Angelroth, Johann Georg - Das Abendmahl ein Mahl der Gemeinschaft.
Beichtrede über Joh. 17, 22. 23 im Advent gehalten von P. Angelroth, Pfarrer in Kötzschen.
Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Das ist zwar zunächst kein Adventstext, vielmehr ein Passionstext, aber es liegt gleichwohl in ihm ausgesprochen das tiefste Adventsgeheimnis vom seligsten Seelenadvent. Zu diesem Advent baut uns ja die Passion des Herrn die Brücke, und das Abendmahl lässt uns ihn selbst erfahren und bringt uns so dessen Verständnis und Erkenntnis. So werden auch in dieser kurzen Stunde der Vorfeier unter dem Anhören und Erwägen dieses Wortes Adventsgedanken bei euch erwachen, welche erinnern an die innige Vereinigung mit dem Herrn, die durch das heilige Abendmahl vollzogen wird, und aus dieser erfahrenen Gnadengemeinschaft heraus werdet auch ihr in den alten und doch immer neuen Lobgesang einstimmen: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, Hosianna dem, der da kommt, uns zu umfangen, ja sich mit uns zu vermählen in Gerechtigkeit und Gericht; denn das heilige Abendmahl ist ein Mahl der Gemeinschaft.
Unser Text gehört zu jenem hohenpriesterlichen Gebet, über welches man unendlich viel und doch wieder sehr wenig sprechen kann; unendlich viel, denn seine Tiefe ist unerschöpflich, so dass ein Alter sagt: „in der ganzen Heiligen Schrift ist dieses Kapitel dem Wortlaut nach das leichteste, dem Sinne nach das tiefste“; sehr wenig, weil es nicht für menschliche Auslegekunst vorhanden ist, sondern mehr dazu, um still im Herzen empfangen, erfahren und durchlebt zu werden. So kann es sich für uns nicht um Auslegung, sondern um Hervorkehrung und Beherzigung etlicher Gedanken aus seiner Fülle handeln; Rüstgedanken auf das Mahl des Herrn.
Zwei Blicke des Herrn sind es, die uns hier begegnen. Einer ruht auf der Vergangenheit, der andere auf der Zukunft; einer auf seiner Gabe, der andere auf deren Wirkung; der eine auf dem, was wir empfangen, der andere auf dem, was wir dadurch werden sollen. So sind wir ganz mit Geben und Empfangen, mit Sein und Werden an den Herrn gebunden, und es durchzittert uns der Gedanke: Ohne mich könnet ihr nichts tun. Was hat er gegeben? Seine Herrlichkeit. Und nicht etwa seinen Jüngern allein, sondern auch denen, die durch ihr Wort an ihn glauben, also allen christgläubigen Abendmahlsgenossen gewährt er dasselbe Gut. Wie er es damals gebetet, im heiligen Abendmahl versiegelt, so tut er's noch heute in jedem Nachtmahl. Was mag das aber für eine Herrlichkeit sein, die er nicht bloß offenbart, nicht bloß sehen lässt, sondern die er gibt? Es ist die Herrlichkeit des Sterbenden, und doch auch wieder die Herrlichkeit des Auferstandenen. Die Herrlichkeit der Gnade, durch die wir versöhnt sind, wie sie leuchtet aus dem Worte „Für euch“, sie macht uns angenehm vor Gott. Die Herrlichkeit des Leidensgehorsams „nicht wie ich will, sondern was du willst“, sie macht uns stille und leidenswillig. Die Herrlichkeit des betenden Überwinders: „Vater vergib“, - sie macht uns gebetstreu und innig: Vergib, ja vergib auch unsern Schuldigern.
So verleiht er uns die Herrlichkeit des Sterbens, dass wir selbst allem Wünschen und Begehren, aller Lust und Sünde absterben lernen in täglicher aufrichtiger Buße. Und doch wär's das nur und weiter nichts, so wär's eine Herrlichkeit mehr zum Weinen als zum Jubeln. Nein, seine Herrlichkeit ist auch die der Auferstehung. Durch den Auferstandenen allein können wir geistlich auferstehen. Von ihm ins Leben gerufen, ist uns das weiche Bett der Weltlust und Weltfreude zu hart geworden, und wir verlangen nach einer Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.
Seine Siegerherrlichkeit ist es, die uns sieghaft macht über die Bitterkeiten und die Sorgen, die Angst und die Not des Lebens, ja über Sünde und Tod. Mit dieser Gabe in den Händen können wir fröhlich rühmen: Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus. Und die Herrlichkeit seiner Gnadennähe macht uns nicht nur glaubensgewiss, sondern fröhlich und unverzagt auch im dunklen Tal. Und wo gäbe er dir das alles so spürbar und greifbar, als im heiligen Abendmahl, wo er herrlicher ist als unter den Cherubim auf der Bundeslade, selbst gegenwärtig mit seinem Leibe und Blute? Hier bietet er uns an seinen Arm und seine Kraft, sein Verdienst und seine Fürbitte, seine Freude und seinen Frieden, sein Herz und sein Leben, ja seine Gottheit und seine Menschheit. - So schicke dich, Israel, zu begegnen dem Herrn der Herrlichkeit!
Aber er gibt sie nur, damit aus dir etwas, ja etwas Ganzes werde, sein eigen, ja eins sein untereinander, mit ihm. „Ein einig Volk von Brüdern“ stellt das Textwort vor unsere Augen, erkauft mit einem Blute, gesalbt mit dem einen Geiste, verbunden durch das eine Band der Liebe, erbaut auf dem einen Grunde: „ein Herr, ein Glaube, eine Taufe“, nachstrebend einem Berufe der Heiligung. Da muss denn draußen bleiben aller Neid und Streit, aller Zorn und Zank, alle Zwietracht und Unversöhnlichkeit, die sonst das Leben so bitter und die Tage so freudlos machen, die sonst die Herzen so erkalten und die Menschen einander so entfremden. Steht ihr also vor dem Herrn? Ja, freut euch, er will heute das Abendmahl mit euch halten, aber freut euch mit Zittern, denn nur mit denen wird er es halten als ein Segensmahl, die das Haus ihres Herzens mit Besen gekehrt und geschmückt haben, die sich selbst nicht schonen, die den Raum schaffen, damit er selbst, der Herr, Einzug halte bei ihnen, und sie so eins werden mit ihm. Nur durch ihn werden wir auch eins untereinander. Wer will die Tiefen dieses Wortes ausreden: „ich in ihnen und du in mir vollkommen in eins?!“ Das ist wahrlich nicht Menschen, nicht Engels-, das ist Gottesgemeinschaft, durch die wir gekleidet werden in die Herrlichkeit dessen, welcher ist das Ebenbild Gottes leibhaftig.
Das ist Glaubensgemeinschaft, von der St. Paulus schreibt: „was ich nun lebe in Fleisch, das lebe ich im Glauben des Sohnes Gottes.“ Das ist Liebesgemeinschaft, von der St. Johannes sagt: „wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Das ist Lebensgemeinschaft, wie sie Christi eigenes Wort uns darstellt: „wer mein Fleisch isst und trinkt mein Blut, der hat das ewige Leben.“ Ja, er denkt, redet, betet, arbeitet in uns und schafft, dass unser Wandel auf Erden dennoch ist im Himmel. Welch wunderbare Kraft in diesem Mahl, in dieser Kost! Welche Macht verleiht es mir, welche Ruhe verschafft es mir, welche Verklärung um mich her: ich bin nun ganz in ihm! So wie ihr's oft gesungen:
Ich bin nicht mehr der meine,
Denn ich lebe ganz in dir.
Du bist auch nicht mehr der deine,
Denn du lebst ganz in mir.
Jesu, Jesu, du bist mein,
Jesu, Jesu, ich bin dein,
Glaubenskraft und Liebesflammen
Halten mich und dich zusammen. 1)
Staune nur über deines Heilands Herablassung, dass er geworden ist wie unsereins, aber auch über sein Liebesverlangen, nach welchem er begehrt zu sein in dir, damit du seiest in ihm. Und wenn's dich drücken will, als müsstest du in deiner Gestalt ohne Scheu ihm sagen: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehest - so werde nur nicht müde, ihn dennoch mit dem Liedesworte gläubiger Sehnsucht zu bitten:
Jesu, komm‘ doch selbst zu mir
Und verbleibe für und für;
Komm‘ doch, werter Seelenfreund,
Liebster, den mein Herze meint. 2)
Er erhört dich gewiss. - Amen.