Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - Das dritte Hundert.

Scriver, Christian - Gottholds zufällige Andachten. - Das dritte Hundert.

201. Das neu geborne Kind.

Gotthold sah ein Kind, das vor wenig Stunden geboren war, in seiner Wiege liegen und sprach: Wohl haben die lieben Alten gesagt, man sollte ein solches Kind, sobald man es ansichtig würde, küssen, den wundersamen Händen Gottes zu Ehren, die allda auf frischer That ergriffen würden. Ach, wer ist unter den Menschen, der das große Wunder der Weisheit, Güte und Allmacht Gottes an der menschlichen Geburt recht beherzigt und, wenn er hört, daß ein, Kind geboren ist, sich seiner Geburt mit Dankbarkeit gegen seinen Schöpfer erinnert? Und was sag ich von einem Wunder? Hier kommen ihrer viele zusammen. Der wunderbare Gott nimmt etliche wenige Blutstropfen, die in seltsamer Lust verschüttet worden, und verschließt dieselben aufs festeste an einem verborgenen und dunkelen Orte; da bearbeitet er den Menschen mit seinen Händen und bildet ihn im verborgenen so künstlich, daß der Mensch sich niemals genug über sich selbst wird verwundern können; bald überschattet er das zarte Bild so kräftiglich und ernährt es so weislich, daß aller Weisen Witz hierüber erstaunt, und die Gelehrten noch jetzt nicht eins darüber werden können, woher und auf welche Art der Frucht unter mütterlichem Herzen die Nahrung zu ihrem Wachsthum zugeflößt werde; wie süßiglich aber solches geschehen müsse, ist aus den vielfältigen Freudensprüngen, so sie, also zu reden, ihrem Schöpfer und Erhalter zu Ehren thut, abzunehmen. Wenn nun die Zeit der Geburt da ist, so ist die Güte Gottes die beste Hebamme, die den Menschen aus Mutterleibe zieht und der er zu allererst in den Schooß geworfen wird. Ps. 22, 10. 11. Dieselbe ist auch die beste Wärterin, welche bei unsern Wiegen nicht schläft, noch schlummert, ohne deren Aufsicht aller andern Fleiß zu wenig wäre, einem Kinde aufzuhelfen. Eben sie macht es auch, daß sich nach der Geburt das Geblüt muß sofort in die Brüste ergießen, woselbst es der liebreiche Gott in Milch verwandelt und mit seinem süßen Segen zum Gedeihen seines zarten Geschöpfes vermischt. Mein Gott! ich danke dir darüber, daß ich wunderbarlich gemacht bin; wunderbarlich sind deine Werke; das erkennt meine Seele wohl! Ps. 139, 14. Ich bin dir, mein Schöpfer und Erhalter! alles schuldig, meinen Leib und dessen Glieder, meine Seele und dessen Kräfte. So will ich mich mein Leben lang befleißigen, daß du an meinem Leib und meiner Seele allezeit hoch gepriesen werdest.

202. Der Schnee.

Als zur Winterszeit alles mit Schnee und Eis bedeckt war, kam Gotthold mit einem guten Freunde vom Schnee zu reden und sagte: Der Schnee gehört auch mit zu den wunderbaren Dingen, die Gott aus dem Schatz der Natur hervorbringt, und haben viel weise Leute, die manchen Schnee gesehen und darüber ein schneeweißes Haupt bekommen, bisher von Erzeugung desselben nichts Eigentliches und das für einen scharfsinnigen Kopf genug wäre, berichten können. Der Höchste aber gebrauchet ihn entweder zu der Menschen Vortheil, oder zuweilen um der Sünde willen zu ihrem Schaden. Der Schnee ist kalt und muß doch auf Gottes Geheiß die Wintersaat als ein weißer Pelz bedecken und vor Kälte schützen, wohin zweifelsfrei der Prophet gesehen, wenn er spricht: Er giebt Schnee wie Wolle. Ps. 147, 16. Darum es auch für ein Zeichen eines fruchtbaren Jahres gehalten wird, wenn, wie unsere Landleute im Sprüchwort reden, die weiße Gans wohl brütet, sie wollen sagen, wenn der Schnee die Aecker den Winter über bedeckt hat. Doch kann auch eben dieses Geschöpf großen Schaden thun, wenn es vom Zorn Gottes einen Nachdruck hat. In den mitternächtlichen Ländern ist es zuweilen geschehen, daß ein zu Anfang ganz geringes Schneeklöslein, von einem Vogel oder sonst durch einen Zufall erregt, im Herunterlaufen von dem hohen Gebirge dermaßen gewachsen und aufgeklumpt ist, daß es ganze Städte eingedrückt und verderbt hat. Solche Fälle sollen in den Alpengebirgen auch nicht selten sein und werden Schneelawinen (lewinnen) genannt, weil sie den Reisenden und andern oft mehr Schaden zugefügt, als eine erzürnte Löwin thun könnte. Wie auch der viele Schnee im Gebirge, wenn er im Frühling plötzlich zergeht, die Ströme aufschwemmen und zu großem Schaden der Bewohner ergießen machen kann, haben wir oft mit Herzeleid erfahren. Mein Gott! es ist alles an deiner Gnade oder Ungnade gelegen. Das Schädlichste ist nicht schädlich, wenn deine Gnade es hemmt und regiert. Das Nützlichste ist nicht nützlich, wenn du den Einfluß deiner Gnade zurückhältst. Das allerverachtetste von deinen Geschöpfen ist mächtig genug, uns Ungehorsamen Schaden zu thun, wenn du es durch deinen Zorn wichtig machst. Ach, Herr! du wollest deine Barmherzigkeit nicht von mir wenden, laß mich deine Güte und Treue allewege behüten! Ps. 40, 12.

203. Das bleiche Gold.

Es ward Gotthold ein spanischer Dukaten gezeigt, der etwas bleicher war, als man sonst gewohnt ist, und deßhalb den Inhaber zweifeln machte, ob er auch gut und gültig wäre. Darauf sagte er: So viel ich weiß, ist etliches Gold, das zwar dem ungarischen an Farbe viel, an Werth aber nichts zuvor giebt. Deßgleichen wird dieses auch wol sein. Allein es wundert mich, daß nicht längst alles Gold viel blasser und bleicher geworden ist, weil, wie jener kluge Mann sagt, so viel Hände sind, die darnach greifen und so viel Herzen, die es so eifrig suchen, zu keinem andern Ende, als daß sie es einsperren und als den ärgsten Uebelthäter in Schlössern und Banden gefangen halten wollen. Gott hat aus allen seinen Geboten einen kurzen Auszug gemacht und gesagt: Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüth, du sollst deinen Nächsten lieben, als dich selbst. Matth. 22, 37. 39. Der Teufel hats ihm nachgethan und nunmehr alle seine Verführung in einen kurzen Begriff gebracht, welcher heißt: Du sollst Gold und Geld lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüthe, über Gott, über Recht, über Gewissen, über den Nächsten, und von allen Kräften darnach trachten Urtheilet nun, welches Gebot heutiges Tags in der Welt am meisten gehalten wird. Erinnert euch ferner bei dieser Gelegenheit, was oft das erste und äußerliche Ansehen bei uns Menschen thut. Ihr saht diesen Dukaten für falsch an, weil er keine hohe Farbe hat; so meinen wir oft, was nicht scheint und gleißt, das gilt nicht. Mancher Mensch ist schlecht und recht, einfältig, unansehnlich, arm und niedrig, und sein Herz ist dennoch voll Liebe zu Gott und dem Nächsten, und was ihm an äußerlichen Gaben fehlt, das bringt er mit einem ungefärbten Glauben, herzlicher Andacht, gottseligem Eifer und tiefer Demuth wieder ein. Darum sollen wir nicht nach dem Ansehen sofort richten, damit wir nicht verwerfen, den Gott erwählt, und verachten, den Gott hoch achtet! Mein Gott! ich will mich bemühen, daß ich durch deine Gnade der Leute Vermuthen von mir übertreffe. Wenn mich alle Welt für fromm hielte, und ich wäre es nicht, so würde ichs darum nicht; ebenso, wenn sie mich für böse ausruft, und ich bemühe mich, fromm zu sein und täglich frommer zu werden, so schadets mir nicht. Doch will ich, so viel ich kann, auch allen bösen Schein meiden und niemand Böses von nur zu vermuthen, so viel möglich ist, Anlaß geben. Herr, vor dir ist alle meine Begierde, und mein Seufzen ist dir nicht verborgen! Ps. 38, 10.

204. Das beste Gericht.

Als Gotthold bei einem Gastmahl unter guten Freunden war, gab er denselben zur ergötzlichen Zeitkürzung die Frage auf, welches das beste Gericht wäre, das bei einer Bewirthung könnte aufgetragen werden. Hierauf fielen nun unterschiedliche Antworten. Einer sagte, das freundliche, vertrauliche und erbauliche Gespräch guter Freunde und ihr friedfertiges Wohlbegehen wäre das beste Gericht, weil auch der weise König sagt: Es ist besser ein Gericht Kraut mit Liebe, denn ein gemästeter Ochs mit Haß. Sprüchw. 15, 17. Ein anderer sagte: das beste Gericht wäre, wenn die Wirthin freundlich und reinlich wäre, denn, wenn sie ihre Geberden verstellt und so scheußlich wird, als ein Sack, Sir. 25, 23., oder wenn sie zottig und unsauber daher geht und einem Vermuthung macht, daß sie mit den Speisen auch unreinlich umgehe, so sei wenig Freude und Schmack auch bei kostbaren Gerichten. Der dritte sagte: er hielte das fürs beste Gericht, was einem, der Hunger hätte, zuerst vorgesetzt würde; denn, daß sich die üppigen Menschen mit so vielen Speisen bedienen lassen, und doch oft kaum eine darunter ist, die ihnen recht schmecken will, ist keine andere Ursache, als daß sie ehe und mehr essen, als die Nothdurft erfordert, und den Hunger niemals zum Vorleger gebrauchen. Der vierte sagte: das beste Gericht seines Erachtens wäre ein wohlmeinendes und aufrichtiges Herz des Wirths, denn wenn einer erachten muß, daß die Einladung aus falschem, gewinnsüchtigem und gezwungenem Gemüth geschehen und ihm jeder Bissen in den Mund gezählt und jedes Wort aus dem Mund aufgefangen und beigelegt wird, so wird ihm wol kein Gericht recht schmecken können. Gotthold schloß endlich und sprach: Ihr habt nicht ungereimt geantwortet, doch will ich auch meine Meinung entdecken. Ich halte fürs beste Gericht das, was durch ordentliche ehrliche Mittel mit gutem Gewissen erworben ist und mit Dankbarkeit gegen Gott in seiner heiligen Furcht genossen und dabei des armen Lazarus nicht vergessen wird. Denn, wie kann das ein gut Gericht heißen, das mit den Thränen und Seufzern der bedrängten Christen und mit dem Fluch Gottes abgewürzt ist? Kein Gericht ist gut, ohne was einem wohl bekommt. Wie kann einem aber wohl bekommen, was man mit solcher Brühe genießt? Wo man auch der Dankbarkeit gegen Gott und der Wohlthätigkeit gegen den dürftigen Nächsten vergißt, da pflegt der Schlaftrunk im höllischen Feuer zu erfolgen, wie es dem reichen Schlemmer widerfahren. Luc. 16, 23. Ach, mein Herr Jesu! gieb mir ein Stücklein Brods, das mit deinem Segen betrieft, in deinen Wunden gefeuchtet und von deiner Liebe schmackhaft ist, das will ich mit meinem dürftigen Bruder willig theilen; mehr und bessere Gerichte begehr ich nicht.

205. Die Einbildung.

In einer Stadt ging ein armer Mann umher in zottigen Fellen, den Kleidern und sammelte sich, wo er konnte, etwas zu seinem Unterhalt, und wenn er zu arbeiten ermahnt ward, gab er zur Antwort: Kaiser, Könige, Fürsten und Herren dürfen nicht arbeiten. Daraus, wie auch aus andern seinen Worten, Werken und Geberden war leicht abzunehmen, daß er sich im Wahnwitz, ich weiß nicht, was für Hoheit einbildete. Als nun Gotthold einmal mit guten Freunden hievon redete, sprach er: Man findet merkliche Exempel solcher närrischen Einbildung. Zu Athen ist einer gewesen, Thrasyllus Aeroneus benamt, der sich eingebildet, alle Schiffe, die im Hafen der Stadt anlandeten und ausfuhren, wären sein, darum er auch sein Register darüber gehalten und bei ihrer Abreise ihrethalben sich bekümmert, bei ihrer glücklichen Wiederkunft aber sich übermaßen gefreut. Ein anderer, ein gelehrter und berühmter Jurist, ist durch Eigendünkel und Ehrgeiz in die Thorheit gerathen, daß er vermeinte, er wäre mit einhälligen Stimmen der Kardinäle zum Pabst erwählt, welches er sich auch nicht wollte ausreden lassen, und in dieser hoffärtigen Thorheit pflegte er doch mit Ernst zu sagen, er hätte in vielen Jahren keine Anfechtung von eitler Ehre gehabt. Lernet aber hiebei, wie große Ursach wir haben, Gott für einen gesunden Verstand zu danken und ihn herzlich zu bitten, daß er uns vor stolzem Eigendünkel und Hochhaltung unserer selbst behüten wolle. Des Menschen Vernunft ist wie eine subtile und künstliche Uhr, die leicht ins Stocken geräth und ohne Unterlaß des Meisters Aufsicht und Hand bedarf. Thut Gott die Hand von uns ab, so können wir viel närrischer werden, als jemals solche Leute gewesen sind. Vor allen Dingen hütet euch vor Stolz und Hoffart, die aller Thorheit Mutter und Säugamme ist. Ein stolzer Mensch spiegelt sich in seinen eignen Gaben, er hat Gefallen an ihm selbst, er dünkt sich klug, fromm, gelehrt, ansehnlich, nützlich vor allen andern, und das ist die gefährlichste Einbildung, darin einer immer fallen kann, weil er sich entweder selbst betrügt und sich anmaßt, was er nicht hat, oder sich doch aller Belohnung bei Gott verlustig und unfähig macht. Wohl hat ein alter Lehrer gesagt: „ein hoffärtiger Mensch, der in allen Dingen seinem eignen Sinn folgt, der bedarf keines Teufels, der ihn versuche und zu Fall bringe, weil er ihm selbst Teufels genug ist.“ (Joh. Gerson.) Ach, mein Herr Jesu, du demüthiges Herz, behüte mich vor Stolz! Ich könnte keine größere Thorheit begehen, als wenn ich mir einbildete, daß mein Verstand allein genug sei, mein Leben zu regieren; regiere du mich und beschere mir alle zeit Herzen, die mir das Beste rathen, mir aber den Sinn, daß ich gern gutem Rath folge!

206. Das Kind.

Gotthold sah ein Kind sitzen, welches, nachdem es sich satt gegessen, dennoch eine Semmelschnitte gefordert hatte und selbige verbrockte. Hier sehe ich, sprach er, was Ueberfluß thut, und was unserer verderbten Natur damit gedient ist, wenn sie zu viel hat. Dieses Kind, wenn es Hunger hätte, würde mit Lust das liebe Brod essen und ungern ein Krümlein verspillen. Jetzt aber, da es satt ist, da spielt es damit und verderbt es. So gehts uns alten Kindern auch; die schwersten Zeiten lehren am besten haushalten und die Gaben Gottes mit Furcht und Dankbarkeit genießen. Der Ueberfluß aber hat eine Nachfolgerin, die heißt Verschwendung, und werden wol niemals mehr Sünden begangen, als wenn Gott der Welt das meiste Gute thut und sie mit seinem reichen Segen überschüttet. Hingegen sieht man niemals mehr gen Himmel, als wenn Gott den Brodkorb hoch hängt, und im Mangel lernen wir erkennen, wie hoch und theuer der Segen Gottes zu halten sei Mein gnädiger und lieber Gott! ich weiß bald nicht, wie du es der Welt eben machen willst. Giebst du wenig, so klagt und murrt sie; giebst du viel, so prangt und raset sie. Ach, Vater, halte der Thorheit etwas zu gute! Was mich betrifft, will ich mir weder Armuth, noch Reichthum, weder Mangel, noch Ueberfluß wünschen. Ich traue mir selbst in beiden Fällen nicht. Ich weiß wohl, was ich mir wünschen will: gieb mir, mein Vater, was du willst.

207. Die Erndte.

Als Gotthold zur Erndtezeit vor einer Stadt mit etlichen guten Freunden spazieren ging, fing einer unter ihnen an und sagte: Lieber Gott! wie eilt jetzt schon alles, als bergab, dem betrübten und kalten Winter zu! Man hört nicht ein Vöglein mehr, die Lerche betrübt sich, da sie sieht das Getreide abmähen und wegführen und ihr ein leeres Feld hinterbleiben. Gotthold sagte hierauf: Die Vögel singen am meisten zur Frühlingszeit, im Sommer aber schweigen sie. Meines Erachtens hat es der fromme und milde Gott auch /darum so verordnet, daß uns im Frühling, da die lieben Früchte „erst im Wachsthum stehen und wir ihrer uns nur in Hoffnung freuen, die Vögel mit ihrem Gesang zum Lobe Gottes aufmuntern möchten; hernach aber, wenn wir beginnen, der mancherlei Gaben Gottes wirklich zu genießen und das liebe Korn mit vielen tausend Fudern in unsere Scheuern bringen, da schweigen die Vögel still, als hielten sie es für unnöthig, daß sie uns Gott zu preisen erinnern sollten, weil wir ja bei Genießung so mancherlei Güter den milden Geber derselben zu loben nicht vergessen werden. Seht euch jetzt um, ihr werdet hier und dorther ein Fuder Korn nach dem andern fahren sehen, meint ihr wol, daß der milde Vater, der das Korn aus der Erde wachsen läßt, für ein jedes ein dankbares Lob zu erwarten hat? da ihm doch für eine jede Aehre solches gebührt, weil aller Menschen Verstand und Vermögen ohne ihn nicht eine einige aus der Erde hervorbringen kann. Ich sehe die Aehren nicht anders an, als so viel tausend aufgereckte Finger, die gen Himmel weisen und mir Gott im Himmel zu loben Anlaß geben. Ach, heiliger Gott! wenn wir dich nur so lang loben, lieben und nach deinem Willen leben wollten, als du uns Gutes thust, so würde unser Herz von deiner Liebe, unser Mund von deinem Preise und unser Wandel von deiner Furcht nimmer ledig sein.

208. Der Hund.

Gotthold hatte einen Hund, der ihn, wenn er ins Feld spazieren ging, allezeit zu begleiten pflegte; als er aber einmal, ich weiß nicht warum, zurückblieb und ihn wider seine Gewohnheit allein gehen ließ, stellte sich Gotthold, als er wieder heim kam, als wollte er ihn sehr schlagen, hob den Spazierstab auf und redete ihm hart zu. Dieser, als seine Missethat erkennend, legte sich ihm vor die Füße und kroch mit Winseln vor ihm an der Erde herum. Ach! fing er bei sich selbst an, mein Gott, du gewaltiger, glorwürdigster, ewiger Herr! wann werd ich doch so klug werden, als dieses unvernünftige Thier! Ich sündige täglich wider dich und, mein Herr Jesu! da ich dir stets folgen sollte, verlaß ich dich mehrmals und folge meinem fleischlichen Willen; wann demüthige ich aber mich so vor meinem Gott, als dieses Thier vor mir sündhaften, ohnmächtigen Menschen? Jene bußfertige Sünderin, Luc. 7, 37. und das kananäische Weiblein, Matth. 15, 21., legten sich dem Herrn Jesu zu den Füßen; wenig aber sind, die es ihnen von Herzen nachthun. Das verderbte Herz ist wie eine Blase, mit Wind gefüllt, die im Wasser stets empor schweben will, und bedenkt nicht, daß kein anderes Mittel im Reich Gottes ist zur Erhöhung, als die Erniedrigung. Mein Herr Jesu! hier lege ich mein üppiges, fleischliches Herz vor dir nieder, tritt es, mein Heiland! mit Füßen, daß es lerne demüthig sein. Zerquetsche es als eine Traube, daß es mit Bußthränen fließe! Beschwere es mit deinem Kreuz, drücke es unter deine Last, beuge es unter dein Joch, daß es betrübt, elend, niedrig und gering werde; sonst ist es deines Trostes, deiner Gnade und Liebe nicht fähig und mit allem nichts nütze.

209. Der Traurige.

Es kam ein betrübter Mann zu Gotthold, sagend, er hätte mit ihm zu reden, wenn sie könnten allein sein. Als er nun von ihm in ein abgelegenes Zimmer geführt wurde, fing er an, mehr mit den Augen, als mit dem Munde zu reden, ich will sagen, er begann so viel Thränen zu vergießen, daß ihm die Rede dadurch gehemmt wurde. Gotthold sprach: Ihr sagt, ihr hättet mit mir zu reden, und ob ihr zwar mit eurem Munde nichts sagt, so reden doch eure Augen so viel, daß ich leicht erachten kann, daß euer Herz mit einem schweren Anliegen belästigt ist; Lieber, sagt mir etwas und erleichtert euer Herz. Ach, sprach der andere, Sünde! Sünde, du Seelengift! wie plagst und nagst du mein armes Herz! Darauf sagte Gotthold mit fröhlichem Gesicht: Es fehlte nicht weit, ihr hättet mich auch traurig gemacht und hättet meine Thränen durch die Eurigen heraus gelockt, diese eure Traurigkeit aber, so viel ich vernehme, ist keines Betrauerns werth. Ach, wie freue ich mich über eure Traurigkeit, wie lieb ist mir eure Betrübniß! Ja, die h. Engel lachen, daß ihr weint, und der Herr Jesus freut sich, daß ihr traurig seid. Wenn ich gesehen hätte eure Sünde, so hätte ich weinen wollen, jetzt aber, da ihr eure Sünde mit Thränen beklagt, da Hab ich Ursache, mich herzlich zu erfreuen. Dies ist die göttliche Traurigkeit, die da wirket zur Seligkeit eine Reue, die niemand gereut. 2. Cor. 7, 19. Ich wünsche von Grund meiner Seele, alle unbußfertigen sichern Menschen in einem gleichen Zustande mit euch zu sehen. Viele sind, die beweinen, daß sie ihren Willen nicht haben mögen, wenige beweinen, daß sie ihren Willen gehabt haben. Ich sehe viel Trauerns in der Welt, aber wenige, die sich selbst betrauern. Es ist eine unglückselige Seele, die sich selbst noch niemals beweint hat. Die betrübten Herzen aber sind die Gefäße, die mit dem Blut und Trost des Herrn Jesu gefüllt werden. Darum weinet nur bitterlich, lasset die Thränenquellen nach ihrem Willen fließen; besser ist es, mit Reue weinen, als ohne Scheu sündigen. Der himmlische Arzt geht schon damit um, daß er ein Mittel für eure Traurigkeit finde. Ach, fuhr jener fort, warum hat mich doch Gott von feinen Wegen irren und in diese Sünde fallen lassen? Fürwahr, antwortete Gotthold, trauet sicherlich, daß es dem heiligen und frommen Gott lieber gewesen wäre, daß ihr nicht gesündigt hättet; weil es aber geschehen ist, so danket dem barmherzigen und langmüthigen Herrn, daß er euch auf frischer That nicht gestraft und durch einen plötzlichen Tod zum ewigen Verderben nicht hingerissen hat. Wisset auch, daß der allmächtige und gütige Gott nicht zulassen würde, daß in der Welt etwas Böses geschehe, wenn er nicht so allmächtig und gütig wäre, daß er auch aus Bösem etwas Gutes zu machen wüßte. Den auserwählten Kindern Gottes müssen alle Dinge, auch die Sünde, zum Besten dienen. Röm. 8, 28. Aus Betrachtung der Sünde entsteht bei ihnen göttliche Traurigkeit, ein heiliger Haß des sündlichen Leibes, die Verschmähung der Welt, das Verlangen nach dem Himmel; und wo ein solcher Regen, als wie bei euch, die Bußthränen meine ich, trieft, da wächst die Demuth, die Sanftmuth und Langmuth, die Freundlichkeit und das Mitleiden gegen andere. Niemand lehrt sanftmüthiger, niemand erwartet geduldiger, niemand tröstet kräftiger, niemand vergiebt herzlicher, als der selbst solcher Hülfsmittel bedürftig gewesen. Niemand liebt den Herrn Jesum brünstiger, als dem viele Sünden vergeben sind, niemand ist seine Gnade süßer, als der in schmerzlicher Erkenntnis seiner Sünden seine Ungnade gekostet hat. Darum, daß ihr gefallen seid, das schreibt euch selbst und eurer Bosheit zu; daß ihr aber Zeit zur Buße gehabt und daß ihr zur Erkenntniß des Sündengreuels und zum herzlichen Verlangen nach der Gnade Gottes gebracht seid, das ist allein Gottes Güte, die so wundersam ist, daß sie uns durch Schwachheit befestigen und durch Fallen aufrichten kann.

210. Die blühende Roggenähre.

Die Erfahrung bezeugts, daß, wenn der Roggen in der Blüthe steht und man eine Aehre abbricht, die Blüthe ihr abstreift und sie eine Weile in den Händen trägt, aus derselben andere Blumen wieder hervor kommen. Als nun Gotthold hievon mit einem guten Freunde redete, der sich darüber verwunderte und die Ursache gern gewußt hätte, sprach er: Man kann in allen Dingen zu seiner Zeit eine treibende und dringende Kraft wahrnehmen. Aus dem Kornlein im Acker treibt die Natur ein Keimlein und ein Hälmlein, und zwar durch die harte Erde. In den Bäumen ist ein Nachdruck, der den Saft erregt und Blätter, Blumen und Früchte aus dem harten Holz treibt. In dem beschnittenen Weinstock und seinen Reben wird der Saft aufwärts getrieben, und wenn er wegen des Abschnittes nicht Raum findet, so ergießt er sich, als wenn er weinte. Eine solche Kraft ist auch in diesen Aehren, so stark, daß sie auch in der abgerupften Aehre die Blüthe ein und andermal zu erneuern genugsam ist. Ein anderer mag nun dieses nennen und beschreiben, wie er will, so sag ich, es sei die dringende und nimmer ruhende Güte Gottes, die stetig wirkt, treibt, wachsen macht und dem Menschen zum Besten nimmer stille ist. Was ihr aber an den Gewächsen seht, das muß sich bei euch selbst auch finden; welche der Geist Gottes treibt, spricht der Apostel, Rom. 8, 14., die sind Gottes Kinder. Fürwahr, die Kraft des Geistes Gottes ruht nicht, sie erregt und bewegt stets die frommen Herzen. Hieraus entstehen heilige Gedanken, gottselige Begierden, himmlisches Verlangen, sehnliche Seufzer, liebreiche Thränen, andächtiges Gebet, unermüdeter Fleiß, Gott und dem Nächsten zu dienen; hier folgt eine Blume der andern, eine Andacht der andern, eine Liebe der andern, eine Freude der andern. Empfindet ihr solches nicht, so lernet heute an diesem schlechten Halm, daß die Schuld an euch ist, und daß ihr den Trieb des Geistes Gottes entweder nicht achtet, oder ihm nicht folgt. Mein Herr Jesu! was kann ich ohne deine Kraft? was vermag ich ohne deinen Geist? Treibt er nicht in mir die geistlichen und innerlichen Krafte, so ist bei mir weder Wollen, noch Vollbringen. So treibe nun mich, mein Gott! hilf aber auch, daß ich deinem guten Triebe willig folge.

211. Die gefalteten Hände.

Als nach gehaltener Mahlzeit das Gebet verrichtet wurde, fiel die Frage vor: was die gefalteten Hände beim Gebet bedeuten möchten. Gotthold sagte: Die äußerliche Stellung des Leibes im Gebet ist zu unterschiedlichen Zeiten bei unterschiedenen Völkern unterschiedlich gewesen. Im Alten Testament, auch zu Anfang im Neuen, hat man mit ausgestreckten Armen und Händen gebetet, so, daß der Betende ein vollkommnes Kreuz dargestellt, welches nach der gottseligen Väter und anderer gelehrten Männer Auslegung zur Erinnerung des gekreuzigten Herrn Jesu geschehen, als auf welchen unser Vertrauen zu Gott muß gegründet sein. Was aber unser Händefalten betrifft, kann selbiges ein und anderes gottseliges Nachdenken verursachen. Die Daumen liegen kreuzweise über einander und lehren, daß man nicht anders, als wegen des gekreuzigten Herrn Jesu Erhörung hoffen und erwarten soll. Die fest in einander geschlossenen Finger lehren, daß man in Einträchtigkeit und mit friedfertigem, versöhnlichem Herzen beten müsse; denn wenn unsere Herzen durch Unfried und Mißhälligkeit getrennt sind, so kann dem Gott des Friedens unser Gebet nicht gefallen. Man befindet auch in der Erfahrung, daß bei wachsender Andacht im Gebet man die Hände immer fester zusammen schließt, als hätte man etwas darin gefaßt, das man gerne fest halten wollte; davon sagte einmal ein gottseliger Mann: Mir ist beim Gebet oft zu Muth, als wenn ich das Vaterherz meines Gottes und die blutige Hand des Herrn Jesu zwischen meinen Händen gefaßt hätte; denn ich erinnere ihn seiner göttlichen, unbegreiflichen Gnade und Liebe und ergreife meinen Herrn Jesum bei seiner Verheißung und bemühe mich ihn fest zu halten, sagend: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn, i. Mos. 32, 26. Ein anderer sagte: Ich hebe zwar meine Hände zu Gott auf, andeutend, daß ich willig sei an meine Berufsarbeit meine Hände anzuschlagen, aber weil sie gefaltet und in einander verbunden sind, bezeuge ich damit, daß außer meines himmlischen Vaters Segen, Beistand, Gnade und Schutz mir die Hände gebunden sind, und ich etwas Gutes und Heilsames auszurichten mir nicht getraue. Weil wir auch wissen, daß zum rechtmäßigen Gebet die Andacht des Herzens erfordert wird, können uns die in einander geschränkten Finger erinnern, daß wir unsere Gedanken unterm Gebet nicht hin und wieder flattern lassen, sondern durch einen heiligen Vorsatz fest in einander schließen und auf das Einige richten sollen, daß wir Gott im Geist und in der Wahrheit anrufen mögen. Joh. 4, 24. So geben auch schließlich die gefalteten Hände Anlaß zur Demuth im Gebet, weil wir uns als Uebelthäter, mit gebundenen Händen gleichsam dem gerechten Gott darstellen, erkennend, daß wir mit unsern vielfältigen Sünden an Händen und Füßen gebunden und in die Finsterniß hinaus geworfen zu werden verdient haben, darum wir denn allein Gnade und kein Recht begehren. Mein Herr Jesu! gieb mir, wenn ich bete, ein gläubiges, gelassenes und demüthiges Herz, so werde ich niemals umsonst beten!

212. Der Feind.

Einer klagte oft über seinen Feind, der ihm viel zu thun machte, und zeigte genugsam an, daß sein Herz voll Hasses gegen denselben wäre und er bei gegebener Gelegenheit ihn als einen Feind zu behandeln nicht unterlassen würde. Gotthold sagte: Ihr habt immer einen Feind im Munde und zweifelsfrei auch im Herzen, der aber, den ihr euren Feind nennt, kann euch nicht schaden, so ihr Gott vertraut und dem Guten nachkommt. Hütet euch nur vor euch selbst, die öffentlichen Feinde sind nicht so gefährlich, als die heimlichen. Der fleischliche Mensch aber ist sein selbst eigner Feind, indem er die, so er für seine Feinde hält, haßt und an ihnen sich zu rächen beflissen ist. Hiedurch macht er sich Gott zum Feinde, der von unversöhnlichen, zanksüchtigen und feindseligen Herzen nichts wissen will. Wenn ihrs aber recht bedenkt, so könnt ihr von eurem vermeinten Feinde so viel Gutes haben, daß ihr ihn für euren Freund und Wohlthäter zu halten und Gott für seine Schickung zu danken Ursache habt. Ein Feind ist oft wie eine Arznei, die zwar anfangs Beschwerde und Schmerzen macht, hernach aber nur das Böse abführt und die Gesundheit wirkt; ein Feind lehrt uns behutsam wandeln, weil wir uns allemal seiner scharfen Aufsicht befahren müssen und wohl wissen, daß er unsere Fehltritte zu bemerken und zu unserem Schaden und Schimpf auszubreiten nicht unterlassen wird. Ein Feind treibt uns zum Gebet und lehrt uns die Freundschaft Gottes desto höher halten. Er übt uns in der Geduld, bewährt unsern Glauben, versucht die Liebe, pflanzt die Sanftmuth, unterdrückt den Stolz, verleidet uns die Welt und macht süß den Himmel. Wie wollte aus einem unförmlichen Stück Goldes ein köstlicher Pokal zur königlichen Tafel werden, wenn nicht das Feuer und der Hammer das Beste dabei thäten? Und wie wollten aus uns fleischlichen Menschen gottselige Christen werden, wenn nicht allerlei Widerwärtigkeit dazu käme? Darum seht nicht so sehr auf den Hammer, als auf den, der ihn führt zu eurem Besten. Mein Gott! wie soll ich dir genug danken, daß du auch mir meiner Feinde Zorn, Bitterkeit, Schmach, Verleumdung und Neid hast lassen zum Besten dienen; sie gedachtens böse zu machen, du aber nach deiner Weisheit und Güte hast auch ihrer Bosheit zu meiner Erbauung dich zu bedienen gewußt. Der Welt Feindschaft hat die beste Freundschaft unter uns gestiftet. Mein getreuer Gott! du hast alles wohl gemacht.

213. Das Lehn.

Es ward erzählt, daß in einer Stadt etliche Freihäuser nebst stattlichen dazu gehörigen Aeckern wären, damit vor Alters her etliche Geschlechter belehnt worden, doch mit dem Anhang, daß sie jährlich auf einen gewissen Tag in die Rentkammer einen Dreier bei Verlust des Lebens einbringen sollten. Als sich nun hierüber etliche verwunderten, sagte Gotthold: Die hohe Obrigkeit sucht hierin nichts, als daß ihre Lehnsleute ein immerwährendes Denkzeichen ihrer Pflicht haben, und, wem sie ihren Wohlstand zu verdanken, nicht vergessen möchten. Sonst ist freilich keine Gleichheit zwischen einem Dreier und einem stattlichen Gut, das jährlich etliche hundert Thaler tragen kann. Man findet aber dergleichen mehr in den Lehnsrechten und Geschichten. Kaiser Karl der Fünfte hat den Rhodiser Rittern die Insel Malta zu eigen gegeben mit dem Beding, daß sie ihm und seinen Nachfolgern, den Königen in Spanien und Sicilien, jährlich einen Falken sollen einliefern lassen. Ein Edelmann in Franken muß jährlich um Martini seinem Lehnsherrn einen Zaunkönig bringen. Andere müssen einen wilden Schweinskopf, andere einen Rosenkranz, andere eine Lerche auf einem Wagen angebunden, andere einen grünen oder blühenden Zweig liefern, ein anderer hat müssen in den Weihnachten ein Bündlein Holz zum Kamin seines Lehnsherrn tragen; ein anderer hat müssen seines Lehnsherrn Gemahlin ein Liedlein zu Ehren singen; einem andern ist obgelegen, zu gewisser Zeit die Frösche stillschweigen zu heißen, und was der seltsamen und lächerlichen Verbindlichkeiten mehr sind. Wer sieht hier nicht, daß die Obrigkeit nichts, als ein dankbares, stetiges Gedächtniß und Erkenntniß ihrer Müdigkeit den Untern hat einknöpfen wollen? Lasset uns aber hiebei uns erinnern, daß es zwischen dem allgewaltigen, reichen und gütigen Gott und uns Menschen nicht anders zugeht. Er ist der oberste Lehnsherr, bei dem alle Kaiser, Könige, Fürsten, Grafen, Edelleute, Bürger und Bauern zu Lehn gehen. Denn obwohl die Erde und alles, was darinnen ist, ihm zugehört, so hat er sie doch den Menschenkindern gegeben, Ps. 24, 1. 115, 16. Also ist niemand, der nicht Gottes Vasall und Lehnsmann sein sollte. Einem jeden ist ein Theil der Güter Gottes eingeräumt; dem einen ist viel, dem andern wenig zugelegt, nachdem es der Weisheit Gottes gefallen. Was fordert aber der Höchste für alle seine Güter, deren wir genießen? Ein weniges, einen dankbaren Seufzer, ein herzliches Lob seines preiswürdigsten Namens, ein fröhliches Lied zu seinen Ehren und eine und die andere geringe Gabe für den dürftigen Nächsten. Ach, schäme dich, undankbarer Mensch, wenn du dieses nicht willig lieferst! Was ist all dein Dank gegen Gottes Wohlthaten gerechnet? Und dennoch vergissest du so oft, dieses wenige zu leisten? Herr, mein Gott! ich bin auch dein Lehnsmann; viel hast du mir gegeben, wenig, ja nichts kann ich dir wieder geben, denn mein Dank, wie groß er ist, ist nichts. Nimm vorlieb, mein gnädigster Herr! mit meinem nichts; ich wollte dir gerne mehr geben, wenn ich mehr hätte.

214. Das Vorgehen.

Gotthold sah bei einer vornehmen Zusammenkunft, wie die Leute um das Vorgehen sich nöthigten. Das gehört auch mit, sprach er zu einem Freunde, der bei ihm stand, zu der weltlichen Eitelkeit und hochschädlichen Thorheit. Hier stellt sich die Hoffart, als wenn sie nicht hoffärtig wäre, weil sie selbst wohl weiß, daß sie so scheußlich ist, daß sie anders, als unter dem Mantel der Demuth sich nicht darf sehen lassen. Mancher, der gerne die erste und Oberstelle gehabt hätte, läßt sich um die dritte und vierte nöthigen, und der ihn am meisten nöthigt, dürfte sie ihm, wenn er sie annimmt, am wenigsten gönnen. Also verirt einer den andern mit einem Mund voll höflichen Windes, der Ort aber giebt oder nimmt der Person nichts; ich bin, der ich bin, ich gehe voran oder folge nach. Jener weise Heide, (Aristipp) als er an eines Königs Tafel unten an gesetzt ward, nahm gern vorlieb und sagte: Ich sehe wohl, daß Eure Majestät diesem Ort gern ein Ansehen machen wollen; wohl wissend, daß er seiner Stelle und nicht die Stelle ihm ein Ansehen zu geben vermöchte. Jener fromme Fürst (Herzog Ullrich von Würtemberg), als er in einer Versammlung sah, wie man die Zeit mit Erörterung des Streits wegen der Oberstelle zudringen thäte, sagte aus heroischem Herzen: Setzet mich, wohin ihr wollt, auch hinter den Ofen, ich will vorlieb nehmen, nur daß wir etwas Gutes und Fruchtbarliches schließen mögen, darum wir ja zusammen gekommen. Es sah der weise Held wohl, daß der Satan kein kräftiger Mittel hat, gute Rathschläge zu zerstören und Mißtrauen, heimlichen Haß und endlich offenbare Feindseligkeit zu stiften, als das Obenangehen und Sitzen. Wie nun dies bei hohen Häuptern schädlich ist, also ist es lächerlich, wenn die Geringeren es ihnen nachthun wollen. Mein Gott, wenn die Unterstelle verursachte, daß du mich nicht sehen könntest, so wollte ich mich auch um die Oberstelle bemühen, ich weiß aber, daß du dich zwar hoch gesetzt hast, dennoch aber aufs Niedrige siehst im Himmel und auf Erden, Ps. 113, 5. 6. Was schadet es mir denn, daß ich hintenan gehe oder untenan sitze, wenn mich nur ein Blick deiner Güte anstrahlt? Mein Gott! ich will hiebei eins mit dir bedingen: hilf mir aus zu deinem Reich und in den Himmel, ich will nicht begehren mit Abraham, Isaak und Jakob zu Tische zu sitzen, sondern ich will die Brosamen, die von ihrem Tische fallen, auflesen und gerne vorlieb nehmen, ich will gern ein Fußschemel deiner Heiligen sein, nur daß ich mit ihnen einen Theil an der Seligkeit habe.

215. Das Licht.

Als zur Abendzeit in einer gottseligen Gesellschaft das Licht gebracht wurde, sagte einer, er hielte dafür, daß man in Anschauung des Lichts zu allerlei guten Gedanken würde Anlaß nehmen können. Freilich, antwortete Gotthold, und damit ihr dessen eine Probe habt, so nehmt wahr, wie etliche in dieser Gesellschaft bei Auftragung des Lichts die Hand vor die Augen gehalten haben, weil ihren schwachen Augen zweifelsfrei die geschwinde Veränderung des Lichts und der Finsterniß nicht erträglich und dienlich ist; diese (welches aber zu hören, ihnen nicht widerlich sein wird) bilden uns mißgünstige Leute vor, die anderer glücklichen Wohlstand und Aufnehmen nicht ohne Augen- und Herzweh anschauen können, welches aber christlicher Liebe schnurstracks zuwider; denn warum sollte ich, wenn Gott ein Licht anzündet, dasselbe mit neidsüchtigem Anhauchen auszublasen bemüht sein? Das Licht wird gemeiniglich von einem Fünklein, aus zusammen geschlagenem Stein und Stahl aufgefangen, angezündet. Also ist kein Glaube, Tugend oder Gottseligkeit, die nicht durch viel Widerwärtigkeit entzündet und erhalten wird. Das angezündete Licht wird nicht unter die Bank oder unter einen Scheffel gesetzt, sondern auf einen Leuchter und Tisch, so leuchtet es denen allen, die im Hause sind; also sollen auch wir unser Licht lassen leuchten vor den Leuten, daß sie unsere guten Werke sehen und unsern Vater im Himmel preisen. Matth. 5, 15. 16. Das brennende und scheinende Licht verzehrt sich selbst, indem es andern leuchtet und dient; also sollen wir uns glückselig schätzen, wenn wir mit allen Leibes- und Gemüthskräften Gott und dem Nächsten dienen können, obwohl dieselben nach und nach verschwächt und wir zum Tode gezeitigt werden. Besser ist es, sein Leben in Sorgen und Unlust andern zum Dienst, als in Ueppigkeit und Wollust sich selbst zum Verderben verzehren. Das Licht wird geschnäuzt, daß es klarer scheine; so belegt Gott seine Kinder mit Kreuz, daß ihr Glaube desto heller leuchte. Ein brennendes Licht wird vom Odem aus-, ein rauchendes aber von demselben Odem angeblasen; also ist dem Höchsten es gleich leicht, unsere Glückseligkeit, wenn wir derselben uns überheben, hinweg zu nehmen, auch wenn wir gedemüthigt sind und uns bessern, dieselbe wieder zu geben. Beides steht in seinem zornigen oder gnädigen Anhauchen. Wenn etwa der abgeschnäuzte Docht in der Lichtputze nicht recht ausgelöscht ist und übel riecht, so greift stracks der Nächste zu, solchen Gestank zu dämpfen; warum machen wirs nicht auch so mit den Fehlern unsers Nächsten? warum decken wir nicht seine Schande zu, so viel Amts und Gewissens halber geschehen kann? Wenn über ein ausgelöschtes noch rauchendes Licht ein brennendes gehalten wird, so fällt die Flamme von demselben durch den Rauch herunter und zündet das ausgelöschte wieder an; also, wenn uns dünkt, unser Glaube, Trost, Glück und Wohlfahrt sei ganz aus, erhört Gott unsere ängstlichen, demüthigen Seufzer und seine Gnadenflamme giebt Schein, Freude und Leben wieder. Wenn ein Licht steht an einem windigen Ort, so leuchtet es nicht wohl, das Wachs oder Unschlitt verfließt unnützlich, und es wird desto eher verzehrt; also ein Mensch, der sein Herz zu sehr an die Welt hängt, oder der sich selbst mit unnöthigen Sorgen plagt, giebt keinen guten Christen und kürzt sich selbst das Leben ab. Die Flamme ist sonst gewohnt, über sich zu steigen, und sucht allezeit die Höhe, am Licht aber muß sie ihrer Nahrung unterwärts folgen; also ist unser Glaube zwar himmlisch und muß, was hoch und göttlich ist, suchen, wird aber doch in der Demuth und Erniedrigung seiner selbst gleichsam ernährt und erhalten. So lange das Licht aufrecht steht oder getragen wird, hat es vom Wachs oder Unschlitt seine Nahrung, kehrt man es aber um und neigt es zur Erde, so wird es von überflüssiger Fettigkeit ausgelöscht; also kann ein Christ zeitlicher Güter, so lange er sein Gemüth in deren Liebe nicht vertieft, sondern nach dem Himmel richtet, ihm selbst und andern zum Besten sich sehr wohl bedienen, allein, wo er sein Herz vom Himmel ab und bloß aufs Vergängliche wendet und seines Vermögens zur Ueppigkeit und unziemlichen Ueberfluß gebraucht, so verlischt das Licht des Glaubens und der Gottseligkeit. Wir sehen oft die Mücken zur Abendzeit um die Lichter schwärmen, so lange, daß sie die Flügel oder sich selbst verbrennen; so gehts allen denen, die um das Licht, dazu niemand kommen kann, 1. Tim. 6, 16, mit ihren neu süchtigen, fürwitzigen und stolzen Gedanken flattern; das Licht erleuchtet sie nicht, sonder verblendet sie, und niemand ist untüchtiger, die göttlichen Geheimnisse zu fassen, als der, der sich derselben fähig achtet und sich durch seine sinnreiche Vernunft alles zu erforschen erkühnt. Mein Herr Jesu, du Licht der Welt, sei meiner Seele Licht! Was eine Leuchte ist ohne Licht, das ist meine Vernunft ohne deine Gnade und Geist. Gieb, daß ich hier als ein Kind des Lichts im Lichte wandle, und mache mich tüchtig zum Erbtheil der Heiligen im Licht! Col. 1, 12.

216. Die Weinrebe.

Als Gotthold einen betrübten und sorgsamen Mann besuchen wollte, sagten die Seinigen, er wäre im Garten. Gotthold folgte ihm dahin und traf ihn eben an in der Arbeit, daß er den Wein beblätterte. Nach einem freundlichen Gruß fragte er ihn, was er mache. Ich sehe, sprach er, daß wegen des vielen Regens dem Wein viel Holz und Laub gewachsen ist, darum denn die Sonne zu den Trauben nicht kommen und sie zeitigen kann; so nehme ich nun etwas hinweg, damit der Wein reif und zeitig werde. Darauf sagte Gotthold: Vermerkt ihr denn auch, daß der Weinstock euch in dieser Arbeit widerstrebt und widerredet? Mein, warum haltet ihr dem lieben Gott für übel, was euer Wein euch nicht muß für übel halten? Ihr nehmt dem Weinstock das unnütze Laub, daß er desto schönere Früchte trage, und Gott nimmt euch die zeitlichen Güter und den irdischen Trost, damit der Glaube sammt seinen edlen Früchten, der Liebe, der Demuth, der Geduld, der Hoffnung, des Gebets u. s. w. bei euch desto größer, schöner und süßer werde. Es mag mir einer sagen, was er will, der aller Dinge Ueberfluß hat und von keinem Kreuz weiß, die Sonne der Gerechtigkeit mit ihren Gnadenstrahlen kann sein Herz nicht wohl berühren; deß Christenthum ist nicht, wie es sein soll; es pflegt nur herbe, saure Früchte der Heuchelei, des Stolzes, der Unfreundlichkeit, der Unbarmherzigkeit zu bringen. Darum lasset Gott mit euch machen, wie er will; er wird euch nichts verderben. Jetzt beblättert ihr den Wein, im Frühling habt ihr ihn behackt, gesenkt, beschnitten und angebunden. Lieber, ihr seid auch eine Rebe an dem geistlichen Weinstock, dem Herrn Jesu; Gott ist der Weingärtner und weiß wohl, daß ohne seine Gnade und Aufsicht er nichts Gutes von euch zu erwarten hat. Darum versenkt er euch durch Verachtung, er bindet euch an durch Trübsal, er beblättert euch durch Armuth, alles zu dem Ende, daß seine Gnade euch, und euer Herz ihm desto süßer sei. Ach, mein Gott! laß mich ja aus deiner Aufsicht nicht! sonst verwildere und verderbe ich. Beschneide, binde, blättere, wie du willst; das soll allezeit mein Trost sein, daß du es nicht kannst böse meinen.

217. Der junge Baum.

Gotthold hatte in seinem Garten einen jungen Baum, welchen er selbst geimpft oder gepfropft, mit großem Fleiß seiner gewartet und bisher mit Verlangen Früchte von ihm gehofft hatte. Als er nun zu tragen begann und er die ersten Früchte, welches rosenrothe schöne Aepfel waren, mit eigner Hand abbrach, sagte er: Wie mags immer kommen, daß die Früchte eines jungen Stamms, den wir selbst erzeugt, wenn es nur etliche wenige Aepfel sind, uns mehr belustigen und erfreuen, als wenn andere von fremder Hand mit großen Körben voll vorgetragen werden? Gewiß ist hiebei eine subtile und heimliche Eigenliebe, daß unser Eigenes, so gering es auch ist, uns mehr erfreut, als Fremdes, wenn es schon größer ist. Hieraus aber kann ich etlichermaßen abnehmen, wie eine große Freude es sein müsse, wenn Gott die Eltern mit Früchten der Tugend und des Wohlverhaltens ihrer Kinder sättigt. Die Kinder sind anfangs junge Reislein, den Eltern, wenn ich so reden mag, vom Herzen entsprossen und gebrochen, sie werden befeuchtet durch viel Schweiß und Thränen, beschnitten durch ernste und gottselige Zucht, gewartet durch sorgfältige Aufsicht, gewärmt und gleichsam beschienen von herzlicher Liebe, gedüngt durch alles Vermögen; wer kann denn zur Genüge beschreiben die Freude der Eltern, wenn sie die Zweiglein grünen sehen, gedeihen und wachsen? wenn Gott zu ihrem Pflanzen und Begießen das Gedeihen giebt, und ihr junger und lieber Baum seine gesegneten Früchte in ihren Schooß zu schütteln beginnt? Die Kinder sind ein Spiegel der Eltern; je tugendhafter und gottseliger, je heller und schöner. Wie nun die Sonnenstrahlen am stärksten sind, wenn sie an einem hellen Spiegel zurückprallen, also durchdringts den Eltern das Herz, wenn ihre Kinder, von den Strahlen der göttlichen Gnade und Segens erleuchtet, ihr Licht mit ihnen theilen. Die Kinderfreude ist kräftiger, das Herz der alten und abgearbeiteten Eltern zu stärken und zu erquicken, als der edelste Wein und der köstlichste Balsam. Die Musik, welche alle Leute am liebsten hören, ist, wenn ihre Kinder ihres Wohlverhaltens halber gerühmt werden; darum auch der weise Mann unter den 10 Stücken, die er in seinem Herzen hoch zu loben hält, oben ansetzt einen Mann, der Freude an seinen Kindern erlebt. Sir. 25, 9. 10. Mein frommer Gott, hier sind meine Pflänzlein! Ob ich zwar keine Liebe, Sorge, Mühe, Seufzer, Kosten an ihnen spare, besteht doch darinnen ihr Wachsthum und seliges Gedeihen nicht, sondern bloß in deiner Gnade. Laß mich, mein Vater, die Frucht ihrer Gottseligkeit und Tugend genießen; dies ist meines Erachtens unter allen vergänglichen Freuden die edelste und beste. Doch was sag ich vergänglichen Freuden! Wer will leugnen, daß frommer Eltern Freude an ihren frommen Kindern nicht wird ewig währen?

218. Die Perlenschnur.

Als Gotthold eine kostbare Perlenschnur, die neulich einer Jungfrau zum Schmuck erkauft war, vorgezeigt wurde, sagte er: Des h. Apostels Erinnerung wird heutiges Tags wenig geachtet, der da will, daß die Weiber in zierlichem Kleide mit Scham und Zucht, nicht mit Zöpfen oder Gold oder Perlen oder köstlichem Gewand sich schmücken sollen. 1. Tim. 2, 9. Niemand will jetzt keine Perlen tragen, als die sie nicht hat und nicht bezahlen kann; das wäre aber noch zu erleiden, weil ja das Frauenvolk den Schmuck von Natur liebt, wenn nur bedingt würde, daß keiner Perlen zu tragen sollte erlaubt sein, die nicht von denselben Anlaß zur gottseligen Erinnerung zu geben und zu nehmen wüßte. Die Perle, wie die meisten Naturkundigen bezeugen, wird vom Thau des Himmels empfangen; denn, wenn die Muschel und Perlenmutter helles und heiteres Wetter merkt, soll sie sich gegen den Morgen, wenn der Thau fällt, eröffnen und die silberhellen Thautropfen begierig empfangen, welche bei ihr erhärten und nachher mit ihrem hellweißen Glanze ihren himmlischen Ursprung beweisen. Also sollen unsere Herzen begierig und offen sein, den himmlischen Gnadenthau aufzufangen, wenn derselbe bei der Predigt des Worts herunter fällt. Wie die Perlen an eine Schnur gezogen und zum Schmuck umgebunden werden, so soll man die theuren Sprüche der Schrift, die den Kern, Saft und Kraft der himmlischen Weisheit in sich haben, an der Schnur seines Gedächtnisses zusammenfassen, daß man im Leben und Sterben sich derselben bedienen könne. Ich wüßte mich nicht zu erinnern, daß eine gottselige Frau oder Jungfrau in Todesnoth nach ihren Perlen und anderem Schmuck sich umgesehen hätte. Jene gottselige Fürstin, als sie im Todbette lag, sagte von ihren Perlen und Edelsteinen: Hinweg mit dem Unflath! Herr Jesu Christe, kleide meine Seele mit deinem Ehrenschmuck! Darum sammelt euch solche Perlen, die eurer Seele Stärkung im Tode sein, und die euch vor dem Angesicht Jesu Christi schmücken können. Zuvörderst, so oft ihr die hellglänzenden Perlen zu eurem Schmuck umthut, erinnert euch, daß auch eure Seele einen solchen Glanz von Tugend, Gottseligkeit und guten Sitten haben müsse; sonst schämen sich die edlen Perlen, daß sie einen so unfläthigen Balg decken und schmücken müssen. Mein Gott! meine Perlen sollen meine Thränen sein. Gieb mir Gnade, über meine Sünde vor Herzeleid, über deine Güte vor Freuden und über deine himmlische Seligkeit vor Verlangen zu weinen, so begehr ich keiner Perlen mehr.

219. Das Schauessen.

Es ward Gotthold ein Schauessen gewiesen, welches bei einer bevorstehenden Gasterei sollt. aufgesetzt werden. Die Welt, sagte er, bleibt bei ihrer alten Weise, daß sie ihr Vergnügen in der Eitelkeit sucht. Sie weiß wohl, daß ein Schauessen nichts anders ist, als ein gefärbtes Bild, von Holz, Wachs oder andern Dingen bereitet, welches wenig oder gar nichts werth ist, wenn nicht so viel Müh und Arbeit daran gewandt wäre. Oftmals ist es eines Vogels Fell, das man ihm sammt den Federn abgeblasen, mit Werg oder Heu ausgestopft, dessen Schnabel und Füße man vergoldet und gefärbt hat; und man hat von dieser Bemühung nichts, als daß es eine Weile der menschlichen Ueppigkeit und Eitelkeit dienen muß. Also sucht der Mensch seine Lust darin, daß er betrogen wird, und dünkt ihm, er werde geehrt und sonderlich bewirthet, wenn ihm ein solches nichtswerthes Ding aufgetragen und eine Weile zu beschauen vorgestellt wird. Es ist eben, als wie es mit den Gemälden zugeht; ich habe gesehen, daß ein gemalter Mönch, ein gemaltes altes häßliches Weib, ein gemalter Bettler mit seinen zerlumpten Kleidern und Bettelgeräth um etliche hundert, ja um tausend Thaler ist gekauft worden, da doch selbe Käufer einen lebendigen Mönch, ein solch alt Mütterchen keines Worts gewürdigt und einem solchen lebenden und nackten Bettler kaum einen Pfennig zu seinem Unterhalt gereicht hätten. Also liebt der Mensch den Betrug und hat nicht allein Gefallen daran, wenn er von künstlicher Hand betrogen wird, sondern bezahlt auch solche bezügliche Vergnügung mit vielem Gelde. Was ist denn der Menschen Lust? Eitelkeit. Was ist ihre Kunst? Betrüglichkeit. Was ist ihre Ehre? Thorheit. Ach, wie gar nichts sind doch alle Menschen! Ps. 39, 7. Mein Gott! der schöne Himmel, deiner Finger Werk, ist mein Schauessen; der gekreuzigte Herr Jesus ist mein Gemälde; an jenem beschaue ich, was deine Hand zur Seligkeit uns bereitet hat, an diesem, wie ich zu solcher Seligkeit gelangen könne. Weg mit aller Eitelkeit! Ich verlange allein die selige Ewigkeit.

220. Die sonderlichen Naturen.

Ein Vater hatte seinem kleinen Töchterlein seine Balsambüchse, damit zu spielen, gegeben, dessen aber das Kind bald genug hatte, indem es nicht allein die Büchse wegwarf, sondern auch so oft man ihm dieselbe wieder geben wollte oder nur vorzeigte, mit Abwendung des Gesichts, als wenn ihm sonderliches Leid geschehen wäre, zu weinen anfing. Als man nun hierüber sich verwunderte und der Ursache nachforschte, fand sichs, daß dem Kinde der Ambrageruch, damit das oberste Fach gefüllt, zuwider war, weil man solches Fach von den andern abgeschraubt, in ein Schnupftuch gewunden und als eine Puppe gestaltet ihm darreichte; welches es auch zuerst mit Lust annahm, sobald es aber den Geruch empfand, es mit Thränen wieder wegwarf Gotthold sah dieses mit an und sagte: Mich wird verlangen zu erfahren, ob mit zuwachsenden Jahren diese Eigenschaft bei dem Kinde bleiben und es sich selbst endlich, wenn es reden kann, erklären wird, daß ihm dieser Geruch entgegen sei. Sonst hat man von diesem Handel, daß der eine dies, der andere jenes nicht leiden könne, so seltsame und sonderbare Anmerkungen, daß es manchem unglaublich dünken möchte. Eine vornehme Frau in den Niederlanden hat keinen Frosch sehen oder hören können, daß sie nicht in eine Ohnmacht gefallen wäre, darum sie dann die sumpfigen Oerter, wo die Frösche sich aufzuhalten pflegen, als die Pest geflohen. Ein vornehmer Mann zu Lüttich hat keinen Aal ohne Ohnmacht ansehen können, ja, als man einmal die Aale in einer Pastete gebacken und unvermuthet zu Tisch gebracht, ist er beim Tisch als todt niedergesunken und nicht wieder zu sich selbst gekommen, ehe man die Pastete weggeschafft. Ich kenne einen jungen Menschen, der keine Aepfel leiden, vielweniger kosten kann. Jener Mönch konnte keine Rose, eine Jungfrau von vornehmem Geschlecht und schöner Gestalt, des Scaliger Gefreundete, konnte ohne Ekel keine Lilie ansehen, und es wäre ihr Tod gewesen, wenn sie selbige hätte anriechen sollen. Und wie viel sind derer, welche die Katzen, die Käse und andere Dinge nicht sehen oder hören können! In Untersuchung der Ursachen dieser sonderlichen Naturen wird es wol am sichersten sein zu bekennen, daß der Faden unsers Verstandes auch die Geheimnisse der Natur zu ergründen zu kurz ist. Ich wünsche mir hiebei eine solche Natur, die vor der sündlichen Lust, als wie dieses Kind vor dem Ambrageruch, einen Abscheu habe, zuvörderst da nichts der Natur mehr zum Verderben gereicht, als das, was sie von Beobachtung des göttlichen Willens abwendet. Diese Art aber muß der H. Geist in uns pflanzen; sonst ist unsere Natur an ihr selbst so verderbt, so sonderlich und seltsam, daß sie ihr Gift liebt. Mein Gott! gieb mir diese heilige Art, daß ich ohne Ekel, ohne Abscheu, ohne Eifer, ohne Seufzer und bittere Thränen an keine Sünde gedenke!

221. Das Herzklopfen.

Als Gotthold mit einem seiner Freunde von allerlei erbaulichen Dingen sprach, kamen sie unter anderm auch auf das Klopfen und die stetige Bewegung des Herzens. Davon sagte er: Wie man weiß, daß an vielen Oertern die Wasserkünste sind, durch deren stetigen Trieb und Bewegung das Wasser durch viele Röhren hin und wieder vertheilt und geleitet wird, so ist es mit dem Herzen, welches durch Gottes Schickung die Seele in stetiger Bewegung hält, damit aus demselben durch die Luft- und Pulsadern die Lebensgeister zur Erhaltung des ganzen Leibes vertheilt werden. Diese Bewegung aber kann zuweilen durch einen Zufall sehr vergrößert und verstärkt werden, wie man denn sieht, daß in Angst, Furcht und Schrecken das Herz desto geschwinder und stärker schlägt, wie eine Uhr desto geschwinder geht, wenn man ihr ein schwereres Gewicht anhängt. Als einmal ein junger Mensch in der Brust gefährlich verwundet ward, stieß ihm daher ein so ungewohntes Herzklopfen zu, daß man auch außer dem Hause, darinnen der Verwundete lag, wenn man vorüber ging und das Ohr ans Fenster legte, solches hören konnte Jener weise Richter, als er unter vielen verdächtigen Personen gerne ohne Säumniß und Weitläufigkeit einen Todtschläger erkunden wollte, hieß sie sämmtlich mit entblößter Brust in einen Kreis stehen, da er denn von einem zum andern ging, die Hand ihnen auf die Brust legte und endlich durch das starke Herzklopfen den Thäter erfaßte. Darum hat man sich billig zu hüten, daß man sein Herz und Gewissen nicht mit vorsätzlichen Sünden belästige, weil, wenn es schon in diesem Leben verborgen bleibt, wir dennoch unser Leben lang ein bebendes Herz tragen und den allwissenden Richter fürchten müssen, der alles wird ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und den Rath der Herzen offenbaren. 1. Cor. 4,5. Zuvörderst kann man die stärkere Bewegung des Herzens an sterbenden Leuten wahrnehmen, welches daher entsteht, weil das Herz wider die zunehmende Krankheit und hereindringenden Tod sich gerne wehren und, was ihm schädlich, von sich treiben will, dabei ihm aber endlich die Kräfte entgehen, daß es brechen und erliegen muß. Jener gottselige fromme Mann, als er in seinem Letzten lag und ungefähr hörte, daß die Umstehenden sagten: Ach, wie klopft ihm das Herz! sagte: Lasset euch solches nicht wundern; gleichwie ein Läufer, wenn er nun nahe zum Ziel gekommen ist, ob ihm schon der Odem und Kräfte fast entgehen wollen, so sucht er doch all sein Vermögen zusammen und eilt um desto mehr, damit ihm niemand zuvor komme; also läuft mein Herz, eilt und schlägt nach dem vorgestreckten Ziel, nach dem Kleinod, welches vorhält die himmlische Berufung Gottes in Christo Jesu; Phil. 3,14. Und Gott Lob! ich bin bald hin an, ich will mein Ziel bald erreichen, ich will meinem Herrn Jesu bald in die Arme fallen! darüber sich die Umstehenden der Thränen nicht enthalten konnten und ihm hiebei beständige Kräfte durch Beistand des H. Geistes zu solchem Lauf wünschten, damit er denselben mit Freuden vollenden und die Krone der Ehren aus der Hand des Herrn Jesu empfangen mochte.

222. Die Rüben.

Als Gotthold im Felde spazieren ging und viele Weiber auf den Aeckern Rüben aufgraben sah, sagte er zu einem guten Freunde: Dies ist auch eines von den nützlichsten Geschöpfen Gottes, dafür er doch wenig Dank hat. Es giebt uns nicht allein schöne, wohlschmeckende und nützliche Früchte über, sondern auch unter der Erde; die märkischen, bortfeldschen, gottländischen und andere Rüben sind jederzeit, vornehmlich wo sie selten sind, in ihrem Werth gehalten, so, daß man sie zuweilen gereinigt auf einen Tell r gelegt und unter anderm Confekt und Obst auf vornehme Tische getragen. Als Kaiser Rudolph der Erste einmal eine Stadt belagert und mit seinem Kriegsheer ziemlichen Mangel an Lebensmitteln hatte, weshalb auch die Soldaten begannen schwierig zu werden, ging er öffentlich hinaus auf einen Rübenacker, zog eine und andere heraus, säuberte sie und fing an, mit sonderlicher Lust davon zu essen, wodurch er seine Leute bewogen, daß sie sich auch nicht geschämt, ihren Hunger mit Rüben zu stillen. Woraus erhellt, theils daß die Natur mit Wenigem und Geringem zufrieden ist, wenn sie nur von üppiger sündlicher Lust nicht verleitet wird, theils daß vornehmer Personen Exempel bei dem Volk zum Guten und Bösen viel vermag. Zu verwundern ist es auch, daß an etlichen Oertern die Rüben über die Maßen groß werden, ob es wohl ein kleines Samenkörnlein ist, das zu ihrem Wachsthum in die Erde geworfen wird. Mathiolus erzählt, daß aus diesem kleinen Körnlein an etlichen Orten innerhalb 3 Monate eine Wurzel 700 Pfund schwer gezeugt wird; von 30 Pfunden habe er sie oft selbst in großer Menge gesehen. Das lehrt uns, wie es Gott in geistlichen und leiblichen Dingen unschwer sei, ein Geringes groß zu machen, darum wir mehr auf sein, als unser Vermögen zu sehen uns gewöhnen sollen. Wobei mir noch einfällt, daß es im Jahre 1571 geschehen, als allenthalben große Theurung und Mangel an Lebensmitteln eingefallen, und zweifelsfrei viele ängstliche Seufzer gen Himmel geschickt worden, daß es in Schlesien um Goldberg, Lemberg und andere Oerter Weizen, Roggen, Erbsen und auch kleine Rübchen geregnet, welches armen Leuten, die allenthalben zusammen gelaufen und dieses Wundergeschöpf Gottes mit Freuden gesammelt, wohl zu statten gekommen. Also lebt derselbe Gott noch, der ehemals das israelitische Volk in der Wüste mit Himmelsbrod gespeist hat, und ist seine Güte noch unerschöpft und seine Hand unverkürzt. Wenn wir ihn nur fürchten, lieben und ehren wollten! Fürwahr, manche sichere, bittere, böse Menschen sind nicht werth, daß sie einen so gütigen, frommen, barmherzigen und wohlthätigen Gott haben sollen!

223. Die Eule.

Gotthold sah, als er bei einem Landgute vorüber reiste, daß man eine todte Eule am Thor desselben angenagelt hatte. Wisset ihr, sprach er zu seinem Gefährten, was es bedeutet, daß man diese Vögel zum öffentlichen Spektakel also anheftet? Es ist ein alter Aberglaube, aus dem Heidenthum herfließend. Selbiges, weil es viel auf die Vögelwahrsagerei hielt und die Eulen für Unglücksboten achtete, hat ihnen, wenn sie mit ihrem Geschrei ihrer Meinung nach ihnen etwas Böses angekündigt, mit Fleiß nachgetrachtet, bis es sie lebendig oder todt in die Hände bekommen, da sie denn also aufgeheftet worden in der Meinung, daß alles Unglück solchermaßen über sie käme und die Einwohner davor gesichert würden. Nun wäre zu wünschen, daß kein Christ solcher Thorheit nachhinge, allein ich kann mich wohl erinnern, daß ich oft gehört, wie die Leute sich über das Eulengeschrei allerlei furchtsame Gedanken machen, etliche auch wol sagen: Rufe über deinen eignen Hals! Und wenn einer sich Zeit nehmen wollte, allen Aberglauben, der noch der Christen Herzen beherrscht, zu bemerken und zu verzeichnen, ihr solltet Wunder sehen, was es für ein großes Register werden würde. Ists aber nicht eine Schande, daß ein Christ so unchristlich ist, daß er vor eines Vogels, den Gott erschaffen hat, Geschrei sich fürchtet und Abscheu hat! Einen schrecklichen Fluch aber, ein schandbares und unnützes Wort, das aus seinem oder andern Munde geht, nicht achtet, da man doch wegen dieser mehr, als wegen jenes, sich Unglück und göttliche Strafe zu befahren hat. Ich will aber hiebei noch weitere Gelegenheit zu guten Gedanken nehmen. Die Eule ist ein Vogel, der das Licht scheut und die Finsterniß liebt; des Tages sieht man sie selten, bei der Dämmerung aber machen sie sich hervor und suchen ihre Nahrung; kommen sie bei Tag hervor, so sind die andern kleinen Vogel häufig um sie her entweder aus Verwunderung, oder angeborner Feindschaft. Solchermaßen sind sie ein Vorbild gottloser Weltkinder, die die Finsterniß mehr lieben, als das Licht; selbige sind klug und scharfsichtig in eitlen, vergänglichen und sündlichen Sachen; in göttlichen, geistlichen und himmlischen aber sehen und verstehen sie weniger, denn nichts. Ein böser Mensch bringt auch mit seinem ärgerlichen Exempel und gottlosen Reden oftmals viel andere vom Wege der Gottseligkeit ab, und wie der Vogler viel kleine Vögel auf der Leimruthe mit der Eule fängt, also muß ein böser Mensch dem Teufel viele andere zu berücken und zu verführen dienen. Aber was es für einen Ausgang gewinnt, dessen können wir uns bei diesem angenagelten Vogel erinnern; sie haben die Werke der Finsterniß geliebt, drum werden sie in die äußerste und ewige Finsterniß hinaus geworfen und mit den Nägeln der göttlichen schrecklichen Gerichte und der unendlichen Ewigkeit an der Höllenpforte zur ewigen Qual angeheftet. Darum lasset uns ablegen die Werke der Finsterniß und anlegen die Waffen des Lichts, lasset uns ehrbarlich wandeln als am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid! Röm. 13, 12. 13.

224. Der Kindertod.

Einem gottseligen Mann waren zween liebe Söhne von vier und dritthalb Jahren gestorben, die er mit vielen Thränen und großem Herzeleid lange betrauerte. Gotthold merkte, nachdem er eine Weile der Natur ihren Willen gelassen, daß er zu viel machte und sagte: Was hat denn der liebe Gott euch so groß zuwider gethan, daß ihr, wie sehr euch sein Wille mißfallt, mit so häufigen und langwierigen Thränen bezeugt? Er hat eure Söhne weggenommen; bedenket aber, daß sie mehr sein, als euer waren, und daß er, der ihnen das Leben und euch sie verliehen hatte, über ihr Leben mehr, als sie und ihr zu gebieten gehabt; bedenket, von wannen er und wohin er sie genommen, aus der Welt in den Himmel, das ist, aus der Gefahr in die Sicherheit, aus der Sünde in die Vollkommenheit, aus dem Mangel in den Reichthum, aus dem Leid in die Freud, aus dem Ungewitter in die Stille, aus dem Tode ins Leben. Er hat ihre Seele aus dem Tode gerissen, ihre Augen von den Thränen, ihren Fuß vom Gleiten, sie wandeln vor dem Herrn im Lande der Lebendigen. Ps. 116, 8. 9. Wie? gönnt ihr ihnen denn nicht, daß sie eher in den Himmel kommen, als wir? Ist es nicht eine seltsame Sache, daß wir über die mancherlei Noth, Angst, Beschwerde und, mit einem Wort, über das wie eine Kette an einander gegliederte Elend des menschlichen Lebens so oft und so sehnlich klagen und dennoch gleichsam mit dem frommen Gott zürnen, wenn er die, so uns am liebsten sind, davor sichert, als wäre es uns leid, daß sie nicht so viel Unglück erfahren, als wir? Ach, wie oft habe ich gehört, daß betrübte, arme, sorgende, sterbende Eltern gewünscht, daß sie ihre Kinder mit in den Himmel nehmen könnten, so wollten sie fröhlich und willig sterben; so ists ja besser, wenn man sie nicht erst mitnehmen darf, sondern wenn sie schon vorher drinnen sind. Ich weiß, daß einmal ein frommer Prediger bei gefährlichen Kriegsläuften vom Lande in eine benachbarte Stadt mit den Seinigen hat fliehen müssen, woselbst, weil die Blattern oder Pocken sehr grassirten, ihm von denselben auch seine beiden Kinderlein mit hinweg gerafft worden, darüber die Eltern nicht weniger, als ihr jetzt, sich betrübt; weshalb sie auch mit Kummer und Herzeleid, nachdem es auf dem Land wieder sicher geworden, aus der Stadt, in welcher sie ihren liebsten Schatz verlassen mußten, gezogen. Was geschieht? Bald nachher geschieht selbiger Orten ein neuer, unverhoffter und feindlicher Ueberfall, daß sie nebst ihren Nachbarn bei nächtlicher Weile in die nächstgelegenen Moräste und sumpfiges Gebüsch fliehen müssen, nichts, als das Leben mit sich nehmend. Als sie nun daselbst in großem Ungemach, in Hunger und Frost und tausenderlei Sorgen gesessen, sehen sie, wie etliche ihrer Nachbarn die meiste Betrübnis, wegen ihrer Kinder haben, welche weinten und winselten, maßen sie sich vor Kälte und Hunger nicht schützen konnten; da nehmen sie Ursach zu erkennen, wie wohl Gott an ihnen gethan, und wie großer Sorge er sie befreit, da er ihre Kinder in sichern Gewahrsam durch den zeitlichen Tod gebracht, danken ihm für seine Schickung und bitten um Verzeihung wegen ihrer unbedachtsamen Ungeduld, damit sie sich seinem allezeit guten Willen widersetzt. Ich zweifle nicht, wenn euer Gemüth von den Wolken der Traurigkeit in etwas entledigt werden wird, ihr werdet erkennen, daß es der fromme Gott nicht böse machen oder meinen kann; der liebe Gott muß auch oft uns viel zu gut halten und zu uns sagen: Was ich thue, das weißt du jetzt nicht, du wirsts aber hernach erfahren. Joh. 13, 7.

O wie selig seid ihr doch, ihr Frommen,
Die ihr durch den Tod zu Gott gekommen.
Ihr seid entgangen
Aller Müh, die uns noch hält gefangen!

225. Das neue Haus.

Als Gotthold ein neugebautes Haus besichtigte, fragte er den Wirth und etliche andere, welches sie für das beste Gemach im selbigen Hause achteten? Darauf fielen unterschiedliche Beantwortungen. Einer sagte: er hielte es mit der Stube, die fein hoch, licht und leicht zu heizen wäre. Andere merkten, daß die Frage ein weiteres Aussehen hätte, und sagten, theils die Küche wäre das Beste, als daraus die Speise zum Unterhalt der Einwohnenden käme, theils der Keller, daraus man einen frischen Trunk zum Labsal haben und sich sein zur Erhaltung allerlei Vorraths im Sommer und Winter bedienen könnte, theils die Schlafkammer, darinnen der durch Arbeit und Sorgen ermüdete Leib seine Ruhestätte findet. Gotthold sagte: Es muß auf diese Frage mancherlei Antwort fallen, darnach die Gemüther hier oder dort hin geneigt sind. Ein Geiziger wird den Ort, wo er seinen Schatz aufbehält, ein Schlemmer die Küche, die Speisekammer und den Keller, ein Gelehrter sein Studierstüblein, ein Handwerksmann seine Werkstatt, ein Kaufmann seinen Laden für das beste Gemach seines Hauses halten; allein, ich frage vornehmlich, welches eines frommen und gottseligen Christen bestes Gemach sei, und sage darauf, es sei die Betkammer oder der Ort, da er sein Gebet zu Gott aufzuschicken pflegt, davon unser Erlöser spricht: Wenn du betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließe die Thüre zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen, und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dirs vergelten öffentlich. Matth. 6, 6. Ein solcher Ort ist wie das Heiligthum im Hause, daraus als aus einer Quelle aller Segen in alle Winkel fließen und geleitet werden muß. Ueber einem solchen Kämmerlein oder Räumlein ist der Himmel offen; hier steht die Himmelsleiter, und die Engel Gottes steigen auf und ab; hier redet der Mensch mit seinem Gott als mit seinem Freunde; hier schüttet er sein Herz vor ihm aus; hier vertraut er ihm all sein Anliegen, hier schöpft er Trost in Trübsal und Freude in der Traurigkeit; hier steht die Bundeslade, um welcher willen das ganze Haus gesegnet wird, wie Obed Edoms, 2. Sam. 6, 11. Selig ist das Haus! gesegnet ist der Mann, wo dieses Kämmerlein wohl eingerichtet und wohl gebraucht wird! Ein armseliges Hüttlein, darinnen man fleißig betet, ist allen Pallästen aller Gottesverächter vorzuziehen. Mein Gott! mein Betkämmerlein ist, wo ich mein andächtiges Herz im Glauben zu dir richte; ich habe ja auch meinen Ort, da ich dich anzusprechen gewohnt bin, doch weiß ich, daß deine Güte an keinen Ort verbunden ist, und kann also mein Betkämmerlein allenthalben bauen.

226. Die Hirsche.

Ein großer Potentat ließ über hundert Hirsche fangen und in hölzerne Kasten verschließen, daß sie einem andern mächtigen Könige über das Meer sollten zugeschickt werden. An diesen Thieren nun war merkwürdig, daß, wie wild und scheu sie auch vorhin gewesen, sie nunmehr den Menschen aus der Hand aßen, was ihnen von Hafer, Heu, Kohl und dergleichen dargereicht wurde. Gotthold sah solches und sagte bei sich selbst: ach, mein Gott, wie ein seliger Zwang ist das liebe Krenz! wie dienlich ist es, uns fromm und zahm zu machen! Wenn das menschliche Gemüth außer Noth, frei und sicher ist und in weltlicher Lust, guter Gesundheit und Gesellschaft ohne Mangel und Sorgen durch die Welt, wie der freie Hirsch durch den Wald, trabt, da achtet es deiner so viel, als der Hirsch meiner. Der freie Hirsch flieht, wenn er den Menschen sieht, und nähme nichts aus seiner Hand, wenn es auch das Niedlichste wäre; so machen wir Menschen es auch bei guten Tagen; wenn du rufst: mein Kind, wo bist du? so verstecken wir uns. 1. Mos. 3, 9. 10. Wenn du uns lockst, so fliehen wir; wenn du uns deine Gnade in deinem Wort anbietest, so ist uns nichts darum, ja unsere Seele ekelt vor solcher losen Speise, 4. Mos. 21, 5., und wir fliehen dich als unsern Feind. Wie aber dem sichern Hirsch der Jäger aufpaßt und ihn oft mit einem Schuß unvermuthet fällt, also steht unsere Seele niemals in größerer Gefahr, als wenn sie außer Gefahr zu sein meint. Habe Dank, mein Gott! daß du uns in solcher Gefahr nicht lässest; du hetzest uns durch Verfolger und Verleumder, du verwickelst und fängst uns in mancherlei verschränkten und verwirrten Trübsalen als in Netzen, du verschließst und zwingst uns in Armuth und Krankheit, innerlicher und äußerlicher Noth; alsdann beginnen wir an dich zu denken, so werden wir demüthig und fromm, da erkennen wir dich als unsern lieben Gott und Vater und nehmen den Trost, den du mit deiner Gnadenhand uns darreichst, begierigst an. Das heißt: Wenn ich betrübt bin, so denk ich an Gott. Ps. 77, 4. Denn bei guten Tagen wirds oft vergessen. Ich danke dir, daß du mich demüthigst und hilfst mir! Ps. 118, 21.

227. Das Kirchengehen.

Als Gottholds Leute sich anthaten, daß sie wollten in die Kirche zur Predigt gehen, sagte er zu ihnen: Sehet zu, daß ihr die rechte Kirche zu Hause nicht vergesset; euer andächtiges und den Willen Gottes zu lernen und zu vollbringen begieriges Herz ist die rechte Kirche; werdet ihr das nicht mit in die Kirche nehmen, so ist euch euer Kirchengehen nichts nütze. Ihr seht die Bilder, Pfeiler, Stühle und Bänke in der Kirche, die sind lange Jahre darin gewesen und bleiben doch leblose Dinge. Ihr aber seid vernünftige Menschen, ja, was mehr ist, getaufte Christen; ihr habt Ohren zu hören und ein Herz das Wort Gottes zu fassen; geschieht solches nicht, so seid ihr durch euer Kirchengehen nichts gebessert; ja an jenem großen Gerichtstage wäre manchem besser, daß er sein Leben lang in keine Kirche hätte kommen können, als wenn er zwar oft hinein gekommen, ohne Frucht aber und Besserung wieder heraus gegangen ist; es wird erträglicher gehen denen, die von Gottes Wort nichts gewußt, als denen, die es reichlich gehabt, oft gehört und doch nicht darnach gethan haben. Soll der Feigenbaum, der von sich selbst keine Frucht trug, abgehauen werden, wie vielmehr der, welcher, nachdem er auf das fleißigste umgegraben und gedüngt ist, dennoch fruchtlos bleibt! Luc. 13, 7. 8. Da sie nun weggingen, seufzte Gotthold bei sich selbst und sagte: ach, Herr Jesu! mein allerliebster Heiland, es sind viele Kirchen auf Erden, aber wenig Herzen, die deine Kirchen sind! Mein Erlöser! Nimm ein Mein und der Meinigen Herz, heilige es durch deinen Geist, besprenge es mit deinem Blute, schmücke es mit deiner Gerechtigkeit, treibe heraus den Satan mit aller seiner Bosheit, fülle es mit deiner Gnade, beschütze es durch deine Macht, erfreue es durch deinen Trost, erhalte es durch deine Kraft zur Seligkeit und laß es also zeitlich und ewig deine Kirche und Wohnung sein!

228. Die Kälte.

Ein kleines Kind war in der Kälte seinem Spiel so lange nachgelaufen, daß ihm darüber die Hände ganz braun geworden. Als es nun der Stube und dem Ofen zueilte, empfand es wegen der geschwinden Veränderung gar große Schmerzen, wie denn bewußt ist, daß dieselben, wenn man die gefrornen Glieder plötzlich zum Feuer hält, zu erfolgen pflegen. Gotthold kam hierüber auf die Gedanken, wie mancherlei grausame Schmerzen in der Welt seien, denen der menschliche Körper unterworfen ist. Hier streitet, sprach er, die Hitze mit der Kälte und verursacht fast unleidliche Schmerzen, noch größer ist das Zahnweh, das Augenweh, das Haupt- und Hüftweh und andere. Hat nun der gerechte Gott den Menschen zur Züchtigung in der Zeitlichkeit so vielen und großen Schmerzen unterworfen, was will denn in der Hölle werden, da er seinen gerechten und grimmigen Zorn in alle Ewigkeit über die Verdammten ausgießen wird? In der Hölle wird Frost und Hitze sein, weil die Verdammten in ewiger Flamme brennen und doch heulen und zähnklappern werden. Können nun die Schmerzen, die kaum eine halbe Viertelstunde währen, diesem Kinde solche Angst machen, was werden die Höllenschmerzen thun, die in Ewigkeit währen? Wie aber die Kinder, indem sie dem liederlichen Spiel nachhängen, der Kälte nicht gewahr werden und der darauf folgenden Schmerzen sich nicht erinnern, so gehts uns Alten auch; wir folgen der Narrheit der Welt und lassen uns durch ihre schnöde Lust bethören, darüber oft der zeitlichen und ewigen Strafen, die auf Sünde erfolgen, vergessen wird. Ach, mein Gott! führe mich in die Hölle, weil ich lebe, damit ich vor der Hölle gesichert sei, wenn ich sterbe!

Ei, du süßer Jesu Christ!
Der du Mensch geboren bist,
Behüt uns vor der Hölle!

229. Die Windlage oder Windstille.

Es trug sich zu, daß etliche Wochen an einander der Wind fast gar nicht wehte, welches zwar an den Oertern, wo die Wassermühlen sind, nicht geachtet wird, allein, wo man, wie jener im Scherz redet, vom Winde leben muß, (er meinte, wo man nur lauter Windmühlen hat und ohne Wind kein Mehl zum Backen oder Malz zum Brauen haben kann), da verursacht es nicht geringe Noth und Beschwerde, maßen denn auch für diesmal viele Leute in etlichen Tagen kein Brod im Hause gehabt, ob es ihnen wohl am Korn nicht fehlte. Als nun hievon geredet ward, sagte Gotthold: Wenn wir meinen, wir haben alles von Gott erbeten, was wir bedürfen, so sollte es uns wol gehen, wie ein großer Lehrer (Luther) von einem Bauern dichtet, der immer das Wetter Gottes meisterte und, als ihm solches zu verwalten in die Hände gegeben wurde, und er bald regnen, bald die Sonne scheinen ließ, daß es ein Wetter war, wie man es wünschen möchte, befand er doch im Ausgang, daß die Kornähren taub und leer waren und er des Windes vergessen hatte. Der Wind hat feinen großen Nutzen, er reinigt die Luft, führt die Schiffe, treibt die Mühlen, versammelt und zerstäubt die Wolken, macht Felder und Wälder fruchtbar, und dennoch wirds von wenigen erkannt, und werden die Wohlthaten des Windes in den Wind geschlagen; darum denn auch der Wind oftmals erzürnt und entweder gar stille ist, oder also sauset und brauset, daß wirs mit Schrecken und Schaden inne werden, damit wir doch lernen mögen auch seinethalben Gottes Güte und Ernst erkennen. Seht aber hiebei, wie Gott mitten im Ueberfluß uns Mangel zuschicken kann, und wie wir so gar nimmer sein entrathen können. Es gehört viel dazu, ehe man einen Bissen Brod in den Mund stecken kann, und wenn es so weit gekommen ist, so kann er dennoch ohne Gottes Segen uns nicht gedeihen. Es ist nichts, daß wir gedenken: ich habe Geld im Beutel, Korn in der Scheuer und auf dem Boden, Vorrath in Küche und Keller, es kann mir nicht fehlen. Du Narr! dein Beutel kann durch Gottes Fluch löchericht werden, deine Scheuern kann das Feuer, dein Korn können die Würmer verzehren, dein Vorrath kann zerrinnen und verschwinden, und, wenn du am meisten auf deinen großen Vorrath trotzst, so kanns am ersten heißen: Du Narr! diese Nacht wird man deine Seele von dir nehmen, und weß wirds sein, das du bereitet hast? Luc. 12, 20. Darum laßt uns stets in der Furcht Gottes wandeln und alle Zuversicht nicht in unser Vermögen, sondern in seine Gnade setzen. Mein Gott! du versuchst es mit uns zu unserm Besten auf mancherlei Art! Zuweilen lässest du dich in deinen Wohlthaten oder Strafen gewaltig sehen und hören, zuweilen hältst du dich still und verbirgst dich, ob wir dich auf eine andere Art erkennen und dich suchen lernen wollten. Ach welche Dümmlinge sind wir Menschen, die wir oft das eine so viel, als das andere verstehen!

230. Die Todtenbahre.

Gotthold sah vor einem Hause eine Todtenbahre stehen zur Anzeige, daß darin eine Leiche wäre, die förderlichst würde beerdigt werden. Dabei erinnerte er sich sofort seiner Sterblichkeit und sagte bei sich selbst: vielleicht wird es eben diese Bahre sein, darauf man dich wird zu Grabe tragen, oder ists diese nicht, so ist doch das Holz schon gewachsen, daraus man eine für dich zimmern wird, darum halte dich zum Tode gefaßt und mache es so, daß, wenn man deinen Körper ins Grab, die Engel deine Seele in den Himmel tragen mögen. Im Fortgehen dachte er weiter: ach! wenn vor allen Häusern, darinnen ein Todter ist, eine solche Bahre sollte gesetzt werden, so dürften wir ihrer viel zu wenig haben! Denn mancher Mensch ist lebendig todt, der nämlich in Unbußfertigkeit und vorsätzlichen Sünden lebt. Gott ist der Seele Seele und unsers Lebens Leben; Christus muß in unserm Herzen durch den Glauben wohnen, er muß unsers Herzens Herz sein, daß wir mit dem h. Paulus sagen können: Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir! Gal. 2, 20. Gleichwie das Herz die Quelle ist der Lebensgeisterlein und eine Werkstätte der Seele, daraus sie die natürliche Wärme und Lebenskräfte in alle Adern und Glieder vertheilt, also muß der Herr Jesus in uns das geistliche Leben wirken und seinen Geist in alle unsere Kräfte, Sinne, Begierden, Gedanken und Bewegungen ergießen. Wo das nicht ist, da ist kein Leben. Der gottlose Mensch ist ein lebendiges Aas, er stinkt vor Gott und seinen h. Engeln; die Würmer der sündlichen Begierden durchwühlen sein Gewissen, er ist ein Greuel vor Gottes Augen. Wie sich die Raben und andere unreine Vögel über ein Aas freuen und versammeln, so freuen sich die höllischen Geister über die in Sünden todte Seele, und wo ist ein Haus, darin man solche nicht findet? Ach, mein Herr Jesu! ich will lieber nicht leben, als dir nicht leben! Laß mich sterben, daß ich lebe! Was ists, lange leben und lange sündigen? Ich will gerne noch länger leben, wenn du in mir lebst; sonst wäre mir besser, diese Stunde sterben. Sei du mein Leben, oder ich mag nicht länger leben.

231. Das Ahnen.

Die Erfahrung bezeugts, daß einem Menschen zuweilen das Herz schwer wird, und er eine sonderliche Bangigkeit verspürt, ob er wohl alsdann noch keine Ursache seiner Traurigkeit ersehen kann. Als nun Gotthold hierüber befragt wurde, sagte er: Man findet hievon auch bei den Alten viele Zeugnisse und Exempel, mit deren Anführung aber ich weder euch, noch mich bemühen mag, zuvörderst da es uns selbst an merkwürdigen Exempeln nicht fehlt. Es ist in diesem Lande vor wenig Jahren geschehen, daß ein Edelmann von seinem Gut in eine benachbarte Stadt reitet, woselbst er einen seiner Vettern antrifft, mit welchem er sich zum Trunk niedersetzt. Indessen kommt seiner Frau daheim, als sie über Tische mit den Kindern und deren Lehrer sitzt, eine sonderliche und unverhoffte Traurigkeit an; sie klagt, ihr Herz sei ihr so schwer und beklommen, daß sie es nicht sagen könne, sie vergißt Essen und Trinken und kann, wo sie geht, der Thränen sich nicht enthalten, die ihr häufig die Backen herab fließen, wobei sie öfters seufzend sagt: Ach, mir steht ein groß Unglück bevor! Ach, wenn ich wüßte, wie es um meinen Junker wäre! Doch fällt mir oft ein der Vers des Gesangs: Auf meinen lieben Gott u. s. w.: Mein Unglück kann er wenden, es steht in seinen Händen. Was geschieht? Der Edelmann geräth mit seinem Vetter in Streit, so, daß sie beide, weil die Pferde gesattelt vor der Thür standen, zu denselben laufen, die Pistolen heraus reißen und mit aufgeschlagenen Hähnen einander sie auf die Brust setzen, auch los drücken. Allein, hier sah man die Wirkung der Thränen jener frommen Frau, welche, so zu reden, das Pulver genetzt, daß es kein Feuer fangen wollte, also daß ihnen beiden die Pistole versagte und also andere Leute Zeit gewannen, dazwischen zu kommen und sie von einander zu bringen. Es ist in dieser Stadt ein guter Bürger noch lebend, dem auch einmal wegen eines schweren Traums eine große Herzensbangigkeit zugestoßen, daß er sich und seine Frau zum Gebet öfters ermunterte, sagend, daß ihm ein Unglück bevorstände, ob es Gott der Herr gnädig wenden wollte. Als er nun mit einer Büchse, die er Lust halber mit ins Feld zu nehmen pflegte, umgeht, und seine Frau ein saugend Kind auf dem Schooß habend vor ihm am Tische sitzt, geht unvermuthlich die Büchse los, und fährt der viele Hagel, damit sie geladen war, über der Frau und des Kindes Haupt in den gegipsten Boden mit ihrer aller höchstem Schrecken. Ich weiß aber hievon nichts anders zu sagen, als daß ich solches auch für ein Merkzeichen der göttlichen unbegreiflichen Güte halte. Satan, der dem lieben Hiob mit Lust so viel Schaden zufügte, ist noch jetzt gegen die Frommen nicht anders gesinnt, und es ist seine Freude, wenn er sie in Unglück bringen und an Leib und Seel gefährden mag. Dies sieht und weiß der barmherzige Gott, der Hüter Israel, der nicht schläft, noch schlummert, und thut vermittelst der h. Engel oder sonst ihnen ihre Gefahr durch solche Herzensbangigkeit kund, damit sie sich in der Zeit mit dem lieben Gebet und möglicher Vorsichtigkeit verwahren mögen. Auch bezeugt es die Erfahrung, daß hiedurch oft ein Unglück entweder gänzlich zurück getrieben, oder doch großentheils gelindert wird. Herr, mein Gott! was ist der Mensch, daß du dich sein so annimmst? und des Menschen Kind, daß du ihn so hoch achtest? Ps. 144, 3.

232. Der Regenbogen.

Als Gotthold eines wunderschönen Regenbogens ansichtig ward, sagte er bei sich selbst: Mein Gott! das ist das Zeichen des Bundes, welchen du mit den Menschen nach der Sündfluth in Gnaden gemacht hast, 1. Mos. 9, 12. Herr, Herr Gott, barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Gnade und Treue, der du beweisest Gnade in tausend Glied und vergiebst Missethat, Übertretung und Sünde! 2. Mos. 34, 6. 7. Du bist wunderlich in allen deinen Werken, am allerwunderlichsten aber und unbegreiflich in deiner Güte und Gnade. Du zeigst uns hier den Bogen als ein Zeichen deiner Macht, aber ohne Sehnen und Pfeile zum Beweis deiner Gnade. Dieses dein Gnadenzeichen erscheint in den dicksten Regenwolken, anzudeuten, daß du auch in Trübsal der Barmherzigkeit gedenkest, Habak. 4, 2. und wenn du zürnest, Gnade und Güte erzeigest. Tob. 3, 14. Ich sehe diesen Bogen an als ein hohes Portal deines himmlischen Hauses und weiß, daß die Gnadenthür niemals vor einem betrübten Sünder verschlossen ist. Dieses wunderschöne Himmelsbild entsteht, wenn sich die Sonne in so viel tausend herunter fallenden Regentropfen abbildet und spiegelt; also spürt man in allen deinen Werken deine unbegreifliche Güte. Doch, wie dieser Bogen nur ein halber Zirkel ist, also hast du uns in dieser Zeit die ganze Herrlichkeit deiner Güte noch nicht offenbart, sondern den größten Theil der seligen Ewigkeit vorbehalten, in welcher wir dich majestätischen, glorwürdigsten, liebreichen Gott auf dem Stuhl deiner Herrlichkeit mit dem Regenbogen deiner Güte umgeben Offenb. 4, 3. ewig und selig anschauen werden. Nun, mein Gott! es sei dir hiemit zugesagt, daß, so lange der Odem in mir ist, der Ruhm deiner Gnade aus meinem Herzen und Munde nicht kommen soll; ich will deine Gnade loben, weil ich lebe, denn deine Gnade ist mein Leben, deine Güte ist besser, denn Leben. Ps. 63, 4. Laß mich nur deiner Gnade allezeit versichert sein, so genüget mir.

233. Der Himmel.

Als Gotthold in Betrachtung der betrübten Zeit und großen Zerrüttung an allen Orten und in allen Ständen mit traurigen Gedanken ins Feld gegangen war und mit sich selbst zu streiten hatte, kam er auf einen Hügel, woselbst er ziemlich weit um sich sehen konnte, und gerieth endlich in folgende Gedanken: ich sehe hier Städte, Dörfer, Felder, Wälder, Aecker, Wiesen, Sträuche, Dornen, Steine, Vieh, Vögel und Menschen, alles aber ist mit dem Himmel gleichsam umfaßt, alles ist in den Himmelskreis eingeschlossen. Ich sehe, was ich sehe, so ist der Himmel das Aeußerste und Letzte, da mein Gesicht sich enden muß. Also bin ich auch versichert, daß alles, was in der Welt ist und vorgeht, Gutes und Böses, der himmlischen Regierung und Vorsehung unterworfen ist. Dies ist der große Reif, der die Welt bei so großer Zerrüttung und mannigfaltiger Mißhälligkeit zusammenhält, mit diesem Kreise hat mein Gott alle Dinge mächtiglich, weislich und gütiglich umschränkt, also, daß, wie niemand auf Erden einen solchen Ort finden kann, da ihn der Himmel nicht bedecken und umgeben sollte, so auch sich niemand der göttlichen allgemeinen Regierung entziehen kann, durch welche alles zu des Höchsten Ehre und der Frommen Seligkeit eingerichtet wird. Darum, meine Seele, was trauerst du? was sorgst du? Läßt es sich wunderlich an in der Welt, so bedenke, daß das Wunderlichste ist unter allen wunderlichen und verworrnen Dingen der Menschen, daß die Ordnung Gottes in der Unordnung dennoch besteht und die Allerklügsten sich oft verwundern, wie es doch so ganz anders läuft, als sie es vermeint hätten. Es gehe wie es will, so gehts doch nicht anders, als Gott will. Mußt du mm schon viel Widerliches, viel Trauriges, viel Schreckliches sehen und erfahren, schaue nur ein wenig weiter hinaus, so wirst du sehen, daß der Himmel das Letzte ist; der Himmel regiert, umfaßt, endet alles! Was achtest du es denn, wie es in der Welt zugeht, wenn es zum Himmel geht? Wenn in Kriegsläuften ein reisender Mann ein Stück Geldes bei sich hat und gerne sicher durch wäre, so ists ihm lieb, wenn er einen Wegweiser haben kann, der ihn durch einen Umweg an einen sichern Ort bringt; muß er schon demselben durch ungebahnte Steige, durch Sümpfe und Pfützen, durch Dornen und Gesträuche mit Beschwerlichkeit folgen, so zürnt er darum nicht mit ihm, sondern ist vergnügt und dankt ihm, wenn er ihn nur in seinen Gewahrsam bringt. Was wolltest du es denn übel aufnehmen, wenn dich durch die unsichere, kriegerische, räuberische Welt der liebe Gott nicht läßt in einer Sänfte in den Himmel tragen? Genug ists, daß seine Wege, wie wunderlich sie sind, eitel Güte und Wahrheit sind, Ps. 25, 10, und endlich auf den Himmel hinaus laufen! Hierüber ward er nun voller Muths und Freude und sagte:

Darum, ob ich schon dulde
Viel Widerwärtigkeit,
Wie ichs auch wohl verschulde,
Kommt doch die Ewigkeit,
Ist aller Freuden voll.
Dieselb ohn einig Ende,
Dieweil ich Christum kenne,
Mir widerfahren soll.

234. Das Spielhölzlein.

Unter andern Spielen der Kinder ist ein viereckiges Hölzlein bekannt, welches auf einer Seite das Wort Omnia, auf der andern das Wort Nihil, auf der dritten das Wort Pone, auf der vierten das Wort Trahe geschrieben hat, zu bedeuten, daß, wie einem jeden, der mitspielt, im Herumwerfen eine Seite fällt, er entweder alles oder nichts wegnehmen, zusetzen oder die Hälfte wegziehen solle. Als nun Gotthold etliche Knaben über diesem Spiele geschäftig sah, sagte er bei sich selbst: so recht, liebe Kinder; gewöhnt euch nur von Jugend auf daran, daß euch der Welt Eitelkeit, Unbeständigkeit und plötzliche Veränderung nicht fremd vorkomme. Manchem gelingt alles wohl, und er hat alles, wie ers wünscht; einem andern geht nichts wohl von Statten, und hat nichts, als was ihm Kummer und Herzeleid macht. Einem will das Glücksspiel wohl, daß er immer zu sich nimmt und sammelt, ein anderer muß immer zubüßen und zerstreut. Es ist aber zwischen den Glücks- und Unglücksfällen ein geringer Unterschied und verwechselt sich alles und nichts so leicht, als dies euer Hölzlein herumfällt. Die Juden berichten, daß König David soll haben eine Münze schlagen lassen, da auf einer Seite ein Hirtenstab und Tasche, auf der andern die königliche Burg Zion mit ihren Thürmen gebildet war; imgleichen, daß Mardochai nach seiner wunderlichen Erhöhung Pfennige habe prägen lassen, welche auf einer Seite einen Sack mit Asche, auf der andern eine köstliche Krone gezeigt. Dies haben sie zweifelsohne darum gethan, daß sie sich selbst ihres Herkommens und zuvor gehabten schlechten Standes erinnern, andere aber lehren möchten, daß zwischen einer königlichen Burg und Krone und zwischen einem Sack und Hirten- oder Bettelstab nichts sei, als das Umwenden. Darum denket allezeit daran, daß das Weltwesen ein solches Spiel ist, und wenn euch alles fällt, so erhebt euch nicht; fällt euch nichts, so verzaget nicht; müsset ihr einmal zubüßen, es kann bald kommen, daß ihr wieder wegnehmet. Niemand ist seines Zustandes versichert, als der aus der Eitelkeit zur Ewigkeit wandert. Mein Gott! alles ist unbeständig, nichts ist dauerhaft ohne deine Gnade. Ich will gern das Zeitliche zusetzen, laß mich nur das Ewige gewinnen. Ich getröste mich, daß das Glückspiel, wie wirs nennen, bei dir kein Spiel ist, daß auch weder dieses, noch jenes mir fällt ohne deinen weisen Rath und gnädigen Willen. Fällt mir denn alles, so soll alles deiner Ehre dienen; fällt mir nichts, so frage ich, wenn ich nur dich habe, nichts nach Himmel und Erde. Ps. 73, 25. Ich will dennoch auf Gewinn und Verlust über die zeitlichen Dinge mitspielen, so lange es dir gefällt; mein bester Gewinn aber ist keiner ungewissen Veränderung unterworfen.

235. Der Weihe.

Gottholds Freund erzählte ihm, daß er einen Weihen gesehen, der aus der Höhe auf seinen Raub gelauert, und fragte, ob auch der zu guten Gedanken Anlaß geben könnte? Er antwortete: Warum nicht? Er kann anfangs ein Bild eines weltgesinnten Menschen sein, der den Schein der Gottseligkeit zwar beliebt, aber die Kraft verleugnet. 2. Tim. 3, 5. Denn wie dieser Vogel zwar unter dem Himmel in freier Luft sich gern aufhält und schwebt, so daß es scheint, als wollte er dem Himmel gern nahe sein, so sind doch seine scharfen Augen stets auf die Erde gerichtet, ob er etwa einen Raub ersehen und erhaschen könnte. So sind die Heuchler, sie reden gerne von geistlichen und himmlischen Dingen, sie gehen in die Kirche und zum h. Abendmahl, sie lesen, beten, singen; nichts desto weniger bleibt ihr Herz irdisch gesinnt und trachtet mehr nach dem Zeitlichen, als nach dem Ewigen. Auch wisset ihr, daß die Niedersachsen und Holländer diesen Vogel einen Küchendieb nennen, weil er gemeiniglich den jungen Hühnern aufzupassen und sie zu entführen pflegt. Wenn nun unser Erlöser sich mit der Gluckhenne vergleicht, Matth. 23, 37., so sind wir die Küchlein, der Teufel aber ist der höllische Weih und Raubvogel, der immer auf uns lauert und keine Gelegenheit zu unserm Verderben verabsäumt; wollt ihr nun sicher sein, so verlasset Jesum nicht, daß er seine Gnaden- und Schutzflügel über euch breite. Sonst ist zu verwundern, was Bellonius von der großen Menge dieser Vögel erzählt. Denn als er in Thracien gewesen und die Vögel im Frühling aus den warmen Ländern wieder hieherwärts ziehen gesehen, berichtet er, daß sie so viel und dick, als die Ameisen daher gezogen, mit solcher unglaublichen Menge, daß er nicht traut, wenn sie funfzehn Tage an einander so häufig flögen, daß so viele Menschen in der Welt leben, als dieser Vögel sein würden; darum er nicht ausdenken oder begreifen könne, wo solche große Menge Raubvögel Raum und Nahrung finden möchte. Dies dient, den Reichthum der milden Güte Gottes zu bedenken, der auch solche unnütze Tischgänger zu speisen und zu versorgen weiß, ob er schon nicht mit uns Menschen darüber zu Rathe geht. Sollte er denn nicht das vielmehr uns thun? O wir Kleingläubigen! Matth. 6, 30. So ist auch endlich an diesem Vogel das merkwürdig, wie Aldrovandus berichtet, daß er zur heißen Sommerszeit, wenn andere Thiere und Vögel Schatten zu ihrer Kühlung suchen, sich über die Wolken in die mittlere Luft schwingt und daselbst fast bis an den Abend flatternd und schwebend sich aufhält, auf daß er also seine hitzige Natur erfrischen und kühlen möge; denn daß es in solcher Höhe kalt sei, ist an den Gipfeln der höchsten Berge zu sehen, auf welchen der Schnee auch in den heißesten Sommertagen nicht schmilzt, wie denn auch die Leute, so auf dem Gebirge wohnen, sich oftmals im Sommer ohne warme Stube nicht behelfen können. Hierin lasset uns nun diesem Vogel folgen; wenn die Hitze der Trübsal, 1. Pet. 4, 12., überhand nimmt, und innerliches oder äußerliches Anliegen uns abmattet, so, laßt uns die Gedanken gen Himmel richten, und im Geist und Glauben das Herz zu Gott erheben, das wird die beste Erquickung für unsere matte Seele sein. Mein Herr Jesu! wenn du nicht mein Jesus wärest und mich schütztest, versorgtest und labtest, wollt ich lieber ein solcher Vogel, als ein Mensch sein.

236. Der Odem.

Als einer über seine enge Brust und schweren Odem klagte, sagte Gotthold: Wenn diese Beschwerde nicht wäre, so würde die Wohlthat des Höchsten, die er uns in dem Odemholen erweiset, schwerlich in Acht genommen; er hat dem Herzen die natürliche Hitze eingepflanzt, welche es durch stetige Bewegung in alle Glieder vertheilt. Damit aber das Herz in solcher stetigen hitzigen Arbeit bestehen könne, hat er ihm die Lunge als einen Blasbalg zugesellt, welche immer die kühle Luft von außen schöpft und das Herz damit kühlt, hingegen viele unreine Dünste hinausstößt. Ohne dieses Kunstwerk könnte der Mensch nicht leben, darum auch die Schrift sagt, daß Gott jedermann allenthalben Leben und Odem giebt, Apostelg. 17, 25., daß sein Aufsehen unsern Odem bewahre, Hiob 10, 12., ja daß er unsern Odem und alle unsere Wege in seiner Hand habe. Dan. 5, 23. Darum sollen wir billig Gott loben, so lange der Odem in uns ist. Jener Mahomedaner hats sehr wohl getroffen, wenn er schreibt: Ein jeglicher Athem, den man in sich zieht, verlängert das Leben, und der wieder aus uns geht, erfreut den Geist, darum sind im Athemholen des Menschen zweierlei Gnaden und für jedwede soll man von Herzen danken. Dieser elende Blindling vermeint, man könne ohne Gottes Gnade nicht Odem holen, darum solle man ohne Gottes Lob keinen Odem lassen; sollte er wol nicht am jüngsten Tage aufstehen und uns undankbare Christen verdammen? Eines Christen Herz und Mund sollte billig sein als ein Balsambüchslein, welches, sobald es geöffnet wird, einen lieblichen Duft und anmuthigen Geruch von sich giebt; so sollten stets unsere Gedanken, Begierden und Worte mit dem Preis göttlichen Namens gemengt sein, daß, wenn wir den Mund aufthäten, man nichts, als was zur Ehre Gottes und des Nächsten Erbauung dient, zu vermuthen hätte. Gedenket aber auch allezeit daran, wie leicht es um unsern Odem geschehen sei. Man hat Exempel, daß Leute an einem Harlein, an einem Weinbeerstein, an einem Brodkrümlein sind plötzlich erstickt. Hadrian, der vierte des Namens, römischer Papst, als ihm im Reden eine Mücke in die Luftröhre geflogen, ist geschwinden Todes gestorben. Ein gottloser Mensch, dem das Essen gleich gut geschmeckt, wenn er schon, wie er zu reden pflegte, nicht viel Pfafferei darüber machte, geht in eine Garküche und will eine Suppe mit Semmelschnitten essen und erstickt am ersten Löffel voll. Eines Stadtschreibers zu Kopenhagen Diener, ein junger Mensch von 19 Jahren, steht vor dem Tisch und wartet den Gästen auf; als nun eine Schüssel, darinnen ein kleines Stück von einer Ochsenzunge übrig geblieben war, vom Tisch gegeben wird, steckt er solches eilends und heimlich in den Mund und muß daran ersticken, ehe man ihm Hülfe schassen kann. Darum laßt uns unsern Odem mit stetigen demüthigen Seufzern mischen und in der Furcht Gottes behutsam wandeln. Mein Vater! meines Leibes Odem hat dein Aufsehen bisher bewahrt; meiner Seele Odem steht in deiner Güte; darum soll mein Leib und Seele deine Gnade rühmen, so lange in mir der Odem ist.

237. Die betenden Kinder.

Etliche Bluts- und Muthsverwandte waren auf eine Mahlzeit und freundliches Gespräch zusammen gekommen; als sie nun ihre Freundschaft auch auf ihre Kinder gern vererbt hätten, ließen sie dieselben zusammen bringen, daß sie in der Eltern Gegenwart an einem sonderlichen Tisch speisen und hernach in einer Reihe, nach ihrem Alter ordentlich stehend, beten mußten. Nach verrichtetem Gebet fing Gotthold an und sagte: Meine Herzensfreunde! lasset uns doch bedenken, was dies für eine Gnade und Freude sei, die uns bösen Vätern der fromme Vater im Himmel gönnt; seht, diese unsere Kinder sind wie die schönsten Blumen und lieblichsten Pflanzen; sie haben ihre gesunden und wohlgestalteten Glieder, ihre hellleuchtenden Augen, ihr richtiges Gehör, ihren feinen Verstand, ihr gutes Gedächtniß, ihre fertige Sprache, ihr fähiges Gemüth, ihre geschwinden Füße, ihre kindfreundlichen Geberden, ihr holdseliges Spielwerk, damit sie uns manche Sorge und Gedanken vertreiben, ja man spürt an ihnen den Trieb des in ihnen wohnenden H. Geistes, der oft Gebet, Seufzer, gottselige Einfälle und heiliges Verlangen in ihnen wirkt. Ach, laßt uns ja erkennen, daß Kinder eine Gabe Gottes sind und Leibesfrucht ein Geschenk. Ps. 127, 3. Laßt uns aber auch dahin sehen, daß wir diese uns anvertrauten köstlichen Gaben durch Verzärtelung, durch üble Erziehung, durch böse Exempel und Aergerniß nicht versäumen oder verderben. Es lassen oft große Herren und andere reiche Leute aus fremden und weit entlegnen Ländern schöne Blumen, Kräuter und Pfropfreiser bringen, die sie ihren Gärtnern zu fleißiger Aufsicht und Wartung vertrauen; wenn nun aber ein solcher Herr sollte in seinen Lustgarten kommen und sehen, daß durch des Gärtners Unfleiß und Faulheit eine kostbare Blume vom Unkraut erstickt, ein edles Kraut mit Gras bewachsen und ein junger Baum von Epheu, wildem Hopfen und Zaunkletten umrankt und beschwert wäre, was meint ihr, würde der Gärtner für einen Dank zu erwarten haben? Nun hat uns Eltern auch Gott diese Himmelspflanzen anvertraut, die durch seine Gnade gewachsen, durch das Blut Christi in der Taufe befeuchtet und mit der Gabe des H. Geistes besaftet sind. Weh uns! so wir sie versäumen, so wir sie durch Nachlässigkeit verwildern und vom Unkraut der Bosheit verderben lassen! hier ist das liebe Gebet, gute Zucht und ein gottseliges Exempel das Beste. Mein Gott und Vater! ich will nicht sagen, daß meine Kinder mein sind, sondern sie sollen dein sein und heißen; ich untergebe sie deiner heiligen Regierung, väterlichen Fürsorge, mächtigem Schutz und reichem milden Segen. Indessen will ich dein Gärtner sein und mit allem Fleiß, zuvörderst mit Seufzern und Thränen ihrer warten, und so wirds mir, wie ich hoffe, nicht fehlen.

238. Der Nagel im Baum.

Es hatte ein guter Mann in seinem Garten an einem Baum eine Latte mit einem eisernen Nagel befestigt; als nun der Baum nach und nach verdorrte, bedauerte er es sehr, konnte aber die Ursache solchen geschwinden Verderbens nicht errathen. Als nun Gotthold hievon mit ihm redend ward, erinnerte er sich, gelesen und erfahren zu haben, daß, wenn man in einen grünen Baum einen eisernen Nagel schlägt, dessen Verdorrung darauf zu erfolgen pflege. Weil er nun wohl wußte, daß dieser Mann oft mit Traurigkeit und Sorgen sich plagte, sagte er: Nehmet hier wahr eine Abbildung eines Menschen, dem die Traurigkeit und Melancholie stets wie ein Nagel im Herzen steckt; gewiß kann es ihm in die Länge nicht anders, als diesem Baum ergehen. Denn Sorge im Herzen kränkt und drückt, Sprüchw. 12, 25., und Traurigkeit todtet viel Leute und dient doch nirgends zu. Sir. 30, 25. Traurigen und sorgenvollen Leuten gehts wie denen, die sich einer Krankheit befahren und mit vielfältigen und oft wiederholten Arzneien derselben zuvor kommen wollen, da sie doch öfters die Natur nur verschwächen und ihren Tod beschleunigen. Darum rathsamer ist, daß man mit weniger Arznei und vieler Mäßigkeit der Natur zu Hülfe kommt, damit sie wider die anfallende Krankheit desto glücklicher streiten möge. Also ists besser, wenig sorgen und viel beten, als Unglück mit Traurigkeit, ein Uebel mit dem andern vertreiben wollen. So ihr aber mir folgen wollt, will ich euch einen rechten, guten Rath wider Traurigkeit und Sorgen geben. Erwählt euch einen gottseligen und vertrauten Freund, dem ihr euer Anliegen kühnlich entdecken und dadurch eurem betrübten Herzen Luft machen könnt. Zwar Gott ist der beste Freund, allein, weil er seine Lust an der Menschen Freundschaft hat, so verweiset er uns oft an einen gottseligen Menschen, und ist eines Freundes Stimme Gottes Stimme. Wenn einer eine Last weit und allein zu tragen hat, ermüdet er leicht und bleibt darunter liegen; wenn er sie aber mit einem wohlwollenden Gefährten theilt, so kann er weiter wandern. So ists auch mit dem Kummer dieses betrübten Lebens; wie sollen wir einer des andern Last tragen, als der Apostel gebeut, Gal. 6, 2., wenn ich, was mir zu schwer wird, andern nicht entdecken und auflegen will? Suchte doch unser Heiland selbst in seiner tiefsten Traurigkeit Trost bei seinen Jüngern und kam etliche Mal, sagend: Könnt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen? Matth. 26, 40. Mein Herr Jesu! du weißt wohl, wie einem betrübten Herzen zu Muth ist! Um deiner Traurigkeit willen hilf allen betrübten Leuten, erleichtere die mit Sorgen belästigten Herzen!

239. Der Tanz.

Als Gotthold auf einer Hochzeit tanzen sah, sprach er: Ein weiser Mann hat wohl gesagt, das Tanzen wäre eine vergönnte und ehrbare Thorheit; König Alphons aber ist noch weiter gegangen, wenn er geurtheilt, es wäre zwischen einem Tänzer und einem Narren kein Unterschied, als daß der eine alle seine Lebtage narrt, der andere, so lang er tanzt. Ich habe oft von alten ehrbaren Leuten gehört, man sollte die Ohren zuhalten und mit den Augen allein vom Tanz urtheilen, so werde man dessen Eitelkeit am besten erkennen können. Nun muß man zwar den Tanz jungen Leuten als eine ergötzliche Uebung guter Sitten und Höflichkeit gönnen, dennoch aber sie allezeit daran erinnern, daß sie auch bei solcher Lust der heiligen Furcht Gottes und gebührender Ehrbarkeit nicht vergessen. Denn wo man ein wüstes wildes Wesen im Tanz spüren läßt, da tanzt oft der Teufel, Tod und allerlei Unglück mit. Alexander der Dritte, König in Schottland, hielt zum andern oder (wie andere schreiben,) zum dritten Mal Hochzeit; als er nun mit der Braut nebst vielen andern vornehmen und adeligen Personen tanzte, hat man den Tod, wie er sonst gemalt wird, hinter ihm sehen hertanzen, darauf denn noch im selben Jahr der König ums Leben gekommen. Im Jahr Christi 1352 hat Johann von Miltitz, Bischof zu Naumburg, am Tage Johannis des Evangelisten etliche vom Adel, Frauen und Jungfrauen, zu Gaste geladen, Mit denselben getanzt und allerlei Leichtfertigkeit geübt; darauf er plötzlich zwischen zweien Weibern, die er zugleich an der Hand gehabt, umgefallen und Todes verfahren. Wie auch ein Prediger, der wider die leichtfertigen Tänze gar eifrig geschrieben, bezeugt, daß ers an vielen Orten erfahren, daß die Dirnen und Jungfrauen am Tanz jahlings nieder gefallen und gestorben. Im Jahr 1376 hat Ludwig, ein geborner Landgraf in Thüringen und Erzbischof zu Magdeburg, mit etlichen Grafen und Junkern vom Adel zu Kalbe an der Saale Fastnacht gehalten, getanzt und gesprungen; als nun die Diener von den Fackeln etliche Funken auf der Stiege, die zum Saal ging, fallen gelassen, und sich daher ein Feuer eräuget, ist jedermann mit großem Gedränge und auch der Erzbischof vom Tanz der Treppe zugeeilt; als dieselbe von der Menge übrig beschwert ward, fiel sie ein, und wurden drei Personen, sonderlich aber der Erzbischof dermaßen beschädigt, daß er den andern Tag sterben mußte. Darum wollte ich wünschen, daß man in den Tanzhäusern an den Wänden umher den Todestanz malen möchte, damit die Tänzer erinnert würden, sich also zu bezeigen, daß sie dem gerechten Gott zu plötzlichem Zorn nicht Ursach geben. Mein Gott! jener Alivater weinte, als er ein wohlgeschmücktes, doch unzüchtiges Weib sah, beklagend mit Thränen, daß er niemals seine Seele mit Glauben und Gottseligkeit zu schmücken so emsig gewesen, als dieses Weib der Welt zu gefallen gethan. Ich möchte auch fast weinen, daß ich niemals so fleißig gewesen, meinen Wandel, meine Schritte und Tritte nach deinem Gebot und Willen einzurichten, als die Tänzer sich bemühen, ihre Füße nach dem Takt zu zwingen! Sind wir nicht alberne Menschen? Die Eitelkeit achten wir großer Mühe werth, was aber die Ewigkeit angeht, da gedenken wir selten und nicht gerne an. Weg mit der Thorheit! Ich habe so viel mit dem Tode zu thun, daß ich des Tanzens wol vergesse

240. Die Hühner.

Es hatte jemand Lust halber seinen Hühnern zuweilen aus dem Stubenfenster Brodkrumen, zuweilen auch eine Hand voll Gerste vorgeworfen, dadurch sie gewöhnt waren, nicht allein, wenn das Fenster aufging, eilends heran zu fliegen und zu laufen, sondern sie standen auch mehrmals unter dasselbe und meldeten sich nach ihrer Art mit ihrem Geschrei, als wollten sie etwas erbitten. Gotthold sah dieses und sagte: Die Hühner machen es mit uns, als wir mit dem lieben Gott; denn weil er uns oft erhört und, was wir zu zeitlicher und leiblicher Nothdurft bedurften, uns gegeben, hat er uns, also zu reden, ihm auf den Leib gewöhnt, daß wir immer wiederkommen und nicht nachlassen, bis er uns wieder etwas gegeben, ob wir ihm schon nicht allemal so viel nütze sind, als uns die Hühner. Es ist nicht lange, daß eine gottselige Frau zu mir sagte: Bei meinem lieben Gott mache ich aus der Bitte eine Pflege, und halte ihm vor, daß er ja oftmals mir geholfen und meine Bitte mir gewährt, so wolle ich sie auch diesmal von ihm unversagt haben. Das ist, sagte der Andere, geredet auf die Weise des 85. Psalms, der auch vermeint, weil Gott vormals sei gnädig gewesen und vormals die Missethat vergeben hat, so müsse er nun auch trösten und von seiner Ungnade ablassen. Gotthold fuhr fort und sagte: Ich habe mich oft verwundert über die Kühnheit der Kinder Gottes, deren sie sich gegen Gott gebrauchen, und über die Güte und Freundschaft dieses allgewaltigen Herrn, der uns nicht allein beten heißt, sondern auch seine Lust daran hat, wenn wir in diesem Gespräch mit ihm recht dreist und, wenn ich so reden mag, unverschämt sind. Bedenket die Worte des königlichen Propheten: Herr, höre mein Wort, merk auf meine Rede, vernimm mein Schreien, mein König und mein Gott! Warum denn? Denn ich will vor dir beten. Ps. 5, 2. 3. Es ist eben, als wenn ein Bettler mit Ungestüm an unsere Thür klopfte und sagte: Machet auf, denn ich will betteln! Anderswo sagt er: Schüttet euer Herz vor ihm aus; Ps. 62, 9.; als wenn ein Bettler wollte alle seine Lumpen vor eines reichen Mannes Augen abwerfen und alle seine Schwären und ungestalteten Glieder ihm zeigen, der würde fürwahr die Augen abwenden und wenig Lust haben, solchen Wust zu besichtigen. Der fromme Gott aber ist so ekel nicht; wie viel Anliegen, Elend, Sünde und Schande wir auch in unserm Herzen haben, so heißt ers uns doch kühnlich ausschütten, daß er uns helfen möge. Bedenket auch des reisenden Jakobs Gelübde, 1. Mos. 28, 20. 21.: So Gott wird mit mir sein und mich behüten auf dem Wege, den ich reise, und Brod zu essen geben und Kleider anzuziehen und mich mit Frieden wieder heim zu meinem Vater bringen, so soll der Herr mein Gott sein; gerade, als wenn ohne das Gott nicht wäre des guten Jakobs Gott gewesen und von ihm durch seine Güte und mannigfaltige Wohlthat mehr göttliche Ehre schon damals hätte verdient gehabt, als er ihm sein Leben lang leisten könnte. Es ist eben, als wenn ein Kind, das von seinen Eltern von Jugend auf wohl gehalten und reichlich versorgt wäre, zum Vater sagte: Gebet mir ein neues Kleid, ihr sollet dann mein Vater sein! Also bezahlen wir dem gnädigen Gott seine Wohlthat mit ihm selbst und sagen: sei doch mein lieber Gott, du sollst dann mein Gott sein! O der unbegreiflichen Güte des Höchsten, der so väterlich mit uns unwürdigen Menschen handelt! Also, wenn abermal König David sagt Ps. 19, 15: Laß dir wohlgefallen die Rede meines Mundes und das Gespräch meines Herzens vor dir, Herr, mein Hort und mein Erlöser! so kommts mir vor, als wenn ein guter Freund dem andern sein Anliegen hat weitläufig und vertraulich entdeckt und beim Abschied sagt: Haltet mirs ja nicht für übel, daß ich euch so lange bin beschwerlich gewesen, ich habe sonst niemand, zu dem ich ein solches Vertrauen habe. O du freundlicher, liebreicher Gott! wenn ich dich doch um alle deine Liebe genug lieben könnte! Du weißt, mein Gott, wie dreist ich auch mit dir bin! Wie oft habe ich gesagt: wenn du mir nicht helfen wolltest, so solltest du mir einen andern Gott und Helfer zeigen; und habe geantwortet mit deinen eignen Worten: Ist auch ein Gott außer mir? Es ist kein Hort, ich weiß ja keinen! Jes. 44, 8. Wie oft habe ich mich der Worte deines Propheten bedient Ps. 22, 10. 11.: Du warst meine Zuversicht, da ich noch an meiner Mutter Brüsten war, auf dich bin ich geworfen aus Mutterleibe, du bist mein Gott von meiner Mutter Leibe an! und habe mir dieselben also zu Nutz gemacht: du hast mich, mein Gott! stracks in meiner Kindheit in deinen Schooß genommen und hast mir das zarte Leben erhalten, wolltest du mich denn nun in meinem Alter verlassen, wolltest du dich meiner nicht annehmen wider meine Feinde und allerlei Widerwärtigkeit, warum hast du mich denn einmal für dein Schooßkind angenommen? Nun, mein Gott/ dir sei Dank, daß ich so freudig mit dir reden und mich alles zu dir versehen darf.

241. Die Apotheke.

Als Gotthold bei einer Apotheke vorbei ging, gedachte er an die mancherlei Güte Gottes, die sich dem schwachen und mit so vielen Krankheiten geplagten Menschen zum Besten in so vielen Arzneimitteln mit ihrer Kraft verspüren läßt, und sagte darauf bei sich selbst: Herr, deine Gnade ist meine Apotheke! Der Herr Jesus ist mein Arzt; sein theures Blut ist das bewährteste und köstlichste Mittel meiner Seele, das mit keinem Golde, Edelsteinen, Perlen, Bezoar und andern kostbaren Dingen zu vergleichen. Die leiblichen Apotheken sind mehrmals nicht für die Armen, weil sie nicht Mittel haben, die Arznei zu bezahlen, deine Gnade aber ist ohne Geld zu kaufen, Jes. 55, 1., und steht allen, die sie im Glauben von Herzen verlangen, bei Tag und Nacht offen. Die leiblichen Apotheken finden oft in allen ihren Büchsen, Gläsern, Schachteln und Gärten nicht ein Mittel, das wider den Tod will arten; deine Gnade aber fehlt nimmer, sie hilft im Tode und erhält uns zum ewigen Leben, wie mein Heiland sagt: Ich bin die Auferstehung und das Leben; wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe, und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben. Joh. 11, 25. 26. Wie aber ein Apotheker zu rechter Zeit die schönsten Blumen und kräftigsten Kräuter anschaffen und sammeln muß, also will ich mir die schönsten Trostblumen und Kraftkräuter, die vornehmsten Sprüche der Schrift meine ich, sammeln und beilegen. Du, mein Gott! wollest zur Benutzung derselben durch deinen Geist Segen und Gedeihen geben, und auf solche Weise will ich nimmermehr sterben.

242. Das Seufzen.

Als Gotthold einen frommen Mann tief seufzen sah, sprach er: Was seufzt ihr? Jener antwortete: Ach, ich weiß nicht, ohne daß ich gleichwohl zu Gott seufze. Gotthold sagte: Freilich wissen wir oft nicht, was und warum wir seufzen, da doch immer ein Seufzer dem andern folgt, zuvörderst, wenn das Gemüth in heiligen Gedanken, gottseligen Betrachtungen, heimlichen Anliegen oder himmlischem Verlangen steht. Die Seufzer entstehen entweder aus Noth, und alsdann sind sie ein Geschrei in den Ohren Gottes, wie das Exempel Mosis bezeugt, als er am rothen Meer stand, dessen Seufzen Gott ein Schreien nannte. 2. Mos. 14, 15. Sie sind Boten des H. Geistes, die er aus unserm Herzen mit seiner kräftigen Fürbitte gen Himmel abfertigt, wie der Apostel lehrt: Wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sichs gebührt, sondern der Geist selbst vertritt uns aufs beste mit unaussprechlichem Seufzen. Röm. 8, 26. Oder sie entstehen in heiligem Nachdenken, und alsdann sind sie lauter Händeklopfen, Freudengeschrei und Jubiliren der frommen Seele, die Gottes Güte schmeckt und als von seiner süßen Gnade trunken jauchzt, wie der Prophet sagt: Mein Leib und Seel freuen sich in dem lebendigen Gott. Ps. 84, 3. Oder sie rühren her aus herzlicher Liebe zu Gott und sehnlichem Verlangen nach dem Himmel, und alsdann sind es eitel aufschlagende Funken und Flammen aus dem in heiliger Liebe Gottes brennenden Herzen, ja, ich darf sagen, so oft eine christliche Seele im Verlangen seufzt, so thut sie einen Versuch, ob sie aus dem Leib des Todes sich los wirken und gen Himmel sich schwingen könne, und sagt gleichsam allemal: O hätte ich Flügel! Ach, wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue! Ps. 55, 7. Ps. 42, 3. In den Seufzern der Gläubigen sind verborgen große Wunder und Geheimnisse; sie sind der Seele Flügel, damit sie sich zu Gott schwingt; sie sind ihre Arme, damit sie ihn lieblich umfängt und so fest hält, daß sie sagen kann: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn. 1. Mos. 32, 26. Sie sind das wohlriechende Räuchwerk, das sie ohne Unterlaß vor Gott bringt; sie sind gegen das mündliche Gebet wie die goldene Münze gegen die silberne, welche, ob sie wohl so groß nicht ist, doch eben so viel und oft mehr gilt; sie sind geschwinder, als man ausdenken mag, und vereinigen , im Augenblick Himmel und Erde, Gottes Trost und Menschen Noth; sie sind die Lustlöcher der bedrängten Seele; sie kommen von Gott (dem H. Geist nämlich) und gehen zu Gott; Gott sammelt sie in seinen Schatz, verzeichnet sie in sein Buch, und gleich wie die Dünste, die von der Erde aufsteigen, zuweilen mit Regen zum Segen und Fruchtbarkeit, zuweilen mit Donner und Blitz wieder herunter fallen, also werden die Seufzer der gläubigen Herzen von Gott über sie mit Gnade und Segen, über die Gottlosen, ihre Feinde und Beleidiger mit Ungnade und Zorn wieder herabgeschüttet. Ja die Seufzer sind endlich der Wagen der Seele, darauf sie bei ihrem Abschied aus dem Leibe gen Himmel fährt, wie ein gottseliger Lehrer recht und wohl berichtet, sagend: Wenn der letzte Seufzer zu Gott geht, so kommt die Seele zu Gott und wird erhalten und wird erledigt von aller Angst und Noth, wie das Exempel des h. Stephanus ausweist, der mit seinem letzten Seufzer dem Herrn Jesu seine Seele zuschickte. Apostelg. 7, 59. Nun mein getreuer Gott! ich weiß bei dieser Betrachtung nichts mehr zu sagen, als dieses: in meiner letzten Noth,

Wenn ich nicht mehr reden kann,
So nimm den letzten Seufzer an
Durch Jesum Christum Amen.

243. Das Büchsenpulver.

Als man in einer Gesellschaft vom Büchsenpulver redend ward, und sich über dessen Kraft verwunderte, sagte Gotthold: Es scheint, daß Gott der Herr dies grausamste Werkzeug menschlichen Verderbens zur Strafe der überwachten Bosheit der Welt in den letzten Zeiten hat erfinden lassen, und ich weiß nicht, ob ichs uns Deutschen für eine Ehre oder Schande rechnen soll, daß der Erfinder unser Landsmann gewesen ist; er hat geheißen Barthold Schwarz, war ein Franciskanermönch und Chemikus, und ist dieses Menschengift von ihm ums Jahr l380 durch eine sonderliche Veranlassung ausgebrütet worden. Denn als er, ich weiß nicht zu was Ende, in einem Mörser ein Pulver von Schwefel und Salpeter stehen und selbiges mit einem Steine zugedeckt hatte, ungefähr aber ein Funke in dasselbe fiel, hat es sich plötzlich mit einem starken Gepolter entzündet und den Stein wider den Boden getrieben. Diesem Dinge hat der Mönch weiter nachgedacht und endlich die Büchsen zu laden und damit die Menschen zu todten erfunden, welches denn, wie es pflegt, in weiterem Nachsinnen endlich zu der schädlichen Vollkommenheit gediehen ist, darinnen wir es jetzt sehen. Was nun hieraus für unsäglicher Jammer in der Welt entstanden, ist nicht zu beschreiben; hiedurch sind seither viel tausend mal tausend Menschen grausam und plötzlich hingerichtet, hiedurch sind viele Städte erobert und zerstört und Schlösser und Festungen untergraben und zersprengt, viele Schiffe durchlöchert, verbrannt und in die Luft geflogen. Ich will euch nur einen und andern Fall erzählen, und ich weiß, die Haare sollen euch zu Berge stehen. Im Jahr Christi 1601 den 5. Juli ist die Stadt und Festung Ostende, in Flandern gelegen, von dem spanischen Kriegsheer unter dem Erzherzog Albert belagert worden; diese Belagerung hat bei vierthalb Jahre gewährt und hat alle andern übertroffen, daß man ihres gleichen nicht viel finden wird, da so große Gewalt mit Geschütz und andern ist gebraucht und so viel Volks ohne Aufhören vertilgt, wie Immanuel von Meteren davon redet, welcher berechnet, daß in den 20 ersten Monaten der Belagerung auf die Stadt geschehen über die 250,000 Schüsse, alle mit Kugeln, die zwischen 30 und 50 Pfund gewogen; aus der Stadt sind mit grobem Geschütz in denselben Monaten gethan worden in die 100,000 Schüsse, daher bald in diesen ersten Monaten mehrentheils durchs leidige Büchsenpulver umgekommen sind 18,000 Mann, in der Stadt zwischen 6 und 7000. In der ganzen Belagerung aber sollen darauf gegangen sein 78,124 Mann. Wie meint ihr, daß die Teufel lachen, wenn die Menschen so eifrig und emsig sind, sich in solcher Menge aufzureiben, davon ihnen zweifelsfrei ein großer Haufe zu Theil wird! Höret aber noch eine andere schreckliche Geschichte vom Büchsenpulver. Im Jahr 1654 den 2. Oktober zu Mittag um 11 Uhr ist zu Delft in den Niederlanden das Pulverhaus in Brand gerathen, welches einen solchen Knall und schreckliches Krachen von sich gegeben, daß männiglich vermeint, der jüngste Tag breche herein, so daß viele Menschen, die unbeschädigt geblieben, vom Schrecken gestorben. Der Rauch, Dampf und Staub hat die ganze Stadt als eine dicke finstere Wolke überzogen und bedeckt; das Pulverhaus, in welchem 150,000 Pfund Pulver sollen gewesen sein, ist aus dem Grunde umgekehrt, also, daß man an der Stelle eine tiefe Kluft gefunden, dahin sich sowohl aus dem Grunde, als andern Oertern viel stinkendes Wasser gesammelt, bei 500 Häuser sind über den Haufen geworfen, über 1200 Menschen sind todt gefunden und noch mehr beschädigt, also daß man aus den umliegenden Oertern Barbiere hat holen müssen, dieselben zu verbinden; zwei Schulhäuser mit vielen Knaben, ein Haus einer Näherin, die gleichfalls kleine Kinder unterrichtete, wie auch eines Webers Haus mit 22 Stühlen, und viele andere Häuser mehr sind mit allem Volk in die Luft geflogen. Deßgleichen kläglicher Fall ist zu Mecheln in Brabant geschehen: im Jahr 1546 den 7. August, da der Pulverthurm, von Gottes Wetter entzündet, über 500 Personen erschlagen und viele beschädigt hat. So ists geschehen 1622 den 15. Juli, daß, als ein Schiffer, Peter Jansen genannt, auf der Elbe unter Hamburg bei der neuen Mühle mit seinem wohlbeladenen Schiffe segelfertig gelegen, er vor seiner Abreise viele vornehme Leute aus der Stadt auf das Schiff zu Gaste geladen und diesen zu Ehren etliche Geschütze hat lösen lassen; da es denn geschehen, daß das Feuer ins Pulver gekommen, und das ganze Schiff mit 37 oder wie andere schreiben, mit 40 Personen, an Männern, Weibern, Jungfrauen und kleinen Kindern, aufgeflogen. In Betrachtung solcher schrecklichen und traurigen Fälle weiß ich nicht, ob man das Pulver ohne Grausen ansehen könne, und ob man nicht Ursach habe zu wünschen, daß, so lange die Welt noch steht, keines mehr gemacht würde. Doch wir wissen, daß die Kreatur der Eitelkeit und dem Dienst der Sünde und des vergänglichen Wesens unterworfen ist ohne ihren Willen, und daß sie sich mit uns sehnet und sich ängstet immerdar. Rom. 8, 20. ff. Darum

Komm doch! komm doch! du Richter groß,
Und mach uns in der Gnade los
Von allem Uebel! Amen.

244. Das Papier.

Gotthold kaufte etliche Bücher Papier und gerieth darüber auf folgende Gedanken: dies nützliche Werkzeug des menschlichen Lebens, der Schrein aller Künste und Wissenschaften, der Diener aller Regiments, der Unterhändler alles Handels und Wandels, das andere Gedächtniß des menschlichen Gemüths, die dauerhafteste Säule eines unsterblichen Namens hat seinen Ursprung von schlechten Lumpen. Der Lumpenhändler geht und fährt durch Städte, Dörfer und Flecken, und man sucht auf sein Anmelden aus allen Winkeln zusammen die untauglichsten und zerrißnen Lappen, deren man sich sonst nicht zu bedienen weiß; diese führt er seiner Mühle zu, da sie verlesen, gewaschen, zerstoßen, geformt, geleimt und, kurz, also zubereitet werden, daß sie vor Könige und Fürsten zu kommen sich nicht schämen dürfen. Schade und Schande ist es nun, daß für diese so nützliche Erfindung dem Höchsten so wenig gedankt und so viel reines Papier mit unreiner gotteslästerlicher Lehre, scheinbarem Irrthum und Betrüglichkeit, falschen Händeln und Rechnungen und unfläthigen ärgerlichen Zoten bekleckt und befleckt wird. Ich erinnere mich aber hiebei, mein Gott! der Auferstehung meines sterblichen Leibes. Wenn die Seele aus demselben verschieden ist, weiß ich nicht, ob er besser sei, als ein verlegener und zerrissener Lumpen; darum man auch mit ihm der Erde zueilt, da er von den Würmern zernagt und zu Staub und Asche gemacht wird. Kann aber der Mensch durch seine Kunst aus unfläthigen Lumpen ein so reines, weißes und nützliches Ding bereiten, solltest du denn nicht durch deine Macht meinen nichtigen Leib wieder aus der Erde hervorbringen und verklären können, daß er dem verklärten Leibe meines Herrn Jesu ähnlich werde? Phil. 3, 21. Freilich ja, du allmächtiger Gott! Du kannst überschwenglich mehr thun, als wir bitten oder verstehen. Eph. 3, 20. Darum will ich, wann du willst, fröhlich und willig sterben, weil ich versichert bin, daß du mir für diesen sündlichen, dürftigen, schwachen, nichtigen und verweslichen einen heiligen, vollkommnen, starken, herrlichen und unverweslichen Leib geben und mich als ein reines Papier mit göttlicher Weisheit, himmlischer Klarheit und unaussprechlicher Herrlichkeit beschreiben wirst.

245. Das Ballonenspiel.

Gotthold sah etliche junge Leute den Ballonen schlagen, und sagte bei sich selbst: wie eine eigentliche Vorstellung des eiteln Weltwesens ist das! Denn was ists, darum die Menschen mit allen ihren Kräften so sehr bemüht sind, darum sie reiten und rennen, rechten und fechten, lügen und trügen, sich schlagen und jagen, als eine Hand voll Wind und Eitelkeit? Sie suchen Ehre, Weisheit, Wollust, Güter, und wenn sie dies alles gefunden haben, so sind sie darum nichts besser, und es ist ihnen zur Seligkeit nichts damit gedient, wie der Weiseste unter den Königen solches aus eigner Erfahrung bekennt, daß er zwar große Dinge gethan, Häuser gebaut, Weinberge gepflanzt, Gärten angelegt, Teiche gegraben, Reichthum gesammelt und seinem Herzen keine Freude gewehrt, aber im genaueren Nachdenken endlich befunden habe, daß alles eitel und Jammer wäre, und nichts mehr unter der Sonne. Pred. t, 14. Wer wirds aber höher können bringen, als dieser so mächtige, weise und reiche König? Und wer wird denn auch mehr von aller Welt Herrlichkeit, als er, zu erwarten haben? Darum ließ jener weise Fürst in seinem Sinnbild malen etliche Ballonen mit ihren Windbüchsen und Blasbälgen, damit man sie aufbläst, und schrieb dazu: Es ist lauter Wind! das thörichte und nichtige Weltwesen zu bedeuten. Was bilden denn doch wir Menschen uns so wunder viel ein? Und was erheben wir uns, wenn wir eine Hand voll Windes mehr, als andere haben? Ist doch der Mensch nur selbst ein Ball des Glücks und Unglücks, welchen sie einer dem andern zuschlagen. Wird er hoch getrieben, so muß er tief fallen, und wenn er lang genug in der Welt hin und wieder geworfen ist, hat man sein genug, und läßt ihn endlich in der Erde liegen und verfaulen.

Ach wie nichtig, ach wie flüchtig sind der Menschen Sachen!
Alles, alles, was wir sehen,
Das muß fallen und vergehen,
Wer Gott fürchtt, bleibt ewig stehen.

246. Der Wolf.

Als Gotthold zur Winterszeit über Feld reiste, ward er eines Wolfes gewahr, der hinter einer Heerde Schafe herschlich, und als seine Gefährten denselben mit ihrem Geschrei verjagt hatten, fing er an und sagte: Dies ist ein recht schädliches und giftiges Thier, welches, wenn es etwa durch eine Wand gebrochen und in den Schafstall gekommen, nicht aufhört zu würgen, so lange etwas Lebendiges darinnen ist. Man hat auch Exempel, daß sie nicht allein wider das Vieh, sondern auch zuweilen aus Hunger oder Raserei wider die Menschen gewüthet haben. Osiander erzählt, daß ums Jahr Christi 1166 die Wölfe die Kinder den Müttern von den Brüsten geraubt und gefressen, wie denn auch im niederländischen Kriege ums Jahr 1587, als viele Flecken und kleine Städte in Flandern und Brabant wüste geworden, die Wölfe sich also vermehrt, daß sie um Gent und ans zwei Meilen allernächst herum in einem Jahr über IW Menschen zerrissen und gefressen. Ueber das hat der Wolf einen gar giftigen Athem, darum denn seine Bisse ungern heilen, und erzählt Camerarius, daß, als auf einer Jagd ein Wolf im Garn gefangen worden und ein Mann sich hinan gemacht, ihn zu tödten, sich derselbe wider ihn aufgesteift und ihn im Eifer und Bemühung stark angehaucht, davon dem Manne das Gesicht und die Hände, welche bloß gewesen, dick geschwollen und aufgelaufen, welches man hernach mit vielen Arzneimitteln schwerlich vertreiben konnte. Doch hat der Höchste dieses schädlichen und giftigen Thieres Grausamkeit selbst gleichsam gehemmt und gebrochen, indem ers nicht allein hinten gelähmt, daß es im Lauf nicht zu schnell wäre, sondern auch ihm sein Verderben in seinem eigenen Leibe entstehen läßt; denn ich habe nicht allein gelesen, sondern auch in der Nachfrage bei vornehmen und erfahrnen Leuten wahr befunden, daß in des Wolfs Nieren, wenn er ein wenig zu Jahren kommt, giftige Würmer und kleine Schlangen wachsen, die ihn endlich von innen ums Leben bringen. Nehmet aber dabei wahr eine Abbildung eines boshaftigen und grausamen Menschen, (deren man leider viele hat, auch unter denen, die sich lassen Christen nennen, die ihrer armen Mitchristen Wölfe, ja Teufel sind), ein solcher wüthet und tobt eine Zeit lang in der Welt, so lange nämlich dem Höchsten aus gerechtem Gerichte seiner Bosheit nachzusehen gefällig ist, hernach aber wird er entweder von seiner Missethat gefangen und vom Strick seiner Sünden gehalten, Sprüchw. 5, 22., oder der Wurm des unruhigen Gewissens nagt ihm das Herz ab, oder der Teufel und Tod werden seine Jäger und machen ein höllisches Wildbret aus ihm. Ach, mein Gott! laß mich ja sein ein Werkzeug deiner Gnade, andern zu dienen und niemand zu schaden! Was hilfts denen, so mächtig sind, Schaden zu thun, Ps. 52, 3. 6., wenn sie viele schrecken und betrüben, weil endlich der größte Schade ihrer selbst ist?

247. Der Sarg.

Gotthold hatte sich zur Erinnerung seiner Sterblichkeit seinen Sarg bei gesunden Tagen lassen machen. Als nun einmal ein weltgesinnter Mensch dessen ansichtig ward und fragte: Wie möget ihr doch dies greuliche Ding leiden? antwortete er: Warum nicht? weil ich weiß oder wissen muß, daß nichts anders daraus wird, als daß ich dermaleinst in einem solchen Hause den jüngsten Tag erwarten werde. Ihr aber, warum mögt ihr es nicht leiden, weil euer Tod so gewiß ist, als der meine? Die Todesgedanken sind, wie der Wermuth, sehr bitter, aber der Seele sehr gesund und dienlich; die wollüstigen Begierden aber der Welt sind wie der Zucker, der zwar süß genug ist, aber am ersten, wenn er überflüssig genossen, in bittere Galle sich verwandelt. Der Tod ist eine Probe unsers Christenthums, die ich nur einmal leisten kann, darum habe ich mein Leben lang daran zu lernen, daß, wenn sie von mir gefordert wird, sie mir nicht fehle. Deshalb leide ich nicht allein diesen Kasten so gern, als kein Geizhals einen andern, darinnen er seinen Mammon verwahrt, sondern ich wünschte auch, daß alle meines Hauses Wände mit Todeserinnerungen beschrieben und bemalt wären. Meinet ihr, daß der H. Geist umsonst uns hat seufzen heißen: Lehre uns, Herr, bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden. Ps. 90, 12. Und ihr, wenn ihr wollt klug werden, so sucht Mittel, die euch des Todes oft erinnern mögen. Ihr haltet viel von fröhlicher Gesellschaft; wenn ihr nun wollt fröhlich sein, so bedingt, daß zuweilen jemand unvermuthet das Licht auslösche und dazu sage: Lebet, als wolltet ihr noch heute sterben! Hier zeitlich! Dort ewig! Darnach richte dich! Ihr haltet viel von kostbarer und zierlicher Kleidung; Lieber, folgt meinem Rath und lasset euch euren Sterbekittel verfertigen und hängt oder legt denselben zu den andern Kleidern, auf daß ihr euch der Demuth in Erinnerung eures Todes mögt befleißigen. Ihr geht gerne spazieren; Lieber, geht zuweilen in die Kirchen und auf den Kirchhöfen herum, leset die Grabschriften der Verstorbenen, leset die Sprüche und Gedanken, die sie in ihr Grab mitgenommen, und gedenkt, die Reihe werde an euch auch kommen, und sehet zu, was euer Letztes sein, und wo ihr eure Ruhstatt haben wollt. Ihr haltet viel von eurem Garten; Lieber, nehmet zuweilen einen Stecken und schlaget eine köstliche Blume herunter und gedenket dabei an Hiobs Worte: Der Mensch geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht. Hiob 14, 2. Gefällt euch dieses nicht, so sehe ich nicht, wie Gott euer Christenthum gefallen könne.

248. Der Pokal.

Es wurde auf einer Tafel ein silberner vergoldeter Pokal von künstlicher getriebener Arbeit aufgesetzt, darüber Gotthold in folgende Gedanken gerieth: unter diesem und einem andern Silber ist kein anderer Unterschied, als daß dieses mehr bearbeitet und unter dem Hammer gewesen ist; sonst wäre es ein so köstliches und schönes Trinkgeschirr nicht geworden. Wie kommts denn uns Menschen so seltsam und fremd vor, wenn der allweise Gott uns rechtschaffen mit dem Kreuzhammer klopft? Wir gehen mit seinen Geschöpfen um, wie es uns beliebt, und gestalten dieselben auf allerlei Art nach unserm Willen; warum nehmen wir es denn übel auf und beschweren uns über ihn, wenn er uns auch durchs Kreuz bearbeitet und bildet nach seinem Willen? Oder haben wir ein besser Recht oder Gemüth zu den leblosen Geschöpfen, als er zu uns? Und was wollte doch Gutes aus uns werden, wenn sich nicht der fromme Vater mit uns bemühte? Die Thaler und Dukaten, die wir oft sehr lieben, würden des königlichen und fürstlichen Bildnisses nicht fähig geworden sein, wenn sie den Hammer und Stempel nicht hätten leiden wollen; also wird niemand zum Bilde Gottes erneuert, der sich nicht unter das liebe Kreuz; geduldig und willig bequemt. Unter dem Geräthe der Stiftshütte Alten Testaments war nicht das geringste der goldene Leuchter mit seinen 7 Rohren und stets brennenden Lampen; dieser aber hat nicht müssen gegossen oder zusammen gelöthet, sondern aus einem Centner Goldes durch künstliche Arbeit mit dem Hammer getrieben sein. 2. Mos. 25, 31. ff. Damit hat Gott der Herr andeuten wollen, daß niemand hier auf Erden mit heilsamer Lehre und heiligem Leben und im Himmel mit ewiger Klarheit leuchten könne, den er nicht unter seinem Hammer gehabt und nach seinem Wohlgefallen getrieben und bearbeitet habe. Denn, siehe, selig ist der Mensch, den Gott straft! Darum weigere dich der Züchtigung des Allmächtigen nicht. Hiob 5, 17. Mein Gott! es fehlt nirgends an, als daß wir deine Arbeit nicht verstehen. Du willst geheiligte Gefäße zu Ehren, dir bräuchlich und zu allem guten Werk bereitet, 2. Tim. 2, 21., aus uns machen, so wollen wir lieber Taugenichtse bleiben, daß unserm sündlichen Fleisch nicht weh geschehen möge, allein, mein Vater! kehr dich an unsere Thorheit nicht! Der Teufel, die Welt und allerlei Widerwärtigkeiten sind deine Hämmer; klopfe nur wohl, mein Gott, damit ich zeitlich und dort ewig ein nützliches Ehrengefäß werden möge.

249. Die Zahlpfennige.

Gotthold sah einen vornehmen Mann mit Zahlpfennigen rechnen und, weil er wohl wußte, daß derselbe seinem Glück zuweilen zu viel traute, fing er an: Ich sehe wohl, daß es euch Glücksund Sonnenkindern an Predigern nicht fehlt, wenn ihr schon nicht in der Kirche seid und ihr ihnen nur Gehör geben wollt. Diese eure Zahlpfennige bilden euch der Welt eitles Wesen und mancherlei Veränderung so artig vor, daß ich mich darüber erfreue; bald liegt einer auf der untersten Linie, da gilt er eins, bald auf der andern, so gilt er zehn, bald auf der dritten, so gilt er hundert, bald auf der vierten, so gilt er tausend; bald aber wird er gar aufgehoben, so gilt er nichts und ist und bleibt nur ein Zahlpfennig, ob er schon tausend und mehr Reichsthaler oder Dukaten bedeutet hat. So gehts mit den Menschen auch zu; des Höchsten Hand, legt sie nach seinem Gutbefinden und Wohlgefallen, sie steigen zuweilen hoch hinan, kommen zu Ehren, zum Reichthum und großen Namen, darüber sie selbst und andere vergessen, daß sie Menschen sind; allein es ist um ein Geringes zu thun, so will der himmlische König ein Facit haben von ihrem Leben; da hebt er sie einen nach dem andern, und befindet sichs dann, daß sie sterbliche Menschen und rechte Zahlpfennige sind, die nicht mehr und länger gelten, als er sie will gelten lassen. Darum jener gottselige Kirchenlehrer wohl sagt (Augustin): Nimm das thörichte Einbilden und den eitlen Ruhm hinweg, und was sind denn alle Menschen, als Menschen? Hieraus sah der König David, als er ausrief: Ach, wie gar nichts sind doch alle Menschen, die doch so sicher leben! Sela. Ps. 39, 6. Bedenket dies allezeit und haltet es für eine Versicherung eurer Glückseligkeit, wenn ihr euch nicht versichert haltet und den beständigen Unbestand aller weltlichen Dinge zum Grunde eurer Anschläge legt. Denn wer bei sich selbst viel gilt, der gilt bei Gott nichts.

250. Die Betglocke.

Als Gotthold in einer Gesellschaft war, und die Betglocke geschlagen wurde, sagte er: Die lieben Alten haben es doch recht gut mit dieser Anordnung gemeint, denn, weil die Menschen nichts eher und leichter vergessen, als was sie nimmer aus der Acht lassen sollten, das Göttliche nämlich und das Himmlische, so hat man mit solchem Glockenschlag erinnern wollen, daß man mitten unter dem Tumult weltlicher Geschäfte dennoch des lieben Gebets nicht vergessen und Gott im Himmel um Segen, Hülfe und Schutz einträchtiglich anrufen sollte. Als nun gefragt wurde, was man denn vornehmlich zu solcher Zeit in seine Seufzer fassen müßte, antwortete er: Das wird allemal die Zeit und eure eigne oder allgemeine Noth euch wol lehren. Ich hielte es nicht undienlich, daß einer entweder den dreieinigeu Gott mit einem kurzen Seufzer lobte für alle seine Wohlthat etwa auf diese Weise: Gelobet sei Gott, der Vater, der mich erschaffen und bisher mein Leben lang versorgt, ernährt, beschützt und erhalten hat! Gelobt sei Gott, der Sohn, mein Heiland Christus Jesus, der mich von allen Sünden und von der Gewalt des Teufels mit seinem h. theuern Blut erlöset hat! Gelobet sei Gott, der H. Geist, der mich durchs Wort und die h. Sakramente wiedergeboren und mich mein Leben lang oft getröstet, gelehrt, gewarnt und unterrichtet hat! Oder daß einer sein und aller seiner Mitchristen Elend, Noth und Anliegen einschlösse in den bekannten Worten der Litanei und sagte: Herr Gott, Vater im Himmel, erbarme dich über uns! Herr Gott, Sohn, der Welt Heiland, erbarme dich über uns! Herr Gott! H. Geist, erbarme dich über uns! Sei uns gnädig! Verschon unser, lieber Herr Gott! Sei uns gnädig! Hilf uns, lieber Herr Gott! Ich habe eine fromme Frau gekannt, welche, wenn sie die Betglocke hörte, seufzte und sagte: Ach Gott, hilf mir erwerben ein ehrlich Leben und selig Sterben! Ein anderer seufzte: Herr Jesu, dir leb ich! Herr Jesu, dir sterb ich! Herr Jesu, dein bin ich todt und lebendig! Mache mich fromm und ewig selig! Amen. Doch läßt sich hierin der Andacht nicht wohl etwas vorschreiben, wie sie es denn auch wenig bedarf. Denn eh wirds dem Feuer an Hitze, als einem christgläubigen Herzen an Materie zu beten fehlen. Ich meinestheils seufze darum gerne zu Gott, wenn die Betglocke schlägt, weil ich nicht zweifle, daß alsdann manches Christenherz dergleichen thut. Wenn dann schon mein Seufzerlein schwach ist, so nehmen es die andern stärkern mit in die Höhe, als wie wir sehen, daß die Glut von einer Feuerpfanne einen Strohhalm oder ein Stücklein Papiers in die Höhe führet. Auch bin ich versichert, daß aus vielen geringen und schwachen Seufzern ein starkes Gebet wird, als wie aus vielen geringen und schwachen Fäden ein starkes Band, damit wir den Allmächtigen gleichsam binden und zwingen können, daß er nach seinem Zorn nicht thun kann. Doch schlägt mir oft auch die Betglocke, daß es kein Mensch, als ich, hört.

251. Das Alter.

Es war ein Mann beerdigt, der das 93. Jahr seines Alters erreicht hatte; als sich nun hierüber männiglich verwunderte, sagte Gotthold: Die Mäßigkeit und Unmüßigkeit sind zwei schöne Mittel zu einem langen Leben. Ich nenne aber Mäßigkeit, wenn nicht allein der Mensch im Essen und Trinken, sondern auch, wenn er im Zorn, in der Liebe, in der Furcht, in der Sorge und andern dergleichen Anmuthungen Maß zu halten weiß, wozu denn die Unmüßigkeit, die ihn in stetiger ordentlicher und beliebter Arbeit geschäftig hält, nicht wenig dient; denn hiedurch werden viele böse Gedanken vertrieben und den ungereimten Bewegungen vorgebaut. In dieser Betrachtung aber sehe ich nicht, ob es heutigen Tags vielen Leuten in der Welt Ernst ist, wenn sie sich ein hohes Alter und langes Leben wünschen, weil ich sehe, daß man dem fleischlichen Willen und allen seinen Begierden also den Zaum verhängt, als sollte er uns in vollem Rennen desto eher zum Ziel unsers Lebens bringen; darum man auch selten einen so alten Mann, als dieser war, zu Grabe tragen sieht. Was mich betrifft, so weiß ich nicht, was ich mir wünschen sollte. Je länger Leben, je länger Rechnung; je mehr Tage, je mehr Sünden; je mehr Brod, je mehr Roth. Am jüngsten Tage wird nicht gefragt werden, wie lange, sondern wie wohl wir gelebt haben. Und wenn uns der Höchste etliche Jahre zulegt, so wird er auch wissen wollen, wie wohl wir sie angelegt. Ich finde schon in meinem Alter etliche Jahre, welche ich zu meinem Leben nicht zu rechnen weiß. Jener Altvater, gefragt, wie alt er wäre, antwortete: 45 Jahr! Der andere sagte: Ich hätte euch für einen 70jährigen angesehen. Er antwortete: Es kann wol sein; doch müßt ihr wissen, daß ich die Jahre meiner thorichten Jugend meinem Leben und Alter nicht zuzählen mag, weil ich nicht vermeine, sie also angewandt zu haben, daß sie mit Recht ein Leben zu nennen. Dies bedenkend wünsche ich im Himmel und nicht auf Erden alt zu werden, wo sonst die selige Ewigkeit ein Alter gestattet. Doch, wo mein Gott aus meinem längern, wiewohl sündlichen und mühseligen Leben noch etwas Gutes zu erlesen weiß, so laß ich mir sein Wohlgefallen nicht mißfallen. Getreuer Gott und Vater! laß mich dir, und Christum Jesum, deinen liebsten Sohn, in mir leben, so wird mich mein kurzes oder langes Leben nicht gereuen!

252. Der arme Mann.

Es war ein armer alter Mann, der in einem schlechten Hüttlein lebte, sein Reichthum war eine einige Kuh, deren wenige Milch und ein halbgares Brod, das er selbst in seinem Kachelofen gebacken, war seine Speise, welche er mit einem Gericht Kraut und Rüben, die ihm im nächstgelegnen Garten gewachsen, zu verbessern pflegte; sein Getränk war mehrentheils der Kovent, zuweilen auch das Brunnenwasser, sein Hausgeräth war ein Beil, ein Grabscheit oder Spaten und etliche wenige Töpfe. Gotthold sah oft seiner Haushaltung mit Verwunderung zu und sagte einmal zu einem guten Freunde: Unter diesem Manne und uns ist kein Unterschied, als den Gottes Gnade macht, welche ihn ein kümmerliches Leben zu führen geheißen, uns aber mit einem und dem andern, das die Nothdurft des menschlichen Lebens erheischt, besser angesehen hat, da wir doch so wenig, als er, dem lieben Gott zuvor gegeben, das uns wieder vergolten würde. Lasset uns aber wohl zusehen, daß wir solche Leute nicht verachten oder betrüben, wissend, daß Gott seine liebsten Kinder unter dem Bettelmantel zu verhüllen pflegt. Bald nach diesem ward berichtet, daß dieser Mann seine einige Kuh verkauft und, nachdem er dafür etliche Thaler bekommen, sich seither recht reich geachtet, auch zuweilen, wenn er etliche Pfennige zum Trunk Bier angelegt, trotziger, als vorhin gewesen und, wem ers bieten durfte, über quer geantwortet hätte. Gotthold lachte und sagte: Seht ihr nun, was zeitliche Glückseligkeit ist, und wie ungeschickt das menschliche Gemüth ist, dieselbe zu ertragen! Dieser Mann erhebt sich, so gut er kann, weil er ein paar Thälerchen im Beutel hat, was meint ihr, würde er thun, wenn es 20 oder 100 wären? Lasset uns demnach milder ins künftige von der göttlichen Regierung urtheilen, wenn sie uns nicht so viel zuwendet, als andern, oder als wir begehren. Es möchte uns eben so wenig, als diesem Manne dienen. Das glückliche Wohlergehen ist manchem wie der starke Wein einem schwachen Kopf, der ihn erst fröhlich und muthig, hernach trunken und halb rasend macht. Darum jenes gottselige Weib wohl gesagt: sie wäre 15 Jahre nicht wohl bei Sinnen gewesen. Denn weil ihr Mann in kurzer Zeit durch ein sonderliches Glück 9000 Reichsthaler erworben, hätte sie sich darin nicht zu schicken gewußt, bis daß ihre ungerathenen Kinder das Gütlein durchgebracht, und sie wieder blutarm geworden; da hätte sie sich erst wieder besinnen können. Hiob 31, 26 vergleicht die weltliche Glückseligkeit mit dem vollen Mond. Nun bezeugt aber die Erfahrung, daß der volle Mond, wenn er das Leinengeräth, das ein Mensch mit seinem Schweiß gefeuchtet hat, bescheint, eine Fäulung und Würmer darinnen erzeugt; ja man hat ein Exempel, daß, als ein Arzt zu einem gefährlich verwundeten Patienten gefordert worden und wegen stetigen Nachdenkens, wie die Kur glücklich anzustellen, die Nacht nicht schlafen konnte, sondern den vollen Mond durch ein offnes Fenster stetig angesehen, er von dessen Strahlen geblendet worden, daß er auf den Morgen nichts sehen konnte. So gehts auch den Leuten, denen das wandelbare Licht des Glücks voll scheint, es verursacht gemeiniglich allerlei Lasterwürmer und blendet ihren Verstand, daß sie des Unglücks, so bald zu folgen pflegt, nicht gewahr werden. Mein Gott! dir ist mein Herz besser, als mir bekannt; gieb mir, was dir beliebt, so genüget mir

253. Die Bebespen.

Unter den Espen ist eine Art, welche harte Blätter mit dünnen langen Stielen hat, welche auch von dem geringsten Lüftlein, wenn andere Bäume ganz still sind, bewegt ein Geräusch machen. Als nun Gotthold einmal bei fast stillem Wetter solches wahrnahm, gedachte er bei sich selbst: dieser Baum ist ein Bild eines Menschen, der ein verletztes und unruhiges Gewissen hat, welches durch eine geringe Veranlassung erregt ein solch Wesen macht, daß er nicht weiß, wo aus oder ein. Der Gottlose bebet sein Leben lang, sagt die Schrift, Hiob 15, 20., oder, wie es andere geben: Der Gottlose empfindet stets solche Angst, als ein Weib in Kindesnöthen; was er hört, das schreckt ihn, und wenns gleich Friede ist, fürchtet er doch, der Verderber komme, und glaubt nicht, daß er möge dem Unglück entrinnen. Von Kain wird gesagt, 1. Mos. 4, 16., er habe im Lande Rod gewohnt, das ist, wie es die Juden auslegen, im Lande der Bewegung, weil ihrem Bericht nach die Erde allenthalben, wenn Kain fortgegangen, sich unter ihm beweget und also den Brudermörder nicht tragen wollte. Dem sei nun, wie ihm wolle, so ists doch gewiß, daß ein unruhiges Gewissen nirgends Ruhe findet, und wird an ihm erfüllt, was Gott der Herr den Gottlosen dräut: 5. Mos. 28, 65. Du wirst kein bleibend Wesen und deine Fußsohlen werden keine Ruhe haben, denn der Herr wird dir ein bebendes Herz geben und verschmachtete Augen und verdorrte Seele. Nun ists zwar eine große Beschwerde und Elend, wenn der Mensch durch Krankheit, Alter oder andere Zufälle ein bebendes Haupt, zitternde Hände und schlotternde Kniee hat; allein, wenn das Herz im Leibe wie ein Espenlaub wegen bösen Gewissens bebt, das ist noch viel größer. Hilf, barmherziger Gott, daß ich nichts wider mein Gewissen thue! Die Sünde geht lieblich ein, aber sie bringt groß Nachweh im Herzen. Alle Welt mit ihren Gütern, Ehren, Lust und Trost vermag nicht ein unruhiges Gewissen zu befriedigen und zu stillen. Nur aus den Wunden Jesu muß die Ruhe für die Seele gesucht werden.

O Jesu voller Gnad!
Auf dein Gebot und Rath
Kommt mein betrübt Gemüthe
Zu deiner großen Güte;
Laß du auf mein Gewissen
Ein Gnadentröpflein fließen!

254. Das Geld.

Als im Beisein Gottholds eine ziemliche Summe Geldes, mehrentheils an Dukaten, ausbezahlt wurde, verwunderte sich einer darüber und sagte, er hätte so viel Gold noch nie bei einander gesehen. Gotthold antwortete: Dies ist ein Weniges gegen den großen Reichthum eines begüterten Kauf- oder Edelmanns, noch weniger gegen die Schätze eines sparsamen Fürsten oder gewaltigen Königs. Zu Zeiten Heinrich des Dritten, Königs in Frankreich, haben sich die Gefälle und Einkünfte dieses mächtigen Königreichs auf 19 Millionen Goldes belaufen, jetzt aber, wie viele Weltverständige dafür halten, sind sie so groß und mannigfaltig, daß sie schwerlich ausgerechnet werden können. Wenn ihr nun solche alle baar solltet vor euern Füßen liegen sehen in eitlen Dublonen, Pistoletten, Kronen, Dukaten und Reichsthalern, Lieber, was würdet ihr sehen? Eine scheinende Erde, ein vergängliches Gut, ein schnödes Geld. Ja, ich setze, daß ihrs nicht allein seht, sondern daß es euch auch zugehörte, was wäre es denn mehr? Sollte alles dies Geld euer Leben wol auf eine Stunde verlängern können? Wenn ihr dem Tode schon die Hälfte davon oder die ganze Summe anbieten würdet, würde er euer lachen und sagen: du Narr! meinst du, daß man allenthalben so viel vom Gelde hält, als bei euch thörichten Menschen? Ich achte des Drecks nicht, aus! und fort mit mir, du wirst sterben und nicht lebendig bleiben! Wenn einer tootkrank ist, und man legt ihn in ein von dichtem Golde gemachtes Bett, seine Polster und Pfühle wären von den zartesten und weichsten Pflaumfedern, mit Seide, Gold und Perlen gestickt, seine Labsal, Arzneien und Erquickungen würden in den köstlichsten goldenen und silbernen Geschirren ihm dargereicht, ja, wenn man seine ganze Schlafkammer mit Gold, Perlen und Edelsteinen füllte, sollte solches wol wider den Tod helfen oder ihm einige Hülfe, Linderung oder Trost schaffen können? Ich habe einen begüterten Mann gekannt, der in seinem Todbette haben konnte, was er begehrte; er hatte seinen spanischen und andern Wein, er hatte einheimisches und fremdes wohlschmeckendes Bier, er hatte köstlichen in der Apotheke bereiteten Julep vor seinem Bette stehen, und es wurde ihm solches von den Seinigen stets und willig dargeboten; allein es wollte ihm alles nicht schmecken, und er fand nicht so viel Labsal darinnen, als in dem frischen Brunnenwasser, welches er sich bringen ließ, und sagte: dies wäre eine Erquickung für seinen ausgemergelten Leib, Gottes Gnade aber und Christi Blut für seine matte und betrübte Seele. Hier war Wasser besser, als alle Schätze der Welt. Ja, wenn man einen nach seinem Tode anstatt des Sandes und der schwarzen Erde mit lauter Reichsthalern und Dukaten in seinem Grabe überschütten und seinen Sarg damit füllen und bedecken würde, so ists doch gewiß, daß ihm solches zur Seligkeit nichts dienen würde. Darum gewöhnt euch fein, daß ihr euch eben so wenig über eine Summe schönen Geldes, als über andere Erde verwundert, und sammelt euch Schätze, die der Seele zum Himmel dienen können. Denn

Hier ist kein recht Gut zu finden;
Was die Welt in sich hält,
Muß im Hui verschwinden.
Was sind dieses Lebens Güter?
Eine Hand voller Sand,
Kummer der Gemüther.
Dort, dort sind die edlen Gaben,
Da mein Hirt, Christus, wird
Mich ohn Ende laben.

255. Die zerstoßene Feder.

Eine vornehme Frau, als sie etwas schreiben wollte und eben eine untaugliche Schreibfeder bekommen hatte, bemühte sich zwar, dieselbe nutzbar zu machen, als sie aber unvermuthet das Papier damit befleckte, erzürnte sie sich so geschwind und hitzig, daß sie die Feder auf den Tisch mit Ungestüm stieß und verderbte. Gotthold sah dieses und lächelte dazu, sagend: Dergleichen sieht man oft im gemeinen Leben, daß die Menschen ihre Werkzeuge, wenn sie ihnen nicht nach ihrem Willen dienen, stoßen, schmeißen, schlagen und verderben, damit sie aber nichts anders anzeigen, als wie recht es wäre, wenn auch der höchste Werkmeister aller guten Dinge, der uns zwar zu Werkzeugen seiner Gnade und guten Willens gebrauchen will, uns aber nicht nur untauglich, sondern auch muthwillig und widerspenstig befindet, uns im Zorn aufriebe und in seinem Grimm zerstieße und verderbte. Denn was uns recht ist, warum sollte ihm das unrecht sein? Allein, er ist Gott und nicht ein Mensch, und seine Barmherzigkeit ist zu groß und zu brünstig, daß er nicht thun kann oder will nach seinem grimmigen Zorn, noch sich kehren, uns ganz zu verderben, Hos. 11, 8. 9. Ach, barmherziger Vater! ich verwundere mich am meisten über deine Langmuth, wiewohl du ganz und gar wunderbar bist! Und ich kann mir dieselbe nicht besser einbilden, als wenn ich nur meine wenige Lebenszeit durchdenke und betrachte, wie reichlich du sie an mir bewiesen hast. Wenn ich aber die unglaubliche Menge so vieler tausend mal tausend Menschen, und wie dieselben dich täglich, ja stündlich erzürnen und beleidigen, dennoch aber stets deiner Güte begehren und genießen, mir vorstelle, so versinkt mein Gemüth im tiefen Meer, und ich beklage nichts mehr, als daß man dich, du Liebe, nicht liebt! Darum redet auch dein Wort so nachdenklich von deiner unvergleichlichen Güte: Gelobt sei Gott! der mein Gebet nicht verwirft und seine Güte nicht von mir wendet. Ps. 66, 20. Du hättest, mein Gott! oftmals Ursache zu sagen: trolle dich, du Bube, mit deinem Gebet! Denn es ist mehrmals wie ein kupferner verfälschter Pfennig, wie ein Getränk, das nach dem Gefäß schmeckt; aber du thust es nicht, sondern läßt es dir in Gnaden gefallen. Breite deine Güte über die, so dich kennen, spricht abermal dein Prophet, Ps. 36, 11., und vergleicht deine Güte mit einer Decke, damit du uns und unsere Sünden verhüllst, daß sie uns weder beschädigen, noch verdammen müssen. Nun, mein Gott, bleibe doch, wie du bist, ich bin mit dir wohl zufrieden, sei doch auch mit mir in Gnaden zufrieden!

256. Der Bezoarstein.

Es ward Gotthold ein Bezoarstein gewiesen, der 2 Loth wog, und als man darüber von dieses Steines Tugend redend ward, sagte er: Es ist in Indien ein Thier, einem Hirsch und zum Theil einer Gemse nicht unähnlich, welches sich auf den Gebirgen aufhält und von den schönsten und edelsten Kräutern lebt; in dessen Leibe wird dieser Stein gezeugt, so, daß er anfangs klein ist, mit den Jahren aber und je älter das Thier wird, mehr und mehr zunimmt, wie solches die auf einander geschlossenen Reifen, die sich leicht von einander lassen abschlagen und trennen, so daß der nächste doch allezeit so glatt und schön ist, als der oberste, genugsam bezeugen. Was aber seine Tugend und Wirkung betrifft, ist dieselbe nunmehr durch die Erfahrung so bekannt geworden, daß er unter den alleredelsten Arzneien wider allerlei Gift fast die Oberstelle erhalten hat, maßen. denn die Aerzte glaubwürdig berichten, daß sie seine Kraft wider das geschwindeste Gift in halbtodten Menschen erfahren haben. Was ists aber anders, das in diesem schlechten Dinge so kräftig wirkt, als die gütige Kraft unsers Gottes, die sich wie tropfenweise in die Kreaturen ergießt und dem elenden menschlichen Leben zu Steuer kommt, zugleich aber uns als im Bilde vorstellt, was wir für unsere Seele aus dem Worte Gottes und den theuren Wunden Jesu zu erwarten haben. Mein Herr Jesu! dir hat beliebt, mit einem Rehe oder jungen Hirsche in deinem Worte verglichen zu sein, Hohel. 8, 14., bei dir finde ich den rechten Bczoar für meine durch die Sünde vergiftete und halbtodte Seele. Dein Blut, du Sohn Gottes! macht mich rein von allen Sünden, 1. Joh. 1, 7. Du hast mich aus der Hölle erlöset und vom Tode errettet. Du bist dem Tode ein Gift und der Hölle eine Pestilenz geworden, Hos. 13, 14. Durch deine Gnade wird mein Herz ewig leben. Ps. 22, 27.

257. Das einzige Kind.

Zween vornehme und begüterte Eltern hatten einen einigen Sohn, welchen sie, wie es pflegt, überaus lieb und werth hatten; er war ihrer Augen Lust und Herzens Trost, es mußte ihn kein kaltes Lüftlein anwehen, kein unfreundliches Gesicht anblicken, kurz, er mußte allen seinen Willen haben. Gotthold sah dieses und sagte: Auf solche Weise werdet ihr Gott bald Ursache geben, mit euch zu eifern, und dies ungemäßigte Liebesfeuer dürfte des Knaben Leben bald verzehren. Denn meinet ihr, daß euch der Höchste einen Abgott gegeben hat, darüber ihr sein vergessen sollt? Oder hat er darum euer Gebet erhört und euch diesen Sohn beschert, daß ihr etwas hättet, daran ihr euer Herz hinget und euch zu versündigen Anlaß nehmet? Eine seltsame Braut wäre es, der der Bräutigam ein schönes Bild hätte gegeben, und sie wollte sich in dasselbe verlieben, an ihn aber nicht mehr gedenken; so macht ihr es: Gott hat euch diesen Sohn gegeben, daß, so oft ihr denselben anseht, ihr seiner Güte gedenken und ihn in kindlicher Furcht preisen sollet; ihr aber habt das Herz so sehr an den Sohn gehängt, daß ich nicht , weiß, ob ihr Zeit habt, an den Vater im Himmel zu denken. Dies ist eine Affenliebe, welche die Kinder im Herzen und Küssen erdrückt. Solche Liebe ist wie der Epheu oder wilde Hopfen, der sich um einen fruchtbaren jungen Baum rankt und denselben erstickt. Darum sehet dahin, daß ihr nicht allein einen Sohn, sondern auch einen gottseligen Sohn erziehen und haben mögt. Das Verzärteln aber der Kinder ist, als wenn man ein hölzernes Gefäß in die Sonne und warme Luft setzt, da es von einander treuget, daß es oft gar zerfällt oder doch hernach kein Wasser halten will. Also ist der Eltern unzeitige und nicht mit Gottseligkeit und Vernunft gemäßigte Liebe der Kinder Verderben und macht sie aller guten Lehre und Tugend unfähig. Nachdem er nun eine Weile geschwiegen, fuhr er fort und sagte: Mir fällt aber bei eurem einigen Sohn ein, daß der Mensch eine einige Seele hat, Ps. 22, 21., und wäre zu wünschen, daß er dieselbe so lieb und in Acht haben möchte, als ihr dieses euer einiges Kind. Fürwahr mancher ruchlose Mensch handelt so leichtfertig, als hätte er wol 10 Seelen zuzusetzen, da doch eine und einmal verloren, alles und ewig verloren ist. Mein Gott! nicht das allein hab ich bei meiner Seele zu bedenken, sondern auch, daß sie dein und nicht mein ist. Denn du hast sie mit dem Blute deines Sohnes theuer erkauft. Wie sollte ich nun ein so theuer erworbenes Gut dir veruntreuen? Doch, mein Vater! meine Aufsicht ist zu schlecht für ein solches Kleinod; ich würde es leicht verwahrlosen und verlieren; du wirst wohl wissen zu bewahren, was dir so viel kostet.

258. Das Landgut.

Gotthold hatte bei einem begüterten Edelmann etliche Geschäfte auszurichten; nachdem sie nun mit denselben fertig waren und ihn derselbe, bis die Mahlzeit bereitet würde, allenthalben auf seinem Gut umher führte, sagte Gotthold: Ich halte euch für einen solchen Edelmann, der seinen Adel und Vortrefflichkeit mehr in Gottseligkeit und Tugend, als in der Eitelkeit dieser Welt sucht und setzt, darum will ich auch nicht zweifeln, daß ihr oftmals in Betrachtung dieses eures Wohlstandes euer Herz zu Gott, von dem alle gute und vollkommene Gaben herab kommen, erheben und mit Jakob sagen werdet: Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und aller Treue, die du an deinem Knecht gethan hast! 1. Mos. 32, 10. Wir lesen zwar, daß einmal Gott durch Josua das gelobte Land seinem Volk vermittelst des Looses hat austheilen lassen, Jos. 15, 1., wir müssen aber nicht meinen, daß solches bei andern Ländern und Völkern nicht auch geschehen sei. Gott hat den Menschenkindern die Erde gegeben, Ps. 115, 16., doch mit gewissem Maß und Eintheilung seiner göttlichen allweisen und gnädigen Vorsehung. Er hat einem jeden Menschen seinen Raum zugetheilt und dem einen viel Länder, Städte, Dörfer, Schlösser und Flecken, dem andern eine oder die andere Stadt, ein paar Schlösser und etliche Dörfer, dem dritten ein schönes Landgut, dem vierten ein wohlgebautes und wohlgelegnes Haus, einen feinen Garten, etliche Stücke Ackers, dem fünften ein Bauerhüttlein und etwas weniges von Acker dazu gegeben, und dies alles nach dem Loos seines Gutbefindens und Wohlgefallens. Daß euch nun das Loos auf so ein schönes Gut, auf solchen lustigen Sitz, auf so tragbare Aecker, lustige Wiesen, Hölzungen und Weiher gefallen, das habt ihr niemand als dem, nach dessen Willen das Loos fällt, Sprüchw. 16, 33., zu danken. Sehet aber ja dahin, daß ihr diesen euern Theil auf Erden so gebraucht, daß ihr euren Theil am Himmel nicht darüber verliert. Gott hat euch und euers gleichen mehr gegeben, nicht, daß ihr mehr, als andere euch erheben und prangen, sondern daß ihr eurem Erlöser, der nicht so viel Raums auf Erden eigen gehabt, daß er sein Haupt hat dahin legen können, Matth. 8, 20., in seinen dürftigen Gliedern damit dienen sollet, wie er selbst erinnert, sagend Luc. 16, 9.: Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, auf daß, wenn ihr nun darbet, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten. Würdet ihr aber solches vergessen und dieses eures Gutes halber hoffärtig werden, so müßte man euch auch die Landkarte vorlegen, daß ihr einem euer Haus darauf zeigen solltet, wie es ehemals Sokrates mit dem Alcibiades gemacht, zu bedeuten, daß es ein Geringes ist, was ihr von dem Erdboden besitzet, und wenn ihr denselben ganz inne hättet, was wäre das gegen den Himmel, welchen Gott für seine Kinder behalten hat? Schließlich gedenkt allezeit daran, wie groß euer letzter Raum auf Erden sein wird, nämlich etwa sechs Schuh lang und vierthalb breit. An so viel muß sich der mächtige Kaiser sowohl, als der geringste Bauer endlich genügen lassen. Dieses hat Kaiser Konstantin der Große wohl bedacht, der, als er einen unter seinen vornehmsten Bedienten dem Geiz über alle Maß ergeben verspürte, demselben mit einem Spieß, den er eben in Händen hatte, so viel Raum, als da ein menschlicher Körper liegen kann, im Sande abmaß und vorbildete, sagend: Mein, wie lange wollt ihr doch so geizig sein? Wenn ihr allen Reichthum und die Güter aller Welt besäßet, so wird euch doch endlich mehr nicht, als ein solcher Raum, wie ihr hier umschrieben seht, übrig bleiben. Darum sehet euch bei Zeiten um, wo euer Raum in der Erde, da ihr zur Erde werden wollt, sein soll! Seliger ist, der in seinem Grabe unter der Erde sanft und selig ruht, als der auf der Erde weit und breit mit seinem und vieler andern Beschwerde herrscht oder geizt.

259. Das Salz.

Als bei einer Mahlzeit Salz gefordert ward, sagte Gotthold: Die Juden fabeln, daß Lots Weib in eine Salzsäule verwandelt worden sei, darum, daß sie mit ihrem Mann nicht zufrieden gewesen, als er ihr die Engel in Gestalt fremder Leute ins Haus und zu Tisch gebracht, daher sie ihnen aus Widerwillen kein Salz auf den Tisch gesetzt. Allein dienlicher ists, wenn man dafür hält, daß Gott an ihr ein immerwährendes Gedächtniß seines Ernstes der Welt hat wollen vorstellen, damit andere lernen möchten ihm gehorsam zu sein, und wenn er sie zu seiner Gnade berufen, sich nach dem vorigen Sündenwandel nicht weiter umzusehen und zu sehnen. Was aber sonst das Salz betrifft, so ist es wol eine von den edelsten Gaben des mildreichen Gottes. Ich habe mit höchster Verwunderung vor etlicher Zeit die Sülze zu Lüneburg besichtigt und habe nichts anders zu sagen gewußt, als daß solches Werk ein rechtes Wunder Gottes sei, welches aber, weil es so lang gewährt, uns nunmehr alt und ungeachtet geworden ist. Dieser Brunnen wird Tag und Nacht Jahr aus und ein geschöpft und wird doch nicht erschöpft, er füllt täglich so viel Pfannen, Kufen und Tonnen und wird doch nicht ausgefüllt, er macht viele starke Menschen täglich müde, und er selbst wird nicht müde. Lieber, woher kommt diese Menge? Wer öffnet und erhält die Gänge dieses edlen Wassers? Ohne Zweifel der, der alles Gute schafft und doch den wenigsten Dank dafür hat. Cambdenus berichtet aus dem Tacitus, daß unsere Vorfahren, die alten Deutschen, dafür gehalten, die Oerter, wo Salzquellen zu finden, wären dem Himmel am nächsten, und das Gebet würde nirgends von den Göttern gewisser erhört, als eben bei solchen Sülzen. Man sieht wohl, daß sie das Salz für eine besondere Gabe des Himmels erkannt und sich zur Dankbarkeit verpflichtet gefunden. Bei uns aber, ihren unartigen Nachkommen, ob wir wohl die Güte Gottes zu erkennen viel bessere Anleitung haben, als sie, wirds wenig geachtet. Ich meinestheils werde dieses Werks mein Leben lang eingedenk bleiben. Lasset uns aber auch hiebei nicht vergessen, was unser Heiland, Marc. 9, 50., und sein Apostel, Col. 4, 6., vom Salz erinnern: Habt Salz bei euch, und habt Frieden unter einander! Eure Rede sei allezeit lieblich und mit Salz gewürzt, daß ihr wisset, wie ihr einem jeglichen antworten sollet, damit sie lehren, daß die Christen vorsichtige, bescheidene und freundliche Leute sein sollen, die nicht leicht durch unbesonnene Rede oder Antwort jemand beleidigen, irre führen oder betrüben! Denn wie die ungesalzene Speise einen Ekel, also macht unbedachtsames Reden Feindschaft und Haß; die Christen aber sind zum Frieden und Segen berufen. Mein Herr Jesu! du sanftmüthiges und liebreiches Herz, gieb mir deinen Sinn und die Gnade, mich also zu bezeigen, daß ich meinem Nächsten gefalle zum Guten, zur Besserung. Röm. 15, 2.

260. Das Hirschkalb.

Als Gotthold ein Hirschkalb, welches in der Stadt zur Lust mit Mühe und Kosten erzogen wurde, sah, dachte er bei sich selbst: dies Thierlein, ob es ihm wohl an Aufsicht und Nahrung nicht fehlt, wird doch schwerlich so wohl gedeihen und fortkommen, als wenn es bei seiner Mutter im Walde geblieben ware; denn ich weiß nicht, wie es kommt, daß die wilden Thiere im Walde, die Vögel in den Gebüschen, die Fische in den Strömen und Seen besser gedeihen, als die zahmen in den Ställen, Häusern und Teichen, ob schon diese mehr in Acht genommen, gepflegt und gehegt werden, als jene. Eben so gehts mit den Kindern armer Leute zu, ob sie wohl bei weitem solche Speise, Kleidung und Wartung nicht haben, als der Reichen, wie man ja oft sieht; die Kinder der Bauersleute auf dem Lande springen mit bloßem Haupt, bloßer Brust und Füßen daher, frisch und gesund, daß sie ihr Stücklein Brods, darauf die Butter kaum zu sehen ist, mit dem besten Gebratenen nicht vertauschten, da hingegen oft reicher Leute Kinder elende Siechlinge bleiben und ungeachtet aller Pflege nicht fort wollen. Allein hiebei ist eine höhere Hand! Der Höchste will damit zeigen, daß seine Pflege und Fürsorge die beste fei, und daß man alles Gedeihen, Gerathen und Aufkommen mehr aus seinen, als aus der Menschen Händen erwarten müsse. Was trauern wir denn so sehr, wenn wir nicht aller Mittel nach unserer Rechnung versichert sind? Wenn das besser geräth, was Gott in Acht hat, als was der Mensch, warum ergeben wir uns auch nicht herzlich und gänzlich seiner Fürsorge? Oder vermeinen wir, daß ihm an solchen Thieren mehr, als an uns Menschen gelegen? Mein getreuer Gott! deine Treue hat niemand, der dir getraut, betrogen, und dennoch traut man dir so wenig! Wir Menschen trauen uns selbst, dem Golde, der Welt, ja wohl gar dem Teufel, und mein allerliebster Gott! dir können wir so übel trauen! Ich schäme mich, daß ich von solchem Thier solche Kunst lernen muß.

261. Die Rosmarin.

Gotthold fand eine feine Frau im Garten bei etlichen Rosmarinpflanzen, denen sie eine Topfscherbe voll Wassers mit einem wollenen Lappen, welcher das Wasser allmälig an sich ziehen und auf die Pflanzen leiten sollte, zugesetzt hatte; die fragte er, ob sie bei dieser ihrer Arbeit auch gute Gedanken hätte? Sie sagte: Ich erinnere mich hiebei, daß, wie dieses edle Kräutlein in diesem Lande gleichsam ein Fremdling ist und guter Wartung vor Frost und Hitze bedarf, wenn es fortkommen und wachsen soll, also auch ich als eine gläubige und getaufte Christin mein Vaterland im Himmel und nicht in dieser Welt habe; damit ich aber unter den vielen Widerwärtigkeiten dieses mühseligen Lebens nicht vergehe, so ist die Gnade meines Gottes mein Schutz wider die Hitze des Kreuzes und meine Erquickung in aller Trübsal. Gotthold lobte diese Rede und sagte: Ihr könnt euch weiter bei diesem Kraut und dessen Wartung erinnern, wie euch gebührt mit dem göttlichen Worte zu verfahren. Ihr selbst werdet zugestehen, daß ein jeder Kern- und Machtspruch der Schrift schöner, edler und dienlicher ist, als alle Rosmarinpflanzen. Drum pflanzt dieselben häufig in den Garten eures Herzens und Gedächtnisses, begießt und befeuchtet sie mit gottseligem Nachdenken, mit andächtigen Seufzern und Thränen, und damit sie desto besser bekommen und wachsen mögen, so gätet aus eurem Herzen allerlei weltliche, fleischliche Gedanken, damit sie das edle Kraut des göttlichen Worts und die Himmelspflanzen nicht ersticken. So werden dieselben also wachsen, daß ihr dermaleinst im Himmel einen unverwelklichen Kranz davon tragen könnt. Traut ihr aber auch wohl, daß in Frankreich und England dieses edle Kraut so häufig wächst, wie bei uns die Heide, so groß, daß man sie auch zu Brennholz gebraucht und die Gärten damit bezäunt? Sie sagte: Ei, das müssen schöne Länder sein! Ja, sagte Gotthold weiter, wie schön wird dann das Land der Lebendigen sein! Hat unser Gott der Eitelkeit und Vergänglichkeit so viel verliehen, was wird er der seligen Ewigkeit vorbehalten haben? Ach, liebster Gott und Vater! hilf uns bald aus der Eitelkeit zu dir in die selige Ewigkeit.

262. Das Morgenbrod.

Gotthold sah, daß eine gottselige Mutter ihre Kinder in einer Reihe morgens früh hatte vor den Tisch gestellt zu beten, da sie indessen ihnen von Brod und Butter das Frühstück bereitete und zugleich auf ihr Gebet Acht hatte. Solches gefiel ihm wohl und sagte: Es wäre zu wünschen, daß es in allen Häusern so gehalten würde, daß die Kinder das Morgenbrod mit dem Gebet und einer Arbeit, die ihrem Alter und Kräften gemäß, verdienen müßten. Die Parther haben ehemals ihren Kindern nichts gereicht, ehe sie mit Bogen und Pfeil sich geübt; bei den alten Deutschen haben sie das Frühstück mit einem Wurfspießlein verdienen müssen. Wie vielmehr sollen wir Christen unsere Kinder zu den Waffen der geistlichen Ritterschaft gewöhnen, damit sie von Jugend auf mit dem Satan und der bösen Welt zu streiten gewohnen. Die Russen oder Moskowiter sind zwar ein barbarisches Volk, bekennen sich jedoch zum christlichen Namen, wiewohl ihre Religion mit grober Unwissenheit und merklichen Flecken beschmutzt ist; die haben den Gebrauch, daß sie ihren Kindern von der Taufe an eines gewissen Heiligen Bildniß zuordnen, welches sie ihr Leben lang in Ehren halten und ihr Gebet vor demselben täglich verrichten müssen, und es bezeugt Olearius, daß er mit seinen Augen gesehen, daß eine Russin ihrem kleinen Kinde, das kaum gehen und reden konnte, nicht eher des Morgens hat etwas wollen zu essen geben, bis es sich neunmal vor ein Bild, das in der Stube gehangen, geneigt und allemal dazu gesagt: Herr, erbarm dich meiner! Ob nun wohl der abgöttische Bilderdienst nicht zu loben, so wäre doch unsern Christen eine solche andächtige Gewohnheit zu dem wahren Gott zu wünschen, und befürchte ich, daß diese einfältigen und übel berichteten Christen au jenem großen Gerichtstage auftreten und viele unter uns, denen es an Wissenschaft und Unterricht zur wahren Gottseligkeit nicht gefehlt und dennoch um dieselbe sich wenig bekümmert, verdammen werden. Darum fahrt fort, eure Kinder zu gewöhnen, daß sie zuerst des Morgens zu Gott im Gebet sich wenden und dafür seines göttlichen Segens und Schutzes den ganzen Tag mögen versichert sein. Denn so wir Gottes nicht achten, was achtet er unser? Er kann unser wohl entrathen.

263. Die Rechnung.

Gotthold fand einen Kaufmann bei seinen Registern und Büchern, daß er eines und das andere überschlug und in Richtigkeit brachte; darauf sagte er zu ihm: Ich wollte euch rathen, daß ihr diese eure Handlungsbücher mit einem und anderm guten Spruch aus der Schrift solltet zieren und dieselben vorne hin schreiben, damit ihr, so oft ihr dazu kämt, eine Erinnerung eures Christenthums und gewissenhaften Wandels haben möchtet; dazu könnten dienen entweder des weisen Königes Worte, Sprüchw. 10, 22.: Der Segen des Herrn macht reich ohne Mühe, oder was unser Erlöser sagt, Matth. 16, 26.: Was hülfe es einem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele? Oder was kann der Mensch geben, seine Seele wieder zu lösen? Luc. 16, 2. Thue Rechnung von deinem Haushalten, denn du kannst hinfort nicht mehr Haushalter sein! oder des h. Apostels 1. Thess. 4, 3. 6.: Das ist der Wille Gottes, daß niemand zu weit greife, noch vervortheile seinen Bruder im Handel, denn der Herr ist der Rächer über das alles. 1. Tim. 6, 6. 7. 8. Es ist ein großer Gewinn, wer gottselig ist und läßt ihm genügen. Denn wir haben nichts in die Welt gebracht, darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinaus bringen, wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so laßt uns begnügen. Denn ihr wisset, daß alle Handlung unsers Lebens endlich dahinaus läuft, daß wir mit dem Tode müssen in Handlung treten und ihm die letzte Schuld mit unserm Leibe bezahlen. Selig ist, der alsdann so gehandelt, daß er seine Seele zum Gewinn hat. Kaiser Karl der Vierte hat einen Mönch gehabt, Dietrich Kagelwidt genannt, der sehr klug und verschlagen gewesen. Als ihn nun der Kaiser zum Verwalter auf ein vornehmes Amt gesetzt, hat er so wohl Haus gehalten, daß er in kurzer Zeit ein Ehrliches vor sich gebracht. Seine Mißgünstige verdroß solches und brachtens beim Kaiser dahin, daß er innerhalb gewisser Tagesfrist ihm Rechnung abzulegen befahlt Der Mönch war unerschrocken und sagte, er begehrte keine Frist, seine Rechnung fertig zu machen, sondern wäre bereit, auf stehendem Fuß dieselbe zu thun, wenn der Kaiser sie aufzunehmen belieben wollte. Als sich nun der Kaiser solches hat gefallen lassen, sagte der Mönch: Als ich zu Ew. Majestät kam, hatte ich diesen meinen Monchshabit und Kappe und etliche wenige Heller darin. Dieselbe halte ich für mein Eigenthum, das Uebrige, was ich gesammelt, begehr ich nicht, bin es auch meines Weibes und Kinder halber nicht benöthigt, sondern es gehört alles Ew. Majestät, der ich es aufbehalten, daß sie es im Nothfall haben möchte. Denn hätte ichs gen Hof geliefert, so wäre es meinen mißgünstigen Angebern und nicht Ew. Majestät zu Nutz geworden. Dies war eine gute Rechnung, die dem Kaiser sonderlich wohl gefiel. Lieber, lasset uns mit den uns von Gott vertrauten zeitlichen Gütern also handeln, daß wir auch dermaleinst, wenn uns der Tod zur Rechnung ladet, wohl bestehen mögen. Mein Gott! die langen Rechnungen sind die verworrensten. Aus langem Aufschieben folgt Weitläufigkeit, aus der Weitläufigkeit Gefährlichkeit. Darum will ich alle Abend mit dir Rechnung halten und mein Haupt nicht ehe sanft legen, ehe meine Rechnung von dir in Gnaden ist richtig erkannt und mit dem Blute meines Herrn Jesu, überstrichen.

264. Die Mutter.

Es spielte eine Mutter mit ihrem kleinen Kinde, und nachdem sie es satt gesäugt und etliche Mal geherzt und geküßt hatte, fragte sie, ob sie nun sterben sollte, und stellte sich zugleich mit zugethanen Augen und Enthaltung aller Bewegung, als wenn sie todt wäre; das Kind sah dies eine Weile an und fing an kläglich zu weinen, als wäre ihm groß Leid geschehen. Gotthold sah dieses und gedachte bei sich selbst: So gehts auch oft zwischen mir und meinem lieben Gott zu. Mein Gott stellt sich oft, und mein sorgenvolles Herz meints, als wenn er gestorben wäre; wenn ich nämlich in meinen äußerlichen und innerlichen Anfechtungen keinen Trost, keine Hülfe, keinen Schutz verspürt; am Ende aber hab ich gefunden, daß mein frommer Gott seine Lust mit mir gehabt und meinen Glauben, meine Liebe, mein Verlangen, mein Gebet, meine Thränen auf die Probe hat setzen wollen. Ich erinnere mich hiebei, was ich erzählen gehört: Eine kluge und gottselige Frau, als sie wußte, daß ihr Mann eines besondern Unfalls halber sehr betrübt war und die Nacht Sorgen halber wenig geschlafen hatte, nahm des Morgens große Traurigkeit an, heulte und weinte. Der Mann verwunderte sich hierüber, weil sie vorigen Tags ihm mit Freudigkeit zugeredet und sich der Traurigkeit zu entschlagen ermahnt hatte, und begehrte die Ursache solcher unvermutheten Betrübniß von ihr inständig zu wissen. Sie, nachdem sie in etwas sich geweigert, sagte endlich: es wäre ihr im Traum vorgekommen, als wenn ihr jemand die Zeitung hätte gebracht, daß Gott im Himmel gestorben wäre, und hätte sie alle h. Engel weinen gesehen. Der Mann sagt: du Thörin, weißt du doch wohl, daß Gott nicht stirbt. Ei, spricht das verständige Weib, wenn wir denn solches wissen, warum betrübt ihr euch denn so herzlich, als wenn kein Gott mehr lebte, der unserm Unglück Maß und Ziel setzen und es gnädiglich lindern und ändern könnte? Darum trauet Gott und trauert als ein Christ und denket an das schöne Sprüchwort: Was trauerst du doch! Gott lebt noch! Fürwahr, mein Vater! wenn du nicht lebtest, ich wollte nicht wünschen eine Stunde zu leben! Und ob gleich du dich zuweilen stellst, als wärst du gestorben, so will ich doch, wie dies Kind, nicht nachlassen, dich in meinem Gebet und Thränen aufzuwecken, bis ich erfahre, daß du meines Angesichts Hülfe und mein Gott bist.

265. Das Kohlenfeuer.

Als Gotthold sich eines Kohlenfeuers wider die Kälte bedienen mußte, erinnerte er sich gelesen zu haben, daß durch den Dampf vom Kohlenfeuer Leute erstickt worden. Es sind einmal zween Kaufleute im Winter nach Lyon gekommen; als sie nun Landesgebrauch nach ein Kohlenfeuer in ihr Zimmer lassen bringen, sind sie morgens beide todt im Bette gefunden worden, welches die Aerzte nicht allein der Kälte, sondern auch dem Dampf von den Kohlen zugeschrieben. Als im Jahr Christi 1601 Michael, der Woywod in der Walachei, zu Kaiser Rudolf dem Andern nach Prag gekommen, haben seine Diener in ihre Schlafkammer, die oben gewölbt war, ein großes, eisernes Geschirr mit Kohlen getragen; als nun selbe Kammer verschlossen gewesen, daß kein Dampf hinaus gekonnt, sind ihrer vier morgens todt im Bett gefunden, fünf aber schwer krank geworden. Dergleichen fast Herzog Christoph von Würtemberg in Welschland begegnet wäre, wenn er nicht, vom Dampf erwacht, auf Händen und Füßen der Thüre zugekrochen, dieselbe eröffnet und also dem Rauch einen Ausgang gemacht hätte. Ach, dachte er ferner bei sich selbst, wie leicht ist es um uns Menschen geschehen, und wie mancherlei Art des Todes ist unser nichtiges Leben unterworfen! Es ist kein Ding dem Menschen so dienlich, das nicht auf Gottes Wink demselben auch schaden und wol gar das Leben nehmen konnte, und das darum, daß wir sollen lernen, alle Dinge in der heiligen Furcht Gottes brauchen. Indem er nun tief bei diesen Worten seufzte, erregle er mit seinem Odem von den glühenden Kohlen die Loderasche, daß ihm dieselbe um den Kopf flog. Siehe da, sprach er, was erhebt sich die arme Erde und Asche? Sir. 10, 9. Dieser weiße Staub läßt sich mit einem geringen Odem rege machen und fährt hoch her, bleibt aber doch nur Asche und muß wieder herunter fallen. So sind wir Menschen auch, es kann eine schlechte Gelegenheit, ein geringes Lob- und Liebsprechen der Leute, eine ungegründete Einbildung unsern Muth erheben, daß wir mit unsern Gedanken, ich weiß nicht, wie hoch über andere flattern. Indessen bleiben wir doch ein armer Aschenhaufe, und die wir oft im Leben die halbe Welt wollen füllen, können, wenn wir etliche Zeit im Grabe gelegen, kaum eine Hand voll machen. Mein Gott! ich danke dir für solche gute Erinnerung. Die Gedanken von der Eitelkeit menschlichen Lebens sind rechte glühende Kohlen, damit unser Herz zu deiner heiligen Furcht erhitzt wird.

266. Die Münze.

Als eine neue Münze, darauf eines großen Potentaten Bildniß stand, vorgezeigt wurde, sagte Gotthold zu der Gesellschaft: Warum meint ihr, daß die hohen Häupter ihr Bildniß auf die Münze prägen lassen? Darauf sagte einer: Ohne Zweifel darum, daß sie sich ein Gedächtniß auch auf solche Weise bei der Nachwelt stiften mögen, weil die Menschen nichts so wohl und fleißig, als das Geld aufheben und verwahren. Ein anderer sagte: Ich halte dafür, ein Fürst lasse darum sein Bild auf die Münze setzen, wie sein Siegel auf einen Brief, daß er dieselbe damit als rechtmäßig und gut beglaubige und gültig mache. Der dritte sagte, es möchte auch wol darum geschehen, daß die Unterthanen ihre hohe Obrigkeit herzlich zu lieben und für sie zu beten erinnert werden, als unter deren Schutz und Schirm ihnen frei und sicher zu kaufen und zu verkaufen, zu handeln und wandeln, zu reisen und zu bleiben verschafft werde. Gotthold that hinzu: Ich wollte es dahin deuten, daß ein Herr mit seinem Bildniß zugleich sein Ansehen, Macht und Gerechtigkeit den Unterthanen vor Augen stellen wolle, daß sie um desto eher bewogen werden, im Handel und Wandel so gewissenhaft und gerecht sich zu bezeugen, als wenn der Fürst selbst alles hülfe unterhandeln und mit seiner Gegenwart bestätigen. Die Alten haben mehrmals auch ihre Münze mit dem Kreuz bezeichnet, ohne Zweifel darum, daß die Menschen im gemeinen Leben oft des gekreuzigten Herrn Jesu möchten erinnert und durch sein Andenken ermahnt werden, daß sie ihre Seele, die er am Kreuz mit seines theuren Blutes Vergießung erkauft, nicht so liederlich um eines und des andern schnöden Pfennigs willen verkaufen und in die Schanze setzen, auch ihrem dürftigen Nächsten um des gekreuzigten Christi willen die Hand zu reichen willig sein sollen; welchen Gebrauch, da er nunmehr in Abgang gekommen, wieder aufzubringen, wol nicht zu rathen ist um des großen Mißbrauchs willen, dem das Geld nunmehr leider unterworfen ist. Denn was ists anders, als ein Diener der weltlichen Eitelkeit und Bosheit! Gedenkt aber auch bei dieser Gelegenheit, daß unser Herz müsse ein Schaupfennig Gottes und mit dem Bilde des Himmelsfürsten Christi Jesu bezeichnet sein. Es müssen alle unsere Worte, Werke und Gedanken ein Abdruck von seiner Liebe, Sanftmuth, Demuth, Freundlichkeit, Mäßigkeit, Keuschheit, Genüghaftigkeit und Wahrheit haben; wo nicht, so wird er einst zu uns sagen: Ich kenne euer nicht. Matth. 7, 23. 25, 12. Ach, mein Herr Jesu! drücke dein Bild in mein Herz, damit es im Himmel gelten möge.

267. Die Quittung.

Gotthold mußte über eine Zahlung eine Quittung ausfertigen; als er nun darüber war, kam ein gottseliger Mann dazu und, nachdem er vernommen, was er vorhatte, sagte er: Damit wir Anlaß zum erbaulichen Gespräch haben mögen, Lieber, was wollt ihr Gutes und zur Gottseligkeit Dienendes bei einer Quittung erinnern? Nach wenigem Bedacht antwortete Gotthold: Anfangs, so manche Quittung ausgerichtet wird, so manches Zeugniß hat man, wie voll Betrugs und Mißtrauens die Welt sei. Bei den redlichen Alten war das ehrliche Gemüth Verschreibung und Quittung genug und ward höher und steifer gehalten eine Schrift, die in 3 oder 4 Zeilen bestehend, mit gelbem Wachs und dem Daumen versiegelt, daran ein oder ander goldenes oder silbernes Kreuzlein gehangen, oder darauf ein Kreuz als ein Zeichen der Treue, des Glaubens und der Wahrheit gebildet war, als jetzt eine große und weitläufige Verschreibung, die mit großen und schönen Siegeln in rothem oder grünem Wachs behangen ist. Das äußerliche Schminkwerk und Schmierwerk in der Welt nimmt zu, der innerliche, ehrliebende Gemüthskern nimmt ab. Doch findet man auch wol anderes, das uns bei einer Quittung zu Erbauung unsers Christenthums dienen kann. Der Mensch hat zwei Schulden über sich, daran er sein Leben lang zu zahlen hat; eine ist die Schuld der Sünde, die bezahlen alle gottesfürchtige Herzen täglich mit den Blutstropfen Jesu Christi und mit der fünften Bitte des h. Vater Unsers: Vergieb uns unsere Schuld, als wir vergeben unsern Schuldigern; diese Quittung schreibt der H. Geist in unser Herz, wenn er uns versichert, daß wir Gottes Kinder sind durch den Glauben an Christum Jesum. Die andere ist die Schuld der Liebe, davon der Apostel spricht: Seid niemand nichts schuldig, denn daß ihr euch unter einander liebt. Rom. 13, 8. Lasset uns ja dahin sehen, daß wir am jüngsten Tage viele Quittungen, in betrübter, armer, elender und trostloser Christen Herzen geschrieben, mögen vorzeigen können. Denn diese sinds, die eine Cession von dem Herrn Jesu in Händen haben, kraft welcher er seine an uns habende Forderung wegen seines für uns vergoßnen und bezahlten theuren Bluts ihnen hat abgetreten, und was wir ihnen bezahlen und reichen, das will er als ihm selbst abgestattet in Gnaden annehmen, wenn wirs mit ihrem Zeugniß an jenem Tage belegen werden. Selig ist, der solcher Quittungen viele in den Himmel voran geschickt hat, und dem viel dahin folgen werden! Schließlich erinnere ich mich der Schuld der Natur, die wir alle bezahlen müssen, und dessen, was ein guter Mann im Scherz sagte, als er einen Wagen mit Schaufeln, die man beim Begräbniß zu gebrauchen pflegt, fahren sah, daß es nämlich lauter Quittungen wären; er wollte sagen, daß wenn es so weit mit einem gekommen, daß man ihm mit solchen Schaufeln nachschlüge, so hätte er alle Schuld bezahlt und hätte solches mit den Grabschippen als mit Quittungen zu belegen. Mein Herr Jesu! ich will eine Quittung, mit deinem theuren Blut in mein Herz geschrieben, in mein Grab mitnehmen; alsdann haben weder Sünde, noch Tod, noch Teufel eine Forderung an mich.

268. Der Holzträger.

Ein alter und armer Mann pflegte aus der Stadt in den nächst gelegnen Wald zu gehen und sich einen ziemlich großen Bund Knittel und Aeste zu sammeln und nach Haus zu tragen. Als er nun einmal unier solcher Last Gotthold begegnete, sagte dieser bei sich selbst: mein Gott! ich danke dir, daß du mir bisher so viel Mittel aus Gnaden beschert hast, daß ich auf solche Weise mein Holz zu holen nicht bedurft; ich bin nichts besser, als dieser Mann, ohne sofern mich dein gnädiges Wohlgefallen ihm vorgezogen hat. Doch hab ich manches Mal meine innerliche und äußerliche Kreuz- und Seelenlast, die ich öfters mit einer solchen Holzbürde gern vertauschen wollte, wenn ich nicht bedachte, daß nicht bei mir, sondern bei dir die Wahl steht, was der Mensch tragen soll. Und warum wollte ich mich weigern, meinem Herrn Jesu sein Kreuz nachzutragen? Im weitern Fortgehen sagte er ferner: wie kann doch ein Mensch um eines geringen Lohns oder Genusses willen so eine schwere Last tragen, und um des Herrn Jesu und seines Himmels willen will er nichts erdulden, nichts ertragen? Eine Last Holz können wir tragen ohne Widerrede, und ein unebnes Wort oder geringen Fehler unsers Nächsten wollen wir nicht erdulden, wozu uns doch der Apostel so ernstlich ermahnt, sagend: Liebe Brüder, so ein Mensch etwa von einem Fehler übereilt würde, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmüthigem Geist. Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. Gal. 6, 1. 2. Angleichen: Einer vertrage den andern, und vergebt euch unter einander, so jemand Klage hat wider den andern; gleich wie Christus euch vergeben hat, also auch ihr. Col. 3, 13. Daß wir aber diesem so wenig nachkommen, kommt daher, daß wir die Langmuth Gottes, dadurch er unsere Sünden übersieht, die Geduld des Herrn Jesu, damit er unsere Sünde getragen, und unsere eigne Sündenlast, damit wir beladen sind, nicht in Betrachtung nehmen. Mein getreuer Gott! ich bitte dich, lege und erwäge auf gleicher Wage meine Last und meine Geduld. Giebst du das eine, so gieb auch das andere. Ich will gerne tragen, was ich soll, nur ohne deine Hülfe nicht. So du mich mit deiner Gnade stärkst, soll mir keine Bürde in der Welt zu schwer sein. Denn deine Kraft ist in den Schwachen mächtig. 2. Cor. 12, 9. Allein daran gedenke ich, wie froh ich werde sein, wenn ich meine Last bei dem Ausgang aus der Welt werde abwerfen und frei und ledig unter dem Geleit deiner h. Engel dem Himmel zuwandern.

Wie werd ich dann so fröhlich sein,
Werd singen mit den Engelein,
Und mit der Auserwählten Schaar
Ewig schauen dein Antlitz klar!

269. Der verlorne Groschen.

Eine von Gottholds Hausgenossen hatte einen Groschen verloren, welchen sie mit Fleiß, mit Kehren, mit angezündetem Licht, ja mit Thränen, als sie ihn nicht fand, suchte. Gotthold sagte bei sich selbst: ich wollte wünschen, daß ein Mensch, so oft er sündigt, einen Groschen, einen Ortsthaler, einen halben oder ganzen Thaler, einen Dukaten und so weiter, je nachdem sein Vermögen groß oder schlecht, aus seinem Vorrath verlöre, so wollte ich wetten, daß nicht so viel würde gesündigt werden. Ists nicht eine große Blindheit, daß wir Menschen, wenn wir einen Groschen verlieren, weinen, und wenn wir Gott und seine Gnade durch muthwillige Sünden verlieren, lachen? Also haben wir unser Geld lieber, als unser n Gott. Doch manchem ist Gold und Gott eins. Du sichere alberne Welt! was will endlich aus dir werden? Um deinen größten Schaden bist du am wenigsten bekümmert und achtest den Verlust des Himmels nicht, nur daß du die vergänglichen Güter gewinnen mögest? Gold suchst du, Gott aber nicht. Gott läßt sich von dir finden, wenn du ihn nicht suchst, Jes. 65, 1. und kannst ihn mit gutem Gewissen zu deinem ewigen Vortheil haben. Das Gold aber mußt du suchen mit beschwerlicher und gefährlicher Arbeit, besitzen mit Sorge und Kargheit und endlich verlieren mit Schande und Herzeleid. Einem gottlosen Menschen an seinem Ende kann das Gold nicht helfen, Gott aber will aus gerechtem Gericht nicht, wie ist ihm denn geholfen? Mein Gott! wenn ich alles gewönne und im Besitz und Nutzen hätte, deine Gnade aber durch tägliche Sünden verlöre, was wäre mir mit allem meinem Gewinn und Vermögen gedient? Ich mag verlieren, was ich will, oder, daß ich besser rede, was du willst, nur deine Gnade nicht, so habe ich nichts verloren. Denn deine Gnade ist alles.

270. Das Stimmen.

Gotthold fand einen seiner guten Freunde geschäftig, seine Laute zu stimmen; als nun derselbe damit viele Mühe hatte, sagte er: Ein Christ läßt sich mit einer Laute gar füglich vergleichen. Denn die Laute ist von schlechtem und schwachem Holz gemacht und hat selbes nicht ihm, sondern der Hand des Künstlers es zu danken, daß es zu einem so schönen Instrument gediehen ist. Also hat ein Christ vor andern Menschen, was die Schwachheit und das Verderben der Natur betrifft, keinen Vorzug, ohne daß die Hand des barmherzigen Gottes ihn zum Werkzeug seiner Gnade zugerichtet hat. Wie nun aber eine Laute mit Saiten muß bezogen, wohl gestimmt und geschlagen werden, also muß der Finger Gottes eines Christen Herz mit guten Gedanken erfüllen und dieselbe zu seines Namens Ehre und gemeinem Nutzen stimmen und einrichten. Und gleich wie eine Laute, so ein schönes Instrument sie auch ist, sich oft verstimmt und also stetiger Aufsicht bedarf, so gehts mit unserm Christenthum auch, welches, oft vom Teufel, der bösen Welt und unserm eignen Willen verstimmt, übel klingen würde, wenn nicht die Gnadenhand des Höchsten es regierte und täglich daran besserte. Lasset uns aber hiebei auch unserer eigenen Gebühr uns erinnern. Wenden wir solchen Fleiß an, eine Laute zu stimmen, damit sie in Menschenohren nicht mißhällig sei, Lieber, warum bemühen wir uns auch nicht, unsere Gedanken, Worte, Werke also zu stimmen und zu stellen, daß sie Gottes allerheiligsten scharfen Augen und Ohren nicht mißfallen? Wir hörens bald und bezeugen unsern Ungefallen, wenn nur eine Saite nicht gleichstimmig ist, und werdens oft nicht gewahr, achtens auch nicht, wenn unser Leben und Wandel von den heiligen Geboten Gottes so weit abgehet. Man sagts bald, wenn eine Saite dissonirt oder mißlautet, Lieber, lasset uns einander auch freundlich erinnern, wenn wir einen Uebelstand und Mißhalligkeit im Christenthum vermerken. Denn die Eigenliebe und Sicherheit giebt oft nicht zu, daß einer seine Fehler selbst wahrnehmen kann; darum ist rathsam, daß man einem gottseligen und getreuen Herzen die Freiheit guter und bequemer Erinnerung lasse und für gut aufnehme, wenn es uns einen bessern Weg zeigt. Die Freundschaft, welche die Gottseligkeit nicht zum Grunde hat, ist des Namens nicht werth und läuft auf ewige Feindschaft hinaus. Mein Herr Jesu! stimme, regiere und gestalte mein Leben, daß es mit deinem Leben einstimme. Zwar einen so hohen Zug, daß ich deine Vollkommenheit erreichen sollte, können meine schwachen Saiten nicht aushalten; ich tröste mich aber, daß, wie auf dieser Laute hohe und niedrige Chöre sind, also du starke und schwache Christen hast und mit allen zufrieden bist, nur daß sie nicht falsch erfunden werden.

271. Die Lerche.

Es ist bekannt, daß um die Zeit des Festes der Reinigung Maria die Lerche die erste ist unter den Vögeln, die sich im Felde bei klarem Wetter hören läßt. Als nun Gotthold solches hörte, dachte er: ach, mein Gott! wie freut sich dies Vöglein durch Antrieb der Natur in der Hoffnung, daß nunmehr bald der rauhe Winter von der lieblichen Frühlingszeit werde vertrieben werden! Sollte ich mich denn nicht herzlich freuen und dir zu Ehren in meinem Herzen singen und spielen wegen der gewissen Hoffnung, die ich habe, daß nunmehr der Winter des betrübten zeitlichen Lebens bald werde vorüber sein, und daß der Sommer unserer Erlösung und Ausführung zur himmlischen Freude nahe ist? O Herr, mein Gott! meine Seele jauchzt, mein Herz springt, mein Geist freut sich, wenn ich gedenke, was du bereitet hast denen, die dich lieben! Hier haben deine Gläubigen wol einen recht harten Winter, die Liebe ist erkaltet in der Menschen Herzen, und die Ungerechtigkeit hat überhand genommen, Matth. 24, 12.; sie sind mit allerlei Noth gedrängt und gezwängt, deine Fluthen rauschen daher, daß hier eine Tiefe und da eine Tiefe brausen, alle deine Wasserwogen und Wellen gehen über sie. Ps. 42, 8. Die Welt ist ihnen wie ein schlüpfriges Eis, das sie mit stetiger Gefahr betreten müssen; alle Güter der Welt sind wie der Schnee, der nur die Augen blendet und bald verschmilzt und vergeht. Dort aber, bei dir, du süßer, lieber Gott! ist ihr Sommer, wo dein Paradies ewig grünt und blüht. Ach, mein Herr Jesu! ich höre im Geist dich zu meiner Seele sagen: Stehe auf, meine Freundin, meine Schöne, und komm her! Denn siehe, der Winter ist vergangen, der Regen ist weg und dahin, die Blumen sind hervor gekommen im Lande! Hohel. 2, 10. 11. 12. Ach, mein Schatz, zerreiß diesen sichtbaren Himmel, daß ich den unsichtbaren sehen möge! Ich habe des Schattenwerks dieser Welt genug, laß mich das Wesen deiner Herrlichkeit schauen! Ach eile, mein Leben! fliehet, ihr Zelten! vergehet, ihr Jahre! daß ich dahin komme, wo ich meinen Jesum sehen werde.

Hinweg mit allen Freuden,
Die man in diesem Leben hegt,
Hinweg mit Gold und Seiden,
Davon man schöne Kleider trägt,
Hinweg mit Saitenspielen,
Hinweg mit süßem Wein,
Hinweg mit Königsstühlen,
Hinweg mit Perlenschein!
Ein Augenblick Gott sehn
In seinem Himmelszelt
Macht größre Freud entstehen,
Als alle Lust der Welt.

272. Das Veilchen.

Als Gotthold im März ein Büschel der blauen Veilchen gegeben ward, ergötzte er sich an deren lieblichem Geruch und dankte seinem Gott, der so mancherlei Erquickung den Menschen gegeben hat, und nahm dabei ferner Anlaß zu nachfolgenden Gedanken: dies schöne und wohlriechende Blümlein kann mir gar artig ein demüthiges und gottseliges Herz abbilden, maßen es zwar an der Erde niedrig wächst und kriecht, nichts destoweniger aber mit der himmelblauen Farbe prangt und mit seinem edlen Geruch viele hocherhabene prächtige Blumen, als die Tulpe, die Kaiserkrone und andere weit übertrifft. So sind auch die niedrigen Herzen, welche zwar in ihren eignen und andern Augen schlecht und gering, doch aber dem von Herzen demüthigen Herrn Jesu ähnlich sind und desfalls die rechte Himmelsfarbe haben, auch andern, die sich ihrer geistlichen oder leiblichen Gabe halber erheben, von Gott weit vorgezogen werden. Wie auch der Apotheker dieses Blümleins Saft mit fließendem Zucker mischt und eine kühlende kräftige Herzstärkung daraus bereitet, so läßt der Höchste seine Gnade wie geschmolzenen Zucker in die demüthigen Herzen fließen, vielen andern zum Trost und zur Erbauung. Die tiefsten Brunnen haben das meiste Wasser, und die niedrigsten Gemüther die schönsten und nützlichsten Gaben. Was ist besser, als das Korn, welches dem Menschen die beste und meiste Speise, das Brod, giebt? Und dennoch, wenn es faul wird, ists mehr für Gift, als Speise zu halten. So gehts mit den Gaben des Leibes und Gemüths auch zu; so lange sie in der Furcht Gottes mit Demuth zum Dienst des Nächsten angewandt werden, sind sie eine liebliche Speise, werden sie aber vom Stolz und Eigendünkel angesteckt, so gerathen sie ihrem Besitzer und andern zum schadlichen Gift. Mein Gott! meine Ehre soll sein, daß ich nicht meine, sondern deine Ehre von Herzen suche. Ich begehre keine prächtige Blume zu sein, wenn ich nur dir und meinem Nächsten nützlich bin. Der ist hoch, nicht der hohe Gaben hat, sondern der seine hohen Gaben zu des Höchsten Preis mit niedrigem Gemüth recht braucht

273. Die Pfropfreiser.

Als Gottholden von einem guten Freunde ein gepfropfter Stamm gezeigt wurde, darauf die Reiser in kurzer Zeit sehr hoch geworden und lustig gewachsen waren, sagte er: Dies ist auch eins von den Wundern der Natur, das wir zwar täglich vor Augen haben, aber es wenig betrachten und zur Gottseligkeit beherzigen. Der Stamm ist mehrmals wild und wird aller seiner Zweige beraubt, bis auf eine Spanne lang abgeschnitten, zerspalten, mit fremden Zweigen besetzt und verbunden, die er auch nicht allein annimmt und mit allem seinem Saft und Kraft ernährt, sondern sich auch von ihnen bemeistern läßt, daß er seiner Wildigkeit vergißt und durch sie schöne und liebliche Früchte bringt. Nun sage ich mit Wahrheit, daß wir nicht Werth sind, einiger Frucht von einem solchen gepfropften Stamm zu genießen, wenn wir nicht die wunderliche Güte Gottes auch hierin mit Dank erkennen und auch aus solcher Veranlassung gute Erinnerung für unser Christenthum nehmen. Unser Herz ist der wilde und unartige Stamm, welchen Gott in seinen Kirchgarten versetzt, durch die Buße an allen seinen Kräften und Vermögen verzagen macht und Christum Jesum, seinen liebsten Sohn, das edle Reislein aus der Wurzel Isai, Jes. 11, 1., darauf pfropft und setzt, daß wir, durch ihn mit Früchten der Gerechtigkeit erfüllt, Phil. 1, 11., gute Bäume und Pflanzen des Herrn zum Preise werden. Jes. 61, 3. Ach, laßt uns ja wohl zusehen, daß dies edle Reislein durch des Teufels und der Welt Verführung und durch muthwillige Sünden nicht abgestoßen und aus unserem Herzen gerissen werde. Lasset uns oft durch fleißiges Nachdenken und Prüfung unsers Christenthums zusehen ob dieses Reislein in uns gewachsen, ob der Glaube, die Liebe, die Geduld, die Gottseligkeit zugenommen. Trauet mir, es ist die stärkste Kette der Hölle, damit der Teufel den größten Haufen der Menschen in ewige Verdammniß schleppt, daß sie um das Zunehmen ihres Christenthums nicht bekümmert sind, sondern meinen, wenn sie nur etwas vom Glauben gehört haben und wissen, so sei es zum Himmel übrig genug. Die meisten Christen sind wie ein gepfropfter Stamm, der unten ausschlägt, den Saft auf seine wilden Reiser verwendet und die eingesetzten verdorren läßt. So sind ihre meisten Gedanken aufs Irdische gerichtet, und wird des Herrn Jesu und seines Himmels darüber vergessen. Die Liebe zu den zeitlichen Gütern, die Wollust, die Kleiderpracht, die Wissenschaft, die Kunst, die Falschheit, die Feindseligkeit, die Heuchelei und andere solche Sachen steigen, wachsen und werden täglich größer, wie ein jeder, der den nächst verwichnen Zeiten etwas nachdenkt, leicht findet. Allein die Gottseligkeit wächst nicht allein nicht, sondern nimmt täglich ab, der Herr Jesus mit seinem theuren Verdienst, seligmachenden Evangelio und heiligen unschuldigen Leben ist aus den Herzen ausgerottet und ausgerissen und ist und gilt nichts mehr. Ach Jammer! ach Elend! ach Angst! ach Noth! ach ewiges Weh über die falschen Christen, in deren Herzen Christus nicht wohnt, wächst, wirkt, treibt und fruchtet! Sie haben als unfruchtbare, faule Bäume, nichts als die Zornart Gottes und das ewige Feuer zu erwarten. Matth. 3, 10. Ach, mein Herr Jesu! zerspalte mein Herz durch dein Gesetz und pfropfe dich tief hinein durch den Glauben, verbinde es fest mit dir durch die Liebe, beherrsche und ändere es durch deinen Geist und Gnade, bewahre es durch deine Macht hier zur heiligen Fruchtbarkeit und dort zur ewigen Seligkeit.

274. Die Schlange.

Gotthold führte sein Söhnlein bei der Hand mit sich in den Garten; in demselben, als das Knäblein spielend umher lief, ward es einer Schlange gewahr, erschrak davor, daß es erblaßte, fing an zu schreien und eilte dem Vater zu. Als ers nun wieder zufrieden gesprochen, sagte er: Mein Kind, behalte des weisen Mannes Worte: Fleuch vor der Sünde, wie vor einer Schlange, denn so du ihr zu nahe kommst, so sticht sie dich! Sirach 21, 2. Die Sünde ist der giftige Stachel oder Angel der höllischen Schlange, des Teufels, damit er die Seelen der Menschen tödtet. Diese Schlange, vor welcher du dich so entsetzet hast, ist schüchtern und flieht vor dir, und du kannst sie mit einem schlechten Stabe tödten, die höllische Schlange aber schleicht dir allenthalben nach, sie achtet keiner menschlichen Macht, und ihre Grausamkeit ist anders nicht, als in dem ewigen Verderben der Seelen vergnügt; darum wandle allezeit vorsichtig, bete fleißig, trage stets in deinen Händen und Herzen den Stab des göttlichen Wortes, dadurch allein die Schlange verjagt wird, verwahre dich mit dem Gegengift des Blutes Jesu Christi, und vor allen Dingen meide alle Gelegenheit zu sündigen, und hüte dich vor böser Gesellschaft. Denn wer das nicht thut, der spielt schon mit der höllischen Schlange und kommt ohne tödtliche Vergiftung nicht davon. Behalte allezeit, was dein Erlöser sagt: Hütet euch vor den Menschen, Matth. 10, 17. Die gottlosen Menschen sind freilich recht giftige Schlangen, die nicht allein mit Verleumdung und öffentlicher Feindseligkeit, sondern am meisten mit Verführung und heimlicher Betrüglichkeit manches fromme Blut stechen und verderben. Darum trau, schau, wem! und folge nicht, wenn dich die bösen Buben locken. Sprüchw. 1, 10. Die Wollust dieser Welt, die Ueppigkeit, das Saufen, die tolle volle Freundschaft, das Liebkosen, die übermäßige Kleiderpracht und dergleichen sind das Gesträuch und die Dornhecken, darunter die Sünde und der Satan verborgen liegen, und dennoch, daß es Gott erbarm! ist dieses der meisten Menschen Ergötzlichkeit. Aber, du Gottesmensch, fliehe solches, jage aber nach der Gerechtigkeit, der Gottseligkeit, dem Glauben, der Liebe, der Geduld, der Sanftmuth, kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben, dazu du auch berufen bist. 1. Tim. 6, 11. 12. Gedenke, daß es ein Stück ist des reinen und unbefleckten Gottesdienstes, sich von der Welt unbefleckt zu erhalten. Jak. 1, 27.

275. Die Wachtel.

Gotthold hörte eine Wachtel etliche Mal anschlagen und gerieth darüber in folgende Gedanken: diese Vögel sind berühmt und bekannt auch daher, daß Gott der Herr sein Volk in der Wüste einen ganzen Monat lang damit gespeiset hat. Dieses scheint zwar bei dem ersten Ansehen ein geringes, allein wenn man bedenkt die Menge des israelitischen Volks und wie die Schrift diese Abspeisung beschreibt, so erstaunt man darüber und kann es nicht begreifen. Des Volks Zahl möchte sich leicht, wenn man die Weiber, die Kinder, die Knechte und die Fremdlinge mitrechnet, auf vierundzwanzig mal hunderttausend Personen erstreckt haben, und diese alle haben Fleisches genug an diesen Vögeln gehabt, weil der Herr durch einen Wind Wachteln vom Meer kommen ließ und sie über das Lager streute, hier eine Tagereise lang, da eine Tagereise lang um das Lager her, zwei Ellen hoch über der Erde, daß das ganze Volk zween Tage und eine Nacht genug zu sammeln hatte, und müssen nach dem Anschlag etlicher Ausleger dieser Vögel etliche Millionen gewesen sein. 4. Mos. 11, 31. 32. Die Erfahrung bezeugt es auch noch jetzt, daß die Wachteln sich sehr bald vermehren, maßen sie, wie etliche berichten, in einem Jahr viermal hecken und Junge haben sollen, zweimal bei uns und zweimal an den Oertern, wohin sie sich im Winter begeben. Die erste Zucht brütet und heckt dasselbe Jahr auch einmal, darum denn die Waidleute sagen, daß, wer im Mai eine Wachtel tödtet, ihrer wol hundert ums Leben bringe, verstehe, wegen der Jungen, so dieselbe hätte das Jahr über erzeugen können. Daher kommts, daß, da ihrer an allen Orten jährlich so viele hunderttausend gefangen und in solcher Menge verkauft werden, daß etliche Bischöfe im Königreich Neapel ihre Tafel von dem Wachtelfang allein halten können, dennoch ihrer eine solche Menge allemal überbleibt und wiederkommt. Lasset mir das nun einen reichen und wunderbaren Gott sein, der nicht allein so viel Vögel einerlei Art erschaffen, sondern auch nebst allem andern, was da lebt, mit Wohlgefallen sättigen kann. Ps. 145, 16. O du reicher und mächtiger Gott, wie arm und unvermögend sehen wir dich oft an! Wenn unser Vorrath erschöpft ist, so meinen wir, du habest auch nichts mehr; wenn wir keine Mittel und keinen Rath wissen, so denken wir, du wissest auch nichts; da wir doch durch fremde und eigne Erfahrung endlich lernen sollten, daß deine Hand nimmer verkürzt ist, daß du nicht solltest helfen und rathen können! Mein Vater! deine Sorge soll fein, daß du mich versorgest, meine, daß ich deine Fürsorge dankbarlich erkenne und außer dem, was du bescherst, nichts weiter begehre und verlange. Den Israeliten wäre besser gewesen, kein Fleisch essen, als mit einer solchen Brühe deines Eifers, daß ihrer viele den Tod daran fraßen. 4. Mos. 11, 20. 23. Sie büßten ihre Lust, doch so, daß sie die Lustgräber füllten. Darum ists besser, Mangel haben mit deiner Gnade, als Ueberfluß mit deinem Zorn. Des Menschen Wille ist nicht sein Himmelreich, sondern mehrmals sein Tod und seine Hölle. Was man dir abschnarcht und abpocht, das kann einem nicht anders, als so, bekommen.

276. Das neue Kleid.

Ein Knäblein hatte ein neues Kleid bekommen und wußte sich gar viel darin. Gotthold sah dieses lächelnd an und sagte zu den Seinigen: Die menschliche Natur ist sehr ekelhaft; das Alte verleidet ihr bald, sie ist neusüchtig und verlangt immer ein anderes; so lange etwas neu ist, hat man mehr Lust dazu, als wenn es gewohnt und alt geworden ist. Nun spricht der Prophet, Klagl. 3, 23., die Barmherzigkeit Gottes sei alle Morgen neu, das ist, wo ichs recht verstehe, dem frommen und unvergleichlich gütigen Gott ists alle Morgen so neu, daß er uns an Leib und Seele Gutes thun soll, als hätte er uns noch nie Gutes gethan; er wird nicht müde, es wird ihm nicht alt, es ist seine Lust, wenn er soll seine Güte an uns beweisen. Ach, wenn es uns auch so neu wäre, ihm zu danken, und daß die ersten Seufzer und Worte, die des Morgens unsern Mund eröffnen, zu seinem Lob und Preis gerichtet sein möchten! wohin ohne Zweifel der königliche Prophet David sieht, sagend: Singet dem Herrn ein neues Lied. Ps. 33, 3. Er will sagen: lasset sein Lob nicht alt und ungeachtet bei euch werden, sondern laßt es euch immer so neu und lieb sein und dünken, als wäre dies das erste Mal, daß ihr euren Gott preiset; wie wir auch sehen, daß das Kind mit seinem neuen Kleide sehr behutsam sich hält, da es hingegen mit dem alten in aller Unsauberkeit sich wälzt, so laßt uns das Kleid der Gerechtigkeit Jesu Christi, damit er uns in der Taufe angezogen hat, ja nicht alt dünken, sondern, als zögen wir es alle Morgen neu und zum ersten Mal an, behutsam und vorsichtig wandeln, damit wir es mit muthwilligen Sünden nicht besudeln. Gar wohl sagt ein gottseliger alter Lehrer (Thomas a Kempis): Alle Tage sollen wir unsern guten Vorsatz zu allem Guten erneuern und uns selbst zum brünstigen Ernst der Gottseligkeit erwecken, als ob wir erst heute wären Christen geworden. Die neuen Knechte pflegen sich anfangs aller Willigkeit und Gehorsams zu befleißigen, damit sie nicht flugs zu Anfang ihrem Herrn eine böse Vermuthung von ihnen verursachen. Lasset uns alle Tage bei unserm Herrn und Gott aufs Neue in Dienst gehen und solchen Fleiß anwenden, ihm zu dienen und zu gefallen, als hätten wir noch nie ihm gedient oder gefallen, so wird er sich alles in Gnaden gefallen lassen. Mein Gott! du Brunn aller Güte! du bist eine rechte, edle und unerschöpfte Quelle! Je mehr man deine Güte schöpft, je frischer und mehr sie fließt. Du bist williger zu geben, als wir zu nehmen, Gutes thun ist dir so nahe, als wenn du heute erst hättest angefangen. Ach gieb, mein Gott! daß mein Herz ein Brunnen sei deines Lobes und Preises, dem es nimmer an Wasser fehle!

277. Die Kuh.

Gotthold, als er mit einer Gesellschaft spazieren ging, sah eines armen Mannes einzige Kuh, die er mit einem Strick und Pfahl hatte angebunden, weiden und sagte: Was eine Kuh für ein nützliches Thier sei, wird von wenigen erkannt, auch vielleicht von uns selbst nicht, ob wir sie gleich in großen Heerden täglich vor unsern Augen gehen sehen und ihrer sehr wohl genießen. Ich habe eines Edelmannes Hof gesehen, da ihrer hundert und etliche täglich mit vollem Euter nach Hause kamen und so viel Milch und Butter gaben, daß es uns hier, wo die Weide nicht so gut ist, unglaublich scheint. Der Niederlande Erzgruben, daraus sie Gold und Silber schaffen, sind unter andern auch ihre Kühe, von deren Milch sie ihre Käse und Butter machen und häufig, auch mit großem Nutzen verführen und verkaufen. Es berichten etliche Scribenten, daß in selbigen Landen allein aus Butter und Käse jährlich gelöst werden über zehnmal hundert tausend Kronen, welches um so eher zu glauben, weil die Erfahrung bezeugt, daß in Holland an etlichen Orten jegliche Kuh in den langen Sommertägen ungefähr 44 Rössel Milch zu geben pflege. Darum, als einmal Markgraf Spinola Prinz Moritzen von Oranien die Citronen und Pomeranzen zeigte, sagend, er sollte sehen, was Spanien für ein Land wäre, denn solche Früchte könnten sie alle Jahr zweimal haben, setzte der kluge Herr ihm einen holländischen Käse vor und sagte, er sollte sehen, was Holland für ein Land wäre, denn solche Früchte könnten sie alle Tage zweimal haben. Was die Butter für eine edle Gabe des Höchsten sei, erkennen wir Deutschen nicht, weil wir sie überflüssig haben. Friedrich der andere dieses Namens, Pfalzgraf beim Rhein und hernach Churfürst, als er einmal mit einer Gesellschaft von 20 Personen zu Kaiser Karl dem Fünften in Spanien reiste, befahl er, als er zu einer Stadt, Gomorra genannt, gekommen, seinem Küchenmeister, er sollte sich mit Butter versehen, damit er, der Fürst, täglich gerührte Eier, welche er vor andern Speisen liebte, haben könne. Der Küchenmeister geht aus, und als er zu einem Gewürzhändler, der Butter feil haben sollte, gewiesen worden, begehrte er, ihm zwei oder drei hundert Pfund zu überlassen. Dieser verwunderte sich und sagte, das ganze Königreich Kastilien würde so viel nicht aufbringen können; wir haben hier keine Butter, als die wir anders woher bringen lassen, und zwar nur so viel, daß man sie zu Arzneien und Pflastern gebraucht; bringt auch zugleich eine Blase, darin die Butter dem Schmalz ähnlich war, und sagte, das wäre alle seine Butter. Also haben wir gleichwohl auch etwas, das andere Länder nicht haben, und mag die Butter der Deutschen Oel mit allem Rechte genannt werden. Sagt mir aber, meint ihr nicht, daß mancher Mensch schlimmer ist, als eine Kuh? Die Kuh genießt des Sommers der Weide und im Winter des Futters, nicht aber umsonst, sondern sie bezahlt es mit ihrem Kalbe, Milch und Butter; sie behilft sich mit Gras, Spreu und Stroh und füllt dafür den Eimer mit süßer Milch. Aber ach! wie mancher Mensch ist, der täglich in den Gaben und Gütern Gottes geht, wie die Kuh bis an den Bauch im Grase, und weiß seinem lieben Gott nichts dafür zu Willen, da er doch mit einem und andern dankbaren Seufzer gern vorlieb nehmen wollte. Doch wird auch das Unglück vom Hause des Undankbaren nicht lassen. Sprüchw. 17, 13. Mein Gott! ists nicht eine Schande, alles dient uns, und wir wollen dir nicht dienen, um deß willen uns alles dient? Ich will dich allezeit demüthig preisen, damit mich das dumme Vieh nicht beschäme.

278. Das Töpferhaus.

Gotthold ging bei eines Töpfers Haus vorüber, worin allerlei irdene Gefäße in unterschiedlichen Haufen an der Erde standen, und dachte an das Wort des Herrn, der zum Propheten sagt: Mache dich auf und gehe hinab in des Töpfers Haus, daselbst will ich dich mein Wort hören lassen. Jer. 18, 2. Ach, wir Menschen, sagte er ferner bei sich selbst, was sind wir anders, als irdische Gefäße! Unter diesen ist kein Unterschied, weil sie alle aus einem Thon bereitet sind, ohne daß sie des Meisters Hand in etwas unterschieden, jenes anders, als dieses gestaltet, mit etwas mehr Farben bemalt und mehr oder weniger ausgebrannt hat, und stehts hernach bei dem Käufer, wozu er jedes gebrauchen will. So sind wir Menschen, Hohe und Niedrige, Arme und Reiche, von einer Erde, die unser aller Mutter ist. Hat der eine mehr Ehre, Gaben, Güter als der andere, das hat er der gnädigen Hand des obersten Werkmeisters zu danken, doch bleibt er einen Weg wie den andern ein zerbrechliches Gefäß und ein sterblicher Mensch, und wenn er sich zu viel dünken will, so muß er wissen, daß dem Könige, welchen Gott auf seinem h. Berge Zion eingesetzt hat, der eiserne Scepter noch aus den Händen nicht entfallen ist, damit er solche buntgemalte schöne Töpfe zerschlagen und zerschmeißen kann. Ps. 2, 6. 9. Meint ein anderer, es sei ihm etwas an Farbe und Gaben entzogen, so gedenke er, daß ihm der Höchste nichts schuldig gewesen, und daß der Scherben mit dem Töpfer nicht hadern kann und darf nicht sagen: Was machst du? du beweisest deine Hände nicht an deinem Werk. Jes. 45, 9. Mein Gott! du bist unser Töpfer, wir sind deine Erde und Thon. Was habe ich dir vorzuschreiben, was du aus mir machen, wie du mich gestalten und zieren sollst? Nur dies bitte ich, laß mich ein Gefäß deiner Gnade sein und ein Werkzeug deiner Barmherzigkeit; laß deinen heiligen, gerechten und guten gnädigen Willen an mir, in mir und durch mich vollbracht werden; so genügt mir, und ich begehre keines Schmucks mehr.

279. Die Fibel.

Der h. Christ hatte einem Knäblein eine Fibel oder ABC-Büchlein beschert, darüber es sich vor allen andern Gaben freute und wol so viel von diesem seinem schlechten Büchlein, als mancher Halbgelehrte von seiner ganzen Bibliothek hielt. Als nun ein guter Freund Gottholden erinnerte, er möchte doch auch bei dieser Begebenheit gute Erinnerungen schöpfen und vortragen, sagte er: Es sind viele Menschen, die sich der Buchstaben, die man erst in solchem schlechten Büchlein kennen lernt, im Lesen und Schreiben zu ihrem und anderer großen Nutzen bedienen; ja, ich kann wohl sagen, daß die Buchstaben die rechten Stäbe seien, darauf sich der Wohlstand aller Stände stützt, und, wenn man weitläufige Nachfrage hält, wer die Buchstaben zuerst erfunden und seine Gemüthsmeinung stillschweigend dem Nächsten zu entdecken den Anfang gemacht, so halte ich, daß die richtigste Antwort sei, daß solche wundersame und hochnützliche Erfindung von dem Geber und Urheber alles Guten den Menschen bald nach der Schöpfung verliehen sei; wie denn Josephus meldet, daß die Nachkömmlinge Seths, Adams Sohns, zwei Säulen aufgerichtet, darin sie allerlei herrliche Wissenschaften der Nachwelt zum Unterricht schriftlich hinterlassen. So redet nun unsere Stimme mit den Ohren, die Schrift aber mit den Augen, und habens die wilden Leute in der neuen Welt höchlich bewundert, daß auch ein Brief reden und eines andern Meinung dem abwesenden Leser entdecken könnte, dergleichen uns auch widerfahren würde, wenn uns das Lesen und Schreiben nicht so gemein wäre. Wie es nun aber mit andern Wohlthaten des Höchsten zugeht, daß je gemeiner, je geringschätziger sie uns werden, so gehts auch mit den Buchstaben zu. Ich frage euch alle, die ihr dies hört und leset, ob ihr je Gott für solche herrliche und hochnützliche Erfindung gedankt? Nehmet aber aus diesem Kinderbuch noch andere nicht kindische Gedanken. Dies Kind lernt erst die Buchstaben kennen, dann zusammensetzen, endlich lesen. Also laßt euch nicht verdrießen, daß ihr in eurem Christenthum werden müßt wie ein Kind. Mancher weiß weniger davon, als ein Kind, und will es doch nicht lernen als ein Kind. Nehmet euch zuerst vor eine Tugend, lernet dieselbe recht wohl kennen nach ihrer eigentlichen Art und faßt sie so tief ins Gedächtnis?, daß, wenn ihre Ausübung nöthig ist, zu allen Zeiten und an allen Orten es euch daran nicht fehle; hernach lernt eine Tugend mit der andern, .als den Glauben und die Liebe zusammen setzen, bis endlich aus vielen Tugenden ein ganz gutes und rechtschaffnes Christenthum werde. Laßt euer Tugend-ABC folgendes sein: Almosen geben, Beten, Christum lieb haben, Demuth, Einträchtigkeit, Frömmigkeit, Glaube, Hoffnung, Jesus (als das Vorbild aller Tugenden), Keuschheit, Liebe, Mäßigkeit, Nachfolge Christi, ohne Falsch sein, Predigt hören, Reinigkeit des Herzens, Sanftmuth, Todesgedanken, Unverdrossenheit, Wahrheit, Zorn nicht halten. Dieses letztere bringt mir zu Sinn, daß jener weise Heide dem Kaiser Augustus gerathen, so oft ihn der Zorn übereilen wollte, sollte er, ehe er etwas durch Antrieb desselben befähle oder thäte, sich zuvor so viel Zeit nehmen, daß er die Buchstaben des griechischen Alphabets hersagte, vermeinend, daß er indessen sich etwas besinnen und nichts Ungebührliches, darauf hernach die späte Reue erfolgte, vornehmen würde. Jener Kirchenlehrer hat hieraus ersonnen, einem Christen zu rathen, daß er wider den herrschenden Jähzorn ein andächtiges Vater Unser beten sollte, womit ers ohne Zweifel besser getroffen. Wenn wir nun dieses an solchem Kinderbüchlein allemal bedächten, würden wir gestehen müssen, daß wir es noch bisher nicht ausgelernt.

280. Die Vorschrift.

Gotthold sah einem Knaben zu, der in die Schreibschule ging, wie er die Vorschrift fleißig betrachtete und sich bemühte, dieselbe mit seiner Schrift zu erreichen, und sagte zu den Umstehenden: Sehet, wie alle Vollkommenheit aus der Unvollkommenheit entsteht, und wie man durch viel Fehlen recht machen lernt! Von diesem Knaben fordert man nicht, daß seine Schrift der Vorschrift durchaus ähnlich sei, sondern man ist mit seiner mühsamen Uebung zufrieden in Hoffnung, daß er sich immer bessern und endlich fertig und zierlich schreiben lernen werde. Wir haben auch eine Vorschrift, die uns der Herr Jesus gelassen, 1. Petr. 2, 21. nämlich die Vollkommenheit seines heiligen Lebens. Meinet aber nicht, daß er mehr von uns, als ein Lehrmeister von seinem Schüler fordere; wenn er uns in genauer Aufsicht seines Vorbildes und in fleißigster Bemühung und Hebung findet, so hat er mit unsern Fehlern Geduld und giebt uns Kraft durch seine Gnade und Geist, dieselben täglich zu bessern. Eines Christen Lehrjahre währen, so lange er lebt. Die besten Schüler in der Schule Jesu sind, die allezeit Schüler bleiben, ich will sagen, die zwar täglich ihres Lehrmeisters Vorbild vor Augen haben und demselben sich je mehr und mehr zu verähnlichen bemüht, jedoch niemals mit ihnen selbst und ihrer Nachfolge zufrieden sind. Darum muß man zweierlei meiden, die Nachlässigkeit und Kleinmüthigkeit, aus jener entsteht endlich eine Faulheit und Sicherheit, aus dieser aber eine verzagende Traurigkeit. Der Himmel steht nicht allein Vollkommnen und Starken, sondern auch den Irrenden und Schwachen offen, wenn sie nur ihre Fehler mit demüthiger Reue erkennen, und was ihnen mangelt, in der Gnade Jesu Christi suchen. Einem Vater ists eine größere Lust, wenn sein kleines Kind ihm ein Kissen mehr zuschleppt, als trägt, als wenn ihm ein starker Knecht ein anderes ordentlich getragen bringt. Also sieht Gott mehr auf den Willen, als aufs Vermögen. Mein Gott! verschmähe mein Unvermögen nicht! Ich lerne, mein Vater! laß dir doch mein Lehrwerk gefallen! Es mißräth mir oft mein ganzes Vornehmen, sollt ich aber darum gar ablassen? Das sei ferne! Ich will immer wieder anfangen, so lang ich lebe, das Meisterstück aber, wenns dir beliebt, im Himmel zu deinen Füßen legen.

281. Der Jahrmarkt.

Als in einer Stadt ein Jahrmarkt gehalten wurde, wozu sich eine große Menge Volks eingefunden hatte, sagte Gotthold: Den größten Theil dieser Menge hat die Hoffnung des zeitlichen Gewinns aufgebracht, welchen man die Sonne der Weltherzen, dem sie als die Sonnenblume stets folgen, oder, mit jenem klugen Niederländer, das fünfte Evangelium des verhaßten (rasenden, verderbten) Christenthums und den größten Abgott der jetzigen Welt, dem viel tausend Seelen dienen und huldigen, nennen kann. Ach, wenn doch auch solche eifrige Begierde des geistlichen Gewinns bei uns wäre! Ein Marktschreier tritt auf und beschreit seinen Lügenkram mit vollem Halse; um ihn versammeln sich etliche hundert Menschen und hören ihm unverdrossen zu. Ein Prediger und Diener des Herrn Jesu tritt auf und beut allen und jeden die Hülfe und Gnade seines Herrn an; aber ach! wie wenig sind, die ihrer herzlich begehren! In den Märkten ist alles zu Kauf, auch die Menschen selbst und ihre Seelen. Ja, was das Wundersamste ist, viele Menschen verkaufen keine Waare wohlfeiler, als ihre Seele. Judas, der Verräther, hat seinen Herrn und Meister um 30 Silberlinge verkaufen wollen, allein wenn maus recht bedenkt, hat der elende Mensch seine eigne Seele verkauft; doch hat er sie, gegen die heutige Welt zu achten, noch theuer genug ausgebracht. Wenn mancher jetzt 30 Silberlinge gewinnen und einstecken könnte, ich halte, er verkaufte nicht nur eine, sondern wol 30 Seelen, wenn er sie nur hätte. Dünket uns dies zu viel zu sein, so bedenket, ob nicht, so oft der Mensch durch unrechtmäßige und gottlose Mittel etwas an sich bringt, er sein Gewissen beschwert, wider seinen Gott sündigt und seine arme Seele, so viel an ihm ist, um schnöden Gewinnes willen verkauft. Nun besteht aber solcher Gewinn nicht allezeit aus 30 Silberling, sondern manchmal kaum auf 30 Pfennige; heißt denn das nicht seine arme Seele liederlich und wohlfeil verkauft? Ach, wir elenden Menschen! wie kommts, da wir alles so genau abwägen und abmessen und in den Welthändeln so verschlagen sind, daß wir das Zeitliche gegen den ewigen Verlust nicht messen und in Sachen, unsere Seligkeit angehend, so dumm sind, als kein Vieh? Wenn ich einen ungerechten Mann fragen sollte, ob ihm sein Herz feil wäre, würde er sofort mit Nein mir antworten, und wenn ich ihm hundert tausend Dukaten für dasselbe bieten würde, so würde er doch sagen: Ich wäre ein Narr, wenn ich das Herz um Geld verkaufte, ohne welches ich nicht leben kann; ohne Leben aber wäre mir kein Geld nütze. Ach, mein Mensch! ist dir nun dein zeitliches Leben für kein Geld feil, wie giebst du denn deine Seele und das ewige Leben so liederlich dahin? Warum schätzest du so gering, was Gott so hoch geachtet, daß ers mit dem Blute und Tode seines einigen und allerliebsten Sohnes erkaufen wollte? Ich meinestheils halte es mit dem h. Apostel, der da sagt: Es ist ein großer Gewinn, wer gottselig ist und läßt ihm genügen, denn wir haben nichts in die Welt gebracht, darum offenbar ist, wir werden auch nichts hinaus bringen; wenn wir aber Nahrung und Kleider haben, so laßt uns begnügen. 1. Tim. 6, 6. 7. 8.

282. Das Mehl.

Als Gotthold sah, daß seine Leute das Mehl hatten zum Backen eingeschüttet, sagte er zu ihnen: Man sollte billig nicht backen, eh man eine Hand voll Mehl und eine Hand voll Erde hätte gegen einander gehalten, Gottes allmächtige Güte zu erkennen, der aus der schwarzen und groben Erde ein so schönes und weißes Mehl hervorzubringen weiß. Denn leider erstreckt sich unser Nachdenken oft nicht weiter, als unser Sehen. Gott hat in seinem Gesetz verordnet, daß nebst den beiden Lämmern, so abends und morgens ihm täglich geopfert wurden, auch Mehl, Oel und Wein ihm müßte dargereicht werden, 2. Mos. 29, 40., anzuzeigen, daß ihm stetiger Dank, zum wenigsten so oft wir uns täglich satt essen, für solche seine edle Gaben gebühre. Gleichfalls hat er befohlen, ihm ein Speisopfer zu thun von Mehl, mit Oel begossen und mit Weihrauch belegt, 3. Mos. 2, 1., zu bedeuten, daß wir unser Mehl mit dem Oel der Mildigkeit gegen den Dürftigen besprengen und mit dem Weihrauch des Gebets und der Dankbarkeit, gegen ihn belege n und heiligen sollten. Gedenkt auch hiebei an das Mehltönnlein der Wittwe zu Zarpath, welches in der theuern und schweren Zeit nicht mußte ausgeleert werden, daß der Prophet Elias nebst ihr und ihrem Sohn zu essen hätte, 1. Kön. 17, 12., uns zur Lehre und Trost, daß wir nicht allezeit auf unsern, sondern am meisten auf Gottes Vorrath sehen sollen, der nimmer erschöpft und ausgezehrt, durch gottseliges Vertrauen aber eröffnet und genossen wird. Mein Gott, gieb mir hier Mehl nach Nothdurft und dort den Himmel aus Gnaden. Hab ich Urfach dir zu danken, wenn ich des Mehls und Brods genieße, wie werde ich dir denn mit Freuden in Ewigkeit danken, wenn ich das verborgene Manna Offenb. 2, 17. im Himmel kosten werde!

283. Der Wassertropfen.

Als an einem Handfaß das Hähnchen nicht recht zugewrungen war und also die Tropfen immer zu in das unten gesetzte Becken fielen, sagte Gotthold: Dies scheint eine geringe und nichtige Begebenheit zu sein, dennoch kann sie uns das zu Gemüthe führen, dessen wir billig unser Leben lang nicht vergessen sollten. Der reiche Mann, als er in der Hölle und in der Qual war, bat um einen einigen Wassertropfen, seine brennende Zunge abzukühlen, welches er aber nicht erhalten konnte. Luc. 16, 23. Ach, was wäre es doch für eine Kühlung gewesen, so viel Wassers, als am äußersten Finger hängen bleibt, wenn man ihn ins Wasser taucht, einem, dem die höllische Schwefelflamme zum Halse ausschlägt, in den Mund lassen fallen? Gewiß keine, und dennoch kann ers nicht erhalten, anzudeuten, daß in der Hölle nicht der allergeringste Trost, nicht die wenigste Linderung, nicht die kürzeste Abwechslung zu hoffen sei. Gehet nun hin, ihr sichern Menschenkinder! Füllet euch mit dem besten Wein, labet euch nach Belieben, thut, was euch gelüstet, genießt eurer Güter, vergeßt Gottes und des armen Lazarus, schüttet euch selbst und andern das Getränk ein mit ganzen Maßen, allein wisset, daß euch Gott um dies alles wird vor Gericht führen, Predig. 11, 9., und ein schreckliches Urtheil über euch fällen des Inhalts: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und feinen Engeln! Matth. 25, 41. Ach, weh euch, die ihr voll seid, denn euch wird ewig hungern und dürsten! Weh euch, die ihr hie lachet, denn ihr werdet ewiglich weinen und heulen! Luc. 6, 25. Die Alten haben vor Erfindung der Sand- und Sonnenuhren die Zeit mit solchen Wassertropfen abgemessen. Ach, lasset uns ja, wenn wir solche Tropfen fallen hören, an die Flüchtigkeit unsers Lebens gedenken, denn wie hier ein Tropfen dem andern folgt, bis nichts mehr darinnen ist, also folgt eine Stunde der andern, ein Tag dem andern, ein Jahr dem andern, bis das ganze Leben aus ist. Was wäre es denn, wenn mit meinem Leben auch aller Trost aus wäre und ich mich keines einzigen Wassertropfens in alle Ewigkeit zu erfreuen hätte? Mein Gott! deine Güte und Barmherzigkeit fällt täglich mit vielen Tropfen vom Himmel herab; selig ist, der sie auffängt; wer aber die Tropfen deiner Gnade verachtet oder mißbraucht in der Zeit, der ist keines Wassertropfens werth in Ewigkeit. Wer aber hier mit den Tropfen deiner Gnade vorlieb nimmt, den wirst du dort trunken machen von den reichen Gütern deines Hauses, und ihn mit Wollust tränken als mit einem Strom. Ps. 36, 9.

284. Die doppelte Blume.

ES wurden Gottholden in einem Garten als etwas Sonderliches gezeigt blaue und gelbe Veilchen mit doppelten Blumen, dabei er aber bald wahrnahm, daß so viel am Ansehen mehr, sie am Geruch weniger hatten, als die einfachen, und sagte: Wie mags kommen, daß gemeiniglich die prächtigsten und ansehnlichsten Gewächse von den niederträchtigen und schlechten an Kraft überwunden werden? Die Rosen, so man die Centifolien oder hundertblätterige von der Menge ihrer Blätter nennt, haben zwar ein schönes Ansehen, die andern aber, so zwar nicht viel Blätter haben, thun es ihnen an Geruch weit zuvor, und viele wollen auch das Wasser, so die wilden Rosen geben, dem, das von den Centifolien kommt, vorziehen. Die Tulpe und die Kaiserkrone sind prächtige und ansehnliche Blumen, allein, wer weiß nicht, daß sie von den Veilchen, römischen Kamillen und andern kriechenden Blümlein an Geruch überwunden werden, deren Kraft auch in den Apotheken bekannt und beliebt, jener aber noch bis hieher unbekannt ist. So gehts auch unter den Bäumen zu; die Linden, Fichten und Tannen wachsen zwar hoch und breiten ihre Aeste weit aus, ihre Frucht aber ist wenig oder nichts nütze, da hingegen ein niedriger Apfelbaum und schwacher Weinstock die Früchte bringen, die den Menschen erquicken und erfreuen. Gemeiniglich gehts nicht anders unter den Menschen zu; wo viel Scheins ist, da ist wenig Kraft; wo viel Ansehens vor der Welt, da ist wenig vor Gott. Ja, (welches ich aber nicht sagen dürfte, wenn es nicht der gesagt hätte, dem niemand widersprechen mag,) was hoch ist unter den Menschen, das ist ein Greuel vor Gott. Luc. 16, 15. Die hochgelehrten, hochweisen, hochbegabten, hochbegüterten und hochgeehrten Menschen sind mehrmals wie diese doppelten Blumen, denen es an Geruch der Gottseligkeit und Kraft der Liebe fehlt. Darum auch nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle berufen sind, sondern was thöricht, was schwach, was verachtet ist vor der Welt, das hat Gott erwählt. 1. Cor. 1, 26. 27. Was zeihen wir uns denn, daß wir immer wollen hoch, ansehnlich und reich sein, wenn Gott beliebt, seine Kraft in den Schwachen, Niedrigen und Armen zu bezeugen? Besser niedrig und fruchtbar, als hoch und unfruchtbar. Mein Gott! viel Blätter äußerlichen Ansehens begehr ich nicht, ich will gern niedrig, schlecht und recht bleiben, wenn du mir nur Gnade giebst, dir und meinem Nächsten zu dienen! Das äußerliche Ansehen verwelkt wie eine Blume, die innerliche Kraft aber dauert auch nach dem Tode.

285. Die Bilder.

Gotthold kam mit etlichen Gefährten auf einer Reise in eine Kirche, die mit vielen Bildern ausgeschmückt war; indem sie dieselben besichtigten, fragte er, welches das schönste und beste Bild in einer Kirche wäre. Einer von der Gesellschaft antwortete: Ich weiß wohl, daß ihr mit dieser Frage weiter hinaus sehet, will also nicht sagen, daß der Materie nach die goldenen, silbernen und ehernen besser seien, als die hölzernen und steinernen, auch nicht, daß die schönsten seien die künstlichsten, welche des Meisters Hand am meisten ausgearbeitet hat, sondern ich halte dafür, man müsse für das schönste Bild passiren lassen das Bild des gekreuzigten Herrn Jesu, welches von Alters her am meisten in der Kirche aufgestellt und zur Andacht am bequemsten gehalten worden ist. Ich meinestheils, wenn ich ein solches Bild ansehe und die Dornenkrone auf seinem Haupt betrachte, wundere mich nicht, daß Gott mich nicht auf Rosenblättern in den Himmel führt, weil sein liebster Sohn Dornen auf dem Haupte getragen hat. Wenn ich sein geneigtes Haupt an dem Bilde betrachte, so stelle ich mir vor, wie mein Erlöser seine Ohren zu mir neiget, mein Gebet zu hören und seinen Mund, mich in Gnaden zu küssen. An den ausgestreckten Armen erinnere ich mich, wie begierig mein Herr Jesus ist, alle Menschen in seine Arme einzuschließen, und sage mit jenem alten Kirchenlehrer: In den Armen meines Erlösers will ich leben und sterben. Bei seinen offnen Wunden erinnere ich mich, daß meine Seele vor Sünde, Tod, Teufel und Hölle keine gewissere Zuflucht hat, als die theuren Wunden Jesu, und spreche:

Dein Blut wäscht mich, Herr Jesu Christ!
Dein offne Seit mein Steinritz ist,
Drin will ich allzeit sicher sein,
Wie vor dem Wettr das Täubelein.

Bei den Nageln, die ich in seinen Wunden stecken sehe, erinnere ich mich, daß mir, der ich Christo angehöre, gebühren wolle, mein Fleisch sammt den Lüften und Begierden zu kreuzigen, Galat. 5, 24., und bitte meinen Erlöser, daß er selbst seine Nägel durch mein Fleisch schlagen und mich im guten mit heiligen Vorsatz bestärken wolle. Gotthold sagte hierauf: Diese eure Gedanken können mir nicht anders, als wohl gefallen, ich halte aber dafür, daß ich ein Bild nennen will, welches dem Herrn Jesu auch selbst am besten gefällt, und also meiner Meinung nach für das schönste Bild in einer Kirche zu halten ist; ich meine einen rechtschaffnen, gläubigen und gottseligen Christen, der seinen Erlöser in der Taufe angezogen hat und im heiligen, göttlichen Leben denselben vorzubilden und darzustellen stets bemüht ist. Ein solches Bild ist mehr werth, als alle köstlichen und künstlichen Bilder der Welt, wiewohl die Welt sie am wenigsten achtet, als die keinen Verstand hat von himmlischen Kunststücken zu urtheilen. Hiernach lasset uns streben, daß wir dem Herrn Jesu je mehr und mehr ähnlich werden, und daß er in uns eine Gestalt gewinne. Galat. 4, 19. Mein Gott! ich bin ein unförmliches Bild; bearbeite mich und gestalte mich nach deinem Gefallen. Wenn ich nur so schön werde, daß das Leben Jesu in meinem Leben zu erkennen ist, so begehr ich nicht schöner zu sein.

286. Die schlaflose Nacht.

Es klagte Gottholden einer seiner Freunde, daß er die vorige Nacht fast wenig geschlafen und, ob er wohl den Schlaf auf allerlei Art gesucht, wäre doch derselbe von ihm geflohen. Gotthold antwortete: Wenn ihr wüßtet, wie man sich eine schlaflose Nacht zu Nutz machen könnte, würdet ihr darüber nicht klagen. Jener König, als er erinnert wurde, schlafen zu gehen, sagte: Ich wollte gern so lange König sein, als ich kann; denn wenn ich schlafe, bin ich gleich einem der geringsten meiner Unterthanen; wenn ich aber wache, hab ich ihnen allen zu gebieten. Ich dürfte schier auch sagen: Ich wollte gerne so lange ein Christ sein, als ich kann; denn wenn ich schlafe, ob ich wohl ein Christ bleibe, so genieße ich doch so meines Christenthums nicht, als wenn ich wache, ohne was zuweilen in einem fröhlichen Traum geschieht, welches doch mit den gottseligen Hebungen der Wachenden nicht zu vergleichen ist. Ich schätze mich glückselig, wenn die Ruhe meines Leibes verstört, die Seele aber durchs Gebet und gottselige Betrachtung zur Ruhe in Gott geführt wird. Wenn ich den Schlaf nicht finden kann, so suche ich des Nachts in meinem Bette, den meine Seele liebt, und höre nicht auf zu suchen, bis ich ihn finde, und sage: Ich halte ihn, und will ihn nicht lassen! Hohel. 3, 1. 4/ Ich wollte, daß es die Schwachheit dieses nichtigen Leibs zugäbe, daß ich nimmer schlafen dürfte, auf daß ich immer im Lobe Gottes und Dienst meines Nächsten möchte erfunden werden. So der große Gerichtstag bei Nacht sollte herein brechen, wollte ich lieber, daß er mich wachend, als schlafend anträfe, damit ich desto bereiter wäre, meinen Herrn Jesum mit einem fröhlichen Jubelgeschrei zu empfangen. Darum, wenn euch dergleichen Nächte mehr kommen sollten, so plaget euch nicht lange mit Sorgen und allerlei mißlichen Gedanken, denn das sind rechte Igel, die einem Menschen das Blut aus dem Herzen saugen, sondern richtet bald euer Gemüth zu Gott und haltet es geschäftig in göttlichen Dingen! nehmet Anlaß, der Güte Gottes, deren ihr euer Leben lang genossen, nachzudenken! stellet euch im Geist unter die Chöre der h. Engel, welche nimmer schlafen, sondern Tag und Nacht ihren Schöpfer loben! nehmet einen Machtspruch der Schrift und gebet euern Gedanken daran zu thun, redet mit Gott und dem Herrn Jesu und lasset ihn mit euch reden, zu welchem Ende nicht undienlich ist, wenn man ein fertiges Feuerzeug und gutes Buch vor dem Bette hat, damit man auf allen Fall sich jenes ein Licht anzuzünden und dieses zum Lesen bedienen könne. Mein Herr und mein Gott! ich bleibe dein, ich schlafe oder wache.

So oft die Nochi mein Ader schlägt,
Soll dich mein Geist umfangen;
So vielmals sich mein Herz bewegt,
Soll dies sein mein Verlangen,
Daß ich mit lautem Schall
Möcht rufen überall:
Herr Jesu! Jesu! du bist mein!
Und ich auch bin und bleibe dein!

287. Der Baum am Wasser.

Gotthold ging bei stillem Wetter an einem See spazieren und ward gewahr, daß der Schatten des am Ufer stehenden Baums ihn so gar eigentlich abbildete und erinnerte sich dabei, daß ein sinnreicher politischer Schriftsteller sich dieses Bildes bedienet, seinem Fürsten die Abwechslung des Glücks und Unglücks vorzustellen und ihn bei glücklichem Fortgang seiner Rathschläge vor Sicherheit und Uebermuth zu warnen. Denn wie leicht es geschehen kann, daß ein Baum am Wasser stehend, der sich mit seinen belaubten und fruchtreichen Zweigen im Wasser spiegelt und, also zu reden, an ihm selbst Gefallen hat, von einem Sturmwinde umgeworfen wird und selbst im Wasser zu liegen kommt, so leicht kann es auch geschehen, daß ein Mensch, den Gott am Wasser gepflanzt, ich will sagen, den er an zeitlichen Gütern, Glück und Ehren hat groß und ansehnlich werden lassen, von einem widrigen Fall auf des Höchsten Verhängniß gestürzt und zu jedermanns Spott und Verwunderung niedergelegt wird; davon der königliche Prophet sagt: Ich habe gesehen einen Gottlosen, der war trotzig und breitete sich aus wie ein Lorbeerbaum; da man vorüber ging, siehe, da war er dahin, ich fragte nach ihm, da ward er nirgends gefunden. Ps. 37, 35. 36. Drum, wenn man satt ist, soll man gleichwohl denken, daß man wieder hungern kann, und wenn man reich ist, soll man denken, daß man wieder arm werden kann, denn es kann vor Abends noch wol anders werden, weder es am Morgen gewesen ist, und solches alles geschieht bald vor Gott. Sir. 18, 25. 26. Im weitern Nachdenken fand er auch in diesem Bilde eine Vorstellung der Flüchtigkeit der zeitlichen und der Beständigkeit der ewigen Güter. Das Wesen dieser Welt, sprach er, mit aller seiner Herrlichkeit, ist wie dieses Bild im Wasser. Mein Gott hat seine selige Herrlichkeit in den Geschöpfen entworfen, doch als im Wasser, ich will sagen, er hat alles mit Eitelkeit verbunden, daß der Mensch das Schattenwerk nicht lieben, sondern ein Verlangen nach dem himmlischen Wesen daraus schöpfen soll. Wie eitel ist des Baumes Bild im Wasser! Rege und trübe das Wasser, so ists dahin? so ists mit der Welt Dingen, eine geringe widrige Begebenheit zerschlägt und zernichtet alles; sind wir Menschen denn nicht thöricht, daß wir nach dem flüchtigen Schatten schnappen und denselben mit Gefahr unserer Seele suchen, um das beständige ewige Gut aber, das im Himmel für die Liebhaber Gottes behalten wird, uns so wenig bekümmern?

Alles, was ist auf dieser Welt,
Es sei Silber, Gold oder Geld,
Reichthum und zeitlich Gut,
Das währet nur ein kleine Zeit
Und hilfet nichts zur Seligkeit.

288. Die blühenden Bohnen.

Es ist bekannt, wenn die Bohnen in der Blüthe stehen, daß sie gar einen süßen und lieblichen Geruch von sich geben, welchen auch einem die Luft oft von weitem entgegen führt. Als nun Gotthold diesen auch empfand, erinnerte er sich, gelesen zu haben, daß die Inseln Ceilon, Madagaskar und andere wegen der Menge des Zimmts und anderes Gewürzes, so darinnen wachst, einen starken und anmuthigen Geruch von sich geben sollen, also, daß man Ceilon oft eher riechen, als sehen kann. Hierüber erfreute er sich herzlich und sagte: Mein Gott! können die irdischen Früchte mir solche Anmuthigkeit machen, was hab ich von den himmlischen zu erwarten? Ach, wie manches liebliche Lüftlein empfinden deine Gläubigen, welches ihnen der himmlische Pfingstwind, dein werther Geist, aus dem Lande der Lebendigen zuführt, darinnen sie einen Vorschmack und die Probe der Seligkeit haben! Und wenn dies nicht wäre, wie wollten sie in so viel Trübsal aushalten? So oft ich an deines Propheten Worte gedenke, der da spricht: Wie groß ist deine Güte, Gott, die du verborgen hast denen, die dich fürchten! Ps. 31, 20., dünkt mir, ich habe dich als einen Vater bilden wollen, der seine Kinder zwar unter der Ruthe und Zucht hält, indessen doch mit aller seiner Arbeit und Sorge nichts so sehr sucht, als ihnen einen Vorrath zu sammeln, dessen sie sich, wenn sie erwachsen und ihn zu gebrauchen verständig genug geworden sind, mögen zu erfreuen haben. Mein Vater! du verbirgst vor uns, deinen Kindern, deine große Güte in dieser Welt, als ginge sie uns nichts an; zuweilen erblicken wir etwas davon, welches aber unser Verlangen zu vermehren und nicht zu stillen dient; doch, weil wir deine Kinder sind, sind wir versichert, daß dein himmlischer Schatz niemand, als uns könne zu Theil werden. Darum will ich meinestheils mich gerne gedulden und sorgen, wie ich mich als ein gehorsames und frommes Kind gegen dich bezeige; du magst sorgen, wie du als ein liebreicher, milder Vater mir einen Schatz im Himmel beilegest! Laß mich nur zuweilen ein Lüftlein, mein betrübtes Herz zu erquicken, aus dem himmlischen und gelobten Lande anwehen, so will ich des völligen Genusses desto stiller warten. Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth! Meine Seele verlangt und sehnt sich nach den Vorhöfen des Herrn, mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott. Ps. 84, 2. 3. Wann werd ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue? Ps. 42, 3.

289. Das Aderlassen.

Als Gotthold nebst einem andern seiner Freunde hatte zur Ader gelassen und die Umstehenden der Gewohnheit nach, daß es ihm Gott wohl bekommen lassen wollte, wünschten, bedankte er sich dafür und sagte: Ich will euch euren guten Wunsch mit einer und andern guten Lehre, vom Aderlassen genommen, bezahlen. In der Beschreibung des Lebens Heinrichs Suso, eines zu seiner Zeit und noch jetzt berühmten Dominikanermönchs, wird gemeldet, daß, als er aus der Ader gelassen, er sich zu dem gekreuzigten Herrn Jesu im geheimen gewandt und gesagt: O liebster Freund unter allen Freunden, mein Herr Jesu! du weißt, daß unter den Menschen die Gewohnheit ist, daß, wenn sie zur Ader gelassen, sie gern zu guten Freunden gehen und sich fröhlich bezeigen, damit sie, wie sie sagen, gut Geblüt wieder sammeln mögen. Nun weißt du, Herr! daß ich keinen liebern Freund, als dich habe, darum komme ich auf mein Aderlassen zu dir und bitte, daß du dies mein Aderlassen mir segnen und mir recht gut Geblüt wieder geben wollest. Ach, wenn wir könnten alles böse und durch die Sünde verderbte Geblüt abzapfen und könnten durchs Blut Jesu Christi und seine Gnade und Geist ein reines und heiliges Geblüt wieder setzen! Weiter, ich finde bei den römischen Geschichtschreibern, daß die tapfern Römer ihre Soldaten, wenn sie etwas gesündigt hatten, unter anderm auch mit der Strafe des Aderlassens belegt, zweifelsfrei anzudeuten, daß die Mutwilligen und Ungehorsamen nicht wohl bei Sinnen wären, darum sie ihnen denn etwas Blut abgezapft, damit sie sittiger würden. So rathen auch die gelehrtesten Aerzte, daß man in gefährlichen und hitzigen Fiebern, auch andern schmerzhaften Krankheiten durchs Aderlassen den Patienten zur Ohnmacht bringen solle, und bezeugen, daß sie aus der Erfahrung gelernt, daß mehrmals mit einem solchen starken Aderlassen die Hitze und Schmerzen gehoben und erschöpft sind. Nicht anders kann es der Herr, unser Gott, oftmals mit uns halten, wenn er unsere Seele von der Krankheit des Stolzes, Ungehorsams, Muthwillens, Sicherheit, Eigendünkels, Geizes und der Weltliebe gesund machen will. Er kann unsern Muth nicht anders, als durch Erniedrigung, unsere Ueppigkeit durch Mangel, unser eingebildetes Vermögen durch Offenbarung unserer Schwachheit, unsere Ehrsucht durch Verschmähung, unsere Hoffart durch Verachtung, unsere Weltliebe durch Verfolgung brechen. Drum sind solche Dinge unserer Seele wol so gesund, als dem Leibe das Aderlassen. Wie sind wir denn so seltsam, daß wir dem Barbier den Arm willigst darstrecken zum Aderlassen, weil wirs unserm Leibe dienlich finden, und des allweisen Gottes Kur uns widersetzen, wenn er uns an zeitlichen Gütern, Wollust und Ehren etwas entziehen will, unserer Seele zum Besten? Fürwahr, es ist so schwer, als unmöglich, aus einem Himmel in den andern kommen! Des Leibes Wohl ist der Seele Weh. Gehts uns hier nach unserm Wunsch und Willen, so sehe ich nicht, wie die Seele in so viel Blut, Gut und Muth nicht ersticken sollte. Darum, mein getreuer Gott! will ich mich deiner Kur nicht widersetzen; wird mein Fleisch zu muthig, wirst du schon wissen, wie du ihm thun sollst. Ich will lieber hier alles, als dort ein einiges verlieren, nämlich dich schauen.

290. Die Sonnenuhr.

Als Gotthold zur Sonnenuhr schaute, um zu erfahren, ob die Schlaguhren recht gingen, sagte er bei sich selbst: es ist zwar um diese Uhren eine künstliche Sache, allein, wenn die Sonne nicht scheint, so sind sie mit aller ihrer Kunst nichts nütze. Eben wie des Meisters Hand oft eine Leuchte oder Laterne, von getriebener künstlicher Arbeit verfertigt und mit hellem Horn oder Glas versetzt, die aber doch im Finstern zum Wegweiser nicht dient, wenn sie nicht von einem brennenden Licht erleuchtet wird, so ists mit uns Menschen auch. Ohne Gottes Gnade und des H. Geistes Trieb und Erleuchtung sind wir mit allen unsern natürlichen Gaben und Vermögen nichts nütze. Die Weisesten sind nicht weise, und die klügsten Räthe fehlen am meisten, wenn ihren Verstand und Rath die Gnadenstrahlen vom Himmel nicht beleuchten; die scharfsinnigen Gemüther fallen in die gefährlichsten Irrthümer, wo sie nicht ihr Herz, in demüthiger Erkenntniß ihres Unvermögens, der Sonne der Gerechtigkeit zu bestrahlen darstellen; ja die sinnreichsten Köpfe sind wie die subtilen Uhren, welche oft am ersten ins Stehen und Stecken gerathen und ohne stetige Aufsicht nicht fort können. Was ists denn, wenn wir uns viel wissen, daß wir viel wissen? weil alles unser Wissen nicht allein nichts nütze, sondern auch uns und andern schädlich ist, wenn wir nicht wissen, das himmlische Gnadenlicht in demüthiger Andacht aufzufangen. Mein Gott! von deiner Gnade bin ich, was ich bin! Laß deine Gnade an mir nicht vergeblich sein; laß dein Antlitz über mich leuchten, so kann und will ich vielen dienen.

291. Der Kürbis.

Gotthold fand in einer Stube einen Kürbis, welchen der Hausherr mit seinem Namen, der Jahreszahl und etlichen andern Buchstaben, seinen Denkspruch vorbildend, bezeichnet hatte, und sagte: Sehet ihr, was ihr in den zarten und kleinen Kürbis geritzt oder geschnitten habt, wie dasselbe aus und mit ihm gewachsen ist, also, daß man noch jetzt eure Hand daran erkennen kann? Lieber, machet es auch so mit euren Kindern, weil sie noch zart und jung sind. Eure Zunge muß ein Griffel sein eines guten Schreibers, Ps. 45, 2., damit ihr ihnen die Gebote Gottes, die Liebe zur Tugend und den Haß der Sünde müsset ins Herz graben und schreiben. Was ihr ihnen von Kindesbeinen auf einschneidet und einbildet, das werdet ihr hernach an ihnen lesen und erleben. Manchen Eltern sind ihre Kinder ein Brief mit Ach und Weh auswendig und inwendig beschrieben, Hesek. 2, 10., ich will sagen, sie hören, erfahren und erleben an ihnen lauter Herzeleid, allein sie haben es sich selbst zu danken, weil sie ihnen durch ärgerliche Reden, böse Beispiele und Verzärtlung, wie auch durch Versäumung guter Zucht die Bosheit in der Jugend eingedrückt, die nach und nach ausgewachsen und endlich fast unauslöschlich geworden ist. Ach, wann werden wir Christen anfangen, die Kinderzucht besser zu beobachten! Dem ärgerlichen gottlosen Wesen, das wir an so vielen unchristlichen Christen täglich mit Schmerzen sehen, ist nicht anders und nicht eher abgeholfen, als, wenn wir der Jugend anstatt der Frechheit, der Ueppigkeit in Kleidung, der Hochhaltung ihrer selbst, der Spitzfindigkeit und Verschlagenheit die Gottesfurcht, die Demuth, die Sanftmuth, die gewissenhafte Einfalt und andere Tugenden einpflanzen. So lange wir unsere Kinder nicht gewöhnen, daß sie eine Sünde zu begehen schmerzlicher empfinden, als den Verlust von tausend Reichsthalern, ja ihres Lebens, so lange werden wir keine bessere Christen hinter uns lassen. Mein Herr Jesu! schneide deinen h. Namen tief in mein und der Meinigen Herz, daß wir deiner und der Pflicht, damit wir verbunden sind, nimmermehr vergessen!

292. Das wüste Haus.

Gotthold ging vorbei vor einem wüsten Haus, welches Krieg und Pest seiner Einwohner beraubt, daher es nunmehr dach- und fachlos geworden und zum Untergang und Einfall sich täglich je mehr und mehr anschickte. Das sind die Früchte, gedachte er, unserer Sünden, welche die Städte ohne Einwohner und die Häuser ohne Leute machen. Jes. 6, 11. Und ists kein Wunder, daß Gott uns aus unsern Häusern jagt und hinweg rafft, wenn wir ihn nicht wollen bei uns darinnen wohnen lassen, sondern aus unsern Wänden Umhänge machen, hinter welchen wir desto sicherer zu sündigen vermeinen! Ich erinnere mich aber hiebei, sprach er weiter, was es für eine Beschaffenheit habe mit den Seelen, die Gott aus gerechtem Gericht um ihrer beharrlichen Sünden und Unbußfertigkeit willen verlassen hat; fürwahr da nisten wol die höllischen Nachtvögel und fliegen aus und ein nach ihrem Willen, da wird alles baufällig und schickt sich zum ewigen Verderben. Und dies ist die höchste Stufe der göttlichen Strafen, damit der Mensch in diesem Leben kann belegt werden, wenn Gott seine Gnadenhand von ihm abzieht, ihn in einen verkehrten Sinn giebt und läßt ihn wandeln nach seines Herzens Dünkel. Da hat der Satan gewonnen Spiel und zäumt, sattelt und reitet einen solchen Menschen nach seinem Willen; er ist der Teufel Ball, den sie einander zuspielen und aus einer Sünde in die andere stürzen; er ist eine Werkstatt der höllischen Geister, darinnen sie lauter Werke und Waffen der Finsterniß schmieden. Das heißt, was der Herr, unser Gott, sagt: Wehe ihnen, wenn ich von ihnen bin gewichen! Hos. 9, 12. Angleichen: Ich habe meinen Frieden von diesem Volk weggenommen sammt meiner Gnade und Barmherzigkeit. Jer. 16, 5. Zwar ist dies der Unterschied zwischen diesem Hause und einem ruchlosen und übergebenen Menschen, daß jenes seinen kläglichen Zustand allen Vorübergehenden vor Augen stellt, bei diesem aber mehrmals seiner Seele Elend und Verderben mit zeitlicher Glückseligkeit und erwünschtem Fortgang alles seines Muthwillens verdeckt ist; allein die Gefahr ist so viel größer, als tiefer sie vor seinen und fremden Augen verborgen. Und daher finden fromme von Gott erleuchtete Menschen oft Ursache, dieselben Leute, welche ihres zeitlichen Wohlstandes halber jedermann selig preist, mit bittern Thränen zu beweinen und noch vor ihrem Tode zu betrauern. Ach, mein getreuer und barmherziger Gott! laß mich nicht und thue die Hand nicht von mir ab, Gott mein Heil! Ps. 27, 9. Verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen H. Geist nicht von mir! Ps. 51, 12. Laß mir meinen Willen nicht, laß mich aus deiner Aufsicht nicht! Laß meine Seele allezeit eine Wohnung deines H. Geistes bleiben! Ich will lieber von der Welt, von der Gesundheit, von der Ehre, von der Freude, von den Gütern, von den Freunden, von allem verlassen sein, als von dir und deiner Gnade.

293. Das verrostete Eisen.

Als ein Stück hellvolirtes Eisen eine Weile an einem feuchten Orte gelegen hatte, fand es sich, daß es ganz rostig geworden war. Gotthold zeigte solches seinen Leuten und sagte: Lernet hieran, was böse Gesellschaft und Gelegenheit zu sündigen thun könne; es sei ein Gemüth so voll guten Vorsatzes, als es will, so ist es doch in der Gefahr nicht versichert; die Seele aber hat keine größere Gefahr, als wenn sie Gelegenheit und Gesellschaft zur Sünde findet. Hier wirft man ihr nicht stracks ein großes Schiffseil an den Hals, sie niederzureißen, sondern verstrickt sie mit subtilen Netzen und Fäden, daß sie fällt, ehe sie es merkt; man setzt ihr nicht den bloßen Degen an die Gurgel, sondern man trinkt ihr zu aus güldenen Schalen, bis sie das süße Gift beschleicht und ihr alle Kräfte benimmt. Woher kommt heutigen Tags alles gottlose Wesen in der Welt, als weil ein Mensch den andern unter dem Schein der Freundschaft und Höflichkeit ansteckt und verleitet? Man will nicht saufen, sondern lustig sein; man will nicht stolziren und prangen, sondern nur zierlich und nach seinem Stande sich kleiden; man will nicht tödten, sondern nur seine Ehre vertheidigen; man will nicht huren, sondern nur freundlich und höflich sein; man will nicht geizen und Unrecht thun, sondern nur die Seinigen versorgen; man will die h. Schrift nicht verwerfen oder ihre Wahrheit in Zweifel ziehen, sondern nur davon reden, und um bessern Verstand eines und anderes erläutert wissen. Hier überredet, hier ermahnt, hier treibt ein Mensch den andern, hier hilft einer dem andern, und läuft doch am Ende nirgends hinaus, als auf Sünde, Schande, Sicherheit und Gottlosigkeit, daß man nichts glaubt und sich doch stellt, als glaubte man alles. Darum traut nicht allen Leuten und Orten! Die Vielheit weltlich gesinnter Freunde ist nichts anders, als eine lustige Gesellschaft, die einem die Zeit vertreibt, auf dem breiten Wege, der zur Verdammniß führt. Die Gelegenheit aber und Veranlassung zur Sünde ist die Handhabe, dabei man die Sünde erfaßt, es ist die Angel mit einigem Vorwand verdeckt, damit der Satan viel tausend wohlmeinende Gemüther fängt. Und wie eines Hungrigen Begierde gemehrt wird, wenn er den Geruch schmackhafter Speisen empfindet, so wird die Sündenbegierde in dem verderbten Herzen erregt und verstärkt, wenn es durch einige Veranlassung gereizt wird. Mancher wäre nicht gefallen, wenn er nicht aufs Eis gegangen wäre. Jener närrische Jüngling wäre der Hure in die Netze nicht gefallen, wenn er nicht in der Dämmerung auf dem Wege an ihrem Hause sich hätte finden lassen. Sprüchw. 7, 7. Kluglicher handelte der keusche Joseph, der, als er der unzüchtigen Begierden des Weibes seines Herrn kundig geworden, nicht nahe bei ihr schlafen oder um sie sein wollte. 1. Mos. 39, 10. Jener Mensch bildete sich ein, er wäre von Glas, und hütete sich aufs fleißigste, daß er nicht woran stieße, damit er nicht zerbreche. Das war Thorheit. Ich wollte wünschen, daß wir uns fest einbilden könnten, daß alle unsere Frömmigkeit nur ein Glas wäre, damit wir vorsichtig und behutsam wandeln möchten; das wäre Klugheit. Ach, mein Gott! was ist auch mein Gemüth anders, als ein Zunder, der allerlei Funken leicht säht, als eine Klette, die allenthalben anklebt? Behüte mich, mein Vater! vor Gelegenheit zu sündigen, führe mich durch einen Weg zum Himmel, da die wenigsten Anstöße sind; mache mich einfältig, albern, blind und taub, daß ich der sündlichen Reizung nicht wahrnehme und der Welt Schmeichelei nicht verstehe! Ach, wer erst hindurch wäre

294. Das Holz.

Als jemand mit Gotthold vom Brennholz zu reden kam, sagte er: Wir dieses Orts können nicht erkennen, was für eine edle Gabe Gottes das Holz ist, weil wirs häufig haben und es uns wöchentlich mit vielen Fudern vor die Thür geführt wird. Darum, ob wir wohl täglich des Holzes uns bedienen zum Kochen, Backen, zum Waschen, zum Heizen, ob auch wohl große Leute sich verwundern, woher unser Herr Gott alles Holz nimmt zu so mancherlei Brauch für alle Menschen in der ganzen weiten Welt, als Bauholz, Brennholz, Tischlerholz, Böttigerholz, Stellmacher- und Wagnerholz, Schiffholz, Holz zu Schubkarren, Schaufeln, Kannen u. s. w. so halte ich doch dafür, daß unter Tausenden nicht ein einziger sei, der Gott sein Leben lang für die Erschaffung und Benutzung des Holzes gedankt hat. Diese aber alle sollte man eine Weile hinbringen an die Oerter, die so viel Holz nicht haben, auf daß sie aus dem Mangel erlernen möchten, wie gut es sei. Zu Toledo in Spanien wird das alte ausgeworfene Weinholz zur Feurung gebraucht und theuer verkauft. Zu Kairo, der großen Stadt in Aegypten, soll ein Pfund Holz um einen Groschen verkauft werden, darum das gemeine Volk seine Speise aus den Garküchen holt, deren 30,W0 darinnen sind. Konrad Tietench meldet, daß zu Ulm, in der bekannten Reichsstadt, woselbst er Superintendent gewesen, das Holz eine theure Waare sei, daß einer fast mehr um dasselbe, als ums liebe Brod zu sorgen habe, darum es von der Obrigkeit mit großer Beschwerde und Unkosten dahin geschafft werde, daß sie nach Nothdurft und im Nothfall damit versehen seien, wie er denn auch meldet, daß von reichen Leuten gewisse Holzstiftungen für arme Leute geordnet, davon ihnen zur Winterszeit gereicht werde; und endlich ermahnt er, daß man ja ein jedes Spänlein zu Rathe halten und auf der Gasse nicht liegen lassen solle. Wenn das hier ein Prediger thäte, so würde er ausgelacht werden. Ich erinnere mich, daß in dem letzten nordischen Kriege, als die königliche Stadt Kopenhagen gar hart belagert war, dieselbe nicht leicht an einem Dinge einen größern Mangel als am Holz erlitt, darum, als sich ein getreuer Unterthan mit einem Schiff voll Holz gewagt und glücklich hinein gekommen, hat er große Gnade und Belohnung bei seinem Könige verdient. Mein Gott! das letzte, das ich auf der Welt gebrauchen werde, wird ein Holz sein, nämlich der Sarg, von Brettern gemacht, darinnen dieser mein nichtiger Leib verfaulen wird; weil mir denn das Holz von meiner Geburt an bis in meinen Tod dient, wie sollte ich dir, dem alleinweisen und milden Schöpfer, nicht dafür danken!

295. Der Wein.

Gotthold ward bei der Mahlzeit ein schöner Trunk Wein geboten, darüber er Folgendes redend ward: Zu verwundern ist es, daß ein so unansehnliches und schlechtes Holz, welches sich durch eigne Kraft nicht aufrichten oder bestehen, daraus man auch nicht einen Nagel machen kann, wie die Schrift redet, Hesek. 15, 3., eine so edle, schöne Frucht voller Kraft und Saft hervor bringt; doch scheint es, als habe der Höchste das Holz darum so ungestaltet und schwach erschaffen, daß wir bei Genießung seiner edlen Frucht mehr auf ihn, den Schöpfer, und seine gütige Kraft, als auf einige natürliche Ursachen sehen sollten. Denn von ihm kommt es, daß der Wein des Menschen Herz erfreut. Ps. 104, 15. Merklich aber ist es, daß die Schrift sagt, daß der Wein nicht allein die Menschen, sondern auch Gott erfreue. Richt. 9, 13. Trinket denn der Höchste, den nimmer hungert oder dürstet, auch Wein im Himmel, daß sein Herz davon gutes Muths wird? Ach nein! sondern er trinkt Wein, wenn ihn die Menschen in seiner heiligen Furcht und Dankbarkeit trinken, er wird erfreut, wenn seine Gläubigen durch ein Trünklein Weins erfreut, ihres Leides und Kummers, damit sie auf Erden belästigt sind, vergessen. Gott, der wohlthätige und liebreiche Herr, hat den Wein vornehmlich für die betrübten und sorgenvollen Gemüther, die blöden, schwachen, kranken und alten Leute erschaffen. Wenn nun solche mit einem Trünklein Wein sich erquicken, so erfreut er Gott und Menschen; denn es ist Gottes Lust und Freude, wenn er uns Gutes thut und wir seiner Gaben gottselig gebrauchen. Jer. 32, 41. 5. Mos. 28, 63. Ach, sagte einer aus der Gesellschaft, die Armen, Elenden, Traurigen und Kranken kriegen des Weins am wenigsten, und müssen sich wol mit saurem Kovent behelfen, wenn die Großen und Reichen sich selbst und andere im Wein fast ersäufen wollen. Gotthold antwortete: Was zur Ungebühr verschlemmt und den dürftigen Gliedern Christi entzogen wird, das gehört unter die Kreatur, welche über den schändlichen Mißbrauch und über die Eitelkeit, der sie wider ihren Willen unterworfen ist, ängstlich seufzt. Röm. 8, 20. Und darüber wird der Höchste voll Unmuths, daß, wenn er ein wandelbarer Mensch wäre, es ihn fast gereuen sollte, daß er den undankbaren Menschen diese und andere gute Gaben gegeben. Doch, wenn es ja frommen und armen Leuten am natürlichen Wein fehlt, so muß es ihnen am geistlichen doch nicht mangeln. Gott selbst ist ihr Wein, wie der königliche Prophet in seinem Elend sagte: Du erfreust mein Herz, ob jene gleich viel Wein und Korn haben, Ps. 4, 8. Ich meinestheils will mein Leben lang gern alles Weins entbehren, wenn nur mein Gott mit seiner Gnade und Trost mein Herz und Mund fröhlich macht! Mein Gott! wenn du uns so erfreust in der Eitelkeit, was wirst du thun in der seligen Ewigkeit? Ach, wie bitter und herbe ist aller Welt Wein und Freude, wenn ich an die Süßigkeit gedenke, damit deine Auserwählten, die schon bei dir sind, getränkt werden! Weinen ist mir hier oft näher als Wein. Ach, wann werde ich dahin kommen, daß ich den Wein deiner ewigen Gnade im Himmel koste!

296. Der Ring.

Eine vornehme Frau fragte Gotthold, weß sie denn bei den goldenen Ringen, die sie an der Hand trug, zur Uebung der Gottseligkeit sich erinnern sollte. Ist der Ring schlecht und ohne Stein, sprach er, wie die Trauringe zu sein pflegen, so bildet euch allezeit fest dabei ein, daß eure Seele des Herrn Jesu Braut ist, die er sich im Glauben vertraut hat. Darum seid ihm allezeit getreu und befleißigt euch, eure Seele von der Welt und aller Unreinigkeit unbefleckt, wie eine reine und keusche Jungfrau, zu erhalten. Fallen euch weltliche, fleischliche und sündliche Gedanken bei, so nehmt sie nicht anders an als unkeusche Zumuthungen des Satans, der euch dem Herrn Jesu abspenstig machen will. Ist ein Stein im Ringe, so gedenket, daß unser Glaube also müsse Christum, den hellen Jaspis und Rubin, eingeschlossen halten, weil der Glaube sonst und an sich nicht viel, mit Christo aber und durch ihn des ganzen Himmels werth ist. Weil wir die Ringe auch mehrentheils an der linken Hand zu tragen gewohnt, (davon jener sinnreiche Kopf wohl gesagt, es wäre ein Vorbild, wie oftmals der Ehren müßten beraubt sein die, welche sie am meisten verdient, weil die rechte Hand mit der Feder, dem Degen und allerlei Arbeit die Ringe verdienen und erwerben, der Linken aber, die das wenigste thäte, die Ehre selbe zu tragen gönnen müßte), so sehet auch auf euch selbst, ob ihr unverdienter Ehren genießet, als daß man euch christlich, tugendreich, fromm, wohlthätig nennet, da ihr doch von euch selbst überzeugt seid, daß ihr das zu sein, was euch diese Titel nennen, noch nie euch ernstlich beflissen. Das Gold ist das edelste unter den Metallen, rein und fein, im Feuer bewährt, weich, und läßt sich leicht bearbeiten, auch weiter ausdehnen, als kein anderes Erz, und giebt den geringsten Schall von sich, wenn es mit dem Hammer getrieben wird. Also befleißiget euch, ein reines und feines Herz zu haben, lasset euch auch Gottes Prüfefeuer, das liebe Kreuz, nicht zu wider sein, denn dies ist eben das Mittel, dadurch die wilde Unart dem Herzen ausgebrannt wird. Seid auch mitleidig, freundlich und friedsam, dehnet euren Willen den Dürftigen zu dienen aufs weiteste aus, als möglich ist, lernet auch geduldig und stille sein, wenn der Höchste mit dem Kreuzhammer an euch arbeitet, in Erwägung, daß es euch zum Besten dient. Wenn man solche und dergleichen Gedanken allezeit hätte, so würden die Ringe mit weniger Sünde und mehrerem Nutzen getragen- Wenn aber das nicht geschieht, so hört, was ich von euren Ringen halte. Ich habe eine arme alte Frau gekannt, die pflegte, wenn sie etwas Angelegenes denken wollte, einen Faden oder Strohhalm um den Finger zu winden; wenn nun ihr jemand solches nachthäte, seines Christenthums, seines Gebets, seines guten Vorsatzes Gott und Menschen zu dienen sich dabei zu erinnern, so achte ich solchen Faden oder Strohhalm höher, als alle theuren Ringe, die zur Ueppigkeit ohne Gottseligkeit getragen werden.

297. Die Wespe.

Es war eine Wespe in Gottholds Studierstube gekommen, und als sie vor den Fenstern mit vielem Gebrumm flatterte, stand er endlich auf, fing und zerschnitt sie in 3 Stücke, daß das Haupt, die Brust mit den Flügeln und Füßen, und der Unterleib mit dem Stachel allein lag, da er denn mit Verwundern wahrnahm, daß alle drei Stücke nichts desto weniger lebten; der Kopf hatte noch die Macht, daß, wenn er ihm ein Spänlein darhielt, er darein biß, daß er daran hängen blieb; die Brust flatterte mit den Flügeln, liegend, immer rund herum; der Unterleib, so oft er angeregt wurde, war mit dem Stachel zu stechen fertig. Hiebei fiel ihm ein, was er ehemals bei dem h. Augustinus gelesen, welchem, als er auf dem Lande gewesen, seine Gefährten einen langen vierfüßigen Wurm gebracht, dessen einzelne Stücke, als sie ihn etliche Mal zerschnitten, gleichfalls wie der ganze Wurm umher gekrochen, darin er sich nicht zu finden wußte. Gotthold ging es nicht anders, und er fand nicht zu erklären, wie es zuging, daß die Seele, also zu reden, mit dem Leibe zertheilt und zerstückt würde. Doch sagte er bald bei sich selbst: ich will auch aus dieser Begebenheit meine gottseligen Gedanken unterhalten und mich hiebei erinnern, wie die Gottlosen und Verdammten in der Hölle im ewigen Tode doch ewig leben werden.

Wer will zweifeln, daß nicht die Teufel aufs grausamste mit den ihnen zuerkannten Menschen umgehen werden? Ich halte, sie werden sie alle Tage etliche Mal zerreißen und in viele Stücke zersplittern, nicht ihrer Qual durch einen endlichen Tod abzuhelfen, sondern dieselbe zu vermehren, weil in allen Stücken wird ein unsterbliches Leben sein, welches in einem jeden so viel Qual, als der ganze Leib zuvor, empfinden wird. Und also werden sie immer und nimmer sterben, sondern im Tode ewig leben.

So lang ein Gott im Himmel lebt
Und über alle Wolken schwebt,
Wird solche Marter währen;
Es wird sie plagen Kält und Hitz,
Angst, Hunger, Schrecken, Feur und Blitz,
Und sie doch nicht verzehren;
Dann wird sich enden diese Pein,
Wann Gott nicht mehr wird ewig sein.

Ach Ewig! Ewig! Dies ist das Allerschrecklichste in der Hölle. Was ein Ende nimmt, da ist noch Hoffnung und Trost dabei, wie schrecklich es auch sonst ist. Aber wo ist ein Ende in der unendlichen Ewigkeit zu finden? Zwar es haben sich Leute gefunden, die vermeint, die Barmherzigkeit und unendliche Güte Gottes gebe nicht zu, daß er sein Geschöpf in alle Ewigkeit zur Qual und Pein verstoßen sollte. Allein, daß ich hierwider nichts anderes sage, wenn es möglich wäre, daß in der Hölle Buße und Glauben sein könne, so hielte ich auch, daß Barmherzigkeit würde da sein. Aber wie kann da etwas Gutes sein, da die Teufel nach allem ihrem Willen im Leibe und der Seele herrschen? Wohl haben die Lehrer geschlossen, daß, wer in Sünden und vorsätzlicher Bosheit sterbe, immer und allewege darinnen bleibe; denn wem Gottes Gnade nicht zu Hülfe kommt, wie kann der anders, als böse sein? Drum wie dieser Wespenkopf auch nach dem Tode, so zu reden, beißen und der Schwanz stechen will, so werden die Verdammten ewig einen bösen Willen wider Gott und Menschen behalten, wie denn angezeigt ist Offenb. 16, 10.: Die Menschen lästerten Gott und zerbissen ihre Zungen und lästerten Gott im Himmel vor Schmerzen. Darum werden sie in solcher ewigen Bosheit eine ewige Pein zu erwarten haben. Mein Gott! wenn dein Wort von der ewigen Qual und der Hölle redet, so geschieht es sehr kurz. Was ist die Ursache? Zweifelsfrei, daß es mit Worten nicht auszusprechen ist, was für Qual die Verdammten in Ewigkeit plagen wird. Wie sind wir denn so blind, daß wir der Hölle so leicht und liederlich vergessen? Das beste Mittel, der Hölle zu entgehen, ist, die Hölle oft betrachten.

298. Die Erde.

Gotthold ließ einen Brunnen säubern, und ward der Sand, so herausgebracht, an einen Ort hingeschüttet, welchen Haufen er einige Zeit hernach mit allerlei Kräutern bewachsen fand, und erinnerte sich, daß er gelesen, wie ein gelehrter Neapolitaner in Acht genommen, daß, als man den Grund zu einem großen Gebäude tief hatte legen wollen und deshalb die Erde von unten herauf gebracht, dieselbe auch in Kurzem mit allerlei Kräutern, deren man an selbigen Orten gewohnt war, bewachsen sei. Dies ist, sagte er, das Wort unsers Gottes, da er der Erde allerlei Gras, Kräuter und Pflanzen aufgehen zu lassen befohlen, 1. Mos. 1, 11., und ohne Zweifel ihr zugleich die Kraft dazu eingepflanzt hat, die auch jetzt noch währt. Man sieht aber in solcher Erde nichts, keinen Samen, keine Wurzel, keinen Anfang, und soll mir der Allerscharfsinnigste und Scharfsichtigste nichts dergleichen darinnen finden, bis es durch die jetzt gemeldete Kraft Gottes, die wir die Natur nennen, sich eräuget und darstellt. Kann nun das allmächtige Wort meines Gottes Kräuter aus der schwarzen Erde über alles unser Sehen, Fühlen und Begreifen bringen, sollte er nicht die verstorbenen und verweseten Leiber der Menschen am jüngsten Tage wissen wieder hervor zu bringen? Ich habe oft auf den Gottesäckern die Erde aufgraben gesehen, die schon viele Leiber der Verstorbenen verzehrt hat; ich sehe nichts vom Menschen mehr, weder Haut, noch Haar, mit meinen leiblichen Augen, aber mein Gott sieht wohl, wo der Staub liegt, daraus er den verweseten Körper erwecken will, und mit meinen Glaubensaugen sehe ichs auch wohl. Mein Gott! das ganze Werk stehet auf dein Wort! Du hasts gesagt, du kannst und wirst nicht lügen. Was bilden wir ohnmächtige Menschen uns ein, daß wir deine Allmacht dürfen in Zweifel ziehen? Gerade, als könntest du auch nicht, was wir nicht können. Mein Herr Jesu! deine lebendigmachende gewaltige Stimme wird der Schlüssel sein, der alle verborgenen und verschlossenen Oerter eröffnen und die Todten von dannen heraus führen wird; deine Macht wird die Felsen zersprengen, die Höhlen eröffnen, die Gräber entdecken, die Wasser zertheilen, die Felder erregen, die Wälder durchsuchen, die Berge versetzen, daß nirgends ein Todter bleibe, sondern sie alle vor deinem Nichterstuhl lebendig dargestellt werden. Hast du uns das Leben können geben, ehe wir wurden, solltest du es uns nicht wiedergeben können, wenn wir schon gewesen sind?

299. Die Vaterstadt.

Als Gotthold, nachdem er nunmehr über elf Jahre seinem Gott und Nächsten in der Fremde zu dienen beflissen gewesen, in die sechs und dreißig Meilen auf bittliche Erforderung der Seinigen, dieselben einmal zu besuchen, zu seiner Vaterstadt gereiset und dieselbe nunmehr im flachen Felde vor sich liegen sah, sprach er mit thränenden Augen: Mein Gott! dies ist der Ort, da mich zuerst deine Güte umfangen; hier ward ich dir zuerst in den Schooß geworfen, hier hat mich deine Hut und Hand in meiner Wiege bewahrt, hier ist der Taufstein, da du mich aus Wasser und Geist wiedergeboren und zu deinem Kinde aufgenommen hast, hier hat mich deine Gnade allezeit begleitet, deine Barmherzigkeit ist mir nachgefolgt und hat mich aus mancher Noth errettet und in vieler Gefahr, welche mir die Unvorsichtigkeit meiner Jugend verursacht, beschützt; hier hat deine göttliche Langmuth den Sünden meiner Kindheit mit großer Geduld nachgesehen und mir dieselben aus Gnaden vergeben; hier hast du mir ein ehrliches und vornehmes Geschlecht, christliche gottselige Eltern, getreue Lehrmeister, fromme Prediger und geneigte Herzen beschert; hier ruhen die Gebeine meiner Eltern und Geschwister; sollte ich dir nicht, mein Vater! mit einem demüthigen Fußfall danken für alle deine Barmherzigkeit und Treue, die du mir hier sonderlich und an vielen andern Orten mein Leben lang erwiesen hast? Mein Gott! ich freue mich, daß ich dieses mein irdisches Vaterland nach Verfließung etlicher Jahre wieder sehe. Ach, wie will ich mich freuen, wenn nach Verfließung aller meiner Jahre und nach vollendeter Pilgrimschaft des betrübten Lebens ich das himmlische Jerusalem, mein rechtes Vaterland, erblicken werde! Da wird mich deine Güte ewig umsahen, da wird mich keine Sünde beflecken, keine Noth betrüben, keine Gefahr schrecken, da will ich unter der Gesellschaft deiner h. Engel, aller meiner lieben Freunde und Verwandten, ja aller deiner Auserwählten vor deinem Angesicht mich ohne Ende erfreuen. Fahr hin, irdisches Vaterland! Fahr hin, Welt! der Himmel und mein Jesus ist mir besser, als du und alles.

300. Das Krachen des Holzes.

Gotthold hatte sein Wesen eine Zeit lang auf einer Stube, in welcher ein Kasten stand, der mit starkem Krachen ein herannahendes Ungewitter zuvor anzudeuten pflegte. Als nun solches auch einstmals geschah, wie er mit einem Herzensfreunde sprach, wurden sie darüber redend, was doch die Ursache solches Krachens sein möchte. Gotthold sagte: Man hält dafür, daß sonderlich das windbrüchige Holz oder die Bretter, so aus einem nicht von der Art, sondern vom Winde gefällten Baum geschnitten sind, sich also hören lassen; was aber eigentlich die Ursache sei eines solchen oftmals harten Krachens, wird schwerlich recht genau zu erforschen sein. Die Natur hat auch ihre Wunder und ihre Tiefen, welche der menschliche Verstand nicht ergründen kann, der sich doch mehrmals erkühnen darf, die Tiefen der Gottheit zu untersuchen; davon er aber nichts, als vergebliche Mühe oder auch wol Verblendung und Thorheit zum Lohn hat. Lasset uns aber, indem andere, denen es belieben wird, nach den Ursachen dieses Holzkrachens forschen, auf eine nützliche Erinnerung zur Gottseligkeit bedacht sein. Ihr wisset, was der h. Apostel sagt: Wir wissen, daß alle Kreatur sehnet sich mit uns und ängstet sich noch immerdar. Rom. 8, 22.; von welchen Worten, dergleichen man sonst in der Schrift nicht findet, die Ausleger zwar nicht einerlei Meinung haben, doch warum wollen wir ihnen eine andere geben, als sie selbst haben? Was hindert uns daran, daß wir nicht sollen sagen und halten, daß Himmel und Erde und andere Geschöpfe darinnen unter der Last der Bosheit der gottlosen Menschen und unter dem Dienst der Eitelkeit wahrhaftig seufzen, stöhnen, klagen und sich ängsten wie ein Weib in Kindesnöthen? Zwar wie es eigentlich mit diesem Seufzen und Aengsten zugeht, wissen wir nicht, wir hören auch solch Aengsten und Stöhnen der Kreatur nicht, Gott aber weiß und hört es, und der hat es durch seinen H. Geist seinem Apostel offenbart. Wohl sagt der liebe Luther (Kirchenpostille, Sommertheil): „Ob die Kreatur solche Zungen und Sprache nicht hat, wie wir, so hat sie doch eine Sprache, die Gott und der H. Geist hört und versteht, wie sie seufzt über das Unrecht.“ Als Kain seines Bruders Blut vergossen hatte, wußte er nichts von dem Geschrei, das solches Blut zu Gott that, Gott aber hörte es. 1. Mos. 4, 10. Gleichwie die Kreaturen Gott loben und seinen Ruhm erzählen, nicht allein, weil sie die Menschen zum Lobe Gottes aufmuntern, (denn dies erlangen sie bei den wenigsten), sondern auch mit ihren Kräften und Wirkungen, also seufzen sie und ängsten sich, indem sie eine verborgene Kraft als einen Seufzer zu Gott aufschicken und um die Offenbarung der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes und um Rache über die Gottlosen sehnlich rufen mit einem Geschrei, das Gott hört und versteht. Ach, wenn sich dessen die sichere heutige Welt, so oft sie ein belästigtes, hungriges oder sterbendes Thier seufzen, schreien und stöhnen hört, oder so oft sie ein solch Krachen hört, erinnern, und es zu Herzen nehmen wollte! Aber sie ist so überklug, daß sie solcher Dinge lacht, und so sicher, daß sie es nicht zu Herzen nimmt. Nun so fahr hin, du tolle sichere Welt, und wisse, daß es dir gehen wird, wie einem ungerechten Mann, der eine fromme Wittwe und ihre verlassenen Waisen beleidigt; der achtet ihr Gebet, ihr Seufzen, ihre Thränen noch und fährt fort in seinem Muthwillen; er denkt: Ein Mund voll Wind und eine Hand voll Wassers thut mir nichts! Aber wie oft haben wir es erfahren, daß der Wittwen Thränen eines reichen und gewaltigen Schinders Vermögen haben hinweg geschwemmet, ihre Seufzer haben sein ganzes Haus als ein gewaltiger Wind umgestoßen. Gewiß, der Kreatur Seufzen und Aengsten wird endlich nicht vergebens sein, sondern die gottlosen Spötter und Verächter in ewige angst und seufzen stürzen. Indessen, mein Freund! laßt uns auch mit Seufzen und bei uns selbst heimlich, doch kräftig nach der Offenbarung unserer Kindschaft und unserer Erlösung sehnen; ach, wenn ich könnte alle auserwählten Kinder Gottes in der ganzen Welt dazu aufmuntern, daß sie keine Stunde wollten lassen vorbei gehen, da sie nicht sollten einen herzlichen Seufzer nach dem Himmel senden und sagen: Amen! Ja, komm, Herr Jesu! Offenb. 22, 20. Doch, was aufmuntern? Wie sollte in diesen letzten betrübten und verderbten Zeiten ein Kind Gottes sein, das nicht stündlich um die Zukunft des Herrn Jesu seufzte? Herr Jesu! du hörst das Seufzen deiner Gläubigen, du wirst es auch bald erhören.

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