Inhaltsverzeichnis

Hoerschelmann, Ferdinand - Halte, was Du hast - Am Neujahrstage

Wir heben unsere Augen auf zu den Bergen, von denen uns Hilfe kommt, unsere Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Er behüte uns vor allem Übel, er behüte unsere Seele, der Herr behüte unsern Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit. Amen.

Galat. 3, 23-29.
Ehe denn aber der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetz verwahrt und verschlossen auf den Glauben, der da sollte offenbart werden. Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christum, dass wir durch den Glauben gerecht würden. Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister. Denn ihr seid Alle Gottes Kinder, durch den Glauben an Christum Jesum. Denn wie Viele euer getauft sind, die haben Christum angezogen. Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal Einer in Christo Jesu. Seid ihr aber Christi, so seid ihr ja Abrahams Samen, und nach der Verheißung Erben.

Liebe Gemeinde, das alte Jahr haben wir gestern zu Grabe getragen mit Allem, was es uns gebracht und uns genommen. Aber in der Sterbestunde des alten Jahres ist ein neues uns geboren. Was wird's uns bringen, was trägt es in seinem Schoß? Nun, es tritt in das Erbe des alten Jahres mit allem dem, was gewesen, aber nicht vergangen, was vergangen und doch geblieben. Ach, was dürfen wir da hoffen, wenn ein Jeder auf sein Leben sieht, was dürfen wir hoffen, wenn wir auf die Gesamtheit schauen? Ernst ist die Zeit, in der wir stehen, umwölkt erscheint die Zukunft unserm Blick, manch' bange Sorge legt sich uns aufs Herz. Aber der Blick erhellt sich, die Herzen atmen auf, wir gewinnen Trost und Zuversicht, wenn wir dessen gedenken: ein anderes. Erbe hat das neue Jahr mit überkommen als das, welches uns ängstigt, wenn wir auf uns und unser Leben schauen. Ein köstlich reiches Erbe ist es, das der Herr uns bereitet. Denn der Geburtstag des neuen Jahres ist der Namenstag unseres Herrn Jesu. Sein Name ist der helle Stern über den dunklen Pforten des neuen Jahres, sein Name der Segensquell, aus dem Gnade und Trost uns kommt. Bei der Beschneidung ist dem Herrn der Jesusname gegeben. So strahlt sein Licht schon da bei dem Eingang des alten in den neuen Bund, bei dem Übergang der alten in die neue Zeit. Auch wir begehen heute den Übergang des Alten in das Neue. Wir begrüßen das neue Jahr als ein neugeborenes Kind; und der Name Jesu, der uns als helles Licht entgegenstrahlt, er ist zugleich das von dem Herrn bereitete Gewand, in welches wir das neugeborene Kindlein hüllen, ja das wir selbst anziehen dürfen und müssen, um im neuen Jahre vor dem Herrn zu bestehen. Damit wir aber den Herrn Christum anziehen, mit Händen des Glaubens und Gebetes ihn ergreifen, dazu muss der Herr uns zu sich ziehen.

Uns zu sich zu ziehen, dazu hat er in der ganzen vergangenen Zeit treulich an uns gearbeitet, dazu will er auch im neuen Jahr mit neuer Treue uns nahen. Den Segen aber solcher erziehenden Gnade, den wir zum neuen Jahre uns wünschen, erschließt uns der epistolische Text, den wir vernommen.

Lasst uns denn betrachten:

den Neujahrssegen, den der Herr Jesus uns bringen will.

Er besteht darin,

1) dass er von dem Zuchtmeister uns befreit,
2) dass er zu Gottes Kindern uns erneut,
3) dass er uns zu gliedlicher Gemeinschaft vereint.

I.

„Ehe denn aber der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetz verwahrt und verschlossen auf den Glauben, der da sollte offenbart werden. Also ist das Gesetz unser Zuchtmeister gewesen auf Christum, dass wir durch den Glauben gerecht würden“. Der Apostel erinnert uns in diesen Worten an die Zuchtmeister der damaligen Zeit, unter welche die Kinder bis zum Alter der Mündigkeit gestellt waren. So hat Gott auch uns Menschenkinder unter Vormünder und Zuchtmeister gestellt. Ein solcher Zuchtmeister Gottes ist das Gesetz mit seiner unausweichlichen Forderung, ist die Obrigkeit, die Gewalt über uns hat. Solche Zuchtmeister sind die Heimsuchungen und Strafgerichte Gottes, die der Sünde ihren Sold, der Ungerechtigkeit ihren Lohn bringen. Solche Vormünder und Zuchtmeister sind alle Verhältnisse und Ordnungen, die einem Jeden seinen Weg weisen, seine Pflichten vorschreiben, seine Schranken ziehen. Unter solche Zuchtmeister sind Alle ohne Ausnahme gestellt, die, ob auch zur Kindschaft berufen, im knechtischen Geiste dahingehen. Wie steht's darin mit dir? Ist auch dein Stand ein knechtischer Stand? Siehe an deinen Stand, deine Verhältnisse, deine Berufsarbeit, deine Lasten und Leiden. Über manchen Druck hast du geklagt, unter mancher Last geseufzt. Und kann es denn anders sein, wenn du noch im Knechtsstand stehst? Auf jedem Schritt und Tritt begegnet dir da ein unerbittliches „Du musst“, ein ehernes, unausweichliches „Du sollst“. Jedes Verhältnis wird da zum Zwang, jede Aufgabe zur Forderung, ja selbst jede Gabe wird dir zur Schranke, über die du nicht hinauskannst. Und in diesen Zwang bleibst du gespannt, in diese Schranke gezwängt, unter diese Forderung geknechtet, einerlei ob du der Schranke und Ordnung dich fügst, oder ob du dich gegen sie sträubst und sie durchbrichst. Denn darin besteht die Majestät des göttlichen Gesetzes und seiner Ordnung, dass man da erst recht zum Knecht, da erst recht von dem Zuchtmeister geängstet und gestäupt wird, wenn man im Eigenwillen sich über seine Forderungen hinwegzusetzen, seine Schranken zu durchbrechen trachtet.

Bist du in solchem knechtischen Sinn dahingegangen, da hat's in deinem Leben gar keiner besonderen Lasten und Leiden bedurft, es ist dir Alles, dein dir geordneter Beruf, deine täglichen Aufgaben, die dich umgebenden Verhältnisse, die an dich gestellten Ansprüche der Menschen, - es ist dir Alles zum drückenden Joch, zur beugenden Last geworden, es hat dich Alles knechten und ängsten müssen. Wahrlich ein solcher Knechtsstand ist ein elender, jammervoller Stand. Und wie wird es erst dann, wenn nun noch besondere Schläge und Leiden dich treffen? Und wenn's nun im neuen Jahr so bleibt, wie's im alten war, wenn's äußerlich so bleibt und vielleicht der Druck und die Last noch schwerer wird; und zumal wenn's innerlich so bleibt, wenn der alte, bald trotzige, bald verzagte, knechtische Sinn dir bleibt; wahrlich von Neujahrsfreude und Neujahrshoffnung kann da keine Rede sein. Mit Furcht und Bangen musst du da dem neuen Jahr entgegengehen. Und wenn du nun noch dessen gedenkst, wie du durch dein Widerstreben und deinen Ungehorsam, deine unzähligen Übertretungen und Versäumnisse den Zorn des Zuchtmeisters erregt, ja den Zorn Gottes dir häufest auf den Tag des Gerichts, musst. du da nicht mit Zittern und Beben dem neuen Jahr entgegengehen, da ein jeder Schritt dich näher dem Grabe, näher dem Tage des göttlichen Gerichtes bringt!

Aber, Gott Lob, es gibt einen Weg, - und dieser Weg ist uns bereitet, - auf dem wir von dem Zuchtmeister mit seinem Zwang, von dem Gesetz mit seinem Gericht befreit, zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes gelangen können.

„Ehe der Glaube kam, wurden wir unter dem Gesetz verwahrt und verschlossen. Nun aber der Glaube gekommen ist, sind wir nicht mehr unter dem Zuchtmeister“, heißt es in unserm Text. Aber wie? Ist denn das Gesetz nicht mehr da, ist die Obrigkeit, sind die menschlichen Ordnungen, sind Heimsuchungen, Zucht und Strafe nicht mehr da? Wohl sind sie Alle noch vorhanden. Nicht äußerlich hat Gott sie aufgehoben, wohl aber hat er uns innerlich von all diesen Mächten befreit. Das Gesetz ist noch da, aber wir sind frei von seinem Fluch, denn es ist der gekommen, der dazu geboren und unter das Gesetz getan ist, dass er die, so unter dem Gesetz waren, erlöste. Er ist gekommen, der ein Fluch für uns geworden, dass er den Fluch des Gesetzes von uns nehme. Das Gesetz mit seinen Ordnungen ist da. Es bleibt stehen; auch nicht ein Titelchen von ihm soll vergehen, aber wir sind frei vom Zwange des Gesetzes. Sind wir in Christo, so sind wir eine neue Kreatur und können sprechen: „Ich vermag Alles durch den, der mich mächtig macht, Christus“. Auch das bürgerliche Gesetz und die Obrigkeit ist da; aber nicht in Menschenfurcht und in Menschenknechtschaft, sondern um des Gewissens, um des Herrn willen sind wir ihnen untertan. Auch die Heimsuchungen und Trübsale sind da; aber nicht mehr als Geißel des Zucht- und Stockmeisters erfahren wir sie, sondern als Liebeszucht des treuen Vaters, der da züchtigt, die er lieb hat, der da stäupet, die er erwählt, der durch Trübsal für das Reich Gottes uns bereitet. Und die Ordnungen Gottes in unserm Amt, Stand und Beruf, - wie sollten wir sie als ein hartes Joch, als eine schwere Last empfinden, so wir in ihnen dem Herrn dienen und sein Reich bauen dürfen?

Lieb wird uns ein jeder Dienst, sanft ein jedes Joch, willkommen jede Arbeit, da wir ihm darin danken, seinen Namen ehren, seinem Wille folgen dürfen.

Dahin will der treue Gott uns ziehen, aus dem elenden, knechtischen in den herrlichen, freien Stand uns führen. Nun, wie steht's darin mit uns? Haben wir in solchen freien, fröhlichen seligen Stand uns von ihm ziehen lassen? Ist unter der erziehenden Arbeit des Herrn das Alte in uns vergangen, ist es Alles neu in uns geworden? Nicht anders ist es dahin gekommen, als wenn der Zuchtmeister zuvor sein Werk an uns getan, als wenn er in uns zerbrochen, was dem Willen des Herrn widerstrebt, als wenn er zerschlagen, was sich in uns gegen ihn aufbäumt, als wenn er im Feuer der Trübsal hinweggeschmolzen all' die harten Schlacken des natürlichen bösen Wesens. Es haben uns zuvor die Augen aufgehen müssen, nicht nur für das Elend und den Jammer unseres Knechtsstandes, sondern vor Allem für die Sünde und Schuld, durch die wir unter ihn verkauft sind, - sollen uns die Augen aufgehen für die Herrlichkeit dessen, was Christus, unser Erlöser, uns bringt, sollen die Herzen uns geöffnet werden, die Gaben und Kräfte dieses gnädigen und barmherzigen Herrn zu empfangen, der den Fluch von uns genommen, der vom Zwange uns befreit, der einen neuen Stand, ja ein neues Herz, einen neuen Sinn uns gibt, der aus der Vormundschaft zur Freiheit, aus der Knechtschaft zur Kindschaft uns führt.

Der von dem Zuchtmeister uns befreit, er ist's, der

II.

zur Gotteskindschaft uns erneut.

So elend und armselig der Stand der Knechtschaft, so glücklich und selig ist der Kindschaftsstand. Das erfahren wir ja schon in unsern menschlich - irdischen Verhältnissen. Wie glücklich sind die Kinder eines Hauses, in dem treue Elternaugen über ihnen wachen, treue Elternliebe sie umfängt, treue Elternhände sie leiten und tragen! Das erfahren wir insonderheit in diesen Tagen, wo in unsern Häusern und Familien Eltern- und Kindesliebe so lebendig sich erweist, so innig die zum Fest vereinigten Glieder des Hauses umfängt. Hier aber ist es der Stand der Gotteskindschaft, dessen wir uns freuen.

Der Vater im Himmel ist es, mächtig, gütig und reich über Alle, der sich zu uns als unser Vater bekennt. Wenn er zu uns spricht: „Du bist mein liebes Kind, dich umfängt meine Liebe, dir gilt meine Fürsorge, dich leitet meine Treue, dir gehört meine Erbe“, da regt sich dem Reichtum dieser Liebe, der Fülle dieses Segens, der überschwänglichen Gnade und Huld dieses treuen Vaters gegenüber nur die eine Frage in uns: Darf auch ich mich zu diesem Stande, dem unermesslich seligen Stande der Gotteskinder, zählen, gilt auch mir wirklich das Wort: „Ihr seid nun Alle Gottes Kinder?“ Nun, meine Lieben, auf solche Frage antwortet uns der Apostel mit dem Hinweis darauf, nicht was wir von Natur sind und getan und geleistet haben, sondern, was Gott uns aus großer Gnade beschert, dessen er uns mit großer Huld vergewissert. Er weist uns hin auf unsere Taufe. „Wie viele euer getauft sind, die haben Christum angezogen“, heißt es in unserem Text. Da, in unserer Taufe ist es zur Wahrheit geworden: Der heilige Gottessohn ist darum als ein Menschenkind geboren, damit wir unheilige Menschen zu Gotteskindern weisen. Da hat sich der Himmel über uns aufgetan und ist die Stimme des Vaters zu uns ergangen: „Du bist nun auch mein liebes Kind“. Da hat Christus seine Arme ausgebreitet und zu uns gesprochen: „Du bist ein Schäflein meiner Herde“. Da ist der Geist auf uns herabgekommen und hat zu uns gesprochen: „Du sollst nun meine Wohnung sein“, da ist der Name Jesu über uns genannt, der Name, mit dem der heutige Tag uns grüßt, außer dem es kein Heil und kein Leben gibt.

„Aber“ sprichst du vielleicht, „ist es nicht doch am Ende ein trügerischer Trost, der uns darin gespendet wird? Denen, an welche Paulus schreibt, die mit eigenem Verlangen die Taufe begehrt, die mit bewusstem Glauben das Heil ergriffen, denen mag es gelten, was der Apostel von der Taufe rühmt. Aber wie steht es damit bei uns? Als Kinder sind wir hinzugebracht, ohne unser Wissen sind wir getauft, ohne unser Bewusstsein haben wir die Gabe der Taufe empfangen“. Nun, die Taufe ist dieselbe, ihre Gabe, ihre Gnade bleibt dieselbe. Aber freilich bleibt auch das Wort bestehen: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden“. Auch hier ist's kein Zwang, keine Nötigung; eine freie Gabe ist's. Darum gehört zum vollen Segen derselben auch die freie Annahme, darum heißt es auch in unserm Text: „Ihr seid alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christum Jesum“. So viel euer getauft sind, die hat Christus zu sich gezogen, damit ihr nun ihn ergreifet, ihn in euch einziehen lasst. Ja, mit Händen des Glaubens und Gebets gilt's Christum täglich ergreifen, seine Gnade, die Liebe des Vaters, die Gemeinschaft des Heiligen Geistes anzuziehen. Aber die Kraft seines Geistes, der in der Taufe über uns gekommen, ist es ja erst, die uns fähig macht, so wir seiner Gnadenarbeit nicht widerstreben, ihn mit der Fülle seiner Gaben an uns heran und in uns hineinzuziehen. Und Hand in Hand geht dann damit das Ausziehen des alten Menschen, das Ablegen, Ausreißen und Wegwerfen alles dessen, was ihm widerstrebt und was uns knechtet, also, dass wir dann je mehr und mehr, vom Stand der Knechtschaft befreit, in den rechten Stand der Kindschaft eindringen, dass wir mit rechtem Kindessinn frei von ihm nehmen das Kindesgut und Erbe, frei ihm geben, willig, mit Lust und Liebe in seinen Dienst stellen die Gaben und Kräfte, die wir von ihm empfangen.

Nun, meine Lieben, was könnten wir einander fürs neue Jahr wohl Besseres wünschen und erbitten, als dass wir Alle uns also von dem Herrn zichen ließen in den rechten Kindesstand und Kindessinn, da wir im Gehorsam dankbarer Liebe ihm leben und dienen; dass wir immer mehr erlangten solch' herrliche Freiheit der Kinder Gottes, dass immer mehr an uns Allen zur Wahrheit würde das Wort: „Ihr seid nun Alle Gottes Kinder durch den Glauben an Christum Jesum. Denn wie Viele euer getauft sind, die haben Christum angezogen“. Sind wir so zu Gottes Kindern geworden, hat sein Geist uns zu diesem seligen Stand erneut, dann wird auch

III.

der dritte Neujahrssegen uns zu Teil werden, dass der Herr zu gliedlicher Gemeinschaft uns vereint.

„Hier ist kein Jude noch Grieche, hier ist kein Knecht noch Freier, hier ist kein Mann noch Weib; denn ihr seid allzumal Einer in Christo Jesu“. Aus dem Stande der Vereinzelung, will der Herr uns in den Stand der gliedlichen Gemeinschaft führen. Solange wir unter dem Zuchtmeister gestanden mit eigensüchtigem, widerstrebendem Sinn, führt die Vereinzelung zur Zersplitterung, werden die natürlichen Unterschiede zu Gegensätzen. Juden und Griechen, Knechte und Freie kalt und fremd, ja einander verachtend und feindlich hatten sie sich gegenüber gestanden. Der Mann war der Tyrann des Weibes, das Weib die Sklavin des Mannes. Da aber die Scheidewand hinweggenommen ward, welche die Menschen von Gott und voneinander trennte, da aus zweien Eins gemacht wurde, da schlossen sich Jude und Grieche, Knecht und Freier, Mann und Weib als Glieder des einen Leibes zusammen, die einander aufnahmen und einander dienten, ein Jeder mit der Gabe, die ihm vertraut war.

Auch heute bestehen dieselben natürlichen Unterschiede von Juden und Griechen, von Deutschen und andern Nationen, von Herrn und Untergebenen, von Männern und Weibern. Und keine Macht der Welt, solange sie als Zuchtmeister mit hartem Zwange sich erweist, kann zusammenbringen was also von Natur geschieden ist, kein Zwang von oben, kein Zwang von unten führt zu diesem Ziel. Wo solche Zuchtmeister über uns kommen, da wird nimmer Einigkeit gebracht, sondern die Zertrennung immer noch tiefer greifen. Nur eine Macht gibt es, die da eint, die Herzen eint, die Hände zusammenfügt. Es ist der eine Glaube, die eine Liebe, der eine Kindschaftsstand, die eine Brüderschaft des Reiches Christi. Ob auch äußerlich die Unterschiede bleiben, die Unterschiede der gottgeordneten Eigenart, die Unterschiede in Sitte und Sprache, in Gaben und Gütern, in Formen und Ordnungen des Lebens: es sind doch eins mit einander, die in dem einen Glauben, in der einen Liebe als Brüder und Schwestern an einander hängen, aufeinander gewiesen sind, im Dienst der Liebe, im Austausch der Gaben einander zu ergänzen, zu fördern und zu helfen. Wo Glaube ist, da ist auch solches Band des Friedens, wo Liebe ist, da ist auch solcher Bund der Gemeinschaft.

Allzumal Einer in Christo! Meine lieben Brüder und Schwestern! So sollte es sein, dahin will der Herr uns ziehen, dahin uns führen mit all' seiner treuen Leitung und Zucht. Nun wie steht's darin mit uns? Von dem Neid und Unfrieden, der Spannung und Zwietracht da draußen will ich heute nicht reden. Aber wie steht es unter uns, die wir als Glieder eines Leibes, als Kinder eines Hauses, als Brüdern und Schwestern in Christo uns wissen und fühlen? Schauen wir einander an! Ach, wie viel haben wir heute in dieser Beziehung unserm lieben Herrn und einander zu beichten und abzubitten! Ach, dass das Alte verginge, dass es neu werde, wirklich anders und besser werde unter uns!

So lasst uns denn heute hier vor Gottes Angesicht einander aufs Neue die Hand reichen, brüderlich abbittend und vergebend, was wir wider einander gesündigt haben, lasst uns den Bund der Gotteskinder mit einander erneuern, einander Liebe und Treue im Tragen und Vergeben, im Helfen und Fördern, in gegenseitiger Fürbitte aufs Neue geloben. Im Namen Jesu Christi lasst es uns tun, und er, unser Jesus, unser barmherziger Heiland, schließe uns Herzen und Hände zusammen, lege uns seine Hände segnend aufs Haupt. Dann wird das neue Jahr ein seliges Jahr uns werden, ein fröhliches Jahr trotz aller Trübsal, ein friedliches Jahr trotz allem äußern Kampf, ein gesegnetes Jahr bei allem Leid. Getrost gehen wir weiter unsern Weg, denn Jesus, unser Heiland, geht mit uns. Jesus, unser Heiland, ist unser Licht und unser Trost; Jesus, unser lieber Herr, ist unser Friede, unsere Kraft; Jesus, unser herrlicher König, ist unser Hort und unsere feste Burg. Wie es auch komme, wie es auch gehe, - wenn wir nur von ihm uns leiten und ziehen lassen von dem Zuchtmeister zur Freiheit, aus der Knechtschaft in die Kindschaft, aus der Vereinzelung in die gliedliche Gemeinschaft, so wird unser Anfang, Fortgang und Ausgang gesegnet sein in Jesu Christo, unserm hochgelobten Herrn. Amen.