Spurgeon, Charles Haddon - Das 1. Wort: Vergebung

Spurgeon, Charles Haddon - Das 1. Wort: Vergebung

Jesus sprach: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“
Lukas 23,34

In diesem Augenblick durchlitt unser Herr die ersten Qualen der Kreuzigung; eben gerade hatten die Henker die Nägel durch seine Hände und Füße getrieben. überdies muss er sehr entmutigt und geschwächt gewesen sein durch den nächtlichen Kampf in Gethsemane, durch Auspeitschung und rohen Spott, den er den ganzen Morgen hindurch von Kaiphas, Pilatus, Herodes und der Prätorianerwache erduldet hatte. Und doch, weder die erlittene Schwächung noch die zu erwartenden Schmerzen konnten ihn daran hindern, im Gebet fortzufahren. Das Lamm Gottes schwieg sich aus vor Menschen, aber es schwieg nicht Gott gegenüber. Stumm wie ein Lamm vor seinem Scherer, sagte unser Herr nicht ein einziges Wort zu seiner Verteidigung; er fuhr fort, in seinem Herzen zum Vater zu rufen. Kein Schmerz und keine Schwäche kann seine heilige Fürbitte zum Verstummen bringen. Welch ein Vorbild! Lasst uns fortfahren mit Beten, solange unser Herz schlägt. Kein Leiden, sei es auch noch so schwer, soll uns abdrängen vom Thron der Gnade. Leiden wollen uns ihm nur noch näherbringen. In einem Liede heißt es: „Solang sie leben, sollen Christen beten; denn nur wenn sie beten, leben sie.“

Wenn wir aufhören zu beten, verzichten wir auf die Tröstungen, die wir brauchen. So verzagt wir auch sein mögen, so sehr wir auch darniederliegen, großer Gott, hilf uns, dass wir auch dann noch beten! Niemals soll Verzweiflung uns vertreiben vom Thron der Gnade.

Unser hochgelobter Erlöser verharrte im Gebet, selbst als das kalte Eisen seine Sehnen durchschnitt und Hammerschlag auf Hammerschlag Leib und Seele erschütterte. Diese Ausdauer und dieses Durchhalten rührten wohl daher, dass er zu sehr ans Beten gewöhnt war, um wieder davon lassen zu können. Seine Fürbitte hatte ein solches Gefälle gewonnen, dass Unterbrechungen unmöglich waren. Jene langen, kalten Nächte auf den Höhen, die vielen Tage in der Einsamkeit, die unablässigen Stoßgebete zum Himmel hinauf, all das hatte ihm zu einer festen, kraftvollen Gewohnheit verholfen, gegen die selbst die ärgsten Stürme nichts ausrichten konnten. Aber es war mehr als eine Gewohnheit. Unser Herr war eingetaucht in den Geist des Gebetes. Er lebte im Gebet, das Gebet lebte in ihm. Beten war zu einem Bestandteil seiner Natur geworden. Unser Herr glich einem kostbaren Gewürz. Wenn man es zerstößt, so verliert es nicht etwa seinen Duft, sondern strömt ihn mit jedem Stoß des Stößels nur noch stärker aus. Denn sein Wohlgeruch haftet nicht an der Oberfläche; er ist ein Teil seines Wesens. Das Zerstoßen im Mörser setzt den Duft frei und sorgt dafür, dass sein süßes Geheimnis offenbar wird. Wie ein Bündel Myrrhe seinen Duft ausströmt oder wie ein Vogel singt, weil er gar nicht anders kann, so betete Jesus. Das Gebet umhüllte seine Seele wie ein Gewand, und so geschmückt, trat sein Herz hervor. Ich wiederhole: Lasst uns von unserem Herrn lernen, niemals aufhören zu beten, unter keinen Umständen, wie schwer auch die Versuchung und wie niederdrückend auch die Belastungen sein mögen.

Beachte ferner, dass unser Herr in diesem Gebet unerschütterlich daran festhält, dass er Gottes Sohn ist. Die äußerste Versuchung, der er sich freiwillig aussetzte, konnte ihn nicht bewegen, diese Überzeugung aufzugeben. Er eröffnet sein Gebet mit einem „Vater“. Nicht ohne Absicht lehrte er auch uns beten: „Unser Vater“. Ob unser Gebet etwas ausrichtet, das wird weithin davon abhängen, wie viel Zuversicht wir gewinnen aus unserem Verhältnis zu Gott. Wenn Verlust und Kreuz uns treffen, sind wir versucht zu denken, dass Gott uns nicht wie ein Vater behandelt, sondern wie ein unnachsichtiger Richter, der einen Verbrecher verurteilt. Aber der Gebetsruf Christi in einer Lage, in die wir niemals geraten, verrät kein Schwanken und keinen Zweifel im Blick auf die Sohnschaft. In Gethsemane, als blutiger Schweiß zu Boden fiel. eröffnete er seinen Notschrei-es möge, wenn möglich, der bittere Kelch an ihm vorübergehen-mit den Worten: „Mein Vater“. Selbst nach einer dunklen und schmerzerfüllten Nacht, in der er immer wieder Gott angerufen hatte, rechnete er mit Gott als mit dem Vater. Und hier wieder, in dem ersten seiner sieben Worte am Kreuz, heißt es: „Vater“. Dass doch der Geist, der uns sprechen lässt: „Abba, lieber Vater“ (Röm. 8,15), niemals aufhöre zu wirken! Mögen wir um keinen Preis Gefangene der versucherischen Frage werden: „Bist du Gottes Sohn …?“ (Mat. 4,3) -oder, falls der Versucher uns damit anfallen sollte, lasst uns triumphieren, wie Jesus triumphierte in der brotlosen Wüste. Möge der Geist, der in uns ruft: „Abba, lieber Vater“, jede glaubenslose Furcht vertreiben. Werden wir gezüchtigt, wie es ja sein muss (denn welchen Sohn züchtigt der Vater nicht?), so wollen wir uns dem Vater, der uns den Geist gibt, in Liebe unterwerfen und -leben. Doch auf keinen Fall wollen wir Gefangene des Geistes der Unfreiheit werden, indem wir an der Liebe unseres barmherzigen und gnädigen Vaters und an unserer Gotteskindschaft zweifeln.

Noch bemerkenswerter ist die Tatsache, dass unser Herr nicht für sich selbst betete. Gewiss, auch am Kreuz hörte er nicht auf, für sich zu beten, und sein Klageruf: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? “(Mk. 15,34) beweist, wie persönlich sein Gebet war. Aber der erste der sieben Gebetsrufe am Kreuz nimmt kaum auch nur indirekt Bezug auf den Betenden selbst. Er heißt: „Vater, vergib ihnen.“ Die Bitte gilt ausschließlich anderen. Obwohl dieses Wort eine Anspielung enthält auf die Grausamkeiten, die man ihm zufügt, ist sie doch kaum vernehmbar. Dir wird auffallen, dass er nicht sagt: „Ich vergebe ihnen.“ Es wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Er scheint den Blick dafür verloren zu haben, dass man ihm persönlich Unrecht tut. Das Unrecht gegenüber dem Vater beschäftigt ihn, und dass sie sich in der Person des Sohnes gegen den Vater vergehen. Er denkt nicht an sich selber. Die Bitte: „Vater vergib ihnen“ ist völlig selbstlos. In seinem Beten ist er, als wäre er gar nicht. So vollständig hebt er sich selber auf, dass er sich und sein Leiden aus den Augen verliert. Wenn es im Leben des Menschensohnes jemals Zeiten gab, in denen er sein Gebet einfach auf sich selber hätte beschränken können, ohne einen Vorwurf zu riskieren, dann war es zu Beginn seines Todeskampfes. Ist es verwunderlich, wenn jemand, auf den Scheiterhaufen gebunden oder an das Kreuz geheftet, zunächst, zuletzt, überhaupt und ausschließlich um Hilfe für sich selber bittet? Doch seht, der Herr Jesus eröffnete sein Gebet mit der Bitte für andere. Spürst du nicht, welch ein Herz sich hier offenbart? Welch ein Mitleid erfüllte den Gekreuzigten! Wie sehr Gottes Art, wie göttlich! Gab es jemals einen, der wie er, selbst unter Todesqualen, aus einem Gebet sogleich eine Fürbitte machte? Werdet auch ihr so selbstlos, meine Brüder. Denkt nicht immer nur an euch selber, denkt an die anderen. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Suche Christus nachzufolgen, in seine Fußstapfen zu treten, der dir ein solches Beispiel an Selbstlosigkeit gegeben hat.

Doch eine Perle übertrifft alle anderen in dieser Krone herrlicher Liebe. Die Sonne der Gerechtigkeit geht bei Golgatha unter in wunderbarem Glanz. Aber unter den leuchtenden Farben, die ihren Abschied verherrlichen, ist vor allem diese-das Gebet galt nicht nur anderen, es galt den grausamsten Feinden Christi. Sagte ich „den Feinden Christi“? Wir müssen noch eine weitere Überlegung anstellen. Es waren keine Feinde, die ihm vor Jahren einmal etwas Böses angetan hatten, sondern solche, die ihn hier und jetzt mordeten. Der Heiland tat die Fürbitte nicht erst, als das Unrecht bereits wieder vergessen war und als es eine Kleinigkeit war zu vergeben. Während die ersten roten Blutstropfen aus den durchlöcherten Händen spritzten und während der Hammer sich scharlachrot färbte, öffnete sich der heilige Mund zu einem herzenswarmen Gebet: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“ Ich will damit nicht sagen, dass sich dieses Gebet auf die Soldaten beschränkte, die das Todesurteil vollstreckten. Ich bin überzeugt, dass es sich um ein Gebet handelte, das Schriftgelehrte und Pharisäer, Pilatus und Herodes, Juden und Heiden-ja, die ganze Menschheit einschloss, weil wir alle mitbetroffen sind in diesem Mord. Aber in erster Linie waren die Menschen gemeint, die dort und damals den Herrn brutal an das Kreuz der Verfluchten schlugen; über sie ergoss sich sein Gebet wie kostbares Öl.

Wie abgrundtief ist das Gebet! Es ist unübertroffen. Kein anderes gleicht ihm. Es stimmt, auch Abraham, Moses und die Propheten taten Fürbitte für die Übeltäter, doch nicht für solche, die ihnen Hände und Füße durchbohrten. Es stimmt, dass Christen seit jenem Tage dieses Gebet wiederholten. Stephanus rief: „Herr, behalte ihnen diese Sünde nicht!“ (Apg. 7,19). Manch ein Märtyrer auf dem Scheiterhaufen legte zuletzt noch Fürbitte für seine Verfolger ein. Aber wir wissen, von wem sie es lernten. Doch lasst mich fragen, von wem er es lernte. Von keinem! War er nicht das göttliche Original? Das Gebet ergab sich schlechthin aus seiner göttlichen Natur. Ein Mit-Leiden, das ihm und nur ihm eigentümlich war, legte ihm dieses Gebet, das kein Vorbild kennt, in den Mund. Seine königliche Liebe ließ ihn dieses erinnerungswürdige Fürbittegebet sprechen, das uns zum Vorbild dienen kann, für das es aber kein Vorbild gibt. Ich möchte ihn anbeten und ihm deshalb göttliche Verehrung erweisen. Wenn ich sonst nichts von ihm wüsste als nur dieses eine Gebet, ich müsste ihn anbeten. Denn diese unübertreffliche Bitte um Gnade überzeugt mich mehr als alles andere von der Göttlichkeit dessen, der sie aussprach, und erfüllt mein Herz mit Ehrfurcht und Zuneigung.

Somit habe ich euch das erste Gebet unseres Herrn, das am Kreuz laut wurde, vorgestellt. Ich werde es nun, wenn Gott uns hilft durch seinen Geist, anzuwenden versuchen. Zunächst wollen wir es ansehen als ein Beispiel für die Fürbitte unseres Heilandes; dann als eine Anweisung für den Dienst der Gemeinde; schließlich als eine Ermunterung für unbekehrte Menschen.

Ein Beispiel für die Fürbitte unseres Herrn

Er betete für seine Feinde damals, er betet für seine Feinde heute. Was am Kreuz geschah, war beispielhaft für das Werk auf dem Thron. Christus befindet sich nun an höherem Ort und in besserer Lage, aber seine Tätigkeit ist dieselbe. Noch immer tritt er vor dem ewigen Thron fürbittend ein für schuldige Menschen und ruft: „Vater, vergib ihnen.“ Seine Fürsprache insgesamt gleicht in gewisser Weise der Fürbitte auf Golgatha. Das Gebet auf Golgatha kann uns deshalb helfen, das Wesen der Fürbitte auf dem Thron richtig zu erfassen.

Das erste Merkmal der Fürbitte ist außerordentliche Güte. Die Menschen, für die der Herr nach unserem Bericht betend eintrat, verdienten sein Gebet nicht. Sie hatten nichts getan, das ihn veranlassen konnte, sie zu segnen und zu belohnen. Im Gegenteil, es waren Menschen, die sich verschworen hatten, ihn zu töten. Sie hatten ihn gekreuzigt; und sie kreuzigten ihn in böser Lust. Ja, in diesem Augenblick nahmen sie ihm sein unschuldiges Leben. Seine Klienten waren nicht wert, dass er für sie auch nur einen Gedanken verschwendete. Sie baten ihn nicht darum, für sie einzutreten. Das wäre das Letzte gewesen, was sie sich gewünscht hätten: „Tritt ein für uns, du sterbender König. Bitte für uns, du Sohn Gottes.“ Ich neige zu der Annahme, dass das Gebet von ihnen entweder gar nicht beachtet, gleichgültig hingenommen oder bespöttelt wurde. Vielleicht trauen wir es jenen Menschen nicht zu, dass sie über ein solches Gebet lachten, und doch geschahen unter dem Kreuz Dinge, die brutal genug waren. Ich kann mir denken, dass auch so etwas geschah.

Unser Heiland betete für Menschen, die es nicht wert waren, die Fluch verdienten; für Menschen, denen nichts an Fürbitte lag, die sich darüber lustig machten. So steht auch jetzt im Himmel der große Hohepriester da und legt Fürbitte ein für schuldige Menschen -für schuldige Menschen! Es gibt niemand auf Erden, der Fürbitte verdient hat. Jesus Christus tritt für keinen ein, weil er es verdient hat. Er steht dort als der Einzige, der für die Ungerechten fürbittet. Nicht wenn jemand rechtschaffen ist, sondern „Ob jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist“ (1. Joh. 2,1). Vergiss auch nicht, dass unser großer Fürsprecher selbst für die eintritt, die ihn nicht darum bitten. Seine Erwählten, noch tot in Sünden und Übertretungen, sind Gegenstand seiner leidenschaftlichen Fürsprache. Sogar während sie sich über das Evangelium lustig machen, erfleht sein liebevolles Herz die Gunst des Himmels für sie herab. Wenn das stimmt, solltest du alles daransetzen, dass der Herr Jesus Christus dich in Fürbitte vor Gott vertritt. Einige unter euch haben den Heiland unter vielen Tränen und mit großem Ernst um Fürsprache gebeten. Wird er euch abweisen? Die Möglichkeit besteht durchaus. Doch er bittet sogar für solche, die seine Bitten zurückweisen; wie viel mehr wird er für euch bitten, denen so viel daran gelegen ist. Wenn nichts Gutes in dir ist und wenn du durch und durch schlecht bist, kann doch nichts Christus daran hindern, dein Fürsprecher zu sein. Sogar für dich will er Fürbitte einlegen. Komm und vertraue ihm deinen Fall an. Er wird auch dann noch mildernde Umstände erwirken, wenn du mit deiner Kunst am Ende bist. Er wird deine Angelegenheit vor Gott bringen, so wie er es bei seinen Mördern tat: „Vater, vergib ihnen.“

Ein zweites Merkmal seiner Fürsprache ist die Sorgfalt. Sie zeigt sich ebenfalls in den Worten: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Unser Erretter durchforschte die Herzen seiner Feinde durch und durch, um zu entdecken, was er zu ihren Gunsten vorbringen könnte. Aber er fand nichts, bis sein gütiges Auge auf ihre Unwissenheit stieß: „Sie wissen nicht, was sie tun.“ Wie gewissenhaft untersuchte er die Umstände und die Person derer, für die er eintrat! Ebenso jetzt im Himmel. Christus ist kein schludriger Rechtsbeistand. Er kennt deine Lage genau, sieht den Zustand deines Herzens und weiß um die Versuchung, die du gerade durchstehst. Mehr noch: Er sieht die Versuchung kommen. Fürbittend nimmt er Notiz von dem kommenden Ereignis. „Simon, Simon, siehe, der Satan hat euer begehrt, dass er euch möchte sichten wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre“ (Luk. 22,31f.). Welch eine liebevolle Herablassung unseres großen Hohenpriesters! Er kennt uns besser als wir selber. Er versteht den geheimen Schmerz. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen wegen der rechten Formulierung deines Gebetes; er wird es in die passenden Worte kleiden. Auch was das rechte Verständnis angeht-solltest du darin versagen, er niemals. Er weiß, was in Gottes Absicht liegt; er weiß auch, was in dir vorgeht. Er kann auch bei dir einen Anknüpfungspunkt für die Gnade finden, den du selber niemals entdecken wirst. Wenn es so finster und dunkel um deine Seele ist, dass deinen Bitten der Boden entzogen ist und du keine Möglichkeit mehr siehst, sie an den Himmel dringen zu lassen -unser Herr hat die Bitten bereits überarbeitet und bringt sie erhörlich vor den Gnadenthron. Seine Fürsprache ist, wie du selbst erfahren kannst, gütig und wohl überlegt.

Als Nächstes merken wir uns den Ernst und die Entschlossenheit. Niemand, der die leidenschaftlichen Worte liest: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun“, bezweifelt, dass sie den Himmel stürmen können. Brüder, ihr dürft absolut sicher sein, dass es Christus mit jedem Gebet völlig ernst ist. Das lässt sich nachweisen. Entschlossene Menschen sind für gewöhnlich gewitzt und schnell bei der Hand, ihren Vorteil zu entdecken. Wenn es vor Gericht um dein Leben geht und dir nur ein durchschlagendes Argument das Leben retten kann, dann wirst du zweifellos nach einem suchen, das niemand sonst einfällt. Jesus war zum Äußersten entschlossen, seinen Feinden das Leben zu retten. Darum brachte er einen Grund für die Begnadigung vor, auf den ein weniger engagierter Geist niemals gekommen wäre: „Sie wissen nicht, was sie tun.“ Das ist im strengen juristischen Sinn ein zweifelhaftes Argument. Unwissenheit (die beabsichtigt ist!) gilt nicht als mildernder Umstand. Viele der Menschen unter dem Kreuz wollten nicht wissen, worum es geht! Sie hätten wissen können, dass Jesus der Herr der Herrlichkeit ist. War Mose nicht deutlich genug? Hat Jesaja nicht eindeutige Worte gefunden? Gab es nicht Hinweise und Zeichen, die man ebensowenig anzweifeln konnte wie die Sonne am Firmament?

Trotzdem verwandelte der Heiland mit Konsequenz und Geschicklichkeit in einen Milderungsgrund, was keiner zu sein schien. Er formulierte es so: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Wie wirkungsvoll müssen seine Bitten nun erst recht im Himmel sein! Denke nur nicht, dass seine Fürbitte dort weniger verständnisvoll, eindrücklich und eindringlich ist. Nein, Christi Herz ringt immer noch mit dem ewigen Gott. Er ist kein verschlafener Rechtsanwalt. Um Zions willen gibt er keine Ruhe, und um Jerusalems willen gibt er nicht nach, bis ihre Gerechtigkeit strahlend hervortritt und ihr Heil wie eine brennende Lampe ist.

Viertens ist zu bemerken, dass dieses Gebet auf die Beständigkeit, Beharrlichkeit und Dauer der Fürsprache Christi im Himmel schließen lässt. Wie ich schon bemerkte: Wenn unser Heiland seine Fürbitte hätte unterbrechen wollen, dann in dem Augenblick, als man ihn ans Kreuz schlug; als die Feinde an seiner göttlichen Person schuldig wurden. Aber die Sünde ist nicht imstande, die Zunge unseres fürbittenden Freundes zu binden. Welch ein Trost! Du hast gesündigt, du hast Gottes Geist betrübt, aber du kannst den Mund nicht zum Schweigen bringen, der für dich gutspricht. Vielleicht hast du keine Frucht gebracht, mein Bruder. Wie ein erstorbener Baum müsstest du abgeschlagen werden. Aber deine Nutzlosigkeit lässt den Fürsprecher keinesfalls aufgeben; in diesem Augenblick tritt er dazwischen mit der Bitte: „Herr, lass ihn noch dies Jahr“(Luk. 13,8).

Sünder, du hast Gott herausgefordert, indem du seine Gnade hartnäckig zurückgewiesen und dich immer mehr ins Böse hineingesteigert hast. Aber weder Gotteslästerung noch Ungerechtigkeit, noch Untreue werden Christus davon abhalten, selbst für den übelsten Sünder einzutreten. Christus lebt. Weil er lebt, legt er Fürbitte ein. Solange es einen Sünder auf Erden gibt, der auf Rettung angewiesen ist, wird es einen Fürsprecher im Himmel geben, der für ihn eintritt. Dies sind nur einige zufällige Gedanken, aber sie werden hoffentlich helfen, dass du dir klar wirst über das Fürspracheamt des großen Hohenpriesters.

Das Gebet des Herrn auf Erden gleicht dem Gebet im Himmel ferner durch seine Weisheit. Christus wollte erreichen, was der Klient am meisten nötig hat und was ihm am besten dient: „Vater, vergib ihnen.“ Das war der entscheidende Punkt. Vor allem anderen bedurften sie der Vergebung Gottes. Der Herr sagte nicht: „Vater, erleuchte sie, denn sie wissen nicht, was sie tun“, denn bloße Einsicht hätte ihr Gewissen in Qualen gestürzt und sie selbst in die Hölle. Er rief: „Vater, vergib.“ Die Tropfen kostbaren Blutes, die aus den Wunden quollen, unterstützten die Bitte, und Gott erhörte und vergab ohne jeden Zweifel. Die erste Gnade, auf die Sünder angewiesen sind, ist Vergebung der Sünden. In seiner Weisheit bittet Christus um die Gabe, die am vordringlichsten ist. So ist es auch im Himmel. Der Herr bittet weise und klug. Überlass es ihm; er weiß, was er der göttlichen Hand abzubitten hat. Tritt an den Stuhl der Gnade heran und breite deine Wünsche aus, so gut du kannst. Hast du es getan, so sprich: „Mein Herr Jesus, erfülle mir keinen Wunsch, der nicht deinem Willen entspricht. Wenn ich nicht bedenke, was ich wirklich brauche, so lösche die Bitte aus, denn du bist unendlich weiser als ich.“

Es ist wundervoll, einen Freund beim Gericht zu haben, der unsere Bittgesuche überarbeitet und in die angemessene Form bringt, bevor sie dem großen König vorgelegt werden. Ich bin davon überzeugt, dass vor Gott nur vollkommene Gebete gelangen. Vor den, der unser aller Vater ist, kommt kein Gebet, das fehlerhaft ist. Nichts fehlt, nichts muss ausradiert werden. Das hat seinen Grund nicht darin, dass die Gebete von vornherein vollkommen sind. Der Mittler Jesus Christus vervollkommnet sie in seiner unbegrenzten Weisheit, so dass sie, nach dem Wesen und Willen Gottes geformt, vor den Gnadenthron gelangen. Gott wird nicht zögern, solche Gebete zu erhören.

Das Gebet unseres gekreuzigten Herrn gleicht der Fürsprache des Erhöhten auch im Gewicht. Viele von denen, für die er betete, empfingen Vergebung. Weißt du noch, wie der Herr seinen Jüngern befahl, seine Zeugen zu sein „zu Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde“(Apg. 1,8); wie am Pfingsttage Petrus mit den Elfen sich erhob und die Menge beschuldigte, den Heiland gekreuzigt und getötet zu haben, und wie dann dreitausend von ihnen, denen mit Recht die Kreuzigung des Herrn vorgeworfen wurde, an ihn gläubig und auf seinen Namen getauft wurden? Das war eine Erhörung des Gebets Jesu. Die Priester trugen die letzte Verantwortung für den Mord an unserem Herrn, sie waren vor allem schuldig, und doch heißt es: „Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam“(Apg. 6,7). Das war eine weitere Erhörung des Gebetes.

Da alle Menschen im Zuge der Stellvertretung Anteil haben am Tod Jesu, Heiden wie auch Juden, wurde das Evangelium zunächst den Juden verkündigt und kurze Zeit darauf auch den Heiden. Gleicht das Gebet: „Vater, vergib ihnen“ nicht einem Stein, der in den See geworfen wird? Zunächst bildet sich ein kleiner Kreis, dann ein größerer und so weiter, bis schließlich der ganze See bedeckt ist mit Wellenringen. Dieses Gebet, hineingeworfen in die Welt, formte zunächst den kleinen Kreis jüdischer Bekehrter und dann den größeren Kreis aus Menschen des weiten Römischen Reiches. Heute erstreckt sich der Wirkungsbereich der Botschaft über die ganze Erde, so dass Tausende und Abertausende gerettet werden durch das Gewicht und die Bedeutung dieser einen Fürbitte: „Vater, vergib Ihnen.“ Gewiss ist es so auch im Himmel. Der Herr bittet niemals vergebens. Mit blutenden Händen errang er den Sieg. Obwohl seine Füße ans Holz geheftet waren, ging er als Sieger hervor. Verlassen von Gott und verachtet vom Volk, setzte er sich doch triumphierend mit seinen Bitten durch-wie viel mehr heute, wo die Krone sein Haupt bedeckt, seine Hand das Weltzepter ergreift, seine Füße mit silbernen Sandalen bekleidet sind und er zum König über alle Könige und Herren erhoben ist.

Wenn Tränen und Geschrei, in Schwachheit hervorgebracht, allmächtig waren, wie viel mächtiger muss sich dann-wenn eine Steigerung noch möglich ist-die geheiligte Autorität, die Christus als der Auferstandene hat, erweisen, wenn er vor dem Thron des Vaters steht und sich auf den Bund beruft, den der Vater mit ihm gemacht hat. Ihr Gläubigen, die ihr zittert und zagt, vertraut euch und eure Anliegen ihm an! Kommt hierher, ihr Schuldbeladen, und bittet ihn, dass er euren Fall übernehme! Die ihr nicht beten könnt, eilt herzu und bittet ihn, für euch einzutreten! Ihr Mutlosen, kommt zu dem, der seine Verdienste zu euren Gebeten auf die Waage legen wird, so dass sie den Ausschlag geben! Der Herr wird eure Gebete erhören. Ich habe nun genug Raum geschaffen für euer Nachdenken; darum wollen wir diesen Punkt jetzt verlassen.

Eine Dienstanweisung an die Gemeinde

Wie Christus einmal in der Welt war, so soll es heute seine Gemeinde sein. Christus kam nicht in die Welt, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen; nicht um sich hofieren zu lassen, sondern um Menschen zu erretten. Seine Gemeinde wird, wenn sie ihren Dienst recht versteht, wissen, dass sie nicht hier ist, um Reichtum und Ehre zu sammeln oder um sich Achtung und Stellung in dieser Zeit zu verschaffen. Sie soll auf Erden selbstlos leben und, wenn nötig, selbstlos sterben für die Errettung der verlorenen Schafe, für die Erlösung sündiger Menschen. Christi Gebet am Kreuz war durch und durch selbstlos. Der Herr nahm darin keinen Bezug auf sich selber. So sollte auch das Gebet sein, das im Leben der Gemeinde zum Ausdruck kommt, nämlich das tatkräftige Eintreten der Gemeinde für die Sünder. Sie soll nicht für ihre Prediger oder für sich selber leben, sondern stets für die verlorenen Menschenkinder. Kannst du dir vorstellen, dass Gemeinden nur zu dem Zweck gegründet werden, einen Prediger zu unterhalten? Dass die Gemeinde nur dazu da ist, die Gehälter für ihre leitenden Männer aufzubringen? Meine Brüder, wenn sich der Zweck einer Gemeinde darin erschöpft, ist es besser, man schafft sie ab.

Gemeinden sind nicht dazu geschaffen, dass redegewandte Männer sich am Sonntag erheben, Vorträge halten und ihr täglich Brot von ihren Bewunderern verdienen. Es geht um etwas ganz anderes. Stätten der Anbetung werden nicht gebaut, damit du dich bequem hinsetzen und dir etwas anhören kannst, das den Sonntag verschönt. Eine Gemeinde, die nicht wohltut in den Wohnhöhlen und Elendsvierteln der Städte, ist eine Gemeinde ohne jede Daseinsberechtigung. Eine Gemeinde, die nicht dem Heidentum entgegentritt, das Böse bekämpft, Irrlehren überwindet, Lüge ans Licht bringt; eine Gemeinde, die sich nicht auf die Seite der Armen stellt, Ungerechtigkeit anprangert und Gerechtigkeit öffentlich vertritt, hat keine Existenzberechtigung. Nicht für dich selber, liebe Gemeinde, bist du da, so wenig, wie Christus für sich selber da war. Sein Ruhm war es, dass er auf Ansehen und Würde verzichtete, und die Gemeinde wird ebenfalls ihren Ruhm darin finden, dass sie darauf verzichtet und es sich als eine Ehre anrechnet, die Ausgestoßenen zu sammeln und inmitten von Schmutz und Schlamm nach den kostbaren Perlen zu suchen, für die Jesus sein Blut vergoss. Seelen von der Hölle zu erretten und zu Gott zu führen-zur Hoffnung, zum Himmel-das ist ihr himmlischer Beruf. Dass sich die Gemeinden dessen immer bewusst wären! Lasst ihr die Bischöfe und die Prediger, lasst sie ihre Bischöfe und Prediger unterstützen und lasst um Christi willen alles ordentlich und anständig zugehen, aber sorgt dafür, dass das Entscheidende geschieht: die Bekehrung der Haltlosen, Unterrichtung der Unwissenden, Hilfe für die Armen, Aufrechterhaltung des Rechts, Überwindung des Unrechts und Abwehr aller Gefahren für Königtum und Krone unseres Herrn Jesus Christus.

Das Gebet Christi war auf ein großes geistliches Ziel ausgerichtet. Nur das wird für die Leute unter dem Kreuz erbeten, was ihre Seelen betrifft: „Vater, vergib ihnen.“ Ich meine, die Gemeinde tut gut daran, wenn sie bedenkt, dass sie nicht mit Fleisch und Blut, mit Fürstentümern und Gewalten zu kämpfen hat, sondern mit geistlicher Bosheit; dass sie nicht Stadtverwaltungen unterstützen oder Tyranneien stürzen, sondern eine geistliche Herrschaft aufrichten soll, die die Herzen für Christus erobert und den Verstand unter den Befehl seiner Wahrheit bringt. Ich bin überzeugt, dass die Gemeinde es umso besser tut, je mehr sie sich -vor Gott! -um Vergebung für die Sünder müht; je mehr sie sich Mühe gibt, durch ihr Leben und Gebet die Sünder zu lehren, was Sünde, Blut Christi, Himmel und Hölle bedeuten.

Vorwärts, Brüder, wie ein Mann, dass ihr die Vergebung der Sünden ergründet. Zögert nicht, bekämpft das Übel, das der Menschheit so zu schaffen macht. Sorgt für Nüchternheit, unterstützt die Erziehung, setzt euch für kirchliche und politische Reformen ein, soweit ihr Zeit und Kraft dazu habt-aber die vornehmste Aufgabe jedes christlichen Mannes und jeder christlichen Frau ist auf Herz und Gewissen der Menschen gerichtet. Lass dich nicht davon abbringen, die göttliche Botschaft weiterzusagen, dass Gnade da ist für jeden. Das ist deine erste und letzte Aufgabe. Sage den Sündern, dass die Sünde sie zugrunde richten wird, dass Christus allein die Sünde überwinden kann. Lass dieses Gebet deine Leidenschaft werden: „Vater, vergib ihnen! Vergib ihnen! Lass sie wissen, wie man Vergebung empfängt. Lass mir genügen, dein Werkzeug zu sein und Sünder auf den Weg der Vergebung zu bringen, selbst die Schuldigsten unter ihnen.“ Das Gebet unseres Heilands lehrt die Kirche, dass ihre Mission und ihr Auftrag keine Grenzen hat. Christus betete für die Bösen, ich möchte sagen, für die Allerbösesten, für die respektlose Rotte, die sich um sein Kreuz drängte. Er betete für die Unwissenden. Sagte er nicht: „Sie wissen nicht, was sie tun“? Er betete für seine Verfolger. Wer ihm am feindseligsten gegenüberstand, lag ihm am meisten am Herzen. Gemeinde Gottes, deine Sendung gilt nicht den wenigen achtbaren Persönlichkeiten, die sich um ihren Prediger scharen und tief beeindruckt seinen Worten lauschen. Dein Auftrag gilt nicht der Elite, den Auserwählten, den Intellektuellen, die deine Worte kritisieren und jeden Satz deines Vortrags auf die Goldwaage legen. Deine Mission gilt nicht denen, die dir freundlich, großmütig und herzlich begegnen-jedenfalls nicht nur diesen. Du hast vielmehr Dirnen, Dieben, Lästerern, Trunkenbolden, sittlich Verkommenen und Haltlosen zu dienen. Wenn niemand sich ihrer annimmt, die Gemeinde muss es tun. Wenn es Menschen gibt, für die sie zuerst betet, dann sind es diese, denen-Gott seis geklagt! -in der Regel erst unser letzter Gedanke gilt.

Besonders gewissenhaft sollten wir uns um die Unwissenden bemühen. Es genügt nicht, dass unsere Predigt von denen verstanden wird, die eine gute Schulbildung empfangen haben. Der Prediger muss an die denken, für die die einfachste theologische Aussage so unverständlich ist wie ein Satz in einer fremden Sprache. Er muss sich in seiner Predigt auf das geringste Verständnis einstellen. Selbst wenn nur wenige Unbekehrte die Predigt aufsuchen, soll er sich alle Mühe geben, sie mit der guten Botschaft bekannt zu machen. Er soll sie nötigen, die frohe Botschaft anzuhören. Das Evangelium gilt auch denen, die den Glauben verfolgen. Es richtet die Pfeile der Liebe gegen die Herzen der Feinde. Wenn wir jemand mit Vorrang zu Jesus führen sollten, dann die, die der Botschaft fernstehen und ihr feindlich sind. Bete: „Vater, vergib ihnen! Wenn du sonst keinem die Schuld vergibst, so lass es dir doch gefallen, ihnen zu vergeben. Wenn du sonst niemand verzeihst, so habe doch dein Wohlgefallen daran, ihnen zu verzeihen!“

Auch sollte die Gemeinde ernst und entschlossen sein, wie Christus es war. Dann wird sie bald erkennen, wo Hoffnung für die ist, die ihr anvertraut sind, und bald herausfinden, wie sie sich bei Gott für sie einsetzen kann.

Sie muss hoffen können. Sicherlich hatte keine Gemeinde mehr Grund zur Hoffnung als die Gemeinde Jesu heute. Wenn Unwissenheit ein Argument ist, das bei Gott gilt, sieh dir doch die Heiden unserer Tage an. Millionen vernahmen niemals den Namen Christi. „Vergib ihnen, großer Gott, denn sie wissen wirklich nicht, was sie tun!“ Wenn Unwissenheit zu Hoffnungen berechtigt, dann besteht viel Hoffnung für diese weite Welt. Leben nicht Hunderttausende um uns her, für die die schlichteste Wahrheit des Evangeliums die größte Neuigkeit wäre? Brüder, es ist ein niederdrückender Gedanke, dass die Welt immer noch unter dem Leichentuch der Unwissenheit liegt. Doch dem Stachel dieser schmerzlichen Tatsache wird die Spitze abgebrochen, wenn wir das Gebet unseres Heilandes hoffnungsvoll und richtig lesen: „Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“

Die Gemeinde hat die Aufgabe, denen, die am tiefsten gefallen und am unwissendsten sind, unermüdlich nachzugehen. Niemals darf sie aufhören, Gutes zu tun. Wenn der Herr morgen wiederkäme, wäre das kein Grund für die Christen, sich zu ihrer eignen Erbauung niederzusetzen, zu reden und zu lesen, und darüber die ungezählten Menschen zu vergessen, die zugrunde gehen. Wenn die Welt innerhalb der nächsten vierzehn Tage zerbräche, so änderte das nichts an meiner Verpflichtung und an meinem Dienst. Mein Herr komme, wann er will. Wenn ich mich für ihn einsetze, so bin ich bereit für sein Erscheinen. Es ist immer noch die Aufgabe der Gemeinde, sich um die Errettung ihrer Mitmenschen zu kümmern. Wenn sie nur dasteht und gafft, wie moderne Propheten es von ihr fordern; wenn sie ihre Mission aufgibt und aufgeht in spekulativer Schriftauslegung, hat sie allen Grund, die Ankunft ihres Herrn zu fürchten. Wenn sie aber ihrer Arbeit nachgeht; wenn sie unermüdlich alles daransetzt, wertvolle Perlen für ihren Herrn zu suchen, braucht sie sich nicht zu schämen, falls der Bräutigam kommt.

Dieses Kapitel ist viel zu kurz für ein so umfassendes Thema. Ich wünschte, meine Worte wären so laut wie der Donner, so durchschlagend wie der Blitz. Mit Freuden würde ich jeden Christen aufklären und begeistern für seine Aufgabe. Brüder, ihr dürft nicht euch selber leben! Spart, erzieht, baut und verdient euch euren Lebensunterhalt! Wollt ihr aber Christus ähnlich sein-wie ihr sein sollt, weil ihr erkauft seid mit seinem teuren Blut-muss es euch um Größeres gehen. Fangt an und lebt für andere; macht allen Menschen, mit denen ihr zusammenkommt, klar, dass Zweck und Ziel eurer Existenz nicht ihr selber seid. Setzt euch für andere Menschen ein, damit durch euer Tun Gott verherrlicht wird und Christus in euch sein Bild wiedererkennt und euch seine Zustimmung schenkt.

Zuletzt ein mahnendes Wort an die Unbekehrten

Lest bitte aufmerksam die folgenden Sätze. Ich will sie so kurz und knapp wie möglich fassen. Einige von euch sind noch nicht errettet. Gewiss, manche unter euch waren sehr unwissend. Als ihr sündigtet, wusstet ihr nicht, was ihr tatet. Ihr wusstet zwar, dass ihr Sünder wart, aber ihr wart euch nicht klar über die Tragweite eurer Schuld. Ihr besucht noch nicht lange den Gottesdienst. Ihr lest eure Bibel nicht. Ihr habt kein christliches Elternhaus. Nun aber macht ihr euch Gedanken wegen eurer Seele. Beachtet: Eure Unwissenheit entschuldigt euch nicht, sonst würde Christus nicht gesagt haben: „Vergib ihnen.“ Auch die, die nicht wissen, was sie tun, müssen Vergebung erlangen. Und doch lässt euch eure Unwissenheit ein wenig hoffen. Als ihr noch unwissend wart, drückte Gott ein Auge zu. Nun aber gebietet er allen Menschen an allen Orten, Buße zu tun. Darum bringt Früchte der Buße hervor! Der Gott, den ihr in eurer Unwissenheit missachtet habt, ist bereit, zu verzeihen und zu vergeben. Das ist das Evangelium: Vertraue Jesus Christus, der für die Schuldigen starb, und du wirst gerettet werden. Möge Gott dir in diesem Augenblick dazu verhelfen, und du wirst ein neuer Mensch werden. Mit dir wird eine Veränderung vor sich gehen, eine neue Geburt. Du wirst eine neue Schöpfung in Christus Jesus sein.

Doch, meine Freunde, unter uns sind Menschen, für die konnte Christus nicht einmal dieses Gebet beten: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.“ denn ihr wusstet, was ihr tatet. Jede Predigt hört ihr euch an, und jeder Eindruck, den das Evangelium auf euren Verstand und auf euer Gewissen macht, vergrößert eure Verantwortung und nimmt euch eine Möglichkeit mehr, euch damit zu entschuldigen, ihr hättet nicht gewusst, was ihr tatet. Ihr wisst, dass es hier die Welt und dort Christus gibt und dass ihr nicht beides gleichzeitig haben könnt. Ihr wisst, dass es die Sünde und Gott gibt und dass ihr nicht beiden gleichzeitig dienen könnt. Ihr wisst von schändlichen Vergnügungen und von den Freuden des Himmels und dass ihr nicht beides gleichzeitig in Anspruch nehmen könnt. Gott schenke es, dass der Heilige Geist auch zu euch kommt und euch hilft, das zu wählen, was wahre Weisheit euch zu wählen rät. Heute entscheide dich für Gott, für Christus, für den Himmel! Der Herr bestimme deinen Entschluss um seines Namens willen. Amen.



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autoren/s/spurgeon/s/sieben_worte/spurgeon-sieben_worte_jesu_am_kreuz-das_1._wort-vergebung.txt · Zuletzt geändert: von aj
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