frucht zu schauen; es können sich Verhältnisse einstellen, unter denen wir in der Überzeugung, Gottes Stunde ist noch nicht gekommen, sogar die Hand abziehen müssen von dem Werk, das wir doch in seinem Namen angefangen; es können Berge weichen, auf die wir getraut, und Hügel hinfallen, deren Aussicht uns erquickt, aber eins darf bei Christenleuten nimmer weichen: in allen Lagen, an allen Tagen: „glaube nur!“
Der Glaube, das ist die Zuversicht: Christus ist Christus, sein Reich ist das alle Erdenmächte überdauernde Himmelreich, „sein Werk kann niemand hindern, sein Arbeit kann nicht ruh'n, wenn er, was seinen Kindern ersprießlich ist, will tun“; und was er den Seinen zuschickt, das Kleinste, wie das Größte, das Wunderlichste, wie das Klarste, es muss ihnen alles zum Besten dienen; und es wird das Finale wie jeder einzelnen Lebensgeschichte eines Christen, so der Gesamtgeschichte seines Reiches sein, dass wir im Blick auf alles, was wir erlebt, ohne jede Ausnahme singen und sagen: „Der Herr hat alles wohl gemacht und alles, alles recht bedacht; gebt unserm Gott die Ehre!“ O, wie ist, damit wir solche Zuversicht festhalten, der Ruf des Herrn einem jeden von uns so not: „Glaube nur!“ ein Mahnwort dem Schwankenden.
Und wenn nun in unsern Tagen Rom stolzer denn seit langer Zeit sein Haupt erhebt, wenn Mächtige unter den Evangelischen der römischen Kirche jetzt bereitwillig opfern, was sie der eigenen Kirche nicht geben: o werde nicht kleinmütig, du evangelisches Christenvolk; es ist doch die Fabel vom römischen Bistum Petri und die andre von der Schenkung Konstantins ein schlechter Baugrund; und es gehört doch dem Wort der Wahrheit, dem Evangelium und der allein auf diesem Grund erbauten Kirche die Zukunft; du evangelische Gemeinde, werde nicht wankend, werde nicht zaghaft, glaube nur!
Und wenn die Mächte der Finsternis sich jetzt sonderlich ausbäumen, die einen, die Thron und Altar umstürzen wollen, die andern, die wenigstens nichts Übersinnliches mehr gelten lassen wollen, wenn in unserm lieben deutschen Vaterland sicherlich alte Zucht und Sitte abgenommen, aber Gott sei's geklagt! Unsitte und Unzucht zugenommen haben: gewiss, wir müssen dagegen eisern und handeln, zeugen und kämpfen, aber bei dem allen sollen wir doch das Siegesbewusstsein nicht verlieren, das uns der Herr einflößt mit seinem Mahnwort: „Glaube nur!“
Ja, nicht nur mahnen will uns Abend der Herr; so wir uns nur ihm aufs Neue geloben, so wir nur uns und unsere Arbeit ihm befehlen in der Zuversicht, er wird's wohl machen: er gibt uns dann auch, was wir brauchen. „Fürchte dich nicht, glaube nur!“ das ist auch
3.
ein Verheißungswort dem Gläubigen. Will jemand sagen, wir sollten nicht nach einer Verheißung ausschauen, wir täten mit unsrer Arbeit nur unsere Pflicht, unsere Christenpflicht, dem Herrn in seinen Brüdern, dem himmlischen Haupt in seinen Gliedern auf Erden zu dienen? Ach, das mag schön klingen, das mag auch in der Theorie ganz richtig sein; aber ich meine, wenn sowohl im alten Bund Gott seinen Geboten vom Sinai Verheißung mitgibt als auch im neuen Testament du nicht gemahnt wirst, du sollst geistlich arm sein, du sollst Leid tragen, du sollst barmherzig sein, ohne dass dir zugleich gezeigt wird, wie dann die Sonne über deinem Leben aufgeht, die weit entfernt, wieder unterzugehen nur immer heller und voller leuchten wird: nun, unser Herr weiß wohl am besten, was seine Menschenkinder brauchen, und was zum praktischen Christentum gehört. Ja, wir brauchen Verheißung. Jairus bekam Botschaft, seine Tochter sei gestorben, und er musste ihr hernach auch ins bleiche Antlitz schauen, er musste sich durch den Augenschein überzeugen, wie der Tod hier Beute gemacht, aber er hatte die Verheißung des Herrn, die in den Worten eingeschlossen liegt „Fürchte dich nicht, glaube nur!“ und diese Verheißung hielt ihn aufrecht; denn was der Herr zusagt, das hält er gewiss.
Und wenn wir um die Krankheit in unserm Hause klagen, wenn wir zittern, weil der Tod an der Pforte unsers Hauses lauert, wenn wir Jesum herbeirufen, dass er uns helfe, wider Krankheit und Tod die rechten Mittel zu ergreifen, sagt an, ihr Brüder und Schwestern, worauf rechnen wir, und worauf dürfen wir bei unsrer Arbeit rechnen?
In unsrer Gegenwart ändern sich die sozialen Verhältnisse ganz und gar, eine neue Zeit ist angebrochen, ein neues Haus wird gebaut, und wahrlich! viele gar verschiedene Kräfte müssen mithelfen, wenn es so gebaut und eingerichtet werden soll, dass unser liebes deutsches Volk, unsere Kinder und Kindeskinder durch Gottes Gnade glücklich darin wohnen können. Soll dies geschehen, so muss das ist gewiss wahr! - die evangelische Kirche dabei sein; denn sie versteht deutsche Art, und unser deutsches Volk ist, dass ich so sage, von Natur evangelisch. So schickt denn die evangelische Kirche ihre Botin aus, die innere Mission, dass sie gar verschiedene Zimmer des neuen Hauses einrichten helfe, dass sie an der Neugestaltung unsers Volkslebens sich beteilige. Und was wird diese Botin leisten, welche Verheißung gibt der Herr der Kirche ihrer Arbeit mit?
„Fürchte dich nicht, glaube nur!“ dies Wort ließ eine Großtat des Herrn ahnen, und welches diese Großtat ist, das zeigen uns die folgenden Verse. Der Herr ergriff die Tote bei der Hand, er sprach: „Mägdlein, ich sage dir, stehe auf!“ Da öffnete sie ihre Augen, sie sah den Herrn, sie erkannte ihr Vaterhaus, sie war vom Tode zum Leben hindurchgedrungen, sie stand auf und wandelte in einem neuen Leben. O, seht doch darin Bild und Gleichnis von dem, was unsere Arbeit in der Nachfolge des Herrn will und was sie erreichen wird, so gewiss der Herr dem Gläubigen sein Verheißungswort mitgibt: „Fürchte dich nicht, glaube nur!“
Man hat wohl gesagt, die innere Mission will Barmherzigkeit üben, und das ist wohl richtig, aber nicht deutlich genug; denn das Wort „Barmherzigkeit“ fasst man nicht immer in speziell christlichem Sinne auf und begreift daher allerlei Arbeit darunter, die wir nicht eigentlich zu unserm Werke zählen. Bestimmter sagte Wichern dort in der Schlosskirche Wittenbergs: „Die innere Mission will, dass Christus nicht nur gepredigt werde mit lebendigem Gotteswort, nein, sie will ihn predigen mit den Gottestaten der rettenden Liebe; aber auch hier könnte noch jemand fragen: wovon will denn die Liebe retten? Unser Text gibt die Antwort. Vom Tode erretten, den Tod überwinden: das ist die Arbeit, welche im Namen des Herrn unsere Kirche tut; und ihre treue Botin, die innere Mission, sendet sie aus, damit beim Aufbau des neuen deutschen Hauses, in welchem an gar vielen Stellen die heimtückischste Krankheit, die Sünde, und in ihrem Gefolge der Tod sich einnisten will, an keinem Ort das Mittel fehle, welches allein Sünde und Tod überwindet, das Wort des lebendigen Gottes, das seligmachende Evangelium von Jesu Christo, dem Sünderheiland. Und so gewiss das Jesusarbeit ist, so gewiss gilt jedem, der sie treibt, Jesu Verheißung: Fürchte dich nicht, glaube nur! Es wird dir gelingen, dazu ich dich sende; und du wirst ausrichten, dazu ich dich berufen habe. Wohl werden Sünde und Tod bleiben in der Welt; aber, dass im neuen deutschen Haus vielen oben und unten, nach vorn hinaus wohnend und nach hinten hinaus lebend, durch unsern Dienst das Mittel dargereicht werden soll, der Sünde sich nicht gefangen zu geben und vor dem Tod nicht die Waffen zu strecken, sondern ohne Sündendienst und Todesfurcht in einem neuen, seligen Leben zu wandeln, das verheißt uns der Herr: „Fürchte dich nicht, glaube nur!“
„Wohlan, wer tritt mit ein in diesen Dienst? Wer will ihn treiben, ein jeder in seinem Kreis, mit neuem Mut und neuer Freudigkeit?
Vor zwei Jahren kam eine Frau zu mir, die ihrer evangelischen Kirche den Rücken kehren wollte; und als ich sie fragte: „Was hat Ihnen denn Ihre Kirche getan?“ gab sie mir die Antwort, die mir durchs Herz schnitt: „Sie hat mir eben nichts getan!“ Ach, lieben Freunde, helfe, wer helfen kann! Dass niemand, auch im verborgensten Winkel des Hauses unsers Volkes, so sagen dürfe, dazu müssen alle helfen, Laien wie Geistliche, Frauen und Männer, die Alten mit ihrer reichen Erfahrung und die Jungen, die nur erst den Saum des Kleides Jesu Christi berührt haben. Auf denn, die Anker gelichtet, die Segel gespannt und den Kompass gerichtet! Fahrt mit den Rettungsbooten aus! Der Herr ist mit uns und sein Wort waltet segnend über uns: „Fürchte dich nicht, glaube nur!“ Amen.