Inhaltsverzeichnis

Scriver, Christian - Sechste Predigt. Von der wirklichen Sünde, deren Ursache und Mannigfaltigkeit.

Jeglicher wird versucht, wenn er von seiner eigenen Luft gereizet und gelocket wird rc. rc.

Eingang.

Im Namen Jesu. Amen!

Nachdem Moses das Werk, der Schöpfung beschrieben hatte, setzte er hinzu: „Gott sah an Alles, was Er gemacht hatte, und siehe da, es war sehr gut.“ Der große Werkmeister prüft gleichsam sein Werk, und überblickt nochmals seine Geschöpfe. Wie der Künstler seine Arbeit, ehe er sie unter die Leute kommen läßt, noch einmal genau betrachtet, ob daran nicht noch Etwas zu ändern seyn möchte, so läßt Moses den Allerhöchsten Sein Werk auch noch einmal ansehen, nachdem Er dasselbe in sechs Tagen vollendet hatte. Wenn dieß der allein weise und heilige Gott thut, wie viel mehr gebührt es uns, daß wir unsere Worte und Werke öfters untersuchen und fleißig nachsehen, ob sie auch dem Willen Gottes gemäß, gut und rechtschaffen seyen. Der vollkommene Gott findet freilich in seinen Werken nichts Unvollkommenes, weil Alles weise, herrlich und gut seyn mußte, was die ewige Weisheit und das höchste Gut gemacht hatte. - Was kann von Nazareth Gutes kommen? sagte dort Nathanael, der aufrichtige Israelite; und wir sagen billig: Was kann von der ewigen Güte Böses kommen?-Darum, wenn Moses spricht: „Und siehe, es war sehr gut;“ So gibt er dadurch den Menschen, ja sogar den Engeln, Veranlassung, die Werke der Allmacht und Weisheit Gottes zu untersuchen, und bezeugt, daß sie darin nichts Anderes als Gutes finden werden. Zwar kann man nicht läugnen, daß in dem großen Weltgebäude Manches angetroffen wird, was beim ersten Anblick unnütze, ja schädlich und böse zu seyn scheint. Allein es steht dem Menschen nicht zu, solche Dinge für böse zu halten, ehe er sich bemüht, ihren Nutzen genau zu untersuchen. Daher sagt Augustin sehr richtig: „Es ist Nichts so gering unter den Geschöpfen Gottes, welches nicht mit, einem Tropfen seiner Güte besprengt wäre und seinen Nutzen hätte. Der Ungelehrte hält Manches für schädlich, was der Gelehrte mit großem Vortheil zu benützen weiß. Die Kröten z. B. sind giftige und abscheuliche Thiere, und doch wurden sie schon in Krankheiten mit großem Nutzen angewendet. „Wenn,“ fährt Augustin fort: „ein unerfahrener Mensch in die Werkstätte eines Künstlers tritt, und dort mancherlei seltsame Werkzeuge sieht, deren Gebrauch er nicht versteht, so glaubt er, dieselben seyen unnütze. Geschieht es aber, daß ein solcher sich aus Unvorsichtigkeit mit denselben verletzt, so wird er sagen, der Künstler besitze viele böse und schädliche Dinge, während doch dieser alle gut und vortheilhaft zu gebrauchen weiß. So geht es auch mit der Betrachtung der göttlichen Werke. Der thörichte Mensch erkühnt sich den Schöpfer zu tadeln, er versteht den Zweck und den Nutzen der Geschöpfe nicht, und gibt sich nicht einmal Mühe, Alles genau zu untersuchen.“ - Die Rabbinen erzählen von David, daß sich derselbe in seiner Jugend über dreierlei Dinge, deren Nutzen und Ursache er nicht begreifen konnte, verwundert habe. Er fragte nämlich: warum Gott eine Mücke, einen Narren und eine Spinne erschaffen habe? - Der Schöpfer habe ihm aber den Nutzen derselben in drei Begebenheiten entdeckt. Eine Mücke habe seine Gattin Michah aus dem Schlaf geweckt, als Saul seine Wohnung umstellen ließ, so daß sie den David warnen und von der Gefahr befreien konnte. Was die Narrheit nützen könne, habe derselbe zu Gath gelernt, da er sich vor dem König Achis albern und närrisch stellte, um sein Leben zu retten. Den Nutzen der Spinne endlich habe David erfahren, als er vor Saul in eine Höhle floh, und eine Spinne den Eingang mit ihrem Gewebe überzog, so daß Saul glaubte, Jener sey nicht darin verborgen. Daher muß man sich wohl hüten, über die Werke Gottes voreilig zu urtheilen, weil Nichts so gering ist, das nicht zu seiner Zeit Nutzen bringen könnte. - Hier mag auch noch folgende Fabel stehen: Einst verachteten mehrere Blumen in einem Garten die Dornen und Disteln, weil sie zu nichts nützen und den Menschen verhaßt wären. Der Dornstrauch aber antwortete ihnen: er habe Brüder, welche schönere Blumen tragen, als sie, - die Rosenstauden. Auch sollen sie bedenken, daß wenn man die Blumen im Garten verwahren wolle, eine Dornenhecke um denselben gemacht zu werden pflege; und daß die Blüthen und Früchte der Dornen mancherlei Nutzen in Krankheiten haben, während die prächtigsten Blumen, Tulpen u. a. oft zu nichts anders nütze seyen, als das Auge zu ergötzen. Die Distel setzte hinzu: sie sey von dem Schöpfer mit Stacheln versehen worden, und stehe mitten unter den Blumen, um sie zu erinnern, daß sie ihre Schönheit nicht von sich selbst, sondern Alles von Gott haben, der einem Jeden das Seinige zutheile, wie Er wolle; ferner lehre sie die Menschen, daß es auf Erden keine Freude ohne Leid gebe, und daß man sich stets nach dem Himmel sehnen solle.

Darüber verstummten die Blumen und ließen die Dornen und Disteln zufrieden. - Weiter wird von einem König aus Spanien erzählt, daß er einst die Werke der Schöpfung stark getadelt und gesagt habe: wenn er am Anfang der Dinge dabei gewesen wäre, so hätte er Manches anders angeordnet und besser eingerichtet. Während dem sey ein Gewitter über sein Haupt hingezogen, und ein Blitz, der neben ihm einschlug und sein Kleid verbrannte, habe ihn so sehr in Schrecken gesetzt, daß er in sich gegangen sey, seine Sünden erkannt und den allmächtigen Schöpfer und Erhalter aller Dinge um Gnade gebeten habe. -Ist es nicht so, wie wenn ein Malerjunge den künstlichen Meister tadeln, und ein brennender Schwefelfaden sich wider die helle Sonne rühmen wollte? Demnach sprechen alle Engel und Menschen mit Moses: Der Schöpfer ist gut und alle seine Werke sind gut, Er hat Alles wohl gemacht! - Von den Werken der Menschen freilich lautet es ganz anders. Nachdem der weise Salomo alle seine Werke ansah, die er gemacht, und seine Mühe, die er gehabt hatte; siehe, da war Alles eitel und Jammer, und nichts mehr unter der Sonne. Es war vergänglich, voller Mühseligkeit, und konnte ihm keine Ruhe der Seele und kein beständiges Glück verschaffen. Dennoch waren es keine geringen Dinge, mit welchen jener König sich beschäftigt hatte. „Ich that große Dinge,“ spricht er, „ich baute Häuser, pflanzte Weinberge, machte mir Gärten und Lustgärten, und pflanzte allerlei fruchtbare Bäume darein; ich machte mir Teiche, um zu wässern den Wald der grünenden Bäume. Ich sammelte mir Silber und Gold, und einen Schatz von den Königen und Ländern, ich schaffte mir Sänger und Sängerinnen, und alle Freuden, die der Mensch nur ersinnen kann, Alles, was meine Augen wünschten, ließ ich ihnen zu, und versagte meinem Herzen keine Freude.“ Dieß Alles aber lief auf Eitelkeit und Mühseligkeit hinaus, und obgleich Salomo Alles hatte, so fehlte ihm doch das Vorzüglichste noch, nämlich die rechte, wahre Glückseligkeit, welche in der Gemeinschaft mit Gott und Christo besteht. Wahrscheinlich aber wollte Salomo mit den Worten „Eitel und Jammer,“ die Sünde bezeichnen, welche sich bei allen menschlichen Unternehmungen einschleicht, und Alles in Eitelkeit und Mühseligkeit verwandelt. Denn wäre die Sünde nicht in die Welt gekommen, so hätte der Mensch die Güter der Erde mit großem Vergnügen, ohne alle Mühseligkeit und Eitelkeit genießen können. Die zeitliche Ergötzlichkeit, welche er an den Werken Gottes gehabt hätte, wäre ein Vorschmack der ewigen Lust und Freude gewesen, zu welcher ihn Gott zu seiner Feit lebendig aufnehmen wollte. Nun aber hat die Sünde Alles verdorben, und es dahin gebracht, daß der Mensch durch lauter Angst, Noth und Tod, durch lauter Trübsal, Beschwerde und Eitelkeit sich durchdringen muß, und die ewige Ruhe seiner Seele nur durch Gottes große Barmherzigkeit und durch den Versöhnungstod Jesu Christi erlangen kann. - Lasset uns also Gottes Werke und unsere Werke manchmal vergleichen und beide genau untersuchen. - Die Werke des Höchsten sind jetzt noch vollkommen gut, und ob Er gleich durch die Sünde schwer beleidigt und betrübt wurde, so läßt Er doch von seiner Güte nicht ab! Er kann nichts anders, als lieben, sich erbarmen, rathen, aushelfen, erretten und die Seligkeit der gefallenen Menschen herzlich suchen. Die Werke der Menschen aber sind stets böse; wenn sie meinen, sie verrichten große, herrliche Dinge, so läuft es auf Thorheit, Eitelkeit und Sünde hinaus. Wir leben daher bloß von der Güte unseres Gottes, und ohne diese wären wir nicht werth, daß uns die Erde tragen würde. Gott allein gebührt aller Ruhm und alle Ehre, uns Sündern aber Schmach und Schande. Wollen wir uns rühmen, so müssen wir uns der Sünde und unseres Elends rühmen. Es bleibt dabei, daß unsere ganze Glückseligkeit nur in Gottes Gnade und Barmherzigkeit besteht. Eine nähere Betrachtung unserer Sünden mag dieß uns deutlicher machen; der gütige Gott und Vater segne dieselbe um Jesu willen. Amen.

Abhandlung.

Wir haben früher die Sünde ihrem Ursprung nach betrachtet; nun wollen wir sehen, wie dieß unruhige Uebel sich in dem Herzen des Menschen allmählig zu regen beginnt, wie die Erbsünde aufkeimt und als eine böse Wurzel tausend sündliche Gedanken, Worte und Werke zu treiben pflegt. Der Apostel sagt in unserem Texte: ihre erste Kraft sey eine reizende, böse Lust, diese wohne im Fleische, ziehe den Menschen von Gott ab und stelle ihm die Sünde, unter einer sehr lockenden Gestalt vor Augen. Demnach bleibt also jenes angeborne Uebel nicht ruhig in dem Menschen, sondern erregt bald in ihm eine sündliche Begierde und macht sein Herz zum Bösen geneigt. Es wirkt von Innen heraus, wie auch die Gedanken, Worte und Werke des Menschen von Innen heraus kommen, und ist eine Folge des Gifts, das in dem menschlichen Herzen verborgen liegt. Dieser böse Keim ist so wenig auszurotten, daß, wenn ein Mensch auch in der Einsamkeit, entfernt von allen Aergernissen der Welt, erzogen werden könnte, sich doch die Sünde in ihm regen und auch äußerlich kund geben würde. Manches Kind hat fromme Eltern, welche ihrem Hause wohl vorstehen und nichts Böses dulden. Dennoch findet sich auch an diesem manche Unart, über die man sich herzlich betrüben muß. Woher kommt der Eigensinn, der Neid und der Muthwille, die wir an unsern Kleinen schon so frühzeitig wahrnehmen, ob sie gleich nichts der Art an Andern gesehen, oder doch nicht verstanden haben? - Dieses dürfen wir gar wohl beherzigen; denn wir Menschen haben neben vielen andern Fehlern auch den, daß wir uns nicht für so böse halten, als wir wirklich sind, daß wir uns gerne entschuldigen, oder die Schuld auf den Satan, die Welt und deren Verführungen wälzen; und wenn wir je zugeben müssen, daß wir auch Theil an der Sünde haben, so glauben wir, diese könne uns nicht zugerechnet werden. Aber, o Mensch, wenn auch der Satan und die Welt das Ihrige zur Sünde beitragen, und wenn auch der Wiedergeborene mit Paulus sagen kann: „Ich thue das Böse nicht, sondern die Sünde, die in mir wohnt;“ so darf sich doch der Unwiedergeborne, der mit allem Willen sündigt, nicht darauf berufen. Er ist vielmehr die Hauptursache der Sünde, und durch seine innere böse Lust kommt er dem Satan und der Welt manchmal zuvor. Dieß erklärte Luther sehr schön durch folgende Erzählung: „Ein alter Mönch wollte nicht länger im Kloster bleiben, weil er glaubte, daß er in Gesellschaft Anderer allzuviel zur Sünde verleitet werde. Er nahm sich daher vor, seinem Gott in der Wüste zu dienen. Als er nun dort war, fiel ihm einst sein Wasserkrug um; er richtete ihn wieder auf; da er aber noch einmal umfiel, wurde er zornig und warf den Krug in Stücke. Nun ging er in sich und sagte: Ich kann auch mit mir allein nicht Friede haben; und sehe, daß in mir selbst das Gebrechen ist. Darauf kehrte er in's Kloster zurück, und lernte forthin seine Begierden nicht durch die Flucht, sondern durch Entsagung und Selbstverläugnung überwinden.“ Ferner erzählt ein frommer Mann, daß er einst in seiner Jugend einen Menschen gesehen habe, der eine verschlossene Thüre rasch öffnen wollte, und als dieß nicht so schnell ging, wie er wünschte, sey derselbe so zornig geworden, daß er wie ein Rasender in den Schlüssel gebissen, mit den Füßen wider die Thüre gesprungen und Gott im Himmel gelästert habe.-Lasset uns dabei bedenken, wie häufig es zu geschehen pflegt, daß der Mensch, wenn er allein ist und von Niemand geärgert wird, so in Zorn geräth, daß er eine Feder oder etwas Anderes, was nicht nach seinem Sinn ist, zerknickt, zusammenschlägt oder wegwirft. Wir werden gar oft in der Einsamkeit über eine Mücke erbost, oder bringen unsere Zeit mit bösen Gedanken hin, und empfinden zur Genüge, daß die Erbsünde in uns ist, und auch ohne fremdes Zuthun ihre Kraft äußert.- Wenn du also sündigst, o Mensch, so hast du keine Entschuldigung; du bist der Mann des Todes, du bist der faule Baum, der seiner eigenen bösen Beschaffenheit nach auch faule Früchte trägt und in's Feuer gehört. Es ist deine eigene Lust, die dich reizt und lockt; darum ist die Sünde auch dein eigen. (O Jammer! wir arme Menschen haben, so lange wir außer Christo sind, nichts Eigenes, als die Sünde.) Dein Herz ist voller Bosheit, und eitle, unnütze, sündliche Begierden sind seine Früchte, oder sein Haab und Gut. Welch' eine Thorheit ist es also, wenn mancher Mensch zu seiner Entschuldigung sagt: man hätte mich zufrieden lassen sollen, ich würde kein Kind beleidigt haben, und es währt lange, bis ich Jemand widerspreche oder etwas Böses thue; wer mich aber berührt, der hat es zu büßen. Ist es nicht, wie wenn sich der Wolf in der Fabel damit entschuldigen will, daß er das Lamm, welches oberhalb ihm aus einem Flusse trank, deßwegen erwürgte, weil es ihm das Wasser getrübt, und ihn also zum Zorne gereizt habe; oder, wie wenn die Distel sagen wollte: sie habe keine Schuld, wenn Jemand von ihr verletzt würde, man solle sie zufrieden lassen und ihr nicht zu nahe kommen? -Stehest du nicht, o Mensch, daß du dich dadurch vor Gott nicht entschuldigst, sondern vielmehr beschuldigst; du gibst zu, daß die Bosheit in dir liege, bis sie von Andern aufgeregt werde. Demnach bist du an und in dir selbst böse; Andere machen nur, daß du deine Bosheit auslässest. So lange du nun in diesem Zustand bleibst, fällst du dem göttlichen Gerichte anheim, und darfst keine Zeit verlieren, um die Gnade Gottes in Christo und die Erneuerung des heiligen Geistes ernstlich und demüthig zu suchen. - Bei der Sünde ist freilich der Satan und die böse Welt sehr beschäftigt. Jener hat seine Freude an der Bosheit, und weil er weiß, daß Gott der Sünde von Herzen Feind ist, dieselbe auch zeitlich und ewig straft, so hilft er aus allen Kräften dazu. Er thut es meistens heimlich und verborgen, erregt böse Gedanken in dem menschlichen Herzen, und ist so lange thätig, bis der kleinste Funke zur hellen Flamme wird. Er kennt die Neigungen und Begierden der Menschen, und weiß jeden an seiner schwächsten Seite zu fassen. Wie der Vogelfänger seine Beute durch verschiedene Lockspeisen körnt, so sucht auch der höllische Feind einige Menschen durch Wollust, andere durch Ehrgeiz, oder durch Verheißung von zeitlichen Gütern in sein Netz zu ziehen. Menschen von heiterem Gemüth verleitet er zur üppigen Gesellschaft, oder zur Trunkenheit, und dadurch von einer Sünde zur andern. Diejenigen aber, welche zur Traurigkeit geneigt sind, und gerne ein düsteres, zurückgezogenes Leben führen, sucht er in Tiefsinn und Verzweiflung zu stürzen. Heutzutage verschafft er sich gewöhnlich dadurch bei den 'Irdischgesinnten Eingang, daß er die zeitlichen Dinge hoch anpreist. „Ein Stück Geld, ein hohes Amt, ein erwünschter Wohlstand für sich und die Seinigen,“ sagt er, „ist doch wohl werth, daß man darum Etwas wagt, heuchelt, lügt, trügt und nicht allzu eifrig in der Gottesfurcht ist. Was hat der Mensch mehr, als was er in diesem Leben davon bringt? Das Gegenwärtige ist das Sicherste; wer will sich mit der Hoffnung des Zukünftigen beschwichtigen lassen? Es ist doch um die Gottseligkeit lauter Nichts, sie rühmt sich der Gnade und der Kindschaft Gottes, und leidet oft Hunger und Noth. Ein schönes Gotteskind, welches das Brod nicht im Hause hat“ - Besonders aber sucht der Satan den Menschen zum Unglauben zu bewegen, und flößt ihm allerlei Zweifel ein, er nimmt ihm das Wort Gottes aus dem Herzen, und wenn ihm dieß nicht ganz gelingt, so macht er den Menschen wenigstens gleichgültig gegen das Höhere, daß er bloß seinen Lüsten nachhängt, nur seinen Willen zu erfüllen sucht, das Gewissen einschläfert und nicht an die Ewigkeit denkt. Wenn dann auch bisweilen eine Predigt oder irgend ein außerordentlicher Vorfall einen Eindruck auf unser Inneres macht, so weiß der Feind denselben gleich wieder zu schwächen. Er wird auf einmal ein Tröster, und sagt: Gott sey ein barmherziger Gott, das Leben wäre lange, wir haben noch Zeit genug, uns zu bekehren, und die Gnadenthüre stehe immer offen. Mit dieser Versuchung richtet aber der Satan um so mehr aus, da nur wenige Menschen von Jugend an zur Hochschätzung der himmlischen und zur Verachtung der irdischen Güter angehalten werden. - Wie die Eltern, so die Kinder. - Aber wie viele von diesen gibt es wohl, die frühzeitig auf die Wichtigkeit ihres Taufbundes, auf das herrliche Recht der Kindschaft Gottes, auf die Rechtfertigung durch den Glauben an Jesum Christum und die Gemeinschaft des heiligen Geistes aufmerksam gemacht werden, und dieß liebgewinnen? - Ein schönes Beispiel gab einst ein frommer König von England, welcher seine Tochter so frühe zur Gottseligkeit gewöhnte, dass sie schon in ihrem dritten Jahre eine herrliche Probe davon ablegte. Man führte sie in einen großen Saal, in welchem ein Tisch war, auf dessen einer Seite allerlei Spielsachen, auch schöne Geschmeide, Ketten, Armbänder lagen. Auf der andern Seite aber war eine Bibel und ein Kelch für das heilige Abendmahl aufgestellt. Sobald sie die Gegenstände ansichtig wurde, wählte sie die letzteren und bezeugte denselben eine große Ehrerbietung. - Wo sind nun die Eltern, wo die Kinder, welche dieses thun? Die Kinder sind ohnehin zur Hoffart so geneigt, prangen gern in bunten Kleidern, werden bald stolz auf ihre Abkunft und schätzen die irdischen Güter hoch; aber von der hohen Würde der Kindschaft Gottes, von dem Schmucke der Gerechtigkeit Jesu ,e. wissen sie wenig oder gar nichts. Ist es daher ein Wunder, daß der Satan heutzutage die meisten Menschen mit solchen vergänglichen und zeitlichen Dingen locken kann, wohin er will? - Die Hauptlist endlich, welche der Verführer in diesen letzten Zeiten mit so viel Glück an den Seelen der Menschen anwendet, besteht darin, daß er viele durch den äußern Schein des Christenthums täuscht und überredet: „weil sie getauft seyen, in die Kirche gehen, die Predigt hören, zur Zeit beichten, das heilige Abendmahl genießen, Morgens und Abends singen und beten, und sonst ein ehrbares Leben führen, so stehe es recht gut um sie. Es habe gerade nicht viel zu sagen, wenn daneben auch manche muthwillige, wissentliche Sünden vorkommen, wenn sie hie und da fluchen, der Völlerei ergeben seyen, in Ungerechtigkeit und Unversöhnlichkeit leben, und von der Liebe, Sanftmuth und Demuth Jesu Christi in der That nichts wissen. Auch komme gerade nicht viel darauf an, ob sie gelernt haben, sich selbst zu verläugnen, ihr Kreuz täglich auf sich zu nehmen und Christo nachzufolgen.“ - Ich selbst habe diese Erfahrung gemacht; denn, als ich einen Trunkenbold wegen der Gefahr seiner Seele ernstlich warnte, so entgegnete er mir: „ob ich glaube, daß er der größte Trinker sey, man habe immer nur mit ihm zu schaffen, und er sey doch ein ehrlicher Bürger, kein Schelm und kein Dieb.“ Da ich aber weiter in ihn drang, und ihm vorstellte, daß Jemand gar leicht ein guter Bürger und ein böser Christ seyn könne, und daß eine einzige herrschende Sünde hinreiche, den Menschen in die Hölle zu stürzen, so gab er mir zur Antwort: „er glaube doch an Jesum Christum und wisse, daß Gott die Welt also geliebt habe, daß er seinen eingebornen Sohn dahin gegeben, damit Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“

- Jener meinte also, daß sein Wissen dem Buchstaben nach schon der seligmachende Glaube sey, und daß dieser neben der täglichen Trunkenheit und andern damit verbundenen Sünden gar wohl bestehen könne. Ob ich gleich dagegen sehr eiferte und den Mann eines Bessern zu belehren suchte, so war doch allem Anschein nach wenig auszurichten. - Wie viel tausend ähnliche Menschen gibt es nun in der Christenheit, und wie geschäftig ist der Satan, um sie in dieser Meinung zu bestärken! Wie Viele führt er mit Hoffnungen des Himmels zur Hölle! Er überredet sie, als seye mit dem äußerlichen Gottesdienste Alles gethan, und macht ihnen gleichsam aus einigen Sprüchen, die sie anzuführen wissen, ein Polster, aus welchem sie in der höchsten Gefahr ihrer Seele sicher schlafen. - Lasset uns Gott bitten, daß er diesen falschen Wahn aus den Herzen der Christen immer mehr entfernen möge. - Der Satan ist also ein unverdrossener, unermüdeter Geist, der stets die Sünde fortzupflanzen und sein Reich überall auszubreiten sucht. Darum wachet und betet, daß ihr nicht in Anfechtung fallet.

- Was thut aber die Welt zur Verbreitung der Sünde? Sie thut dabei noch mehr, als der Teufel selbst, weil ein Mensch von dem andern mehr Gutes erwartet, und daher um so bälder betrogen wird. Der Teufel darf sich nicht sehen lassen, nicht bloß darum, weil er ohne Gottes Zulassung nichts thun kann, sondern auch, weil er weiß, daß Jedermann vor ihm flieht; deßwegen hält er sich verborgen, und lauert, bis die Welt, seine treue Gefährtin, ihm eine Beute zuführt.

Sobald der Mensch den ersten Tritt in die Welt thut, so setzt er den Fuß auf tausenderlei Netze und Stricke; die Bosheit und das mannigfache Aergerniß der Welt dringt sich gleichsam mit der Luft in ihn ein. Wenn das Kind anfängt, seine Sinne zu gebrauchen, sieht und hört es meistens lauter ärgerliche und gottlose Dinge. Die Eltern selbst sind größtentheils leichtsinnig in Worten und Werken, fachen gemeiniglich zuerst den glimmenden Zunder in den verdorbenen Herzen ihrer Kinder an, und machen die böse Lust rege. Sie fluchen und schelten, sie streiten und zanken; das Kind sieht und hört zu, faßt es schnell und lernt oft bälder fluchen, als recht reden oder beten. Diese traurige Erfahrung machte ich selbst. Als ich nämlich in einer benachbarten Stadt über die Straße ging, nahm mich ein Kind von ungefähr 3 Jahren beim Mantel, und rief: Priester, 'daß dich der Teufel hole! Ich erschrack von Herzen, daß ein so kleines Kind, welches vielleicht seinen Erlöser noch nicht nennen konnte, schon im Stande war, Jemand den Teufel anzuwünschen. - Wer aber hatte die angeborne Bosheit des Kindes so fertig gemacht, als feine Eltern oder andere Hausgenossen, von welchen dasselbe ohne Zweifel solche Verwünschungen gehört hatte? - Wenn aber auch die Eltern fromm, gewissenhaft und eifrig sind im Christenthum, so läßt sich meistens das Gesinde als Werkzeug des Teufels gebrauchen und macht die Erbsünde in einem zarten Herzen rege. Gelingt es jedoch den Eltern, dieß durch Wachsamkeit und Sorgfalt zu verhüten, so kommen die Kinder gar bald vor die Thüre, auf die Straße, und hören da von einem Vorübergehenden ein ärgerliches Wort, einen schändlichen Scherz, einen Fluch, oder sonst dergleichen. Kommen sie in die Schule, so treffen sie leider manchmal eine Schule des Teufels an. Dieser hat ohnehin heutzutage unter der Jugend so viele böse Buben, welche durch die Nachläßigkeit ihrer Eltern in Sünde und Schande aufgewachsen und in der Bosheit so erfahren sind, daß sie in der Schule des Satans selbst die Lehrer machen könnten. Welche schlimme Folgen dieses habe und wie manches fromme Herz dadurch frühzeitig verführt werde, das wissen wir Alle aus Erfahrung, ja mancher Christ hat sein Lebenlang über solche Verführer zu seufzen. - - Die meisten Verführungen jedoch finden sich im Jünglingsalter. Muß der Jüngling wegen feiner Ausbildung die Heimath verlassen und geht der eine auf hohe Schulen, der andere in die weite Welt hinaus, dann fängt die Gefahr und Noth erst recht an, weil das gottlose Wesen überall so überhand genommen hat, daß es zur Gewohnheit geworden ist, ja zur Ehre gereicht oder wenigstens für keine Schande mehr gehalten wird. Die Spötter und Gottesläugner befinden sich jetzt nicht mehr bloß an den Höfen großer Herren, sondern man trifft dieselben auf hohen Schulen, in Gerichtsstuben, auf Rathhäusern, in den Läden der Kaufleute, in den Werkstätten der Handwerker, ja selbst in den Hütten der Bauern an. An den Bund mit Gott in der heiligen Taufe erinnert man sich selten mehr; fluchen, schwören, der Trunkenheit und Unzucht sich ergeben, frech, muthwillig und ungehorsam seyn, lügen und trügen, den Sonntag entheiligen und zum Dienste des Satans anwenden, das sind lauter gewohnte Dinge. Wer sollte sich darüber wundern, daß die Prediger beständig dagegen eifern; allein sie mögen sagen, was sie wollen, so bleibt es doch, wie es ist, und man meint, die Lehrer müssen die Freiheit haben, zu reden, was sie wollen, die Welt aber zu thun, was ihr beliebt. Wenn nun ein Jüngling unter einen solchen rohen Haufen kommt, so glaubt er, es sey eine Schande für ihn, wenn er nicht ebenso frech und leichtsinnig, muthwillig und ungehorsam sey, wie Andere. Darum stürzt er sich von einem Laster in das andere, und wird endlich aus einem Schüler ein Meister in der Bosheit. - Eine schöne Ausnahme machte Paul Schwan, ein Handwerksgeselle, der, wenn seine Kameraden neben ihm zechten, seinen Theil freiwillig bezahlte, und statt des Trinkens einige Kapitel aus der Bibel las. Er hieß wohl mit Recht Schwan; denn er befand sich als ein weißer Schwan unter vielen Raben und Nachteulen. - Ich kannte auch einen jungen Handwerker, welcher das Wort Gottes herzlich liebte, in der Kirche mit großer Andacht zuhörte, wohl auch nachher zu dem Prediger in's Haus ging, um sich über Einiges weitere Erklärung zu erbitten. Dieser trug stets seine Bibel bei sich, kam zwar, wenn es Handwerksgebrauch war, mit seinen Zunftgenossen im Wirthshause zusammen, schlich aber, nachdem er seine Zeche bezahlt hatte, heimlich weg, setzte sich in eine Ecke und las in der Bibel, oder in einem andern guten Buche. Wenn er jedoch bei der Gesellschaft seyn mußte, so war er ganz still und befliß sich, nichts wider Gott und sein Gewissen zu thun; daher seine Kameraden oft über ihn spotteten. In seiner Arbeit und im Dienste seines Meisters war er dagegen sehr treu und fleißig, und unterstützte Andere mit seinem Lohne. - Wie selten findet man solche von gleicher Gesinnung; und wie wenige Prediger werden unter einer großen Anzahl von Handwerksgesellen ihrer Gemeine kaum Einen der Art aufweisen können! Gibt es je noch Einen, der ein gottseliges Leben führen möchte, so finden sich auf der andern Seite so Viele, die üppig, frech und der Trunkenheit ergeben sind, und daneben in Jenen so stark dringen, daß sie ihn wie ein Strom zum gottlosen Wesen fortreißen.-Jesaias vergleicht die böse Gesellschaft mit den wild verwachsenen Gesträuchen eines dichten Waldes, weil ein Gottloser dem andern in der Bosheit behülflich sey. Wie nun der Wanderer in einem solchen Gesträuch nicht wohl fortkommen kann, sondern bald da, bald dort verletzt wird, oder gar hängen bleibt, so geht es den Frommen in der Welt. Sie werden überall gehindert, werden vom Guten abgehalten und zum Bösen verleitet; und wenn sie doch bei ihren Vorsätzen bleiben wollen, so werden sie verspottet, beleidigt und betrübt. Hiezu kommt das Aergerniß, das von schlimmen Büchern, schändlichen Liedern und Bildern herrührt, welches desto schädlicher wirkt, je anmuthiger die Erzählungen sind und je feiner und sinnreicher das Böse eingekleidet ist. Darauf besonders legt sich die jetzige Welt mit vielem Fleiß, und der Satan trägt das Seinige redlich dazu bei.

- Luther sagt von seiner Zeit: „die Jugend lernt nicht mehr wider die fleischliche Luft und Anfechtung streiten, sie fällt dahin, daß es hinfür keine Schande mehr ist; alle Welt ist voll von Nebeln und Liedlein über die Unzucht, als sey es wohl gethan.“ Was würde er sagen, wenn er den Greuel des gegenwärtigen Zeitalters sehen würde? Zu seiner Zeit waren die Schriften und Lieder, welche Aergerniß geben konnten, albern und einfältig; jetzt aber werden sie mit aller Sorgfalt, aufs Feinste ausgearbeitet, damit sie um so schneller Eingang finden. Ja, heutzutage versteht man die Kunst, Bücher und Briefe so zu vergiften, daß der Leser bei dem Eröffnen derselben in Lebensgefahr kommt. - Dieß ist schlimm genug. - Aber viel ärger ist es, so viele Bücher und Schriften mit dem Gift der Sünde anzufüllen, durch welches die Jugend zum Bösen verführt wird und in Gefahr kommt, ihr Seelenheil zu verlieren. - Obgleich leider diese Sache ganz allgemein geworden ist, so weiß ich doch nicht, ob es eine größere Sünde geben können als diese, - ein ärgerliches, gottloses Buch, oder ein schändliches Lied zu schreiben und unzüchtige Bilder zu verfertigen. Solche Aergernisse werden nicht bloß weit verbreitet, sondern sie währen auch so lange, als ein einziges Exemplar von dieser gottlosen Schrift oder von diesen Bildern übrig ist. Der heilige Augustin glaubte deßwegen, die Höllenpein jenes Ketzers im vierten Jahrhundert, welcher die Gottheit Christi läugnete, nehme immer zu, so lange dieser Irrthum fortwähre und verbreitet werde. Das Nämliche gilt von allen gottlosen Schriftstellern; denn sie geben nicht bloß Aergerniß und helfen das Reich des Satans erweitern, so lange sie leben, sondern sie thun dieß auch noch nach ihrem Tode. So oft nun ein armes Herz durch ihre Schriften verführt wird, ebenso oft wird der Zorn des gerechten und heiligen Gottes gleichsam aufs neue erweckt und vergrößert. Und wenn unser Heiland das Wehe ausruft über den, welcher die Jugend einmal ärgert, was wird derjenige zu erwarten haben, welcher dieß ohne Unterlaß und auch noch nach seinem Tode thut? Gewiß, es wäre einem solchen Menschen, so beliebt und so berühmt er auch in der Welt gewesen seyn mag, besser, daß er die Schweine gehütet, oder daß er nie geboren wäre. Verflucht ist das Haupt, darin solche Dinge geschmiedet werden; verflucht die Hand, welche sie niederschreibt; verflucht der Druck, der sie um schnöden Gewinns willen verbreitet; verflucht das Geld, welches daraus erlöst wird! - Zu dieser Klasse gehören auch diejenigen, welche vorgeben, sie wollen einen Irrthum widerlegen, und doch den besten Vorsatz haben, denselben fortzupflanzen. Sie führen ihn mit allen erdenklichen Gründen an und lassen darauf eine solche seichte Widerlegung folgen, daß der Leser, wenn er eine Arznei zu haben meint, Gift findet und unversehens dadurch angesteckt wird. Aehnlicher Kunstgriffe bedienten sich Mehrere in älterer, neuerer und neuester Zeit, und wenn man das Treiben und Thun der jetzigen Welt ansieht, so muß man sich wundern und entsetzen, daß die Lüge unter so mancherlei Schein und Vorwand verbreitet und dem gottlosen Wesen das Wort geredet wird. Gewiß ein schreckliches Gericht wird über die ergehen, die also handeln. Hier will ich auch noch der griechischen und lateinischen Schriften gedenken, welche, ob sie wohl sehr ärgerliche und unzüchtige Dinge enthalten, doch in unsern Schulen gelesen und von den Gelehrten häufig gebraucht werden. Mehrere sind daher der Meinung, man solle dieselben lieber ganz aus den Schulen weglassen, als die Seele um ihrer zierlichen Redensarten willen mit Sünden beflecken. Es werde an jenem Tage nicht gefragt werden, ob unsere Art zu reden und zu schreiben zierlich, sondern ob sie christlich und gottselig gewesen sey? Gewiß ist dabei große Vorsicht nöthig und wünschenswerth, daß die Vorsteher und Lehrer diesem Gegenstand alle Aufmerksamkeit widmen. Einige Schriften sollten gar nicht mehr gedruckt und ganz vernichtet werden, aus andern sollte das Anstößige wegbleiben, ehe man sie der Jugend in die Hände gibt. Es würde viel besser seyn, das Buch wäre mangelhaft, als daß die empfänglichen Herzen der Jünglinge einen Anstoß darin fänden. Indessen werden es sich alle christlichen Lehrer zur Aufgabe machen, ihre Schüler bei ähnlichen verfänglichen Stellen zu warnen, daß sie sich dadurch nicht verführen lassen. Wenn sie aber dieß versäumen, so laden sie eine schwere Verantwortung auf sich, und tragen die Schuld an aller Sünde, welche bei der Jugend aus solchem sündlichen Saamen entsteht. Wenn nun, wie wir bisher gesehen haben, unser verdorbenes Herz der Boden ist, in welchen der Satan seinen Samen säet, und den nachher die Welt so treulich begießt, so darf man sich nicht wundern, wenn die Sünde so überhand nimmt, daß man die verschiedenen Arten ihrer Früchte fast nicht mehr zählen kann. Paulus führt einige namentlich auf, wenn er sagt: „Offenbar sind die Werke des Fleisches, als da sind Ehebruch, Hurerei, Unreinigkeit, Unzucht, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Neid, Zorn, Zank, Zwietracht, Rotten, Haß, Mord, Fressen, Saufen.“ Er setzt aber hinzu und dergleichen, um anzudeuten, daß dieß bei weitem noch nicht alle seyen. Diese könne man offenbare Sünden nennen, es gebe aber deren noch weit mehr, die verborgen und unerkannt und also um so gefährlicher seyen; wie es in einem Psalmen heißt: „Unsere unerkannte Sünde stellest Du in's Licht vor deinem Angesicht.“ Dieser letzte Ausspruch kann von der Erbsünde erklärt werden und zugleich auch von den heimlichen Früchten derselben, welche die meisten Menschen nicht verstehen, als da sind: der Unglaube, der Zweifel an der Wahrheit des göttlichen Worts, die Verachtung und der heimliche Haß gegen Gott, der Vorwitz in den göttlichen Geheimnissen, die unehrerbietige und leichtsinnige Behandlung des göttlichen Worts, die Geringschätzung der göttlichen Dinge, die Undankbarkeit gegen Gott, die Hochschätzung seiner selbst, die Liebe zur Welt, der Ehrgeiz, der Eigennutz und viele andere. Dazu kommen noch die sündlichen flatterhaften Gedanken der Menschen, welche zwar die Welt für unsündlich erklärt, die aber Gott, der Herzenskundiger, an jenem großen Tage offenbaren wird. Ebenso gehören dahin die vielen unnützen Worte, welche der Herr mit gerechter Strafe bedroht, und endlich alle die Sünden, welche man durch Unterlassung des Guten und Gemeinschaft mit fremden Missethaten begeht. - Wenn z. B. Jemand nicht selbst flucht, oder leichtsinnig schwört, aber dieß von seinen Hausgenossen oder von Andern duldet, so macht er sich gleicher Sünde theilhaftig. Ein Ander kann zwar zur Kirche gehen und die Predigt des göttlichen Worts anhören; aber er läßt es bei dem bloßen Hören bewenden, und macht sich also der Gleichgültigkeit schuldig. Ein Dritter mag Niemand mit Wissen und Willen Unrecht thun; allein er hilft den Beleidigten nicht und nimmt sich auch der Dürftigen nicht an - er verfehlt sich also gegen die Pflicht der Nächstenliebe. Noch Andere enthalten sich des Sonntags zwar von groben Sünden; sie bringen jedoch die Zeit im Müßiggang und weltlichen Ergötzlichkeiten, ohne heilige Uebungen zur Besserung ihrer Seele, zu, - heißt das den Sabbath heiligen? Endlich gibt es solche, die scheinbar keinen Gefallen finden an dem Bösen, aber sie sind entweder Heuchler, oder schweigen dazu aus Menschenfurcht und um zeitlichen Gewinns willen; werden sie nicht ebenso strafbar seyn, wie diejenigen, welche absichtlich Böses thun? Ja man könnte ein ganzes Buch schreiben über die unerkannten Sünden der Menschen, und es wäre zu wünschen, daß sich ein erfahrener Lehrer dieser verdienstlichen Arbeit unterziehen möchte. - Das Verzeichniß der offenbaren Sünden würde wohl gleich groß ausfallen, und es ist wahrlich nicht übertrieben, wenn ein Heiliger klagt: „Meine Sünden gehen über mein Haupt, wie eine schwere Last sind sie mir zu schwer worden, es haben mich meine Sünden ergriffen, daß ich nicht sehen kann.“ (Sie machen mir so bange, daß mir das Gesicht vergeht.) „Ihr ist mehr, denn Haar auf meinem Haupte, und mein Herz hat mich verlassen.“ (Ich werde ganz verzagt.) „Meiner Sünde ist mehr als der Sand am Meer, wir sind allesammt wie die Unreinen, und alle unsere Gerechtigkeit ist wie ein unflätig Kleid.“ Diese Worte werden wohl für einen Jeden passend seyn und er wird Ursache haben, sie mit allem Ernst auf sich zu beziehen. - Unser Heiland hatte gewiß Grund genug, wenn er die Sündenschuld nicht mit einer geringen, sondern überaus hohen Summe von zehentausend Pfund, oder sechszig Tonnen Goldes, verglich. Denn der Mensch fängt in der frühesten Kindheit an zu sündigen und bringt keine Stunde zu, in welcher er sich nicht verfehlt und wider Gottes Gebote handelt. Wenn wir nun auf jede Lebensstunde nur eine Sünde rechnen, so belaufen sich die Sünden eines Jahres auf 8760, in 10 Jahren auf 876.000; wer kann aber sagen, daß es in seiner Jugend bei Einer Sünde in Einer Stunde geblieben sey. Wie oft werden in so kurzer Frist wohl 100 begangen, so daß man mit dem heiligen Augustin sagen muß: „Ein kleines Kind, ein so großer Sünder.“ Oder, wie er sich sonst ausdrückt: „Wenn wir alle unsere Sünden zählen wollen, die wir mit den Augen, mit den Ohren, in Gedanken u. s. w. begehen, so weiß ich nicht, ob wir jemals ohne ein Pfund schlafen gehen tonnen und auch im Schlafe noch ein Talent schuldig werden? Damit man dieß um so mehr beherzigen und vor der Menge seiner Sünden erschrecken möge, wollte ich Jedem rathen, nur Eine Woche lang auf seinen Wandel, auf sein Herz und dessen Gedanken, auf seinen Mund und dessen Worte, auf sein Verhalten gegen Gott und die Menschen fleißig Acht zu haben, und seine Sünden zu Papier zu bringen, dann würde er ohne Zweifel ein großes Register bekommen! Was ist aber unsere Rechnung gegen diejenige, welche der allwissende, gerechte und heilige Gott anstellen wird? Der Mensch selbst kann nicht merken, wie, oft er frevelt, und wenn er mit Gott rechten und rechnen will, kann er Ihm auf Tausend nicht Eines antworten.“ - Endlich ist noch zu erinnern, daß die Sünden nicht nur mannigfaltig sind, sondern auch weit um sich greifen, und wenn sie sich auch bei dem einen Menschen häufiger finden, als bei dem andern, so wird doch Keiner seyn, der sich vor Gott eines besondern Vorzugs rühmen könnte. Einige genossen zwar eine ganz vorzügliche Erziehung und wurden von ihren Eltern nicht bloß vor äußerlichen, groben Lastern gewarnt, sondern auch zu allem Guten angehalten; dennoch wird es wenige geben, die mit Hiob von Herzen sagen können: „Mein Gewissen beißt mich nicht meines ganzen Lebens halber“ Die alten Gottesgelehrten sagen: es sey selten ein Mensch, dessen Gewissen der Satan nicht verwundet habe, daher man oft den Seufzer höre: „Ach, wenn nur das nicht geschehen wäre“ Die jetzigen Zeiten sind überhaupt so schlimm und das gottlose Wesen hat an allen Orten so überhandgenommen, daß ein Mensch, welcher das zwanzigste Jahr erreicht, ohne daß er sein Gewissen auffallend verletzt, sagen kann, Gott habe an ihm ein ähnliches Wunder gethan, wie an den drei Männern, die Er im Feuerofen erhielt. - Wird aber eine gehörige Gewissensprüfung nach der ersten Tafel der zehen Gebote angestellt, betrachtet man die innerliche Befleckung des Geistes und die verborgenen, vor der Welt unbekannten Greuel des Herzens, z. B. den Unglauben, gotteslästerliche Gedanken, den Eigenwillen, die Eigenliebe, die Geringschätzung der geistlichen und himmlischen Dinge und die Hochschätzung alles Irdischen rc. rc., so wird Jedermann die Hand auf den Mund legen und mit dem Apostel bekennen müssen, daß er unter allen Sündern der Vornehmste sey. Dieses Bekenntniß werden wir ablegen müssen, ob wir gleich unser Herz selbst nicht recht kennen und seine Tücke nicht gehörig verstehen. In jungen Jahren, wo wir noch unerfahren sind, begreifen wir oft die größten Sünden nicht und haben es für eine besondere Gnade Gottes zu halten, wenn er uns durch seinen heiligen Geist und durch sein Wort lehrt, daß wir unsere Sünden gründlich erkennen und ohne Heuchelei beurtheilen. - Dieß wird wohl nöthig seyn, zu bemerken, damit Keiner sicher wird und glaubt, eine solche Betrachtung der Sünden gehe ihn nicht an; denn wen die Sünde nicht angeht, den gehet auch Jesus Christus, der Gekreuzigte, nicht an, und die Erkenntniß unseres Elends ist die Vorbereitung und der Eingang zu der Erkenntniß Christi. Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Wer den Greuel und die Tiefe der Sünden nicht versteht, kann die seligmachende Gnade Gottes, die in Christo allen Menschen erschienen ist, nicht hochachten; wer sein Sündenelend noch nicht recht fühlt, der wird sich nicht von ganzem Herzen nach dem Kreuz und Blut seines Heilandes sehnen. Wenn also Paulus allen Menschen gleichsam einen Schein vorlegt, des Inhalts: „Es ist hier kein Unterschied, sie sind allzumal Sünder, und mangeln des Ruhms, den sie vor Gott haben sollen rc.“ so laßt uns denselben nur willig und demüthig unterschreiben, und zwar nicht im Leichtsinn, fordern von ganzem Herzen, im Hinblick auf das, was Augustin sagt: „Wehe auch dem besten Leben der Menschen, wenn Du, o Gott, dasselbe ausser der Barmherzigkeit untersuchen willst“

Damit wir nun auch unserer Gewohnheit nach von dem Bisherigen die nöthige Nutzanwendung machen, so lasset uns 1) lernen, daß wir uns vor Sicherheit hüten sollen. - Wir finden in Gottes Wort mehrere ernste Ermahnungen, die uns zu einem vorsichtigen Wandel und zu anhaltendem Fleiß im Christenthum antreiben. „Ringet darnach, sagt unser Heiland, daß ihr durch die enge Pforte eingehet.“ „So sehet nun zu, erinnert Paulus, wie ihr vorsichtig wandelt, nicht als die Unweisen, sondern als die Weisen, und schicket euch in die Zeit; denn es ist böse Zeit. Schaffet, daß ihr selig werdet mit Furcht und Zittern.“ Wenn es nun je nöthig war, sich und Andern solche Sprüche vorzuhalten, so ist es gewiß höchst nöthig in diesen letzten bösen Zeiten, in welchen das Christenthum bei Vielen zur Fabel, die Gottseligkeit zum Gespötte, die Tugend zur Thorheit geworden ist, und das gottlose Wesen eine fast unglaubliche Höhe erreicht hat. - Darum o Christ, glaube sicher, daß du täglich unter lauter Stricken und Netzen des Satans wandelst, und daß du die letzten gottlosen Zeiten erlebt hast, in welchen Wenige, Wenige selig werden. Damit du aber unter den Wenigen seyest, so ringe und kämpfe täglich mit dir selbst, mit dem Satan und der gottlosen Welt. Traue dir selbst nicht allzuviel, sondern wisse, daß du einen großen Betrüger im Busen trägst. Wer sich auf sein Herz verläßt, sagt Salomo, der ist ein Narr. Das Herz, wie fromm es sich auch zuweilen stellt, ist doch immer voll böser Tücke. Es hat von Natur mehr Lust zur Welt und ihrer sündlichen Freude, als zu der geistlichen und göttlichen Traurigkeit; es trägt lieber den Rosenkranz der Welt, als die Dornenkrone des gekreuzigten Jesu; es will lieber auf dem breiten Sündenwege mit Freuden gehen, als das Kreuz auf sich nehmen und auf dem schmalen Wege mit Seufzen und Thränen. dem Herrn Jesu nachfolgen. Wer gern tanzt, sagt das Sprüchwort, dem ist leicht gepfiffen. Der gottselige Vorsatz, den wir jetzt vielleicht im Herzen haben, ist eine ausländische, seltene Blume, welche dasselbe gleichsam wider Willen hegt und trägt; die bösen Lüste aber sind seine natürlichen Gewächse. -

Daher, o Christ, wache, eifere über dein Herz, und bewahre es vor Allem, was zu bewahren ist. Es ist ein Tempel des Höchsten, siehe zu, daß nichts Unreines hineinkomme; es ist eine Quelle, sey vorsichtig, daß sie nicht vergiftet werde; es ist ein Garten, siehe wohl zu, daß er nicht voll Unkraut werde und verwildere. Bitte Gott alle Morgen, daß Er dein Herz bewahren möge, bitte Ihn eifrig, und mehr als um alles Andere, was du zu bitten hast, um den heiligen Geist. Erneure auch nach einem solchen Gebet deinen guten Vorsatz, und nimm dir fest vor, daß du nicht mit Wissen und Willen wider den Herrn, deinen Gott, sündigen wollest. - Merkwürdig ist es, daß die Apostel Petrus und Paulus das Wort waffnen gebrauchen, wenn sie von dein Fleiß in der Gottseligkeit reden. „Lasset uns ablegen die Werke der Finsterniß und anlegen die Waffen des Lichts. - Weil Christus im Fleisch für uns gelitten hat, so waffnet euch auch mit demselben Sinn.“ Damit wollten sie ohne Zweifel andeuten, daß ein Christ nicht bloß zur Zierde geschmückt, sondern auch gegen die listigen Anläufe des Satans, und gegen die Anreizungen des Fleisches und der Welt wohl verwahrt seyn solle. Solche Waffen aber sind das Gebet, die Betrachtung des Kreuzes und Todes Christi, die Erinnerung an einige Hauptstellen der heiligen Schrift, die tägliche Erneuerung des Taufbundes und dgl. Meide zugleich auch jede Gelegenheit zur Sünde, und fliehe die bösen Gesellschaften, betrachte alle Orte, in welchen gottloses Wesen herrscht, als Schlupfwinkel des Satans, und schöpfe Verdacht gegen Alles, was dich von der Nachfolge Jesu abwendig machen und zur Sünde verführen will. Laß dich durch keine süßen Worte einschläfern, oder zur Wollust bewegen, und ebenso wenig durch eine leichtsinnige Gesellschaft von dem Gehorsam gegen Gott abbringen. Vielmehr wende deine Augen ab, verstopfe deine Ohren, und verschließe dein Herz, und bedenke allezeit, daß auf solche Luft Unlust und auf diese scheinbar glückliche Zeit die unselige Ewigkeit folgt. Zuvörderst aber hüte dich vor falschen, irdisch gesinnten Freunden, sie sind die Unterhändler des Satans, um deine Seele zu verführen, zu verrathen und zu verkaufen. Kein Feind, selbst .der Teufel nicht, ist so gefährlich, als ein irdisch gesinnter, falscher Freund, der dich mit Schadenfreude in das Netz des Satans führt: Dieß ist die Bezauberung oder Verblendung der Bosheit, von welcher das Buch der Weisheit spricht. - Merket dieß besonders, ihr Jünglinge! Ihr seyd die jungen Bäume in dem Pflanzgarten der Kirche, sehet zu, wachet und betet, daß euch die böse Welt nicht mit ihrem Aergerniß verführe. Wenn eine Ziege einen jungen Baum benagt, so ist es meistens um sein Wachsthum geschehen, ebenso verscherzt die Tugend gemeiniglich ihre Wohlfahrt, wenn sie sich von der bösen Lust und dem Aergerniß der Welt zur Sünde verleiten läßt. Die jungen Bäume sind am besten an einem Pfahl verwahrt, weil sie noch zu schwach sind, den Winden allein zu widerstehen. Auf gleiche Weise muß auch die Jugend von Kindheit an lernen, sich an das Kreuz Christi zu halten, und durch Ihn ihr Fleisch zu kreuzigen samt den Lüften und Begierden. Auf die christliche Jugend kann mit allem Recht angewendet werden, was in der Offenbarung Johannis gesagt wird: „daß sie die Jungfrauen seyen, die dem Lamme nachfolgen, wo es hingeht, und daß sie erkauft seyen aus den Menschen zu Erstlingen Gott und dem Lamme.“ Billig sollten alle junge Leute das unbefleckte Lamm Gottes stets vor Augen und im Herzen haben, und Ihm in einem heiligen Wandel unverrückt nachfolgen. Sie sind die rechten Nasiräer, die Verlobten Gottes, welche das Gelübde der heiligen Taufe auf sich haben, und ihrem Gott gleichsam zu Erstlingen auserkoren sind. Darum sollen sie sich befleißigen, reiner zu seyn (in einem heiligen Wandel, in der Furcht Gottes, in der Keuschheit, Demuth und Sanftmuth) als der Schnee; und klarer als Milch. - Ein weiser Heide war der Meinung, ein junger Mensch sey der Sittenlehre noch nicht fähig, weil die Begierden seines Fleisches noch zu stark und unbändig seyen; allein das Wort Gottes verlangt von uns Christen das Gegentheil. Wir sollen die Jugend frühzeitig zur Nachfolge Christi anweisen, und sie in der Gottseligkeit unterrichten, und die Erfahrung lehrt auch wirklich, daß bei jungen Leuten durch Gottes Gnade, Wort und Geist am meisten auszurichten sey. Ihre zarten Herzen sind in der Bosheit noch nicht verhärtet, und sind also des Bildes Christi am meisten fähig. Denn, so lange das Wachs weich ist, muß man das Sigill darein drücken. - Gebt euch also Mühe, ihr Kinder, fromm und gottselig zu werden, so lange ihr noch jung seyd, und beuget euern Hals frühzeitig unter das sanfte Joch Christi. Man erfährt es leider täglich, wie viel es zu thun gibt, wenn man sich erst im Alter bekehren will. Ein junger Baum läßt sich noch ausgraben und von der Wildniß in einen Garten verpflanzen; wer will aber einen alten fortbringen? - Man sagt, die Jugend sey dem neuen Weine gleich, welcher braust und nährt, auch sich nicht einspünden läßt. Dieß mißbrauchen Manche und suchen damit die Sünden ihrer Jugend zu entschuldigen. Allein wer dieß genau überlegt, der wird die Lehre darin finden, daß sich die Jugend von Her Sünde und von der Welt unbefleckt erhalten müsse. Der junge Wein arbeitet und gäbet, daß er die Unreinigkeit, welche er von Natur mit sich führt, von sich entferne, und hernach als klarer Wein erfunden werde. So steht es der Jugend zu, daß sie mit der Hülfe und dem Beistand des heiligen Geistes täglich arbeite, um sich von aller Befleckung des Fleisches und Geistes zu reinigen, und sich geschickt zu machen, Gott ihr Lebenlang zu dienen in Heiligkeit und Gerechtigkeit. Gehorchet mir, ihr Kinder! und wachset, wie Rosen an den Bächlein gepflanzet, und gebet einen lieblichen Geruch von euch, wie der Weihrauch, und blühet wie die Lilien. -

2) Lasset uns daraus lernen, daß wir Niemand ein Aergerniß geben und stets die Worte des Herrn vor Augen haben sollen: „Wer aber ärgert dieser Geringsten einen, die an mich glauben, dem wäre besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er ersäufet würde im Meer, da es am tiefsten ist. Wehe der Welt, der Aergerniß halber! Es muß ja Aergerniß komm en, (weil die Bosheit der Welt sehr groß ist) doch, wehe dem Menschen, durch welchen Aergerniß kommt“ - Jede Sünde ist ohnehin etwas Schreckliches, weil sie Gottes Zorn und Ungnade nach sich zieht; sie wird aber noch schrecklicher, wenn sie Andern zum Aergerniß und Fall gereicht. Wenn ein großer Baum fällt und viele junge Bäume mit sich niederreißt, so ist der Schaden um so größer. Ein Mann, der junge Bäume mit großer Mühe und Sorgfalt gepflanzt hat, freut sich sehr darüber, wenn er Tragknospen an ihnen wahrnimmt und bald die ersten Früchte hoffen darf; aber auf der andern Seite betrübt er sich auch sehr, wenn er seine Hoffnung durch die Raupen unvermuthet vernichtet sieht. Sage also, o Mensch, wie wird es Gott gefallen, wenn Ihm die edelsten Pflanzen seiner Kirche, die jungen zarten Seelen, von welchen er die Früchte ihres Taufbundes erwartet, durch die Bosheit der Welt verdorben werden. - O, daß die Welt dieß bedenken und erkennen möchte, wie schrecklich das Aergerniß ist? Wer die Jugend durch sein Beispiel zur Bosheit verleitet, der ist ein Mörder und Todtschläger, der die Hölle doppelt verdient, weil er nicht allein den Leib, sondern auch die Seele ermordet. Er begeht die Sünde Joabs und Judas, weil er unter dem Scheine der Liebe, der Freundschaft und Gunst, ein unschuldiges, einfältiges Herz verleitet, und dem Teufel in die Hände liefert. O wie viele solcher Sünden hat Mancher auf seinem Gewissen, ohne daß er es' glaubt! Wie schrecklich wird das Gericht Gottes über einen solchen Menschen seyn! Er hat den Fluch seines Heilandes auf sich geladen, welcher ihn ängstigen und niederdrücken wird in Ewigkeit. - Prüfe dich daher, o Christ, ob auch du etwa diese schreckliche Sünde begangen und über dieselbe bisher leichtsinnig weggesehen hast? Bitte Gott, im Namen Jesu Christi, daß er dir dieselbe aus Gnaden verzeihen, den Geärgerten durch seinen heiligen Geist auf den rechten Weg verhelfen, und wieder gut machen möge, was du verdorben hast. Wende aber auch selbst allen Fleiß an, den Saamen der Bosheit, welchen du in ein junges Herz gestreut hast, wieder auszurotten, und wenn dich Gott zur Buße und Besserung hingeleitet hat, so suche auch Andere zu gewinnen, und wieder zu Gott zu bringen. Darauf deutet wohl auch David hin, wenn er Gott verspricht: er wolle die Uebertreter Seine Wege lehren, daß sich die Sünder zu Ihm bekehren; wie wenn er sagen wollte: „Mein Gott, ich erkenne, daß ich durch meine schwere Sünden unter Deinem Volke ein großes Aergerniß gegeben habe; ich will mich aber mein Lebenlang eifrig bemühen, dasselbe wieder zu vertilgen.“ -Dieß ahme nach, o Mensch, wenn man glauben soll, daß deine Buße ernstlich sey. Schäme dich nicht, dich selbst zu beschuldigen, und deine Sünden zu verdammen; und bemühe dich, wie du früher ein Verführer gewesen, nun ein Vorbild der Tugend mit Worten und Werken zu seyn. Denn die Erfahrung lehrt, daß nichts auf die verführten Herzen einen so starken Eindruck mache, als wenn sie sehen, daß eben der, welcher sie vorher zur Sünde verleitete, sie später vor derselben warnt und mit Thränen seinen vorigen Zustand bereut. Der Stich eines Scorpions wird nicht leichter geheilt, als wenn man denselben zerquetscht und ihn auf die Wunde legt; eben so wird das Aergerniß nicht besser gehoben, als durch die Buße dessen, der es gegeben hat. - Daher suche ein Jeder nach seinem Vermögen dem mannigfachen Aergerniß der Welt zu steuern. Lasset uns die Steine aus dem Wege räumen, an welchen sich die zarte Jugend stoßen kann, und die Herzen durch fleißige Ermahnungen vor dem schleichenden Gift der Bosheit bewahren. - Ein nachahmungswürdiges Beispiel gab einst ein reicher Mann zu Gent. Dort wurde auf dem Jahrmarkt eine Bude aufgestellt mit allerlei schändlichen Gemälden. Als dieser dieselben sah, kaufte er das Ganze und verbrannte Alles, damit es Niemand zum Aergerniß gereichen möchte. O wohl angelegtes Geld! Gott erwecke Viele seines Gleichen und verleihe uns Allen die Gnade, daß wir wider das gottlose Wesen mit Eifer beten, lehren, schreiben, reden, streiten, und das Reich des Teufels, so viel an uns ist, zerstören helfen. Lasset uns mit Jesaias sprechen: „Ach, daß ich möchte mit den Hecken und Dornen (der Bosheit und des gottlosen Wesens) kriegen, so wollte ich unter sie reißen, und sie auf einem Haufen anstecken“

3) Wollen wir aus dem Bisherigen auch noch einigt Trostgründe für diejenigen ausheben, welche wegen der Sünden ihrer Jugend betrübt sind. Es ist wahr, was der heilige Augustin sagt: Wenige sind so glücklich, daß sie von Jugend an keine schwere Sünde begehen oder sich keines Lasters 'oder einer Uebelthat theilhaftig machen, und mit allem Eifer die Lüste ihres Fleisches unterdrücken. Die Meisten werden von der gottlosen Welt zu solchen Dingen verleitet, die zeitlebens ein nagender Wurm im Herzen sind, und sie, so oft sie daran denken, zu Thränen rühren. Aber es ist eine große Gnade Gottes, wenn es mit dem Menschen dahin kommt, daß er die Sünden seiner Jugend erkennt und sein Lebenlang herzlich bereut. Es gibt ruchlose Leute, welche sich derselben mit Luft erinnern, besonders, wenn sie einige von ihren früheren Gesellschaftern antreffen. Mögen diese bedenken, daß sie ihre Sünden von neuem vor Gott begehen, so oft sie sich derselben mit Luft erinnern und daß ihnen dieselben so lange nicht vergeben sind, wenn sie gleich schon hundertmal gebeichtet und das heilige Abendmahl empfangen haben. Wie kann da eine aufrichtige Buße seyn, wo man an der Sünde seine Freude hat, und wie kann uns Gott das vergeben, was wir noch jetzt mit Freude n erwähnen, und damit bezeugen, daß es uns nicht am Willen zu sündigen, sondern nur an Gelegenheit und Kräften fehlt? - Darum, o Christ, wenn es mit dir dahin gekommen ist, daß du herzlich betrübt wirst, wenn du an die Sünden deiner Kindheit und Jugend denkst, wenn du dich nicht ohne Thränen und Seufzen daran erinnern kannst, so danke Gott für seine große Langmuth und Güte, daß er dich nicht in deinen Sünden weggerafft und der ewigen Verdammniß übergeben hat. Halte solche Geduld Gottes für deine Seligkeit, danke Ihm, daß Er dich zur Erkenntniß gebracht, und dir Gelegenheit zur Buße gegeben hat. Versäumet nicht mit David zu beten: „Gedenke, o Gott, nicht der Sünden meiner Jugend und meiner Uebertretung, gedenke aber mein nach deiner Barmherzigkeit um deiner Güte willen“ Lege dich täglich deinem Jesu zu Füßen, netze sie mit deinen Thränen, und bitte Ihn um Gnade, um die Regierung und den Trost des heiligen Geistes und um die völlige Erneuerung deines verderbten Herzens, so wirst du erlangen, was du suchst, wenn gleich die völlige Versicherung der Vergebung nicht sogleich erfolgt. - Gottes Güte weiß nämlich auch aus dem Uebel der Sünde etwas Gutes zu schaffen. Manchem muß das beständige Andenken an seine Sünden zur immerwährenden Buße, zum fortdauernden Verlangen nach der Gnade Gottes zur Liebe gegen Jesum, den Sündentilger, zu größerer Vorsicht, wie zu stärkerem Haß gegen das Böse, zur Geduld in Trübsal, zur Demuth und Sanftmuth dienen. - Sey daher getrost, du betrübtes) bußfertiges Herz, und wisse, daß unser Gott nicht ansieht, was wir gewesen, sondern was wir jetzt sind und gerne seyn möchten.“ - Wenn sich der Gottlose bekehret, spricht Er, von allen seinen Sünden, die er gethan hat, so soll er leben und aller seiner Uebertretung, die er begangen hat, soll nicht gedacht werden.„ Die Sünden, deren der Mensch mit Thränen gedenkt, sind bei Gott vergessen; was uns unser Gewissen vorhält, um uns Furcht einzuflößen und zu betrüben, das ist im Buche Gottes durch das Blut Jesu Christi längst ausgethan und getilgt; was dagegen bei sichern und ruchlosen Menschen vergessen ist, das bleibt bei Gott aufgeschrieben. Gott sey uns gnädig, und lasse alle unsere Sünden um Jesu willen vergeben und vergessen seyn! Amen.