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Kunel, Christian Klaus - Gürtet die Lenden zum Dienst für das Reich des Herrn!

Gnade sei mit euch, und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesu Christo! Amen.

Text: Jerem. 22, 29.
Land, Land, Land, höre des Herrn Wort.

Geliebte in dem Herrn! Nach der Aussaat die Ernte. Das ist die Regel, wie wir es erfahren haben von Kindesbeinen an. Das ist die Regel, seit die erste Menschenhand den Boden unserer Erde bearbeitet hat. Wir haben auch eine Saatzeit hinter uns. Wir feiern das Bibelfest; wir schauen zurück auf das, was geschehen ist zur Verbreitung des teuren Bibelbuchs in unseren Gemeinden und in unserem Volk. Doch wir können, wenn wir auch wollten, unsern Blick nicht auf dies eng begrenzte Gebiet allein beschränken. Die Bibelverbreitung ist ja nur ein einzelner Zweig an dem mächtigen Baum christlicher Liebestätigkeit, ist, so nötig und unerlässlich sie ist, nur ein Handlangerdienst in der Arbeit für das Reich Gottes. Und so drängt es uns, dieser Arbeit insgesamt den Blick zuzuwenden. Da liegt eine Saatzeit voll Mühe und Schweiß, voll Sorgen und Seufzer, voll Bitten und Flehen hinter uns. Aber nun die Frucht unserer Arbeit? Ein Fest, an dem eine ganze Landeskirche des Segens gedenkt, den die Verkündigung des göttlichen Wortes schafft, das sollte so ein rechter Freudentag sein, ein Freudentag für die Hirten, ein Freudentag für die Herden, ein Freudentag für jede Stadt, jedes Dorf, jedes Haus, das in unser Arbeitsfeld mit eingeschlossen ist. Und eine Predigt an einem solchen Feste, was sollte sie eigentlich anders sein als ein mächtig dahinströmender Lobpsalm, als ein einziges großes Halleluja dem Mächtigen, Barmherzigen und Gnädigen, dessen Name herrlich und heilig ist im Himmel wie unter uns?

Nun an Dank wird und darf es heute nicht fehlen. Er würdigt uns, zu arbeiten für sein Reich; das ist etwas Großes; Dank ihm! Er hat noch seine Gemeinde unter uns trotz aller Untreue, trotz alles Widerstrebens wider ihn in dieser Zeit; das ist ein Wunder seiner Gnade; Dank ihm! Er bekennt sich freundlich zu unserm Werk. Es fehlen die nicht, denen er mit seinem Wort das Herz austut und den Samen Frucht gewinnen lässt dreißigfältig, sechzigfältig, hundertfältig. Und wie manche Frucht, womit er unsre schwache Arbeit segnet, ist uns verborgen und nur seinem Auge offenbar? Es ist das Werk seiner nimmer müden Hirtentreue, dass es nicht gar aus mit uns ist; Dank ihm!

Aber wenn wir auf das ganze weite Ackerfeld sehen, das wir bestellen, wie steht's mit der Ernte? Können wir uns weiden an den vollen Garben, die herangereift sind? Oder sehen wir doch die Saat schon zur Ernte sich bleichen? Oder wächst sie eben im frischen, saftigen Trieb empor und saugt begierig Tau und Regen und milden Sonnenschein ein? Oder bricht sie doch wenigstens aus dem Boden hervor? Oder wissen wir wenigstens den Samen sicher geborgen in gutem, fruchtbarem Boden, wissen, dass er nur noch auf milde, laue Frühlingslüfte wartet, um fröhlich hervor zu brechen und das öde Land mit frischem Grün zu überkleiden? Doch ich frage nicht weiter; und ich antworte auch nicht darauf. Die Antwort liegt schwer genug auf unser aller Herzen.

Wenn Petrus uns zeigen will, was die Christen sind, so tut er das mit den Worten voller Hoheit und Herrlichkeit: „Ihr seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Tugenden des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.“ Und wenn Paulus uns das Wesen, den innersten Lebensodem und die Gestalt einer Christengemeinde beschreiben will, so spricht er: „Christus hat geliebt die Gemeine und hat sich selbst für sie gegeben, auf dass er sie heiligte, und hat sie gereinigt durch das Wasserbad im Wort, auf dass er sie ihm selbst darstellte eine Gemeine, die herrlich sei, die nicht habe einen Flecken oder Runzel oder des etwas, sondern dass sie heilig sei und unsträflich.“ Das ist der Maßstab für eine Christengemeinde, nicht wie ich, sondern wie die Apostel ihn geben. Soll ich an diesem hohen, hehren, heiligen Bild unsere gegenwärtigen Gemeinden messen? Ich unterlasse das.

Ferne sei es von mir, Unmögliches zu verlangen! Ich weiß, dass die Kirche Christi im gegenwärtigen Weltlauf nicht die triumphierende, sondern die streitende ist. Ich weiß, was der Herr uns mit dem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen lehren will. Wenn es nur das wäre, wenn sich's nur handelte vom Unkraut unter dem Weizen! Aber so steht's nicht mehr. Der Acker des Herrn zeitigt nicht bloß Unkraut zwischen dem Weizen, sondern er ist zum Teil zerstört, zerwühlt und zur Wüste geworden. Das ist nicht das Schlimme, dass die Kirche in der Welt ist, sondern dass die Welt in der Kirche ist. Im Schoß der Kirche leben und wirken ihre Verächter und Widersacher. Von ihren Kindern, die sich nach ihrem Namen nennen, wird sie mit Füßen getreten. Aus der Reihe derer, die in ihrer Pflege standen, erhebt sich triumphierend der Ruf: „Aus ist's mit der Kirche; sie existiert nur noch durch die Trägheit und Schonung der großen Massen.“ Nun so weit ist es nicht, und dahin kommt es nicht, kann's nicht kommen. Christus wird nicht bloß geduldet; er herrscht durch seine Gnade und seine Macht. Und um seine Kirche braucht Niemand zu bangen. Achtzehn Jahrhunderte haben den Felsenbau nicht erschüttern können, und das neunzehnte vermag's auch nicht.

Aber was kommt nun uns zu, uns Predigern und Laien, die wir es als einen Gnadenbeweis des Herrn erkennen, mit Handreichung tun zu dürfen, dass Zions Mauern gebaut werden? Haben wir das Unsere schon getan? Dürfen wir die Hände in den Schoß legen?

Was gibt es alles zu tun? Nicht genug, dass das Gesunde gepflegt und das Schwache gestärkt werde; es soll auch das Geraubte wieder gewonnen und das Verwüstete wieder bepflanzt werden. Auf denn Alle, die ihr ein Herz habt für den Herrn und seine Reichssache, die ihr seine Kämpfe mit ihm bestehen und seine Siege mit ihm gewinnen wollt, auf zur Arbeit!

Gürtet die Lenden zum Dienst für das Reich des Herrn!

Das ist die Losung in dieser Zeit und an dem heutigen Tag. Und was damit von uns erfordert wird, das soll uns an der Hand des Prophetenworts: „O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort!“ klar werden, dem wir nun Schritt vor Schritt folgen wollen, und in dem uns vor Augen gelegt wird:

1) Unsere Lage,
2) Unsere Aufgabe,
3) Unser Halt,
4) Unsere Macht.

Ehe wir aber weiter gehen, lasst uns zuvor noch Herzen und Hände erheben und um den Segen des Herrn flehen in einem andächtigen Vaterunser.

I.

Gürtet die Lenden zum Dienst für das Reich des Herrn! - Doch ehe es an die Arbeit geht, muss man erst das Arbeitsfeld kennen. Und so soll uns denn unser Prophetenwort zuerst unsere Lage zeichnen. „O Land, Land, Land!“ ruft Jeremias. Wer fühlt nicht den gewaltigen Ernst, der in diesen Worten atmet? Ach, er hat gerungen um sein Volk, wie eine Mutter um ihr Kind. Er hat ihm dringender und dringender Gottes Gnade und Gottes Gerichte gepredigt. Aber er redet zu einem untreuen Volke, das die Altäre seines Gottes verlässt und fremden Göttern, Ausgeburten menschlichen Wahns, seine Opfer bringt, das die Rechte seines Gottes missachtet und in der Zuchtlosigkeit des Fleisches seine Wege geht. Er sieht sein Volk verloren. Schon sieht er im Geiste Babels König mit seinem Heer hereinziehen in das Land voll blühender Städte, um es zu verheeren und zu verwüsten; schon sieht er im Geiste sein Volk als Gefangene und Knechte in die Fremde führen; schon sieht er sich im Geiste auf den Trümmern Jerusalems und des Tempels sitzen und seine Harfe zu Klageliedern stimmen über die Stadt, die voll Volkes war und nun so wüste ist. Aber er wird nicht müde, nicht matt; er will, wenn es möglich wäre, sein Volk zwingen, sich zu besinnen über sich; mit der letzten Kraft, die ihm bleibt, klammert er sich an sein Volk an, um es zurück zu halten von dem Abgrund; und je näher die Gefahr rückt, desto gewaltiger erhebt er seine Stimme, desto lauter ruft er: „O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort!“

Aber ist damit auch unsre Lage gezeichnet? Den Grundzügen nach: ja. Schön liegt es vor uns unser Land mit seinen gesegneten Fluren und seinen, blauen Bergen, und es heimelt uns immer an wie der Mutter Blick, die uns unter ihrem Herzen getragen hat. Nicht wenig begabt ist unser Volk, und sein trauliches, offenes, natürliches Gebaren zieht auch den Fremden an, wie vielmehr den, der seines Fleisches und Blutes ist! Groß und mächtig steht unser Volk da unter den Völkern, und in der letzten Zeit sind die Augen aller Völker voll Bewunderung oder voll geheimen Schreckens auf uns gerichtet. Und wir können und dürfen es nicht vergessen, welch einen reichen Schatz von Treue und Glauben Gott in das Herz unseres Volkes gelegt hat, können es nicht vergessen, dass Gott unser Volk zum Träger des Evangeliums erwählt und ihm damit den schönsten und herrlichsten Beruf für die Völker gegeben hat. Aber dieses Volk, von Gott so reich gesegnet und so hoch gestellt, wendet sich von seinem Gott, dieses Volk, das ein so feines Ohr und ein so offenes Herz für das Wort seines Gottes hatte, lauscht voll Gier auf jede Stimme des Tages, die ihm für seinen Glauben leere Phrasen bietet, die an die Stelle der Rechte und Gebote des Herrn die Willkür des Fleisches zu setzen sucht. Das arme Volk, es lässt sich von Fremdlingen kümmerlich mit Träbern abspeisen, während es im Vaterhause fröhliche Feste feiern könnte!

Aber hat denn unser Volk wirklich im Großen und Ganzen mit seinem Gott gebrochen? Nein, so ist es nicht. Als der letzte gewaltige Krieg wie ein wildes Wetter heraufzog, da suchte unser Volk seinen Gott, da gedachte es daran, dass wir einen Vater im Himmel haben, der nahe ist Allen, die ihn anrufen, Allen, die ihn mit Ernst anrufen. Und wenn unsere hohen christlichen Feste kommen, da füllen sich unsere Kirchen, da sind sie zu klein für die Scharen der Hörer, da wird im Blick auf die Krippe und das Kreuz Christi manches Herz wieder mild bewegt, das sonst wenig nach dem Herrn fragt. Der Zug nach Gott ist in dem Herzen unseres Volkes noch nicht erstorben; er lebt noch und lässt sich nicht gänzlich zurückdrängen. Aber der öffentlichen Zeitströmung gegenüber schämt sich unser Volk dieses seines innersten Herzenszuges, als ob es eine üble Angewöhnung aus der Zeit seiner Unmündigkeit sei. Und so geht es dahin mit dem Zwiespalt im Herzen, ohne Friede, ohne Sättigung, zerpflückt sich selbst alle Schönheit, alle Anmut des Lebens und macht Platz sittlicher Verwilderung. Und wer steht uns dafür, dass es nicht fortgerissen wird bis zum Äußersten? Als einst vor Pilatus der Ruf erhoben wurde: „Kreuzige ihn, kreuzige ihn!“ da waren es nur Wenige, die ihn zuerst anstimmten. Aber bald stimmte das ganze Volk ein, und luden damit das Gericht auf Israel, an dem es nach achtzehn Jahrhunderten noch tragen muss. Unser Volk schwankt noch; es wagt es noch nicht, sein Gewissen hält es noch zurück, völlig zu brechen mit seinem Gott. Aber ein zündender Anstoß, der es in Flammen setzt, und das Schrecklichste ist möglich. Und was dann werden wird, wer weiß es? Aber ein Gericht wird's werden, ein furchtbar einschneidendes Gottesgericht. unsere Lage ist ernst, und es wäre das Allerschlimmste, wenn wir das Auge zudrücken und uns das verhehlen würden.

„O Land, Land, Land!“ ruft der Prophet voll gewaltigen Ernstes; aber welche warme Liebe spricht zugleich in diesem Wort sich aus! Es klingt dies Wort, als wenn eine Mutter ihrem Kinde ruft, das sie eben in die Fluten hinabgleiten sieht. Es klingt aus diesem Ruf etwas heraus von jener Liebe, von welcher der Apostel Paulus Zeugnis gibt, wenn er spricht: „Ich habe gewünscht, verbannt zu sein von Christo für meine Brüder, die meine Freunde sind nach dem Fleisch.“ Es ist ja sein Volk, das der Prophet zu Grunde gehen sieht. Und es ist unser Volk, das wir auf einem so gefährlichen Weg sehen; ja noch mehr, es sind Glieder unserer Gemeinden, es sind Miterlöste Jesu Christi, die in der heiligen Taufe mit seinem Blut besprengt wurden, die mit berufen sind zu seinem großen Abendmahl. Sollen wir nun denken und sprechen: „Wenn ihr euch nicht weisen lassen wollt, so seht, wie ihr zurechtkommt.“ Nimmermehr. Wenn auch sie sich von uns trennen, so dürfen doch wir sie nicht aus unserem Herzen los lassen; wir müssen voll Mitleid, voll Teilnahme, voll Barmherzigkeit sie fest halten. Wenn wir einen Armen, dessen Leben mit einem Stück Brot zu retten gewesen wäre, vor unserer Türe verhungern ließen, welch eine Last wäre das für unser Gewissen! Und unsere Brüder sind verirrt in der Wüste; sie verschmachten, sie kommen um, sie gehen zu Grunde zeitlich und ewig, wenn sie nicht noch zurecht gewiesen werden. Es war ein Mensch, so lesen wir, der ging von Jerusalem hinab gen Jericho, und fiel unter die Mörder. Die zogen ihn aus, und gingen davon, und ließen ihn halb tot liegen. Es begab sich aber ungefähr, dass ein Priester dieselbige Straße hinab zog; und da er ihn sah, ging er vorüber. Desselbigen gleichen auch ein Levit, da er kam bei die Stätte und sah ihn, ging er vorüber. Ein Samariter aber reiste, und kam dahin; und da er ihn sah, jammerte ihn sein, ging zu ihm, verband ihm seine Wunden, und goss darein Öl und Wein, und hub ihn auf sein Tier, und führte ihn in die Herberge, und pflegte sein. Meine Lieben, der Verwundete am Wege, das ist unser betörtes und verführtes Volk. Wer wird ihm den Samariterdienst leisten? Wer wird Öl und Wein in seine Wunden gießen und sein pflegen? „Gehe hin und tue desgleichen“, spricht der Meister, nach dessen Namen wir uns nennen. So geht denn hin, tut, wie der Samariter! Gürtet eure Lenden zum barmherzigen Samariterdienst, gürtet eure Lenden zum Dienst für das Reich des Herrn! Ihr müsst diesen Dienst leisten, wenn die Liebe in euch noch nicht erstorben ist.

II.

„O Land, Land, Land, höre“. ruft der Prophet, und damit ist uns unsere Aufgabe gezeichnet; denn wenn das Land hören soll, so heißt das für die Geistlichen und für Alle, die mitarbeiten wollen zur Förderung des göttlichen Reiches: Redet, dass man höre, bringt dem Volk das Wort des Herrn. Aber es will das freilich nicht heißen, dass wir bloß reden und nicht auch hören sollten. Ehe wir reden, müssen wir hören. es wäre schlimm, wenn wir bloß zu reden, und nicht auch zu hören wüssten, wenn wir bloß absolvieren und nicht auch beichten könnten. Was sind wir? Dasselbe, was die Andern sind. Wir sind so arm wie sie, so hilfsbedürftig wie sie, so ganz auf Gottes Gnade angewiesen wie sie. Und so gilt, wenn der Prophet ruft: „höre!“, dies auch den Geistlichen, und ihnen vor Allen. Durchs Reden ist noch Keiner selig geworden, sondern allein durchs Hören. Ja, wir können erst recht reden, wenn wir gehört haben. Das Wort, das wir den Brüdern ans Herz bringen sollen, muss zuvor uns durch die Seele gegangen sein, muss unser Herz erst mit seinen ernsten Schlägen gebrochen und mit seinen milden Frühlingsschauern erquickt und getränkt haben. Ein Prediger schreibt: „Ich konnte mich nur dann mit wahrer Freudigkeit und mit rechter innerer Lust auf eine Predigt vorbereiten, wenn alle Sorgen hinter die eine Sorge zurück getreten waren: „Schaffe, dass du selig werdest“, wenn alle Beklemmung sich zuletzt in das Zölnergebet aufgelöst hatte: „Gott, sei mir Sünder gnädig!“ wenn alle Herrlichkeit und alles Leid dieser Erde vor dem Wunsch verschwunden war: „O Jerusalem, du schöne, wo man Gett beständig ehrt, und das himmlische Getöne: Heilig, Heilig, Heilig! hört; ach wann komm' ich doch ein mal hin zu deiner Bürger Zahl!“

Ja, wenn wir gehört haben, dann können wir reden. Nun so lasst uns denn hören, und dann reden, reden, dass man höre, dass man hören muss. Das Wort Gottes wird unter uns reichlich gepredigt, und Jeder, der will, kann seine Bibel haben, und doch gibt es weite Kreise, die das Wort Gottes nicht kennen. Sie kommen immer wieder darauf zu sprechen; es ist ein Hauptgegenstand ihrer Unterhaltung; und doch wissen sie nicht mehr davon wie der Blinde von den Farben. Sie hören nur die Stimmen des Spottes und des Hohnes über das Wort Gottes, schauen nur die Zerrbilder, in die tückischer Mutwille seine göttliche Harmonie auflöst. Was sein innerster Herzschlag ist, was es will, was es gibt, davon wissen, davon ahnen sie nichts. Darf das so sein? Dürfen Glieder christlicher Gemeinden innerlich verkommen, weil sie das Brot des Lebens gar nicht kennen? Sie sollen das Wort hören, müssen es hören, nicht bloß die, die gerne kommen, um zu hören, auch die, die gleichgültig oder schmollend oder hochmütig sich ferne halten. Das ist unsere Aufgabe, und von unserer Seite wenigstens muss Alles versucht werden, dass es also geschehe. Darum redet, dass sie hören. Wie aber denen nahe kommen, die sich von uns wenden? Meine Lieben, es gibt eine Meisterin, die das Unmögliche möglich macht: das ist die Liebe. Die Liebe hat den Herrn Jesum von seines Himmels Thron den Weg zu uns armen Menschen finden lassen. Die Liebe wird auch den Weg zu dem armen verirrten Bruder finden. Wenn wir nach dem Seelenheil des Bruders recht von Herzen verlangen, wenn uns seine geistliche Not und Gefahr wie ein Unglück auf der Seele liegt, dann wird uns auch die Gelegenheit nicht fehlen, ihm zu nahen und ihn zu fassen. Redet, dass sie hören. Nur nicht weichen, nur nicht schweigen! Wir dürfen Niemanden aufgeben, Niemanden fahren lassen. Wir müssen alle Mittel, auf die Brüder zu wirken, nützen und auskaufen. Vielleicht steht es so schlimm, weil wir nicht getan haben, was zu tun war, weil es immer wieder zu Tag tritt, dass die Kinder dieser Welt klüger sind denn die Kinder des Lichts in ihrem Geschlecht.

Man ist misstrauisch gegen Alle, denen es ein Ernst ist mit ihrem Glauben, misstrauisch besonders gegen die Geistlichen. Man hält sie für Heuchler, die anders reden, als sie es meinen, für Mietlinge, die als Taglöhner um den Groschen arbeiten. Und wenn das wahr wäre, ach dann hätten wir noch mehr verdient als den Spott der Welt. Redet, dass sie hören. Man muss es inne werden, dass wir reden, weil wir nicht schweigen können, weil unser Herz uns dazu treibt. Und man wird es inne werden, wenn es wirklich also ist.

Redet, dass man höre. Kund muss getan werden der ganze Rat Gottes, seine Gnadengedanken über die bußfertigen und gläubigen Sünder und sein zermalmender Ernst über die verstockten Sünder, über die verhärteten Kinder dieser Welt. Und da darf nichts hinzugesetzt und nichts hinweggetan werden, nicht aus Rücksicht für Andere, nicht aus Rücksicht für uns, mag's wshl tun oder wehe tun, mag's uns Gunst oder Ungunst gewinnen, mögen wir uns selbst, die wir Menschen sind wie andere, damit demütigen müssen. „Du Menschenkind“, spricht Gott durch den Propheten Ezechiel, ich habe dich zum Wächter gesetzt über das Haus Israel; du sollst aus meinem Munde das Wort nehmen und sie von meinetwegen warnen. Wenn ich dem Gottlosen sage: Du musst des Todes sterben; und du warnst ihn nicht, und sagst es ihm nicht, damit sich der Gottlose vor seinem gottlosen Wesen hüte, auf dass er lebendig bleibe, so wird der Gottlose um seiner Sünde willen sterben; aber sein Blut will ich von deiner Hand fordern. Wo du aber den Gottlosen warnst, und er sich nicht bekehrt von seinem gottlosen Wesen und Wege, so wird er um seiner Sünde willen sterben; aber du hast deine Seele errettet“. Meine Lieben, wir Prediger haben keinen anderen Katechismus als die Anderen; aber unser Katechismus hat noch ein gewaltiges Kapitel, dieses Prophetenwort. Wir können wie jeder Christ nur selig werden durch Hören und Glauben; aber wir können mit unserem Predigen, wenn wir uns durch Nebenabsichten leiten lassen, das Verderben verdienen. Darum gilt es, Allen und Jedem, den Reichen und den Armen, den Vornehmen und den Geringen, den Gelehrten und den Ungelehrten, den ehrbaren Leuten wie denen, die in Laster und Schandtat verstrickt sind, das Wort Gottes ungeteilt, unverkürzt, ganz zu predigen, Gottes Wege voll Gericht und Gnade.

Redet, dass man höre. Und wenn heute unser Reden vergeblich ist, wenn heute das Wort wirkungslos von der Brust abgleitet, so müssen wir morgen von Neuem anheben. Je härter der Boden ist, desto anhaltender muss er bearbeitet werden. Wir dürfen nicht nachlassen, dürfen die Hand nicht vom Werk tun, bis der Herr sie uns davon tut. Gürtet die Lenden zum Dienst für das Reich des Herrn. Redet, dass man höre.

III.

„O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort,“ ruft der Prophet; und damit werden wir hingewiesen auf unseren Halt. Es ist der Dienst für das Reich des Herrn, wenn er ernstlich gemeint ist, nicht etwas Leichtes. Als Moses von Gott berufen wurde, sein Volk aus dem Diensthause Ägyptens zu führen, da sprach er: „Herr, sie werden mir nicht glauben, noch meine Stimme hören; sende, welchen Du senden willst“. Wenn es gilt, dem Herrn Seelen zu gewinnen, da wird das Netz gar oft vergeblich ausgeworfen, und der Liebe begegnet gar oft Gleichgültigkeit oder Widerwillen, der freudige Zeugenmut stößt auf Widerstand und Feindseligkeit. Im Dienst für das Reich des Herrn geht es ohne mannigfache Demütigungen nicht ab. Aber wir haben einen Halt, an dem das ermattende Herz wieder stark werden kann, der Herr, seine Liebe und seine Herrlichkeit.

Braucht uns der Herr? Er braucht uns nicht; er ist an Niemanden gebunden, auch nicht an einen Petrus, auch nicht an einen Paulus. Als die Juden sich darauf stützen wollten, dass sie Abrahams Samen sind, da trat ihnen Johannes der Täufer mit dem Wort entgegen: „Gott vermag dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken“. Der Herr braucht uns nicht; aber er hat uns erwählt. Und dass wir das wissen, dass wir unserer Erwählung gewiss sind, damit beginnt unser Christentum, damit tritt es ins Leben. Die Grundstimmung im Leben eines Christen kann keine andere sein als die, dass fort und fort wie ein süßes, trautes Geheimnis der Gedanke durch seine Seele geht: „Auch ich bin ein Erlöster Jesu Christi, auch ich bin ein Kind Gottes“. Wir waren wie die irrenden Schafe, die keinen Hirten haben, und nun wohnen und wandeln wir unter dem Auge unseres guten Hirten, des Bischofs unserer Seelen. Den Einen hat er zu sich gezogen am Morgen des Lebens, in der Jugend, den Andern hat er in späteren Jahren nach schweren Verirrungen, deren Erinnerung noch immer bitter ist, wie einen Brand aus dem Feuer gerissen. Er hat uns erwählt, und wir haben durch seine Erwählung Frieden, den kein Leid dieser Zeit, keine Sorge, keine Anfechtung, auch nicht der Blick auf unsere Schwachheit und Gebrechlichkeit uns nehmen kann, Frieden, der nicht erschüttert wird auch im Angesichte des Todes. Er hat uns erwählt; warum? Dass er an uns seine Gnade, und, wie Paulus bekennt, seine Geduld erzei gete. Wie viel Widerstreben von unserer Seite musste gebrochen werden! Und er hat nicht von uns gelassen. Mit wie viel Langmut musste er uns tragen, nachdem wir schon auf sein Liebeswerben Ja und Amen gesprochen hatten! Und er ist nicht müde geworden.

Der Herr braucht uns nicht; aber er hat uns erwählt, und so will er uns brauchen; damit hat er uns berufen zum Dienst für sein Reich. Er hat uns erwählt; er hat um uns gerungen, bis wir sein eigen waren, bis unser Herz hindurch drang zum Frieden in seinem Licht. Und unsere Brüder trägt er auf seinem Herzen wie uns. Es soll sein Abendmahl nicht vergeblich für sie gerüstet sein, sie sollen auch froh aufatmen unter seinem Auge und Friede und Freude haben als seine Gäste. Und wer soll sie zu ihm rufen, zu ihm führen und in seiner Gemeinschaft erhalten? Wer anders als die, die es selig erfah ren, was es um seine Liebe ist, und von seiner Liebe nicht loskommen können? Und das braucht man ihnen nicht erst zu sagen; sie können gar nicht anders, sie müssen das Werk des Herrn zu dem ihrigen machen. Ein Mensch, dem Christi Liebe das Herz beseligt und befruchtet, kann nicht ablassen, Alle, die er erreichen kann, zu dem Herrn zu weisen. Dies ist der Dank und Lohn der Liebe für seine Liebe, den er darbringen muss. Gleichgültig gegen seine Brüder könnte er nur werden, wenn die letzte Erinnerung an Christi Liebe seinem Herzen verloren gegangen wäre. Der Christ ist gezwungen zur Sorge für die Brüder durch die süße Gewalt der Liebe, durch die Liebe des Herrn. Und wenn Fleisch und Blut müde werden wollen, so fällt sein Blick auf das Kreuz Christi, und aus seinem Antlitz, aus seinem Herzen liest er es heraus: „Siehe, wie habe ich gearbeitet um dich und deinen Bruder! Und du willst mir ihn verloren gehen lassen, du willst mir eine Seele verloren gehen lassen, die ich mit meinem Blut erkauft habe?“ O da wird das Herz wieder frisch und munter. Christi Liebe lässt nimmer müde werden.

Und die Häupter empor! - er, dessen Liebe uns zu seinem Dienst dringt, er ist der Herr, der das Feld behält, dem das Reich gehört. Wenn der Krieger einen Feldherrn hinter sich weiß, der zum Siege führt, da geht er getrosten Mutes an und bietet seine Brust dem Eisen dar. Und unser König Christus, das ist der Herr Herr, vor dem alle Höhen sich beugen und alle Wogen sich legen müssen. Und er weist uns nicht nur unsere Wege, er ist bei uns auf dem Plan, er arbeitet mit uns, kämpft mit uns. Darum mutig, ob's auch aus Kampf in Kampf ginge! Wer kann dem Herrn eine Schranke setzen? Aus einem Saulus macht er einen Paulus, aus seinem Verfolger sein auserwähltes Rüstzeug. Und was vermögen alle seine Feinde gegen ihn? Ans Kreuz konnten sie ihn schlagen; aber das war eben der Weg, dass seine Herrlichkeit aller Welt offenbar werde. O die Welt fühlt es, dass sie gegen den Herrn nichts vermag, dass sie mit ihm nicht fertig werden kann, und das ist es eben, was sie so bitterbös macht. Wie dort die Männer, die Jesum gefangen nehmen sollten), vor Schrecken zu Boden stürzten, als ihnen der Herr voll Ruhe und Majestät entgegen trat, so zittert die Welt im Geheimen vor dem Namen des Herrn. Wenn die Welt dürfte und könnte, wie sie wollte, was würde sie nicht alles gegen die Gläubigen unternehmen! Aber der Name des Herrn, in dem unsere Hülfe steht, ist es, der sie zurückschreckt und in ihre Grenzen weist. Der Name des Herrn, das ist die Schranke um uns, wie einst die Schranke um den Berg Sinai, die das unheilige Volk nicht hinzu treten ließ. Der Name des Herrn, das ist die Wolkensäule, die zwischen das Volk des Herrn und die Ägypter sich lagert. Der Name des Herrn, das sind die ausgereckten Mosisarme, die Sieg verleihen über Amalek. Auf denn im Namen des Herrn! Da werden wir Taten tun. Gürtet eure Lenden zum Dienst für das Reich des Herrn! Der Herr ist mit uns.

IV.

„O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort!“ Damit wird uns zuletzt noch unsere Macht bezeichnet. Die Mächtigen der Erde verfechten ihre Sache mit gewaltigen Heeren, und durch Ströme von Blut geht der Weg zu ihren Siegen. Wir sollen auch Siege gewinnen, aber wir haben zur Waffe und Wehr weiter nichts, als das Wort vom Kreuz, das den Einen ein Ärgernis und den Andern eine Torheit ist. Und doch wo ist eine Macht, die Siege gewonnen hat wie dieses Wort? „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht,“ so sprach vor achtzehnhundert Jahren der arme Rabbi aus Nazareth, der nicht hatte, wo er sein Haupt hinlege, und den man als Missetäter ans Kreuz schlug. Und seitdem ist die ganze Welt anders geworden; Reiche wurden gestürzt, und Reiche erhoben sich; Herrschende sind zu Dienern, und Knechte zu Herren geworden; aus Barbaren sind gebildete Völker geworden, und gebildete Völker sind in Rohheit versunken; kaum eine Spur von dem, was einst groß und herrlich war, ist geblieben; aber das Wort des Herrn ist geblieben. Das Wort des Herrn ist, Sieg um Sieg gewinnend, durch die Welt gegangen, und hat die Sünder selig, die Barbaren gebildet, die Sklaven zu Freien gemacht. Im Aufgang und Niedergang ist sein Name der hochgelobte Name, in dem die Knie sich beugen, und wird es bleiben, auch wenn nicht bloß Völker und Reiche, auch wenn Himmel und Erde vergehen.

Und so ist uns denn eine Macht verliehen, die dauern wird, wenn Alles fällt, die siegen wird, wenn Alles unterliegt. Oder hätten wir diesem Wort erst nachzuhelfen mit unserer Weisheit und mit unserer Kunst, hätten wir es erst mit unsern Zutaten und mit unserer Würze genießbar und schmackhaft zu machen? Oder müsste ihm wenigstens für die hochgepriesene Zeit des neunzehnten Jahrhunderts ein modernes, ein modisches Gewand angelegt werden? Der Herr bedarf unser nicht. Armen Fischern und Zöllnern hat er einst sein Wort in den Mund gelegt, und durch die, die vor der Welt nichts waren, hat er der Welt ein neues Leben eingepflanzt. Vor ihm soll kein Fleisch sich rühmen. Sein Wort, das ist die Macht, womit er Alles überwältigt; denn in seinem Wort waltet sein Geist, aus seinem Wort weht seine Liebe, in seinem Wort atmet sein Leben. Man kann mit aller Kunst und Wissenschaft, mit allen Auseinandersetzungen und Beweisen nicht eine einzige Seele zum Glauben zwingen; aber das Wort: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab,“ dies Wort hat schon Millionen überwunden, schon Millionen zum Glauben gezwungen, und wird noch Millionen überwinden, noch Millionen zum Glauben zwingen. Dies Wort, das wie ein Feuer ist und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt, dies Wort, das wie ein Himmelstau, der den rauen Fels mit Grün überkleidet, auch das härteste Herz erweicht, dies Wort weiß schon die armen Sünder zu finden, die da selig werden wollen, dies Wort weiß schon einzufügen, weiß schon sich einzuschmiegen in die armen bekümmerten Herzen, die aufatmen wollen in der Liebe ihres Gottes. Durch alle Schranken bricht es endlich hindurch, durch alle Riegel bahnt es sich seinen Weg; denn es verlangt ja doch jedes Menschenherz in seinem tiefsten Innern nach diesem Liebesgruß Gottes, nach dieser Heimsuchung aus der Höhe.

Gürtet eure Lenden zum Dienst für das Reich des Herrn! Und welches ist das Ziel, nach dem wir uns sehnen müssen? Dass die christlichen Gemeinden wieder werden, was sie sein sollen, dass man es aus den Augen, aus den Herzen, aus dem Leben ihrer Glieder heraus lesen kann: „Ihr seid das auserwählte Geschlecht, das königliche Priestertum, das heilige Volk, das Volk des Eigentums, dass ihr verkündigen sollt die Tugenden des, der euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.“ wie herrlich müsste es sein, wenn die Christengemeinden sich wieder darstellen würden ohne Flecken, ohne Runzel, heilig und unsträflich! Jetzt wandern wir noch den Weg durch die Wüste. Es scheint, es ergeht uns wie Mose, der in das Land der Verheißung hinein schauen, aber das Volk nicht hinein führen dürfte, darum dass er zaghaft geworden war und dort am Haderwasser den Herrn nicht geheiligt hatte vor Israel. Ach, wir haben den Herrn auch nicht geheiligt, wie es sein sollte, vor unserem Volk. Wenn wir dahin sind und unser Geschlecht, dann wird vielleicht ein kommendes treueres, männlicheres und glücklicheres Geschlecht den fröhlichen Einzug halten nach Canaan. Der Herr vermag es ja wohl, ein Neues zu schaffen. Er tue, was ihm wohlgefällt. Er erhalte uns nur in seiner Gnade und lasse uns wenigstens etwas gelingen für sein Reich. Wer sind denn wir? uns bleibt zuletzt nichts übrig, als dass wir an unsere Brust schlagen und mit dem Zöllner sprechen: „Gott sei mir Sünder gnädig!“ Amen.