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Hofacker, Wilhelm - Am Fest der Himmelfahrt Christi. (Zweite Predigt.)

Text: Apostelgesch. 1, 1-11.

Die erste Rede habe ich zwar getan, lieber Theophile, von alle dem, das Jesus anfing beides zu tun und zu lehren, bis an den Tag, da Er aufgenommen ward, nachdem Er den Aposteln (welche Er hatte erwählt) durch den heiligen Geist Befehl getan hatte; welchen Er sich nach Seinem Leiden lebendig erzeigt hatte durch mancherlei Erweisungen, und ließ Sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang, und redete mit ihnen vom Reiche Gottes. Und als Er sie versammelt hatte, befahl Er ihnen, dass sie nicht von Jerusalem wichen, sondern warteten auf die Verheißung des Vaters, welche ihr habt gehört (sprach Er) von mir. Denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen. Die aber, so zusammen kommen waren, fragten ihn und sprachen: HErr, wirst Du auf diese Zeit wieder aufrichten das Reich Israel? Er sprach aber zu ihnen: es gebührt euch nicht zu wissen Zeit oder Stunde, welche der Vater Seiner Macht vorbehalten hat; sondern ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, welcher auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein zu Jerusalem, und in ganz Judäa und Samaria, und bis ans Ende der Erde. Und da Er solches gesagt, ward Er auf gehoben zusehends, und eine Wolke nahm Ihn auf vor ihren Augen weg. Und als sie Ihm nachsahen gen Himmel fahrend, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Kleidern, welche auch sagten: ihr Männer von Galiläa, was steht ihr und seht gen Himmel? Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr Ihn gesehen habt gen Himmel fahren.

Wie heilig ist diese Stätte! hier ist wahrlich Gottes Haus; hier ist die Pforte des Himmels (1. Mos. 28,17.)! so rief einst Jakob, der Erz-Vater, aus, als er in jenem bedeutsamen Traumgesicht die Himmelsleiter erblickt, und die Nähe seines Gottes im Geiste gefühlt und erfahren hatte. Ja, so tief und heilig waren die Eindrücke, die sich da seiner Seele bemächtigten, dass es ihn drang, die Stätte, da ihm solches widerfahren war, durch ein Malzeichen, das er aufrichtete, kenntlich zu machen, damit er später auf seiner Rückreise aus Mesopotamien der Offenbarung, die ihm hier geworden war, sich erinnern, und in das, was er hier erfahren und innerlich geschaut hatte, sich zurückversetzen könnte. Auf eine ähnliche, freilich nur viel feierlichere Weise sehen wir heute die Jünger im Innersten bewegt und ergriffen, als sie auf dem Ölberge Zeugen eines Vorgangs wurden, welcher den großartigsten Eindruck auf ihre Seele machen musste. Weder im Traume, noch in der Fieberhitze einer aufgeregten Phantasie, nein, mit wachenden Augen; in der Tat und Wahrheit sehen sie den HErrn, den ihre Seele liebte, zum Thron der Herrlichkeit sich aufschwingen und im ewigen Blau des Himmels verschweben. O wie heilig war ihnen diese Stätte, wo der eingeborene Sohn Gottes den Staub der Sterblichkeit von Seinen Füßen schüttelte und in das Gewand der Unverweslichkeit sich hüllte; o, wie verklärte sich ihnen die einsame Bergkuppe des Ölbergs, auf welcher sie standen, zu einem heiligen Gottestempel, in welchem die Opfer des Dankes und der Anbetung von ihrem Herzens-Altar himmelwärts stiegen, und wie sehen sie hier die Pforten des Himmels majestätisch geöffnet, und die Flügeltore der Unsichtbarkeit und des oberen Heiligtums aufgetan! Sie hatten zwar auch schon Großes und Herrliches mitangesehen im Leben des HErrn; Taten der Macht und wunderbarer Kraft, die sie mit Staunen und Beben erfüllten; Zeichen der unzweideutigsten Art, die Seine Sohnes-Würde aufs Klarste beleuchteten; ja Drei von ihnen hatten nicht lange vor Seinem Leiden mit Ihm auf dem heiligen Berg übernachtet, wo der Glanz einer unsichtbaren Welt in das Nachtgebiet der irdischen mit nie gesehener Herrlichkeit hereinbrach. Aber dort, auf dem Ölberg sahen sie nun etwas, was alles Frühere weit überstrahlte, und allen Erweisungen göttlicher Würde, die sie im Leben des HErrn erblickt hatten, die Krone der Vollendung aufsetzte und ihren eigenen Glauben auf die letzte Sprosse der seligsten und frohesten Gewissheit hinanhob.

Ihr ganzes nachmaliges Leben gab auch Beweis genug an die Hand, dass sie nicht umsonst auf dem Verherrlichungsberge gestanden, und dass die tiefen und lebendigen Eindrücke, die dort ihrer Seele sich bemeisterten, sie frucht- und lebenbringend durch ihren ganzen irdischen Pilgerlauf begleitet und ihre Kraft an ihnen beurkundet haben. Der Standpunkt, den sie dort eingenommen, war und blieb ein gesegneter und heiliger.

Betrachtet mit mir in dieser Stunde der Andacht den gesegneten Standpunkt des Glaubens, den er an der durch die Auffahrt Christi geöffneten Himmelspforte einnehmen darf.

I.

1) Der Standpunkt, den der Glaube an der durch Christi Auffahrt geöffneten Himmelspforte nehmen darf, ist schon darum ein gesegneter, weil hier alle Dunkelheiten Seines Lebens in das hellste Licht zerrinnen, und in dieser Verherrlichung Christi auch der Glaube seine eigene Verklärung feiert. Im Leben des Heilandes gab es manches Rätselhafte; der ganze Erniedrigungslauf des Heilandes von der Krippe zu Bethlehem an bis zum Missetätertode auf Golgatha enthielt für jeden Nachdenkenden so viel Unbegreifliches, dass es kein Wunder war, wenn die stolze Vernunft mancher Klüglinge und Weltlinge sich daran stieß, als an dem Felsen des Ärgernisses. Fragen, wie sie in der Synagoge zu Nazareth laut wurden: dieser Zimmermanns Sohn, dessen Vater und Mutter wir kennen (Matth. 13, 55.), will sich selber zu Gottes Sohn erheben? Dieser Mann, der bisher nur die Zimmerart geführt hat, maßt sich nun das Zepter der Welt an? Diese Stirne, welche nicht einmal mit dem bescheidenen Diadem eines galiläischen Vierfürstentums geschmückt war, will die Krone der Weltherrschaft im Sichtbaren und Unsichtbaren an sich reißen? Solche Fragen mussten in manchen Seelen aufsteigen, und dem Glauben an Ihn den Weg zu den Herzen versperren. Und wenn so auch nur die Ungläubigen sprachen, so gab es doch auch für die Gläubigen Rätsel im Leben Jesu genug, die sie sich nicht zu lösen vermochten. Eine Krippe und ein Strohlager, wie passte das auch nach ihren Begriffen zum König der Herrlichkeit? Eine dreißigjährige Verborgenheit im verachteten Nazareth, wie reimte sich das mit der großen Bestimmung zum Messias des Volks und zum Heiland der Welt? endlich der schmachvolle Kreuzestod, wie schickte sich der zur Begründung eines Reichs, das auch die Pforten der Hölle nicht überwältigen sollten? O, wie viele Fragen blieben da unbeantwortet, wie viele Rätsel ungelöst? Der HErr hatte ihnen aber einen Tag verheißen, wo sie ihn nichts mehr fragen werden; die Sonne dieses Tages war mit dem Auferstehungsmorgen angebrochen, und mit dem Himmelfahrtstage bis zur Mittagshöhe emporgestiegen. Vom Ölberge aus lichtete sich ihnen die ganze Vergangenheit, und das ganze Leben Christi schwamm in einem überirdischen Verklärungsglanze; ja von hier aus wurde es recht klar, dass gerade diese vorangegangene Erniedrigung der von Gott verordnete Weg war, auf welchem Er zur Herrlichkeit emporsteigen musste; hier sahen sie nun, dass der erniedrigte Mensch Jesus, der von der Maria in aller Unscheinbarkeit geboren, und zu Nazareth in aller Stille erzogen worden war, und nicht hatte, wo Er Sein Haupt hinlegte, durch Seinen Gehorsam reif geworden sei, als der verherrlichte, mit Preis und Ehre geschmückte Gottes-Sohn zum Throne ewiger Majestät emporzusteigen. Hier sehen sie nun, wie gerade Der, der Knechtsgestalt annahm, und im Schweiß Seines Angesichts Sein Brot aß, sich dadurch die hohe Staffel erbaute, um König aller Könige, um HErr aller Herren zu werden; hier sehen sie nun, wie gerade Seine Schmach und Sein Kreuz die Himmelsleiter wurde, auf welcher Seine niedrige Menschheit in die Unverweslichkeit göttlichen Lebens aufgenommen und Er zu einem Fürsten des Lebens erhöht wurde, dem gegeben ist alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Und hiermit hatte ihr eigener Glaube die rechte Vollendungsstufe erstiegen, und ihr eigener Glaubenslauf lag nun hell und klar vor ihren Augen; und wenn ihnen etwas schwer und drückend werden wollte in ihrem eigenen Lebensgang, und wenn Verworrenheiten und Dunkelheiten sie umgaben, so blickten sie getrost und mutig nach dem Auffahrtsberge, und sprachen: so wir hier mit Christo dulden, so werden wir auch mit herrschen, so wir mit leiden, so werden wir auch mit zur Herrlichkeit erhaben werden (2 Timoth. 2, 11. 12.) Denn dieser Zeit Leiden sind nicht wert der Herrlichkeit, die an uns soll offenbaret werden (Röm. 8, 17. 18.); denn welche Gott zuvor versehen hat, die hat Er auch verordnet, dass sie gleich sein sollten dem Ebenbild Seines Sohnes, auf dass Er sei der Erstgeborne unter vielen Brüdern (Röm. 8, 29.).

2) Auch in unsern Tagen sind für den Glauben noch nicht alle Rätsel gelöst und noch nicht alle Fragen beantwortet; aber vom Himmelfahrtsberge geht ein Licht auf über der Dunkelheit und ein Morgenstrahl über das Nachtgebiet unserer Zweifel. Blicken wir nämlich hin auf das Reich Gottes, auf die Gemeinde Christi hienieden, was gewahren wir? Wie der HErr selber in Knechtsgestalt einherging, so ist auch sie eine dienende Magd, ohne Gestalt noch Schöne; sie verbringt in der Verborgenheit ihre Tage, und wo sie hervortritt, da geht alsobald der Kampf an, und wenn sie auch nicht an das Kreuz der Verfolgung geschlagen wird, so trifft sie doch der Lanzenstich des Hasses und des Spottes, und der Pfeil des Witzes. Deswegen scheint sie auch vielfach zu unterliegen und in das Grab der Vergessenheit gebettet zu sein. Aber hat sie nicht immer wieder ihr Auferstehungsfest gefeiert und die Riegel des Grabes gebrochen? und wenn sie auch noch nicht verklärt und verherrlicht aufgefahren ist, so wird doch, so gewiss Christus aufgefahren ist, sie einstmals herniederfahren, als eine geschmückte Braut ihrem Manne, ohne Flecken, ohne Tadel und ohne Runzel, und ihr himmlisches Verklärungsfest feiern.

Das verbürgt uns die durch die Auffahrt Christi geöffnete Himmelspforte. Ja, sie verbürgt uns noch mehr! Ist nicht auch das göttliche Leben, wenn es sich der einzelnen Seele mitteilt, schwach und klein? liegt nicht das neugeborene Kindlein des inneren Menschen da in einer armseligen Herzenskrippe, auf dem Strohlager der Geistesarmut, in den Windeln der Traurigkeit und Bangigkeit? und wie oft ist es nachher verborgen der Welt, ja vor dem eigenen Auge, und steht in der Mittagshitze der Anfechtung, wird vielleicht von inneren und äußeren Feinden verfolgt, bis es zu unterliegen und zu ersterben scheint? Aber siehe! so es nur Leben ist, aus Gott geboren, so muss es einmal wieder sein Auferstehungsfest feiern, und wenn die Tage der Vollendung kommen, aus der gesprengten Hülle sich lösen, und wieder sich auf schwingen mit heiligem Trieb, dahin, wo seine rechte Heimat und sein einiges Bürgertum ist. Ja, gerade wie bei Christus eben der Berg, welcher Zeuge Seiner tiefsten Erniedrigung in Gethsemane gewesen war, zugleich auch Zeuge Seiner höchsten Verherrlichung wurde, so werden dann die Stätten, wo es bei uns am tiefsten hinabgegangen war zu der Erfahrung unseres Nichts und unseres Elendes, die Geburtsstätten unserer künftigen Verherrlichung.

Ja Geliebte, gerade diejenigen Zeiten und Stätten, wo die Hand des HErrn am schwersten auf euch lastete, wo ihr auf eurem Angesicht lagt vor dem HErrn, die blutigsten Opfer eures Herzens ihm darbrachtet, vielleicht das Schmerzenslager, auf dem ihr euch kummer- und wehmutsvoll wälztet und schwere Kämpfe kämpftet, gerade diese sind die Verklärungsstätten, an welchen der innere Mensch auffährt ins Reich des Lichts und der Klarheit. Und darum seien euch diese Stätten nicht mehr schauerlich, sondern heilig; durch den Standpunkt, welchen der Glaube auf dem Auffahrtsberge Christi einnimmt, verklären sie sich euch zu einer geöffneten und herrlichen Himmelspforte.

II.

1) Doch derselbe Standpunkt, von welchem wir reden, ist auch deswegen ein gesegneter, weil wir da die großartigste Versöhnung erblicken zwischen Himmel und Erde, zwischen der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, zwischen Gott und der Menschheit. Als der HErr einen Nathanael zum Apostelamte berief, und dieser, betroffen darüber, dass der HErr ihn schon unter dem Feigenbaum gesehen hatte, in die Worte ausbrach: Rabbi, Du bist Gottes Sohn, Du bist der König in Israel: da setzte der Heiland das merkwürdige Wort hinzu: jetzt glaubst Du, weil ich Dir gesagt habe, dass ich Dich gesehen habe unter dem Feigenbaum: Du wirst noch Größeres, denn dieses sehen! Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: von nun werdet ihr den Himmel offen sehen, und die Engel Gottes hinauf- und herabfahren auf des Menschen Sohn (Joh. 1, 48-51.). Dieses Wort Christi ist erst durch die Himmelfahrt in seine ganze, segensreiche Erfüllung gegangen. Zwar auch schon während des Lebens Christi hienieden sind die Himmelsbürger auf ihn herabgekommen, durch ihn haben sich die Fenster des Himmels geöffnet, um den reichsten Segen auf die Menschheit, an der der Vater wieder ein Wohlgefallen hat, auszuströmen. Aber erst nachdem der Fluch der Sünde getilgt war durch, das Opfer, das auf Golgatha dargebracht ist, erst, nachdem der Zugang ins obere Heiligtum geöffnet war durch das Blut, das besser redet, denn Abels Blut; erst, nachdem der Heiland als der verklärte Menschensohn Platz genommen hat auf dem Stuhl ewiger Majestät und Herrlichkeit, erst jetzt feierte Erde und Himmel ihr Versöhnungsfest, und deswegen standen auch hier an der geöffneten Himmelspforte zwei Thronwächter, gleichsam als Vertreter jener Menge vieler tausend Engel und jener Gemeinde der Erstgeborenen, die nun mit uns zu Einer Gemeinde unter Einem gemeinschaftlichen Haupte zusammengefasst sind. Ja, seitdem Christus als der zweite Adam, als der neue Stammvater des Menschengeschlechts, als das Haupt Seiner Erlösten zur Rechten Gottes ist, seitdem Jesus in der Gestalt der verklärten Menschheit die Zügel der Welt-Regierung ergriffen hat, und nun alle Dinge trägt mit Seinem allmächtigen Kraft-Wort, seitdem Der über alle Fürstentümer und Gewalten und Throne und Herrschaften erhaben ist, der sich nicht schämt, uns Seine Brüder zu heißen, seitdem sind wir keine Fremdlinge mehr, sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen (Ephes. 2, 19.); nicht mehr ferne dürfen wir stehen, wenn der HErr der Heerscharen Seine Geschöpfe zusammenruft, sondern mit Fug und mit Recht dürfen wir uns unter die Erstlinge der Kreaturen stellen, und des Adels und der Würde uns freuen, die in Christo, dem verklärten Menschensohn, uns, Seinen Bluts-Verwandten zu Teil geworden ist. Er selbst, der Vater der Herrlichkeit hat uns lieb im Sohn Seiner Liebe, selbst die Engel und Erzengel beneiden uns um die herrlichen und überschwänglichen Vorzüge, die wir in Christo genießen, und unser Herz selber darf frohlocken, dass wir nun berechtigt sind, die Nächsten an Seinem Throne zu sein, und dass uns etwas anleuchtet von der Klarheit und Majestät Gottes in dem holdseligen Menschen-Angesicht Jesu Christi, Seines Sohnes, unseres himmlischen Königs und Hauptes. O, wie hoch ist doch eine Menschenseele geadelt, die durch den Glauben Christo einverleibt, Seines Leibes und Bluts teilhaftig, Ein Geist und Ein Herz mit ihm geworden, nun ein wirkliches Glied an ihm, ihrem gekrönten Haupte ist. Obwohl ein schwaches Glied der hinfälligen und sterblichen Menschheit, ist sie doch wesentlich und wahrhaft verwandt mit der ewigen und majestätischen Gottheit, obwohl im Leibe der Demütigung wallend harrt sie doch ihres Heilandes Jesu Christi, der ihren nichtigen Leib verklären, und ihn ähnlich machen wird Seinem verklärten Leibe; obwohl mit Sünde und Tod noch umfangen feiert sie doch in der Himmelfahrt Christi das Fest ihrer herrlichen Erneuung und unsterblichen Verjüngung.

2) Mit solchen Aussichten, meine Lieben, darf der Glaube sich an das Himmelstor stellen, das durch die Auffahrt Christi uns aufgeschlossen ist; und saget nun selber: muss das Herz nicht unwillkürlich von diesen Himmelskräften der unsichtbaren Welt angezogen werden? Es ist kein Wunder, wenn die Apostel im Blick auf diese überschwängliche Erkenntnis Jesu Christi und auf die wunderbare Herrlichkeit, die in ihm ihnen zu Teil werden soll, alles, was von dieser Welt ist, mag es auch den glänzendsten und edelsten Namen tragen, nicht anders als Kot und Unrat nannten (Philipp. 3, 8.). Kann es uns noch wundern, dass sie sagten: unser Wandel ist im Himmel, wir sind mit Christo bereits ins himmlische Wesen versetzt? (Philipp. 3, 20. Eph. 2, 6.) Nein, unter der geöffneten Himmelspforte des auferstandenen Heilands spürten sie den ewigen Magnet, der sie nun anzog, und erblickten sie das Land, dem sie ohne Aufenthalt entgegensteuerten. Und wenn wir nun uns mit allen unsern Lebensfasern im irdischen Weltboden festwurzeln; wenn wir in den schlammigen und sumpfigen Gewässern der Vergänglichkeit uns festankern; wenn wir nun mit unserem Tichten und Trachten irdisch, fleischlich, weltlich werden, und statt uns zu freuen, dass droben unsere Hütte bereits gebaut ist, hienieden die Lustschlösser der vergänglichen Freuden und des vergänglichen Besitzes bauen, woher rührt das? nirgends anders als daher, dass wir uns selten oder gar nie im Geiste an die Auffahrtspforte Christi stellen, und dem ewigen Magnet, der alle Geister ziehen, und auch aus der tiefsten Versenkung himmelwärts heben konnte, den Rücken kehren; nirgends anders als daher, dass der Gott dieser Welt unsere Augen verblendet hat, dass sie nicht sehen das helle Licht von der Klarheit Christi, der da ist das Ebenbild Gottes. O lasst uns den HErrn bitten um Augensalbe, damit die Starhaut weiche und unsere Seele genese, und auch an uns das Wort Christi wahr werde: wenn ich erhöht sein werde von der Erden, will ich sie alle zu mir ziehen! (Joh. 12, 32.)

III.

1) Der Standpunkt des Glaubens an der durch die Auffahrt Christi geöffneten Himmelspforte ist ein gesegneter auch deswegen, weil wir hier einen Gnadenthron erblicken, an dem Gaben ausgeteilt werden für alle Menschen, und jedes Bedürfnis befriedigt wird, das man vor ihm kund werden lässt. Es ist eine sonderbare und merkwürdige Erscheinung, dass die Apostel, wie Lukas erzählt, mit großer und unaussprechlicher Freude nach Jerusalem zurückkehrten, und, statt darüber zu klagen und zu trauern, dass der HErr nun auf immer ihnen entrückt und entzogen sei, vielmehr darüber frohlockten und Gott priesen. In den Abschiedsreden vor Seinem blutigen Kreuzestod hatte ja der Heiland mit großer Behutsamkeit und Zartheit sie auf diese wichtige Veränderung vorbereiten müssen, und jetzt, da nun dieselbe wirklich eingetreten war, war ihr Herz voll Freude und Entzücken darüber. Aber freilich, jetzt waren sie auch an einem Orte gestanden, wo die Friedens- und Freudenströme des ewigen Lebens sich über sie ergossen, wo für den Verlust des sichtbaren Besitzes ein überschwänglicher Ersatz sich ihnen zeigt, wo sie den auf dem Thron der Gnade erblickten, der nun Alles in Allem erfüllt, und sein Wort leicht zur Wahrheit machen kann: ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Deswegen lesen wir auch, dass sie unmittelbar vom Ölberge nach Jerusalem zurückgekehrt, den Söller bestiegen, und hier in brünstigem Flehen ihre Seele vor ihm ausschütteten. An die Stelle des Umgangs mit dem sichtbar Gegenwärtigen war der Gebets-Umgang mit dem unsichtbar: Gegenwärtigen. getreten, und, indem sie täglich und stündlich bei Seinem Gnadenthron sich einstellten, holten sie immer wieder neue Erkenntnis, neuen Mut, neue Kraft, neuen Trost, neuen Frieden, und der HErr wurde nicht müde, als der Pfleger der himmlischen Güter die Gaben, die er empfangen hatte, an sie auszuspenden, und sie der Segenskräfte Seines unvergänglichen Priestertums teilhaftig zu machen.

2) Er ist in die Höhe gefahren, und hat das Gefängnis gefangen geführt, und hat Gaben empfangen für alle Menschen, auch für die Abtrünnigen (Psalm 68, 19.): so lautete schon die Verheißung im alten Bund, und am Himmelfahrtstag Christi ist diese Schrift erfüllt worden. O, wer überblickt die Lebensströme, die seither von seinem Gnadenthron herab in dürstende und lechzende Herzen sich ergossen haben; o, wer zählt die Strahlen göttlicher Gnade und Wahrheit, die seither in viele umnachtete und verdüsterte Seelen gefallen sind; wer zählt den Reichtum der heiligen Licht- und Lebenskräfte, die wie der Tau aus der Morgenröte herniedergeträufelt sind, und die Schwachen stark, die Traurigen fröhlich, die Bekümmerten getrost und die Armen reich gemacht haben! Ja, es regen sich noch jetzt immer die Kräfte Seines unvergänglichen Lebens in Seinem ganzen Reich unter allen, die ihm angehören. Wo eine Seele ist, die nach ihm verlangt, wo ein Herz schlägt, das nach ihm weint, wo ein Auge ist, das nach ihm tränt, wo eine Zunge ist, die nach ihm ruft, wo ein Haupt ist, das zu ihm sich erhebt, -da ist Er, der Himmelsund Friedensfürst, gegenwärtig mit Seinem Geist, mit Seinem Frieden, mit Seiner Gnade. Denn Er hat Gaben empfangen für alle Menschen ohne Ausnahme, selbst für die Abtrünnigen, selbst für die, die es arg gemacht haben, selbst für die, die den Bund der Treue gebrochen, und wie der verlorene Sohn das Vaterhaus Seiner Gemeinschaft verlassen, und in den Wildnissen der Welt sich umgetrieben und das Erbgut ihrer himmlischen Berufung verprasst haben. Auch für solche hat Er Versöhnungsgnade und Erneuerungskräfte, und auch an sie ergeht der große Kreditbrief, den Er uns eingehändigt hat: wer zu mir kommt, den will ich nicht hinausstoßen, (Joh. 6, 37.) und im Himmel wird Freude sein über Einen Sünder, der Buße tut, vor neun und neunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen. (Luk. 15, 4-7.)

Meine Lieben, an dem heutigen Tage, hat Christus Gaben empfangen für die Menschen. Lasst diese edlen Gaben nicht verderben, nicht unbenutzt liegen; lasst uns unter das durch Christum geöffnete Himmelstor treten, und vor den Gnadenthron uns stellen, an welchem wir Barmherzigkeit erlangen sollen. Sage dem HErrn, was du brauchst: Er wird dirs nicht versagen. Verlangt dein Herz nach Vergebung der Sünden und nach dem Frieden eines gereinigten vollendeten Gewissens: o, tritt getrost herzu, die Gnadenquellen sind noch nicht versiegen gegangen; Sein Blut hat noch die alte bewährte Kraft, zu heilen und zu waschen, zu reinigen und zu vollenden. Oder schmachtet deine Seele nach einer Erneuerung im Geiste, nach neuem Eifer im Gebet, nach neuer Anfassung, nach neuem Wachstum in der Gnade und Erkenntnis Christi, den du schon lange kennst; o tritt getrost herzu, der Himmel ist noch nicht ehern geworden, auch dafür weiß der erhöhte Fürst des Lebens Rat; wen da dürstet, der trinke. Oder bedarfst du Geduld zum Ausharren, zum Tragen, zum Überwinden, tritt getrost herzu, Seine Kraft wird dich kräftigen, Sein Lebensgeist durchdringen, und du wirst weit überwinden in Dem, der dich mächtig machet, Christus. Kurz, die Vorratskammern Seines Hauses sind noch nicht erschöpft, und Er, dein Joseph, den Gott gesetzt hat zum Pfleger der himmlischen Güter, wird dich ernähren auch in der geistlichen Teuerung und dich füllen, auch wenn es bis zum Darben und Hungern käme. Und das alles frei und umsonst; denn auch das Geld deines Verdienstes, das du etwa zu erlegen versucht werden könntest, wird Er dir zurückgeben und dich reichlich gesegnet nach Hause ziehen lassen.

IV.

Wir eilen zum Schluss; der Standpunkt an der durch Christi Auffahrt eröffneten Himmelspforte ist endlich auch deswegen noch gesegnet, weil uns da eine Aussicht eröffnet ist ins Vaterhaus Gottes, in welches Christus eingegangen ist, um uns dort eine Stätte zu bereiten. Die Jünger sollten nun bald die betrübende und traurige Erfahrung machen, dass sie hienieden keine Heimat, kein Vaterhaus mehr haben. Vertrieben von Heimat und Besitztum, mussten sie in einer ihnen fremd gewordenen Welt umherirren; ja, über Land und Meer mussten sie um des Namens Jesu willen. Und doch finden wir keine Klage darüber in ihrem Munde, doch vernehmen wir kein Murren über ihre Lippen kommen. Warum das? durch die auf dem Ölberg geöffnete Himmelspforte hatten sie einen freien und tröstenden Blick getan nach der Stadt des lebendigen Gottes, nach dem himmlischen Jerusalem, nach dem Vaterhaus, in welchem viele Wohnungen sind, in welchen auch ihnen eine Stätte bereitet war, eine Friedenshütte, wo kein Leid, noch Geschrei, noch Schmerz mehr sein wird.

Dorthin erhoben sie ihren Blick, wenn die Welt sie ausstieß; dorthin schaute das Auge, wenn Verfolgung und Tod sie umgab. -Mit einem Engels-Angesicht wie Stephanus konnten sie vor aller Welt bekennen: ich sehe den Himmel offen und des Menschen Sohn zur Rechten Gottes stehen (Apostelgesch. 7, 55.)! ja, selbst wenn der letzte Hauch auf ihren Lippen schwebte, konnten sie rufen: HErr Jesu, nimm meinen Geist auf (Apostelgesch. 7, 58.)!

Diese frohe Aussicht und Freudigkeit hatten die Apostel an der durch Christum geöffneten Himmelspforte gelernt, und von dort in die Niederungen ihres bewegten und kampferfüllten Lebens mit hinabgenommen. Und so gibt es auch für uns nur vom Himmelfahrtsberge Christi aus eine freudige Aussicht in die Ewigkeit. Wie dort ein Mose, als er, 120 Jahre alt, auf das Gebirge Nebo stieg, und sein Auge hineinschweifen ließ in das Gebiet Kanaans und in seine gesegneten Gefilde, so haben wir nirgends, als nur hier, eine Fernsicht nach den Friedensauen, auf welchen Christus die Seinen weidet und nach den Lebensströmen, die dort in Lauterkeit sich ergießen. Wer seine Sterbensfreudigkeit anderswo sucht, wird sie nicht finden, und wer sie auf etwas Anderes gründet, hat auf Flug- und Treibsand gebaut. Glaubet mir: in meiner kurzen Amtserfahrung bin ich an Hunderten von Kranken- und Sterbebetten gestanden; ich habe Bangigkeit und Furcht vor dem Tode entdeckt, wo die Seele Christum nicht erkannte, den ewigen Lebensfürsten unserer Gerechtigkeit und Stärke; ich habe Sehnsucht nach dem Tode erblickt, wenn das Leidensmaß voll war und die Seele nun sich sehnte ausgespannt zu werden; aber Freudigkeit und stillen, hohen Hoffnungsmut habe ich nur von dem Angesicht leuchten sehen, auf welches Christus der Gestorbene und Auferstandene einen Wiederschein warf, und dem das Siegel des Glaubens an Ihn und des Gewurzeltseins in Ihm aufgedrückt war. Denn selig sind nur die Toten, die in dem HErrn sterben (Offenb. Joh. 14, 13.); gebettet in Seine Gnade, umschlossen von Seinem Verdienste, getragen von Seinen Armen, und gekrönt und emporgehoben von den Adlersfittichen Seiner weltüberwindenden Gotteskraft.

Wo ich bin, da soll mein Diener auch sein; dies Wort gilt, und nicht minder das andere: Vater, ich will, dass wo ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast, dass sie meine Herrlichkeit sehen, die Du mir gegeben hast; denn Du hast mich geliebt, ehe denn die Welt gegründet war (Joh. 17, 24.).

Amen.