Inhaltsverzeichnis

Molenaar, Isaak - Predigt über Joh. 20,19-29

(Gehalten nach Ostern.)

Der Herr Zebaoth wird allen Völkern machen auf diesem Berge ein fettes Mahl, ein Mahl von reinem Wein, von Fett und Mark und Wein, darin keine Hefen sind. Und Er wird auf diesem Berge die Hülle wegthun, damit alle Völker verhüllet sind und die Decke, damit alle Heiden zugedeckt sind. Denn Er wird den Tod verschlingen ewiglich. Und der Herr, Herr wird die Thränen von allen Angesichtern abwischen, und wird aufheben die Schmach seines Volkes in allen Landen; denn der Herr hat es gesagt. Zu der Zeit wird man sagen: Siehe, das ist unser Gott auf den wir harren, und Er wird uns helfen; das ist der Herr auf den wir harren, daß wir uns freuen und fröhlich sein in Seinem Heil - denn die Hand des Herrn ruhet auf diesem Berge (Jes. 25,6-10.) Ich will sie erlösen aus der Hölle, und vom Tode erretten. Tod, ich will dir ein Gift sein; Hölle, ich will dir eine Pestilenz sein. Hos. 13.

Ist das nicht eine Osterweissagung, Geliebte? und ist sie nicht herrlich in Erfüllung gegangen? Haben wir selbst nicht ihre Erfüllung an unsern Herzen erfahren, und muß dieses uns nicht ein sicheres Unterpfand sein, daß sie auch immer mehr in Erfüllung gehen, daß der Herr die Hülle, die noch auf so vielen Herzen liegt, und die Decke, damit die Völker zugedeckt sind, immer mehr wegthun, und Allen dasselbe köstliche Gnadenmahl bereiten, und denselben Freudenbecher und Lebenswein darreichen werde - einem Jeden zu Seiner Zeit bis „das Land voll sein wird von der Erkenntniß des Herrn, wie mit Wasser des Meeres bade.“ O gewiß, denn was haben wir gethan, daß Er uns solche Gnade erzeigt, sich uns also offenbart und geschenket hat?

O gewiß, einst wird die Zeit kommen, und sie naht mit starken, sichtbaren Schritten, wo es heißen wird: „nun sind alle Reiche der Erde des Herrn und Seines Gesalbten - denn dem Besten müssen alle frommen Herzen zufallen. Der Herr ist Allen gnädig, und die Gnade erbarmet sich aller ihrer Werke.“

Dann wird es heißen: „Siehe da, eine Hütte Gottes bei den Menschen; und Er wird bei ihnen wohnen, und sie werden Sein Volk sein und Er Selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Thränen von ihren Augen; und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerzen wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. Und der auf dem Stuhl sitzt spricht: Siehe, ich mache Alles neu.“

Aber warum ist diese köstliche Zeit noch nicht da? Warum offenbart sich der Herr Einigen so früh, und läßt Andere, Einzelne, und ganze Völker, oft so lange warten und harren? Wichtige Frage, Geliebte, aber die Antwort liegt nahe; wir finden sie schon in Seiner Verfahrungsweise nach Seiner Auferstehung. Das heutige Evangelium bietet sie uns dar. Laßt uns darauf achten. Er Selbst wolle es uns offenbaren. Wir aber darum beten. -

Gott und Vater unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi, der du diesen ersten Tag der Woche durch die Auferstehung deines Sohnes von den Todten geheiligt hast; o laß ihn für uns stets, und auch heute, einen Tag des Segens und der heiligen Freude sein! Er Selbst nennt dich Seinen Gott, und auch unsern Gott, Seinen Vater, und auch unsern Vater. O, laß es uns heute erfahren, daß du das bist, daß auch wir in Ihm deine Kinder sind; daß deine Liebe wieder in unsere Herzen ausgegossen ist durch den heiligen Geist, den Er uns als die theuerste Gabe durch Seinen Tod erworben hat, und durch Seine Auferstehung mittheilen will.

Laß es uns erfahren, daß Er durch Ihn mitten unter uns ist, uns anweht mit Seinem Frieden, dem seligen Kindestheil, dem Gottesfrieden, der höher ist denn alle Vernunft, der unsere Herzen tröstet, erleuchtet und reiniget. O, laß ihn auch in uns allen Unglauben, allen Zweifel, alles Mißtrauen, alle Kälte, alle Zerstreuung, alle Lieblosigkeit hinwegnehmen; laß ihn uns züchtigen, beugen, beschämen, uns überzeugen von Sünde, aber auch von Gnade; wenn es sein muß, uns verwunden, aber auch heilen und uns vollbereiten, starken, kräftigen und gründen; indem er immer aufrichtigere, immer tiefere Buße, aber auch immer lebendigeren Glauben in uns erweckt, der da in Liebe thätig sei, damit wir lernen unsere Hoffnung ganz auf die Gnade setzen, und als die neugeborenen Kindlein, begierig seien nach der lauteren Milch deines heiligen Wortes, als der göttlichen Nahrung unserer Herzen, auf daß wir durch dieselbe zunehmen mögen am Geist, und wachsen in der Gnade und Erkenntniß unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi; so wir anders geschmecket haben, daß du freundlich bist. Segne dann dazu das Wort, das du uns heute wieder verkündigen lassest an unsern Herzen, und erhöre uns, wenn wir in Seinem Namen beten: Unser Vater rc. Amen.

Text: Joh. 20, 19 - 29.
Am Abend aber desselbigen Sabbaths, da die Jünger versammelt, und die Thoren verschlossen waren, aus Furcht vor den Juden, kam Jesus, und trat mitten ein, und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch. Und als er das sagte, zeigte er ihnen die Hände, und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, daß sie den Herrn sahen. Da sprach Jesus abermal zu ihnen: Friede sei mit euch. Gleichwie mich der Vater gesandt hat, also sende Ich euch. Und da er das sagte, blies er sie an, und spricht zu ihnen: Nehmet hin den heiligen Geist; welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. Thomas aber, der Zwölfen einer, der da heißet Zwilling, war nicht bei ihnen, da Jesus kam. Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Es sei denn, daß ich in seinen Händen sehe die Nägelmaale, und lege meinen Finger in die Nägelmaale, und lege meine Hand in seine Seite, will ich es nicht glauben. Und über acht Tage waren abermal seine Jünger darinnen, und Thomas mit ihnen. Kommt Jesus, da die Thören verschlossen waren, und tritt mitten ein, und spricht: Friede sei mit euch! Darnach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her, und siehe meine Hände; und reiche deine Hand her, und lege sie in meine Seite; und sei nicht ungläubig, sondern gläubig. Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Dieweil du mich gesehen hast, Thomas, so glaubest du. Selig sind, die nicht sehen, und doch glauben.

Was sehen wir hier, meine Zuhörer? Viel, wenn wir Augen haben um zu sehen; viel von unsrer eigenen Schwachheit, viel von der Gnade des Herrn und eben darum

Zuerst im Allgemeinen, wie wahr es ist, was der Herr sagt: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben;“ aber auch, wie wir uns Alle, mehr oder weniger, kürzer oder länger, dieser Seligkeit berauben - doch wie Er sich auch dieser unserer sündigen Schwachheit bedient, unsre Seligkeit zu erhöhen, zu unserm Heil.

Möchten uns diese drei Punkte recht klar und anschaulich werden in dem an sich so hellen Spiegel dieser köstlichen Geschichte! O Herr dazu segne deren Betrachtung an unsern Herzen!

I

„Selig sind die nicht sehen und doch glauben.“ Das, sagen wir, ist die große Hauptlehre, welche uns diese ganze Geschichte so laut zuruft. Nicht als wenn es dazu noch erst dieses Beweises bedürfte. Ruft sie uns nicht Alles zu, das ganze Osterfest, das wir nun feiern - wir feiern es )a noch? - jede einzelne Erscheinung, die wir schon betrachtet haben, )a das ganze Evangelium, die ganze heilige Schrift, wie Johannes selbst unmittelbar auf unseren Text folgen läßt: „Auch viele andere Zeichen that Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch“ (auch nicht in den andern Büchern). „Diese aber sind geschrieben, daß ihr glaubet Jesus sei der, Christ, der Sohn Gottes, und daß ihr durch den Glauben das Leben habt in Seinem Namen.“ - Hier hören wir es deutlich, was wir glauben sollen; nämlich, „daß Jesus sei der Christ, der Sohn Gottes,“ und warum wir in diesem Glauben selig sind, nämlich darum, weil wir dadurch das Leben haben in Seinem Namen.

Was heißt das, meine Brüder, das Leben haben? Kann es etwas Anderes heißen, als Vergebung der Sünden, Frieden mit Gott, Kraft der Heiligung? mit Einem Wort, Gnade, Gewißheit, lebendige Gewißheit der Gnade Gottes haben, Seine Liebe in unseren Herzen fühlen, und auf alle Seine Worte und Verheißungen mit kindlicher Zuversicht trauen und bauen?

Dieses Haben, ist das nicht wahrhaftig leben? Und dieses Alles nicht haben: keine Gnade, keinen Frieden, keine Vergebung der Sünden, keine Kraft der Heiligung, oder keinen Glauben, keine Hoffnung, keine Liebe, wahrhaftige Liebe im Herzen haben, ist das nicht todt sein? Wahrlich was ist anders ein todtes Herz, wenn es dieses nicht ist? Das von Allem dem nichts weiß, ja nichts bedarf, das ist doch wohl der höchste Grad des Todes, keine höheren Lebensbedürfnisse fühlen, das nennt die heilige Schrift todt sein in Sünden, des Lebens aus Gott ermangeln. Dabei kann der Körper freilich fortbestehen, es kann ihm sogar wohl sein in seiner Fleischeslust, seiner Augenlust und seinem hoffärtigen Wesen; er kann genießen, wie die Thiere, auch etwa in einer höhern Weise, als ein vornehmeres, gebildetes und bildsames Thier, aber ist das wahrhaftiges, menschliches, göttliches Leben? O nein, Leben, wahres Leben kann für den Menschen, der nach Gott und für Gott geschaffen ist, nur in Verbindung mit Gott, in Freundschaft und Gemeinschaft mit Ihm, der lebendigen Quelle, dem einzigen Leben, der ewigen Liebe bestehen. Von dieser heiligen Lebensquelle sind wir abgeschnitten durch die Sünde, d. h. durch den Unglauben und den daraus folgenden Ungehorsam und die Lieblosigkeit oder Eigenliebe. Und dies zu fühlen, ist schon ein Anfang des Lebens, ein Erwachen zum Leben, es nicht zu fühlen, im Tode bleiben; diese Gemeinschaft wieder zu haben, ist wieder leben, selig sein, das ewige Leben haben.

Aber warum haben wir dieses Leben nur im Glauben? warum heißt es: „Selig sind, die nicht sehen, und doch glauben?“ Darum, Geliebte, weil wir es nicht mehr in uns selbst, nicht mehr wie ursprünglich, von Natur, sondern nur in Jesu Christo haben. In Ihm, dem Sohne, ist das Leben, das ewig ist, welches war bei dem Vater, uns erschienen, und theilt sich uns mit. Er ist die Versöhnung für unsere Sünden, Er ist die Auferstehung und das Leben; wer Ihn ergreift, der ergreift das Leben; wer Ihn hat, der hat das ewige Leben wieder; denn in Ihm haben wir Gerechtigkeit, Versöhnung und Stärke - Kraft der Heilung. Aber Ihn ergreifen, Ihn haben und halten, können wir nur durch den Glauben und nur das ist Glaube. Er ist der einzige Gegenstand, Grund und Inhalt des Glaubens, weil in Ihm das Leben ist. Darum heißt es: „wer an den Sohn Gottes glaubt, der hat das ewige Leben.“ - „Darum ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns -, daß wir durch Ihn leben sollen.“ Wer da glaubt, der ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Darum heißt es in unserm Text: „Selig sind, die nicht sehen, und doch glauben“; denn ein solches Glauben ist Sehen. Der Herr sagt es Selbst: Selig sind die Augen, die da sehen, was ihr sehet. Es ist ein Sehen des Herzens, ein Sehen des Unsichtbaren, ein Sehen der Gnade im Lichte Gottes.

II

Warum sind wir nicht Alle so selig? Warum sind es nur Wenige, und warum diese Wenigen nicht so ganz, nicht immer, so wie sie es sein könnten? Warum müssen wir oft so lange warten und harren? Diese zweite Frage beantwortet uns auch unser Text, und zwar diese vorzüglich.

Wir sehen es klar, es ist unsre eigne Schuld. Es ist unser Unglaube, wir stehen uns selbst im Wege. In den Jüngern erblicken wir unser eignes Bild. In allen, aber in Thomas am klarsten. Nicht wahr? Wir wollen die Sache umkehren, erst sehen und dann glauben, und wir fühlen nicht, daß wir es eben dadurch unmöglich machen, die Sache aufheben.

Was der Herr dem Thomas sagt, das galt allen Jüngern. Sie waren eigentlich alle ungläubig; keiner war wahrhaft gläubig. Sie Alle hatten ja nicht eher glauben wollen, bis sie Ihn sahen. - Sie hätten glauben müssen, ohne Sehen, denn Er hatte es ihnen voraus gesagt, daß Er auferstehen würde; sie hätten wenigstens glauben müssen, so bald sie es hörten, auch nur von Einem Zeugen, von Maria Magdalena, oder doch von den andern Frauen, oder doch von den Jüngern von Emmaus, oder von Simon. Aber es heißt ausdrücklich von Allen: „sie glaubten es nicht“ - „denen glaubten sie auch nicht. Zuletzt, da die Elf zu Tische saßen, offenbarte Er sich, und schalt ihren Unglauben und ihres Herzens Härtigkeit, daß sie nicht geglaubt hatten denen, die Ihn gesehen hatten auferstanden.“ Da sehen wir, wie der Herr dieses Nichtglauben betrachtet, da hören wir, wie Er es meinet, wir sehen, daß es Ihm Schmerz und Kummer machte, denn das war doch wohl hart für Ihn, den Liebevollen und Gnädigen, der so viel für sie gethan hatte, und für alle Seine Liebe nichts von ihnen begehrte, als nur Glauben, nur Vertrauen, nur kindliches Annehmen - daß Er gleich nach Seiner Auferstehung damit anfangen mußte, sie zu schelten, zu strafen, ihnen Vorwürfe zu machen und das den Wenigen, die Er hatte, die Ihn nicht ganz verlassen und verworfen hatten, Er, der das ganze Volk gerufen, Alle selig machen wollte. Ach, wie gerne wäre Er Allen so gleich erschienen; aber was hatte Er nun mit der Welt und die Welt mit Ihm zu thun? für die war und blieb Er todt.

Und daß Er dem Einen, der es auch diesen Allen vereinigt, noch nicht glauben wollte, dem Thomas einen noch härtern Verweis geben mußte - o nicht wahr? Geliebte, ihr fühlt es, das mußte Ihn doppelt schmerzen, daß er Ihm, daß er sich selbst die Osterfreude, den Vollgenuß der Seligkeit so lange verdarb! Aber wir, meine Theuern, was thun wir? Was haben wir gethan, und was thun wir noch? Machen wir es besser, wie die Jünger? Haben wir es besser gemacht, wie Thomas? Haben wir Ihm nicht eben so lang, eben so hart widerstanden? - Thun wir es nicht noch? Ach, wollte Gott, daß nur recht viele Thomas-Herzen unter uns waren; am Ende würde es ihnen Allen gehen wie ihm. Haben wir nicht lange eben solche Anmaßungen und Forderungen gemacht, Er solle sich nach unserer Willkühr bequemen? Schreiben Ihm vor, welche Art und welches Maaß von Beweisen wir haben wollen. Sehen wollen wir, mit Händen tasten, oder, was dasselbe ist, Gründe, vernünftige Gründe wollen wir haben, nicht glauben, d. h. nicht die Beweise und Zeichen annehmen, die Er uns giebt, als wüßten wir es besser, was wir bedürfen; als kenneten wir unser Herz besser, als Er, der es gemacht hat, und also seine Bedürfnisse und seine Empfänglichkeit doch wohl am besten kennen muß, statt mit David zu sagen: „Deine Hand hat mich gemacht und bereitet, darum unterweise mich.“ Unser Schöpfer und Erlöser muß doch wohl auch unser bester Lehrer sein und am sichersten den Zugang zu unseren Herzen und den richtigsten Weg zu unserem Heile kennen. - Ist das vernünftig, Geliebte, weiser sein wollen, als Gott; zweifeln wenn Er uns etwas versichert? Sein Wort nicht annehmen; Seinen Verheißungen nicht trauen; unsern leeren Zweifeln, unsern gesuchten Einwendungen mehr Glauben beimessen, als Seiner lautern und klaren Versicherung, Seinem bestimmten Ausspruch; unserer endlichen Vernunft mehr, als der ewigen Urvernunft; unserm schwachen, sündlichen, ungläubigen, trotzigen und verzagten Herzen mehr, als dem Herzen der ewigen Liebe, dem ewigen Vaterherzen?

Oder hat sich dieses Vaterherz uns nicht kaut, nicht verständlich genug geoffenbaret, als die ewige Liebe? Nicht in der Schöpfung? Auch nicht in der Erlösung? Wenn wir die Stimme, den lautern Ruf Seiner Liebe, Seiner Gnade nicht verstehen in der Natur; redet Er auch nicht vernehmlich genug in Seinem Wort, oder wenn uns auch dieses noch dunkel ist, will Er es uns nicht gerne ausschließen durch Seinen Geist? Will Sein Herz nicht unmittelbar zu unseren Herzen reden? Thut Er es nicht in Jesu Christo? Sehen wir, hören wir in Ihm nicht den Vater? Haben wir in Ihm nicht das ewige Leben, die Liebe, die ganze, volle Gnade des Vaters? Ist uns denn Sein Zeugniß, ist uns Sein Leben, ist uns Sein Tod, ist uns Seine Auferstehung, ist uns Seine Himmelfahrt, die Ausgießung Seines Geistes; ist Alles dieses vereinigt uns nicht genug? Ist es uns zu wenig, daß Er in Christo war und versöhnete die Welt mit Sich Selber; daß Er den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht? Daß Er den ganzen Tag dasteht und rufet: „laßt Euch versöhnen mit Gott, mit Wir?“ Sind Seine Worte, Sein Siegel, das heilige Sakrament, Seine Gnade uns zu wenig, zu unsicher ? -Sind die Früchte und Wirkungen Seiner lebendigen und heiligen Kraft in den Aposteln und der ganzen christlichen Kirche; ja die Zeugnisse solcher unter uns, die diese Kraft Seiner Gnade an ihren Herzen erfahren haben, die sagen können: „ich habe den Herrn gesehen, und Solches hat Er zu mir gesagt, ich weiß, daß der Erlöser lebt“ - ist das Alles nichts? Wie ist es, Geliebte? Sind wir nicht ungläubiger, wie Thomas selbst und machen wir Ihn, Gott Selbst, nicht durch unseren Unglauben zum Lügner?

III.

Verdienen wir es, meine Freunde, daß Er sich aber dennoch, ferner um uns bemüht, uns noch andere, noch mehr unmittelbare Beweise Seines Lebens, Seiner Nähe giebt? Und was ist es, wenn Er es thut, wenn Er sich uns so offenbaret, wie wir es fordern? Können wir es anders nennen, als Gnade, doppelte, unverdiente, beschämende Gnade? Und doch thut Er es; oft auf die unerwarteste, beugendste, aber unaussprechlich beseligende Weise - denn Er ist die Gnade; unerschöpflich an Langmuth und Geduld, unermüdlich im Suchen und Tragen, im Helfen und Vergeben; auch in Seiner Herrlichkeit und Majestät auf den Thron der Welten, sanftmüthig, und von Herzen demüthig, der sich so hoch gesetzt hat, und stehet auf das Niedrige. Wenn Er nur einen Eingang bei uns finden, nur in unser Herz kommen kann, uns nur selig machen kann, so ist's Ihm genug; denn dafür ist Er ja gestorben. Er thut es, denn bei Ihm ist viel Erlösung, und weiß auch unsere Sünde, unseren Unglauben, unseren Widerstand und unseres Herzens Härtigkeit nicht nur zu überwinden, sondern sogar in Segen für uns zu verwandeln, wenn wir nur gesegnet sein wollen. Das sehen - wir hier. Oder verdienten es die Jünger, daß Er ihnen so bald und so erschien, daß Sein erstes Wort Friede war, daß Er ihnen die Hände und Seine Seite zeigte, und noch einmal sprach: Friede sei mit Euch und dann sie anhauchte, ihnen den heiligen Geist verhieß und sie zu Aposteln einweihte? O, war es da wohl Wunder, daß diese Jünger froh wurden, daß sie den Herrn sahen?

Aber Thomas - verdiente der es, war der es werth, daß ihm der Herr noch einmal, besonders, erschien, in Aller Gegenwart und gerade so, wie Er es Ihm gleichsam vorgeschrieben ?! hatte? Da sehen wir es, Geliebte, wie Er sich um eine einzige Seele bemüht, und sich zu ihr herabläßt, wenn Er sie nur gewinnen kann, der gute Hirte! - Ach, so ist er gegen uns Alle, so thut Er jedem, so wird Er auch dir thun, Geliebter, wenn Er nur Aufrichtigkeit, nur Verlangen, nur Sehnsucht in dir findet. Wenn du nur Gnade suchst, ja, nur Seine Gnade annehmen willst, so will Er dir auch erscheinen. Auch du sollst Ihn sehen, so wie du Ihn sehen kannst und mußt; denn Er weiß es wohl, es ist noch immer so: Niemand glaubt es, als der Ihn Selbst sieht und erfährt, auf ein bloßes Wort - von Anderen nimmt es Keiner an - glaubt Niemand wahrhaftig an Ihn.

Aber das ist noch das Wenigste, Geliebte, Er beschämt uns wohl; aber nicht nur um uns zu strafen, sondern um uns„, nur desto mehr zu segnen. Er will unseren Unglauben, unsere Sünde in lauter Segen und Heil und Gnade und Freude verwandeln. O, Er versteht die göttliche Kunst: glühende Kohlen auf unser „Haupt, Kohlen der Liebe auf unser Herz zu sammeln. Siehe, du liebes Thomasherz, siehe, wie lieb Er dich hat! o wußtest du es; könntest du in diesem Augenblick in Sein Herz blicken, wie es glüht für dich; wie es brennt vor heiligem Verlangen, dich zu umfangen, dich an Sein Herz zu ziehen, Sich ganz in dein Herz auszugießen. O, wie würdest du verstummen, und deinen Mund nicht aufthun vor Schaam und Seligkeit. Selbst Sein Warten ist lauter Gnade und Liebe. Du sollst noch tiefer in dich, d. h. in deine Schwäche und dein Elend hinabsteigen, um Seine Kraft, Seine Allmacht, Seine Hülfe, Seine Retterkraft und Retterlust desto mehr kennen zu lernen. Er läßt es zu, daß du dich zerarbeitest in der Menge deiner Wege, damit du deine Thorheit und Ohnmacht einsehen und sprechen sollst: „Ich lasse es, denn ich finde kein Leben in meiner Hand.“ Er will dich ausleeren, um dich füllen, ganz füllen zu können mit Gnade. Er spricht: „Du hast Mir Arbeit gemacht in deinen Sünden, und hast mir Mühe gemacht in deinen Missethaten“; aber nur weil Er dir sagen will: „Ich, ich tilge deine Uebertretung um meinetwillen, und gedenke deiner Sünden nicht.“

Thomas wollte die Nägelmaale sehen und seine Finger in die Nägelmaale und seine Hand in die Seite legen, weil er nur daran Ihn als den rechten Jesus, als denselben, der gestorben, der gekreuziget war, erkennen, mit Gewißheit wieder erkennen zu können glaubte.- Du hattest Recht, du lieber, lieber Thomas, aber du wußtest nicht, was du sagtest. Du kanntest sie noch nicht ganz, diese köstlichen Maale; aber Er wollte sie dich kennen lehren. Ja, das sind die einzigen Zeichen, woran wir Ihn als unseren Jesum, als unseren Herrn und Erlöser, unseren Bruder, aber auch Herrn und Gott erkennen. Nur wer sie kennt, der kennt Ihn recht. Wer sie erblickt, der muß mit dir ausrufen: Mein Herr und mein Gott. Ja daran, an diesen Wundenmaalen erkennt man Ihn, nicht nur auf Erden, sondern auch im Himmel, die kann kein anderer tragen, weder auf Erden noch im Himmel. Es sind die Maale unserer Schande, denn unsere Sünden haben sie Ihm geschlagen; aber Er hat sie in Ehrenmaale und Siegeszeichen verwandelt und sie verklärt mit aus dem Grabe, mit in den Himmel genommen. Da prangt Er in ihnen, als das Lamm, das erwürget war und darum würdig ist, zu nehmen das Buch und aufzuthun seine Siegel, als der Löwe, der überwunden hat. Da zeigt Er sie ewig dem Vater vor, als den Preis, wofür er uns erkauft hat und der Vater sieht sie und ist versöhnt. O schaue hin, mein Bruder, schaue sie ewig an, dann begegnet dein Auge dem Auge des Vaters in den Wunden des Sohnes - dein Herz wird aufgethan und du sinkst Ihm versöhnt und ewig selig ans Vaterherz. Amen.