Bomhard, Georg Christian August - Leichenpredigt Ludwig I.
Eine Trauerversammlung sind wir hier vor dem Angesichte unseres Gottes.
Der Edle, der durch 23 Jahre über uns das Zepter geführt, der Bayerns Liebe und Deutschlands Stolz gewesen König Ludwig der Erste ist dahin. Nach einem langen, taten- aber auch prüfungsreichen Leben hat ihn der Herr über Alles, der König aller Könige abberufen. O, es war eine goldene Friedenszeit, die Zeit seiner Regierung, wo der königliche Weise mit fester Hand unter dem augenscheinlichen Beistande des Allmächtigen segensvoll über Bayern waltete. Die Leiden blieben ihm zwar nicht erspart, die den Wohltätern der Menschen schnöder Undank in vollem Maß bereitet. Aber die Thronentsagung des Königs hat viele seiner Feinde mit ihm versöhnt und sie werden uns beistimmen, wenn wir es sagen bei dem Getöne der Glocken, die seinen Tod über unsere Gauen hinrufen: „Ein Fürst und Großer ist gefallen in Israel.“ Wir ermessen, wir fühlen den Verlust, den das erhabene königliche Haus, den Bayern, den Deutschland erlitten. Ein König - ein solcher König tot dies hat etwas ungemein Wehmütiges, Schmerzliches. Sollten wir mit unserem Schmerze vereinsamt bleiben? Wir konnten es nicht; drum machten wir uns auf, denn wir wissen, wohin. Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens!1) Zur Stätte, wo des Herrn Ehre wohnt, ins teuer-werte Gotteshaus geht's, wenn's uns weh ums Herz ist, wenn wir um unsere Toten trauern. Da tut sich uns das Paradies auf und Erdenleid wird Himmelsfreud'. Da wollen wir es aussprechen, was uns das Herz bewegt, da wollen wir vernehmen die göttliche Antwort auf die menschliche Frage und für das menschliche Leid den göttlichen Trost.
Dieser Trost kommt uns aus der Schriftstelle wie sie
1 Mos. 25, 8.
zu lesen ist und so lautet:
„Und nahm ab und starb in einem ruhigen Alter, da er alt und lebenssatt war, und ward zu seinem Volk gesammelt.“
Diese einfachen Worte beziehen sich auf den erwählten Patriarchen Abraham. Sie finden aber auch auf den geliebten König ihre Anwendung, und wenn wir näher zusehen, haben wir darin neben der menschlichen Klage den göttlichen Trost.
I.
Er nahm ab, heißt es in unserem Texte. Und das ist die Klage. Dieses Abnehmen ist das gemeinsame Los der Erdgebornen. Die Fülle der Kraft bezeichnet nur einen Höhepunkt im menschlichen Leben und wie es aufwärts geht, geht es wieder abwärts. Ein Mensch ist in seinem Leben, wie Gras2). Der Niedrigste ist dem Höchsten gleich und das abschreckende Elend der entzückenden Herrlichkeit. Alle Herrlichkeit der Menschen ist wie des Grases Blume3). Es dauert eine Zeit lang, dann heißt es: „das Gras ist verdorrt, die Blume ist abgefallen.“ Aber wir können den Übergang von der frischen zur versiegenden Kraft nur mit Wehmut sehen. Wir begleiten die trübselige Wandlung mit unseren Seufzern und Tränen. Ein verfallendes und verfallenes Leben ist uns der Gegenstand des herbsten Schmerzens und der bittersten Klage, umso mehr, wenn dies Leben ein reichbeglücktes und beglückendes war. Darum fühlten wir uns so im Innersten ergriffen, als jene traurigen Krankenberichte über den König einliefen, welche eigentlich nur sagten, was wirklich geschehen ist: „Das Grab ist da.“ Der stattliche Baum, der so Vielen Erquickung bot, liegt, von der Zeit geknickt, am Boden. In Ludwig ist ein König hingesunken, dessen Ruhm die Welt erfüllt. Er war, das steht fest, ein großer Mann oder vielmehr, er war der Mann für größere Zeiten. Was er gewirkt, geschaffen, das lässt sich jetzt nicht aufzählen und beschreiben. Es lässt sich höchstens Einiges andeuten. Er war für sein Land der kräftige Förderer wahrer Volksbildung. Das gesamte Unterrichtswesen gelangte durch ihn zu einer vorher und anderweit nie gekannten Blüte. Bezeichnend genug und geeignet, eine ganze Reihe der abgeschmacktesten Urteile über den König zu vernichten, ist der Umstand, dass er, der katholische Fürst, dem Stifter unserer evangelischen Landesuniversität ein großartiges Standbild errichtete. Dem Handel wurden wesentliche Erleichterungen verschafft und nun Absagwege eröffnet, indem der König jene Verbindungen schloss, aus denen allmählich der deutsche Zollverein hervorwuchs. Die Landwirtschaft nahm den lebhaftesten Aufschwung. Für den Verkehr war seine Wirksamkeit geradezu Epoche machend. Was vor 600 Jahren schon der weitausschauende Geist eines den Geheimnissen der Natur, wie den Tiefen der Gottheit nachsinnenden Mannes4) verkündet hatte: „Es können Wagen gebaut werden, so, dass sie ohne ein Tier in Bewegung gesetzt werden mit einem unermesslichen Ungestüm“ das hat sich bekanntlich in unserer Zeit bewahrheitet. Da war es nun König Ludwig, der im Jahre 1835 die erste Eisenbahn Deutschlands gründete. Am Ende seiner Regierung war bereits der Norden Bayerns mit dem Süden durch Schienenwege verbunden. Seine Prachtbauten, unter ihnen vor allen die wundervollen Kirchen, die der Münchener „zum Weinen schön“ findet, sie zeugen von seinem tiefen Verständnis, von seiner großartigen Auffassung der Geschichte, insbesondere des christlichen Geistes, sie zeugen von seinem künstlerischen und religiösen, aber gleichzeitig auch von seinem patriotischen Sinn. Wenn er Luthers Büste seiner Walhalla einverleibte, ist es ein Beweis, dass er unparteiisch genug war, die welthistorischen Verdienste des vielgeschmähten, in den Staub gezogenen Reformators zu würdigen. Erwägt man die Zeitverhältnisse, so ist dies auch eine Großtat des Königs gewesen und wie eine Weissagung der Zukunft. Ich will nicht weiterfahren in der Tatenschilderung.
Ich würde kein Ende finden. Nur Eins muss letztlich noch hervorgehoben werden. Es betrifft die Regelung des tieferschütterten Staatshaushalts. Dahin strebte er mit ganzer Kraft. Und der Erfolg entsprach seinen Mühen. Der Kredit hob sich. Bayern stand als solventer Staat achtungsgebietend da. Die Abgaben waren mäßig. Gott segnete der König, schonte das Volk und so hieß Bayern unter Ludwig I. nur das gelobte Land. Und wir sollten nicht traurig sein, nicht klagen, wenn ein solches Leben abnimmt, verlischt? Die Hinfälligkeit als gemeinsames Los aller Menschen ist, wir wissen es wohl, göttliche Ordnung. Und doch klagen wir. Es ist die Klage der Liebe und Dankbarkeit. Aber in unsere Klage tönt der göttliche Trost oder vielmehr die menschliche Klage übertönt
II.
der göttliche Trost. Er starb, der König, wie es in unserem Texte heißt: in einem ruhigen Alter. Im Frieden ist er von hinnen geschieden. Die Wetter jenes betrübten, unser ganzes deutsches Vaterland erschütternden Krieges hatten ausgetobt. Die Sonne des bayerischen Glückes war nicht versunken. Der Abendstrahl leuchtete noch in das müde Auge des entschlummernden Königs. Es ist tröstlich, dass er die schweren Erfahrungen nicht machen durfte, die ein größerer Umschwung in der Geschichte der Staaten immer mit sich bringt. Der König konnte ferner die Früchte seines reichen Wirkens schauen, konnte erleben, wie die meisten seiner Anstalten, sich immer großartiger entwickelnd, dem Reiche Ehre und Gewinn brachten und wie infolgedessen das Urteil der Zeitgenossen über ihn von der kleinlichen Mäkelei zum enthusiastischen Lob fortschritt. Und das ist eben so schön und tröstlich, das beruhigt für alle Leiden und entschädigt für alle Opfer der Vergangenheit, das macht die Lasten des Alters und die Schrecknisse des Todes vergessen, wenn des Menschen Wert und Wille anerkannt und gewürdigt wird. Und wie tröstlich! er war eigentlich nur dem Leibe nach gealtert. Sein Geist war frisch. Sein Sinn blieb allem Großen erschlossen. Er war in den spätesten Jahren noch derselbe teilnehmende Freund und Berater der Staatsmänner, Künstler und Gelehrten und bis zum letzten Augenblicke kamen von seinen Lippen nur Worte voll Geist und Leben. Sein Herz blieb warm; es war, als ob der erkältende Hauch des Undanks es nie berührt hätte und in dem Einen nahm er nicht ab, sondern immer zu: in der freudigen Bereitschaft, wohlzutun und mitzuteilen. Dabei war sein Gemüt in keiner Weise verbittert und er fand in sich am Ende seines Lebens die Erhebung, mit seinen Feinden und den Feinden seines Hauses sich auszusöhnen. Er konnte viel vergeben, der so viel gegeben, der opferfähig wie Abraham5), um ein vielversprechendes und schließlich doch undankbares Volk zu retten, des eigenen Sohnes nicht verschont. Trost über Trost, dass wir sagen können: der König starb in einem ruhigen Alter. In seiner Brust wohnte der Friede und sanfte Freude. Denn es ward ihm ja auch viel aufrichtige, herzinnige Liebe entgegengebracht. Dankbar ergebene Kinder und Enkel bemühten sich, dem Vielgeliebten die Tage des Alters zu verschönern. In dem Besitze dieser Guten fühlte er sich glücklich und wie verjüngt oft in ihrer Mitte. Und wie mit den Lebenden, wusste er sich innig verbunden auch mit seinen Lieben im Himmel. Die Erinnerung an sie mehrte nur die Liebe und er befahl, dass nach seinem Tode an die Stelle seines Herzens, welches so gut gewählt, sein Ehering gesetzt würde. Er scheint in Gedanken sich viel mit den Verklärten beschäftigt zu haben, und in der Tat, das hohe Alter fühlt sich im tiefsten Innern mehr zu den Toten als zu den Lebenden gezogen. Es trägt das Gefühl in sich, wie wenn es nicht mehr hierhergehöre und auch das andere Gefühl, welches unser Text andeutet, wenn von Abraham gesagt ist, er starb, lebenssatt. Gewiss war es bei allem, was den Rest seiner Tage schmückte, auch der König. Denn so ist's menschlich. „Ich komme mir vor, hat man oft liebe Greise sagen hören, wie ein Gast, der gesättigt vom Mahl aufsteht, und wie ein müder Wanderer, der die Herberge sucht.“ Und das ist auch gut, wenn so allgemach die Bande gelöst werden, die uns ans Leben und an diese wandelbare Erde knüpfen. Für den König sind diese Bande nun völlig gelöst. Er ward zu seinem Volk versammelt. Tausende seiner Untertanen, die ihm schon vorangegangen, werden ihn segnen vor Gottes Thron; die hohen Geister aller Zeiten, die gotterwählten Helden und Könige werden ihn als den ihrigen begrüßen. Und da heißt es, wie in jener wahrheitsvollen Vision des Dichters: „Wohl hab' ich euer Rufen, ihr Heldengeister gehört: euere Reihe soll ich schließen; Heil mir, ich bin es wert.“ So durchbricht, so übertönt der Trost die Klage. Das Los ist dem König gefallen aufs Lieblichste. Es ward ihm von oben zugeteilt. An ihn, unseren König, hat der Allgütige im Himmel vor vielen Menschenkindern seine Verheißung erfüllt: „Ich will euch tragen bis ins Alter und bis ihr grau werdet“6). Von ihm, wie von Abraham kann man sagen: „Er war der Freund Gottes“7). Von Gott geliebt, weil Gott liebend. Sicher war Ludwig I. ein christlicher König im besten Sinn des Wortes, fest gegründet im Glauben und in der Gottesfurcht. Und da heißt es: „Das Geschlecht der Frommen wird gesegnet sein“8). So stellt sich die Sache unserer Betrachtung dar. Aber der demütige König, wäre er unter uns, würde sagen: „Löst diesen Zusammenhang! Der Herr hat Großes an mir getan, aber aus lauter Güte und Barmherzigkeit ohne all' mein Verdienst und Würdigkeit. Von Gottes Gnaden bin ich, was ich bin“9). Der König wollte nicht, dass man ihn über andere Sterbliche erhebe. Man soll es sagen: er hatte auch seine Fehler und seine Sünden. Er war ein Mensch und alle Menschen sind Sünder. Ach! über die ehrwürdigsten Gestalten wirft die Sünde ihren düsteren Schatten. Aber wenn selbst der hl. Johannes der ihm eigenen Milde einmal vergaß 10), wenn ein Paulus vorhin der schriftkundigen Gemeinde abhold seinen Pharisäern an blindem Eifer es zuvortut, wenn zornentflammt Petrus mit dem Schwerte drein haut, als wäre es recht und möglich, den Geist mit Gewaltmaßregeln zu dämpfen, so soll uns das Alles nur Veranlassung geben, die Allgemeinheit menschlicher Sünde zu erkennen, um sie nur behutsamer zu meiden und nachdrücklicher zu bekämpfen. Dass sich aber ja Niemand mit den Sünden der Großen decken wolle! Hier gilt das Wort des hl. Ambrosius: „Hast du mit David gesündigt, so tue mit David Buße.“ Unser König, war er von einem Fehl übereilt worden, so war er eifrigst bemüht, umso mehr Gutes zu tun. Weil aber das Böse nicht ungeschehen gemacht werden kann, suchte er in Demut die göttliche Gnade. Und den Demütigen gibt Gott Gnade. Um Gnade flehend, Auge und Herz zum Himmel erhoben, die Hände fromm gefaltet, trat der König hinüber. Im Segen seiner heiligen Kirche ist er geschieden. Möge, was hier gelöst worden, für ihn auch im Himmel los sein. Möge er dort wie hier ein Erwählter sein. Möge die Hand des Höchsten auf sein Haupt, dem die irdische Krone entsunken, die himmlische Krone des ewigen Lebens um Christi willen setzen. Wenn wir der herrlichen Verheißung gedenken über die Toten, die im Herrn sterben, so sind wir bei all unserer Klage um den König doch reichlich von Gott getröstet.
Diese Verheißung gilt auch Euch. Auch ihr sollt einen Gnaden-Lohn haben, wenn ihr in Geduld mit guten Werken ausharrt. „Ich bin der Herr dein Gott so heißt das Bundesgebot wandle vor mir und sei fromm“11). Ihr seid wohl geringe Leute, doch habt ihr einen hohen herrlichen Beruf. „Ihr seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das ihr verkündigen sollt die Tugenden dessen, der Euch berufen hat.“ So führt einen rechtschaffenen Wandel vor aller Welt. Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, dass sie eure guten Werke sehen und den Vater im Himmel preisen und setzt eure Hoffnung ganz auf die Gnade Gottes, die euch angeboten wird, durch die Offenbarung Jesu Christi. Dann wird euer Ende sein, wie das Ende des gerechten Königs.
Und nun, Du Gott der Gnaden, lass den König, deinen Gesalbten, in Frieden ruhen!
Tröste, Erbarmungsreicher, die leidtragende königliche Familie, und Alle, die da weinen mit den Weinenden!
Stärke, Du König aller Könige, den allgeliebten Enkel des Entschlummerten, dass er sein königliches Amt im Aufschauen zu Dir, unbeirrt von den Wirren der Parteien, erfülle, treu und fest, gerecht und beharrlich! Da wird man sagen: „Der König ist wie ein Engel Gottes, dass er Gutes und Böses hören kann.“12) Gieße, Du aller Menschen Vater, die Fülle Deines Segens aus über unser ganzes Land und Volk. Lass uns alle eins sein, dass wir männiglich zu unserem Könige stehen in guten und bösen Tagen.
Der Bayern Spruch sei das Wort Ithais: „Wo mein Herr, der König, sein wird, es gerate zum Tod oder zum Leben, da wird dein Knecht auch sein.“13)
Herr hilf uns, hilf Deinem Volk. Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn!
Menschen Hilfe ist kein nütze. Denn nichts, gar nichts sind alle Menschen, die so sicher wohnen. Aber Deine Jahre, o Gott! wären für und für. Du hast vorhin die Erde gegründet und die Himmel sind Deiner Hände Werk. Sie werden vergehen, Du aber bleibest. Sie werden alle veralten wie ein Gewand; sie werden verwandelt wie ein Kleid, wenn Du sie verwandeln wirst. Du aber bleibest wie Du bist und Deine Jahre nehmen kein Ende. Herr Gott, Du bist unsere Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge worden und die Welt geschaffen worden, bist Du Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit14) Amen.