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Schies, Emanuel - Preis ausharrender Jüngertreue.

Predigt von Emanuel Schies, Pfarrer in Buchs.

Text: Ihr aber seid's, die ihr beharrt habt bei mir in meinen Anfechtungen. Und ich will euch das Reich bescheiden, wie mir's mein Vater beschieden hat. Luk. 22. 28, 29.

Meine andächtigen und in Christo Jesu unserem Herrn und Heilande geliebte Mitchristen!

Wenn es irgendetwas gibt, was den sogenannten Christen unserer Zeit so ganz abhandengekommen zu sein scheint, so ist's der Mut mit Christo zu leiden, und die auch unter Anfechtung bei ihm ausharrende Treue. Dass es allen Christen von dem Herrn, dessen Namen sie tragen, als Aufgabe überbunden sei, sich selbst zu verleugnen, dem Heilande das Kreuz nachzutragen und ihm also nachzufolgen; davon scheint man keine Ahnung zu haben. An solchen Leuten, die an der kräftigen Verkündigung der Wahrheit eine Freude haben, so lange keinerlei Nachteil am zeitlichen Gute, keinerlei Schmach, keinerlei Leiden sich mit dem Bekenntnisse der Wahrheit verbinden, an solchen Leuten fehlt es heut zu Tage, fehlt es auch unter uns keineswegs; aber es soll nur ein kleiner Windhauch der Anfechtung zu wehen beginnen gegen die Jünger Jesu, so verkriechen sie sich bald in alle Winkel. Es verhält sich mit dieser heut zu Tage ziemlich zahlreichen Klasse von sogenannten Jüngern Jesu wie mit jenen Leuten, von denen der Heiland im Gleichnisse von viererlei Acker sagt: „Eine Zeit lang glauben sie, danach aber fallen

sie ab.“ So haben's nun freilich die ersten Jünger Jesu, so haben's seine Apostel nicht gemacht. Sie haben Jahre lang unter mancherlei Anfechtung treulich bei ihm ausgeharrt. Dass ihr Meister angefochten wurde bald von den Pharisäern, bald von den Sadduzäern; dass bald von Seiten des Herodes und seines Hofgesindes Gefahren ihn bedrohten, bald die Hohenpriester ihn wollten greifen lassen; dass er oft und oft auf der Flucht sein musste vor seinen Feinden; dass einmal und das andere Mal die Juden Steine aufhoben, um ihn zu steinigen; dass er nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegen konnte und von Wohltaten seiner Freunde leben musste; dass es also viele Strapazen und Entbehrungen in seinem Dienste gab: das Alles konnte sie an ihm nicht irre machen; darum verdienten und erhielten sie denn auch aus dem Munde des Herrn das ehrenvolle Zeugnis: „Ihr aber seid es, die ihr beharrt habt bei mir in meinen Anfechtungen“, und mit demselben sich verbindend die große Verheißung: „Und ich will euch das Reich bescheiden, wie mir's mein Vater beschieden hat, dass ihr essen und trinken sollt über meinem Tische in meinem Reiche, und sitzen auf Stühlen und richten die zwölf Geschlechter Israels.“ Wohlan, Christen, hat der Herr Jesus mit solcher Anerkennung gesprochen von dem Beharren seiner Jünger bei ihm in seinen Anfechtungen, so muss es ja wohl um die ausharrende Jüngertreue gläubiger Christen noch jetzt etwas Köstliches, sie muss in den Augen Jesu etwas Großes sein auch in unserer Zeit, wo die lautere Lehre seines Wortes so vielen Anfechtungen ausgesetzt ist, und es muss daher jedem redlichen Christenmenschen umso ernster daran gelegen sein, treu zu beharren bei ihm, dem treuen Heilande, und am wahren, unverfälschten Christentume unentwegt festzuhalten.

Der Preis ausharrender Jüngertreue sei demnach der Gegenstand unserer heutigen Betrachtung. Preiswürdig, sagen wir, muss die ausharrende Jüngertreue sein, denn

1) Jesus kennt sie,
2) Jesus lobt sie,
3) Jesus freut sich ihrer,
4) Jesus lohnt sie.

Herr Jesu Christe, Schönster der Menschenkinder, liebenswürdigster Gottessohn! Inmitten einer christlich sich nennenden Welt, die von dir weicht, wenn's etwas kosten soll, dich zu bekennen, hilf uns, o hilf durch deine Alles vermögende Gnade uns, deinen mannigfach schwachen, mannigfach furchtsamen, wankenden Jüngern, dir nachfolgen durchs Gedränge auf dem Wege zu den Sternen, der mit Kreuzen ist besetzt! Hilf uns bei dir beharren in deinen Anfechtungen bis ans Ende, damit du uns könnest stehen lassen zu deiner Rechten, wenn du nun erscheinst in deiner Herrlichkeit und in deinem Reiche! Amen.

I.

Preiswürdig muss das Beharren bei dem Herrn in seinen Anfechtungen, d. h. auch dann, wenn sein Bekenntnis Anfechtung nach sich zieht, sein. Das geht schon daraus hervor, dass der Herr solches Beharren bei ihm kennt, aufmerksam darauf achtet und Solche, die auch dann bei ihm beharren, wenn solches Beharren Schaden und Nachteil am zeitlichen Gute, und Schmach und Leiden Seitens der Welt nach sich zieht, ganz gut von bloßen Namenjüngern zu unterscheiden weiß. Und wer sollte das besser können als er, der nicht nach dem Scheine urteilen muss, dessen Blick das Innerste durchdringt, und der auch in der Apostel Mitte noch einen Judas zu erkennen und zu durchblicken vermag? Und warum sollte auch der Herr Christus seine Getreuen nicht kennen? warum sollte er seine unter allen Umständen bei ihm ausharrenden Jünger nicht von falschen Jüngern zu unterscheiden vermögen? Frage nur dich selbst, welche deiner Bekannten und Verwandten du, wenn sie dir begegnen auf Wegen und Stegen, am schnellsten kennst. Sind's etwa Die, die, so lange es dir gut ging, dir zugetan schienen, die aber wie Spreu im Winde zerstoben, sobald einmal ein Wetter der Trübsal über deinem Haupte losbrach? Sind's nicht vielmehr Diejenigen, welche unter allen Umständen sich gleich geblieben, ja die als Freunde in der Not sich erwiesen? Was meinst du? Meinst du, ein aus seinem Erbe vertriebener, von seinen rebellischen Untertanen verfolgter König werde die Knechte nicht kennen, die ihm ins Elend nachgefolgt, die sich an ihm nicht gestoßen in der Zeit seiner Niedrigkeit? Meinst du, er werde sich nicht merken die Namen derer, die sich auch da zu ihm hielten, als keine Ehre, kein Vorteil, keine Genüsse mit der Anhänglichkeit an ihn verbunden waren? als vielmehr solches Beharren bei ihm nur Nachteil und Gefahr bringen konnte? Wohlan, so zweifle nicht, dass der Heiland nicht eben also werde getan haben und noch tun gegen seine treuen Jünger. Was er auch zu klagen haben mochte über die Herzensträgheit und Herzenshärtigkeit seiner Jünger, er erkannte in ihnen dennoch die, die bis ans Ende ihm treulich nachgefolgt waren und sich durch alle die Anfechtungen nicht hatten von ihm schrecken lassen, zufolge derer so Viele hinter sich gegangen waren; und das wollte er, der sonst so karg war mit seinem Lobe, ihnen doch noch sagen vor seinem Hingange zum Vater: Ich kenne euch wohl, ich habe eure Treue, euer beharrliches Bleiben bei mir nicht vergessen, und weiß solches auch nach seinem vollen Werte zu würdigen. Da siehst du's also, mein Zuhörer, Jesus kennt die, die in seinen Anfechtungen bei ihm verharren. Kennet er dich auch als einen Solchen? Wird er wohl an jenem großen Tage dir auch das Zeugnis geben können: Du bist es, der du bei mir beharrt in meinen Anfechtungen? Wird er nicht etwa umgekehrt, wenn du, erstaunt über seine Kälte, ihn zu fragen geneigt sein möchtest: Herr, kennst du mich denn nicht? dir antworten müssen und sprechen: Freilich kenne ich dich! Warum sollte ich dich nicht kennen, du feige, furchtsame, erbärmliche, abtrünnige, verräterische Seele, die unter dem äußeren Scheine meiner Jüngerschaft je und je von mir gewichen, mich verlassen und elendig verleugnet hat, so oft es etwas zu leiden gab um meines Namens willen? Ja, ich kenne dich, aber nicht als meinen Jünger. Weiche von mir, Übeltäter!

II.

So kennt denn Jesus die Seinen, und sein Scharfblick unterscheidet die Spreu lauer Scheinanhänger von dem Weizen seiner treu bei ihm beharrenden Jünger. Aber beim bloßen Kennen der Seinen bleibt er nicht stehen; - zum Kennen kommt auch das Anerkennen. Indem nämlich der Herr an seine Apostel das Wort richtet: „Ihr aber seid es, die ihr bei mir beharrt seid in meinen Anfechtungen“, teilt er ihnen ein Lob mit, das ihnen unendlich köstlicher sein musste, als alle Anerkennung von Menschen ihnen hätte sein können. Es ist aber, als ob er spräche: „Zweifelt daran nicht, dass ich euch für meine wahren Jünger nicht erkannt habe. Sind Hunderte und Tausende hinter sich gewichen; ihr seid bei mir geblieben. Haben Andere sich gestoßen an meinen Anfechtungen; ihr habt euch daran nicht geärgert. Sind Andere müde geworden; eure Treue hat ausgeharrt. Sind Andere untreu geworden, so bliebt ihr doch treu. Was ich immer noch möge an euch auszusetzen haben, gleichwohl kann und will ich euch dies Zeugnis nicht versagen, gleichwohl soll euch diese Anerkennung nicht geschmälert werden.“ Was meint ihr, meine Freunde, eine solche Anerkennung, ein solches Lob aus Jesu Munde, war das nicht etwas Großes, etwas über die Maßen Erquickliches für die Apostel?

Ach, das arme Menschenherz dürstet ja recht eigentlich nach Anerkennung; es tut ihm so wohl, etwa auch ein Lob zu vernehmen. Es lässt sich der Mensch so viel Mühe, so viele Opfer, so viele Selbstverleugnung gefallen, um von Menschen gerühmt zu werden, um etwa ein Weihrauchkörnlein sich gestreut zu sehen in einer Predigt, in einem Buche, in einem Berichte, in einer Unterhaltung - und doch, wie eitel und nichtig ist Menschenlob, so bald vergessen, so bald vom Winde verweht! Wohlan, du kannst, wenn du nur willst, eines Lobes teilhaft werden, mit dem sich kein noch so ehrendes Zeugnis von Menschen auch nur von ferne vergleichen lässt.

Wenn ein König, nachdem er seine Feinde besiegt, sein Reich wieder eingenommen, seinen Thron wieder erobert und bestiegen, in Gegenwart der Großwürdenträger seines Reiches Diejenigen vor sich riefe, die ihm unter Schmach und Leiden nachgefolgt in der Zeit seiner Erniedrigung, und nun laut und öffentlich es ausspräche: Ihr seid es, die ihr bei mir beharrt in meinen Anfechtungen; in euch erkenne ich meine treuen Knechte, meine wahren Freunde! Eine solche öffentliche feierliche Beehrung müsste ja den, dem sie widerführe, ganz freudetrunken machen; sie müsste ja, nicht wahr, sein Herz mit Rührung erfüllen? Und doch, was wäre das Alles, verglichen mit der Anerkennung, die der Herr Christus, der König Himmels und der Erde, spenden wird an jenem Tage Angesichts der vielen Tausende seiner Engel und Erzengel, Angesichts der ganzen Welt, den Seelen, die bis ans Ende bei ihm beharrt in seinen Anfechtungen! Hat sein wahrhaftiger Mund es ja doch aufs Feierlichste verheißen: „Wer mich bekennen wird vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater und vor seinen heiligen Engeln.“ Was sagst du dazu, lieber Christ? Möchtest du nicht auch solchen Lobes und solcher Anerkennung gewürdigt werden aus dem Munde dessen, auf dessen Zeugnis ja Alles ankommt, während am Ende Menschenlob und Menschenzeugnis nichts entscheiden können in Beziehung auf dein ewiges Loos, und überdies oft so unzuverlässig sind, oft sogar nicht nach Verdienen gespendet werden? Ist nun dies wirklich dein herzlicher Wunsch der Weg zu seiner Erfüllung ist dir gezeigt. Harre aus bei Christo, auch wenn Leiden sein Bekenntnis begleiten, auf dass du also sein Herz erquicken mögest und er dich zu seiner Zeit hinwieder tröste und erquicke durch das Zeugnis: „Du aber bist es, der du bei mir beharrt in meinen Anfechtungen.“

III.

Ja, zur Erquickung dient dem liebenden Jesusherzen die ausharrende Jüngertreue; das aber eben, dass du damit eine Freude bereiten kannst deinem Herrn, sei dir ein weiterer dringender Grund des Beharrens bei ihm auch unter dem Kreuze und den Anfechtungen, die dem rechtschaffenen Jüngertume wahrer Christen auf dem Fuße nachfolgen. In der Tat ist es ein Ausdruck der Freude, die das Herz des Herrn über der Treue seiner Apostel bewegte, was in unserem Textesworte uns entgegen tritt. Der letzte Abend seines Wallens hienieden war gekommen; die Stunden waren nahe, da er den bitteren Leidenskelch für die Sünden der Menschen bis auf die Hefen leeren sollte. Angesichts dieses letzten schwersten Teiles seines Versöhnungswerkes musste es seinem Herzen unbeschreiblich wohl tun, wenigstens in seinen Aposteln eine Frucht seines Leidens schon leibhaftig vor sich zu sehen, ob auch der Anblick des Verräters seine Freude trüben mochte. Schon verlassen von dem großen Haufen und im Begriffe von dem Volke sogar verworfen zu werden, an dem doch sein Herz mit so treuer Liebe hing, war es ihm eine große Erquickung, doch noch einige Seelen um sich vereinigt zu sehen, deren Herzen treu an ihm hingen. Versetze dich nur einmal in die Lage, in der der Heiland sich damals befand; und damit du dich in dieselbe versetzen könnest, frage dich, wie es dir zu Mute sein müsste, wenn du, von Not und Trübsal umfangen, dich verlassen sähest von der größten Zahl derer, auf deren Freundschaft du bisher geglaubt hattest felsenfest bauen und trauen zu dürfen! Frage dich ferner, wiewohl es dir hingegen tun müsste, auch in solcher schweren Lage noch einige treue Freunde um dich versammelt zu sehen! Siehe, gerade so wurde des Heilandes Herz erquickt durch das Beharren seiner Jünger bei ihm in seinen Anfechtungen. Meinst du nun aber, dies sei etwa nur damals der Fall gewesen? Meinst du, der Herr blicke nicht noch jetzt mit stiller Freude auf die Seelen, die inmitten des immer allgemeiner hereinbrechenden Abfalles durch keine Anfechtung sich von ihm treiben lassen, und die es sich ihm gegenüber unter allen Umständen zum Wahlspruche erkoren haben: „Wenn Alle untreu werden, so bleiben wir doch treu!“? Wohlan, solltest nicht auch du solche Freude deinem Heilande bereiten wollen? Bist du es ihm nicht schuldig? Hat er, der um deinetwillen vor keiner Marter zurückschreckte, es um dich nicht verdient, dass du bei ihm beharrest in seinen Anfechtungen? Treibt dich denn die Dankbarkeit für die Liebe, die er dir für dich leidend und sterbend bewiesen, nicht mit unwiderstehlicher Macht an, seinem Herzen eine Erquickung zu bereiten durch ein unentwegtes Beharren bei ihm? Soll sein liebewarmes Herz etwa auch von dir verwundet und durchbohrt werden, wenn er nun auch dich weggehen sieht gleichwie auch die Übrigen? Nein, das sei ferne! Ferne sei von dir ein solcher schändlicher Undank; sondern wenn immer dein Herz nicht ganz erkaltet gegen den Herrn, dessen Namen du trägst, so stehe zu, dass du dich vom Bekenntnisse seines Namens nicht schrecken lassest durch die Anfechtungen, die er, der Heiland selbst, in seinem Worte und Evangelium immer mehr wird zu bestehen haben. Du tust es ja wahrlich nicht ihm allein zu lieb, du tust es ja allervörderst dir selbst zu lieb; du tust es ja nicht umsonst, und vergiltst deinem Heilande damit wahrlich nichts, was er dir nicht längst zuvor gegeben! Ja, du tust damit nur, was dir selber hier und dort den köstlichsten Segen, den herrlichsten Gnadenlohn einbringen wird; denn wie der Herr die bei ihm ausharrende Treue kennt und lobt und ihrer sich freut, so lohnt er sie auch, und das ist das Letzte, was wir als einen Grund des Preises ausharrender Jüngertreue ins Auge fassen wollen.

IV.

So undankbar, so unedel ist kein König, dass er nicht diejenigen seiner Untertanen königlich belohnte, die inmitten seiner Anfechtungen bei ihm ausgehalten. Wird er erst einmal sein Reich eingenommen haben, so wird er sie gewiss Teil nehmen lassen an seiner Herrlichkeit. Wird aber ein irdischer Fürst schon also handeln, wie vielmehr wird dann unser Herr und Meister also tun, sintemal er ist ein König aller Könige und ein Herr aller Herren. Wir hören ja aus seinem selbsteigenen Munde, unmittelbar nach dem anerkennenden Worte, das er an seine Jünger gerichtet, das damit sich verknüpfende köstliche Verheißungswort: „Und ich will euch das Reich bescheiden, wie mir's mein Vater beschieden hat.“ Zwar so lange die Apostel hier auf Erden wallten, war ihnen von äußerem Glanze, von äußerem Wohlleben, von äußerer Herrlichkeit nichts beschieden; da galt's vielmehr noch täglich mit ihm zu leiden, mit ihm sich zu verleugnen, mit ihm zu sterben. Doch inmitten solchen Leidens mit dem Herrn und um des Herrn willen erfüllte sich an den also leidenden und kämpfenden Jüngern Jesu Christi jene Weissagung, die er ihnen gegeben, nachdem sie ihn gefragt hatten: „Herr! wir haben Alles verlassen und sind dir nachgefolgt, was wird uns dafür?“, die Verheißung nämlich: „Wahrlich, ich sage euch: es ist Niemand, so er verlässt Häuser, oder Brüder, oder Schwestern, oder Vater, oder Mutter, oder Weib, oder Kinder, oder Äcker um meinetwillen und um des Evangelii willen, der nicht hundertfältig empfange jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder und Äcker mit Verfolgungen, und in der zukünftigen Welt das ewige Leben. Viele aber werden die Letzten sein, die die Ersten sind, und die Ersten sein, die die Letzten sind.“ -

Und nachdem der Heiland seinen treuen Knechten rettend und segnend beigestanden unter dem Leiden und Kreuztragen um seines Namens willen und ihre Treue herrlich gelohnt, hat er sie endlich erlöst aus allem Elende und sie hinein errettet in sein Reich der ewigen Herrlichkeit. Dort nur erglänzt auf ihren Häuptern der Überwinder Krone; dort nur ruhen sie von aller ihrer Arbeit; dort nur lässt er seine Herrlichkeit sie schauen; dort nur sehen ihre Augen den König in seiner Schöne; dort nur dürfen sie vor ihm ausgehen und umgehen und sich freuen einer ungetrübten Gemeinschaft mit dem Herrn, den sie geliebt, dem sie gedient, für den sie gelitten und gestritten haben, und bei dem sie beharrt sind in seinen Anfechtungen bis ans Ende. Dass aber dem wirklich also sei, dass in seinem Reiche die Fülle der Herrlichkeit ihnen beschieden worden, dass sie sitzen auf Stühlen und richten die zwölf Geschlechter Israels; auch das wird uns dermaleinst kund werden und offenbar in der Vollendung aller Dinge, wenn das Vergängliche wird angezogen haben das Unvergängliche, und das Verwesliche die Unverweslichkeit. Solchen herrlichen Gnadenlohn hat aber der Herr nicht nur seinen Aposteln zugedacht. Werden auch nicht alle treue Streiter des Heilandes sitzen können auf jenen Thronen, um zu richten die zwölf Geschlechter Israels, so ist's doch Allen beschieden, mit dem Herrn zu herrschen in seinem Reiche. „Du hast uns zu Königen und Priestern gemacht, und wir werden herrschen auf Erden.“ So hörte Johannes im Geiste singen jene Schaar, die er sah am kristallenen Meere, aus allen Völkern und Ländern und Sprachen, die Niemand zählen konnte. „Wisst ihr nicht, dass wir die Engel richten werden?“ So ruft Paulus allen Gläubigen zu Korinth zu. Von Allen, die da gekommen sind aus großer Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen, und haben ihre Kleider helle gemacht im Blute des Lammes; von Allen, die gewürdigt werden einzugehen durch die Tore in die Stadt, wird bezeugt: „Es wird sie nicht mehr hungern, es wird sie nicht mehr dürsten, es wird nicht mehr auf sie fallen die Sonne oder sonst eine Hitze; sondern das Lamm mitten im Stuhle wird sie weiden und leiten zu den lebendigen Wasserquellen, und Gott selbst wird abwaschen alle Tränen von ihren Augen.“ Fülle des Genusses, Fülle der Macht verheißt der Herr Allen, denen er das Zeugnis geben darf: „Ihr aber seid es, die ihr bei mir beharrt seid in meinen Anfechtungen!“

Freilich nicht einen Mietlingssinn soll ein Jünger Jesu haben, nicht um des Lohnes willen vorzüglich soll er bei seinem Herrn und Meister ausharren, nicht in lohnsüchtiger Gesinnung ihm dienen; er soll zuvörderst das tun, getrieben von Liebe und Dankbarkeit. Aber wenn der Heiland selber, um unserer Schwachheit entgegenzukommen, der bei ihm ausharrenden Jüngertreue einen Gnadenlohn verheißt in seinem Reiche, warum sollten wir uns nicht auch durch seine Verheißungen ermuntern lassen, das umso williger, umso leichter, um so freudiger zu tun, was ja ohnehin die heiligste Pflicht des Gehorsams und des Dankes von uns verlangt? An jenen ersten Jüngern und Aposteln unseres Herrn, an welche unsere Textesverheißung in erster Linie gerichtet wurde, hat sie herrlich angeschlagen; sie haben sich dadurch ermuntern lassen, treu und immer treuer zu werden, und nachdem sie ein Leben der Selbstverleugnung und des Leidens um seinetwillen ihrem teuren Herrn geweiht, stürzten sie sich für ihn endlich freudig und todesmutig selbst in des Todes Rachen.

Ganz großmütig sie verachten,
Was die Welt für Vorteil hält
Und wonach die Meisten trachten,
Es mag sein Ehr', Wollust, Geld.
Furcht war nicht in ihnen,
Auf die Kampfschaubühnen
Sprangen sie mit Freudigkeit,
Hielten mit den Tieren Streit. 1)

Und du kleines Häuflein derer, die da gerne bei dem Heeresfähnlein des himmlischen Königs möchten beharren, du solltest nicht durch den Anblick dieser Zeugenwolke, durch den Aufblick auf den Anfänger und Vollender des Glaubens dich lassen anfeuern, bei ihm, deinem Gott und Herrn, fest zu stehen inmitten aller Anfechtungen? Wenn es etwa in den Schlachten des Kaisers Napoleon in den schwierigsten Augenblicken, da selbst der Kern des Heeres schien wanken zu wollen, aus dem Munde irgendeines erprobten Kriegers hieß: Soldaten! der Kaiser richtet den Blick auf euch! so war das genügend, die Wankenden zum Stehen zu bringen. Mitten im entsetzlichen Schlachtengewühle, unter dem Donner von tausend Feuerschlünden, wenn ganze Glieder hinsanken in den Staub zur Rechten und zur Linken, standen die vereinzelten Krieger wie unentwegliche Felsen da, und schlossen mit der ruhigsten Todesverachtung die furchtbar gelichteten Reihen. -

Und ihr Streiter des Allerhöchsten! ihr solltet wanken oder gar zur Flucht umwenden, während ihr doch wisst: der Herzog der Seligkeit kämpft an unserer Spitze; Jesus blickt auf uns, Jesus erwartet von uns, dass wir bei ihm ausharren in seinen Anfechtungen, bis dass er den Streit ausführe zum Siege? Nein, nein, das sei ferne, sondern lasst uns vielmehr folgen dem Aufrufe, der auch an uns ergeht:

Löwen, lasst euch wiederfinden,
Wie im alten Christentum,
Die nichts konnte überwinden;
Seht nur an ihr Martertum,
Wie in Lieb' sie glühen,
Wie sie Feuer sprühen,
Dass sich vor der Sterbenslust
Selbst der Satan fürchten musst'. 2)

Ihr Nikodemusseelen aber, die ihr euch auch gerne zum Heilande halten möchtet, ja wenn's nichts kostete, ja wenn's dabei nichts zu opfern, nichts zu leiden gäbe! die ihr nur bei Nacht zu ihm kommen wollt, damit ihr ja von der Welt unerkannt bleiben möchtet! die ihr gerne seine Jünger sein möchtet, ja wenn's nur Niemand erführe! - hervor, hervor aus euren Verstecken! Es gilt wahrlich nicht auf beiden Seiten hinken, sonst werdet ihr endlich erbärmlich zurück bleiben; der Heiland wird euch endlich auch öffentlich verleugnen müssen, da ihr nicht öffentlich ihn bekennen wollt. Leiden um Jesu willen, kommt freilich dem alten Menschen sauer an; ihm sein Kreuz nachtragen, ist freilich nicht nach dem Geschmacke des sündlichen Fleisches: allein es geht nun einmal anders nicht zur wahren Jüngerschaft Christi als durch ein Beharren bei ihm in seinen Anfechtungen. Es wäre freilich angenehmer, bei der gewinnenden Partei zu sein, als bei dem verachteten Häuflein zu stehen. Aber einmal müssen wir bei der verlierenden Partei sein; es kommt nur darauf an, ob's besser sei, hier in der Zeit oder dann drüben.

Das ist freilich keine so schwere Kunst, sich mühsam zu winden und zu drehen, um ungeschlagen durchzukommen; aber das ist eine Kunst, die Welt nicht fürchten, sie zwar herzlich lieben, aber dabei ihr mutig zwischen die Zähne treten - eine Kunst, bei deren Ausübung es freilich ohne Wunden und Striemen nicht abgeht. Und diese schwere und doch süße Kunst, die Apostel kannten sie und übten sie treulich bis an ihr selig Ende. Und wir können, wir sollen, wir müssen sie auch lernen, wollen wir rechtschaffene Jünger sein unseres Meisters und Herrn vom Himmel. Wir können, wir sollen, wir müssen auch bei ihm beharren in seinen Anfechtungen. Denn

Sollen und nicht wollen,
Das ist eine Schande
In dem ew'gen Vaterlande.
Will man ehrlich bleiben,
Und vor Gottes Herden
Nicht ein böser Bube werden,
Muss man sich lediglich
Dem zum Dienst ergeben,
Dem wir Alle leben. 3)

Dazu hilf uns, lieber Herr Gott, durch deine Gnade! Ja, hilf uns Herr Jesu Christe, dass wir

Bis in Tod durch deine Kraft
Üben gute Ritterschaft,

auf dass du uns das Reich könnest bescheiden, wie dein Vater es dir beschieden hat. Amen.