Arndt, Friedrich - Nun danket alle Gott.

Arndt, Friedrich - Nun danket alle Gott.

Predigt am Silvester über Psalm 106, 1 von D. Friedr. Arndt, weil. Pastor in Berlin.

Der Herr segne und behüte unseren Ausgang und unseren Eingang von nun an bis in Ewigkeit. Amen.

Text: Psalm 106, 1.

Dankt dem Herrn, denn Er ist freundlich und seine Güte währt ewiglich.

Es ist heute das vierundzwanzigste Mal, dass wir in dieser unserer Kirche Silvesterabend feiern. Als der erste Silvestergottesdienst gehalten wurde, fand er gleich solchen Anklang, dass seine Fortsetzung geboten war; wenn Gott uns Leben und Gesundheit erhält, können wir das nächste Jahr das Jubiläum dieser gottesdienstlichen Feststunden begehen. So oft wir es gefeiert, haben wir es mit dem Tedeum unserer evangelischen Kirche beschlossen, mit dem Gesange jenes Volksliedes, das wir bei allen vaterländischen und kirchlichen Festen zu singen pflegen, das jedes Kind schon in der Schule lernt, und das selbst denen bekannt ist, welche kein anderes Lied auswendig wissen: „Nun danket alle Gott.“ Aber noch nie haben wir diesen Festpsalm unserer Kirche zum Gegenstande einer gründlichen Betrachtung gemacht. Und doch ist es gut und nötig, dass wir wissen, was wir singen, damit wir es mit ganzer, voller Seele und mit Aufrichtigkeit und Wahrheit singen können. Lasst uns denn diesmal unseren Jahresschluss mit der näheren Erwägung des ersten Verses dieses Liedes weihen und würzen, und unseren Silvesterdank, ehe wir ihn aussprechen, überdenken, und uns von jenem Verse belehren,

1. wer heute zu danken habe,
2. wie sein Dank beschaffen sein müsse und
3. wofür er zu danken verpflichtet sei.

1.

Das Lied: „Nun danket alle Gott,“ ist in seinen beiden ersten Versen eine dichterische Umschreibung der Verse Sirach 50, 24-26.: „Nun danket alle Gott, der große Dinge tut an allen Enden, der uns von Mutterleibe an lebendig erhält, und tut uns alles Gutes. Er gebe uns ein fröhliches Herz, und verleihe immer Friede zu unserer Zeit in Israel, und dass seine Gnade stets bei uns bleibe, und erlöse uns, solange wir leben.“ Der Verfasser dieses Liedes ist M. Martin Rinkart, von 1617 bis 1649 Prediger zu Eilenburg in der jetzigen Provinz Sachsen. Er hatte die schweren Zeiten des dreißigjährigen Krieges von Anfang bis zu Ende durchlebt; auf dem platten Lande war alles zertrümmert und verheert worden, ganze Dörfer waren spurlos von ihrer Stelle verschwunden, und das Landvolk war in den Städten zusammengedrängt. Da war denn im Jahre 1637 eine furchtbare Pestseuche ausgebrochen, der ganze Rat der Stadt starb bis auf drei Personen aus, die beiden andern Geistlichen wurden hingerafft, wenige Schulkinder blieben noch übrig, an manchen Tage fielen vierzig bis fünfzig Menschen der Seuche zum Opfer, nicht weniger als 8.000 Personen starben in der kleinen Stadt in diesem Jahre. Rinkart hatte allein das schwere Amt, die Toten zu Grabe zu geleiten, täglich dreimal führte ihn sein Beruf auf den Gottesacker, auf welchem dann immer zehn bis zwölf Personen in einer Grube zusammen verscharrt wurden. Gott der Herr erhielt ihn aber bei voller Gesundheit, so dass ihm, wie die Chronik schreibt, kein Finger wehe tat. Im folgenden Jahre 1638 wurde Eilenburg von einer schrecklichen Hungersnot heimgesucht, bei welcher viele wieder den Hungertod starben. Der Scheffel Roggen galt zehn Taler und war oft um diesen Preis nicht zu erhalten. Die Not war so groß, dass zwanzig, dreißig Menschen einem Hunde oder einer Katze nachliefen, um sie zu fangen und zu schlachten, und um eine tote, aus der Luft herabgefallene Krähe sich oft noch mehr Personen schlugen, dass rings um den Graben der Stadt Feuer brannten, bei denen an hölzernen Spießen die nach Nahrung Schmachtenden ein Stück Aas brieten, das sie sich auf dem Schindanger abgeschnitten hatten, und vom Morgen bis zum Abend in den Straßen das Klagegeschrei des in den Düngerhaufen wühlenden armen Volkes vernommen wurde. Rinkart bewährte auch hier seine Treue; er und einige andere Menschenfreunde ließen wöchentlich einige Male Brot verteilen, und es waren manchmal 800 Menschen zu dem Ende vor seiner Tür versammelt, die es empfingen. -

Im folgenden Jahre 1639 wurde er abermals der Schutzengel seiner Vaterstadt, als am 21. Februar der schwedische Oberstleutnant v. Dörfling die große Summe von 30.000 Gulden von Eilenburg unter heftigen Drohungen zu erpressen suchte; auf Rinkarts flehentliche Bitte begnügte er sich endlich mit 2.000 Gulden. Alle diese aufopfernde Liebe wurde ihm jedoch mit schmählichem Undank vergolten: ein sprechendes Zeugnis von der traurigen Verwilderung jener Zeit! - Endlich nach all dieser inneren und äußeren Drangsal, nachdem die Hälfte der Einwohner Deutschlands ausgestorben, der Wohlstand von Millionen zerrüttet und ganze Strecken meilenweit in Wüsteneien verwandelt worden waren, nachdem alle des Krieges satt und müde geworden waren und sich nach Frieden sehnten, nahte sich der westfälische Friedensschluss, man atmete wieder auf, ein heißes, allgemeines Verlangen war erfüllt. Da dichtete Rinkart sein allbekanntes Friedensschlusslied: „Nun danket alle Gott,“ und es wurde wahrscheinlich zum ersten Mal am 10. Dezember 1648 beim allgemeinen Friedensdankfest in der Eilenburger Kirche feierlich mit Pauken- und Trompetenbegleitung gesungen.

Wie oft ist es seitdem wieder und wieder gesungen worden, und verdient es, weil es nicht, wie so manches Lied, bloß gedacht und gedichtet, sondern erfahren und durchlebt worden ist! Wie oft haben wir selbst es schon in unserem Leben mit immer gleicher Erhebung gesungen! Auch heute wird es wieder ertönen. Möge kein Herz schlagen in dieser großen Versammlung, das nicht hoch und warm schlüge, wenn die mächtig anschwellenden Töne der Orgel uns zu diesem Hochgesange auffordern! Ich sage: kein Herz; denn wen fordert der Dichter auf zum Dank gegen Gott? Alle ohne Unterschied und Ausnahme, Alt und Jung, Groß und Klein, die noch einen langen Weg vor sich haben und diejenigen, die schon mit einem Fuße im Grabe stehen: „Nun danket alle Gott;“ wir alle sind Gott dem Herrn Dank schuldig.

Wann pflegen wir denn zu danken? Unstreitig, wenn uns etwas ist geschenkt worden. Nun aber hat uns Gott wieder ein Jahr geschenkt und die Bitte des Weingärtners erhört über den unfruchtbaren Feigenbaum: „Herr, lass ihn noch dieses Jahr, dass ich um ihn grabe und bedünge ihn, ob er wolle Frucht bringen; wo nicht, so haue ihn danach ab.“ Ein Jahr ist eine lange Gnadenzeit, reich an Gnadenmitteln, sie zu benutzen, reich an Gelegenheiten, Gutes zu lernen und zu tun, reich an Mahn- und Weckstimmen Gottes zur Buße und Bekehrung. Sie haben auch in diesem Jahre nicht gefehlt, Gott hat uns durch alle Drangsal und Gefahr gnädig hindurchgeholfen, hat den Leuchter seines Wortes nicht von seiner Stätte hinweggestoßen, hat seine Barmherzigkeit nicht vor Zorn verschlossen, hat uns nicht mitten in unseren Sünden und in unserer Sicherheit durch einen jähen, plötzlichen Tod hinweggerafft. Er hat uns diesen Abend noch erleben lassen, und wir dürfen seine letzten fliehenden Stunden festhalten, ausfüllen, heiligen durch Wort Gottes, Gesang und Gebet: o, geliebte Zuhörer, muss es da nicht heißen: Nun, an dieser gegenwärtigen Grenze, an diesem Ebenezer, nun dankt alle Gott; dankt dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währt ewiglich?

Unser Dank wird noch mehr unsere Pflicht, wenn wir uns bewusst sind, dass wir die empfangene Gabe nicht verdient haben. Wer darf denn wagen, in Gegenwart des heiligen und allwissenden Gottes zu sagen: Ich habe verdient zu leben? Dass ich da bin und Gott mich erhält und segnet, ist seine Schuldigkeit? Auch das Leben ist ein geliehenes Gut, ein Gnadenpfund, und der Herr hat Recht und Macht, mit dem Seinen zu tun, was er will. Wenn er das Leben verlängert, so ist es nur Gnade. - Der Dank erhält einen neuen Anstoß, wenn wir uns gestehen müssen: mit diesem Geschenk sind wir bevorzugt vor vielen Tausenden unserer Mitmenschen. Wie mancher hätte so gern diesen Jahresabend noch im Kreise der Seinen verlebt: vergebens, der Tod rief, und er musste folgen! Wie mancher hätte gern noch manche Anordnungen und Anstalten getroffen zu seinem Abschiede, wenn er seine Nähe geahnt hätte: umsonst, es war zu spät, wie in einem Fluge war er dahin. Zeit, Ebbe und Flut wartet auf niemand; und wer die Zeit verspielt, verspielt auch die Ewigkeit. Tausende sind zu unserer Rechten, Zehntausende zu unserer Linken gefallen, wir stehen noch; wir wissen nicht, wie lange, aber noch stehen wir, noch feiern wir Silvester, noch haben wir Zeit und Gelegenheit, mit Furcht und Zittern zu schaffen, dass wir selig werden, noch können wir uns zum Herrn bekehren, wenn wir es noch nicht getan haben, noch manches Versäumte nachholen, manches Unrecht wieder gut machen, mit manchen Beleidigten uns versöhnen, manche Wunde heilen, manche Träne trocknen; noch heißt es: Jetzt ist die angenehme Zeit, jetzt ist der Tag des Heils. O, lasst uns diese angenehme Zeit benutzen, weil wir sie noch haben; lasst uns dem Herrn dafür danken, dass wir sie noch haben; lasst uns alle, alle einstimmen und uns gegenseitig dazu ermuntern: Nun danket alle Gott; dankt dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währt ewiglich.

„Wirklich alle? Auch die Armen, die nur aus der Hand in den Mund leben, und deren Leben nur Entbehrungen kennt, selbst des Notwendigsten? Auch die Kranken, die von ihrem Schmerzenslager nur tage- und stundenweis aufstehen? Auch die Verlassenen, um die sich kein liebendes Auge und keine liebende Hand bekümmert? Auch die Betrübten, welche schwere, unersetzliche Verluste erlitten und ein wehmütiges Weihnachtsfest gefeiert haben, weil manch teures Haupt ihnen gefehlt hat?“ Ja, alle, auch sie; denn andern ist es noch viel schlimmer ergangen, und wie viel sie auch vermissen, sie entbehren doch nicht alles: es ist ihnen doch noch geblieben das höchste göttliche Gut: die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes, so wie das höchste menschliche Gut: der Glaube, die Liebe und die Hoffnung, und damit Trost in jedem Schmerz, Reichtum in jeder Armut, Hilfe in jeder Not und Besitz und Genuss bei jedem Verlust. Zu bedauern wären sie nur, wenn sie diese offenstehenden geistlichen Güter und himmlischen Segnungen nicht kennten oder sich weigerten, sie anzunehmen; aber das wäre nur allein ihre, und nicht Gottes Schuld; klagen müssten sie dann über sich selbst, aber Gott dem Herrn allezeit danken, der auch nach ihnen seine Hände ausstreckt Tag und Nacht und keins seiner Kinder will verloren gehen lassen. Es bleibt also bei der Ermunterung: Nun danket alle Gott; dankt dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währt ewiglich.

2.

Wie muss aber unser Dank beschaffen sein, wenn er rechter Art sein soll? „Mit Herzen, Mund und Händen.“ Der rechte Dank ist der tiefgefühlte Herzensdank; ist das Herz voll Dankes, dann geht von selbst der Mund davon über und falten sich die Hände oder erheben sich zum Herrn, und wollen wir unter den Händen die Handlungen, die guten Werke, besonders die barmherzige, tätige Liebe verstehen, so bleibt auch diese Äußerung des Dankes nicht aus. Ein volles Herz öffnet allezeit Mund und Hand. - Wer von Herzen dankt, ist ja ein glücklicher Mensch, eben sein Dank macht ihn so glücklich, und dieses Glück ist dem Dankenden schon im Gesicht zu lesen. Wer von Herzen dankt, ist ein demütiger Mensch, und die Demut, die sich der empfangenen Gaben nicht wert hält, steigt von der Gabe zum Geber empor, und hat beides, die Gabe und den Geber. Wer von Herzen dankt, ist aufrichtig in seiner Tat, und den Aufrichtigen lässt's der Herr gelingen. Wer von Herzen dankt, ist zufrieden und genügsam; auch die geringfügigste Wohltat macht ihn über alle Maßen froh; er ist nicht lüstern nach Mehr und Größerem; er kann nimmer klagen und murren; denn über das viele Gute sieht und fühlt er gar nicht mehr das Böse, und wenn ihm auch Leib und Seele verschmachtet, so ist doch der Herr sein bester Trost und sein Teil; er übt und erfährt an sich selbst den Rat des Dichters: „Wenn du Gott wolltest Dank für jede Lust erst sagen, so fändest du nicht Zeit, noch über Weh zu klagen.“ Wer von Herzen dankt, macht sein Herz zu einem Tempel Gottes, und etwas Höheres und Heiligeres kann er nie daraus machen; übt die rechte Betkunst, weil Dankbarkeit zu allen Arten Gebet treibt und sie heiligt, wie der Apostel sagt Philipper 4, 6.: „Lasst eure Bitte im Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden;“ macht sein Herz den Engeln ähnlich, denn diese erscheinen in der Offenbarung allezeit mit Harfen in den Händen. Der Dank ist unter den vier Opfern, welche die Heilige Schrift erwähnt, dem Opfer des Blutes Christi, dem Opfer des gebrochenen Herzens, dem Opfer der Almosen und dem Opfer der Danksagung dasjenige, welches ewig währt.

Der Dank des Mundes und der Hand ohne den Dank des Herzens wäre nur ein tönend Erz oder eine klingende Schelle.

Überdies pflegen wir zu sagen: Was von Herzen kommt, geht wieder zu Herzen. Schon bei Menschen ist das der Fall. Wer kann einen Weinenden sehen, ohne mit ihm zu weinen? Wer kann einen danken hören, so recht innig und aus Herzensgrund, ohne sich gedrungen zu fühlen, ihm mehr und neues Gute zu erweisen? Wie viel mehr erst bei Gott! Wenn unsere beweglichen Herzensbitten ihm schon das Herz abstoßen, dass er sich unserer erbarmen muss, was werden erst unsere Dankgebete bei ihm ausrichten! Er selbst hat's ja gesagt: „Wer Dank opfert, der preist mich, und das ist der Weg, dass ich ihm zeige mein Heil.“ Könnten wir sein Gottesherz sehen, wie es wallt und flammt, brennt und glüht, wenn ein dankend Menschenherz sich seinem Throne nähert, und sich in Liedern im höheren Chor vor ihm ausschüttet, wir würden uns immer mehr in diese Stimmung hineinleben und hineinüben, um Gott uns recht wohlgefällig zu machen; denn Luther sagt mit Recht: „Der frommen Christen eigentliche Tugend und höchster Gottesdienst ist es, dass sie Gott danken, und dasselbige tun von ganzem Herzen, welche Tugend sonst kein Mensch auf Erden vermag.“ Wir hören so gern Musik, und die Stimme der Menschen ist uns noch lieber als die schönsten Töne der Instrumente, wie ergreifend ist uns jedes Mal der ausdrucksvolle Gesang eines Liedes, namentlich eines Chorals! Gott aber ist ein Gott der Musik, alle Tage hält er Konzert in allen Höhen und Tiefen des Weltalls, und hat sich Sänger und Melodien gar reich und mannigfach geschaffen. Wie muss es ihn erfreuen, wenn unsere Stimme nicht fehlt im großen Konzert der Welten zu seiner Ehre, die wir mehr dazu berechtigt und verpflichtet sind als irgendeine Kreatur; wenn wir uns ermahnen mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen, lieblichen Liedern und singen und spielen dem Herrn in unseren Herzen! So stimmt denn heute an: „Nun danket alle Gott, mit Herzen, Mund und Händen,“ und zwar so, dass ihr eure ganze Seele, eure volle Überzeugung, eure glühende Liebe, euren lebendigen Glauben, eure tiefgefühlteste Dankbarkeit hineinlegt, dass ihr einen Wettstreit darin mit den Engeln eröffnet, wie das Lied sagt: „O, dass ich tausend Zungen hätte und einen tausendfachen Mund, mit allen Engeln um die Wette lobt ich dann Gott aus Herzensgrund, denn was der Herr an mir getan, ist mehr, als ich erzählen kann,“ dass ihr mit dem Chore aller Gläubigen in allen Jahrhunderten das freudige Bekenntnis ablegt: „Das alte Jahr vergangen ist, wir danken Dir, Herr Jesu Christ, dass Du uns aus so vieler Gefahr behütet hast manch Zeit und Jahr.“ Fühlt es, dass, wie ihr alles von und durch Gott habt, ihr auch alles für ihn besitzt, und alle eure Zeit, eure Gaben, eure Güter, eure Worte und Taten ihn verherrlichen müssen, dass jeder Blick eurer Augen ein Blick voll Dank, jeder Schlag eures Herzens ein Pulsschlag des Dankes, jedes Wort eures Mundes, jede Tat eurer Hände eine Äußerung eurer Dankbarkeit sein müsse, dass ihr ihn nie genug loben und ihm danken könnet und über nichts so traurig sein müsst, als darüber, dass es so wenig geschieht und so oft vergessen wird. Dankt ihm am Ende unseres Gottesdienstes, dankt ihm beim Ausgang aus der Kirche, dankt ihm bei der Rückkehr in eure Häuser, dankt ihm, wenn ihr euch zur Ruhe niederleget, dankt ihm, wenn ihr um Mitternacht noch wach sein solltet, dankt ihm beim Eintritt ins neue Jahr und dann alle Tage und Jahre eures Lebens.

3.

Wofür haben wir zu danken dem Herrn unserem Gott? Das war unsere dritte Frage. Rinkart fährt fort: „Der große Dinge tut an uns und allen Enden.“ Etwas Großes war ja damals die Errettung aus so vielen und großen Gefahren und das Aufhören der Verwüstung und des Blutvergießens. Was für große Dinge hat der Herr aber an uns getan! Ist die wunderbare Erlösung der so tief gefallenen Menschheit durch die Menschwerdung, das Leben, Leiden und Sterben des Sohnes Gottes, dieses Werk, das die Verwunderung der Engelwelt und die entsetzlichste Bestürzung des Höllenreiches erregte, und seine segensreichen Wirkungen fort und fort in immer größeren Umkreisen im Himmel und auf Erden ausdehnt, dieses Werk, das vorher kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hatte und das in keines Menschen Herz gekommen war, das aber Gott bereitet hat denen, die ihn lieben, nicht ein großes Ding? Ist die fortgehende Verkündigung dieser Erlösung und die wachsende Aneignung derselben durch den Glauben, dieser stille und doch so sichere Sieg über alles Widerstreben der Menschen nicht ein großes Ding? Ist der in diesem Jahre bei den kriegerischen Gelüsten und Leidenschaften unserer Nachbarvölker so mühsam erhaltene Weltfriede, ist die bei der glühenden Hike so reichlich ausgefallene Ernte und die Bewahrung unseres Volkes vor gefährlichen und ansteckenden Krankheiten nicht ein großes Ding? Was vom großen Gott kommt, muss immer groß sein und zu dem großen Bekenntnis auffordern: „Dir, Herr, ist niemand gleich, du bist groß und dein Name ist groß, und kannst es mit der Tat beweisen. Der Herr hat Großes an uns getan, gelobt sei er!“ Groß ist vor allem und besonders seine Langmut und Geduld, mit der er uns trägt und die längst verdienten Strafgerichte von einem Jahr zum andern aufschiebt. Wahrlich, von einem vor zwei Jahren so ungewöhnlich begnadigten Volke, wie dem unsrigen, das um dieses göttlichen Segens willen den Neid aller Nachbarvölker erregt hat, hätte er einen andern Dank erwarten können, als der ihm zu teil geworden ist; denn was hat sich gezeigt? was zeigt sich bei uns alle Tage? Statt wachsender Gottesfurcht und Kirchlichkeit die sichtbarste Abnahme derselben und zunehmende Unkirchlichkeit; statt größerer Heiligung des Sonntags immer schmählichere Entheiligung; sonst war nur der vierte Adventssonntag ein Tag des Kaufens und Verkaufens, Handels und Wandels, dies Jahr ist es sogar der dritte auch schon geworden; statt Anerkennung dessen, was Gott der Herr an uns getan hat, Verleugnung seiner Macht und Gnade, öffentliche schamlose Gotteslästerung, Verhöhnung und Verspottung der heiligsten Gefühle und Gesänge; statt besserer Zucht und guter Sitte grenzenlose Liederlichkeit, Unsittlichkeit, Unsicherheit und Lasterhaftigkeit; und wie viel unsittliche und schamlose Neujahrswünsche und Bilder mögen in diesen Tagen wieder gekauft und verkauft werden zur Schmach der Buchhändler und der Käufer, und wie viel Leichtsinn und Rohheit wird diese Nacht wieder offenbar machen!

Wahrlich, es kann einem Bange werden um die Zukunft unserer Stadt und unseres Vaterlandes, und manchmal das apostolische Wort einfallen: Es ist nahe gekommen das Ende aller Dinge. Muss Gott, der Heilige und Gerechte, nicht Angesichts solches Gebarens herabrufen vom Himmel: Dankst du also dem Herrn, du toll und töricht Volk? Und noch immer trägt er uns mit Geduld, noch immer sind die Schalen seines Zornes nicht voll, noch immer warten die Engel der Rache auf seinen Wink, sie auszugießen über den Erdball, noch immer ist seine Güte alle Morgen neu und seine Barmherzigkeit so groß.

„Es muss ein gutes Herze sein,
das uns so hoch kann lieben,
da wir doch in den Tag hinein,
was gar nicht gut ist, üben;
du kannst nicht anders sein denn gut,
daher fließt deiner Güte Flut
auf alle deine Werke“ 1)

auch auf uns, die Unwürdigen, die Entarteten und Abgefallenen, die Lauen und Trägen, die Vergesslichen und Undankbaren in jeder Beziehung! - Tut der Herr aber so große Dinge an uns und allen Enden, sagt selber, müsste da nicht auch groß unser Dank, groß unser Verlangen sein, Ihm heut aus Herzensgrunde zu danken?

Seit wann erweist er uns so große Dinge? „Der uns von Mutterleib und Kindesbeinen an bis diesen Augenblick unzählig Guts getan.“ Tretet denn vor uns auf, wie es sich ziemt in der Scheidestunde des Jahres, ihr vergangenen Tage unseres Lebens! Was sehen wir? Am Anfange dieser unserer Laufbahn einen geöffneten Himmel, eine ausgebreitete Gnadenhand, ein ausgestelltes Dokument unserer Kindschaft, ein Unterpfand ewiger Liebe und Erbarmung im Sakrament unserer Taufe! Wir suchten den Herrn nicht, da suchte er uns zuvorkommend und bot uns nicht nur seine Gnadenhand an, er zog uns auch an und in sein Herz. Wir kannten ihn noch nicht und fragten nicht nach ihm; er aber schrieb schon unsere Namen in die Bücher des Lebens und darunter die Verheißung: „Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen.“ - Was sehen wir weiter? Es ist Lebensfrühling geworden, unsere Pulse schlagen höher und es öffnet sich unsere eigentliche Laufbahn: hat uns der Herr ohne sein Geleit in die versuchungsreiche Zukunft eintreten lassen? O nein, wieder ein offener Himmel, ausgebreitete Gottesarme und ein Blut der Versöhnung, von innigen Gebeten, Bekenntnissen und Gelübden ergriffen, und eine Vermählung unserer Seele mit der Liebe aller Liebe in den festlichen Tagen der Konfirmation und des ersten Abendmahls. Wenn je, so war das der Zug des Vaters zum Sohne und der Vorgenuss des reichen Himmels schon auf der armen Erde. Es kam des Lebens Sommer und Herbst: welch eine Kette neuer unzähliger Wohltaten! Segen im Hause und im Berufe, Errettung aus Gefahren, Erhaltung der Unsrigen, heilsame Demütigung, Trost im Leiden, Warnung vor der Sünde, Stärkung im Guten, Hilfe und Förderung im Glauben und christlichen Wandel, in jeder zeitlichen Wohltat eine Verheißung der ewigen Seligkeit; fürwahr, er hat nichts unterlassen, uns zu erleuchten, zu raten, zu halten, zu segnen, zum Himmel zuzubereiten. Auf jedem Irrwege begegnete er uns und rief: wohin? An jedem Abgrund stellte er sich uns in den Weg und sprach: kehre um. Widerstrebten wir nicht, so erfuhren wir Gebetserhörungen, Glaubenswunder, Gottestaten die Hülle und Fülle. Wie, da der Herr nicht müde geworden ist, uns wohlzutun, dürfen wir müde werden, ihm zu danken? Können wir noch einen Augenblick fragen: wofür? Muss unser Dank nicht ein lebenslänglicher, ein immer wachsender, ein ewiger Dank sein? Je mehr er uns von Mutterleibe an Gutes getan hat, desto lieblicher müssen unsere Harfentöne klingen, desto mehr glühende Kohlen und köstlichen Weihrauch müssen wir auf das Rauchfass unserer Dankgebete schütten. Das Jahr stirbt, aber Gottes Wohltaten nicht, sie gehen mit hinüber in die neue Zeit und in die Ewigkeit. Darum lobt den Herrn, ihr Engel ihr starken Helden, die ihr seinen Befehl ausrichtet, dass man höre die Stimme seines Wortes! Lobet den Herrn, alle seine Heerscharen, seine Diener, die ihr seinen Willen tut! Lobet den Herrn, alle seine Werke, an allen Orten seiner Herrschaft: Ja,

Lob, Ehr und Preis sei Gott,
Dem Vater und dem Sohne,
Und auch dem Heil'gen Geist
Im hohen Himmelsthrone,
Dem dreieinigen Gott,
Als der im Anfang war
Und ist und bleiben wird
Jetzund und immerdar. Amen. 2)

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/a/arndt_f/arndt-nun_danket_alle_gott.txt · Zuletzt geändert: von aj
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain