Inhaltsverzeichnis

Hofacker, Wilhelm - Am Sonntag Sexagesimä.

Text: 2. Cor. 12, 1 - 10.
Es ist mir ja das Rühmen nichts nütze, doch will ich kommen auf die Gesichte und Offenbarungen des HErrn. Ich kenne einen Menschen in Christo vor vierzehn Jahren (ist er in dem Leibe gewesen, so weiß ich es nicht; oder ist er außer dem Leibe gewesen, so weiß ich es auch nicht; Gott weiß es); derselbige ward entzückt bis in den dritten Himmel. Und ich kenne denselbigen Menschen, (ob er in dem Leibe, oder außer dem Leibe gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es). Er ward entzückt in das Paradies, und hörete unaussprechliche Worte, welche kein Mensch sagen kann. Davon will ich mich rühmen, von mir selbst aber will ich mich nichts rühmen, ohne meiner Schwachheit. Und so ich mich rühmen wollte, thäte ich darum nicht thörlich; denn ich wollte die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber deß, auf daß nicht Jemand mich höher achte, denn er an mir stehet, oder von mir höret. Und auf daß ich mich nicht der hohen Offenbarung überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nehmlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlage, auf daß ich mich nicht überhebe. Dafür ich dreimal dem HErrn gestehet habe, daß er von mir wiche. Und Er hat zu mir gesagt: Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf daß die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich gutes Muths in Schwachheiten, in Schwachen, in Nöthen, in Verfolgungen, in Aengsten, um Christi willen. Denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.

In unsrem Texte erzählt der Apostel Paulus wunderbare und außerordentliche Begebenheiten aus seinem eigenen inneren Leben; er zieht in etwas den Schleier hinweg von der Werkstätte des heiligen Geistes, der an seiner Seele arbeitete, und läßt uns etwas tiefer als sonst hineinschauen in den Schauplatz seiner eigenen Erziehung zum Himmelreich. Wer sollte da nicht aufmerksam lauschen, wenn „von den Wundern der inneren Welt in dem Gemüth eines so großen und herrlichen Mannes uns etwas aufgeschlossen wird? Unsere Zeit liebt es, Memoiren zu schreiben; Feldherren, Staatsmänner, Fürsten und Könige hinterlassen der Welt Denkwürdigkeiten aus ihrem eigenen Leben, worin sie die oft geheimen Triebfedern ihrer Handlungsweise und die feinen Verschlingungen ihrer Schicksale aufdecken. Hier sind auch Denkwürdigkeiten, merkwürdige Erfahrungen aus einem reichen und großartigen Leben, aus einem Leben, das an Kraft und Wirkung, das an Weihe und Salbung, das an Würde und Herrlichkeit, das an Mühe und Arbeiten aller jener Feldherrn, Staatsmänner und Fürsten Leben weit hinter sich zurückläßt. Denn welcher jener Feldherrn, Staatsmänner und Fürsten wird wohl hoffen dürfen, daß nach 1800 Jahren seine Arbeit und sein Werk noch so dauern und blühen werde, wie wir das beim Apostel Paulus nun sehen?

Das Auffallende an den Mittheilungen des Apostels aber ist, daß die Begebenheiten, die er erzählt, in einem so gewaltigen Gegensatz und Kontrast zu einander stehen, daß man gar nicht glauben sollte, daß sie in Einem Menschenleben haben vorkommen können. Die erste Tatsache öffnet einen ganzen Himmel voll Wonne und Seligkeit vor unsern Blicken, in den ein Paulus erhoben wurde. Denn das, was er von dem Menschen in Christo erzählt, daß er in den dritten Himmel entzückt gewesen sei und unaussprechliche Worte vernommen habe, die kein Mensch sagen kann, das erzählt er aus seinem eigenen Leben, und vielleicht ist es die nämliche Entzückung, deren er in der Apostelgeschichte Kap. 22, 17. kurz und vorübergehend Erwähnung thut. Die andre Thatsache aber läßt uns in einen Abgrund innerer und verborgener Leiden schauen, für die wir abermals in unsrem Leben keinen Maßstab finden. Ein Pfahl, ein Stachel im Fleisch ward ihm gegeben, ein schweres, ein quälendes körperliches Leiden war ihm auferlegt, das mit inneren und tiefen Seelenleiden und Seelenanfechtungen verbunden war, welche er nur mit Faustschlägen eines Satans-Engels vergleichen konnte. In einem und demselben Gemüthe also so widersprechende Erfahrungen? Entzückungen bis in den dritten Himmel und Verstoßungen bis in die unterste Hölle, Erquickungen aus dem Kelch der süßesten und herrlichsten Gnade, und doch wiederum Bitterkeiten aus dem Becher des göttlichen Zorns und der heißesten Anfechtung? Und doch gehörten beiderlei Erfahrungen dazu, um den Apostel zu dem Manne Gottes zu machen, der er war, stark im Geist, fest im Glauben, unüberwindlich im Kampfe, siegreich im Unterliegen und triumphierend im Sterben; ja auch diese Erlebnisse gehörten dazu, ihn vollzubereiten, zu kräftigen, zu gründen und zu erziehen zum ewigen Leben. Dem großen Erziehungs-Zwecke unseres Geistes für's ewige Leben müssen ja alle unsere Erlebnisse und Erfahrungen dienen, und darum möchte es sich wohl der Mühe verlohnen, der Frage weiter nachzudenken:

Warum führte der HErr seinen Knecht Paulus abwechslungsweise bald in den Himmel, bald in die Hölle?

I.

1) Daß Paulus einmal in seinem Leibesleben wirklich vom HErrn in den Himmel eingeführt und einer nie geahnten Anschauung der Herrlichkeit der andern Welt gewürdiget wurde, das steht in unsrer Epistel mit deutlichen Worten. Zwar lagen schon vierzehn Jahre zwischen der Zeit, da ihm solches widerfuhr und da er darüber etwas niederschrieb; zwar wollte er selber nicht entscheiden, ob sein Geist damals außer dem Leibe war oder in dem Leibe; aber soviel ist ihm gewiß, es war kein Traum, es war kein leeres Phantasiespiel, es war Wahrheit was er sah und hörte; sein Geist war in jenen Augenblicken hinweggerückt aus dem Dunstkreis der Sichtbarkeit, seine Seele schwebte auf den Flügeln der Entzückung in himmlischen Sphären; er befand sich im Paradiese Gottes, wo die Lebensbäume blühen und sprossen; er befand sich in dem Himmel, wo die Gemeine der vollendeten Gerechten sich befindet, wo die sind, die ihre Kleider gewaschen und helle gemacht haben in dem Blute des Lammes, wo man das ewige Hallelujah hört; ja er sagt: ich war in dem dritten Himmel, also im Allerheiligsten des ewigen Gottestempels, wo der ewige Gnadenstuhl sich findet und der Mittler des neuen Bundes sich offenbart und die Schechinah, die Herrlichkeit des dreimal Heiligen, sich zeigt: da war er im Geiste, und was er geschaut und gehört, was er genossen und geschmeckt, was er erlebt und erfahren, das kann er nicht mit Worten schildern; dazu sind alle irdischen Vorstellungen zu klein, alle irdischen Bilder zu schwach, alle irdischen Vergleichungen zu dunkel, so daß er darüber nur schweigen und anbeten kann. Aber gerade dieses Schweigen ist beredter als die feurigsten Worte, dieses sein Unvermögen ist vielsagender als alle noch so blendenden und farbenreichen Ausschmückungen. Hingegen steht nun eben diese Erfahrung, die er damals gemacht, diese Anschauung, die ihm damals zu Theil geworden, in seinem Leben da wie ein Wunderstern in der Mitternacht dieser Zeit; und seine Seele labt sich noch fort und fort in der Erinnerung an die Herrlichkeit, die er damals kosten und schmecken durfte.

2) Werfen wir nun die Frage auf: warum führte der HErr seinen Knecht Paulus schon bei Leibes-Leben auf so wunderbarer und außerordentlicher Bahn in den dritten Himmel ein? warum ließ Er ihm hier eine Erfahrung zu Theil werden, die weit über den Erfahrungskreis der meisten Christen hinausliegt, so daß auch unter seinen treuesten und erleuchtetsten Knechten kaum Einer sein dürfte, der etwas Aehnliches erfahren hat? Es lassen sich auf diese Frage verschiedene Antworten geben.

Die erste ist diese: Gott richtet sich bei Ertheilung seiner Gaben und Gnaden genau nach der Eigentümlichkeit und Fassungskraft seiner Kinder, und wie Er keinen seiner Knechte überfordert, so wird auch keiner von Ihm überladen mit Erfahrungen und Erlebnissen, die er nicht tragen könnte. Paulus aber war ein großer Geist; auf der glanzvollen Höhe natürlicher und geistlicher Gaben stehend, wie wenige Menschenkinder; er war eine Riesensäule im Bau des Reichs Gottes auf Erden. Darum konnte der HErr auch Großes und Herrliches auf diese Säule legen, hatten auch seine inneren und äußeren Erfahrungen einen großartigen Zuschnitt. Hätte der Heiland das, was Er in dieses Gefäß der Ehre ausgoß, in ein anderes schwächeres, kleineres gießen wollen, so wäre es entweder zersprungen, oder wäre das was Er ihm mittheilen konnte, verschüttet und verderbt worden. Gott richtet sich in allem, was Er uns mittheilt, nach der geistlichen Altersstufe auf der wir stehen, nach der geistigen Fassungskraft, die uns zu Theil geworden, nach dem Grad der Erleuchtung, zu dem wir emporgebildet sind. Solche riesenhafte Geistes - Erfahrungen sind deßwegen nichts für uns schwächere, meistens noch im Kindesalter stehende Christen; sowenig als für den jugendlichen David die Eisenrüstung Sauls war, in welcher er sich nicht bewegen konnte. Aber ebendarum ziemt es sich für uns, die viel geringeren Geistesoffenbarungen, von denen kein Christenleben leer ist, zu Rath zu halten und nach dem Maß der Gabe Christi auch das kleinere Pfund zu ehren. Wir haben im Wort der Wahrheit Gesichte und Offenbarungen genug, die uns über den Staub der Vergänglichkeit hinweg zur Herrlichkeit der oberen Gottesstadt rufen; - o wir wollen nach diesen Himmelsbildern, die unsern Blicken sich darstellen, immer fleißiger unsere Augen aufschlagen, dann wird es uns immer leichter werden zu vergessen was dahinten ist, und hinwegzublicken über alles was vergänglich ist.

Die zweite Antwort ist: Gott handelt bei solchen außerordentlichen und wunderbaren Gnadenerweisungen nach Art eines weisen Vaters, der seinen Kindern etwas vorenthält, wenn er sieht, daß sie dadurch gar leicht sich schaden und verletzen könnten. Wie nahe liegt dem Menschen, je Größeres und Herrlicheres ihm zu Theil wird, die Gefahr, seiner eigenen Armuth zu vergessen, sich selbst zu überheben, vielleicht gar einer Gabe Gottes sich zu rühmen! Diesem Feinde war nun Paulus gewachsen mehr als ein jeder andere. Hat er doch vierzehn Jahre lang von dieser großen, wunderbaren Thatsache seines inneren Lebens geschwiegen; hat er doch diese Begebenheit vierzehn Jahre als ein versiegeltes Buch, als ein nur ihm und Gott bekanntes Geheimniß, in der verschwiegenen Brust umhergetragen und durch Nichts sich bewegen lassen, das Siegel zu lösen! Hat er doch in Corinth selbst, an welche Gemeinde dieser Brief geschrieben ist, sich niemals breit und groß gemacht mit solchen Erfahrungen, sondern es offen bekannt: er habe unter ihnen nichts gewußt ohne Jesum Christum den Gekreuzigten! Wenn ein Mensch also sich selber vergessen, die geschwätzige Zunge also bemeistern, das Aufflackern auch der kleinsten Flämmchen von Eigenliebe und Hoffahrt unterdrücken kann, da kann der HErr immer Größeres und Herrlicheres mittheilen, da läuft Er nicht Gefahr, daß die Gaben, die Er den Seinigen zum Segen darreichen will, ihnen zum Fluch werden; sie bewahren die Gaben seiner Hand in einem keuschen und stillen Herzen und bleiben in der Demuth, in der Geistesstille und in der Verborgenheit.

Sehet da einen Hauptgrund, warum der HErr in unsrer kümmerlichen Kirchenzeit uns oft so lang darben lassen muß an Geistesoffenbarung und Geisteserquickung. Wir tragen alles, was Er uns sagt und erfahren läßt, alsobald auf den großen Markt und suchen es an den Mann zu bringen. Hat man diese oder jene besondere Erfahrung gemacht, kann man einer besonderen Erquickung sich freuen, oder ist uns unverhofft eine Gebetserhörung zu Theil geworden, das kann man nicht in der Stille behalten, das muß mit der großen Posaune bekannt gemacht sein und unter all das oft äußerlich demüthige Bezeugen, man sei einer solchen Erfahrung Unwürdig, mischt sich dennoch gar viel Eitelkeit und Selbstgesuch. Welcher unter uns hätte so etwas, wie es der Apostel erfahren durfte, vierzehn Jahre lang in seiner Brust verschließen können, und dann es nur nothgedrungen, wie Paulus zum Schutz seiner apostolischen Würde, vorgebracht? Wenn ihr stille bliebet, so könnte euch geholfen werden, heißt es schon im Alten Testament (Jes. 30, 15.) und im Neuen Testament ermahnt Petrus: machet keusch eure Herzen im Gehorsam der Wahrheit (1. Petr. 1, 22.). Buhlt nicht mit der Eitelkeit der Welt und mit der Eigenliebe eures eigenen Herzens, dann werdet ihr die Herrlichkeit Gottes sehen.

Die dritte Antwort ist: der HErr mußte dem Apostel einen reichen und überschwenglichen Vorschmack von der Herrlichkeit jenes andern Lebens geben, damit er im Stande war, in den vielen Anfechtungen und Versuchungen, in den vielen Nöthen und Aengsten seines Lebens zu überwinden und im Glauben das Feld zu behaupten. Wenn in einem Kriege ein besonders schwerer und blutiger Schlag auszuführen, ein besondrer Kampf und Sturm zu unternehmen ist, da werden oft doppelte und dreifache Rationen ausgetheilt, um den Soldaten seinem natürlichen Menschen nach zu besonders ruhmvollen Heldenthaten zu spannen und anzufeuern; so machts der HErr nun bei seinen Streitern, die Er an den gefahrvollsten Ort stellt und denen Er den schwersten Kampf verordnet. Er theilt ihnen aus dem obern Heiligthum doppelt und dreifach ermunternde Geisteserquickungen und Geistesstärkungen mit, auf daß sie alles wohl ausrichten und das Feld behaupten. Unter diesen Gesichtspunkt gehört denn auch diese Entzückung Pauli in den dritten Himmel. Es wäre ihm nicht möglich gewesen, in allen seinen Schmachen und Aengsten und Nöthen, in all seinen Arbeiten und Mühen und Kämpfen kräftig auszuharren, wenn nicht der HErr Großes und Ueberschwängliches an ihm gethan, wenn Er ihn nicht auf wunderbare Weise mit Himmelskost gespeist, mit Himmelstrank gelabt hätte, der ihn über allen Jammer der Vergänglichkeit hinweggehoben und dahin gebracht hätte, auszurufen: ich halte es dafür, daß dieser Zeit Leiden nicht werth sind der Herrlichkeit, die an uns soll offenbar werden. Darum widerfuhr ihm auch diese Entzückung vierzehn Jahre schon zuvor, also schon im Anfang seiner Apostel-Laufbahn, damit er im Rückblick auf sie alles Nachfolgende weit überwinden und zu einem herrlichen Siege hindurchdringen möchte.

Paulus hat besondre Erquickungen genossen, weil er besondere Lasten zu tragen hatte, und so richtet sich der HErr in allen seinen Werken nur nach dem Bedürfniß seiner Kinder, und darin liegt für uns die trostvolle Versicherung, daß Er, je mehr Er uns Lasten auferlegt, um so mehr Gnade zulegen und je mehr Er uns in's Feuer der Trübsal führt, um so mehr die kräftige Wirkung seines Geistes mitgeben wird. Denn treu ist der, der uns berufen hat, welcher wird es auch thun.

II.

1) Jedoch wie der Apostel vom HErrn gleichsam in den Himmel geführt wurde, so mußte er auch wieder tief hinab und gleichsam eine Höllenfahrt zurücklegen, von der er nur mit den schmerzlichsten Wunden für seinen inneren Menschen zurückkehrte. Es ist wiederum ein Beweis, wie weit der Apostel entfernt war von allem Ruhm- und Selbstgesuch der Eigenliebe, daß er hart neben der wunderbaren Erfahrung jener Entzückung, einer anderen Erfahrung Erwähnung thut, die zu den demüthigendsten und wehethuendsten Erlebnissen seines ganzen apostolischen Laufes gehörte. Zwar braucht er Ausdrücke dafür, die uns den eigentlichen Sinn nur errathen lassen; denn nur Andeutungen, nur Winke will er geben, nicht aber ausführliche Erörterungen über das was seine Seele bewegte; aber so viel ist jedenfalls klar, daß Leib und Seele unter jenen Anfechtungen und Schlägen gleich hart litten, daß es nicht bloß ein Kampf war mit irdischen Gewalten, ein Kampf nicht allein mit Fleisch und Blut, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, mit dem HErrn der Welt: und auch diese schweren und betrübenden Erfahrungen konnten ihm nicht erspart werden, sie gehörten wesentlich und eigentlich hinein in die Vollendung seiner Seele zum himmlischen Reich.

2) Und wenn wir nun fragen, warum ihn der HErr in eine solche Hölle hineinführte, so bietet sich auch hier ein dreifacher Grund dar. Die erste Antwort gibt der Apostel selbst: damit ich mich aber der hohen Offenbarung nicht überhebe. - Wenn irgend ein Mensch tief gewurzelt war im Leben der Demuth, der Geistesbeugung, der kindlichen Unterwürfigkeit unter den HErrn, so war es der Apostel und wenn irgend jemand jeden Pulsschlag verdammte, der sich erheben mochte in Eigenruhm und Selbstgefälligkeit, so war es dieser ergraute Knecht Jesu Christi. Und dennoch bekennt er: damit ich mich nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl im Fleisch. Er erkannte also in der schweren und anhaltenden Anfechtung eine väterliche Treue und gnadenreiche Vorsorge, daß er nicht in den Ruhm des Fleisches falle und so die Ehre Christi zu Schanden mache. Und von diesem Gesichtspunkt haben auch wir manche äußere und innere Anfechtung anzusehen. Nicht jedes Leiden ist Strafe für vergangene Sünden; nicht jede Last ist eine Zucht für einen Fehler, der ausgemerzt und aus unsrem Innern ausgetilgt werden soll, nein! manches Leiden ist auch Bewahrung vor den Gefahren der Zukunft, vor den Versuchungen der innern und äußern Welt, vor den Bestrickungen des Weltgeists nach seinen feineren und gröberen Einflüsterungen. Es werden uns erst in der Ewigkeit die Augen darüber klar aufgehen, wie Gott gerade da, wo wir keinen festen und sichern Zweck seiner demüthigenden Führungen erkannten, sich an uns am meisten verherrlicht hat und wie er, noch ehe die Gefahr und Versuchung uns treffen und verstricken konnte, bereits zum voraus durch irgend ein Leiden gegen dieselben uns sicher gestellt hat. Und daraus erst wird in der Ewigkeit ein besonderer Dank und ein besonderer Preis der Wunderwege Gottes und seiner Weisheit entspringen.

Ein zweiter Grund wird in der Antwort-gegeben, die der HErr dem Apostel ans seine Bitte um Enthebung von jenem Uebel gab: laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig - oder wie es eigentlich heißen sollte: meine Kraft wird in der Schwachheit vollendet. Zur inneren Vollendung in den Wegen und Führungen Gottes, zu der gänzlichen und vollkommenen Auszeitigung zum Reich der Herrlichkeit gehört eben auch diese Prüfung und Anfechtung. Der Apostel gehörte doch gewiß zu den liebsten Kindern Gottes auf Erden; seine Seele war hoch und theuer geachtet in den Augen des HErrn; auch war er gewiß einer der kräftigsten und eindringlichsten Beter; und siehe! er betet dreimal mit aller Macht und Anstrengung seines Geistes; er faßt den HErrn dreimal bei seinen Verheißungen; er will ihm dreimal eine Erhörung abzwingen: aber ein dreimaliges Nein! erschallt, und zwar, auf daß Gottes Kraft in seiner Schwachheit vollendet würde. So wird manchem lieben Kinde Gottes eine Bitte abgeschlagen, die sie wieder und immer wieder an den HErrn der Herrlichkeit bringen, so werden die treuesten Knechte Gottes in einem innern Läuterungstigel gelassen, so sehr sie sich heraussehnen; denn es gehört eben zu ihrer Vollbereitung, Kräftigung und Zeitigung auf den Tag der Erlösung. Sie müssen dadurch Christo ähnlich gemacht werden, wie hier im Leben Pauli ein Nachbild stattfindet von jenem dreimaligen Hingehen Christi in den Garten Gethsemane mit der Bitte auf den Lippen: ist's möglich (Matth. 26, 39.). Und wie Er durch die Versagung seiner Bitte vollendet worden ist, und Er gerade mit den Thränen und dem starken Geschrei, das Er opferte (Hebr. 5, 7.), zum vollkommenen Hohepriester ausgezeitigt wurde, so geht es noch bis aus den heutigen Tag: die treuesten Diener des HErrn werden erst durch die Schwachheit, die sie allenthalben erfahren, durch die Armuth, die sie um und um an sich erblicken, durch die Erkenntniß ihres eigenen Nichts reif für die himmlische Erndte.

Ein dritter Grund lag in dem Amte und Berufe, der dem Apostel vertraut war. Er war zum Pfleger und väterlichen Berather so mancher angefochtenen, so mancher schwergedrückten, so mancher seufzenden, nach Gnade und Friede ringenden Seelen berufen, er sollte Licht in ihre Finsterniß, Trost in ihre Kümmerniß, Ruhe in ihre Geistes- und Gewissens - Stürme bringen; und wenn nun er selber nichts erfahren hätte von den Stacheln eines beunruhigten Gemüthes, von den geheimnißvollen Anfechtungen der Finsterniß, wie hätte er seinem Amte genügen und mit den Müden zu reden gewußt zu rechter Zeit? So aber bekam er eine gelehrte Zunge, die Angefochtenen zu trösten, so hatte er den rechten Balsam, die Verwundeten zu heilen, so konnte er Altes und Neues aus dem Schatz seiner Erfahrung hervorholen und damit den Kindern am Verständniß zu Hülfe kommen; und da sehen wir, wie ein jeder zu seinem Berufe als Seelsorger, Hausvater, Hauspriester nicht anders gebildet werden kann, als durch die Anfechtung von innen und von außen, durch die Schule der Uebung, die wir von der kleinsten Aufgabe bis zur höchsten durchlaufen müssen, damit wir tüchtige Werkzeuge in der Hand des Einen HErrn werden, der da ist Ein und Alles, der Erste und der Letzte.

So, meine Lieben, führte der HErr den Apostel Paulus das einemal in den Himmel, das anderemal in die Hölle, so ließ Er ihn das einemal Blicke thun in die Herrlichkeit des ewigen Lebens und das anderemal Blicke in den Abgrund des eigenen Herzens. Eines ist, was uns da durchdringt: das, was der HErr dem Apostel gesagt hat: Laß dir an meiner Gnade genügen! An der Gnade kann man sich genügen lassen, an der Gnade Christi hat man genug. Ja die Gnade unsers HErrn Jesu Christi und die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit allen Kämpfern und Streitern, die hindurchdringen zum himmlischen Jerusalem.

Amen.