Blauer, Ambrosius - Predigt, gehalten zu Bern am zwölften Tage Jenners, am ersten Sonntage nach Beginn des Religionsgespräches daselbst 1528.

Blauer, Ambrosius - Predigt, gehalten zu Bern am zwölften Tage Jenners, am ersten Sonntage nach Beginn des Religionsgespräches daselbst 1528.

Der allmächtige ewige und barmherzige Gott und Vater wolle uns durch Jesum Christum seinen eingebornen Sohn seine väterliche Gnade verleihen und durch die Kraft seines Heiligen Geistes sein heiliges göttliches Wort in unsere Herzen schreiben, damit es in uns entzünden und wirken möge für diese Zeit einen wahren kräftigen und lebendigen Glauben an ihn und herzliches Vertrauen zu ihm, brüderliche Treue und Liebe gegen den Nächsten, und dass wir töten unser sündliches Fleisch und absterben seinen Lüsten, und so befähigt werden einzugehen zu den Freuden der Seligkeit. Solches zu erwerben und um ihm, dem gütigen Gott, das Anliegen der ganzen Christenheit anzubefehlen, wollen wir mit Andacht beten:

Unser Vater rc.

Allerliebste Brüder und sonderlich Ihr, fromme Christen zu Bern! Dieweil der allmächtige Gott, unser getreuer Vater, so gnädig in Euren Herzen die Begierde nach christlicher Wahrheit erweckt und entzündet hat, dieselbe in diesen gefahrvollen Zeiten, da so viele und mannigfaltige Irrtümer und Verirrungen täglich geboren werden, fleißig und mit Ernst zu erforschen: so habt Ihr in guter christlicher Meinung nach jetziger Übung ein Religionsgespräch veranstaltet, zu dem von allenthalben her viele fromme, hochgelehrte, gottverständige Männer gutwillig erschienen sind, so dass ich jetzt viel lieber derselben Einen hören wollte, als dass ich, der unbedeutendste und geringste vor ihnen, und Euch allen nun reden soll. Da ich nun aber dazu aufgefordert und berufen worden bin, habe ich dessen ungeachtet, es weder wollen noch mögen ausschlagen, ja ich willfahre es einerseits willig und von Herzen gern:

Zum Ersten, weil ich mich Jesu Christi meines Erlösers und Heilandes und des Vertrauens und Glaubens, so ich allein durch ihn zum Vater im Himmel habe, keineswegs schäme, sondern ihn, meines Glaubens Grund, vor aller Welt, wo und wann Not oder Ursache es fordert, ebenso mit dem Munde bekennen will, wie ich an ihn von Herzen glaube. Zum andern, willfahre ich gerne, damit Ihr auch hier zu Bern die Summe und Grundfeste der Lehre vernehmet, die wir in Konstanz mit aller Treue und Sorgfalt predigen, deshalb aber auch Ketzer und Verführer gescholten werden; obgleich wir nur dadurch begehren, dass Christus allein in aller Menschen Herzen lebendig eingeprägt werde. Daneben zweifle ich nicht, Ihr werdet auch der andern hochverständigen Gelehrten Predigten nach und nach hören, ja, dass vielleicht daraus noch mehr Frucht und Nutzen als aus dem Gespräche selbst bei einigen erwachsen mag. So däucht mir gut, dass, wo es irgend sein kann, alle Tage von den fremden Gelehrten gepredigt werde. Also findet sich aus etlichen Andeutungen, dass es auch bei den Juden üblich gewesen sei: wenn Juden aus andern Landen und Städten in ihre Synagogen kamen, so wurde ihnen Gelegenheit geboten, das Volk zu ermahnen. So lesen wir im XIII. Kapitel der Apostelgeschichte, dass Paulus und Barnabas gen Antiochia im Lande Pisidia gekommen und in die Schule gegangen, und daselbst ersucht wurden, das Volk zu ermahnen, was auch Paulus mit Ernst und Fleiß und auch mit großer Frucht daselbst tat. Das Ungewohnte und Fremde wird gewöhnlich lieber vernommen. Darum sagt auch Christus Matth. XIII.: „Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterlande und seinem Hause.“ Daher wird es auch Euch lieblicher scheinen und mehr zum Troste und zur Besserung gereichen, wenn Ihr fremde Männer hört und daraus erseht, dass auch in andern löblichen christlichen Städten und Ländern eben das Evangelium gepredigt wird, das Ihr auch hier in Bern seit einiger Zeit vernommen; und es wird so die Lehre Eurer frommen Gottesgelehrten und teuren Prediger bei einigen Schwachen an Ansehen und Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn sie erfahren, dass ihre und unser aller Lehre in allen Stücken übereinstimmt, wie wir denn aus Einem Brunnen, dem göttlichen Worte, lebendiges Wasser trinken, und Einen Glauben, Eine Taufe, Einen Gott und Vater aller Dinge, und Jesum Christum seinen Sohn verkündigen und lehren. Solches ist ein treffliches Zeugnis für die Wahrheit, denn diese besteht in der Einigkeit, widerspricht sich selbst nicht, lässt sich auch nicht trennen noch spalten. Eines tut Not, sagt Christus zu der geschäftigen Martha, nämlich dass wir in großer Demut mit Maria zu seinen Füßen sitzen, und sein Wort hören, das ihm der Vater gegeben hat, welches die Wahrheit ist, darin wir ihn allein finden können. So zeigt auch das heutige Evangelium uns an, dass Christus nicht unter dem Volke, oder den Freunden und Bekannten, das ist, nicht in den mannigfaltigen wechselvollen Meinungen und Ansichten der argen Welt oder in andern scheingeistlichen Dingen, die von Fleisch und Blut erdichtet sind, sondern allein in den Dingen seines Vaters gefunden wird. So werden wir ihn auch allein in den Geschäften finden, die ihm der Vater und er uns offenbart und anbefohlen hat, das ist, in dem einigen gnadenreichen Worte des Evangeliums, der guten frohen Botschaft, dass wir Alles in ihm besitzen, und dass er allein unsere Weisheit, Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung sei.

Ihr wisst, allerliebste Brüder, welch' tausendfältiger Menschentand man uns bisher gelehrt, und uns hingewiesen auf unser eignes Vermögen, auf eigene Werke, auf Wallfahrten, römischen Ablass, auf das Verdienst und die Anrufung der Heiligen, auf Weihwasser und Salz, Messen und Brüderschaften, Orden und dergleichen, als sollten wir durch solche Dinge Verzeihung der Sünden, Gerechtigkeit und Seligkeit erlangen. In der Tat aber wurde unser Herz dadurch verwirrt und irregeleitet, und von dem einigen rechten vollkommenen Brunnen des Lebens hinweggeleitet, und es erblühte uns weder Friede noch Ruhe für unsere Seelen. Ja wir waren ähnlich jenem blutflüssigen Weibe, von dem Marcus im V. Kapitel schreibt, dass sie all ihre Habe und all ihr Gut mit den Ärzten verbraucht, ohne dass sie Besserung empfunden, im Gegenteil wurde ihr Zustand immer ärger; so haben auch wir unser Gut und Geld samt allen jenen erdichteten sogenannten geistlichen Übungen, Mühe und Arbeit in solchen nutzlosen Flickwerken verbraucht, und dadurch keine Besserung, keinen Frieden noch Zuversicht zu Gott, keine Gewissensruhe erlangen können. Und wenn das strenge Gericht Gottes entweder in unserer Sterbestunde oder sonst in den Drangsalen des Lebens uns zu drücken und zu ängstigen begonnen, so ist unsere so gewonnene Zuversicht an allen Orten zerronnen, und nirgendsher wollte uns Rat und Hilfe werden, wie viel und mancherlei wir immer in menschlich ersonnener Andacht und Vornehmen versucht haben. Jetzt aber weist man uns einhellig den allein richtigen Weg zum Heil und zur Seligkeit, und lehrt uns unser Herz sich sammeln und nicht mehr hierhin und dorthin schweifen, sondern dass wir mit aller Kraft, Begierde, Vertrauen und Vermögen der Seele nach Einem Ziele streben, nach Christo allein, wohlwissend, dass wir Alles reichlich und überschwänglich in ihm finden, was wir früher in den vielen menschlich erdachten und verordneten Flickwerken mit Mühe und Angst gesucht, ohne es aber zu finden. Man lehrt uns einen einigen Gott, einen einigen Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich Jesum Christum, der sich selbst dahingegeben zu einem Lösegeld für unser aller Sünde. Und wie Ihr diese Woche aus dem Gespräche vernommen, ist er das alleinige Haupt des Leibes seiner Kirche, die aus Gottes Wort geboren ist, und in demselben nur begründet steht. Auch hielt sich diese Kirche stets an ihrem Haupte, welches ihr das Leben der Gnade und Seligkeit einflößt. Sie hört deshalb nicht auf die Stimme des Fremden, denn sie will verbleiben bei dem einigen Worte ihres alleinigen Hauptes, und darum freuen sich jetzt auch alle frommen und rechtschaffenen Christen, und erkennen, dass unsere Lehre recht und göttlich sei, dieweil sie hören, dass wir nicht einem Menschenwerke oder irgendeinem Geschöpfe die Ehre beimessen für all' die Dinge, deren wir uns getrösten, sondern dass Alles dem alleinigen Haupte der Kirche, Jesu Christo, zugeschrieben wird.

Und dieweil nun dieses die Summe aller Artikel des Gespräches ist, welches hier begonnen, dass die Ehre Christi, und unser Heil, das wir allein in ihm haben, recht begriffen, und zu Herzen gefasst werde: so will ich auch in möglichster Kürze zu dem ermahnen, was ich zu dieser Sache dienlich und vor Allem notwendig halte.

So lasst Euch demnach das heilsame und göttliche Vornehmen dieses Religionsgespräches ernstlich und herzlich empfohlen sein, indem Ihr mit Inbrunst und allem Ernst zu Gott unserm getreuen Vater betet, und ihn anruft, dass er uns allen seinen guten Geist reichlich mitteile, damit unser aller Augen erleuchtet, und unsere Ansichten gereinigt und geläutert werden, und wir bei der Erforschung der christlichen Wahrheit nur seine Ehre und das Heil der Seelen ansehen und suchen. Er ist stets ein getreuer und wahrhaftiger Gott, der uns versprochen hat, wo zwei oder drei übereinkommen auf Erden um eine Sache zu bitten, da werde ihnen der Vater im Himmel Alles gewähren, warum sie ihn anrufen. Insonderheit verheißt er Luk. XI., dass uns der Vater seinen Heiligen Geist verleihen werde, so wir ihn ernstlich und anhaltend darum bitten, denn er sorge für uns mehr und besser als es irgendein leiblicher Vater auf Erden für seine Kinder es tue. Darum lasst uns mit dem größten Fleiße anhalten und nicht träge sein im Gebet, so wird er uns getreulich und willig die Gnade und Kraft seines Heiligen Geistes verleihen, ohne den alles Disputieren fruchtlos und alles Singen und Sagen von Gott und seinem heiligen Evangelio eitel und vergeblich wäre. Wir alle erfüllen die Luft mit dem Rufe „Evangelium“ und über das „Wort Gottes“ geht ein großes Gerede durch die ganze Welt, aber leider richten nur Wenige ihr Leben nach demselben, und Wenige sind es, die das Evangelium als eine Kraft Gottes an ihrem eigenen Herzen empfinden. Warum glaubt ihr wohl, dass die Begeisterung so Vieler für das Evangelium so bald erloschen, und ihr Herz desselben missleidig geworden, da sie doch anfangs so warm und so ganz von selbem erfüllt waren, und sie dieser Speise gar nicht satt werden konnten? Allein aus dem Grunde, weil sie das Göttliche ohne den Geist Gottes und nur auf menschliche Weise aufgefasst. Sie haben anfangs ihre Ohren gespannt auf die wahrhafte Lehre des göttlichen Wortes, als auf etwas Seltsames und Unerhörtes gerichtet, wie die gemeine Welt bei allen außerordentlichen Neuerungen zu tun pflegt. So sehen wir noch täglich solche, die allein aus Vorwitz dem Worte Gottes zuhören, wie wir auch solches in der Apostelgeschichte Kapitel XVII. von den Athenern lesen, dass sie stets auf nichts Anderes gerichtet waren, denn etwas Neues zu sagen oder zu hören; deshalb sie denn auch eine Weile dem heiligen Paulus zugehört haben. Ähnliches erfahren wir in allen andern menschlichen Begegnissen; denn wie groß Freude oder Leid auch anfangs ist, mit der Zeit werden beide gemildert und unsere Empfindung dafür erkaltet. Stirbt uns Vater oder Mutter, oder trifft uns sonst ein bitteres Leid, dass wir anfangs glauben, nimmer fröhlich werden zu können, oder haben wir im Gegenteil große Freude und Wonne erfahren, dass wir wieder glauben, nie wieder in Unmut zu fallen: so erfahren wir doch bald dass Lieb und Leid mit der Zeit verschwinden, und nur im Anfange am heftigsten empfunden werden, dieweil es noch ganz neu ist. So ist es auch der großen Menge mit dem Evangelium Christi ergangen, indem sie anfangs große Neigung und Begierde nach demselben als nach einer neuen und holdseligen Sache gezeigt, und viel Geschrei daraus gemacht haben. Dieweil uns ferner das Wort Gottes das schwere Joch der Menschensatzungen, das sich selbst auf Seele und Gewissen erstrecken wollte, abnimmt; so haben gleich Viele in ihren sinnlichen Ansichten auch fleischliche Freiheit dahinter gewittert, und so ist die Sache ihnen anmutig vorgekommen, und es hat ihnen wohl gefallen, dass die unerträgliche Last ihnen abgenommen oder doch verringert werde. Und da noch das Evangelium dazu so klar die große Falschheit und den Trug der sogenannten Geistlichen aufdeckt, so gibt es deren Viele, die bloß sich daran halten, und nichts Anderes singen und sagen auf allen Gassen, in allen Wirtshäusern, und wo sie nur zusammenkommen, als wie sie von den Pfaffen und Mönchen um das Ihrige betrogen worden, und können auch deren Verführungen aufs klarste ausmalen; und damit glauben sie dem Evangelium Genüge getan zu haben, und solchen Geredes ist leider alle Welt voll, und wir selbst sind nur zu sehr dazu geneigt. Dagegen hört man nirgends, oder an gar wenigen Orten, dass man in den Häusern zusammenkomme, um sich gegenseitig zu einem christlichen gottgefälligen Leben zu ermahnen, zu innbrünstigem Gebete in so großen Beschwerden und Nöten, die uns allenthalben vor Augen treten. Und doch soll sich die Kraft des Evangeliums in großer Dankbarkeit gegen Gott erzeigen, so dass wir unser ganzes Vertrauen in zeitlichen und geistlichen Angelegenheiten auf Gott allein setzen und unsern Sinn nur auf ihn richten; und somit sollen wir unsern Mutwillen und Überfluss im Essen, Trinken, Kleidung und desgleichen ablegen, und treue brüderliche Handreichung den Armen und Dürftigen tun, wir sollen nicht Böses mit Bösem, sondern mit Gutem vergelten: die Feinde lieben, selbst das Unsere nicht gerichtlich fordern, den andern Backen darbieten, so wir an einem geschlagen werden - überhaupt sollen wir uns in allen zeitlichen Dingen als ein ganz ehrsames gelassenes Volk zeigen, das allein Acht habe auf seinen Vater im Himmel. Wenn das Evangelium solche Forderungen an uns stellt, da gehen wir hinter uns, wollen es nicht, sind schon des Evangeliums satt und voll geworden; wir haben unsere Neugierde an ihm befriedigt und fragen ihm nichts mehr nach. Wir haben daraus erlernt, was uns wohlgefallen, was weiter zur Sache gehört, und dem sündlichen Fleisch und Blut schwer fällt, und dem alten Adam wehe tut, das wollen wir nicht annehmen, und zwar einzig deswegen, weil der Grund und Boden unseres Herzens arg und verdorben ist, und nicht erneuert worden durch die Kraft des Heiligen Geistes, und so ist der Same des göttlichen Wortes auf steiniges Land oder unter die Dornen gefallen.

Darum tut es uns, wie ich schon gesagt habe, vor allen Dingen Not, dass wir mit großem Ernste und fleißigem Gebete, mit herzlichem Sehnen und Seufzen Gott den Herrn um seinen heiligen Geist anflehen, den wir auch zu empfangen hoffen dürfen, Kraft der Verheißung Jesu Christi selbst, der uns Johannes XIV. verheißen hat, er wolle uns einen andern Tröster senden, den Geist der Wahrheit, der ewig bei uns bleibe, und uns in alle Wahrheit leite. Solches soll uns daher billig vor Allem am Herzen liegen, damit Gottes Wort nicht nur äußerlich unter uns gelehrt und gehört werde, sondern auch durch die Wirkung des Geistes Gottes in uns lebendig werde und Nachhall in uns habe. So erzählt uns auch das Evangelium, dass die Lehre Christi ganz anders in den Ohren des armen gemeinen Volkes geklungen, als die Lehre ihrer Schreiber und Pharisäer; denn seine Lehre war gewaltig und ergriff mächtig die Herzen unter Mitwirkung der Kraft des Geistes Gottes, ohne den alles Lehren, Predigen und Disputieren nichts wahrhaft Heilbringendes wirken kann. Christus hatte oft Wortstreite mit den Pharisäern, und hat sie so geschweigt1), dass sie nichts mehr wider ihn sagen konnten, und dennoch glaubten ihrer nur wenige an seine Lehre. Paulus hat auch viel mit den Juden und Heiden gestritten, und sie ihres Irrtums gewaltig überwiesen, aber es wurden deswegen nicht alle gläubig, die ihn hörten. Ähnliches habt Ihr auch diese Tage erfahren, indem Ihr im Gespräche gehört, wie einige ihres Irrtums durch klare und unzweideutige Stellen des Wortes Gottes so überwiesen waren, dass sie gar nichts dawider mehr einwenden konnten, und wie sie dessen ungeachtet nicht ihren Irrtum bekennen, noch der Wahrheit die Ehre geben wollten, sondern fort und fort in ihrer Blindheit verharrt sind. Sie sind auch wie ich besorge, nicht da um zu lernen, oder um die christliche Wahrheit zu Tage fördern zu helfen, sondern vielmehr um ihre vorgefassten irrigen Meinigen unter einem falschen Scheine wenigstens vor den Einfältigen zu behaupten. Ehe sie sich daher gefangen geben, treten sie mit so leeren einfältigen Reden auf, die zudem zur Sache gar nichts zu sagen haben, dass es ein Spott und eine Schande ist, die köstliche Zeit so zu verschwenden, und so viele Ehrenleute damit blenden zu wollen und sie zu langweilen. Hieraus erkennen wir unwidersprechlich, dass die Wahrheit an sich selbst nicht kräftig genug ist, die Menschen gläubig zu machen, es sei denn, dass wir inwendig berührt werden durch die Salbung des Geistes Gottes, und derselbe in unsern Herzen von der Wahrheit Zeugnis gebe, denn wenn dieser Geist nicht bei uns durchbricht und uns erneuert, so sind und bleiben wir fleischlich, müssen auch fleischlich gesinnt sein, und wenn wir gleich die Wahrheit hören in geistlichen Dingen, so wird unser Herz doch nicht fähig, sie zu fassen, sondern wie es fleischlich ist, so muss es auch das Geistliche auf fleischliche Weise beurteilen, wie der heilige Paulus sagt: „der natürliche fleischliche Mensch nimmt nicht auf, was des Geistes Gottes ist.“ Der Kranke beurteilt Speise und Trank nicht nach ihrem eigentümlichen Geschmack, sondern nach der bitteren Feuchtigkeit, die er in seinem Munde hat. Menschenwort und Lehre verstehen wir wohl, denn wir sind auch Menschen und gleicher Natur teilhaftig wie unsere Mitmenschen. Daher sehen wir, dass ein Mensch dem andern durch Worte seine Leidenschaften erregt, und Einer den Andern rot oder weiß, zornig oder fröhlich redet, und solches geschieht nicht allein der gesprochenen Worte wegen, sondern vielmehr weil einer aus dem Ton, mit welchem die Worte gesprochen und aus den begleitenden Weisen und Gebärden und andern äußerlichen Zeichen abnehmen kann, wie der Eine oder andere gesinnt sei, und wie er es mit ihm meine, dieweil er auch ein Mensch und menschlich gesinnt ist. Daher kommt es auch, dass uns die Geistlichkeit und der Götzendienst so von Menschen erdichtet sind, und jetzt schon einige hundert Jahre im Schwange gegangen, ganz anmutig geschienen, denn es menschelt uns wohl an, und wir verstehen es wohl, und unser fleischlich und menschliches Herz stimmt ihm bei, und findet sich selbst darin, dieweil es von Menschen erfunden und eingesetzt ist. Darum haben wir viel Andacht dabei gehabt, und ist uns das Herz groß aufgegangen, haben wohl auch weinen mögen, wenn wir mit einer brennenden Kerze vor einem Götzen gekniet und einen Heiligen angerufen haben, vielmehr als wenn wir zu Gott und Jesu Christo seinem Sohne selbst, an die wir in der Heiligen Schrift gewiesen werden, unser Gebet verrichtet haben. Ähnliches haben wir mit vielen andern nichtigen Dingen gehabt, mit denen wir Spielereien getrieben, und um die wir uns so sehr bekümmert haben, und zwar einzig aus dem Grunde, weil unser menschlich Herz sich gar leicht in menschlichen Erfindungen finden kann, hingegen die wahrhaft wohlgefälligen Dinge, die in Wahrheit geistlich sind, und Geist erfordern, nicht zu verstehen vermag, dieweil es fleischlich ist. Daraus mögt Ihr wohl entnehmen, wie sehr es uns Not tut, durch den Geist Gottes erneuert und zu geistlichen Menschen umgewandelt zu werden, damit uns nicht fürder fleischliches und menschliches Vorgeben, sondern der geistliche Wille Gottes und sein Gesetz, die uns jetzt durch das äußere Wort offenbart werden, gefallen mögen und wir ihm in sein treues väterliches Herz hinein sehen und erkennen mögen, wie gut und gnädig er gegen uns gesinnt ist, durch Christum Jesum seinen eingebornen Sohn, den er uns aus lauter Gnade geschenkt, und mit dem er uns zu Erben seines Reiches und aller himmlischen Güter erhoben hat.

Aus diesem Allem können wir leichtlich zwei Dinge erlernen. Zum Ersten ersehen wir, dass diejenigen nur schimpfen und afterreden2), welche behaupten, man dürfe, wenn Zwiespalt sei über christliche Lehre, kein Gespräch halten, noch darüber disputieren, es sitzen denn bestellte Richter da, die nach Red und Widerrede einen entscheidenden Ausspruch tun, daran sich Parteien und Zuhörer halten müssten. Dieweil nämlich die Erkenntnis der Wahrheit (wie wir oben vernommen) nicht allein vom äußerlichen Lehren und vom Anhören des göttlichen Wortes herrührt, es wirke denn der Geist mit, dieser Geist aber nicht das Herz aller derer berührt, die das äußerliche Wort hören, so kann man sich nicht an den Ausspruch irgendeines menschlichen Richters binden, dieweil kein menschlicher Richter die Herzen in seiner Hand hat, oder den Geist Gottes zu verleihen vermag. Demnach sollen beide Parteien mit Fleiß und mit reiner Begierde nach Wahrheit anhören, und darnach Gott walten lassen, was er jedem Zuhörer ins Herz geben wolle. Es werden demnach so viele Richter darin sein, so viele Zuhörer da sind, wie auch Ihr jetzt alle, die Ihr mir zuhört, Richter meiner Predigt und Lehre seid. Ich habe Euch nicht bestellt, dass Ihr alles glauben müsstet, was ich Euch sage, und ob Ihr auch diese Bedingung eingegangen, wäre es doch vergeblich, denn Ihr glaubtet deswegen weder desto mehr, noch desto minder.

Wenn demnach jetzt auch alle Päpstler hier versammelt wären, und ein Urteil fällen würden: etwa, dass der Papst das Haupt der christlichen Kirche, oder die Messe ein Opfer für die Lebendigen und die Toten sei, so könnten wir es darum doch nicht glauben, dieweil unser Herz aus dem Grunde des göttlichen Wortes des Gegenteils berichtet und überzeugt ist. Es verhält sich damit durchaus nicht wie mit zeitlichen und weltlichen Dingen, denn wenn ein Streit über den Besitz eines Ackers oder einer Wiese sich erhebt, und niemand durch Eigengewalt seine Ansprüche geltend machen soll; so muss man es auf die Entscheidung des ordentlichen Richters ankommen lassen, damit des Zankes ein Ende werde. Wenn nun auch der Richter ein ungerechtes Urteil spricht, so ist doch nicht so viel daran gelegen, dieweil es nur ein zeitliches Ding anbetrifft. Dennoch wird deswegen die Partei, der Unrecht geschieht, nicht glauben, dass der Acker ihrer Widerpart gehöre, sondern sie wird im Herzen fort und fort dafür halten, der Richter habe schief geurteilt, und es sei ihr Unrecht geschehen. Daran liegt aber nichts, denn es glaubt manchmal einer, es geschehe ihm Unrecht, wenn ihm doch nur Recht geschieht. Auch braucht der Richter nicht jede Partei so lange über seinen Spruch aufzuklären, bis dass sie glaubt, dass ihr nur Recht geschehen sei, denn es handelt sich nicht um den Glauben, sondern um den äußern Besitz der Sache, wegen welcher sich der Streit erhoben. Wenn dieselbe nach Spruch zugeteilt ist, so lässt man jede Partei glauben, was sie will und kann, ob ihr Recht oder Unrecht geschehen sei. So verhält es sich aber nicht mit den geistlichen Dingen. Denn dieweil es sich hier allein um den Glauben handelt, und dieser aber Herzenssache ist, so kann ich meinen Glauben von keines Menschen Entscheidung abhängig machen, so dass ich mich verpflichte, zu glauben an seine Aussprüche oder Urteile. Wenn Einer aber seine Lehre so kräftig und gewaltig führen kann, dass er mich von der Wahrheit derselben überzeugt, und mein Herz ihr beistimmt, so werde ich von selbst aus Grund meines Herzens daran glauben, wo das aber nicht der Fall ist, wäre alles Versprechen vor Glaubens-Richtern trügerisch und vergeblich. So spricht auch der heilige Hieronymus 3) gegen Ende des dritten Buches wider die Pelagianer 4). Es wäre eine große Torheit, wenn ich meinen Glauben vom Urteil eines Menschen abhängig machen würde. Pelagius sagt nämlich in der Person des Cristobolus zu Hieronymus: „Lieber, sind wir Ketzer, warum verklagst du uns nicht vor dem Richter?“ Darauf antwortet Hieronymus ihm: „Weil mich Paulus einen Ketzer meiden, aber nicht verklagen heißt. Und was würde es wohl nützen, wenn ich dich verklagen würde? Denn wenn jemand urteilte, du wärest ein Christ, müsste ich's darum auch glauben?“ Die Antwort darauf ist, Nein! Dieweil ich weiß, dass du ein Ketzer bist, bedarf ich keines Richters weiter dazu, denn ich würde deswegen doch nicht glauben, dass du Recht hättest, ob du gleich einen Richter finden würdest, der dir Recht gebe. Dagegen hat Hieronymus nichts dawider, mit ihm zu disputieren, obgleich er nicht den Erfolg vom Entscheide eines Richters abhängig machen wollte. Desgleichen hat auch Christus, sowie auch Paulus oft mit den Juden disputiert, ohne Richter zum Entscheid bestellt zu haben. Sintemal sie nämlich beidseitig die Heilige Schrift annahmen, überwiesen Christus und Paulus sie oft ihres Irrtums aus der Heiligen Schrift. Wer sodann vom Geiste Gottes erleuchtet wurde, bekannte die Wahrheit und nahm sie an, und es bedurfte keines Richters dazu, wer aber nicht erleuchtet wurde, verblieb in seiner Blindheit, und es hätte ihn auch kein Richterspruch derselben entreißen können.

Gleicherweise muss es auch jetzt unter uns gehalten werden. Dieweil wir sowohl päpstlicher als evangelischerseits die Schriften des Alten und Neuen Testaments annehmen, und sie für glaubwürdig halten, so soll jede Partei ihre Ansichten aus denselben dartun, und dann soll es dem Herzen eines jeden Zuhörers freistehen, das zu glauben, was ihm Gott der Herr zu glauben vergönnen wird. Es ist dieses aber nichts Anderes als ein listiger Winkelzug der Päpstler, dass sie sich in Betreff ihrer Lehre in kein Gespräch einlassen und keine Red' und Antwort darüber geben wollen, als vor bestimmten Richtern, die nämlich ihrer Partei sein müssten. Sie vermeinen dadurch bei dem einfältigen Mann ihre Ehre gewahrt zu haben, während es nichts anderes ist, als ein Blendwerk und ein Zeichen eines bösen Gewissens. Wenn sie nämlich ihrer Lehre trauen dürften, und der Wahrheit sicher wären, würden sie ohne Zweifel gerne lehren und disputieren, wo sich nur Gelegenheit dazu böte, in der Hoffnung, Gott würde die Zuhörer erleuchten, und sie von unserer Lehre, die sie für irrig und ketzerisch halten, abwendig machen.

Zum Zweiten haben wir zu lernen, wie freundlich und brüderlich wir uns gegen unsere schwachen christlichen Mitbrüder betragen sollen. Wir sollen nicht meinen, dass weil Einer die Lehre und Predigt gehört, die auch wir vernommen, er auch das glaube könne, was wir glauben, sintemal solches nicht allein vom Hören des Wortes, sondern vielmehr von der Wirkung des Geistes, der aber nicht in gleichem Maße jedem mitgeteilt wird, abhängt. Denn wiewohl Jesus Christus das alleinige gnadenreiche vollkommene Haupt seiner Kirche ist, wie Ihr solches in den letzten Tagen in der Disputation gehört habt, so befinden sich doch noch viel blöde und schwache Glieder an seinem geistlichen Leibe, der Kirche, und viele sonst gutherzige Menschen zeigen noch große Schwäche und viele Mängel nicht allein im Meiden des Argen, sondern auch im Annehmen des Guten. So gibt ihnen ihr Gewissen nicht zu, einstmals sich vom Irrtum zu trennen, und sich an die Wahrheit zu lassen, obgleich sie sich gerne in allem des Willens Gottes befleißigen möchten. Solche sollen wir keineswegs verwerfen, sondern christlich mit ihnen Geduld tragen, wie auch Christus mit uns allen Geduld trägt, und wie auch Paulus uns vermahnt der Schwachen zu schonen. Denn wiewohl der Glaube noch schwach und klein in ihnen ist, sind sie doch gläubig und zu den Christen zu zählen, so gut als wir. Unsere Liebe soll groß, lang und weit sein, und nicht leichtlich Jemanden ausschließen oder ihn nicht für einen Bruder erkennen wollen. Solches sage ich zuvörderst und zumeist aus dem Grunde, weil Ihr seht und hört, liebe Freunde, dass jetzt einige Artikel herumgetragen werden, über welche auch die Vornehmsten und Gelehrtesten evangelischerseits unter einander zerfallen und zwieträchtig geworden sind, und in der Folge auch von den Einfältigen die Einen Diesem, die Andern einem Andern anhangen. Da tut es nun Not, mit allem Fleiß zu verhüten, dass nicht darob das höchste und edelste Kleinod brüderlicher Liebe und Treue verloren gehe, an welchem wahrlich mehr gelegen ist, als an solchen Artikeln. Und dieweil wir noch (Gottlob) in der Summe und Hauptsache unseres Glaubens eins sind, sollen wir billig Liebe und Eintracht um keine andere Streitfrage, welchen Namen sie auch nur tragen mag, zerreißen. Gott, der Herr, verhängt zuweilen in seinen verborgenen, aber gerechten Gerichten auch über die Rechtgläubigen verschiedenes Verständnis einzelner Lehren, damit einerseits das Herz der Gottlosen ob solcher Uneinigkeit mehr verblendet werde, und anderseits der Grund und die Einfalt unseres Glaubens an Jesum Christum sich bewähre. Dieser aber besteht, wie Paulus Römer X. schreibt: „Dass wir mit dem Munde Jesum bekennen, dass er der Herr sei, und glauben im Herzen, dass ihn Gott von den Toten auferweckt habe; denn so du dieses tust (spricht er) so wirst du selig.“ Und wahrlich allerliebste Mitbrüder, die Welt ist jetzt gar klug geworden, und alle Künste sind aufs Höchste gestiegen, und so ist auch Kunst und Übung in der Schrift viel gemeiner geworden, als dieses ja früher der Fall gewesen. Bei so vielen scharfsinnigen und spitzfindigen (wohl auch mitunter verkehrten) Köpfen ist wohl zu vermuten, es werden noch viele und mannigfaltige irrige Lehren aufgestellt werden, und große Entzweiung daraus erwachsen. Deshalb wird es Not tun, dass wir unsern Glauben auf einem festen und einfachen Grund bauen, auf dem wir uns festhalten können, ohne uns zu viel bekümmern zu müssen, wenn andere Lehren in Zweifel gezogen werden, und ohne Gefahr zu laufen für das Heil unserer Seelen, wenn wir nicht über alle solche Lehre ein sicheres Wissen erlangt haben. Dieser Grund wird aber kein anderer sein, als Jesus Christus selbst. Wenn wir diesen wahrhaft in unserm Herzen tragen, so werden wir sicher und getrost durch alle Irrungen und Verirrungen hindurchkommen. Glauben wir (wie oben gesagt), dass er der Herr sei, das ist, dass der Vater ihm als seinem geliebten Sohne, alle Dinge übergeben, und er unsere Sünde, ja Tod und Hölle und Alles, was uns von Gott scheiden könnte, auf sich genommen und den Tod selbst für uns gelitten, aus dem der Vater durch seine Allmacht ihn erweckt und ihn sodann über alle Dinge erhöht: so können wir, indem wir so unsere menschliche Natur mit erhöht und zu Ehren gebracht sehen, auch auf Gottes Gunst und Gnade hoffen. So wir an diesem Grunde festhalten und dessen durch den Geist Gottes in unseren Herzen fest versichert und versiegelt sind, so werden wir selig, denn darin besteht die Hauptsumme unseres Heils.

Und dessen sollen sich alle gutherzige aber ungelehrte Leute getrösten, deren viele bekümmert und kleinmütig geworden sind, wenn sie hören, dass Zwiespalt herrsche unter den Evangelischen in Betreff einzelner Artikel der Lehre. Ach Gott, reden sie, nun wissen wir nicht, wo wir daran sind, indem Einer dieses, der Andere ein Anderes lehrt; Luther lehrt, dass im Abendmahl Christi sein Blut und Fleisch wahrhaftig gegenwärtig sei; Zwingli und einige andere lehren das Gegenteil, wer kann uns nun sagen, wer Recht hat? Wir sind ganz im Dunkel und in der Verwirrung. Nein, liebe fromme Mitchristen! nicht also! Euer Heil und Eure Seligkeit wird deswegen nicht in Gefahr sein, so Ihr mit demütigen Herzen, und christlicher Bescheidenheit, ohne Bitterkeit und Frevel darin fahrt. So tut denn also! Bist du deines Bedünkens in deinem Gewissen versichert, dass die oder jene Partei Recht habe, so sei doch auch so milden Geistes und brüderlichen Herzens, dass du die Andern, welche die entgegengesetzte Ansicht haben, darum nicht verdammst, noch von deiner Liebe ausschließt, sondern sei eingedenk, wie hoch und teuer uns Christus die Liebe anbefohlen habe, und dass wir demnach Christen sein können, wenn uns gleich das Nachtmahl Christi entzogen würde. Fehlt uns aber die Liebe, so hat Christus keine Gemeinschaft mit uns; darum sollen wir billig das Höhere um des Geringeren willen nicht zerreißen, sondern stets ausharren in der Liebe, daneben aber Gott den Herrn unsern getreuen Vater anhaltend und mit Inbrunst im Namen seines geliebten Sohnes anflehen, dass er uns gnädig seinen heiligen Geist verleihen wolle, der uns in alle Wahrheit leite. Bist du aber als Ungelehrter durch solche Entzweiung der Gelehrten in Zweifel gezogen und weißt nicht bestimmt, was du hierin halten sollst, und kannst dich für keine Partei im Herzen entscheiden, so gedenk: „Wohlan gütiger Gott, dieweil Du nach Deinem Willen solches verhängst, dass die Vornehmsten und Gelehrtesten in der Heiligen Schrift (durch die Du Dein Wort und die echte christliche Wahrheit der Welt offenbart und so viel Gutes unter Deinem Volke gewirkt hast) diese Sache ungleich verstehen, und beide Teile doch glauben, dass ihre Ansicht in Deinem Worte begründet sei: so bin ich zu einfältig, um darin zu entscheiden, weiß auch nicht woran ich mich halten solle, und stehe so im Zweifel, bin aber dabei gewiss und glaube, dass Deine Worte wahr sind; wenn aber Zank sich erhebt über das Verständnis derselben, bin ich nicht in der Schrift so geschickt und geübt, dass ich mit Sicherheit dem einen oder andern Teile anhangen möchte; darum will ich es in gelassener Demut Dir anbefehlen, und mich darum mit Niemanden in Zank einlassen, sondern Dich von Herzen bitten: verleihe Gnade und Geist, damit wir zu einmütigem Verständnis der Wahrheit gelangen mögen, zu Deinem Lobe und zu unserm Heile.“ Wenn du so denkst, so habe keine Furcht, dass diese Entzweiung dir irgend an deiner Seele schade noch ihr nachteilig sei. Gott Lob sind wir auch evangelischerseits in Allem, was unser ewiges Heil und die Seligkeit betrifft, einig, so dass die Widerpart (so sehr sie es auch versucht) uns diesfalls nichts anhaben kann. Man hat das antichristliche päpstliche Reich mit großer Freudigkeit und christlichem Eifer einmütig gestürmt, den Glauben und herzliches Vertrauen zu dem einigen Christus mit größter Treue und allem Fleiße aufgerichtet. So sind wir auch einig in dem rechten Brauche des Nachtmahls Christi, dass wir damit in großer Dankbarkeit ein Wiedergedächtnis begehen seines bitteren Leidens und Sterbens, seines Leibes, der für uns dahingegeben, und seines Blutes, das für uns vergossen worden zur Abwaschung unserer Sünden. Und wir bezeugen dadurch, dass wir uns seines Tisches teilhaftig machen, dass wir uns dessen freuen und getrösten, dass uns durch ihn die Sünde verziehen sei, und dass wir auch je einer dem andern befohlen sein lassen wollen, und Liebe gegen einander üben, wie Christus sie gegen uns geübt, und sich uns mit allen seinen Gütern zum Eigentum gegeben hat, dass wir auch so einander in der Liebe ergeben wollen. Deshalb sind wir auch ferner einig in der Verwerfung aller Missbräuche, welche seit langer Zeit mit diesem Sakramente gegen den eben gemeldeten einigen Brauch geübt worden. Darum wir alle, beider evangelischer Richtungen, schreien und predigen wider die antichristliche abgöttische Pfaffenmesse, bei welcher dieses Sakrament als ein Opfer für Lebendige (wie es allein Menschen erfunden, eingesetzt und fälschlich vorgegeben haben) begangen wird. Solches geht aber ganz gegen die Einsetzung Christi, der da eine einige Übung dieses Sakramentes seines Nachtmahles eingesetzt hat, die bei allen seinen Gläubigen gemein sein solle, und nicht anders bei den Pfaffen, und anders bei den Laien, als ob es den Pfaffen etwas anderes, nämlich ein Opfer wäre, und sie damit etwas mehr vermöchten als die Laien, so doch das Nachtmahl nur Einmal und nur auf die eine Weise von Christo eingesetzt worden, der auch nicht mehrmals geopfert werden kann, er müsste sonst auch mehrmals sterben, wie Paulus sagt: „Einmal ist er geopfert worden am Stamme des Kreuzes, durch seinen lebendig machenden Tod, welches Opfer genugsam vollkommen und kräftig ist für alle diejenigen, die ihr Herz und Vertrauen darauf setzen.“ Dieses Opfers gedenken wir täglich, aber insonderheit wenn wir das Nachtmahl Christi begehen, welches aber nicht allein den Pfaffen, sondern jedem Christen zukommt, wie Ihr solches ohne Zweifel oft von Euern getreuen Predigern vernommen, und in dieser Disputation noch mehr vernehmen werdet.

Ob aber nun Jemand in Bezug auf den andern Punkt, betreffend die Gegenwart des Blutes und Fleisches Christi im Nachtmahl, bei der großen Entzweiung der Gelehrten nicht zu einer gewissen Überzeugung gelangen kann, wird er deswegen nicht von Christo Jesu ausgeschlossen sein, sofern er sich nur bei der oben angegebenen Grundlehre festhält, und sein Vertrauen auf den alleinigen Sohn Gottes setzt, also dass sein Glaube hervorbricht in einem seligen Absterben des alten Adams und sündlichen Fleisches, und in einem Aufleben der Liebe und brüderlicher Treue gegen den Nächsten, in Hoffnung und Geduld bei allen Leiden und Trübsalen dieser Zeit. Ja ein solcher Mensch wird gewiss nicht verloren gehen, es mag sich in der Welt erheben, was da wolle. O liebe fromme Christen, wie hat man sich in der ersten Kirche so wenig um die klugen und spitzfindigen Fragen bekümmert, dagegen aber den einfachen Christum einfach gepredigt, wie solches die Predigten der Apostel in der Apostelgeschichte klar anzeigen, und die Christen haben einfältig aber kräftig daran geglaubt, und ihr Leben geändert und gebessert zur Verwunderung aller Welt. Da ist es auch am besten gestanden mit der Christenheit. Wohl geschieht es in dieser unserer Zeit, dass so viele verkehrte Geister, welche die Schrift, ohne sie zu verstehen, deuten und so mannigfaltige Irrlehren vortragen, die frommen Gelehrten um Irrtümer beim gemeinen Volk zu verhüten, sich mit Dingen in Predigten und Schriften befassen, deren sie sich sonst jedenfalls entschlagen hätten. So lasst uns von Herzen beten, dass das Evangelium in uns Leben und eine Kraft werde. Wie selig wären wir, wie sehr würden wir dem Namen Gottes Ehre, wie sein Wort bei vielen Menschen beliebt machen, wenn es auch an uns, wie es im Anfange der christlichen Kirche bei vielen Menschen geschah, wirken würde, dass man in Wahrheit von uns sagen könnte: Siehe, dieser ist vormals ein leichtfertiger, üppiger Mensch gewesen, jetzt aber, nachdem er das Evangelium Jesu Christi kennen gelernt, führt er ein ehrsames, tugendhaftes, ernstes Leben. Dieser war vorher ein Wucherer, übervorteilte und betrog andere Leute um das Ihrige, jetzt teilt er auch sein Eigentum reichlich unter die Armen. Jener hat vorher sein Weib übel behandelt, und seine Kinder schlecht erzogen, jetzt aber lebt er in Frieden und in aller Gottseligkeit mit ihnen. Dieser war vorher ein neidischer Mensch, ein Bluthund, und eine Kriegsgurgel, jetzt ist er gegen alle Menschen freundlich und so friedfertig wie ein Lamm; vorher lebte er im Schlamme der Ausgelassenheit und Hurerei, war ein Säufer, Hurer, Spieler, Gotteslästerer, jetzt ist er eingezogen, lebt in großer Gottesfurcht, Zucht und aller christlicher Ehrbarkeit. Wenn das gnadenreiche Evangelium so kräftig angenommen worden wäre, würde ohne Zweifel ein großer Teil der Widerpart uns zugefallen sein; denn wenn wir schon die menschlichen Satzungen in geistlichen Dingen verwerfen, daneben aber die rechten Hauptstücke des Glaubens, der Liebe und der Geduld in unserm Leben aufweisen würden, hätten alle wohldenkenden Menschen sich darob mehr verwundert als geärgert, und eingesehen, dass es uns nicht um irgendwelchen Mutwillen zu tun wäre, dieweil wir jetzt ein viel ernsteres, strengeres Leben führen als vorher. Sie hätten daher Ursache gehabt, mit allem Fleiß und gründlich der Sache nachzuforschen, woher solches komme.

Da nun leider der größere Haufe unsererseits den Wagen vor die Rosse gespannt, und das Evangelium nur von der Seite aufgefasst, von der es ihrem Fleische zugesagt, und so daraus nur gelernt, am Freitage und Samstage, sowie zur Fastenzeit Fleisch und Eier zu essen, nicht mehr auf falsche päpstliche Weise fasten, beten, Feiertage halten, beichten, opfern und dergleichen, dabei aber ihr Leben nicht zu den rechten Früchten des Geistes gebessert, haben sie dadurch die Wohlmeinenden von der Widerpart zurückgeschreckt und ihnen großes Ärgernis gegeben. Die Böswilligen aber nehmen daraus Veranlassung, das Evangelium zu verunglimpfen und es zu verfolgen, indem sie sagen, es erwachse daraus allerlei Leichtfertigkeit und Zügellosigkeit und sie wollten in Einem Tage lernen so evangelisch sein, wie wir es seien. Da sehe nun jeder selbst zu, denn wehe dem Menschen, durch den Ärgernis kommt, und der unter dem Scheine des gnadenreichen Evangeliums, seine eigene Ausgelassenheit verbergen und beschönigen will. Es gibt viele Stücke, in denen wir einander brüderlich dulden können und sollen, dahin gehören alle „Freidinge,“ die Satzungen und Übungen, die Gott weder geboten noch verboten hat, und die wir deshalb ohne Verletzung seiner Ehre und unseres Gewissens beobachten oder unterlassen können. So verhält es sich mit dem Fleischessen, Fasten u. dgl. Da soll aber christliche, brüderliche Liebe, die allein unser Gesetz und schuldige Pflicht ist, immerhin unsere Gebieterin sein, und uns weisen, was wir mit Rücksicht auf unsern Nächsten tun oder unterlassen sollen. Was aber nicht frei steht, sondern wider Gott und wider das Vertrauen zu ihm, wider die Ordnung und Einsetzung Christi von Menschen erdichtet worden, wie die päpstliche Messe und andere Gräuel, sollen wir, nachdem wir aus dem Worte Gottes darüber belehrt worden, unverzüglich aufgeben und fahren lassen. Wir wollen demnach Gott, unsern getreuen Vater, mit allem Ernste anrufen, dass er uns gnädig und väterlich ansehen wolle, und uns seinen Geist reichlich verleihen, damit nicht allein das päpstliche antichristliche Reich umgestürzt, sondern auch das Reich Jesu Christi seines geliebten Sohnes, das da ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist und Seligkeit, aufgerichtet werde und wir nicht allein alle Missbräuche in äußeren Sachen (was das Wenigste ist) fahren lassen, sondern uns auch befleißigen eines ernsten, christlichen und Gott wohlgefälligen Lebens, und also zur Ehre seines heiligen Namens gereiche, und derselbe von uns allen ewig geheiligt werde. Denn so wir uns des einigen Hauptes Jesu Christi rühmen, und in Wahrheit in ihm begründet sein wollen, so ist es auch billig, dass wir uns als gesunde Glieder ihm gleichförmig gestalten, damit wir ihm auch wohlanstehen. Solches fordert auch der heil. Johannes in seinem ersten Briefe Kap. II., 6. „Wer da sagt, dass er in ihm bleibe, der soll auch wandeln, gleichwie er gewandelt hat.“ Solches wolle Er uns in der Kraft seines Heiligen Geistes gnädig verleihen. Amen.

1)
zum Schweigen gebracht
2)
übel nachreden
3)
Eusebius Hieronymus aus Stridon gebürtig, war seit dem Jahre 386 Vorsteher einer Mönchsgesellschaft in Bethlehem und starb im Jahre 420. Er war ein großer Mönchsfreund, und wollte schon Spuren vom Mönchstum im alten Testamente finden. Als Schriftsteller hat er meistens Streitschriften für die Rechtgläubigkeit und gegen Irrlehren verfasst, unter Andern die oberwähnte gegen die Pelagianer.
4)
(Pelagianer heißen die Anhänger des Pelagius, eines sittlich frommen Mönches aus Britannien, der 409 nach Rom kam, und im Gegensatze gegen die allgemein geltende Lehre über die Erbsünde behauptete, dass durch Adams Fall die menschliche Natur keineswegs verschlechtert sei, der Mensch also durch die Kraft seines Willens auch außerhalb des Christentums der göttlichen Gnade würdig, aber durch die Kirche in seiner Besserung gefördert und einer höheren Seligkeit im Reiche Christi teilhaftig werde.
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autoren/b/blaurer/blaurer_-_predigt_auf_dem_religionsgespraech_zu_bern.txt · Zuletzt geändert: von aj
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