Tauler, Johannes – Prophezeihungen

Tauler, Johannes – Prophezeihungen

Etliche Prophetien, oder Weissagungen Des erleuchteten Dr. Johannis Tauleri.

Von vielen Plagen und Ketzereien wider den Glauben und die Sakramente Gottes.

O, alle Menschen! nehmet mit Ernst und mit bebender Furcht wahr, und merket den großen Zorn und die lang verschuldeten Plagen der Gerechtigkeit Gottes, die in diesen Jahren schwer auf die Welt fallen, mehr denn sie in vierhundert Jahren auf die Welt je fielen, und es ist sehr zu fürchten, daß sie noch unbegreiflicher, unüberwindlicher und viel schwerer fallen werden, und das viel schwerer, als man meint; denn dieselben werden so groß und schwer fallen, daß die Leute wünschen, begehren und sprechen werden: O wehe, wären wir in den ersten Plagen gestorben, so hätten wir vielleicht die Seele erhalten; nun aber sind wir wegen Seele und Leib in großer Sorge. Die Zeichen, die da zeigen werden diese erschrecklichen, großen Plagen, sind zum Theil jene kurze, zerschnittene Kleider, die sich in mannigfaltiger Weise erneuern, nun so und nun so, mit seltsamer, ausgelassener Geberde, und das kommt vom Einbläser, der bösen Geister in der Leute Herzen, wie die heilige Hildegardis beinahe zweihundert Jahre vorhergesagt und die Welt gewarnt hat. Diese und andere Zeichen sind zehn Jahre merklich gewesen. Aber welcher Weise die Plagen seyn werden, das hat die heil. Hildegardis mit großer Unterscheidung geschrieben. Jedoch darf man es der gemeinen Welt nicht offenbaren, weil sie dessen nicht empfänglich ist, und die Plagen desto eher zu kommen, mehr gefördert als gehindert werden möchten. Aber daß gute Leute wissen, wie sie sich in den Plagen halten sollen; so wollen wir sie mit Parabeln sagen, das ist, mit Gleichnissen, wie die Plagen seyn werden. Sie werden unsern heiligen Glauben und die Sakramente und alle christlichen Ordnungen aufrühren, und die Leute werden in solchen Zweifel und in solche Irrung kommen, daß sie nicht wissen werden, wem sie die Wahrheit glauben oder vertrauen können. Das wird Gott darum verhängen, weil wir den heiligen christlichen Glauben so unachtsam und so recht untugendlich und widersinnig lange Zeit gelebt, und den würdigen Leichnam unsers Herrn, mit andern Sakramenten und alle christliche Heiligkeit, alles recht unwürdig, unlauter und unfruchtbar behandelt und empfangen haben. Darum wird es gar sorglich stehen um alle unreine, sündige und von Gott ungerührte Menschen; aber allen Menschen, die dann das T1) an der Stirne tragen (das sind alle Menschen, die mit dem lebendigen christlichen Glauben in einem wahren Anfangen oder Zunehmen sind) werden diese Plagen nicht schaden können. So schreibt auch der heilige Johannes im 9. Kapitel der Apokalypsis, wo alle diese Plagen mit verdeckten Worten stehen, die uns aber Gott durch die heilige Hildegardis gar merklich entdeckt hat.

Nun der getreue Rath (der uns durch diese heilige Hildegardis geoffenbaret worden) für alle Diejenigen, die in den sorglichen Zeiten leben werden, und die Meinung des Rathes ist: „daß wir mit unserer alten, kalt gemachten Mutter, der heiligen Kirche, gelassen, geduldig und demüthig uns leiten sollen, mit williger, gehorsamer Unterworfenheit unter alle ihre Ordnungen und alle Lehren, die uns öffentlich auf dem Stuhle durch die Lehrer bisher gelehrt worden sind, und daß wir auch keiner andern Lehre glauben sollen, wenn uns auch die Engel vom Himmelreich eine andere lehren wollten, wie wir auch von unserm Herrn Jesu Christo in dem Evangelium gewarnt sind, da er sprach: Auf Mosis Stuhl saßen Schriftgelehrte und Pharisäer; was sie sagen, das sollt ihr thun nach ihren Worten und nicht nach ihren Werken. So sprach auch der heilige Paulus: Wenn auch ein Engel vom Himmel käme und euch ein anderes sagte, als euch bisher gesagt ist, das soll immerhin verbannt und unwahr seyn. Die grundlose Barmherzigkeit Gottes müsse uns eine lebendige Aufrechthaltung in dem Glauben Christi seyn. Amen. Dieß ward geschrieben, da man zählte tausend dreihundert und acht und vierzig Jahre vor unseres Herrn Geburt.“

Liebe Kinder! seyd deß sicher; bessern wir uns nicht, so werden die Plagen schwer auf uns fallen, daß ein solches Treiben und Jagen kommen wird, daß man des jüngsten Tages dabei gedenken wird. Die nun in viel großer Freude sind, werden große Bedrängnisse leiden, und es wird Gottes Wort verkehrt, und Gottes Dienst viel verfremdet werden, der Eine her, der Andere hin laufen, und man wird nicht wissen, wie es gehen wird; aber da wird der getreue Gott doch ein Nestlein finden, wo er die Seinen enthalten wird. Darum lernet euch leiden und lassen, und höret eures Vaters Stimme, was er in euch spricht, und euerer Mutter Stimme auswendig, das ist die heilige Kirche; denn diese zwei Stimmen sind Eine Stimme. Wer diese Stimme nicht erkennen lernt, der muß verderben; denn es wird noch eine falsche Stimme kommen, und wird alle Menschen verführen, welche die väterliche Stimme nun nicht hören wollen. Die väterliche Stimme spricht durch der Mutter Stimme, die heilige Kirche, in allen ihren Lehren, Rathen und Geboten. Wehe und wehe Allen, die diese Stimme nicht hören, daß sie sich nieder und klein finden! Denen wird die Stimme des leidigen Verzweifeln's eingesprochen werden, und die falschen Lehrer werden ihnen auch sagen, daß es alles falsch ist, was die Lehrer der Wahrheit hier je gelehrt haben. Die nun in ihren Grund nicht niedergestiegen sind, aber auf ihrem Gutdünken und eigenen Behagen an ihren subtilen behenden Sinnen bleiben, wisset, daß diese alle betrogen werden, und daß alles das sie falsch dünken wird, womit die heilige Kirche umgeht. Das kommt aus ihrem falschen Grunde, daß sie den wahren, lebendigen Grund in sich nicht finden. Kleinheit oder Demüthigkeit und Gott lieb haben vor Allem, vor Allem, liebe Kinder! das ist der rechte Grund alles Guten. Ach! wüßtet ihr, in welchen Aengsten und Sorgen es um die Welt stehen wird und um alle diejenigen, die Gott in ihrem Grunde nicht lauter anhangen, oder die zum Wenigsten Gottes Freunden nicht anhangen, wie greulich es ihnen ergehen wird (wie kürzlich den wahren Freunden Gottes geoffenbaret worden ist), und wie der wahre Glaube untergehen wird; wüßtet ihr das, eure natürlichen Sinne könnten es nimmer erleiden. Die das erleben, mögen gedenken, daß ihnen dieß vorhergesagt worden ist.

1)
Im 9. Kapitel Ezechiel befiehlt Gott, alle Götzendiener in Jerusalem zu tödten, die schuldlosen Juden aber mit T zu zeichnen und sie zu schonen, welcher Buchstabe die hebräischen Worte „Gesetz“ oder „Du sollst am Leben bleiben“ beginnt.
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