Waldenser - Die Lehre der Waldenser, betreffend das Fasten

Nun folgt das Fasten. Dieses ist zweyerley: geistlich und leiblich. Geistlich fastet man, wenn man sich von Sünden, leiblich, wenn man sich von Speisen enthält. Ein Christ hat die Freyheit zu essen, oder zu fasen, ohne auf den Unterscheid der Tage zu sehen; nur muß er dabey nicht abergläubig seyn, oder seine Enthaltung von Speisen für ein verdienstliches Werck ausgeben.

Es ist aber wohl zu mercken, daß es gewisse Arten von Fasten giebt, die ein Christ weder halten, noch ihnen beystimmen, sondern vielmehr verabscheuen und meiden soll. Dergleichen ist das Fasten der schriftgelehrten und Pharisäer, wie auch diejenige abgöttische Fasten, die der Anti-Christ in die Christliche Kirche eingeführet: ferner die, so von denen Zauberern, Hexenmeistern und Schwartzkünstlern, auf eine ketzerische und abergläubische Weise gehalten wird: das Fasten, so nicht dem Schöpfer, sondern den Geschöpfen zu Ehren geschiehet, und keinesweges in dem Worte GOttes gegründet ist.

Das Fasten, dabey man sich an denen raresten, besten und kostbarsten Speisen, als Seefischen, Feigen, Rosinen, Mandeln und dergleichen recht satt frist, als welches Speisen sind, deren sich der Arme wohl enthalten muß, der Reiche dahingegen im Ueberfluß sich bedienet. Bey dergleichen Fasten der Reichen leidet auch der Arme Schiffbruch: fastete man im Gegentheil so, daß man mit gewöhnlichen und leichten Speisen blos den Hunger stillete, so könte man nicht nur seinem Hauswesen desto besser vorstehen, sondern auch desto leichter dem Armen unter die Arme greiffen. Indessen soll man nicht so fasten, daß man sich nur gewisser Speisen enthalte, um nicht durch selbige verunreiniget zu werden: Denn den Reinen ist alles rein, und nichst verwerflich, das mit Dancksagung empfangen wird. Denn es wird geheiliget durch das Wort GOttes und Gebet. Rechtschaffene Gläubige verwerffen und verabscheuen alle solche selbstgemachte Fasten, und machen sich derselben weder theilhaftig noch schuldig.