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Klagelieder, Kapitel 3

Klagelieder, Kapitel 3

3:1 Ich bin ein elender Mann, der die Rute seines Grimmes sehen muß.

3:2 Er hat mich geführt und lassen gehen in die Finsternis und nicht in Licht.

3:3 Er hat seine Hand gewendet wider mich und handelt gar anders mit mir für und für.

3:4 Er hat mir Fleisch und Haut alt gemacht und mein Gebein zerschlagen.

3:5 Er hat mich verbaut und mich mit Galle und Mühe umgeben.

3:6 Er hat mich in Finsternis gelegt wie die, so längst tot sind.

3:7 Er hat mich vermauert, daß ich nicht heraus kann, und mich in harte Fesseln gelegt.

3:8 Und wenn ich gleich schreie und rufe, so stopft er die Ohren zu vor meinem Gebet.

3:9 Er hat meinen Weg vermauert mit Werkstücken und meinen Steig umgekehrt.

3:10 Er hat auf mich gelauert wie ein Bär, wie ein Löwe im Verborgenen.

3:11 Er läßt mich des Weges fehlen. Er hat mich zerstückt und zunichte gemacht.

3:12 Er hat seinen Bogen gespannt und mich dem Pfeil zum Ziel gesteckt.

3:13 Er hat aus dem Köcher in meine Nieren schießen lassen.

3:14 Ich bin ein Spott allem meinem Volk und täglich ihr Liedlein.

3:15 Er hat mich mit Bitterkeit gesättigt und mit Wermut getränkt.

3:16 Er hat meine Zähne zu kleinen Stücken zerschlagen. Er wälzt mich in der Asche.

3:17 Meine Seele ist aus dem Frieden vertrieben; ich muß des Guten vergessen.

3:18 Ich sprach: Mein Vermögen ist dahin und meine Hoffnung auf den HERRN.

3:19 Gedenke doch, wie ich so elend und verlassen, mit Wermut und Galle getränkt bin!

3:20 Du wirst ja daran gedenken; denn meine Seele sagt mir es.

3:21 Das nehme ich zu Herzen, darum hoffe ich noch.
Das Gedächtnis wird oft zum Sklaven der Hoffnungslosigkeit. Verzweifelnde Gemüter rufen sich jede dunkle Ahnung der Vergangenheit in die Erinnerung und brüten über jeden düstern Gedanken, den ihnen die Gegenwart einflößt; so bietet das Gedächtnis dem Gemüt im Gewande der Buße einen Kelch voll bitterer Galle und Wermut dar. Und doch ist das ganz unnötig. Die Überlegung kann aber das Gedächtnis leicht in einen Engel des Trostes umwandeln. Die nämliche Erinnerung, die mit ihrer Linken so viele düstere Vorbedeutungen darbietet, kann darin geübt werden, dass sie in ihrer Rechten einen Schatz hoffnungsvoller Verheißungen zeigt. Sie braucht keine Krone von Ketten zu tragen, sie kann ihre Stirn mit einem goldenen Diadem schmücken, das von glänzenden Sternen strahlt. Das hat auch der Prophet Jeremias erfahren dürfen: in den vorausgegangenen Versen hatte ihn die Erinnerung in die tiefste Zerknirschung der Seele hinabgetaucht: „Meine Seele ist aus dem Frieden vertrieben; ich muss des Guten vergessen;“ nachdem aber stärkte ihn dieselbe Erinnerung zu neuem Leben und Trost: „Das nehme ich zu Herzen, darum hoffe ich noch.“ Wie ein zweischneidiges Schwert tötete sein Gedächtnis zuerst mit der einen Schärfe seinen Stolz und erwürgte dann mit der andern seine Verzweiflung. Es ist eine allgemein gültige Wahrheit, dass, wenn wir bei unsern Erinnerungen mehr Weisheit anwendeten, wir auch in unsrer tiefsten Entmutigung einen Schlag führen könnten, der augenblicklich die Lampe des Trostes entflammen würde. Gott hat nicht nötig, auf Erden etwas Neues zu schaffen, um seinen Gläubigen den Frieden wieder zu geben; wenn sie sich an das Buch der Wahrheit und an den Gnadenthron hielten, so würde ihr Leuchter bald wieder scheinen wie vordem. Lassen wir uns angelegen sein, uns der Liebe des Herrn zu erinnern und uns die Taten seiner Treue aufzufrischen. Wir wollen das Buch der Erinnerung öffnen, das so reichlich mit Denkmälern der Gnade bezeichnet ist, so werden wir uns bald glücklich fühlen. So mag das Gedächtnis nach dem Ausdruck eines teuren Gottesmannes der „Busenfrühling der Freude“ sein, und wenn der göttliche Tröster es in seinen Dienst nimmt, kann es zum besten aller irdischen Tröster werden. (Charles Haddon Spurgeon)

3:22 Die Güte des HERRN ist's, daß wir nicht gar aus sind; seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende,

3:23 sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.
Diesen Lobgesang hat Jeremias angestimmt, da er auf den zerstörten Mauern Jerusalems saß und das Volk des Herrn in das Gefängnis nach Babel geführt war. Das ist ein köstlich Ding, dem Herrn danken können, auch dann, wenn er seine schwere Hand auf uns legt. Wer das kann, ist geschickt zum Himmelreich. Wir können es alle sehr schlecht, aber der Herr will uns darin üben.
Ach, wie gut, daß wir ein Lied von der Barmherzigkeit singen dürfen, die kein Ende nimmt, und von der großen Treue unseres Gottes! Wenn man es lernt, was im dritten Kapitel Vers 39 der Klagelieder der Prophet Jeremias uns zu lernen aufgibt: „Ein jeglicher murre wider seine Sünde,“ wenn in allem Schweren und Demütigenden, das Gott zuläßt, ein jedes nicht nur fremde Sünde, sondern vor allem die eigene Sünde, den Mangel an Treue im Wachen und Beten, den Mangel auch in der Fürbitte für andere erkennt - das ist Segen, auch in Demütigungen.
Gottes Treue ist groß, groß in der Wachsamkeit über uns, daß wir nur nicht auf ewig verloren gehen möchten. Groß ist seine Treue im Demütigen, damit das Schrecklichste nur nicht über uns komme, die geistliche Hoffahrt, die sicher zur Verdammnis führt. Groß ist seine Treue aber auch im Mäßigen der uns auferlegten Züchtigungen und Versuchungen. Er macht, daß alle Versuchung und Anfechtung solch ein Ende gewinne, daß wir nicht darunter zu erliegen brauchen. Groß ist die Treue Gottes in allen Führungen unseres Lebens, in Gesundheit und Krankheit, in Lieben und Leiden, bei Tag und bei Nacht. Er ist besonders treu in seinem Wort. Darauf kann man sich verlassen, ganz unbedingt. „Sein Wort ist wahrhaftig, und was er zusagt, das hält er gewiß.“
Der großen Treue Gottes gegenüber steht unsere große Untreue im Großen und Kleinen, im Wachen und Beten, im Kämpfen und Streiten. Ach ja, wir sind untreu in dem, was wir tun, noch untreuer in dem, was wir nicht tun und doch tun sollten. Wo sollten wir hin mit unserer Rechnung? - Zur Barmherzigkeit Gottes. Sie hat noch kein Ende, und seine Treue ist groß. Nur wer sich an diese Treue auch im Vergeben der Sünden hält, der wird treu sein. Paulus sagt, er habe Barmherzigkeit erlangt, treu zu sein, und dann wieder: „Nachdem uns Barmherzigkeit widerfahren ist, so werden wir nicht müde“. Gottes unermüdliche Barmherzigkeit macht treu; wenn man von ihr täglich lebt, so gibts Kraft zu allem, was Schweres zu tragen ist. (Friedrich von Bodelschwingh)}


Alles Ding hat seine Zeit, Gottes Güte aber währet in Ewigkeit, wie David im 136. Psalm, „denn seine Güte währet ewiglich“, bei allen Versen wiederholt. Gottes Güte ist wie eine Mutter, welche, wenn ein Kind geboren wird, es in ihre Arme nimmt, verpflegt und erzieht, so thut auch Gott an uns Menschen. Diese nun erkennt ein gläubiger Christ, 1) daß es sey eine unverdiente Güte; wollte er nach unserm Verdienst mit uns handeln, so müßte das Verderben an Leib und Seele uns drücken; es ist 2) eine immerwährende Güte, wenn ein gläubiger Christ sein ganzes leben ansiehet, von seiner Geburt, in seiner Kindheit, Jugend und fortwachsenden Jahren, so ist es lauter Güte Gottes, was wir Gutes an uns haben, das hat Gott in uns gewirket; was wir besitzen im Leiblichen, das hat uns Gottes Güte gegeben. Ja, was noch mehr zu verwundern, ist es 3) eine Güte, welche auch die Undankbaren und Gottlosen genießen; über die lässet er seine Sonne scheinen, er giebt ihnen Nahrung und Kleidung, nur der Einwohnung des heil. Geistes werden sie nicht theilhaftig, weil sie ihr Herz davor verschließen. Ein gläubiger Christ lässet sich aber durch Gottes Güte auch zur Buße, Liebe Gottes, und Gottesfurcht leiten, und ist versichert, daß er auch derselben genießen wird bis in den Tod. (Johann Friedrich Stark)

3:24 Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen.
Es heißt nicht: „Der Herr ist beinahe völlig mein Teil,“ auch nicht: „Der Herr gehört zu meinem Teil“; sondern Er selber ist Summe und Inhalt des Erbteils meiner Seele. Im Umfang dieses Gebiets liegt alles, was wir wünschen und besitzen können.
Der Herr ist mein Teil. Nicht nur seine Gnade, seine Liebe, sein Bund, sondern Jahwe Zebaoth selbst. Er hat uns erwählt zu seinem Erbteil, und wir haben ihn zu unserem Erbe erwählt. Freilich muss der Herr unser Erbteil zuerst für uns erwählen, denn wir hätten es von uns aus nicht getan. Wenn wir aber wirklich berufen sind nach dem Vorsatz seiner erwählenden Gnade, so können wir singen:
Herr, du bist mein bestes Teil,
meine Wonne, Schatz und Heil;
Jesus, Gottes ewger Sohn,
bist mein Schild und großer Lohn.
Der Herr ist unser allgenugsames Teil. Wenn Gott schon in sich allgenugsam ist, so muss er auch für uns der sein, der all unseren Bedürfnissen und Wünschen die vollste Genüge gewährt. Es ist nicht leicht, eines Menschen Verlangen voll zu befriedigen. Aber alles, was wir nur immer wünschen können, ist in unserem Herrn vorhanden, so dass wir ausrufen: „Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.“
Ach, wie dürfen wir unsere Lust haben an dem Herrn, der uns tränkt aus dem Strom seiner Freuden. Unser Glaube breitet seine Flügel aus und erhebt sich wie ein Adler in den Himmel der göttlichen Liebe. Freuen wir uns also in dem Herrn allewege. Zeigen wir der Welt, dass wir ein glückliches und seliges Volk sind, so dass sie ausrufen muss: Wir wollen mit euch gehen, denn wir hören, dass Gott mit euch ist. (Charles Haddon Spurgeon)

3:25 Denn der HERR ist freundlich dem, der auf sie harrt, und der Seele, die nach ihm fragt.

3:26 Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen.

3:27 Es ist ein köstlich Ding einem Mann, daß er das Joch in seiner Jugend trage;
Dies ist so gut wie eine Verheißung. Es ist gut für mich gewesen, ist gut und wird gut sein, das Joch zu tragen.
Früh im Leben hatte ich das Gewicht des Sündenbewußtseins zu fühlen, und stets seitdem hat es sich als eine die Seele bereichernde Bürde erwiesen. Würde ich das Evangelium so sehr geliebt haben, wenn ich nicht durch die tiefe Erfahrung die Notwendigkeit der Errettung aus Gnaden gelernt hätte? Jabez war herrlicher denn seine Brüder, weil seine Mutter ihn mit Kummer geboren hatte, und die, welche viel leiden, während sie für Gott geboren werden, haben starken Glauben an die unumschränkte Gnade.
Das Joch des Tadels ist ein lästiges, aber es bereitet einen Mann für künftige Ehre vor. Wer nicht die Spießruten der Verachtung gelaufen ist, taugt nicht zum Führer. Das Lob berauscht, wenn nicht Schmähungen vorhergegangen sind. Menschen, die ohne Kampf eine Höhe erreichen, fallen gewöhnlich in Unehre.
Das Joch der Trübsal, der getäuschten Hoffnungen oder übermäßiger Arbeit darf durchaus nicht gesucht werden, aber wenn der Herr es uns in der Jugend auferlegt, dient es häufig zur Entwicklung eines Charakters, der Gott Ehre und der Gemeinde Segen bringt.
Komm, meine Seele, beuge deinen Nacken; nimm dein Kreuz auf dich. Es war gut für dich, als du jung warst, es wird dir jetzt nicht schaden. Um Jesu willen, schultere es fröhlich. (Charles Haddon Spurgeon)

3:28 daß ein Verlassener geduldig sei, wenn ihn etwas überfällt,

3:29 und seinen Mund in den Staub stecke und der Hoffnung warte

3:30 und lasse sich auf die Backen schlagen und viel Schmach anlegen.

3:31 Denn der Herr verstößt nicht ewiglich;
Er mag auf eine Zeitlang verstoßen, aber nicht auf ewig. Eine Frau mag ihr Geschmeide auf einige Tage ablegen, aber sie wird es nicht vergessen und es nicht auf den Dunghaufen werfen. Es sieht dem Herrn nicht gleich, diejenigen zu verstoßen, die Er liebt, denn: „Wie Er hatte geliebet die Seinen, die in der Welt waren, so liebte Er sie bis ans Ende.“ Einige reden davon, daß wir in der Gnade und aus der Gnade seien, als wenn wir wie Kaninchen wären, die in ihre Höhle hinein und wieder heraus laufen: aber in der That, es ist nicht so. Des Herrn Liebe ist eine viel ernstere und bleibendere Sache.
Er wählte uns von Ewigkeit, und Er wird uns die Ewigkeit hindurch lieben. Er liebte uns so, daß Er für uns starb, und wir können deshalb gewiß sein, daß seine Liebe niemals sterben wird. Seine Ehre ist so mit der Errettung des Gläubigen verknüpft, daß Er ihn ebensowenig verwerfen kann, wie Er sein eignes Gewand als König der Herrlichkeit hinweg zu werfen vermag. Nein, nein! Der Herr Jesus als Haupt verstößt nie Seine Glieder; als Bräutigam nie Seine Braut.
Dachtest du je, du seiest verstoßen? Warum dachtest du so Arges von dem Herrn, der sich mit dir verlobt hat? Wirf diese Gedanken hinaus und laß sie nie wieder in deiner Seele Raum finden! „Gott hat sein Volk nicht verstoßen, welches Er zuvor versehen hat!“. (Röm. 11,2) „Er hasset das Verstoßen“ (Mal. 2,16) (Charles Haddon Spurgeon)

3:32 sondern er betrübt wohl, und erbarmt sich wieder nach seiner Güte.

3:33 Denn er nicht von Herzen die Menschen plagt und betrübt,

3:34 als wollte er die Gefangenen auf Erden gar unter seine Füße zertreten

3:35 und eines Mannes Recht vor dem Allerhöchsten beugen lassen

3:36 und eines Menschen Sache verkehren lassen, gleich als sähe es der Herr nicht.

3:37 Wer darf denn sagen, daß solches geschehe ohne des Herrn Befehl

3:38 und daß nicht Böses und Gutes komme aus dem Munde des Allerhöchsten?
Wenn uns Unannehmlichkeiten durch Menschen oder Verhältnisse bereitet werden, so ist es sehr wichtig, um die rechte Sanftmuth dabei zu bewahren, auf deren erste Ursache zurückzusehen, d.h. sie als von Gott kommend anzunehmen, von Dem, der uns in Christo Jesu liebt und uns Alles will zum Besten mitwirken lassen. Nehmen wir die Begegnisse, kleine und große, welche dem Fleische unangenehm sind, in dieser Weise an, dann werden wir ihre Stacheln weit weniger fühlen: wir können sie dann selbst, als vom Herrn gesandt, willkommen heißen, da Er sie uns zum Wachsthum in der Heiligung verordnet. Ist dieses unsere innere Stellung, dann werden wir, je nach besonderen Fällen, uns sagen: Diese Person, welche mich belästigt, dieses Kind mit seinem Ungehorsam, diese vergeßliche oder nachlässige Dienstmagd, dieses Familienglied, das so schwer zu befriedigen ist, dieser Feind, welcher so darauf sinn, mir zu schaden, dieses ungünstige Wetter, dieser Verzug, diese getäuschte Hoffnung, dieser gescheiterte Plan, alle diese Dinge, mit einem Wort, sind nur Boten, welche von Gott kommen, um mich zu prüfen, zu demüthigen und zu meinem Heile zu züchtigen. Betrachten wir Menschen und Ereignisse so von ihrem wahren Gesichtspunkte aus, statt uns dadurch aufregen zu lassen, und uns dagegen zu sträuben, dann werden wir sie mit Sanftmuth tragen, und sagen: „Es ist der Herr; Er thue was Ihm wohlgefällt!“ (Auguste Rochat)

3:39 Wie murren denn die Leute im Leben also? Ein jeglicher murre wider seine Sünde!

3:40 Und laßt uns erforschen und prüfen unser Wesen und uns zum HERRN bekehren!
Die Braut, die ihren in der Ferne weilenden Freund herzlich lieb hat, sehnt sich nach seiner Rückkehr; eine lange Trennung von ihrem Bräutigam und Geliebten ist ihrer Seele wie ein halbes Sterben; und so geht es den Seelen, die den Heiland von ganzem Herzen lieben, sie müssen sein Antlitz sehen, sie können es nicht ertragen, wenn Er lange verweilt auf den Scheidebergen und keine Gemeinschaft mehr mit ihnen hat. Ein vorwurfsvoller Blick, ein aufgehobener Finger ist für lieberfüllte Kinder ein herber Schmerz, wenn sie fürchten müssen, ihren lieben Vater beleidigt zu haben, und sie fühlen sich nur glücklich unter seinem Lächeln. Geliebte, so stand es einst auch mit euch. Ein ernstes Schriftwort, eine Drohung, einen Schlag mit der Rute der Heimsuchung: mehr bedurfte es nicht, um euch zu eures Vaters Füßen zu führen und den Ruf abzuringen: „Zeige mir, warum Du unzufrieden bist mit mir!“ Steht es nicht mehr so? Kannst du dich damit zufrieden geben, deinem Jesu von fern nachzufolgen? Haben deine Sünden dich und deinen Gott voneinander geschieden, und fühlt dein Herz keine Unruhe darüber? Ach, ich möchte dich in aller Liebe warnen, denn es ist etwas Schmerzliches, wenn wir zufrieden dahinleben können ohne die Freude am herrlichen Glanz des Angesichts unsers lieben Heilandes. O, tun wir doch allen Fleiß, um solchen Schaden recht tief zu empfinden! Geringe Liebe zu unserem sterbenden Heiland, geringe Freude an unserem köstlichen Jesus, geringe Freundschaft mit dem Geliebten! Haltet ein wahrhaftiges Fasten in euren Seelen, wenn ihr bekümmert seid ob eures Herzens Härtigkeit! Denket daran, wo ihr zuerst Vergebung empfangen habt. Geht sogleich hin zum Kreuze. Dort, und dort allein, könnet ihr wieder Erquickung finden für eure Seele. Es kommt nicht darauf an, wie hart, wie fühllos, wie tot wir geworden sind; kehren wir heim zum Vaterhause in zerrissenen Kleidern, in Armut, in der Befleckung unsers natürlichen Wesens. Wir wollen dies Kreuz umfassen und in diese verschmachtenden Augen blicken; wir wollen uns baden in dem blutgefüllten Born: das wird uns zurückführen zu unsrer ersten Liebe; das wird uns unsern einfältigen, kindlichen Glauben wieder schenken! (Charles Haddon Spurgeon)

3:41 Laßt uns unser Herz samt den Händen aufheben zu Gott im Himmel!
Schon die Verrichtung unseres Gebets zeigt uns unsere Unwürdigkeit; und das ist eine sehr heilsame Erkenntnis für so hochmütige Wesen wie uns. Wenn Gott uns seine Gunst erwiese, ohne daß wir genötigt wären, darum zu bitten, so würden wir nie erfahren, wie arm wir sind, aber ein echtes Gebet ist eine Offenbarung verborgener Armut. Weil es sich an den göttlichen Reichtum wendet, so ist es ein Bekenntnis der menschlichen Dürftigkeit. Der gesundeste Zustand eines Christen besteht darin, daß er allezeit leer ist im eigenen Ich und beständig von dem Herrn abhängig für seine Bedürfnisse; daß er allezeit arm ist in der eigenen Seele und reich in Jesus; matt wie Wasser im eigenen Wesen, aber mächtig durch Gott, große Taten zu vollbringen; daher stammt der Segen des Gebetes, weil es dadurch, daß es Gott verehrt, die Kreatur dahin stellt, wo sie hin gehört, nämlich in den Staub. Das Gebet ist schon an und für sich, abgesehen von der Erhörung, die ihm zuteil wird, eine große Wohltat für den Christen. Gleichwie sich der Wettläufer zum Wettkampf durch tägliche Übung stärkt, so erlangen wir durch die geheiligte Arbeit des Gebetes neue Kräfte. Das Gebet befiedert die Fittiche der jungen Gottesadler, damit sie sich über die Wolken emporschwingen lernen. Das Gebet gürtet die Lenden der Streiter Gottes und sendet sie selber mit gestählten Sehnen und erhöhtem Mut in den Kampf. Ein eifriger Beter gehet hervor aus seiner Kammer, gleichwie die Sonne aufgehet aus ihrer Kammer an der Welt Ende und sich freuet wie ein Held, zu laufen den Weg. Das Gebet ist die erhobene Hand Mose, welche die Amalekiter empfindlicher schlägt als das Schwert Josua; es ist der Pfeil, der den König auf des Propheten Geheiß schoß gegen Morgen: ein Pfeil des Heils vom Herrn, ein Pfeil des Heils wider die Syrer. Das Gebet gürtet die menschliche Schwachheit mit göttlicher Kraft, es verwandelt die menschliche Torheit in himmlische Weisheit und schenkt den schwergeprüften Sterblichen den Frieden Gottes. Wir wissen nichts, was das Gebet nicht vermöchte auszurichten! Wir danken Dir, großer Gott, für den Gnadenstuhl, denn er ist ein lieblicher Beweis Deiner wunderbaren Güte und Freundlichkeit. Stehe uns heute bei, daß wir sie heute den ganzen Tag und recht aneignen können. (Charles Haddon Spurgeon)

3:42 Wir, wir haben gesündigt und sind ungehorsam gewesen; darum hast du billig nicht verschont;

3:43 sondern du hast uns mit Zorn überschüttet und verfolgt und ohne Barmherzigkeit erwürgt.

3:44 Du hast dich mit einer Wolke verdeckt, daß kein Gebet hindurch konnte.

3:45 Du hast uns zu Kot und Unflat gemacht unter den Völkern.

3:46 Alle unsre Feinde sperren ihr Maul auf wider uns.

3:47 Wir werden gedrückt und geplagt mit Schrecken und Angst.

3:48 Meine Augen rinnen mit Wasserbächen über den Jammer der Tochter meines Volks.

3:49 Meine Augen fließen und können nicht ablassen; denn es ist kein Aufhören da,

3:50 bis der HERR vom Himmel herabschaue uns sehe darein.

3:51 Mein Auge frißt mir das Leben weg um die Töchter meiner Stadt.

3:52 Meine Feinde haben mich gehetzt wie einen Vogel ohne Ursache;

3:53 sie haben mein Leben in einer Grube fast umgebracht und Steine auf mich geworfen;

3:54 sie haben mein Haupt mit Wasser überschüttet; da sprach ich: Nun bin ich gar dahin.

3:55 Ich rief aber deinen Namen an, HERR, unten aus der Grube,

3:56 und du erhörtest meine Stimme: Verbirg deine Ohren nicht vor meinem Seufzen und Schreien!

3:57 Du nahest dich zu mir, wenn ich dich anrufe, und sprichst: Fürchte dich nicht!

3:58 Du führest, Herr, die Sache meiner Seele und erlösest mein Leben.
Achtet darauf, mit welcher Bestimmtheit der Prophet spricht. Er sagt nicht: „Ich hoffe, ich glaube, ich meine manchmal, dass Gott die Sache meiner Stelle führen will;“ sondern er spricht davon als von einer unbezweifelten, abgemachten Sache: „Führe Du, Herr, die Sache meiner Seele.“ Wir wollen uns unter dem Gnadenbeistand des heiligen Trösters von allen Zweifeln und Befürchtungen losmachen, die unsern Frieden und unsern Trost so sehr beeinträchtigen. Bitten wir, dass wir nichts mehr mögen zu schaffen haben mit der heiseren, krächzenden Stimme des Argwohns und des Misstrauens, sondern imstande seien, mit der klaren, volltönenden, wohlklingenden Stimme ganzer Überzeugung und zweifelloser Gewissheit zu sprechen. Merkt, wie dankbar der Prophet sich ausdrückt; denn er schreibt alle Ehre Gott allein zu! Ihr seht, dass er mit keinem Wort weder seiner Person, noch seines Flehens Erwähnung tut. Er schreibt seine Erlösung in keinerlei Weise irgendeinem Menschen zu, noch viel weniger seinem eigenen Verdienst; sondern er spricht: „Du“ - „Führe Du, Herr, die Sache meiner Seele; und erlöse mein Leben.“ Der Christ sollte sich allezeit einer dankbaren Gesinnung befleißigen; und besonders sollten wir nach Erlösungen aus Nöten und Trübsalen Gott unser Lob bereiten. Die Erde sollte ein Tempel sein, den die Loblieder dankbarer Heiliger erfüllen, und jeder Tag sollte ein Rauchfass sein, das vom süßen Weihrauch unsrer Preis- und Dankgebete lieblich duftet. Wie freudig scheint Jeremia gestimmt zu sein, wenn er der Barmherzigkeit und Güte des Herrn gedenkt! Wie siegesfreudig erhebt sich sein Gebet! Er ist aber erst aus der tiefen Grube des Gefängnisses gekommen und ist noch immer der trauernde Prophet; und dennoch hören wir klar, wie den Lobpsalm der Mirjam, da sie mit ihren Fingern die Pauke schlug am Reigen, hell wie den Siegesjubel der Debora, da sie dem Barak mit Triumphgesängen entgegenging, die Stimme des Propheten Jeremia selbst aus dem Buche, das mit dem Namen „Klaglieder“ bezeichnet ist, gen Himmel emporsteigen: „Führe Du, Herr, die Sache meiner Seele; und erlöse mein Leben“ O, ihr Kinder Gottes, sucht nach einem lebendigen Ausdruck für eure dankbare Empfindung, die des Herrn Güte und Freundlichkeit in euch erweckt, und wenn ihr den rechten Ausdruck gefunden habt, so redet offen und aufrichtig davon; lobsinget mit dankendem Gemüte; jauchzet mit schallendem Triumph! (Charles Haddon Spurgeon)

3:59 Du siehest, HERR, wie mir so Unrecht geschieht; hilf mir zu meinem Recht!

3:60 Du siehst alle ihre Rache und alle ihre Gedanken wider mich.

3:61 HERR, du hörest ihr Schmähen und alle ihre Gedanken über mich,

3:62 die Lippen meiner Widersacher und ihr dichten wider mich täglich.

3:63 Schaue doch, sie sitzen oder stehen auf, so singen sie von mir ein Liedlein.

3:64 Vergilt ihnen, HERR, wie sie verdient haben!

3:65 Laß ihnen das Herz erschrecken, laß sie deinen Fluch fühlen!

3:66 Verfolge sie mit deinem Grimm und vertilge sie unter dem Himmel des HERRN.
In diesem Kapitel zeiget der Prophet einesteils an, wie das damalige Jerusalem die jämmerliche Zerstörung, in welcher es lag, auch an ihm verdienet habe, weil es ihn zu einem so elenden Mann gemacht, wie er sagt, und weil er nicht allein, wie er hernach spricht, mit seinen Weissagungen und Warnungen, die er ihnen vorher geprediget, allem ihren Volk nur ein Spott - und täglich ihr Liedlein habe seyn müssen, sondern weil sie ihn zum Lohne für dieselben sogar in eine Grube - und in dieselbe Steine auf ihn hinunter geworfen - und sein Haupt mit Wasser überschüttet, daß er sich deßhalb seines Lebens erwogen und gesprochen: „Nun bin ich gar dahin.“
Darinnen erkennet aber auch Jeremias des HErrn Hand, und daß ihn solch Leiden nicht würde getroffen haben, wenn es nicht von Gott über ihn wäre verhänget worden. Darum spricht er: „Wer darf sagen, solches geschehe ohne des HErrn Befehl?“ und braucht auch vorher immer die Redensarten: „Er, der HErr, hat mich in Finsterniß gelegt, wie die Todten in der Welt; Er hat mich vermauert, daß ich nicht herauskann, und mich in harte Fesseln gelegt“ u. s. f.
Das sollen auch andere fromme Herzen erkennen; und wenn ihnen auch Leiden, Trübsal und Verfolgung zuhanden kommet, sollen sie solches nicht nur den Creaturen, von denen sie es erdulden müssen, zuschreiben, sondern auch bedenken, daß Gott die oberste Ursache sey, von der ihnen ihr Kreuz herkomme; wie darum auch Hiob saget: „Der HErr hat's genommen.“
Gleichwie aber aus dieser Erwägung bei Jeremia die geistliche Anfechtung entstand, daß Fleisch und Blut bei ihm auf die Gedanken gerieth, Gott müsse, weil Er solche Trübsale über ihn verhänget habe, auf ihn heftig ergrimmt - und gleichsam in einen Löwen und Bären gegen ihn verwandelt seyn, - zumal weil auch sein Gebet nicht schon so bald erhöret werde, als er es gerne gehabt hätte, (denn er spricht: „Wenn ich gleich schreie und rufe, so stopft Er die Ohren zu vor meinem Gebet,“) - ebenso gerathen andere fromme Herzen zur Zeit der Trübsal auch oft in gleiche geistliche Anfechtung; wie denn auch Hiob meinte, Gott sei ihm in einen Grausamen verwandelt (Hiob 30, 21), und auch David spricht: „Hat denn Gott vergessen, gnädig zu seyn - und Seine Barmherzigkeit vor Zorn verschlossen?“ (Ps. 77, 10.)
Allein - da sollen es alle andern frommen Herzen auch machen, wie der Prophet Jeremias, und durch den Geist solcher Anfechtung des Satans und des Fleisches tapfern Widerstand thun - und sich mit ihrem Herzen doch auch auf die Güte des HErrn verlassen - und erkennen, daß der HErr sie nicht von Herzen - oder aus einem in Seinem Herzen gegen sie gehegten Haß und Zorn plage und betrübe, sondern daß Er ihnen Kreuz und Trübsal deßwegen zuwende, weil es für ein frommes Herz ein gar köstlich Ding ist, das Joch des Kreuzes zu tragen. Darum sollen sie unter solchem Kreuzesjoch, so lange es währet, auch fein geduldig seyn - und in fröhlicher Hoffnung erwarten, daß der HErr, nachdem Er sie betrübet, sich doch ihrer nach Seiner Güte auch wieder erbarmen werde.
Gleichwie nun diese Hoffnung den Propheten Jeremias nicht betrogen, als der in unserm Kapitel also davon saget: „Ich aber rief Deinen Namen an, HErr, unten aus der Grube, und Du erhöretest meine Stimme,“ also wird sie andere fromme Herzen auch nicht betrügen.
Daher heißt hernach der Prophet die damaligen Israeliten solcher Hoffnung leben - und sich, wiewohl sie bisher nicht fromm, sondern gar ein sündig Volk gewesen waren, dennoch zu Gott versehen, Er werde - nach den dazumal über sie verhängten Trübsalen der Zerstörung Jerusalems und der babylonischen Gefangenschaft - Seine Barmherzigkeit doch auch über sie neu werden lassen, woferne sie nur Buße thun - und fromm werden würden.
Darum vermahnet sie auch Jeremias zu solcher Buße beweglichst, indem er sagt: „Lasset uns forschen und untersuchen unser Wesen - und uns zu dem HErrn bekehren. Lasset uns unser Herz sammt den Händen aufheben zu Gott im Himmel - und bekennen: Wir haben gesündiget und sind ungehorsam gewesen. Darum hast Du billig nicht verschonet.“ Andererseits aber verbietet er ihnen, daß sie wider die dazumal über sie ergangenen göttlichen Strafgerichte nicht murren sollten, sondern „ein jeglicher“, spricht er, „murre wider seine Sünde.“
Weil nämlich wir Menschen durch Sünden Gott den HErrn zwingen, daß Er uns strafen muß, so haben wir allerdings hernach, wenn wir gestraft werden, auf niemand anders deßwegen böse zu seyn, als auf solche unsere Sünden. Wenn wir aber von deren Strafen wieder erlöset seyn wollen, so ist es nicht mit Murren wider dieselben ausgerichtet, (denn Gott fraget wenig nach diesem unsern Murren - und fürchtet sich wenig davor,) sondern das beste und einzige Mittel ist, daß wir uns durch wahre Buße von solchen unsern Sünden zu Ihm, dem HErrn, bekehren.
Wenn wir aber also nach Ihm fragen, will Er unsern Seelen auch wieder freundlich seyn - und Seinen vorher über uns entbrannten Zorn auch wieder fahren und schwinden lassen, für welche Seine Güte Ihm sey Ehre und Preis in Ewigkeit. Amen. (Veit Dieterich)

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