Von Dekan Pressel in Ulm.
Ev. Joh. 14, 23-31. (I. Jahrgang.)
Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen. Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein, sondern des Vaters, der mich gesandt hat. Solches habe ich zu euch geredet, weil ich bei euch gewesen bin. Aber der Tröster, der Heilige Geist, welchen mein Vater senden wird in meinem Namen, derselbige wird es euch alles lehren und euch erinnern alles des, das ich euch gesagt habe. Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht. Ihr habt gehört, dass ich euch gesagt habe ich gehe hin und komme wieder zu euch. Hättet ihr mich lieb, so würdet ihr euch freuen, dass ich gesagt habe: ich gehe zum Vater; denn der Vater ist größer denn ich. Und nun habe ich es euch gesagt, ehe denn es geschieht, auf dass, wenn es nun geschehen wird, dass ihr glaubt. Ich werde hinfort mehr nicht viel mit euch reden, denn es kommt der Fürst dieser Welt, und hat nichts an mir. Aber auf dass die Welt erkenne, dass ich den Vater liebe und ich also tue, wie mir der Vater geboten hat: steht auf und lasst uns von hinnen gehen.
Pfingsten ist's!
O heil'ger Geist, kehr' bei uns ein,
Und lass uns deine Wohnung sein,
O komm du Herzenssonne! 1)
Dieser Dreiklang, in dem unser Lied anhebt, heißt eine christliche Gemeinde das hohe Fest feiern als einen Tag
I. herrlichster Erinnerung,
II. ernstester Demütigung,
III. dankwertester Ermutigung.
O heil'ger Geist, kehr' bei uns ein! Was Jesus hier den Seinigen vor dem Scheiden versprach, ist an Pfingsten Tatsache geworden. Als der Tag erfüllt war, lesen wir in der Apostelgeschichte, fand er die Gläubigen einmütig beisammen, von Einer Liebe zum aufgefahrenen Meister verbunden, in Einem Gehorsam gegen sein Wort, in Einem Vertrauen zu seiner Treue, harrend einer Mitteilung seiner Kraft aus der Höhe. Da, wie das erste Menschenpaar einst im Säuseln der Abendlust Gottes Fuß nahen hörte, fühlen sie sich von Jesu Lebensodem, als von einem gewaltigen Wind, erfasst; sie flammen in Begeisterung auf, brechen zum Preis der großen Taten des Ewigen aus, reden, wie wenn sie voll süßen Weines wären, in allerlei Sprachen von den Wundern der Gnade, hören dann in wonniger Andacht eine Predigt vom gekreuzigten und auferstandenen Christ an; reißen dreitausend Seelen mit sich fort, dass es ihnen auch durchs Herz ging und sie Buße taten, sich taufen und hinzutun ließen an demselbigen Tage; blieben, als dieser sich geneigt, beständig in der Apostel Lehre und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet, kamen täglich zusammen im Tempel, hielten alle Dinge gemein, teilten untereinander ihre Habe nach Bedürfnis aus, lobten miteinander den Höchsten einfältig und fröhlich, gewannen dem ganzen Volke Wertschätzung ab; der Herr aber tat hinzu Tag um Tag, die da selig wurden, zu der Gemeinde. Siehe da des Geistes Einkehr an Pfingsten laut Jesu Verheißung in unserem Texte; siehe da die christliche Kirche hereingeboren in die Welt wie der Tau aus der Morgenröte; siehe da Gottes Hütte bei den Menschen, aus dem Himmel, aus dem Herzen des himmlischen Vaters und seines erhöhten Sohnes herniederschwebt zur armen Erde. Pfingsten ist's: fürwahr ein Tag herrlicher Erinnerung, der wie kein anderer uns lockt zu beten: O heil'ger Geist, kehr' bei uns ein!
Und lass uns deine Wohnung sein! Uns, uns nicht nur jenen Kreis von Leuten, die vor zweitausend Jahren liebsam und friedsam, so gläubig und selig das erste Pfingsten feierten. Uns, uns, die's heute begehen, unsere gegenwärtige Christenheit, unsere jetzigen Gemeinden und Familien, unser derzeitiges Geschlecht mit seinen Ständen und Zuständen, mit seiner Gesellschaft und jedem einzelnen Gliedmaß. O Freunde, legen wir den Maßstab jenes Pfingstens an uns, an uns, dann wird aus dem Tag herrlicher Erinnerung ohne Zweifel auch ein Tag ernster Demütigung werden; dann muss man mit Seufzen an diesem Fest der Freude sprechen: Und lass uns deine Wohnung sein! Dann, stellen wir einen Vergleich an, können wir der Klage nicht widerstehen: Wie weit hinter uns, wie ferne von uns liegt jenes Pfingsten! Dort sprüht auf allen Zungen, weil in allen Seelen, das Feuer, das der Heilige Geist vor allem in der Menschheit Brust anfachen und in der Menschheit Leben schüren möchte: die Liebe zu dem, in welchem uns Gott geliebt hat, in welchem wir uns untereinander lieben sollen, dürfen, können, diese Liebe! Greifen wir darauf unserem Geschlechte, zu dem wir selbst gehören, den Puls o wie viel Erkältung hat um sich gegriffen. In großen, breiten Schichten scheint jedes Fünklein solcher Art völlig erloschen zu sein, dafür lohen umso heftiger die verzehrenden Feuer der Selbstsucht, Ehrsucht, Habsucht.
Oft möcht ich bitter weinen, dass du gestorben bist,
Und Mancher von den Deinen, dich lebenslang vergisst;
Von Liebe nur durchdrungen, hast du so viel getan,
Und doch bist du verklungen, und Keiner denkt daran!2)
Wo man auch noch daran denkt, fühlt man's, bekennt man's, betätigt man's meist so lau und flau, dass er sei mein Herr, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöset hat, erworben und gewonnen von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben, auf dass ich sein eigen sei und in seinem Reich unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit. Gewiss tut's Jedem not, sich darauf heute vom Pfingstgeist ernst ansehen zu lassen. Wenn der Pfingstgeist keine wichtigere Lektion mit uns kennt, als die, dass wir Jesu Wort als das Wort des Vaters, der ihn gesandt hat, als die Leuchte der Wahrheit, als den Brunnen des Heils, als die Richtschnur des Wandels, als den Pfeiler der Wohlfahrt und Ordnung, ansehen und annehmen, hören und lesen, treiben und halten, welche Massen entlaufen heutzutage seiner Schule gleichgültig, hoffärtig, mutwillig - „erhalt uns, Herr, bei deinem Wort!“ Wenn uns dort im einmütigen und hochgemuten, frommen und frohen, sich gegenseitig verstehenden und erbauenden Zusammensein der Gläubigen die kostbarste Frucht, welche der Geist Jesu den Seinen pflanzen und reifen will, so schön vors Auge tritt, jener Friede, den die Welt nicht gibt, Friede mit Gott, mit dem Nächsten, mit dem eigenen Wesen, Friede ohne Bang und Zwang, ohne Neid und Streit, ohne Dorn und Zorn, kennzeichnet sich dann unsere Zeit nicht als ein Hungerjahr im Kalender Pfingstens? Aus den zahllosen Rissen unserer Staaten und Kirchen, Gemeinden und Häuser, Berufsarten und Gemüter heraus ringt ein schmerzlicher Chor des Heimwehs: Friede, ach Friede, ach stelle dich ein, Lass wieder uns deine Wohnung sein! So fehlt es dem Pfingstgeiste gewiss heutzutage nicht an Stoff zur ernstesten Demütigung des jetzigen Zeitgeistes mit seinen verderblichen, verheerenden Wirkungen; so muss es, wenn wir aus den Umschattungen und Verdüsterungen der Gegenwart zu jenem warmen, hellen Tage zurücksehen, um so sehnlicher lauten:
O komm, du Herzenssonne! Ja sehnlich, aber bei Leibe nicht gar zu grämlich! Das Pfingstfest breitet vor der Christenheit auch reichen Stoff zu dankwertester Ermutigung aus. Gelang es etwa der mächtigen, prächtigen Sonne des ersten Pfingstfestes, dort sämtliche Wolken zu zerstreuen, alles Trübe wegzuwischen? Das Evangelium hat uns weislich, gütig der Spuren genug aufbewahrt, wonach die Welt auch an Pfingsten schon ihr Panier mit ganzem Trotz aufgeworfen, den zähesten Willen, Welt zu bleiben, recht unverschämt bewiesen hat. So Viele hatten's im Gegensatze zur Menge der Gottesfürchtigen, welche sich von den Blitzen der Gnade getroffen gaben, denen es durchs Herz ging, einfach ihren Spott, sie leckten wider den Stachel, verschlossen sich hartnäckig, so dass Petrus mahnte: Lasst euch erretten aus diesem verkehrten Geschlecht! Schon damals bewährte sich's also, dass der Glaube nicht Jedermanns Ding ist und Niemanden aufgerückt werden soll, dass die Kirche der Welt, welche den Geist nicht geben, und sofern sie demselben nicht nachgeben will, auch nicht empfangen kann, ein Ärgernis und eine Torheit sein muss. Daher kein Verwundern, als ob Seltsames widerführe, noch viel weniger ein Verzagen um der traurigen Tatsache willen, dass heutzutage so viel Abfall vom Glauben an unser hochgelobtes Haupt, Jesus Christus, so viel Abkehr von seiner Kirche, so viel Abnahme der Folgsamkeit und Ehrfurcht gegen sein Wort, so viel Abmangel des Hungers nach seinem Sakramente, so viel Abgang seiner lauteren Liebe, seines edlen Friedens, seiner heiligen Demut und Geduld, hingegen so viel Gegenteiliges aus dem Reich des Fürsten dieser Welt. Letzterer kommt eben immer auch, wann und wo der Geist jener Welt kommt, er darf aber auch immer noch nichts an Christo und an denen haben, die treu zu Christo flüchten, halten. Hiervon zeugt Pfingsten unaufhörlich, unermüdlich. Der Geist, welchen der Herr zum Ersatzmann für sich, zum Vogt für seine Gläubigen verheißen hat, kam wirklich, ohne mehr zu weichen, und hat sich seither stärker als die feindliche Welt erzeigt; sonst wäre vom ganzen Christentum längst kein Stäubchen mehr vorhanden. Die Sonne des ersten Pfingsten, herausgehend, wie ein Bräutigam aus seiner Kammer, sich freuend, wie ein Held zu laufen den Weg, war kein flüchtiger Meteor, keine bloße Sternschnuppe, sie hat, ob mit wechselndem Glanze, festen Fuß am Himmel gefasst, sie weidet über der Gemeinde Jesu fort, bald offenbarer, bald verborgener, stets wirksam. Ihre Strahlen, die dortmals das Herz und Verständnis der Jünger so durchglühten, dass aus diesen beschränkten, ängstlichen, unzuverlässigen Fischern die weisesten, mutigsten, treuesten Herolde des Heils im Heilande, die gesegnetsten Säemänner und Schnitter, Kämpfer und Sieger im Reiche des Geistes wurden, sie legten Jerusalem, die Residenz des verstockten Judentums, in Asche; versengten auch mitten unter den lichterlohen Scheiterhaufen der Märtyrer die Bollwerke des Heidentums, reiften die Kreuzblumen auf den christlichen Kirchen im Osten und Westen, Süden und Norden. Ihre Strahlen sind manchmal auch in fast ursprünglicher Majestät wieder hervorgebrochen, durchgebrochen. Denkt an die Reformation: Sie war nichts Anderes als ein anderes Pfingsten, ein abermaliges Siegel auf die Verheißung des Herrn in unserm heutigen Texte. Denn das Geheimnis ihrer heiligenden und heilenden, welterschütternden und weltüberwindenden Kraft wurzelte lediglich in der Liebe zum Sünderheiland, im Gehorsam gegen sein Wort, im Frieden seines Erlösungswerks. Und senkt sich der Niederschlag des Pfingstgeistes nicht, sei's als Früh- oder Spätregen, sei's eimer-, sei's tropfenweise, Gott sei Dank noch in jedes Alter und Lager der Kirche, trieft von ihm nicht auch unsre Zeit? Dennoch haben wir völlig ungehinderte Verkündigung des Evangeliums, das uns alles lehrt und an alles erinnert, was Jesus gesagt hat; dennoch völlig ungeschmälerte Verwaltung der Sakramente, die den Friedensbund Gottes mit uns im Namen Jesu knüpfen und stärken; dennoch haben wir eine völlig ungehemmte Seelsorge, die sowohl innerhalb der christlichen Gemeinden den Brotkorb der Heiligen Schrift herumträgt, als ihn weit übers Wasser der Meere fahren lässt, um auch ins heidnische Wüstenland Manna zu streuen; dennoch bekommen wir Einzelne, Jeder in seinem Teil, das tausendfache Wehen des Einen Geistes, nun warnend und strafend, nun ziehend und bittend, nun tröstend und stillend, so kräftig zu spüren, dass wir uns wohl hüten sollten, ins Gejammer, als wäre der Pfingstgeist in der Auswanderung begriffen, einzustimmen. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht vor dem; euer Herz kümmere sich nur darum recht, unter den fortwährenden Anerbietungen der Gnade doch ja nicht leer auszugehen, sondern aus ihrer Fülle mehr und mehr in sich aufzunehmen und in sich zu verarbeiten. Umso mehr wird sodann auch die Hoffnung aufs letzte, größte Pfingsten Gestalt in uns gewinnen. Lasst uns betend von hinnen gehen: heil'ger Geist, kehr' bei uns ein, Und lass uns deine Wohnung sein, O komm du Herzenssonne! Amen.