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Tholuck, August - Glaubens-, Gewissens- und Gelegenheitspredigten - Psalm 51, 3-19

In unserm jüngsten Gottesdienste feierte die evangelische Kirche unseres Vaterlandes das Angedenken des Tages, wo vor 300 Jahren Luther seine Thesen an die Kirchthüren von Wittenberg schlug, womit der Anfang der Reformation gegeben war. Es pflegt dieses Fest als Freudenfest gefeiert zu werden, denn es war die Morgenstunde des wiedergewonnenen Evangeliums. Blickt man Jedoch von den Bewegungen dieser Zeit, die so manche mit denen der Reformation vergleichen wollen, auf das, worin diese Zeiten jenen ähnlich und unähnlich sind, wie nahe ist einem der Gedanke gelegt, das Reformationsfest in unsern Zeiten vielmehr als einen Bußtag zu feiern! Denn welche Saaten damals, und welche Ernten auf dem Boden derselben Kirche jetzt! Zur Buße habe ich euch nun durch unsere letzte Reformationspredigt aufgefordert, als ich das Wort des Propheten euch vorhielt, das uns das „Haltet still“ und das „Zurück!“ zurief. Lasset mich heut noch deutlicher und ausdrücklicher darüber zu euch reden und zu erkennen suchen, was zur rechten Buße gehört. Vernehmet den 51. Psalm, den Bußpsalm Davids.

Psalm 51, 3 - 19.

„Gott, sey mir gnädig nach deiner Güte, und tilge meine Sünden nach deiner großen Barmherzigkeit. Wasche mich wohl von meiner Missethat, und reinige mich von meiner Sünde. Denn ich erkenne meine Missethat, und meine Sünde ist immer vor mir. An dir allein habe ich gesündiget, und übel vor dir gethan. auf daß du Recht behaltest in deinen Worten, und rein bleibest, wenn du gerichtet wirst. Siehe, ich bin aus sündlichem Samen gezeuget, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen. Siehe, du hast Lust zur Wahrheit, die im Verborgenen liegt; du lassest mich wissen die heimliche Weisheit. Entsündige mich mit Ysop, daß ich rein werde; wasche mich, daß ich schneeweiß werde. Laß mich hören Freude und Wonne, daß die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast. Verbirg dein Antlitz von meinen Sünden, und tilge alle meine Missethat, Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gieb mir einen neuen gewissen Geist, Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir. Tröste mich wieder mit deiner Hülfe, und der freudige Geist enthalte mich. Denn ich will die Uebertreter deine Wege lehren, daß sich die Sünder zu dir bekehren. Errette mich von den Blutschulden, Gott, der du mein Gott und Heiland bist, daß meine Zunge deine Gerechtigkeit rühme. Herr, thue meine Lippen auf, daß mein Mund deinen Ruhm verkündige. Denn du hast nicht Lust zum Opfer, ich wollte dir es sonst wohl geben; und Brandopfer gefallen dir nicht. Die Opfer, die Gott gefallen, sind ein geängsteter Geist; ein geängstetes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.“

Es lehrt uns der Psalmist in diesem Texte, was zur rechten Buße gehöre und zwar:

1. die Wahrhaftigkeit gegen sich selbst,
2. die Erkenntniß der Sünde,
3. die Sehnsucht nach Vergebung,
4. das Dankopfer der Vergebung.

Wer rechte Buße thun will, der sei wahrhaftig gegen sich selbst.

„Es thut der Sünder wohl, der sich zum Beichtstuhl' flüchtet,
Doch steht im Innern auch ein Beichtstuhl aufgerichtet.

I.

„Du hast Lust zur Wahrheit, die im Verborgenen liegt, du lässest mich wissen die heimliche Weisheit.“ Es liegen, Geliebte, das glaubet nur fest, in jeder Menschenbrust Geheimnisse verborgen, von denen der Mensch, der sie in sich trägt, selbst nicht weiß. So wahr es einen Gott giebt, in dem wir leben, weben und sind und der uns näher ist, als wir uns selbst sind, so gewiß giebt's auch eine Wahrheit Gottes in unserer eignen Brust, einen verhüllten Propheten, von dem wir ach! so viel Weisheit lernen könnten, ließen wir ihn nur immer recht zu Worte kommen. Eine Wahrheit trägt also der Mensch in sich, doch liegt sie verhüllt im Verborgenen; eine Weisheit trägt er in sich, doch ist sie ihm selbst ein verhülltes Geheimniß. Aber ach, daß wir uns Alle so viel Zeit nehmen mit Andern zu sprechen, aber mit unserm eignen innern Menschen zu reden, nur so wenige flüchtige Minuten übrig behalten! Am Tage fast gar nicht, allenfalls wenn die Stimmen des Tages verklungen sind und dann gleichsam wider Willen der innere Mahner zu seinem Rechte kommt. „Es züchtigen mich meine Nieren d. h. mein Herz des Nachts“ ruft auch David aus. Des Nachts, wenn der Schlaf auf die Leute fällt, heißt es bei Hiob, da ist ein heimliches Wörtlein zu mir gekommen. Nur wenn die ganze übrige Welt schweigt, kommt also dieses „leise Wörtlein“ allenfalls zur Sprache. Wenn schon die Weisen in der alten Welt den Ausspruch gethan haben, daß das verhüllteste Räthsel der Mensch sich selbst ist - der Mangel an Zeit, den wir der Enthüllung dieses Räthsels widmen, ist der erste und allgemeinste Grund, warum es uns so verborgen bleibt. Und warum flieht der Mensch so sehr das Alleinseyn mit sich selbst? Antwort: Zu einer sittlichen Selbstprüfung gehört sittlicher Ernst und die Menschen haben den sittlichen Ernst nicht. Eine sittliche Selbstprüfung führt zu Entdeckungen, nach denen wer wahrhaft ist, sich mehr verachten als bewundern muß, und - der Mensch bewundert sich gern. So gehen sie denn hin, forschen nach den Räthseln des Himmels und der Erde, und ihr allernächstes Geheimniß, ihr Herz, bleibt ihnen unbekannt. Möchte man nicht auf alle Straßen treten und immerfort den Menschen zurufen, was hier David ausspricht: „Menschen, bedenket es doch, wir tragen in uns eine tief verborgene Wahrheit und eine Weisheit, die uns noch ein Geheimniß ist!“ Diese Stimme der Wahrheit ist das Gewissen, und die heimliche Weisheit ist die Selbsterkenntniß. Wohl ist's nun wahr, daß wie Alles in und am Menschen, so auch sein Gewissen getrübt ist. Nur düster schimmert die himmlische Ampel, von unsern Leidenschaften wie von Stickluft fast ausgelöscht. Das macht's, daß des Gewissens Licht ohne das Wort Gottes nur unsicher flimmert, ja daß es - traurig genug zu sagen - zum Irrlicht und Lügenpropheten für den Menschen werden kann. Allein ganz ausgehn kann sein Licht dennoch nicht; es flimmert ungewiß, allein auch in der verderbtesten Luft löscht es nicht ganz aus, - wie und wohin es auch führe, wir müssen ihm unbedingt folgen, aber wer nur wahr gegen sich selbst ist, und sich von ihr leuchten läßt, und wer bedacht ist am ungetrübten Lichte des Wortes Gottes es immer wieder anzuzünden und zu reinigen, der hat zum Lohne, daß es heller zu brennen anfängt. Wahrheit gegen sich selbst und Treue gegen das Gewissen - wäre es auch nur ein irrendes - wer darin sich übt, der erkennt die nicht auszumessende Wahrheit, die in dem Worte des Herrn liegt: „wer da hat dem wird gegeben. Ein überaus großes Wohlgefallen Gottes ruht nämlich auf dieser Wahrheit und Treue gegen sich selbst; es giebt daher nichts, was er reichlicher lohne. Auch David deutet dies an, indem er von der Luft Gottes spricht, wenn ein Mensch, allem Widerstreben des Fleisches zum Trotz, jene Wahrheitsstimme zu ihrem Rechte kommen läßt. Du hast Lust, spricht David, an der Wahrheit, die im Verborgenen ist. Ja ein Schauspiel der Lust für Gott ist es und für alle seine heiligen Engel, einen Menschen in seinem Kämmerlein zu sehen, der erst zweifelhaft ist, ob er würklich eine solche Wahrheitsstimme in sich trage, dann daran glaubt und mit steigendem Ernst darauf zu hören anfängt, dann zurückschreckt vor dem, was er über sich selbst zu hören bekommt, endlich ihm Recht giebt wider sich selbst, ihm Recht giebt, auch ob er selbst darüber vor Schaam vergehen sollte. O Jünglinge, Lüge ist Feigheit, Wahrhaftigkeit ist Muth, drum sollte Wahrhaftigkeit eine Jünglingstugend seyn. O daß euer Gott jenes Schauspiel der Lust an euch oftmals schauen möchte, daß ihr den Muth beweisen möchtet eurem Gewissen Recht zu geben gegen euch selbst! Was für ihn eine Lust ist, das ist für uns Menschen die erste Stufe zu unserer eignen Errettung.

II.

„Ich erkenne meine Missethat und meine Sünde ist immer vor mir.“ Die Erkenntniß unserer sittlichen Schuld ist das zweite Stück rechter Buße. Nun ist zwar das Bekenntniß „ich bin ein sündiger Mensch“ nicht so schwer von den Menschen zu erlangen, aber sprechen es nicht so viele in der That nur aus wie im Traume, ohne zu wissen, was sie damit sagen? Auch wir können es jetzt nicht ganz auseinanderlegen. Aber zwei Stücke, welche dazu gehören, erwähnt David hier. Prüfet daran ob ihr wisset, was ihr redet, wenn ihr's aussprechet: „ich bin ein sündiger Mensch“. - Erkennen, daß alle Sünde gegen Menschen im tiefsten Grunde Sünde gegen Gott ist; erkennen, daß unsere Sündhaftigkeit nicht bloß in den Aesten ist, sondern auch in der Wurzel: wer das erkennt, der weiß was er sagt, wenn er spricht: „ich bin ein sündiger Mensch.“

Erkennen, daß alle Sünde gegen Menschen im tiefsten Grunde Versündigung gegen Gott ist.

Kannst du so ohne Schmerz das Bruderherz betrüben,
Wie kannst den Vater du, deß Bild er ist, recht lieben?

„An dir allein hab' ich gesündigt und Uebel vor dir gethan.“ Wie? An Urias, an Bathseba, an seinem ganzen Volk hat er sich versündigt und als er vor Gott kommt, heißt es: „vor dir allein hab' ich gesündigt?“ Ja so ist's und wer das nicht erkennt, der weiß eigentlich gar nicht, warum er Menschen liebt. Wir sollen die Menschen lieben wie uns selbst: seit die Bibel uns das vorgesprochen, gilt das als anerkannte Vernunftwahrheit, der öffentlich niemand widersprechen darf, obwohl ins Geheim gar mancher sich wundern mag, daß das so als unbestrittene Wahrheit gelten soll. Die Menschen lieben? fragt das Fleisch - „je nun, wenn sie's danach machen. Wenn man nun dieser Forderung der Menschenliebe nicht tiefer auf den Grund geht, als es gewöhnlich geschieht, hat das Fleisch so unrecht? Ich wundere mich immer, wenn die, welche den allgemeinen Christenglauben nicht haben, doch von dieser allgemeinen Menschenliebe als von Etwas reden, was sich so ganz von selbst verstehe, und die größten Opfer einem anmuthen? Brüder! Auch dieses sittliche Gebot ruht auf einem Glaubensartikel, durch den es erst fest wird - auf dem Glauben, den uns die heilige Schrift lehrt, daß als Gott Menschen schuf, er den Menschen schuf nach seinem Bilde. Trägt nicht, unter allem Schmutz und Staub der Erde verborgen, alles was Mensch heißt noch das Bild und Gepräge dessen, den man über Alles lieben soll? und wäre es nicht möglich, daß dieses Gepräge wieder daraus herausgearbeitet werde, so weiß ich wahrlich nicht, warum ich alle Menschen lieben soll wie mich selbst. Ich vermag diese allgemeine Menschenliebe nicht zu üben, wenn ich an einen Gott nicht glaube, welcher die Menschen geschaffen hat nach seinem Bilde und der in Christo sie herstellen will zu diesem Bilde. Auch unser Herr Christus giebt's uns zu erkennen, daß das Gebot der allgemeinen Nächstenliebe für sich kein Licht hat, sondern es nur empfängt von dem Gebote der Liebe Gottes über alle. Wenn nämlich unser Herr Christus das Gebot „du sollst Gott lieben über alles“ das erste nennt, das andere aber „du sollst den Nächsten lieben wie dich selbst“ das zweite und doch sagt: „jenes ist diesem gleich.“ giebt er es nicht damit zu erkennen, daß das erste das zweite hält und trägt, ja daß das zweite im ersten schon mit enthalten ist? So hat also David recht geredet, wenn er beichtet: „An dir allein, Herr, habe ich gesündigt.“ Ihr mögt alle eure Habe den Armen geben, mögt euren Leib brennen lassen, mögt Reuethränen über euren Liebesmangel weinen: könnt ihr das Alles thun, ohne dabei an Gott zu denken, so hat es auch vor eurem Gott keinen Werth. Die Menschenliebe aber, von welcher wir jetziger Zeit so viel reden hören, ist sie nicht zum sehr großen Theile, eine solche Liebe ohne Gott? Eine Buße nun, die dieses Stück der Sündenerkenntniß nicht hat, ist keine rechte Buße.

Will Einer mit rechtem Verstande sagen: ich bin ein sündiger Mensch, so gehört zum andern dazu, zu bekennen, daß unsere Sündhaftigkeit nicht bloß in den Zweigen ist, sondern in der Wurzel,

Was blickst du denn o Mensch, nur immer nach den Zweigen?
Nicht dort bloß ist der Wurm, er ist der Wurzel eigen.

„Siehe ich bin aus sündlichem Saamen gezeuget und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen.“ Mein hochmüthiges, eigenliebiges, unreines Herz, wahrhaftig ich habe es mir nicht bloß angewöhnt; von keinen bösen Beispielen hab' ich's zu lernen brauchen; das eben macht die Größe meines Schmerzes, daß ich meine Sünde so mit meinem innersten Wesen verslochten weiß - daß meine Sündenlust so alt ist, als mein Daseyn! Hätten wir Menschen sie uns bloß angewöhnt, warum finde ich keinen, der sie sich wieder abgewöhnt hat unter allen? hätten böse Beispiele sie mir erst eingepflanzt, warum ist das Gift so leicht in mich eingegangen gleich als wäre es meine eigentliche Nahrung, das Wort des Evangeliums dagegen, was es wieder austreiben will, o warum kostet es all und überall einen so sauren Kampf, ehe es der menschlichen Natur einwill und warum wird der Kampf alle Tage neu? Nein, aus Saamen, in dem die Sündenlust schon schlummerte, bin ich gezeuget, und mit der Sündhaftigkeit, die ich in mir trage, hat meine Mutter mich schon empfangen. So spreche ich mit David. Wäre der Wurm nur in den Zweigen, sie müßten sich ja abschneiden lassen und dann wäre ich gut! aber, wenn ich auch alle Zweige abschneide, hier innen nagt der Wurm fort und fort an der Wurzel. Drum mögen Andere, wenn sie vor Gott treten, sich begnügen Buße zu thun über die Werke ihrer Hände, über die Worte ihres Mundes - meine Buße und Beschämung vor Gott geht auf das Herz, auf dies Herz, das für alles, was in der Welt ist, in so heftiger Begierde entbrennt und so lau und gleichgültig bleibt gegen Gott. Erfahre ich's nicht immer aufs Neue, so wie einmal die Liebe Gottes mich ergreift, wie jede andere unreine Liebe von selbst in mir erbleicht, jede reine Liebe aber ganz von selbst sich entzündet? Es ist ganz unbezweifelt wahr - das Maaß der Inbrunst unserer Liebe zu Gott ist das Maaß der Inbrunst und der Reinheit jeder anderen Tugend. O ihr, die ihr das auch in immer neuer Erfahrung lernt und erkennet, laßt uns auf die Zweige sehen, ja Brüder, laßt uns unsern Wandel nach jeder Seite hin mit der Leuchte des Wortes Gottes beleuchten, doch immer nur, um, wenn wir uns unsers Wandels zu schämen haben, noch viel mehr uns zu schämen unsers Herzens. Eure Hände voll Unreinheit, euer Mund voll Lügen, eure Augen voll Lust klagen euch an, aber rechte Buße über Hände, Mund und Augen thut ihr doch nur, wenn ihr daran abnehmt wie fern euer Herz von Gott ist. Das ist es auch, was Luther in seiner These ausspricht, daß unser Herr Christus, da er sprach . thut Buße“ eine fortwährende Buße verlangt habe. Will einer nur Buße thun über das was Auge oder Mund oder Hand verbrochen haben, nun, so kommen wohl wenn nicht Tage, doch wenigstens Stunden im menschlichen Leben, wo diese nichts verbrechen, wo man also auch keine Buße zu thun hätte. Dies Herz aber, dieser unruhige Brunnquell, aus dem Begierden und Lüste ohne Unterlaß aufsteigen, die sogar des Nachts in unsern Träumen uns zu Sündern machen, dieses Herz ist's, was uns fortwährende Buße auferlegt. Darum hat mit Recht unsere Reformation angefangen mit einer Reformation des Bußethuns der damaligen Christenheit. Sie hat die Buße über die Außenwerke, die damit selbst zu einem Außenwerke geworden war, zur Buße zurückgeführt über den inwendigen Menschen; sie hat an die Stelle einer stückweisen Buße die immerwährende Buße gesetzt. So lange die Reue und Buße sich nur auf die Zweige richtet, auf das was Hand, Mund und Auge thun, was also auch die Menschen wissen, so lange erwacht auch gewöhnlich nicht, was das dritte Stück rechter Buße ist, die Sehnsucht nach einer Vergebung bei Gott. Menschen hat man beleidigt, Menschen thut man Abbitte, Menschen strecken die Hand zur Vergebung aus: so geht man wieder seine Straße, und die ganze Sache wird nur unter Menschen verhandelt. Sehnsucht nach Vergebung bei Gott, wie sie im Verfolge unseres Psalms David ausspricht, fühlt nur, wer da erkannt hat, daß es das erste Gebot ist, welche die neun andern treibt. „Du sollst keinen andern Göttern dienen. darin ist der Gehorsam mit befaßt gegen die neun andern. Wie Jakobus spricht: „so jemand das ganze Gesetz hält und sündiget an einem, der ist des ganzen Gesetzes schuldig. Warum? An Einem goldenen Faden sind alle Gebete Gottes aufgehängt, man kann kein einzelnes durchschneiden, ohne daß man den Faden mit trifft, und dieser Faden ist „Gott über alles lieben und ihm allein dienen.

Erst wo die Sund' erkannt als Scheidewand von Gott,
Schmeckt in Vergebung man der Seele Lebensbrot,

III.

Wenn David weiter spricht: „Laß mich hören Freude und Wonne, daß die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast. Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gieb mir einen gewissen Geist. Tröste mich wieder mit deiner Hülfe und dein freudiger Geist enthalte mich:“ wie vernimmt man aus diesen Worten einen Menschen, welcher die Seligkeit, die in vergebenen Sünden liegt, schon aus Erfahrung kennt! Kennt ihr auch diese Erfahrung? Wißt ihr alle würklich, wie einem Menschen zu Muthe ist, dem nach lang verhaltenem Sehnen und nach manchen heißen Thränen, der süße Ton: Absolution! erklang? Vielleicht ist keiner hier, der nicht versicherte, diesen Ton zu kennen. Bei wem nun das nicht bloß Einbildung ist, wer ihn würklich kennt, der wird auch wie David erfahren haben, erstens, daß vergebne Sünde, wie er spricht, Freude und Wonne in's Herz hineinbringen, also daß auch die Gebeine darüber fröhlich werden. zweitens, daß vergebne Sünde einen neuen gewissen Geist in's Herz giebt, bei dem man sich Gottes Hülse aus voller Seele getrösten kann.

„Entsündige mich mit Ysop, daß ich rein werde; wasche mich, daß ich schneeweiß werde. Laß mich hören Freud' und Wonne, daß die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast.“ - Nun, sind hier welche, die auch schon so gebetet haben? Die wenigstens gewiß nicht, die in ihren Sünden bei den Menschen allein als den Beleidigten stehen geblieben sind und zufrieden geworden, sowie die Menschen ihnen die Hand zur Vergebung hingestreckt. Es muß einer glauben und erfahren haben, daß Gott seine Hand nach ihm ausgestreckt hat, wer so sprechen soll. Von einer Freude und Wonne wird hier gesagt, von der selbst eine den Gebeinen wohlthuende Kraft auf die leibliche Hülle überfließt. Wo das ist, da ist denn freilich auch ein Gram vorausgesetzt, bei dem die Hülle selbst zusammenbricht, zerschlagene Gebeine, verschmachtete Gebeine, wie David an einer andern Stelle ruft: da ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine durch mein täglich Heulen. Da möchte nun freilich einer sprechen: aber ist das nicht bloß ein Gram bei so groben Sünden, wie die, in welche David gefallen war? Und so nun auch ein solcher Jubel über die Vergebung - für Todtschläger und Ehebrecher mag der seyn, nur für unser einen nicht. Allein, wer will die Schwere einer Sünde nur messen nach ihrem äußeren Werke - danach, ob einer das vierte, fünfte oder sechste Gebot übertreten hat? Läßt daran sich messen, was eine Sünde nicht wiegt und was sie wiegt? Wer das meinte, der müßte doch eine recht grobe und plumpe Vorstellung von der Sünde haben. Nicht was auswendig, sondern was im Innern des Menschen, wenn er sündigt, vorgeht, darauf kommt es an, wenn man wissen will, wie schwer eine Sünde wiegt. Und zwar was darin vorgegangen ist auf beiden Seiten, auf Seiten Gottes und des Menschen. Von Seiten Gottes, wie laut das Gewissen sein . Nein“ gerufen hat und Gottes Schutzengel sein . Folge nicht!“ Von Seiten des Menschen, wie stark die Lust war, die herunterzog und wie eifrig oder lässig die Gnadenmittel gebraucht wurden zum Widerstande! Eigentlich hat darüber, was eine Sünde vor Gott wiege, Keiner ein Urtheil, als Gott selbst, am allerwenigsten hat es unter uns einer von dem Andern. Es ist ganz gewiß wahr, daß unter Umstanden die Begierde nach einer That eben so schlimm, ja noch schlimmer ist als die That, daß unter Umständen dein Gelüst zu stehlen dich stärker anklagt vor Gott als den andern der Diebstahl, daß der lüsterne Blick dich zum größeren Sünder machen kann, als der Ehebruch selbst. Den lüsternen Blick hat Christus einen Ehebruch im Herzen genannt, und zu der Ehebrecherin hat er mit Milde gesprochen: gehe hin und sündige hinfort nicht mehr. Durch den Hochmuth, den kein Mensch zu sehen bekommt, kann einer in seinem inwendigen Menschen zum Teufel werden, während, soweit Menschen sehen, er an keinem Titelchen des Gesetzes schuldig ist. Drum ist's nicht wahr, daß eine Gewissensangst und eine Wonne und Freudigkeit, wie sie hier David ausspricht, nur bei den groben Sündern vorkommen kann. O von zarten Gewissen könnte ich euch erzählen, denen der geschwinde unreine Gedanke, der lüsterne Blick, das leichtsinnige Wort eine Grameslast auf das Herz geworfen, wie Andern kein Todtschlag und kein Ehebruch! - Die dann aber auch über die Vergebung ihrer Sünden gejubelt haben wie nur ein David jubelt. Es kommt Alles auf die frühere Stellung zu Gott und auf die Zartheit des Gewissens an. Bist du ein Mensch, der bei Gott in Gnaden stand und doch seinem Gewissen untreu wurde, für einen solchen hat das Gewissen furchtbare Schläge, als unübersteigliche Scheidewand stellt es sich zwischen dich und Gott, und Tage, Monate lang läßt es dich deine Straße fortziehen ohne einen gnädigen Gott. Bricht aber nach solchen Wettern die wohlbekannte milde Gnadensonne wieder durch, ei so müßte wohl eher ein Bräutigam an seinem Hochzeitstage traurig seyn können, als daß nicht das Wörtlein „mein Sohn, dir sind deine Sünden vergeben.“ Freude und Wonne in's Herz geben sollte, daß auch das Gebein fröhlich wird. Auch David hätte die Last nicht so schwer gefühlt, wäre er nicht ein Mensch gewesen, der schon früher bei Gott in Gnaden gestanden hat, der gewußt hat, was Friede mit Gott heißt. Dies geben auch seine Worte zu erkennen: tröste mich wieder mit deiner Hülfe, spricht er, dein freudiger Geist erhalte mich aufrecht. Wer nun weiß, was „bei Gott in Gnade stehen“ heißt, was . Friede mit Gott“ heißt, für den giebt's auch kein edleres Wort als Absolution aus Gottes Munde - mag's eine sogenannte kleine, mag's eine große Sünde gelten. Hab' ich die Absolution, so ist auch Gott wieder mein Gott, und ist Gott wieder mein Gott, so hab ich wieder einen gewissen Geist und kann mich wieder Gottes Hülfe getrösten.

Daß dies alles zusammenhängt, weiß auch David. Um einen neuen und gewissen Geist bittet David, „tröste mich wieder mit deiner Hülfe“ bittet er. Ja, das ist wahr, wer ein gutes Gewissen zu Gott haben darf, der verliert den gewissen Geist auch in vielen andern Dingen, es kommt ein Herzpochen und eine Aengstlichkeit in Einen, daß man gar keine festen Schritte mehr thun und nichts Rechtes mehr wagen kann. Denn, weiß ich nicht, daß ich Gott zum Freunde habe, und seiner Hülfe mich getrösten kann, wenn ja etwas übel ausschlägt, wo soll ich den Wagemuth hernehmen? Darf ich dagegen wieder sagen: Gott ist mein Gott, weiß ich dann nicht auch: seine Kraft ist meine Kraft, seine Hülfe ist meine Hülfe und die Gerechtigkeit seines Sohnes ist meine Gerechtigkeit? Eine Erinnerung an das was man gewesen ist ehe sich die Gnade unserer angenommen, bleibt freilich im Hintergrunde und bricht zuweilen auch wohlthuend wieder durch. Es geht Einem wie dem, der einen Arm gebrochen oder sonst Schaden genommen: gewisse Nachwehen bleiben noch. Bestehen nun diese Nachwehen in einem Gefühl der Beschämung, in einem solchen Gefühl, wie es ein Bettlerkind hat, das von einem Könige adoptirt worden ist, dann wollen wir sie behalten und sie sollen uns begleiten und sollen uns demüthig machen in unserm Frohlocken. Aeußern sich diese Nachwehen aber in dem alten Mißtrauen, in dem alten Kleinmuthe, dann fort mit ihnen! Wen der oberste Gerichtshof freigesprochen, wie darf denn der sich noch für unehrlich halten? Und nun ruft Paulus: „Gott ist hier, der gerecht macht - wer will denn beschuldigen?“ Drum laß ich jene Nachwehen des Gewissens nicht im Mindesten mich abhalten, wenn auch beschämt doch mit zuversichtlichem und gewissem Geiste zu sprechen: Gott ist mit mir mit seiner Hülfe, Gott ist mein Gott!

Wer so geschmeckt hat, was Vergebung der Sünden ist, der wird selbst wider Willen zum Prediger, auch ohne Chorrock und Barett.

Macht die erkannte Sund' verlegen dich und stumm,
Schlägt die vergebne dir in laute Predigt um.

IV.

Auch David, der König, wird zum Prediger. Ich will, spricht er, die Uebertreter deine Wege lehren, daß sich die Sünder zu dir bekehren. Herr, thue meine Lippen auf, daß mein Mund deinen Ruhm verkündige. Das ist jener Zeugentrieb, der von jeher aus den größten Sündern die mächtigsten Prediger gemacht hat. Nicht, daß einer nothwendig vor der Welt zum großen Sünder geworden seyn muß, aber ein je größerer Sünder einer vor seinen eigenen Augen geworden ist, ein desto mächtigerer Prediger wird er vor dem Gotte, der Sünden vergiebt. Petrus, wenn du dich dermaleinst bekehrest, so gehe hin und stärke deine Brüder. hat der Herr zu Petro gesprochen, als derselbe noch nicht wußte, was seinem eigenen Herzen war und wie vieles der Herr ihm zu vergeben hätte. Zu dem aber, der das erkannt, zu dem in seinen eigenen Augen rein gewordenen und bekehrten Petro spricht er: „weide meine Schafe.“ „Es wird dir schwer werden, wider den Stachel zu löcken,“ d. i. auszuschlagen. so spricht der Herr zu dem bekehrten Paulus. Wider welchen Stachel? Wider den treibenden Stachel, der keinem Ruhe läßt, der seine vielen Sünden erkannt hat und dem seine vielen Sünden vergeben sind; in solchem Menschen wird die empfangene Gnade zum Stachel, daß er nicht anders kann, als allenthalben davon zeugen, wie selig der Mensch ist, dem der Herr die Missethat nicht zurechnet, dessen Sünde bedecket ist. Daß ich das Evangelium predige, kann ich mich nicht rühmen, spricht Paulus fortan, denn eine Nöthigung ist mir aufgelegt,“ er kann es nicht lassen, denn die Liebe Christi dringet ihn also. O daß wir viele solche Prediger mit diesem Zeugentriebe auf den Kanzeln! hätten, wie viel mehr Sünder, die Buße thun, würden wir unter den Kanzeln haben! Welche wohlriechende geistliche Brandopfer würden aus einer solchen Gemeinde zum Herrn aufsteigen - zerschlagene Herzen auf der Kanzel, zerschlagene Herzen unter der Kanzel. Denn - wie David weiter bezeugt: du hast nicht Lust zum Opfer, ich wollte dir es sonst wohl geben und Brandopfer gefallen dir nicht: die Opfer, die Gott gefallen, sind ein zerschlagener Geist, ein geängstetes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten.

Es steigt in Flammen auf der Duft von deinen Gaben:
Steigt so der Geber auf, der Duft, der kann ihn laben.

Was es mit allen Schlacht. und Brandopfern, die David in seinem Leben gebracht, auf sich hat, daß sie nämlich nur Abbilder sind des von dankbarem Liebesfeuer für vergebene Sünde entbrannten Herzens, das ist jetzt erst seiner Seele recht aufgegangen. Vertheile alle deine Habe unter die Armen, bringe Opfer und Hekatomben vor deinem Gotte, du bringst ihm doch kein Dankopfer, was ihm so wohlgefalle, als ein zerschlagenes Herz. Warum? Nicht eher als bis du in dir selbst untergegangen, kann Er in dir aufgehen, erst wenn das alte Herz zerschlagen und zertrümmert ist, kann er ein neues Herz daraus machen zum Preise seiner Herrlichkeit. Und das ist sein Gnadenziel. Sieh, Mensch, dahin zielt es ab mit dem geängsteten Geiste und dem zerschlagenen Herzen, mit deiner Selbstverzagung und deiner Selbsterniedrigung in der Buße: dahin zielt es ab, daß dein Gott dich hoch und groß machen will. O weigere dich deiner Selbsterniedrigung und deiner Buße nicht, „nur wer sich selbst erniedriget, wird erhöhet werden“.

O du wunderbarer Gott, der du auch aus der tiefsten Finsterniß, in die wir uns selbst gestürzt, ein Licht kannst hervorbrechen machen, siehe ich will mich nicht weigern, meine Sünden vor dir zu bekennen und vor dir gering zu werden. O wenn ich mich erst ganz werde vor dir erniedrigt haben, dann wirst du mich erhöhen zu seiner Zeit und wirst auch meinen Mund, wie den Mund deines Knechts David aufthun, der vor Scham verstummet war, daß meine Lippen deinen Ruhm verkündigen können! Amen.