Baxter, Richard – Selbstverleugnung - Das X. Capitel.

Etliche wichtige Consectaria oder Folgen.

Es ist die Selbheit so gemein und maechtig in der Welt / daß es einen vernuenfftigen und verstaendigen Mann gnug ueberweisen kan / die Lehre vom Fall des Menschen / und von der Erbsuende und verderbten Natur sey wahr / gegen alle Einwuerffe / die alle Socinianer und Pelagianer dagegen machen koennen. Der da gedenckt / daß GOtt den Menschen gemacht hat in solchem verwirreten und unordentlichen Zustande / darinnen Selbheit die Welt haelt / der hat unvernuenfftige Gedancken von der Erschaffung GOttes. Der da sihet / wie auch Kinder / eher sie koennen gehen oder reden so selbstisch / wie sie sind / und daß alle Menschen / keinen ausgenommen / von Natur sind gleichsam so viel als Abgoetter in der Welt / und kan glauben / daß dieses ist das Ebenbild Gottes / darinnen sie erschaffen waren / der machet das Bild des Satans zu Gottes Ebenbild. Und nicht besser ist die Lehre / die die Erbsuende laeugnet / da doch Selbst so eine Tyrannische Herrschafft hat in der gantzen Welt.

2. Es ist dieses schaendliche Laster so tieff gewurtzelt / und ist so kraefftig / daß es uns lehren mag / was wir zu erwarten haben / wir leben auch in was Art / und in was Stande wir wollen; Und mag uns behuelfflich seyn die warhafftigsten Prognostica, oder glaeublichste Muthmassungen zu machen von allen Veraenderungen / da der Wille des Menschen etwas bey thun kan. Erforsche nur / wo Selbst am meisten von zu hoffen hat / so kanst du allein ermessen / auf welche Seiten die meisten sich schlagen werden / und also ein glaublich Prognosticon machen / fast von allen Veraenderungen / die in Staatssachen / in Koenigreichen / und allenthalben in der Welt vorgehen moechten; Es sey denn daß der Macht der Selbheit sich die zwey grossere Maechte die Selbst ueberwunden haben / widersetzen / und die sind GOttes Gnade; und seine alles regierende Versehung. Ich sage / wenn diese beyden nicht bißweilen eintraeten / und Selbst widerstrebeten / und dessen Anschlaege hinderten / so moechte man fast in allen menschlichen Geschaefften den Ausgang vorher sehen / wenn man einmahl ausgespueret / wovon Selbst am meisten zu hoffen haette.

3. So maechtig und so gemein ist diese Herrschafft der Selbheit / daß es billich erwecket in einem / ein ehrlich und maeßig Mißtrauen / schier an allen Menschen / in denen Stuecken / da Selbst starck mit interessiret ist. Es sey einer so auffrichtig als er wolle / und von so grosse Geschicklichkeit und Hoffnung als er wolle / er mag euch so hoch verbunden seyn als er wolle / ja / und waere er auch euer eigen Bruder; dennoch trauet ihme nicht zu viel / wo ihme selbst etwas grosses darauf stehet. Denn die Erfahrung wird euch lehren / daß Selbst allezeit die Herrschafft in den meisten behalten wird.

4. Vor allen Dingen aber solte ein jeglicher weiser und gottseliger Christ hierinnen sein eigen Hertz am verdaechtigsten halten: Bewahre dein Hertze ueber alles; Und laß Selbst daraus bleiben vor allen andern Suenden. Heute dich vor Selbheit / so lieb dir ist ein Christ zu seyn / und als ein Christ zu leben / und den Friede eines Christen zu haben: Und zu dem Ende laß dir allezeit die Sache / die Meynung / die Streitigkeit am verdaechtigsten seyn / da Selbst am meisten interessiret ist. Die Namen Selbst und Eigen / solten in eines wachenden Christen Ohren seyn erweckende und Schreck-Worte / und als die naechst sind zu den Namen Suende und Satan; und zum wenigsten eine grosse Ursach zu Argwohn in sich haben.