Megander, Caspar - Predigt über die Standhaftigkeit, gehalten zu Bern den 29. Jenner.

Prädikant zu Zürich1).

Text: Galater V, 1-6.

So besteht nun in der Freiheit, damit uns Christus befreit hat, und lasst euch nicht wieder in das knechtische Joch fangen. Siehe, ich Paulus sage euch: Wo ihr euch beschneiden lasst, so ist euch Christus kein nütze. Ich zeuge abermals einem jeden, der sich beschneiden lässt, dass er noch das ganze Gesetz schuldig ist zu tun. Ihr habt Christum verloren, die ihr durch das Gesetz gerecht werden wollt, und seid von der Gnade gefallen. Wir aber warten im Geiste durch den Glauben der Gerechtigkeit, der man hoffen muss. Denn in Christo Jesu gilt weder Beschneidung noch Vorhaut etwas, sondern der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.

Zum deutlicheren Verständnis und zur Einleitung zu diesen Worten des Apostels Paulus, soll Eure Liebe wissen, wie Paulus unter andrem auch zu den Galatern gekommen und das Evangelium, Christum den Heiland, den alleinigen Mittler und Weg zur Seligkeit, bei ihnen gepredigt und mit großem Erfolge bei ihnen gearbeitet. In seiner Abwesenheit sind jüdische Prediger (die Paulus, obgleich sie auch das Evangelium bekannten, in seinen Episteln falsche Apostel nennt) zu den Galatern gekommen und haben sie von der Gnade, durch die man allein selig wird, zu der Beschneidung, das heißt, zu der Hoffnung auf Verdienst, verleitet. Ja, wenn sie selig werden wollen, so müssen sie sich nach jüdischem Brauche beschneiden lassen und das Gesetz halten. Gegen diese falschen Lehrer hat Paulus von Rom aus diesen Brief an die Galater geschrieben, indem er darinnen lehrt, dass der Mensch durch keine äußerliche Worte noch Verdienste, sondern allein durch die Gnade Gottes, die er uns in Jesum Christum bewiesen, selig werde. Und solches tut er mit Zeugnissen aus der Schrift und mit trefflichen Beweisen. Und nachdem er aufs kräftigste dargetan, dass wir durch den Glauben an Christum und nicht durch das Verdienst der Werke selig werden, ermahnt er sie in den Such vorgelesenen Worten, dass sie auf dieser Bahn und in dieser Freiheit beharren sollen, und sich nicht mehr davon abführen lassen, und spricht: „So besteht nun“ rc., als wollte er sagen, dieweil ihr nun wieder belehrt und überzeugt worden, dass der Mensch durch den Glauben und nicht durch das Verdienst selig werde, so fallt nicht mehr ab von dieser Überzeugung, sondern verharrt und bleibt fest darin.

„In der Freiheit, womit uns Christus befreit hat.“

Unter dem Worte „Freiheit“ versteht hier Paulus nicht die leibliche äußerliche, sondern die Freiheit der Seele, in der sie sich erlabt, erfrischt und fröhlich wird, nachdem sie den Weg gefunden, heil und selig zu werden durch Christum Jesum. Bei diesem Seelentroste vermahnt er sie, fest und beharrlich zu verbleiben. Dieses steht nun im Gegensatze zum Abfall auf die Beschneidung, das ist auf den Trost der Werke und des Verdienstes, was bei einigen schon der Fall war.

So will ich nun auch heute mit einer ehrsamen Stadt und Gemeinde zu Bern reden. Dieweil Ihr die Freiheit der Seelen kennen gelernt, das ist, dieweil Ihr durch das treue Predigen Eurer Prädikanten und diese Tage her auf dem löblichen Gespräche vernommen habt, dass die Vergebung der Sünden an kein äußeres Ding gebunden sei, sondern dass sie allein durch die Gnade Gottes uns verliehen werde, zu der wir aber durch den Tod seines Sohnes Zutritt erhalten haben, so lasst Such auf keinerlei Weise diese Freiheit, welche Eurer Seele Labung und Erquickung gewährt, wieder rauben; sondern besteht dabei und bietet Trotz dem Teufel und seiner Gewalt. Denn, wenn wir, nachdem wir die Gnade Gottes kennen gelernt, uns derselben wieder entziehen und einen andern Weg einschlagen, selig zu werden, und auf dem alten verharren, so sollen wir wissen, dass es außer Christo kein Opfer und keine Versöhnung mehr gibt, ja dass wer davon abweicht, schwer und ewig sich verfehlt, und eine Sünde begeht, die ihm weder hier noch dort nimmermehr verziehen wird. Darum sollen wir in der Freiheit, die wir in Christo gefunden haben, bleiben und verharren.

„Und lasst euch nicht wiederum unter das knechtische Joch fangen,“ das ist, lasst Such durch keines Menschen Satzungen und Gebote mehr binden. Ich will hier nicht sagen, dass Jemand in äußerlichen und leiblichen Dingen der Obrigkeit und ihren Geboten ungehorsam werden solle, sondern ich rede in Bezug auf das Gewissen, dass dieses sich nicht auf Menschensatzungen oder äußere Dinge verlasse, und sich darauf vertröste und sich binde, Heil und Seligkeit darin zu suchen. So sind wir bisher allesamt mehr den Menschen als Gott eigen gewesen, was nicht nötig ist, weiter zu erörtern, da es sonst allen Menschen offenbar ist.

Nur das Beispiel der verbotenen Speise will ich anführen. Gott hat uns alle Dinge zur Befriedigung unserer Notdurft und zur Erhaltung unseres Leibeslebens geschaffen, und alle Dinge werden durch unser Gebet und unsere Danksagung geheiligt werden und zu essen erlaubt, gleichwie auch im alten Testamente durch das Opfer der ersten Früchte alle Früchte geheiligt wurden, dass sie ohne Sünde genossen werden konnten.

Da ist aber der Mensch zugefahren und hat uns etliche Speisen zu gewissen Zeiten für unheilig erklärt und sie verboten.

Also haben wir die Freiheit, die uns Gott gewährt, verlassen und sind unter das Joch getreten, das heißt, wir haben Gebote und Satzungen der Menschen angenommen, indem wir vermeinten, durch Beobachtung derselben heil und selig zu werden, durch Übertretung derselben aber Unglück und Verdammnis zu verschulden. Dieweil Ihr gelernt habt, dass die Verzeihung oder Nachlassung der Sünden nicht von diesen äußern Dingen abhängen, ja dass Gott nicht durch Beobachtung von Äußerlichkeiten geehrt sein will, so bleibt auf dem Wege, den Ihr kennen gelernt, und lasst Euch nicht mehr unter das Joch der Menschensatzung und äußern Gebräuche bringen.

„Seht, ich, Paulus, sage euch,“ - gleich als wollte er sagen: ich weiß wohl, dass Euch stetsfort gepredigt wird; es sei denn, dass ihr euch beschneiden lasst, sonst könnt ihr nicht selig werden, daher sage ich euch: „lasst ihr euch beschneiden in der Absicht, dadurch Trost und Seligkeit euch zu erwerben, so ist Christus euch kein nütze. Ja das Werk Christi, das er zum Troste, zur Hilfe und zum Rate für die Menschen vollbracht, ist für euch verloren. Und sintemal Christus der alleinige Weg zur Seligkeit ist, so folgt notwendig, dass ihr verdammt seid.“

Aus diesen Worten Pauli ersehen wir, in welcher traurigen Lage wir uns bisher befunden, da wir uns nicht auf Christum, sondern auf unsere Verdienste und auf äußerliche Dinge verlassen haben.

Desgleichen erfahren wir, welch verderbliches Gift die Wiedertäufer bereiten, indem sie die von Paulus getadelten Meinungen unter der Herde Gottes verbreiten und geltend machen wollen, nämlich die Hoffnung auf Verdienste der Werke. Sie behaupten nämlich, dass dem Menschen nur einmal durch Christum die Sünden verziehen werden, wenn er dann später wieder sündige, so müsse er durch seine Verdienste seine Sünden bezahlen. Sind das nicht in der Tat Feinde des Kreuzes, das ist, der Erlösung Christi, die er uns durch seinen Tod am Kreuze erworben. Ja es sind die Wiedertäufer, mit Ausnahme der Arianer, die schädlichsten Ketzer, die je auf Erden gekommen. Dennoch finden sie bei einigen Leuten Unterstützung, welche aber, insofern sie es nicht aus Unwissenheit tun, nicht besser als jene sind.

Ich bezeuge es Jedem, der sich beschneiden lässt, dass er das ganze Gesetz (nämlich das Zeremonialgesetz, welches die Juden sich ängstlich zu beobachten bemühten) von der geringsten bis zur höchsten Vorschrift halten müsse, denn darauf setzen die Beschnittenen ihre Hoffnung. Solches wäre aber den Heiden ohne Zweifel sehr schwer gefallen.

„Christum habt ihr verloren rc.“ Paulus will gleichsam sagen: Und wenn ihr gleich das Gesetz annehmen und es nach jüdischem Brauche beobachten würdet, wodurch die Juden selig zu werden hofften, so rede ich doch, wie vormals, dass ihr Christum verloren, ihn herabsetzt und unnütz gemacht habt. „Und seid von der Gnade gefallen,“ das ist, ihr seid der gnadenreichen Erlösung, die durch Christum geschehen, verlustig gegangen. Diese wird aus dem Grunde Gnade genannt, weil sie uns aus Gnaden und nicht wegen unseres Verdienstes verliehen worden, und weil sie die Ungnade Gottes, in die uns der Fall Adams gestürzt, wiederum versöhnt hat.

Aus diesen Worten Pauli erlernen wir wiederum, dass die Hoffnung auf eigene Verdienste uns nicht allein nicht selig macht, sondern uns zum Schaden und zur Verdammnis gereicht, indem er spricht: „Vertröstet ihr euch auf die Haltung des Gesetzes, das ist auf eure Werke, so ist euch Christus unnütz geworden, ihr habt ihn verloren, und seid von der Gnade abgefallen.“ Der Weg selig zu werden, ist nicht unsere Verdienste, sondern der Glaube. Diesen Glauben kann nicht ich, noch ein anderer Mensch einem Jeglichen verleihen, sondern der Geist Gottes muss ihn verleihen. Wofern der Mensch nicht durch den Geist Gottes wiedergeboren wird, kann er nimmermehr die Erlösung, die Gott durch Christum vollzogen, verstehen, noch sie annehmen. Und so kann er ohne den Glauben, nur durch eigene Verdienste, Frömmigkeit und Gerechtigkeit nimmermehr selig werden. Denn in Christo gilt weder Beschneidung noch Vorhaut, noch Werk noch Verdienst, daraus folgt, dass der Jude wegen der Beschneidung keinen Vorteil, noch der Heide, weil er nicht beschnitten ist, irgendeinen Nachteil hat, sondern in Christo gilt nur der Glaube, der in der Liebe tätig ist. Ja der Glaube hilft da, es ist das Hauptmittel zur Seligkeit. Ich meine aber nicht jenen Glauben, der sich in der Befolgung kindischer Zeremonien äußert, sondern der sich erweist in den Dingen, die uns Gott geheißen hat und die er von uns verlangt, nämlich in der Liebe gegen den Nächsten. Hier hört Eure Liebe, wie Paulus immer wieder auf seine Behauptung zurückkommt, dass der Mensch nämlich nicht selig werde durch äußere Verdienste, sondern durch den Glauben.

Damit er aber einer allfälligen Einrede begegne, indem man sagen möchte; nun höre ich wohl, dass man nichts Gutes mehr tun solle, wenn man nur glaubt, so wird man selig so hat er eine Erklärung beigefügt, was der Glaube sei, der uns selig mache, nämlich der wahre gründliche Glaube, der in Wort und Tat beweist, dass Gott da zu Hause sei, am Gläubigen selbst durch Änderung des sündlichen und unehrbaren Lebens in einem frommen und unschuldigen Lebenswandel. Gegen seinen Nächsten beweist der Gläubige seinen Glauben, indem er ihn liebet, wie sich selbst. Wenn er nun auch solche christliche Werke wirkt, wird er sich dennoch nicht vor Gott seiner Frömmigkeit rühmen, sondern er wird sich immerhin als Sünder bekennen und sprechen: „Herr, sei mir gnädig, denn ich habe Nichts getan, wie ich es sollte, und wie du es von mir gefordert hast; verleihe mir die Gnade, dass ich mich halte, wie es Dir gefällt und wie ich's schuldig bin.“

Das ist aber nicht möglich, so lange wir hier in diesem Leibe wandeln, da wir immerhin Sünder sind, und durch unsere Verdienste weder fromm noch selig werden, sondern stets der Gnade Gottes bedürfen. Also vernehmen wir aus den Worten Pauli, dass dieses der einzige sichere Weg zur Seligkeit sei. Und das ist das wahre christliche Leben, dass wir uns auf den alleinigen Gott durch den Tod Christi seines Sohnes verlassen und weder auf unsere noch irgendeines andern Menschen Verdienste. Und solchen Glauben sollen wir beweisen durch die Liebe, die Gott von seinem Volke fordert, nämlich durch ein unschuldiges Leben und durch Liebe gegen den Nächsten. Sind wir in Wahrheit Christen, so wird man uns auch in allen Dingen christlich finden. Besitzen wir Reichtümer, so werden wir dieselben keineswegs nur zur Befriedigung des Eigennutzes anwenden, sondern zum Lobe Gottes, zur Hilfe und zum Troste aller Armen und Notdürftigen. Sind wir dagegen arm, so werden wir doch nie, um Reichtümer zu gewinnen, irgendetwas Unerlaubtes uns zu Schulden kommen lassen, sondern werden uns einschränken und unsere Bedürfnisse nach unsern Mitteln richten. Hören wir aber das Wort Gottes und rühmen uns desselben, tun aber das Gegenteil von dem, was es uns vorschreibt, so wird das gehörte Wort Gottes uns verdammen Davor wolle uns Gott gnädig allesamt behüten. Amen.

1)
Caspar Megander oder Großmann war von Zürich gebürtig, studierte zu Basel, wo er 1518 Magister wurde. Nach seiner Vaterstadt zurückgekehrt, ward er Leutpriester an der Predigerkirche und beteiligte sich mit Eifer an dem Reformationswerke. Auf Verlangen der Stadt Bern ward ihm vom Rate von Zürich erlaubt, dahin zu gehen, um die dortigen Lehranstalten nach dem Bedürfnisse der Reformation einzurichten. Er ward daselbst Professor der Theologie und Prediger und machte sich vorzüglich um die Berner Kirche verdient durch die Abfassung eines Katechismus. Er ward 1538 wieder nach Zürich zurückberufen, wo er von nun an bis zu seinem Tode 1545 die Stelle eines Archidiakons und Chorherrn an der Kirche und am Stifte zum Großmünster bekleidete.