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Hohelied, Kapitel 4

Hohelied, Kapitel 4

4:1 Siehe, meine Freundin, du bist schön! siehe, schön bist du! Deine Augen sind wie Taubenaugen zwischen deinen Zöpfen. Dein Haar ist wie eine Herde Ziegen, die gelagert sind am Berge Gilead herab.

4:2 Deine Zähne sind wie eine Herde Schafe mit bechnittener Wolle, die aus der Schwemme kommen, die allzumal Zwillinge haben, und es fehlt keiner unter ihnen.

4:3 Deine Lippen sind wie eine scharlachfarbene Schnur und deine Rede lieblich. Deine Wangen sind wie der Ritz am Granatapfel zwischen deinen Zöpfen.

4:4 Dein Hals ist wie der Turm Davids, mit Brustwehr gebaut, daran tausend Schilde hangen und allerlei Waffen der Starken.

4:5 Deine zwei Brüste sind wie zwei junge Rehzwillinge, die unter den Rosen weiden.

4:6 Bis der Tag kühl wird und die Schatten weichen, will ich zum Myrrhenberge gehen und zum Weihrauchhügel.

4:7 Du bist allerdinge schön, meine Freundin, und ist kein Flecken an dir.
Es ist zum Staunen, wie der Herr seine Braut-Gemeinde bewundert; seine Schilderung ihrer Schönheit ist warm und glühend. Sie ist nicht nur schön, sondern allerdings schön. Er schaut sie in Ihm selber, denn Er hat sie abgewaschen in seinem sündenversöhnenden Blut und sie gekleidet in das Verdienst seiner Gerechtigkeit, und Er schauet sie an, und rühmt sie, wie sie voller Anmut und Lieblichkeit sei. Kein Wunder, dass dies also geschieht, weil Er ja in ihr nur seine eigene Vortrefflichkeit bewundert; denn die Heiligkeit, Herrlichkeit und Vollkommenheit seiner Gemeinde sind nichts anders als seine eigenen herrlichen Kleider, womit Er seine innig geliebte Braut schmückt. Sie ist nicht nur rein und wohlgestaltet; sie ist wahrhaft lieblich und schön! Sie hat wirkliche Vorzüge! Ihre Sündenmängel sind völlig geheilt und spurlos verschwunden; aber noch mehr, sie hat durch den Herrn eine Gerechtigkeit voller Tugend empfangen, durch welche ihr eine wirkliche Schönheit zu eigen geworden ist. Gläubige Seelen haben eine tatsächliche Gerechtigkeit, die ihnen geschenkt wird, wenn sie „angenehm gemacht sind in dem Geliebten.“ Auch ist die Braut-Gemeinde nicht allein lieblich, sondern sie ist über alles liebenswürdig. Ihr Herr nennt sie: „Du Schönste unter den Weibern.“ Sie besitzt eine wahrhaftige Würde und Herrlichkeit, die von keinem Adel und keinem königlichen Ansehen der Welt erreicht wird. Wenn der Herr Jesus seine Braut gegen alle Königinnen und Kaiserinnen der Erde vertauschen könnte, ja, selbst gegen alle heiligen Engel im Himmel, Er würde es nicht tun, denn sie zuerst und vor allem nennt Er die „Schönste unter den Weibern.“ Sie ist der Mond, der alle Sterne überstrahlt. Auch ist‘s nicht eine Ansicht, der Er sich schämt, denn Er ruft alle Welt auf, dass sie es vernehmen solle. Er setzt ein „Siehe“ davor, einen besondern Ausruf der Bewunderung, der die Aufmerksamkeit erregen und fesseln soll: „Siehe, meine Freundin, du bist schön, siehe, schön bist du.“ Er bezeugt und verkündigt schon jetzt seine Meinung, und einst wird Er vom Throne seiner Herrlichkeit, herab es vor der ganzen versammelten Welt bekräftigen. „Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters,“ wird seine feierliche Bestätigung der Schönheit und Lieblichkeit seiner Auserwählten alsdann lauten, „ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.“ (Charles Haddon Spurgeon)


Nachdem der Herr seine Brautgemeinde gepriesen und ihre Schönheit bezeugt hat, bestätigt Er sein Lob noch durch eine köstliche Bewahrung gegen jeden Tadel: „Und ist kein Flecken an dir.“ Gleichsam als ob dem Freunde der Gedanke durch den Sinn gegangen wäre, die argwöhnische Welt könnte vermuten, Er hätte nur ihre Reize beschrieben, aber alles mit Stillschweigen übergangen, was etwa Fehlerhaftes oder Tadelnswertes an ihr zu finden wäre. Darum fasst Er alles in das Lob ihrer unübertrefflichen, tadellosen Schönheit und in die Abwehr auch des allerleisesten Tadels zusammen. Ein Flecken kann leicht beseitigt werden, und stört am allerwenigsten von allen Mängeln den vollen Genuss der Schönheit, aber auch von diesem leisen Tadel ist der Gläubige in den Augen seines Herrn frei. Wenn Er gesagt hätte, es ist keine hässliche Runzel, keine entstellende Missgestalt, keine tödliche Eiterbeule an ihrem ganzen Wesen, so wäre das schon genug gewesen, um unsre ganze Bewunderung zu reizen; wenn Er aber bezeugt, dass sie auch vom allergeringsten Flecken frei ist, so sind alle jene gröbern Ursachen des Tadels zum voraus ausgeschlossen, und die Größe der Bewunderung wird noch erhöht. Wenn Er verheißen hätte, Er wolle nach und nach alle Flecken beseitigen, so hätten wir in alle Ewigkeit Ursache zur Freude gehabt; wenn Er aber davon spricht als von etwas schon Geschehenem, wer könnte da noch den lebhaftesten Empfindungen der Wonne und höchsten Befriedigung widerstehen? O, meine Seele, hier ist Mark und Fett für dich; iss dich satt, und erlabe dich an königlichen Leckerbissen.
Jesus Christus hat keinen Streit mit seiner Brautgemeinde. Sie irrt oft von Ihm ab und betrübt seinen Heiligen Geist, aber Er lässt nicht zu, dass ihre Fehler seine Liebe beeinträchtigen. Er straft zuweilen, aber stets nur in der liebevollsten Weise, in der gütigsten Absicht; sie heißt auch dann noch stets: „Meine Freundin.“ Er gedenkt unsrer Torheiten nie, Er hegt keine argen Gedanken von uns, sondern Er vergibt und liebt nach der Beleidigung ebenso herzlich, wie vorher. Wie gut ist‘s doch für uns, dass es so ist, denn wenn der Herr Jesus so hartnäckig an jede Beleidigung gedächte, wie wir, wie könnte Er uns noch lieb haben? Manchmal übernimmt den Gläubigen ob seiner schweren Lebensführung der Unmut, aber unser lieber Herr kennt unser albernes Herz zu gut, als dass Er sich durch unsre Unarten erzürnen ließe. (Charles Haddon Spurgeon)

4:8 Komm mit mir, meine Braut, vom Libanon, komm mit mir vom Libanon, tritt her von der Höhe Amana, von der Höhe Senir und Hermon, von den Wohnungen der Löwen, von den Bergen der Leoparden!

4:9 Du hast mir das Herz genommen, meine Schwester, liebe Braut, mit deiner Augen einem und mit deiner Halsketten einer.

4:10 Wie schön ist deine Liebe, meine Schwester, liebe Braut! Deine Liebe ist lieblicher denn Wein, und der Geruch deiner Salben übertrifft alle Würze.

4:11 Deine Lippen, meine Braut, sind wie triefender Honigseim; Honig und Milch ist unter deiner Zunge, und deiner Kleider Geruch ist wie der Geruch des Libanon.

4:12 Meine Schwester, liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, eine verschlossene Quelle, ein versiegelter Born.
Achte auf die lieblichen Namen, mit welchen der himmlische Salomo in inniger Liebe seine Braut, die Gemeinde, anredet. „Meine Schwester,“ mit mir verbunden durch Bande der Natur, teilhaftig gleicher Empfindungen und Gefühle. „Liebe Braut,“ meine Liebste und Teuerste, mit mir vereinigt durch die zartesten Bande der Liebe; meine liebliche Genossin, Teil meines eigenen Ich. „Meine Schwester,“ durch meine Menschwerdung, dadurch, dass ich Bein von deinem Bein, und Fleisch von deinem Fleisch geworden bin; „liebe Braut,“ durch ewige Erwählung meine Braut, die ich mir vertrauet habe in Gerechtigkeit. „Meine Schwester,“ die ich je und je gekannt und über die ich gewacht habe von ihrer ersten Jugend an; „liebe Braut“, auserwählt aus den Töchtern, umschlungen mit Armen der Liebe, und mir vertrauet ewiglich. - Siehe, wie wahr es ist, dass unser königlicher Verwandter sich unser nicht schämt, denn Er verweilt mit sichtbarer Wonne bei dieser doppelten Verwandtschaft mit uns. Mit doppeltem Ausdruck nennt Er uns sein eigen in dem Wörtlein „mein“ und „lieb“; wie wenn Christus mit besonderem Entzücken an dem Besitze seiner Brautgemeinde hinge. „Seine Lust ist bei den Menschenkindern“, weil diese Menschenkinder seine Auserwählten sind. Er ist gekommen, „zu suchen und selig zu machen, was verloren ist“, weil das, was verloren ist, sein Eigentum war, lange bevor es sich und Ihm war verloren gegangen. Die Brautgemeinde ist das ausschließliche Eigentum ihres Herrn; niemand sonst darf Anspruch auf sie erheben oder sich rühmen, ihre Liebe zu besitzen. O Jesu, es ist die Wonne Deiner Braut, dass es also ist! Jede dürstende Seele erquickt sich mit dem Trost, der aus diesem Brunnen reichlich quillt. Seele! Christus ist dir nahe durch Bande der Verwandtschaft; Christus ist dir teuer durch die Liebe der zärtlichsten Gemeinschaft, und du bist Ihm teuer; siehe, Er fasst dich bei beiden Händen, mit seiner Rechten und Linken, und spricht: „Meine Schwester, liebe Braut.“ Achte auf die beiden heiligen Bande, durch welche dein Herr dich doppelt an sich fesselt, auf dass Er dir bezeuge, wie Er dich ewiglich nicht wieder lassen könne noch wolle. O mein Lieber, verziehe nicht, solche heiligen Flammen seiner Liebe zu erwidern. (Charles Haddon Spurgeon)


In diesem Gleichnis tritt uns offenbar der Begriff der Heimlichkeit entgegen. Es ist eine verschlossene Quelle: so gab‘s im Morgenlande Brunnen, über welche ein Haus gebaut war, so dass niemand zur Quelle gelangen konnte, außer dem, der den verborgenen Eingang kannte; solchem verschlossenen Brunnen gleicht das Herz des Gläubigen, wenn es durch die Gnade erneuert wird: es ist ein geheimnisvolles Leben im Innern, das keine menschliche Kunst und Geschicklichkeit erschließt. Es ist ein Geheimnis, das kein andrer Mensch erkennt; ja, welches auch derselbe Mensch, der in seinem Besitz ist, seinem Nächsten nicht offenbaren kann. Unser Bild erweckt nicht nur die Vorstellung der Heimlichkeit, sondern auch die der Absonderung. Es ist keine öffentliche Quelle, aus welcher jeder Vorübergehende trinken darf, es ist eine Quelle, die vor allen Fremden und Unberechtigten verwahrt ist; es ist ein Born, der sein besonderes Zeichen trägt: eines Königs Reichs- Siegel, so dass jedermann erkennen kann, dass es kein öffentlicher Brunnen ist, sondern ein Brunnen, der einem Eigentümer zugehört und allein um seinetwillen vorhanden ist. So verhält sich‘s auch mit dem geistlichen Leben. Die Auserwählten Gottes wurden im ewigen Ratschluss ausgesondert; sie wurden von Gott am Tage der Erlösung ausgeschieden; sie sind abgetrennt von den Übrigen durch den Besitz eines Lebens, das diesen fehlt; und sie können sich unmöglich heimisch fühlen bei den Kindern dieser Welt, oder sich erquicken an den Freuden dieser Erde. Auch die Vorstellung der Heiligkeit bietet sich uns bei der Betrachtung dieses Bildes dar. Die verschlossene Quelle wird für den Gebrauch einer bestimmten Person bewahrt; und so auch des Christen Herz. Dieses ist eine Quelle, die für Jesum bewahrt wird. Jeder Christ sollte fühlen, dass er versiegelt ist mit dem Siegel Gottes, und er sollte mit dem Apostel Paulus sagen können: „Hinfort mache mir niemand weiter Mühe; denn ich trage die Malzeichen des Herrn Jesu an meinem Leibe.“ Noch eine andre Vorstellung drängt sich auf, die der Sicherheit. O, wie sicher und geborgen ist doch das innere Leben des Gläubigen! Wenn alle irdischen und himmlischen Mächte sich dagegen aufmachten, so müsste dennoch diese unsterbliche Kraft Bestand behalten, denn der dies Leben gegeben hat, hat sein eigenes Leben dargegeben zu seiner Bewahrung. (Charles Haddon Spurgeon)

4:13 Deine Gewächse sind wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen Früchten, Zyperblumen mit Narden,

4:14 Narde und Safran, Kalmus und Zimt, mit allerlei Bäumen des Weihrauchs, Myrrhen und Aloe mit allen besten Würzen.

4:15 Ein Gartenbrunnen bist du, ein Born lebendiger Wasser, die vom Libanon fließen.

4:16 Stehe auf, Nordwind, und komm, Südwind, und wehe durch meinen Garten, daß seine Würzen triefen! Mein Freund komme in seinen Garten und esse von seinen edlen Früchten.1)
Alles andre ist besser, als die tote Ruhe der Gleichgültigkeit. Unsere Seelen tun wohl und weise, dass sie sich sehnen nach dem Nordwind der Trübsal, wenn das allein dazu mag geheiligt werden, den angenehmen Duft unsrer Gnadentugenden hervorzulocken. So lange nicht muss gesagt werden: „Der Herr war nicht im Winde,“ dürfen wir nicht zusammenschrecken vor dem winterlichsten Frosthauch, der je über die Gewächse der Gnade hinfuhr. Hat sich die Braut in diesem Verse nicht demütig dem Tadel ihres Freundes unterworfen? Sie bittet Ihn einzig um seine Gnade. Ist sie nicht gleich uns über ihre unheilige Ruhe und tödliche Erstarrung so ganz und gar bestürzt, dass sie sich nach einer Heimsuchung innig sehnt, und danach seufzt, damit sie möge zur kräftigen Tat erweckt werden? Und doch verlangt sie auch nach dem erwärmenden Südwind des Trostes, nach dem lieblichen Lächeln der göttlichen Liebe, nach der Freude in der Gegenwart des Heilandes; denn dadurch werden wir oft mächtig aus dem Schlummerleben aufgerüttelt. Sie sehnt sich nach dem einen oder dem andern, oder nach beiden; nur dass sie möchte imstande sein, ihren Freund zu erfreuen mit der Würze ihres Gartens. Sie kann es nicht ertragen, dass sie soll müßig und untätig sein; auch wir können‘s nicht. Wie lieblich ist doch der Gedanke, dass der Herr Jesus ob unsern armseligen Gnadenblüten Wohlgefallen empfinden kann? Ist das möglich? O, es ist fast zu schön, um wahr zu sein. Ja, wir dürfen uns wohl nach Prüfungen der Trübsal, nach dem Tode selber sehnen, wenn uns das dazu helfen kann, unsers Immanuels Herz zu erheitern. Ach, dass unser Herz doch zu Staub zermalmt würde, wenn durch dies Zerschlagen unser geliebter Herr Jesus mag verherrlicht werden. Gnadengeschenke, die nicht verwendet werden, sind wie der liebliche Duft, der im Kelch der Blumen schlummert. Die Weisheit des großen Herrn und Meisters überwacht und leitet die verschiedensten, entgegengesetztesten Kräfte, damit sie zusammenwirken in dem einen erwünschten Ziel; Er lockt durch Trübsal und Trost die lieblichen Wohlgerüche des Glaubens, der Liebe, der Hoffnung, der Geduld, der Ergebung, der Freude und der andern herrlichen Blumen des Gartens hervor. Möchten wir aus eigener innerer Erfahrung wissen, was das bedeutet! (Charles Haddon Spurgeon)

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