Zwingli, Huldrych - Freundliche Auslegung der Herrnworte an Martin Luther

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Du nennst unsere Lehre ein Verderben bringendes Gift; mir dagegen scheint die Behauptung, daß das Fleisch Christi leiblich im Abendmahl gegessen werde, das wahre Verderben und die wahre Pest zu sein, mit deren Verbreitung das Evangelium zerstört werden muß. Wenn dies den Glauben stärken und die Sünden vergeben kann, so kehren wir damit zum Dienst der Werke zurück. Auf Christus, den Sohn Gottes, vertrauen, ist die heilsame Arznei gegen die Wunden der Sünde, nicht seinen Leib zu essen.

Wir machen Christus nicht zum Lügner, wenn wir seine Worte nach seinen eignen Aussprüchen auslegen und auf Grund von Joh. 6, 63 (Das Fleisch ist nichts nütze) verneinen, daß uns mit den Worten: Dies ist mein Leib, sein Fleischesleib zur Mahlzeit gegeben werde. Vielmehr sind wir nach der Regel und dem einfachen Verständnis des Glaubens dessen gewiß, daß uns Christus nichts Leibliches gegeben hat, da die Gerechtigkeit nicht durch leibliche Vermittelung geschenkt werden kann. Die verdienen den Vorwurf, die dem Fleische zuschreiben, was nur dem Geiste zukommt, und gegen die Worte Christi wieder eine äußerliche Gerechtigkeit einführen.

Ihr verwechselt Glauben und Fürwahrhalten mit einander. Das ist der heilsame Glauben, welcher glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist, und ihm vertraut. Aber wo ist es in der Schrift verordnet, zu glauben, daß hier sein Leib gegessen und sein Blut getrunken werde? Warum mißbraucht ihr in dieser Weise das Wort glauben? Das Wesen des Glaubens wird verkehrt, wenn das Vertrauen auf Christus als den Sohn Gottes mit dem Glauben, daß der Leib Christi gegessen werde, als eins gesetzt wird.

Wir sollen uns erinnern, daß wir Gott zum Zuschauer in diesem Kampf haben, der besser als wir selbst sieht, in welchem Sinn wir alles tun, und daß nicht nur das deutsche Volk, sondern unser ganzes Zeitalter, ja alle kommenden Jahrhunderte bis auf die Zukunft des Herrn unsere Richter sein werden, die um so billiger und gerechter über diese Sache urteilen werden, je ferner sie von den Leidenschaften sind, die uns jetzt umhertreiben.

An dich, zukünftiges Jahrhundert, wende ich mich, daß du mit unbestochenem Urteil über diese Frage entscheidest.

Quelle: Meltzer, Hermann - Kirchengeschichtliches Quellenlesebuch