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Waldenser - Auslegung des Vater Unsers.

Unser Vater, in dem Himmel. Unter allem, was wir auf Erden vernehmen und verrichten können, gereicht uns nichts zu grösserer Ehre, nichts ist uns auch nützlicher, ja nichts leichter, als zu GOtt zu beten.

Das Gebet bringt die grösste Ehre. Ist es eine Ehre vor uns, wann wir offen und vertraulich mit einem Könige auf Erden reden dürfen, wie viel grösser wird sie seyn, wann wir gewürdiget werden, im Gebete mit dem ewigen Himmels-Könige zu reden? Billig sagt deswegen Isidorus: Wer einen öftern Umgang mit GOtt haben will, der darf nur fleißig beten und lesen: Dann im Gebete reden wir mit GOtt, und im Lesen redet GOtt mit uns. So ist auch das Gebet was nützliches. JEsus sagt es: Warlich, warlich so ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, glaubet nur, so wird ers euch geben.

Das Gebet ist auch nichts schweres. An allen Orten und zu allen Zeiten kann man heilige Hände aufheben. Bist du auch nicht im Stande viel zu sagen, so schicke nur deine Gedancken und dein Verlangen zu GOTT:: Denn auch dieses heißt beten. David sagt: Das Verlangen der Elenden höret der HErr. Das heißt, das Verlangen der Niedrigen, die so arm sind, daß sie weiter nichts thun noch bringen können, als Seufzer und Gebete: Ein solch Hertzens-Gebet höret GOtt gerne: Das Verlangen der Elenden höret der HErr. So ist und bleibet dann nun das Gebet was hohes, was nützliches und auch was leichtes. Wir sehen dieses auch an den Jüngern im Evangelio. Diese wußten wohl, daß sie nichts bessers lernen könnten: Darum wenden sie sich als gute Schüler zu dem besten Meister, und bitten, daß er sie soll beten lehren:; HErr, sagen sie, lehre uns beten! JEsus antwortet hierauf: Wann ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern: Darum sollt ihr also beten: Unser Vater in dem Himmel.

In diesem Gebete nun lehret er uns zuförderst, wie wir vor allen Dingen uns bemühen sollen, die Gnade GOttes zu erlangen, um alles dasjenige von ihm zu erhalten, was uns nöthig ist. Unser Vater in dem Himmel heißt demnach so viel, als: Du bist unser Vater, vermöge der Schöpfung, oder wie Moses in seinem fünften Buches sagt: Ist er nicht dein Vater und dein HERR? Ists nicht er allein, der dich gemacht und bereitet hat? Du bist es auch, vermöge der Erlösung, dann du hast uns durch dein eigen Blut, und also theuer genug erkauft, welches eine solche Liebe ist, dergleichen kein leiblicher Vater seinen Kindern nimmermehr erweisen kann: Davon heißt es in der Offenbarung, der uns geliebet hat, und gewaschen von den Sünden mit seinem Blut: Du bist aber auch unser Vater, weil du uns ernährest, leitest, und zu deinen Erben annimmst. Daher sagt der Heiland zu seinen Jüngern: Ihr sollt niemand Vater heissen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist. Deswegen sagt er gleichsam, weil du nun unser Vater bist, so darfst du ja das Gebet deiner Kinder nicht verwerfen, sondern du mußt es erhören, und uns geben, warum wir dich bitten, denn du bist unser Vater, der uns erschaffen und erlöset hat, der uns auch noch erhölt, regieret, und dermaleinst gar zu seinen Erben auf- und an will nehmen.

Sagt JEsus weiter: im Himmel, so will er damit so viel: wir sollen uns bestreben, auch selbst hier auf Erden ein Himmel zu werden. Denn gleich wie GOtt in dem leiblichen Himmel wohnet, also auch in dem geistlichen, das ist in den Hertzen der Gläubigen, durch die Wirckung seiner Gnade. Daher sagt Isidorus: Welcher ist meine Wohnung, und Salomon, der HErr wohnet in den Seelen der Gerechten. Sind wir denn ein geistlicher Himmel, so sind wir innerlich durch einen ehrbaren Wandel erleuchtet, und unser Bogen ist gespannt in wahrer Frömmigkeit zu GOTT, in brünstiger Liebe gegen den Nächsten, und in hertzlicher Barmhertzigkeit gegen die Feinde. Wir erheben uns dabey von der Erden zum Himmel, durch stete Betrachtung des Himmlischen, und Geringschätzung des Irrdischen, so daß wir mit dem Apostel sagen können: Unser Wandel ist im Himmel. Und so erhört denn GOtt, wenn wir zu ihm ruffen: Unser Vater im Himmel.

Und dieses ist der erste Theil des Gebets des HErrn, darinnen wir angewiesen werden, wie wir nach erlangter Gnade GOttes, auch das übrige alles, was uns vonnöthen ist, von ihm fordern sollen. Es enthält aber dieses Gebet von Anfang bis zu Ende sieben Bitten, die zwar kurtz von Worten, aber dem Inhalt nach so wichtig sind, daß auch der geschickteste Lehrer auf der Welt nicht fähig ist, dieselben genugsam zu erklären. Denn in diesen sieben Bitten ist alles dasjenige begriffen, was wir sowohl zu diesem, als auch zu jenem Leben bedürffen. Wir wollen solche nunmehro einiger massen, obschon nur in der Kürtze, zu unserer Erbauung zu erklären vor uns nehmen.

Die erste Bitte.

Die erste Bitte heißt: Dein Name werde geheiliget. Wir bitten hiermit um die Erlösung von allen Sünden, besonders aber von der Unmäßigkeit, und um die Gabe der Reinigkeit. Wir heissen ja von Christo Christen, das heißt, Jünger, Knechte und Kinder JEsu Christi: Dieser Name aber wird von uns befleckt, geringe geachtet und geschmäht, wann wir in allerley Arten der Unreinigkeit und Unmäßigkeit leben; da er hingegen geheiliget wird, wann wir uns enthalten von aller Befleckung, in Gedancken, Worten und Wercken, und uns durch rechtschaffene Busse von unserm vorigen Sünden-Wandel reinigen. Denn also sind wahre Christen gereiniget, das ist, geheiliget worden. Denn heilig ist, wer ohne Fleck und Tadel ist. Aber die Sünde der Unmäßigkeit ist eine solche Befleckung. Denn gleich wie ein Fleck die natürliche Farbe dem Tuche oder der Wolle dadurch benimmt: so gehet es uns auch bey dieser Sünde. Sie beraubet uns der Unschuld, die wir durch die Taufe erlanget haben, und aller Tugenden. Wie die Farbe ein Tuch von innen und aussen durchziehet, so befleckt auch die Schwelgerey den Menschen von innen und aussen. Sie befleckt anfänglich das Hertze durch unreine Gedancken, Belustigungen und Einwilligungen; hernach die Augen durch unkeusche Blicke, ferner die Ohren durch Anhörung schandbarer Worte, die zur Sünde reitzen; weiter die Nase durch den Gestank der Hurensalbe, deren sich die geilen Metzen durch Eingeben des Teufels bedienen, um ihren Liebhabern zu gefallen; nicht weniger den Mund, durch unzüchtiges Reden, freches Küssen, und den Genuß solcher Speisen, so der Wollust zur Nahrung und zum Zunder dienen; desgleichen die Hände durch unverschämtes Berühren: und endlich den gantzen Leib durch schädlichen Müßiggang, dadurch sie dann den armen Sünder gerades Weges in die Hölle führet.

Wenn wir demnach beten: dein Name werde geheiliget, so ist es eben so viel gesagt, als, lieber Vater, verleihe uns, die wir nach deinem Namen genennet sind, daß wir auch heilig leben, und uns vor aller Befleckung des Geistes und des Leibes hüten mögen: verleihe uns, o HErr, deine Kraft dazu, und die Gnade, in einem keuschen Wandel einherzugehen, und aller sündlichen Wollust zu entsagen. Von dieser Heiligung redet der Apostel, wenn er sagt: Lasset uns von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes uns reinigen, und fortfahren mit der Heiligung in der Furcht GOttes, und abermals, das ist der Wille GOttes eure Heiligung, daß ihr meidet die Hurerey. Aber dies können wir nicht, als nur mit göttlicher Hülfe, deswegen sagt Salomo: niemand kann mäßig seyn, es sey ihm denn von GOtt gegeben und diese Weisheit ist von oben; nemlich dem GOtt diese Gabe geschencket hat. Wir haben also täglich Ursache zu beten, O HErr, unser Vater im Himmel, dein Name werde geheiliget!

Die andere Bitte.

Dein Reich komme. In dieser Bitte ruffen wir den Vater im Himmel an, daß er uns von der Sünde des Geitzes befreyen, und dagegen geistlich arm, fromm und barmhertzig zu werden, seine Gnade verleihen wolle: sintemalen die Geitzigen und die Reichen der Welt, schwerlich selig werden. Paulus sagt: die Geitzigen werden das Reich GOttes nicht ererben.

Und JEsus sagt selbst im Evangelio. Ein Reicher wird schwerlich ins Himmelreich kommen:; es ist leichter, daß ein Kameel durch ein Nadel-Ohr gehe, denn daß ein Reicher ins Reich GOttes komme: ja gar an einem andern Orte: wehe euch Reichem, denn ihr habt euren Trost dahin: hingegen wird den Armen von JEsu selbst der Himmel zugesprochen, wenn es heißt: selig sind, die da geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihr. Er redet aber wohlbedächtig von geistlich Armen, das ist von solchen, die bey ihrer leiblichen Armuth auch einfältig, schlecht und gerecht sind., Denn es gibt, nach dem Zeugniß eines heiligen Mannes, dreyerley Arten von Armuth: als eine die von der Faulheit herstammt, eine die unvermeidlich ist, und eine die man sich freywillig zuziehet. Die erste, von welcher David sagt, wer Müßiggang nachgehet, wird Armuths genug haben, sollen wir fliehen; die andere geduldig ertragen, und die dritte mit Freuden über uns nehmen, so werden wir recht geistlich arm werden. Von dieser Armuth redet Jacobus, wenn er sagt: hat nicht GOtt erwählet die Armen auf dieser Welt, die am Glauben reich sind, und Erben des Reichs, welches er verheissen hat denen, die ihn lieb haben? Und Augustinus redet davon in der Person Christi also: Ich verkauffe: und was denn? das Reich GOttes, den Himmel, das Himmelreich: und wie theuer? bloß für die Armuth: dann hier ist Ruhe auf die Arbeit, das Leben auf den Tod: mit einem Wort, das Himmelreich ist für die Armen. Wer demnach will selig werden, muß geistlich arm werden, und mit denen Aposteln und allen wahren Christen in die Fußstapffen JEsu treten, und das Zeitlich verachten. Hierzu dienen die Wercke der Barmhertzigkeit, wenn man, wie Zachäus, die Helfte seiner Güter den Armen, und so man jemand betrogen hat, es doppelt wieder giebet. Wer seinen Reichthum so anwendet, wird einmal unter denen stehen, zu welchen es an jenem grossen Gerichts-Tage heissen wird: Kommet her ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.

Hier kann sich keiner entschuldigen, er könne dies Himmelreich nicht erlangen. Gregorius sagt: Das Himmelreich kostet das, was du hast. Denen Aposteln ein Schiff und ihre Netze; dem Zachäus die Hälfte seiner Güter, der armen Witwe zwey Scherflein, so sie ins Gotteshaus brachte; einem andern kostet es ein Glas Wasser. Also sagt Gregorius, ist nichts wohlfeiler zu kauffen, und nichts theurer, wenn mans besitzet, als der Himmel. Ja hättest du auch nicht einmal einen Trunck frisch Wasser, um ein Armes damit zu laben, so bist du doch darum nicht entschuldigt: hast du sonsten nichts, so bringe GOtt nur deinen guten Willen: diesen nimmt er an für die That. Der Wille wird angenommen, nach dem was er hat, nicht aber nach dem, was er nicht hat, sagt der Apostel; und der heilige Gregorius, wann der Kasten des Hertzens voll guten Willens ist, so ist die Hand auch niemals leer von Thaten. Dein Reich komme, heißt demnach eben so viel, als, mache uns, o GOTT, recht geistlich arm, damit wir fähig werden mögen dein Reich zu ererben; mache uns fromm und mitleidig, damit wir als Arme zu dem Besitz deines Reichs gelangen mögen: Dagegen befreye uns von dem Geitz und allen bösen Begierden. Denn das Himmelreich wird allen Geitzigen und Geldbegierigen verschlossen seyn.

Die dritte Bitte.

Die dritte Bitte: dein Wille geschehe, enthält das Verlangen nach göttlichem Beystand, wider die Nachläßigkeit und Faulheit. Müßiggang und Faulheit ist eine Mutter der Wollust und Unmäßigkeit, ein Saame der Zwietracht und Uneinigkeit, und ein Zunder des Neides gegen die, so fleißig sind gutes zu thun. Gemeiniglich ist doch der Mensch so geartet, daß, da er auch einiges gutes thut, er solches doch nur nachläßig, kaltsinnig, und mit Widerwillen thut, und daher an statt des Segens den Fluch erhält. Jeremias sagt deswegen: Verflucht sey, der des HErrn Werck läßig thut. Auch ist dieses schon Faulheit, ein gutes Werck anfangen und dasselbe nicht vollenden. Wer so handelt, der kriegt auch keinen Lohn, dann nicht der Kampf, sondern der Sieg setzt einem die Krone auf. Ein Fauler handelt wider das Gebet des HErrn im Gesetz, da er das Opfer gantz begehrt, den Kopf, den Leib und den Schwantz. Alles was wir dem HErrn unserm GOtt widmen, und ihm zu Ehren thun, ist gleichsam ein Opfer, dessen Kopf der Anfang des Wercks, und der Schwantz das Ende davon ausmacht. Alsdenn bringen wir ihm ein gantzes Opfer, wann das Ende so wie der Anfang gut ist: Ein Faulentzer und Läßiger aber thut lieber gar nichts, und bringt sein Leben in einem beständigen Müßiggange zu.

Es ist aber dieses ein schädlicher und gefährlicher Zustand, sowol für den Leib, als auch für die Seele. Sirach sagt Müßiggang lehret viel Böses. Die Gedancken im Menschen können doch niemals müßig seyn: sie haben es entweder mit was gutem, oder mit was bösem zu thun. Der Müßiggang heißt deswegen eine Grube darinnen alle Laster zusammen lauffen; und gleich wie in dem untersten Theil eines Schiffs, wegen seiner Unreinigkeit sich leichte allerley Ottern und Ungeziefer zeugen: so auch in einer müßigen Seele allerley böse Gedancken, Einwilligungen und Belustigungen. Darum sagt Gregorius: Nachdem Salomon sein Hertze von der Weisheit GOttes abgewandt, gab er auch äusserlich der Zucht nicht mehr Gehör. Daher hat der Mensch wohl nöthig, fleißig auf der Huth zu stehen, und sorgfältig vor sein Hertze zu sorgen, damit der Feind diese Festung niemals leer, sondern mit guten Gedancken, Worten oder Wercken allezeit wohl verwahret finde. Hieronymus sagt zu dem Ende: übe dich stets in was gutem, so wird dich der Teufel niemals müßig finden. Wir wünschen also von dieser so gefährlichen Sünde der Faulheit befreyet zu werden, wann wir beten, dein Wille geschehe; und dahingegen bitten wir um die Tugend der Andacht, der Liebe, und Ausübung guter Wercke. Denn wer andächtig ist, und GOtt von Hertzen lieb hat, ist niemals müßig, sondern stets darauf bedacht, daß der Wille des Höchsten, so von ihm auf Erden, als wie von allen Heiligen im Himmel geschehen möge.

Weil wir aber ohne die Gnade GOttes nichts vermögen, so haben wir allerdings Ursache zu ihm zu beten: Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel. Wie nun der Wille GOttes im Himmel ohne Unterlaß, mit freudigem Hertzen, ohne Murren und Widerrede geschiehet; eben also bestrebet sich ein rechtschaffener Christ auch dahin, daß es auf die gleiche Weise von ihm auf Erden geschehen möge. Daher sagt Gregorius: Die Liebe ist der Probier-Stein der Wercke: denn die wahre Liebe zu GOtt ist niemals müßig, sondern stets in was grossem beschäftiget: wo keine gute Wercke zu suchen sind, da ist auch keine Liebe. Bernhardus: O guter JEsus, deine Liebe ist nicht müßig, sie ist auch geschäftig in den Hertzen der Deinigen: von dir reden gibt vollkommenen Trost und völlige Sättigung: sich zu dir nahen, ist das ewige Leben, von dir sich entfernen, der ewige Tod: O lieber HERR JEsu, du bist Honig im Munde, ein süsser Schall in den Ohren, und Freude im Hertzen.

Dieses ist also die dritte Bitte, in welcher wir um die Erlösung von der Sünde des Müßigganges, und dagegen um die Gabe der Andacht, und Vollbringung des Guten bitten, wenn es heißt: Dein Wille geschehe.

Die fernere Erklärung der folgenden Bitten fehlt in dem Original, aus dem das bisherige gezogen wurde.

Quelle: Leger, Johann - Johann Legers allgemeine Geschichte der Waldenser