Hosea 14, 6.
“Ich will Israel ein Tau sein, dass er soll blühen wie eine Rose!“
Bekehre dich, Israel, ruft der Herr seinem Volke zu; die Verheißungen, die er diesem Zurufe beifügt, und durch welche er lockt, sind ganz Lieblichkeit und süßer denn Honig. Er will ihr Abtreten wieder heilen, gern will er sie lieben, und sein Zorn soll sich von ihnen wenden. Ja, er will Israel wie ein Tau sein, dass er soll blühen wie eine Rose. Bei dieser letzten Verheißung, dem geistlichen Israel gegeben, bleiben wir stehen, ihren Inhalt erforschend, und an ihrem Kern und verborgenen Manna uns labend. Wir betrachten:
1. Christum unter dem Bilde eines Taues auf Israel und 2. seine Braut, die Gemeine oder gläubige Seele unter dem Bilde einer blühenden Rose.
Der Herr wie ein Tau, welch ein sanftes, angenehmes Bild! Wie das dem Herzen so wohl tut! Da seufzt ja wohl mancher unter uns im Stillen: ach ja, mein Herr Jesus! sei mir wie ein Tau der Morgenröte und lagere dich über mich, wie ein sanfter, milder Regen! Des Taues wird häufig gedacht in der Schrift. Bald ist er ein Bild großer leiblicher Wohltaten. Siehe da, heißt es zu Esan, du wirst eine fette Wohnung haben auf Erden und vom Tau des Himmels von oben her. Bald sind es geistliche Segnungen, die mit dem Tau verglichen werden. Der Brunn Jakobs, heißt es 5. Mose 33, wird sein auf dem Lande, da Korn und Most ist, dazu sein Himmel wird ihm Tau triefen. Bald ist es die Fruchtbarkeit und erquickende Kraft des göttlichen Wortes, die unter dem Bilde des Taues dargestellt wird: Meine Rede, heißt es, fließe wie der Tau. Bald ist es die Gnade: Des Königs Gnade, sagt Salomo, ist wie ein Tau auf dem Grase. Bald bezeichnet der Tau brüderliche Einigkeit im Geiste, Friede und Eintracht: Siehe, wie fein und lieblich ist's, wenn Brüder einträchtig bei einander wohnen. Wie der köstliche Balsam ist, der vom Haupte Aaron herabfließt, wie der Tau, der von Hermon herabfällt auf die Berge Zion. Auch die Kinder Gottes selbst, die Wiedergebornen, werden ein Tau genannt, weil sie geboren sind von oben her aus Gott, weil göttlicher Lichtstrahl sie durchleuchtet und das Bild der ewigen Sonne sich in ihnen spiegelt, weil sie ein Schmuck sind, eine Zierde und Würze, wie ein Tautropfen auf dem großen Felde der Menschheit und unvermerkt und geheimnisvoll, gleichsam bei stiller Nacht geboren wurden. Deine Kinder, heißt es Ps. 110, werden dir geboren, wie der Tau aus der Morgenröte. Und dann Micha 5: Es werden auch die Übrigen aus Jakob unter allen Völkern sein wie der Tau. Sehr häufig ist es aber auch der Heilige Geist mit allen seinen vielfachen Kräften, Gaben und Wirkungen, der mit dem Tau verglichen wird. Wie oft heißt es nicht in der Heiligen Schrift: Der Herr befeuchte seinen Weinberg, er treibe Wolken darüber hin und lasse regnen vom Himmel, und sein Brünnlein fließe durch Jerusalem und gebe Wasser in der dürren Wüste und Sandfläche; da ist immer der Geist gemeint, der für die Seele ist, was Tau und Regen für die Natur. „Wacht auf und rühmt,“ heißt es bei Jesaias 26, „ihr Bewohner des Staubes, denn dein Tau ist ein Tau des grünen Feldes; aber das Land der Toten wirst du stürzen.“
Wenn nun aber, wie in unserm Text, der Herr sich selbst einen Tau nennt, so kann uns das nicht befremden. Der Herr sendet den Tau und ist auch wieder der Tau selbst. Er ist ja eins mit dem Geist: Der Herr ist der Geist, sagt der Apostel. Und abermals: Wir werden verklärt in dasselbige Bild, als vom Herrn, welcher der Geist ist. Wenn Christus in eine Seele eingeht, so geht der Geist auch ein, und teilt sich der Geist uns mit, so ist es zugleich auch Christus, der in uns verklärt wird und an und in uns sich lebendig erweist.
Ich will Israel ein Tau sein. Welch eine demütige Benennung, als ob er nicht um sein selbst willen da sei, sondern allein um dürrer Auen willen, die der Erquickung bedürfen; als ob er nicht sich selber lebe, sondern allein darum sein Leben und Dasein habe, dass er lebendig mache, was welk und abgestorben ist; als ob das Leben und Gedeihen und Frischsein der Kreaturen die Hauptsache sei, er aber nur ein Mittel dazu. „Des Menschen Sohn,“ spricht er, „ist nicht kommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zur Erlösung für viele.“ Und abermals: Ich lasse mein Leben für die Schafe. Er hat's einmal gelassen für sie am Kreuze, und in einem andern, geistlichen Sinne lässt er es täglich aufs Neue für sie. Er lebt uns, lebt, um sein Leben uns zu schenken und mitzuteilen, und uns seines Lebens teilhaftig zu machen. Der König Himmels und der Erden; denn alle Dinge sind unter seine Füße getan, der will uns ein Tau sein, ein belebender Regen, ausgegossen über das verbrannte, dürre Feld der abgewichenen Menschheit. Man denke sich diese Demut, diese Liebe.
Der Herr will ein Tau sein, verheißt er. Das setzt also voraus, dass ein taubedürftiger, verschmachteter Acker sich irgendwo befinde, in den er befruchtend hereinbrechen will, und dieser Acker sind wir, insofern wir seines Lebens noch nicht sind teilhaftig worden. Da suche man einmal was Grünes in einer Seele, so lange sie Jesus nicht grün gemacht! Ach, es ist alles nicht bloß verwelkt, sondern verbrannt in der Sündenhitze. Wie ist der schöne Garten verwüstet, den Gott in uns pflanzte. Das Feuer der Empörung wider Gott hat das grüne Laubwerk weggefressen. Es ist eine Wüste, ein dürres Heideland, wo nur Drachen und Ottern, gottwidrige Gedanken und Begierden hausen.
Da suche man das schöne Gewächs der Gottesliebe, es ist ganz und gar versengt und abgestorben; da sehe man sich um nach dem Grün kindlicher Zuversicht, herzlicher Andacht, inniger Gebetslust, da frage man nach dem Blümlein Demut, ob's noch dufte, nach dem Kräutlein Patientia, d. i. Geduld, ob's noch grüne, nach Dem Jelängerjelieber der Gottesgemeinschaft, ob's noch in der Blüte stehe; man frage nach der Kraft, nach dem Drang, nach dem Trieb, Gottes Willen zu tun, und nach dem himmlischen Sinn, nach dem Auswärtstrachten. Ach, wo ist das alles hin! Wie sind wir zur Wüste worden! Im schrecklichsten Sinne ist an uns in Erfüllung gegangen, was Jesaias sagt: Herab von der Herrlichkeit, du Tochter, die du zu Dibon wohnst, und sitze in der Dürre. Unsere Kraft ist vertrocknet, wie es im Sommer dürre und trocken wird. Es ist nichts Grünes, es ist kein Leben in uns. Da bringe sich nun einmal einer selbst wieder zum Grünen! Die besten Mittel, die er dazu anwendet, sind wie ein Wasser auf glühenden Sand vergebens ausgegossen, so lange der Wundertau Gottes nicht kommt. Da fasse man gute Vorsätze, da predige man und lasse sich predigen, da lese man Gottes Wort und singe Lieder, da suche man die Einsamkeit oder fromme Gesellschaft, es ist alles nichts und schafft kein Leben, so lange es der Herr nicht tut. Es ist, wie wenn es schneit, hagelt, taut und regnet auf die Pflastersteine der Gassen, es bleiben Steine. Aber der Herr kann aus Steinen dem Vater Abraham und sich selber Kinder erwecken und die Wüsten blühen machen.
„Ich,“ spricht der Herr, „ich will Israel sein wie ein Tau.“ Ach, das ist ja gut, dass er es sein will. Der Tau pflegt in schwülen Sommernächten zu fallen, wenn die Felder dürsten und schmachten. So kommt auch der Tau Gottes, Christus, nur über durstige und schmachtende Seelen. Geht heraus in die Natur an einem frühen Sommermorgen: Seht, wie es glänzt in den Tälern, und wie es liegt auf den Wiesengründen, wie ein Meer von Perlen; aber auf den hohen Bergen ist der Tau nicht gefallen. Darum wer des Himmeltaues Christi will inne werden, der werde zuvor ein Tal; der schreie zu Gott wie David: „aus der Tiefe“! Der Herr ist hoch, heißt's Ps. 132, und sieht auf das Niedrige. „Bei den Elenden will ich wohnen,“ spricht der Herr. Zu welchen der Herr mitgehen will als ein belebender Tau, den macht er erst zu einem Grunde, zu einer Niederung. Alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, spricht er bei Jesaias. Er hat noch immer Lust zu Stall und Krippe, da will er ruhen. Wie fein wusste er die Höhe zu niedrigen in der Samariterin. Du hast fünf Männer gehabt, sprach er zu ihr, und den du nun hast, der ist nicht dein Mann: Da war sie zur Sünde gemacht und ihre Augen niedergeschlagen, und da sie recht klein war und recht gering von sich dachte und nichts Gutes mehr in sich fand und sich nach einer Retterhand aus den Wolken umsah, da hieß es zu ihr: Siehe, ich bin's, der mit dir redet! Da gab sich Jesus ihr zu eigen und kam über sie, wie ein Tau, dass sie zu grünen und zu blühen anfing in ihrer Seele; da ward es lebendig und grün in ihrem Herzen und ihrem Munde, in Wort und Tat, in Leben und Wandel; sie war eine Pflanze zum Preise Gottes. So geht's noch immer. Aus der Höhe kommt der Gottestau, er zerreißt den Himmel und fährt herab, und wo er Täler findet und tiefe Niederungen, ausgeleerte, arme, hilfsbedürftige Herzen, da ist die Stätte seiner Ruhe, da breitet er sich aus, da gibt er sich zum Erbteil: Die Hungrigen, singt Maria, füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer. Und wenn Joseph, Jakobs Sohn, in seinem ganzen Leben „ein Vorbild Christi“ war, so war er's auch darin, dass er in eine Grube geworfen ward, die leer war.
In stiller Nachtzeit fällt der Tau vom Himmel. Man hört kein Rauschen und sieht kein Blitzen, aber am Morgen hängt er an den Blättern, und man weiß nicht, woher er gekommen, noch wie er gebildet worden. So auch Christus. Die Art und Weise seines Kommens ruht in Nacht verborgen. Wer hebt den Schleier? Es pflegt auch dieses Kommen still zu geschehen und geräuschlos und nicht mit Lärm und Gepränge, nicht mit Gesichten und Wundererscheinungen, nicht mit Stimmen vom Himmel und sichtbarem Auszug. Ehe sich's der seufzende und harrende Sünder versieht, heißt es zu ihm: Siehe, hie bin ich! Es ist kein Heer von Engeln in seine Kammer hereingebrochen, oder eine hörbare Stimme zu seinen Fenstern; er hat keine Vision gesehen, noch einen äußerlichen Lichtglanz, wie die Hirten auf Bethlehems Feldern, aber in seinem Innern heißt's: Ich verkündige dir große Freude; denn dir ist heute der Heiland geboren; seinem Geiste ist ein Zeugnis worden, und das ist das Zeugnis, dass ihm Gott das ewige Leben hat gegeben, und solches Leben ist in Christo, seinem Sohne. Er wird im Gewissen überwiesen, dass auch er Teil habe an dem offenen Gnadenbrunn des Hauses Davids. Er ward Christi als seines Heilandes inne. Der Tau ist gefallen in stiller Nacht, wie, das weiß man nicht.
Aber der Sünder fühlt's, dass er da ist, und wir sehen diesen Tau auf ihm in allen seinen Worten und Gebärden, in seinem ganzen Tun und Wesen. Der Tau des Feldes hat einen hellen Schein an sich und ist mit dem Licht verbunden, also auch unser Gnadentau, Christus. Wenn er bei uns eingegangen ist, dann wird es erst in allen Abgründen unseres zerrütteten Wesens helle vor unseren Augen; und je mehr er unser wird, und je enger unsere Gemeinschaft mit ihm, um desto mehr schließen sich uns die Tiefen unsers Elends auf, desto gründlicher schauen wir hinab in unser Nichts, in unsere Ohnmacht. Daher die Klage der Gläubigen: „Ach, was bin ich, mein Erlöser? Täglich böser find' ich meinen Seelenstand!“ Aber gottlob, wie der Tau dasjenige bedeckt, worauf er fällt, so bedeckt auch Christus unseren Jammer mit sich selbst, mit seiner Gerechtigkeit, die einen weit lieblicheren Glanz hat, als die Teppiche Salomos. Er bedeckt uns ganz damit und wickelt und hüllt uns hinein, dass der Richter keine Runzel noch Flecken mehr an uns wahrnimmt. „Es ist nichts Verdammliches an denen,“ sagt der Apostel, „die in Christo sind.“ Und o wie befruchtend ist dieser Tau, welch ein Leben führt er herein in die Seele, das Tote macht er lebendig, das Wüste baut er, die Heide macht er grünend und blühend. Welch eine Veränderung in der Natur bringt der Tau hervor, wenn einmal nach langen, schwülen Sommertagen die Morgenröte ihren Busen entfaltet und ihren Segen über die Felder ausstreut; da sieht man nichts Welkes und Dürres mehr, da haben Gräser und Blumen wieder ihre Häupter erhoben, da ist alles mit neuem Schmucke angetan wie im Frühling. Und Geruch des Lebens durchweht die Gefilde. Aber noch viel größer und herrlicher ist die Veränderung, die dann vorgeht, wenn der Tau Gottes, wenn Christus über ein Herz oder gar, wie bei Kornelius, über ein ganzes Haus sich ausbreitet. Wie jämmerlich, wie wüst und leer sieht's in einem Herzen, sieht's in einem Hause aus, so lange das noch nicht geschehen ist. Welch ein armseliges, unerquickliches Getreibe, die Welt nimmt alles ein, Herz, Sinn und Verstand. Die Gedanken flattern nur um die Fleischtöpfe Ägyptenlandes, die Wünsche und Hoffnungen kriechen auf dem Bauch und essen Erde. Der Mund redet nur von Essen und Trinken, von Geschäften und anderen Dingen dieser Zeit. Das ganze Sein und Leben, Treiben und Trachten, Tun und Lassen, Sich freuen und Weinen, Hoffen und Bangen, alles ist auf die Welt und ihren Kot gerichtet, alles ist niedrig und gemein, ohne Gott, ohne Licht, ohne Himmelssinn und voller Sünde. Die Engel können solchen Anblick nicht ertragen. Aber siehe, es widerfährt dem Hause Heil. Christus, der belebende Tau, geht ein in die öde Steppe. Nun komm und siehe, welche Umwandlung! Die Herrlichkeit des Herrn erfüllt das Haus! Wie heilig ist diese Stätte worden! Verdrängt ist der alte, eigensüchtige Sinn der Welt, und der stille Geist der Demut und der Liebe ist an seine Stelle getreten, und der Wandel ist im Himmel; verdrängt ist das irdische Getreibe, und den Gedanken, Wünschen und Begierden sind Flügel gewachsen zum Aufflug. Man hat jetzt anderswo seinen Schatz, anderswo ist darum auch das Herz. Man kennt jetzt anderes Brot und anderes Wasser, und anders ist darum auch Durst und Hunger. Man hat jetzt ein anderes Interesse gewonnen, und anders ist darum auch die Rede und Unterhaltung; sie ist gewürzt und geistreich, und geistlich werden alle Dinge gerichtet. Und die Kammern duften vom Rauchwerk des Gebets und den Farren der Lippen, der Lob- und Dankopfer, die Tag und Nacht vor dem Herrn aufduften. Es war wüst und leer und finster auf der Tiefe. Nun aber ist Licht hereingebrochen, und die Wüste blüht und steht herrlich. Das hat der gemacht, der da spricht: Ich will Israel wie ein Tau sein.
Ach, dass er uns allen würde wie ein Tau! Doch merkt wohl: Der Tau, so köstlich er auch ist, kann auch den Feldern zum Verderben werden. Und das geschieht, wenn er einen zu kalten Dunstkreis antrifft, dann erstarrt er zu Reif und verwüstet das Gewächs. Und so ward auch der köstliche Gottestau, Christus, schon manchen, so ward er, um ein Beispiel anzuführen, dem Judas ein kalter Reif, ein erstarrend Eis. Die Winterlust des Widerstrebens und der Widerspenstigkeit in Judas machten ihn dazu. Alles was Jesus tat mit Wort und Beispiel, mit Lockung und Warnung, um sich bei Judas Eingang zu verschaffen, brachte die entgegengesetzte Wirkung von Tau bei ihm hervor, es erbitterte und verhärtete sein Herz nur mehr und mehr und diente nur dazu, sein Verderbnis zur Reife zu bringen und seine Verdammnis und sein Gericht zu beschleunigen.
Das war nicht Christi Schuld, sondern Judas! Gott bewahre einen jeden Menschen vor etwas Ähnlichem und verhüte, dass der teure Tau vom Himmel, der allein das ewige Leben schaffen kann, in der bösen Luft unserer Seele uns nicht zum Reif, zum verderbenden Eise werde.
Des freue sich und lobe Gott, wer die belebende, erquickende, befruchtende Kraft des Taues an seinem Herzen erfahren hat und erfährt. Und dass du sie nicht jeden Augenblick erfährst und dass du wohl Tage und Wochen lang das Süße des Taues nicht recht spürst, das müsse dich nicht irre machen. Manchmal entzieht er sich dem Acker der Seele. Da hängt denn das Gewächs der Liebe und des Glaubens, der Zuversicht und Freude ihr Haupt; da ist kein Leben da zum Beten, Loben und Danken, da ist es wieder dürr und jämmerlich. Aber harre nur: Du sollst es in solchen Zeiten noch gründlicher erfahren, wie viel an jenem Tau gelegen ist, und wie er alles, alles tun und schaffen muss. Wenn seine Stunde gekommen ist, so kommt er auch wieder zu dir, und lässt dich wieder empfindlich seiner wohltätigen Wirkungen inne werden. Und o welche Freude, wenn's nach langer, schwüler Zeit wieder taut und regnet. Da lernt man diesen Tau erst recht preisen und wird es durch den Glauben inne, was der Herr spricht: Ich will Israel wie ein Tau sein.
Stellt sich Christus in unserm Texte unter dem Bilde eines Taues dar, so vergleicht er seine Braut, die Gemeine, oder auch die einzelne gläubige Seele mit einer Rose. Ich will Israel wie ein Tau sein, dass er soll blühen wie eine Rose. Und auch diese Vergleichung ist tief und bedeutsam.
Die Rose ist ein lieblich und herrlich Gewächs, dem kein anderes gleich kommt an wahrhafter Schöne und Lieblichkeit. Und wie die Nachtigall unter den Vögeln, so ist sie unter den Blumen die beredtste Lobpreiserin des Schöpfers. Sie klingt und singt nicht, noch rauscht sie, wie Elias Palmen und Libanons Zedern, und dennoch scheint sie zu keinem andern Zweck gemacht zu sein, als dass sie den, der sie gemacht, verherrliche. Und Israel, der Same dessen, der in die Länge lebt, ist eine Rose in der großen Menschenwüste, zu Gottes Ehre und Ruhm geschaffen und gepflanzt. Der Herr hat Jakob erlöst, sagt der Prophet, und ist in Israel herrlich. Paulus sagt Eph. 1: Gott hat uns verordnet zur Kindschaft gegen ihn selbst, durch Jesum Christum, zu Lobe seiner herrlichen Gnade; durch welche er uns angenehm gemacht hat in dem Geliebten. Die da glauben sind sein Werk von der Wurzel bis zur Krone, aus seinem Wasser und aus seinem Geist geboren. Sein Licht ist es, das in ihnen wieder leuchtet, seine Tugenden, die an ihnen sichtbar werden. Ja, alles, was Klares und Schönes an ihnen ist, ist Gottes, und nur das Finstere gehört zu seinem Eigenen; das Urim und Tummim, Licht und Recht, das sie auf der Brust tragen, der Herr hat es ihnen angehängt, darum heißt's unter ihnen: Nicht uns Herr, nicht uns Herr, sondern deinem Namen gib die Ehre, um deiner Gnade und Wahrheit willen. Die Macht seiner Gnade wird sichtbar an den Wiedergeborenen zu seinem Preise. Paulus sagt: Wir haben aber solchen Schatz in irdenen Gefäßen, auf dass die überschwängliche Kraft sei Gottes und nicht von uns.
Gott der Herr hat einen wunderlichen Geschmack, sollte man sagen. Wer sind doch die, so er seine Rosen nennt auf Erden? Elende Leute, zerschlagene Büßer, die nichts Gutes an sich finden, ein armes Volk, unreines Gesindel, das sich um David sammelt in in der Höhle, das selber nichts hat als Unflat der Sünde; schwache verzagte Menschen, die aus eigenem Mut und Willen nichts wagen noch können, Lahme, Blinde, Krüppel, Leute, die am Bettelstab gehen und auf der Gasse liegen an seiner Schwelle, und von den Brosämlein leben, die von seinem Tische fallen, die sind es. Und die Großen, Reichen, Starken und Herrlichen in der Welt, die übersieht er und tritt mit seinem Fuße darauf, wie auf Unkraut. Man denke nur ein Ehebrecher und Mörder wie David, ein Lazarus mit seinem Aussatz, ein niedergeschlagener Zöllner im fernen Winkel des Tempels mit seinem: Gott sei mir Sünder gnädig, ein Schächer oben am Kreuz: das sind seine Rosen! Welch ein wunderlicher Geschmack! Aber freilich um ihrer selbst willen sind sie es nicht, auch nicht um ihrer bisschen Demut und Frömmigkeit willen, sie sind es, weil sie in Christo erfunden werden, und bekleidet sind mit der Sonne seiner vollkommenen Gerechtigkeit: Durch seine Gnade hat er uns angenehm gemacht in dem Geliebten.
Die Rose hat einen süßen Geruch. Und der Herr spricht bei Hesekiel: Ihr werdet mir angenehm sein mit dem süßen Geruch, wenn ich euch aus den Ländern sammeln werde. Und im hohen Liede heißt es von der Braut: Deiner Kleider Geruch ist wie der Geruch Libanons. Das erinnert uns an Jakob, als er dem Esau des Vaters Segen wegnahm: Er hüllte sich in Esaus köstliche Kleider und nahte sich dem blinden Vater Isaak. Da, heißt es, roch Isaak den Geruch seiner Kleider, und segnete ihn und sprach: Siehe, der Geruch meines Sohnes ist wie ein Geruch des Feldes, das der Herr gesegnet hat. Eine ähnliche Bewandtnis hat es auch mit unserm guten Geruch vor Gott. Wir duften ihm so lieblich, insofern wir vor ihn treten in den schönen Kleidern unseres größeren Bruders. Diese Kleider riechen ihm wie Kezia und Narden, wie Duft der Lilien und Rosen.
Die Rose ist rot, und rot ist die geistliche Rose, in Rot gekleidet ist die hohepriesterliche Braut, die Gemeine der Wiedergebornen. Paulus sagt Hebr. 10, 20: So lasst uns hinzugehen mit wahrhaftigem Herzen, mit völligem Glauben, besprengelt in unseren Herzen. Und im 12. Kap. d. B. sagt er den Gläubigen: Ihr seid gekommen zu dem Blute der Besprengung, dass da Besseres redet, denn Abels Wie Moses das ganze Volk besprengte mit dem Opferblute: so sind die Auserwählten mit dem Blut des ewigen Hohenpriesters, ihrem Osterlamm, gerötet, dass auch kein Würgengel sie verderben kann. Rot ist ihr Glaube, denn er steht allein auf dem versöhnenden Blute Christi. Die Schilde seiner Starken sind rot, sagt der Prophet Nahum. Das passt auch auf die Gläubigen: Rot ist ihre Hoffnung; denn aus dem blutigen Verdienst des Erlösers ist sie hervor gekeimt. Rot sind ihre Gebete und Lobgesänge, im Blute des Herrn gebadet. das heißt, im Vertrauen auf dieses Blut sich vor dem Vater wagend. Rot sind ihre Werke und Worte und Taten und Freuden: denn Christi Blut ist ihre Quelle. Rot ihre Liebe: denn aus dem Blute des Herrn ist sie geboren. Alles ist rot am Christen: er hat seine Kleider gewaschen im Blute des Lammes. Mit seinem ganzen Wesen steht er ohne Aufhören unter dem Gehorsam des großen Hohenpriesters, und was er tut und treibt, er tut's im Glaubensblick aufs Blut am Krenz. So hat er auch die Rosenfarbe neben dem Rosengeruch.
Wenn eine Rose ihre Röte verliert, so ist das ein Zeichen ihrer Krankheit, ihres Welkens. Gleichermaßen verhält es sich auch mit dem Christen. Wenn er aufhört mit David zu seufzen: Entsündige mich mit Ysop! Wenn er versäumt, sich die Blutbesprengung geben zu lassen, wenn ihm das Blut des Mittlers gleichgültiger wird, und er wohl ohne dasselbe dem Vater sich nahen zu dürfen meint, so ist das ein schlimmes Zeichen, ein Zeichen, dass der Wurm. des Stolzes sein Mark zernagt. Je röter, desto besser, desto lebendiger! Je unentbehrlicher uns das Blut des Bundes dünkt, desto besser steht's mit unserer Seele!
Keine Rose ohne Dornen. Und was sagt der Bräutigam im Hohenliede? Wie eine Rose unter den Dornen, spricht er, so ist meine Freundin unter den Töchtern. Und welches sind denn die Dornen? Es sind die vielfachen äußeren und inneren Leiden, von denen ein Erwählter ohne Aufhören in dieser Welt umgeben ist. Aber also muss es sein. Diese Dornen sind ihm ein Schirm und Schutz und wie ein Zaun um ihn her, die ihn sein demütig und beim Herrn halten, die dem zerstörenden Gewürm der Hoffart und des Leichtsinns den Weg versperren: ohne seine Schwären hätte Lazarus so schön nicht geblüht, und Paulus würde ohne den Stachel und Pfahl in seinem Fleische stolz geworden sein, und wenn die Gemeine Gottes von jeher recht im Gedränge war, so war ihr Glanz am hellsten, und ihre ganze Schöne ward entfaltet.
Und nun merkt auch endlich darauf noch, wie die Rose wächst, woher sie ihre Nahrung hat und wie sie gedeiht. Ihr wisst, sie arbeitet nicht, auch spinnt sie nicht, sie wiegt sich stille im Strahl der Sonne und er öffnet ihren Kelch dem Tau der Morgenröte, und daher duftet und blühet sie am schönsten vor allen Blumen auf dem Felde, und ist schöner gekleidet als Salomo in aller seiner Herrlichkeit. Das soll uns zur Lehre sein. Besseres können wir auch nicht tun. Mit unserm Rennen und Laufen ist nichts getan. wehe, wenn wir uns selbst erst ans Tun geben, uns selbst unseren geistlichen Unterhalt erwerben, uns selbst betauen, stärken, heiligen und verklären wollen. Das ist der Weg zum Tode. Unser Leben steht darin, dass wir wandeln im Lichte Jakobs, in der Gemeinschaft des ewigen Morgensterns. Wohl dem Menschen, der keinen Trost weiß, als die Gnade des Bürgen, und keine Nahrungsquelle, als den offenen Brunnen des Heils, den Born des Hauses Davids, daraus er täglich und stündlich nimmt und schöpft. Wohl dem, der keine andere Sorge kennt, als die, dass er in jedem Augenblick stehe im Schein der Sonne der Gerechtigkeit, unter deren Flügeln himmlische Genesung, aufzunehmen den Tau, der vom Himmel träufelt, und dessen Augen immer auf den großen Hirten der Schafe warten, dass er ihm seine Speise gebe zu seiner Zeit, seine Hand austue und ihn sättige mit Wohlgefallen, dem wird es nie an irgendeinem Guten mangeln. Sein Brot wird ihm gegeben, sein Wasser hat er gewiss. Willst du also grünen, Israel, und blühen, entfalte in tiefer Bedürftigkeit den Kelch deines Herzens der Gnadensonne, Christus; und schleus in Seufzen und Beten den Talgrund deiner Seele dem Taue auf, der von oben fließt, so wirst du sein, wie eine Rose im Frühling, lieblich und frisch, voll Wohlgeruchs; und zwischen den Blättern deiner Worte und Taten, deiner Gebete und Lobgesänge, wird man den ewigen Tau, der dich feuchtete, funkeln und glänzen sehen.
O, so komme denn der Herr auch über uns als ein Tau! An allen, die noch ein dürres Gesträuche unter uns sind, und in diesem Zustand zu nichts anderem nütze, als dass es ins Feuer geworfen werde und verbrenne; an denen allen tue er ein Wunder, wie einst am Stecken Aarons, der auch in sich verdorrt und abgestorben war, aber in einer Nacht durch des Herrn Kraft grünte, blühte und Mandeln trug! Er schaffe unsre ganze Gemeine zu einem Rosenfelde! Und so oft er herab kommt zu uns, eine Seele zur Ewigkeit zu rufen, müsse es im Himmel von ihm heißen, wie es heißt im Hohenliede: Siehe unser Freund ist hinabgezogen in seinen Garten zu den Würzbeeten, dass er weide in den Gärten und breche Rosen. Sein Reich und seine Herde ist eine goldene Rose; sie blühe auf an allen Enden! Amen.